Viertes Kapitel
Der Garten des Grafen Angelo Mora. Eugenius' Entzücken und Gretchens Schmerz. Die gefährliche Bekanntschaft.

[586] Ein von dem tiefsten Unmut, von den widersprechendsten Gefühlen bestürmtes Gemüt verschließt gern sich in sich selbst, und so geschah es denn auch, daß Eugenius, als er schon vor dem Kaffeehause sich befand, statt hineinzutreten,[586] sich schnell entfernte, unwillkürlich hinauslaufend ins Freie.

Er gelangte vor das breite Gittertor eines Gartens, aus dem ihm balsamische Düfte entgegenströmten. Er schaute hinein und blieb im tiefsten Erstaunen festgewurzelt stehen.

Ein mächtiger Zauber schien die Bäume, die Gebüsche der entferntesten verschiedensten Zonen hieher versetzt zu haben, die im buntesten Gemisch der seltsamsten Farben und Gestaltungen üppig prangten, wie dem heimatlichen Boden entsprossen. Die breiten Gänge, die den magischen Wald durchschnitten, faßten fremde Gewächse, Stauden ein, die Eugenius nur dem Namen, der Abbildung nach gekannt, und selbst Blumen, die er wohl gezogen im eignen Treibhause, erblickte er hier in einer Fülle und Vollendung, wie er sie nie geahnet. Durch den Mittelgang konnte er hinschauen bis zu einem großen runden Platz, in dessen Mitte aus einem Marmorbecken ein Triton Kristallstrahlen hoch in die Höhe spritzte. Silberpfauen stolzierten daher, Goldfasane badeten sich in dem Feuer der Abendsonne. – Nicht gar zu fern vom Tor blühte eine Datura fastuosa (schöner Stechapfel) mit ihren herrlich duftenden großen trichterförmigen Blumen in solch glanzvoller Pracht, daß Eugenius mit Scham an die ärmliche Gestaltung dachte, die dasselbe Gewächs in seinem Garten zeigte. Es war das Lieblingsgewächs der Professorin, und allen Unmut vergessend, dachte Eugenius eben: »Ach! – könnte die gute Mutter solch eine Datura in den Garten bekommen!« – Da schwebten, wie von den Abendlüften getragen, süße Akkorde eines unbekannten Instruments aus den fernen Zaubergebüschen, und leuchtend stiegen die wunderbaren Himmelstöne einer weiblichen Stimme empor. – Es war eine jener Melodien, die nur die Liebesbegeisterung des Südens aus der tiefsten Brust hervorzurufen vermag, es war eine spanische Romanze, die die Verborgene sang.

Aller süße namenlose Schmerz der innigsten Wehmut,[587] alle Glut inbrünstiger Sehnsucht erfaßte den Jüngling, er geriet in eine Trunkenheit der Sinne, die ihm ein unbekanntes fernes Zauberland voll Traum und Ahnung erschloß. Er war auf die Knie gesunken und hatte den Kopf fest angedrückt an die Stäbe des Gitters.

Tritte, die sich dem Gattertor nahten, scheuchten ihn auf, und er entfernte sich schnell, um in seinem aufgeregten Zustande nicht von Fremden überrascht zu werden. –

Unerachtet die Dämmerung schon eingebrochen, fand Eugenius doch noch Gretchen im Garten mit den Pflanzen beschäftigt.

Ohne aufzublicken, sprach sie mit leiser schüchterner Stimme: »Guten Abend, Herr Eugenius!« – »Was ist dir,« rief Eugenius, dem des Mädchens seltsame Beklommenheit auffiel, »was ist dir, Gretchen? – Schau' mich doch an!«

Gretchen blickte zu ihm auf, aber in dem Augenblick quollen ihr auch die hellen Tränen aus den Augen.

»Was ist dir, liebes Gretchen?« wiederholte Eugenius, indem er des Mädchens Hand faßte. Aber da schien ein jäher Schmerz des Mädchens Innres zu durchzucken. Alle Glieder bebten, die Brust flog auf und nieder, ihr Weinen brach aus in heftiges Schluchzen.

Ein wunderbares Gefühl, wohl mehr als Mitleid, durchdrang den Jüngling.

