M. an Tr.

[212] Beliebter Hertzens-Freund/ wenn auf der wilden Fluht

Ein Schiff zu trümmern geht/ und denn das beste Gut

Die tiefe See verschlingt/ auch ihren weiten Rachen

Zu aller Menschen-Todt beginnet auf zu machen;

Und man in Aengsten schwebt/ des Freundes untergehn/

Der auf den Wellen schwimmt/ erbarmlich anzusehn;

Er aber noch ein Bret durch Gottes-Huld ergreiffet/

Und an das Ufer komt/ wenn sein Gefärth ersäuffet:

So strecket man den Arm mit vielen Freuden aus/

Umfaßt den Wehrten Freund/ führt ihn ins nechste Hauß/

Erqvickt den matten Geist/ erwärmet seine Glieder/

Und stärcket nach der Noht so Lieb als Seele wieder.


Dieses Vergnügen scheinet mir gleichfals durch ihr angenehmes Schreiben zuwiederfahren/ nachdem ich sie eine Zeitlang nicht ohne geringes Leidwesen auf der wilden See der unordentlichen Liebe in gröster Gefahr erblicket; Sie aber nunmehro berichten/ daß sie die eusserste Noht die Tugend habe ergreifen lernen/ wodurch sie glückich entkommen. Ich umarme sie mit vieler Zärtlichkeit; wenn sie anderst den wahren Port ihrer Glückseeligkeit[212] erreichet haben/ und es ihnen nicht wie den Seefahrenden ergehet/ die nach einem harten Sturm frolocken/ indem sie von ferne Land sehen/ und zwar mit den Augen voraus segein/Leib und Seele aber diesem ungetreuen Element annoch anvertrauen müßen.


So viel Gefahr hat nicht die Offenbahre See/

Als wie der Wollust Meer: da in den Hafen laufen/

Erlangen was man wünscht/ heißt zum zukünftgen Weh

Mit großen Durst den Tod der Seelen in sich saufen.

Man reißt uns aus der See/ aus Lieben nicht so leicht.

Dort stürtzet man uns um/ das Waßer ab zu treiben;

Doch wenn sich Amors-Gifft in das Geblüte schleicht/

Wird von der Würckung meist etwas zurücke bleiben.

So Leib als Seele muß hier umgekehret seyn.

Ach! dieses kostet viel; das sind die Helden-Proben/

Wer sein Gemüth umstürtzt/ und bildet sich nicht ein/

Wenn er nur Athem schöpft/ das Ubel sey gehoben.

Zumahl/ weil deine Brust noch viele Schmertzen hegt/

Daß in Syrenens Gunst ein andrer Platz gewonnen.

Denn wenn sie der Verdruß aus deinen Sinnen schlägt/

So thuts die Tugend nicht/ und ist zum Schein ersonnen.

Was triumphirst du nun? Du bist noch nicht aus Land.

Aus Unlust wilst du hin; weil dirs nicht wohl gegangen.

Neicht dir Syrenens Huld von neuen ihre Hand/

Weil du noch auf dem Meer/ so bist du schon gefangen.


Sie vergeben mir/ geliebter Freund/ daß ich ihnen meine Gedancken allhier aufrichtig schreibe. Vieleicht sind sie dem Vergnügen/ so ihnen Syrene erwecket/ noch nicht so feind/ daß sie selbibiges nicht von neuen von ihr/ oder auch von einer andern schönen annehmen solten/ wenn sie darzu[213] gewünschte Gelegenheit bekämen? Lieget nun in der Tiefe ihres Hertzens eine solche Begierde annoch verborgen: so werde ich zwar anitzo ihre eingebildete Gemühts-Ruhe umreißen/ aber ihre wahre desto mehr zu befestigen suchen. Die meisten Menschen reden von der Tugend/ wenn es ihnen in der Ausführung ihrer Begierden übel gehet/ und meinen/ sie bekommen da durch die Zufriedenheit alsobald/ welche die Tugend in dem Hertzen zeuget/ üm den Schmertzen zu lindern/ den sie wegen des ersten empfinden. Allein es ist vergebens: in solchem Fall verwandelt sich die Tugend in dem Munde/ wie die bittern Pillen in Galle/ wenn sie nicht bald hinein geschlungen werden. Gleichwohl kan diese Beschaffenheit ihres Gemühts der Anfang seyn/ die rechte Glückseeligkeit zu erlangen. Ein Bündnüß zu trennen/ geht nicht leichter an/ als wenn einer von den confœderinten schwürig ist. Divide & impera. Ist eine Maxime der klügsten Könige/ den Erden-Kreiß zubezwingen; und so muß die kleine Welt von der Weißheit bestegt werden/wenn wir in dem Laufe unserer Begierden an manchen Felsen der Wiederwärtigkeit stoßen/ und empfinden/ daß die Lüste niemahls ohne innerliche Qvaal sind/ und ein Hertz/ das sich denselben ergiebet/ in unaufhörlicher Unruhe schwebet.


