Er gedänckt seiner Lieben und daß sie ihme alle gestorben sind

[254] Ode Jambica.


Vergänglichkeit! In deinen irren Garten

verlihrt sich ümmer tieffer mir mein Fuhß/

lengst starb des lezzten Fehder-Singers Gruhß/

der Eppich traumt auß duncklen Mauer-Scharten.

Das sonst so zahrte Graß

hängkt schwehr und Tropffen-naß/

grün-fahle Creutze mohdern weit und breit –

Vergänglichkeit!


Vergänglichkeit! Wölbt sich im Lentz die Linde

noch ümmer über meines Vatters Tach?

Durch Schaum-Kraut klukkerte der kleine Bach/

ich schnizzte Schiffgens mir auß Knüppel-Rinde.

Do schry mir rächt ins Hertz

der Gukguk seine Tertz.

Ich horchte zu; das war die Göldne Zeit –

Vergänglichkeit![255]


Vergänglichkeit! Wo blieb die süsse Stunde/

do ich mit Fillis unter Bluhmen saß?

do ich zuerst der ersten Lust genaß?

Ich hingk verzukkt an ihrem rohten Munde!

Ihr Hahr/ gantz auff-gerollt/

war wie auß Serafs-Gold/

weiß wie auß Lämmer-Wölckgen war ihr Kleid –

Vergänglichkeit!


Vergänglichkeit! Wie kreisste froh der Becher

in drauter Brüder Wein-ümblaubtem Rund?

Do schien das Leben mir noch Eins so bundt/

Printz Bachus hieß der ädle Sorgen-Brecher!

Hier Schellendaus! Ma vie!

Kriescht alle Gikkrikri!

Wer weiß/ schon morgen ligen wir gemeyt –

Vergänglichkeit!


Vergänglichkeit! Ich sehe noch das Stübgen/

die Lampe brännt/ ans Fenster stürmt der Nord/

du spihlst mir für auff unsrem Clavichord/

im Traum noch lallt und lächelt unser Bübgen.

Itzt lehnstu dich zurükk/

so sah mich an das Glükk!

Im Ofen knallte lustig Scheit ümb Scheit –

Vergänglichkeit![256]


Vergänglichkeit! Ein Grauen sonder Gleichen

durchgrieselt mich; so war ich nie allein.

Die Welt ist nichts alß Schatten-Werck und Schein/

der Grund/ drauffdäm ich dantzte/ gährt von Leichen!

Sie ligen hin-gesträkkt/

kaum/ daß der Sand sie däkkt/

ihr Abseyn sälber predigt stumm mein Leid –

Vergänglichkeit!


Vergänglichkeit! Du scheussliches Gerippe/

für dem noch jeder schaudrend sich entsezzt/

du hast mir alle Mitleids-lohß gemezzt/

von ihrem Mord-Bluht dräuffelt deine Hippe.

Nun schafft mir nur noch Grauß/

mein Leib/ dihß Erden-Hauß.

Häu zu! Zermattsch auch mich/ ich bün bereit –

Vergänglichkeit!


Quelle:
Arno Holz: Dafnis. München 1904, S. 254-257.
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