»Um des Himmels willen,« sprach Eugenius in der schmerzlichsten Teilnahme, »um des Himmels willen, was hast du, was ist dir geschehen, mein liebes Gretchen? – Du bist krank, sehr krank! – Komm, setze dich, vertraue mir alles!«

Damit führte Eugenius das Mädchen auf eine Gartenbank, setzte sich zu ihr und wiederholte, indem er ihre Hand leise drückte: »Vertraue mir alles, mein liebes Gretchen!«

Dem Rosenschimmer des erwachten Morgens gleich brach ein holdes Lächeln durch des Mädchens Tränen. Sie[588] seufzte tief, der Schmerz schien gebrochen und das Gefühl unbeschreiblicher Lust, süßer Wehmut sie zu durchdringen.

»Ich bin,« lispelte sie leise mit niedergeschlagenen Augen, »ich bin wohl ein dummes, einfältiges Ding, und es ist alles nur Einbildung, lauter Einbildung! – Und doch,« rief sie dann stärker, indem ihr Tränen wieder aus den Augen stürzten, »und doch ist es so – doch ist es so!«

»So fasse,« sprach Eugenius ganz bestürzt, »so fasse dich doch nur, liebes Gretchen, und erzähle, vertraue mir, was dir denn Böses geschehen, was dich so tief erschüttert hat.«

Endlich kam Gretchen zu Worten. Sie erzählte, wie in Eugenius' Abwesenheit ein fremder Mann plötzlich durch die Türe, die sie zu verriegeln vergessen, in den Garten getreten und sehr eifrig nach ihm gefragt habe. Der Mann habe in seinem ganzen Wesen was Besonderes gehabt, sie aber mit solchen seltsamen, feurigen Augen angeblickt, daß ihr es ganz eiskalt durch alle Glieder gefahren sei und sie vor lauter Angst und Bangigkeit kaum ein Glied rühren können. Dann habe der Mann sich in ganz wunderlichen Worten, die sie, da er überhaupt gar kein rechtes Deutsch gesprochen, kaum verstanden, nach diesem, jenem erkundigt und zuletzt gefragt – hier stockte Gretchen plötzlich, indem ihre Wangen Feuerlilien glichen. Als nun aber Eugenius in sie drang, alles, alles herauszusagen, erzählte sie weiter, daß der Fremde sie gefragt, ob sie nicht dem Herrn Eugenius recht gut sei. Recht aus der Seele, habe sie erwidert, o ja, recht von Herzen! Da sei der Fremde dicht an sie herangetreten und habe sie wieder mit jenem abscheulichen Blick ordentlich durchbohrt, so daß sie die Augen niederschlagen müssen. Noch mehr! recht frech und unverschämt habe der Fremde sie auf die Wangen geklopft, die ihr vor lauter Angst und Bangigkeit gebrannt, dabei gesagt: »Du niedliche hübsche Kleine, ja recht gut sein, recht gut sein!« und dann so hämisch gelacht,[589] daß ihr das Herz im Leibe gezittert. In dem Augenblick sei die Frau Professorin ans Fenster getreten, und der Fremde habe gefragt, ob das die Frau Gemahlin des Herrn Eugenius sei, und als sie erwidert, ja, es sei die Mutter, recht höhnisch gerufen: »Ei, die schöne Frau! – Du bist wohl eifersüchtig, Kleine?« – hierauf wieder so hämisch und arglistig gelacht, wie sie es nie von einem Menschen gehört, dann aber, nachdem er die Frau Professorin nochmals recht scharf ins Auge gefaßt, sich schnell aus dem Garten entfernt.

»Aber,« sprach nun Eugenius, »aber in diesem allem, liebes Gretchen, finde ich noch gar nichts, das dich so tief, so gar schmerzlich hätte betrüben können.«

»O Herr,« brach Gretchen los, »o Herr des Himmels, wie oft hat die Mutter mir gesagt, daß Teufel in menschlicher Gestalt auf der Erde umherwandelten, die überall Unkraut unter den Weizen säeten, die den Guten allerlei verderbliche Schlingen legten! – O gütiger Gott! – der Fremde, er war der Teufel, der –«

Gretchen stockte. Eugenius hatte gleich gemerkt, daß der Fremde, der Gretchen im Garten überrascht, niemand anders gewesen sein konnte als der Spanier Fermino Valies, und wußte nun recht gut, was Gretchen sagen wollte.

Nicht wenig darüber betreten, fragte er nun kleinmütig, ob er sich denn wirklich seit einiger Zeit in seinem Betragen geändert habe.