Als denn so seuffzet man/ wenn man die Unruh spürt/

Die die Vollkommenheit der Lüste bey sich führt/[214]

Nach einem edlern Gut/ und wolte gern erwehlen/

Vor ein unruhig Hertz/ die Ruhe seiner Seelen.

Die Weißheit thut gemach der Augen Fell hinweg/

Das uns mit blindheit schlug/ und weiset uns den Steg/

Worauf die Tugend laufft/ das wahre Glück zu fangen/

Das leicht zu nennen ist/ doch schwerlich zu erlangen.


Sie wolten nun gern/ im Lieben glücklich- und unglücklicher Freund/ die wahre Glückseeligkeit erreichen/ dadurch das Gemüht in einer stillen und süßen Ruhe/ unaufhörlich lebet. Sie verdammen die Wollust/ sie rühmen die Tugend? allein ich fürchte/ sie glauben entweder nicht recht/ das höchste Gut in der Ausübung der Tugend zu finden/ oder sie haben nicht Muht genug/ daßelbe zuerjagen. Sie haben zwar einen Mund voll saltzigen See-Waßers der Wollust/aber vieleicht noch wenig von der Anmuht geschmecket/ die aus der Tugend fließet; nach einer unbekandten Sache ist aber unsere Begierde nicht starck. Doch vieleicht ist meine Furcht umsonst/ und sie sind durch die Weißheit so weit erleuchtet/ zu erkennen/daß alle andere Güter voller Eitelkeit und Marter/ die Gemühts-Ruhe aber allein am vortrefflichsten sey. Dieses ist herrlich/ und ein Haupt-Stück der grösten Schätzbarkeit der Welt; gleichwohl aber noch nicht genug/ solches mit dem Verstande zu begreifen/ sondern wie ein Jäger das allerbeste Wild so lange verfolget/ biß er solches erjaget: so jaget man durch die Ausübung der Tugend dem jenigen nach/ was die Weißheit vor das gröste unter allen Gütern erkandt.
[215]

Wer aus der Finsterniß/ aus einer duncklen Gruben/

In der er lange Zeit/ gleich einem bösen Buben/

Aus Ubelthat gesteckt/ wird an das Licht gebracht/

Der rühmet deßen Glantz/ verflucht die böse Nacht/

Verwundert sich/ wie er so lange sich betrogen/

Und statt der Sonnen sey dem dunckeln nach gezogen;

Legt alle Thorheit ab/ verdammt des Hertzens-Wahn/

Und zündet seinem Geist ein Göttlichs Feuer an.

Den Weg zum Himmel sehn als denn die Adlers Augen.

Jedoch zu unserm Glück kan bloßes sehn nicht taugen:

Die Flügel schwingen wir/ biß daß man Kräffte kriegt/

Sich von der Erden hebt/ und denn zum Himmel fliegt.


Wie nun die Seelen was Himmlisches sind: so müßen sie/ wenn sie sich von dem irdischen gerißen/in unaufhörlicher Würckung des guten dem Himmel gleich werden/ als welcher in steter Bewegung ist. Was hilf es einem/ der einen Felsen hinauf mit großer Mühe geklettert/ wenn er einschlaffen wolte? Man sitzet alda/ wie auf der Spitze der Tugend in großer Gefahr/ herunter zu stürtzen. Darum muß eine unermüdete Wachsamkeit uns vor dem Fall bewahren. Denn wieder hinauf zu steigen/ finden sich große Hinderniße. Und wenn wir die Höhe abermahl erlanget; müßen wir in gleichen Sorgen stehen/ und handeln also klug/ wenn wir unser Gemüht im Anfang in steter Muntrigkeit erhalten: weil wir die mühsamen Wege ungern so offt steigen/ und uns endlich/ wenn unsere Fehler uns etliche mahl herunter geworfen/eine höchst schädliche Unmöglichkeit vorstellen/oben zu bleiben/ wodurch ein[216] niedriges und an der Erden klebendes Leben erfolget.


