2.

[111] Und es fragen mich die Leute:

»Sag, wie kommts, daß deine Lieder

So das Gestern wie das Heute

Spiegeln tausendtönig wieder?


Wenn nur einer Stunde Beben

Sie beseelet und entzündet,

Sag, wie kommts, daß all dein Leben

Bunt und seltsam in sie mündet,
[111]

All dein Grübeln und dein Träumen

In die Töneflut sich schlinget,

Der Gedanken wechselnd Schäumen

Dumpf durch deine Lieder klinget?«


Und ich sage: »Seht, es gleichen

Meine Lieder jenen Blüten,

Die ja auch in einer weichen,

Heißen, einzgen Nacht erblühten,


Und im Kelche dennoch tragen

Eines ganzen Lebens Währen:

Sonne von versunknen Tagen,

Ferner Frühlingsnächte Gären.«

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 111-112.
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