Da strömte alles heraus, was Gretchen in der Brust verschlossen. Sie hielt dem Jüngling vor, daß er jetzt im Hause stets trübe, in sich verschlossen, wortkarg, ja zuweilen so ernst und finster sei, daß sie es gar nicht wage, ihn anzureden. Daß er keinen Abend mehr sie seines Unterrichts würdige, der ihr, ach, so lieb, ja wohl das Beste gewesen, was sie auf der Welt gehabt. Daß er gar keine Freude mehr an den schönen Gewächsen und Blumen habe – ach! daß er gestern auf die so herrlich blühenden[590] Balsaminen, die sie allein so sorgsam gezogen, auch nicht einen Blick geworfen, daß er überhaupt gar nicht mehr der liebe gute –

Ein Tränenstrom erstickte Gretchens Worte.

»Sei ruhig, laß keine törichten Einbildungen in dir aufkommen, mein gutes Kind!« – Sowie Eugenius diese Worte sprach, fiel sein Blick auf Gretchen, die sich von der Bank, auf der sie gesessen, erhoben, und als zerstreuten sich plötzlich Zaubernebel, die ihn geblendet, gewahrte er nun erst, daß nicht ein Kind, daß eine sechzehnjährige Jungfrau in der höchsten Anmut des entfalteten Jugendreizes vor ihm stand. – In seltsamer Überraschung vermochte er nicht weiterzureden. Endlich sich ermannend, sprach er leise: »Sei ruhig, mein gutes Gretchen, es wird noch alles anders werden,« und schlich aus dem Garten ins Haus die Treppe hinauf.

Hatte Gretchens Schmerz, ihr Abscheu gegen den Fremden des Jünglings Brust auf besondere Weise bewegt, so war eben deshalb sein Groll gegen die Professorin gestiegen, der er in seiner Betörung allein Gretchens Gram und Leid zuschrieb.

Als er nun zur Professorin hineintrat und diese ihn anreden wollte, unterbrach er sie mit den heftigsten Vorwürfen, daß sie dem jungen Mädchen allerlei abgeschmacktes Zeug in den Kopf gesetzt und über seinen Freund, den Spanier Fermino Valies, geurteilt habe, den sie gar nicht kenne und niemals kennen werde, da der Maßstab einer alten Professorsfrau zu klein sei für wahrhaft lebensgroße Gestaltungen.

»So weit ist es gekommen!« rief die Professorin mit dem schmerzlichsten Ton, indem sie die Augen, die gefalteten Hände gen Himmel erhob.

»Ich weiß nicht,« sprach Eugenius verdrießlich, »ich weiß nicht, was Sie damit meinen, aber mit mir ist es wenigstens noch nicht so weit gekommen, daß ich mit dem Teufel Gemeinschaft gemacht!« –[591]

»Ja,« rief die Professorin mit erhöhter Stimme, »ja! in des Teufels Schlingen sind Sie, Eugenius! Schon hat der Böse Macht über Sie, schon streckt er seine Krallen aus, Sie hinabzureißen in den Pfuhl ewigen Verderbens! Eugenius! lassen Sie ab von dem Teufel und seinen Werken, es ist Ihre Mutter, die Sie bittet, beschwört« –

»Soll ich,« unterbrach Eugenius die Professorin erbittert, »soll ich begraben sein in diesen öden Mauern? – soll ich freudenlos das kräftigste Leben des Jünglings hinopfern? – Sind die harmlosen Vergnügungen, die die Welt darbietet, Werke des Teufels?«

»Nein,« rief die Professorin, indem sie ermattet in einen Stuhl sank, »nein, nein, aber! –« In dem Augenblick trat Gretchen hinein und fragte, ob die Professorin, ob Eugenius nicht zu Nacht essen wolle, alles sei bereit.

Sie setzten sich zu Tische, stumm und düster, keines Wortes mächtig vor den feindlichen Gedanken, die das Innere erfüllten. –

Am frühen Morgen erhielt Eugenius ein Billett von Fermino Valies des Inhalts:


»Sie waren gestern am Gattertor unsers Gartens. Warum traten Sie nicht hinein? Zu spät hat man Sie bemerkt, um Sie einzuladen. Nicht wahr, Sie haben ein kleines Eden für Botaniker geschaut? – Heute gegen Abend erwartet Sie an demselben Gattertor

Ihr innigster Freund

Fermino Valies


Nach dem Bericht der Köchin hatte das Billett ein furchtbarer, ganz schwarzer Mensch überbracht, wahrscheinlich ein mohrischer Diener des Grafen.