Ein Waßer stincket bald/ das nicht die Fluht erregt.

Wie ein Gemüht/ das sich in guten nicht bewegt.

Die Tugend/ wenn sie reist/ wird nicht im Gasthof bleiben/

Wo man nicht immer scheurt; sie liebt die Reinlichkeit.

Ein garstig Zimmer wird den reinen Geist vertreiben/

Jedoch ein schönes Hauß wehlt sie auf Lebens Zeit.


Allein ist denn die Liebe Tugend gantz und gar zu wieder? Sie führen/ erfahrner Freund/ gar artig in ihrem Schreiben an/ wie sich ihre Liebe zu Syrenen unter der Masque eines edlen Triebes verstecket/ und daß es ihnen wie jenem blinden auf der Reise ergangen sey/ der eine erfrorne Schlange vor einen Geld-Beutel anfühlet/ und sie in den Busen steckt; ob ihn gleich sein sehender Gefehrte davor gewarnet; biß er endlich/ nachdem sie warm geworden/ die Schlange an ihren tödtlichen Stichen erkandt. Die Liebe macht es nicht anders. Im Anfange kommt sie uns als etwas schätzbares/ als eine reine Freundschafft vor/ die gleichsam so keusch/ als der Himmel selber zu nennen. Allein wenn wir dieser Betrügerin nicht alsobald wiederstehen: so nimt sie unsere Sinnen ein/ fäßelt die Vernunfft/ und feuret das Hertz an/ biß wir/ wenn wir in den verbothenen Apfel gebißen/ die Augen aufthun/ und erkennen/ daß wir die Schlange der verdamlichen Wollust in unsern Busen ernehret haben.
[217]

Drum ist kein Lieben gut/ das nicht vernünftig ist.

Denn selbst der Ehestand von Himmel eingesetzet/

Wird offtermahls befleckt/ daß der auch sündlich küßt/

Der in vergönnter Lust unmäßig sich ergetzet.

Die Freundschafft bleibet schön/ allwo ein schön Gemüht

Beym Frauen Zimmer so/ als wie bey unsrer Jugend/

Uns zwar mit Anmuht speißt/ doch mäßig an sich zieht:

Denn wer unruhig liebt/ liebt niemahls nach der Tugend.


Demnach bleibet das sicherste Erkenntniß Mittel dieses: daß keine Liebe/ keine Freundschafft den wahren Adel der Tugend besitzet/ die so beschaffen/daß wir nicht ohne das andere ruhen können. Diese Unruhe zeiget eine starcke Wollust des Leibes an/welche die stille Lust des Gemühts zu Grunde richtet. Sie bemercket eine Herrschaft/ die der edlen Freyheit schimpflich/ und uns zu den verächtlichsten Sclaven macht.


Der Liebe dienstbar seyn/ heißt einen Herrn besitzen/

Der mehr Gewalt an uns/ als ein Tyrann verübt.

Bey Feuer wird man kalt/ in Kälte muß man schwitzen/

Unglücklich macht ihr Glück/ ihr freudig seyn betrübt.

Sie jagt uns durch das Meer/ läßt uns auf Felsen klettern/

Kein Feuer scheuet sie/ verlacht die gröste Noht.

Wir reisen/ wenn es blitzt und tausend Keile schmettern/

Und unsre Wohlfahrt rennt offt sporren streichs in Todt.

Wohl dem/ der nicht ihr Knecht; und sich der Tugend Wesen/

Gemühts-Beständigkeit zu seinem Glück erkießt:

Da ist die Freude rein/ das Wohlseyn auserlesen/

Die Qvelle/ die mit Lust biß an das Ende fließt.


Wie sie nun vernünfftiger Hertzens-Freund/ dieses und was mehr von der Würckung so wohl[218] der unordentlichen/ als auch geruhigen Freundschaffts Liebe kan gesagt werden/ wohl erkennen; und dadurch bey mir so viele Hoffnung machen/ das Vergnügen zu erlangen/ sie als einen glückseeligen Freund hinführo zu lieben: so kan ich nicht vorbey/ die Ursache ihrer vorigen Liebe mit ihnen zu betrachten/ wenn sie schreiben:


Ich fand ein schönes Kind/ mit ihr ein neues Leben etc.


