[Nicht schäme dich/ du saubere Melinde]

[69] 1.

Nicht schäme dich/ du saubere Melinde/1

Daß deine zarte reinligkeit

Der feuchte mond verweist in eine binde/

Und dir den bunten einfluß dräut.

Der grosse belt hegt ebb' und flut/

Was wunder/ wenns der mensch der kleine thut.


2.

Die röthligkeit bei deinen bunten sachen

Hat niemahls deinen schooß versehrt.

Wie muscheln sich durch purpur theuer machen/

So macht dein schnecken-blut dich werth.

Wer liebt ein dinten-meer wohl nicht/

Weil man daraus corallen-zincken bricht?


3.

Nur einmahl bringt das gantze jahr uns nelcken/

Dein blumen-busch bringts monatlich/[69]

Dein rosen-strauch mag nicht verwelcken/

Sein dorn der hält bey dir nicht stich/

Denn was die sanfften blätter macht/

Das ist ein thau von der johannis-nacht.


4.

Kanst du gleich nicht die lenden hurtig rühren/

Lobt man dich doch im stille stehn/

Der augenblau wird leichtlich sich verlieren/

Denn wirst du seyn noch eins so schön.

Man sammlet/ spricht die gantze welt/

Viel besser frucht/ wenn starcke blüte fällt.


5.

Laß mich darum doch keine fasten halten/

Ein könig nimmt den schranck zwar ein/

Doch muß er fort/ wann sich die wasser spalten/

Der geist muß ausgestossen seyn.

Man geht/ wie iedermann bekandt/

Durchs rothe meer in das gelobte land.

Fußnoten

1 Autor: Johann von Besser.


Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Teil, Tübingen 1961, S. 69-70.
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