Eugenius fühlte sein ganzes Herz aufgehen bei dem Gedanken, daß er nun eintreten sollte in das Paradies voll herrlichen Zaubers. Er hörte die Himmelstöne, die den Gebüschen entstiegen, und seine Brust bebte vor Inbrunst[592] und Verlangen. Zerronnen war aller Unmut in dem lusterfüllten Gemüt.

Bei Tische erzählte er, wo er gewesen und wie der Garten des Bankiers Overdeen vor dem Tore, den der Graf Angelo Mora besitze, sich ganz und gar verändert habe und jetzt ein wahrer botanischer Zaubergarten sei. Gütig wolle ihn heute abend sein Freund Fermino Valies hineinführen, und er werde nun alles mit leiblichen Augen in der Natur schauen, was er sonst nur aus Beschreibungen und Bildern gekannt. Weitläufig sprach er nun über alle wunderbare, fernen Zonen entrückte Bäume und Büsche, nannte ihre Namen, gab sein tiefstes Erstaunen darüber zu erkennen, wie sie das heimatliche Klima hätten entbehren und hier aufgezogen werden können. Dazu kam er auf die Sträucher, auf die Stauden, auf die Gewächse und versicherte, daß alles in diesem Garten ganz fremdartig und ungewöhnlich sei, daß er z.B. in seinem Leben keine solche Datura fastuosa gesehen, wie sie im Garten blühe. Der Graf müsse geheimnisvoller Zaubermittel mächtig sein, denn gar nicht zu begreifen wäre sonst, wie dies alles in der kurzen Zeit, während der Graf sich hier aufhalte, habe bewerkstelligt werden können. Dann sprach er von den Himmelstönen der weiblichen Stimme, die den Gebüschen entschwebten, und erschöpfte sich in Schilderungen der Wonne, die er dabei gefühlt.

Eugenius bemerkte in seiner Freude, in seinem Entzücken nicht, daß er allein sprach, und daß die Professorin und Gretchen stumm und in sich gekehrt dasaßen.

Als er die Mahlzeit geendet, sprach die Professorin, indem sie sich von ihrem Sitze erhob, sehr ernst und gelassen: »Sie befinden sich in einem sehr aufgeregten bedrohlichen Zustande, mein Sohn! Der Garten, den Sie mit so vielem Eifer beschreiben und dessen Wunder Sie bösen Zauberkräften des unbekannten Grafen zuschreiben, hatte schon seit vielen, vielen Jahren dieselbe Gestalt, und diese seltsame, ja, wie ich zugeben will, wunderbare Gestaltung[593] ist das Werk eines fremden kunstreichen Gärtners, der in Overdeens Diensten stand. Ich war mit meinem lieben Helms ein paarmal dort, der meinte aber, es wäre ihm alles zu künstlich, und der Zwang, den man der Natur angetan, um das Fremde, einander Entgegengesetzte in abenteuerlicher Mischung zusammenzubringen, beklemme ihm das Herz.«

Eugenius zählte die Minuten; endlich sank die Sonne, und er durfte sich auf den Weg machen.

»Die Pforte des Verderbens ist geöffnet, und der Diener steht bereit, das Opfer zu empfahen!« So rief die Professorin im Schmerz und Zorn; Eugenius versicherte dagegen, daß er aus dem Ort des Verderbens gesund und unversehrt zurückzukommen hoffe.

Der Mensch, der das Billett von dem Fremden gebracht, habe ganz schwarz, ganz abscheulich ausgesehen, meinte Gretchen.

»Wohl gar,« sprach Eugenius lächelnd, »wohl gar mag es Luzifer selbst oder wenigstens sein erster Kammerdiener gewesen sein? Gretchen, Gretchen! fürchtest du dich noch vor dem Schornsteinfeger?« Gretchen schlug errötend die Augen nieder, Eugenius entfernte sich schnell.

Vor lauter Bewunderung der botanischen Pracht und Herrlichkeit, die sich ihm in dem Garten des Grafen Angelo Mora auftat, konnte Eugenius gar nicht zu sich selbst kommen.

»Nicht wahr,« sprach Fermino Valies endlich, »nicht wahr, Eugenius, es gibt noch Schätze, die du nicht kanntest. Hier sieht es anders aus, als in deinem Professors-Garten.«

Es ist zu bemerken, daß der enger geschlossene Bund die Benennung mit dem brüderlichen Du unter den Freunden herbeigeführt hatte. –

»O sprich,« erwiderte Eugenius, »sprich nicht von dem armseligen öden Plätzchen, wo ich, einer kranken, mühsam vegetierenden Pflanze gleich, ein kümmerliches freudeloses[594] Leben hingeschmachtet habe! – O diese Pracht – diese Gewächse, diese Blumen – Hier zu bleiben – hier zu wohnen!« –

Fermino meinte, daß, wenn Eugenius sich dem Grafen Angelo Mora nähern wolle, welches er (Fermino) sehr gern vermitteln werde, jener Wunsch leicht erfüllt werden könne, insofern es ihm möglich, sich von der Professorin wenigstens auf die Zeit zu trennen, während der Graf hierbleibe.

»Doch,« fuhr Fermino fort mit spöttelndem Tone, »doch das ist wohl nicht möglich. Wie sollte solch ein junger Ehemann als du, mein Freund, nicht noch im Entzücken der Liebe schwärmen und sich nur einen Augenblick seine Seligkeit rauben lassen. – Ich habe gestern deine Frau gesehen. In der Tat für ihre hohen Jahre ein glaues muntres Weiblein. – Es ist doch erstaunlich, wie lange Amors Fackel in dem Herzen mancher Weiber zu brennen vermag. – Sage mir nur, wie dir bei den Umarmungen deiner Sara, deiner Ninon zumute wird? – Du weißt, wir Spanier sind von feuriger Einbildungskraft, und daher kann ich an dein Eheglück gar nicht denken, ohne in Flammen zu geraten! – Du bist doch nicht eifersüchtig –?«

Der spitze tötende Pfeil des Lächerlichen traf des Jünglings Brust. Er dachte an Severs Warnungen, er fühlte, daß, ließe er sich darauf ein, über sein eigentliches Verhältnis mit der Professorin zu sprechen, er den Spott des Spaniers nur noch mehr reizen würde. Aber aufs neue stand es auch klar vor seiner Seele, daß ein falscher, täuschender Traum ihn, den unerfahrnen Jüngling, um sein Leben betrogen. Er schwieg, doch die brennende Röte, die sein Gesicht überzog, mußte dem Spanier die Wirkung seiner Worte verraten.

»Schön,« sprach Fermino Valies weiter, ohne des Freundes Antwort abzuwarten, »schön ist es hier und herrlich, es ist wahr, aber nenne darum deinen Garten nicht öde und freudenleer. Eben in deinem Garten fand ich gestern[595] etwas, was alle Pflanzen, Gewächse, Blumen auf dem ganzen Erdboden weit, weit übertrifft. – Du weißt, daß ich nichts anders im Sinn haben kann als das Engelsbild von Mädchen, die bei dir hauset. Wie alt ist die Kleine?«

»Sechzehn Jahre, glaub' ich,« stotterte Eugenius.

»Sechzehn Jahre!« wiederholte Fermino, »sechzehn Jahre! – hierzulande das schönste Alter! – In der Tat, als ich das Mädchen sah, wurde mir manches klar, mein lieber Eugenius! Euer kleiner Haushalt ist wohl recht idyllisch, alles friedlich und freundlich, die gute Alte ist zufrieden, wenn Männlein bei guter Laune bleibt – sechzehn Jahre? – Ob das Mädchen wohl noch unschuldig sein mag? –«

Alles Blut gärte in Eugenius auf bei dieser frechen Frage des Spaniers.

»Sündlicher Frevel,« fuhr er den Spanier zornig an, »sündlicher Frevel ist deine Frage; Schmutz, der den himmelsklaren Spiegel, dem des Mädchens reines Gemüt gleicht, nicht zu beflecken vermag.«

»Nun nun,« sprach Fermino, indem er dem Jüngling einen heimtückischen Blick zuwarf, »nun, nun, ereifre dich nur nicht, mein junger Freund! der reinste klarste Spiegel nimmt die Bilder des Lebens auch am lebendigsten auf, und diese Bilder – doch ich merke, daß du nicht gern von der Kleinen hören magst, und schweige daher.«

In der Tat malte sich auf Eugenius' Gesicht der bittre Unmut, der ihn ganz verstörte. Ja, unheimlich wurde ihm dieser Fermino, und aus dem tiefsten Grunde seines Innersten wollte der Gedanke hervorkeimen, daß Gretchen, das ahnende Kind, wohl recht haben könne, wenn ihr dieser Fermino als ein satanisches Prinzip erschienen.

In diesem Augenblick ließen sich wie Meereswogen anschwellende Akkorde aus dem Gebüsch hören, und jene Stimme ertönte, die gestern alles Entzücken der süßesten Wehmut in des Jünglings Brust entzündet.[596]

»O Herr des Himmels!« rief der Jüngling, indem er erstarrt stehenblieb.

»Was ist es?« fragte Fermino; aber Eugenius gab keine Antwort, sondern horchte dem Gesange zu, ganz verloren in Wonne und Lust.

Fermino schaute ihn an mit Blicken, die in sein Innerstes dringen zu wollen schienen.

Als der Gesang endlich schwieg, seufzte Eugenius tief auf, und als könne nun erst alle süße Wehmut der gepreßten Brust entsteigen, traten ihm helle Tränen in die Augen.

»Dich scheint,« sprach Fermino lächelnd, »dich scheint der Gesang sehr zu ergreifen!«

»Woher,« rief Eugenius begeistert, »woher diese Töne des Himmels? – Keiner Sterblichen Brust kann ihre Heimat sein.«

»Doch,« sprach Fermino weiter, »doch! – Es ist Gräfin Gabriela, die Tochter meines Herrn, welche, nach Landessitte Romanzen singend und sich auf der Guitarre begleitend, durch des Gartens Gänge lustwandelt.«

Ganz unvermutet trat Gräfin Gabriela, die Guitarre im Arm, aus dem dunklen Gebüsch, so daß sie plötzlich dicht vor Eugenius stand.

Es ist zu sagen, daß Gräfin Gabriela in jedem Betracht schön zu nennen war. Der üppige Bau ihres Körpers, der siegende Feuerblick ihrer großen schwarzen Augen, die hohe Anmut ihres Wesens, der volle sonore Silberklang der tiefen Stimme, alles dieses verriet, daß sie unter heiterm südlichen Himmel geboren.

Gefährlich mögen solche Reize sein, aber noch gefährlicher für den lebensunerfahrnen Jüngling ist jener unbeschreibliche Ausdruck im Antlitz, im ganzen Wesen, der auf schon erwachte, im Innern mächtig flammende Liebesglut deutet. Zu diesem Ausdruck gesellt sich denn noch jene geheimnisvolle Kunst, vermöge der das in Lieb' entflammte Weib ihren Anzug, ihren Schmuck so zu wählen,[597] zu ordnen vermag, daß ein harmonisches Ganze jeden Reiz des einzelnen noch blendender hervorleuchten läßt.

War nun in dieser Hinsicht Gräfin Gabriela die Göttin der Liebe selbst, so mußt' es wohl geschehen, daß ihre Erscheinung den schon durch den Gesang aufgeregten Eugenius traf wie ein zündender Blitz.

Fermino stellte den Jüngling der Gräfin vor als einen neuerworbnen Freund, der das Spanische vollkommen verstehe und spreche und dabei ein vortrefflicher Botaniker sei, weshalb ihm hier der Garten ungemeines Vergnügen gewähre.

Eugenius stammelte einige unverständliche Worte, während die Gräfin und Fermino bedeutende Blicke wechselten. Gabriela faßte den Jüngling scharf ins Auge, dem zumute war, als müsse er hinsinken in den Staub.

Da gab die Gräfin ihre Guitarre dem Fermino und hing sich in des Jünglings Arm, indem sie mit holder Anmut erklärte, daß sie auch ein wenig von der Botanik verstehe, über manches wunderbare Gesträuch aber gern belehrt sein wolle und daher darauf bestehen müsse, daß Eugenius nochmals den Garten durchwandle.

Bebend vor süßer Angst, wandelte der Jüngling mit der Gräfin fort, aber freier wurde seine Brust, als die Gräfin nach dieser, jener seltsamen Pflanze fragte, und er sich in wissenschaftlichen Erklärungen ergießen konnte. Er fühlte den süßen Hauch der Gräfin an seiner Wange spielen; die elektrische Wärme, die sein Inneres durchdrang, erfüllte ihn mit namenloser Lust, er kannte sich selbst nicht mehr in der Begeisterung, die ihn plötzlich umgeschaffen zu einem ganz andern Wesen.

Immer dichter, immer schwärzer wurden die Schleier, in die der Abend Wald und Flur hüllte. Fermino erinnerte, daß es Zeit sein werde, den Grafen in seinen Zimmern aufzusuchen. – Eugenius, ganz außer sich selbst, drückte der Gräfin Hand stürmisch an die Lippen und schritt dann[598] fort, wie durch die Lüfte getragen, im Gefühl einer Seligkeit, die seine Brust noch nicht gekannt.

Quelle:
E.T.A. Hoffmann: Poetische Werke in sechs Bänden, Band 6, Berlin 1963, S. 586-599.
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