So hat die Schönheit sie gleichfalls bezaubert?


Die Schönheit/ die das Aug' ergetzet/

Das Hertz entflammst und verletzet/

Und den Verstand in Blindheit setzet?


Das ist wohl das Irrlicht/ welches die meisten Leute bey der Nacht ihres verfinsterten Gemühts verführet. Auch die Tugendhafft seyn wollen/ grüßen das schöne Frauenzimmer lieber/ als das heßliche/ und machen hierdurch der Wollust manchen Reverenz. Die Schönheit ist an sich ein Lobens-Würdiges Gut; kan auch bey recht weisen gute Gedancken erwecken/wenn sie von der äußerlichen Schönheit/ auf die Schönheit des Gemühts/ und endlich auf den Ursprung aller Schönheit/ nemlich auf Gott gehen/ und denselben in seinen schönen Wercken verehren. Allein man muß seine Augen an dieser Sonne nicht zu lange und unbedachtsam weiden/ wo wir nicht verblenden wollen.
[219]

Poch auf dein keusches Hertz nicht allzu lange Zeit:

Ein schönes Auge strafft sonst die Verwegenheit.

Die Liebe findet leicht durch Fleisch und Blut die Spur:

Das Schloß/ wo Tugend wohnt/ heißt menschliche Natur.


Die Schönheit in keuschen Frauenzimmer versehret so leicht nicht: indem aus ihren Augen zugleich ein Strahl der Tugend leuchtet/ der noch viele zur Ehrfurcht beweget. Doch können sich die Mücken auch an dem reinsten Lichte verbrennen; Und weil die wenigsten Schönheiten Tugendhafft: so ist es gefährlich/ ihnen lange in die Augen zu sehen/ und darinnen unserer größeren Reitzung ihre eigene Begierde zur Wollust/ als in einen unbetrüglichen Spiegel zuerblicken. Wer ihnen nur gut ist/ wer die Aepfel von Sodom, die von außen schön und inwendig voller Aschen sind/ nur ein wenig liebet/ der zeiget/ daß er in dem Augenblick sein innerstes selber verwandelt/und die Keuschheit zu Pulver brennet.

Wenn also in natürlich wollüstigen Personen die Tugend ehemahls zu arbeiten hat/ so ist es bey dem Anschauen einer reitzenden Schönheit. Die Augen/als zwey unachtsame Thürhüter/ dürften mancherley schädliche Neigungen und Meinungen in das Hertz laßen/ wenn sich die Tugend nicht alda fest gesetzet/und anfangs alle fremde Gewalt zurück treibet; den weitern Streit aber durch eine kluge Flucht zu meiden suchet. Was lieben wir aber an der eitlen Schönheit des Leibes so sehr? was ist es vor ein vortrefflich Gut?[220] es ist ein Glantz/ ein Schein/ der entfleucht; der ein köstliches Begräbniß/ in welchem Schlangen und Würmer stecken; ein Feind/ der alle unsere Ruhe bekrieget und besieget/ und wird hinwiederum von der Zeit oder Kranckheit überwunden. Der anmuhtiges Frauenzimmer aus Geilheit ümarmet/ umfaßet einen Rosen-Stock/ daran die Rosen in kurtzen ausfallen/und ihm die Dornen an dem Hertzen liegen bleiben. Schönheit und Tugend aber ergetzen/ und machen das vollkommenste Geschöpff.


Wo einen schönen Leib die Tugenden durchfließen/

Da ist ein schöner Bach in einer grünen Wiesen.


Also liebet man eine schöne Seele in einem schönen Leibe um desto mehr/ wie die Kunst in einem Bilde von Marmor, die Frucht in der Pflantze/ und den Geruch in Rosen. Nicht aber umgekehrt/ und der muß nicht Delicat seyn/ der Blumen/ welche sticken/nur deßwegen vor die Rase hält/ weil sie hübsch von Farben.

Sie haben mein wehrter Tr. die irrige Meinung erkennet/ daß Schönheit nicht schön/ und daß bey schönen Frauen-Zimmer nichts erlaubet sey/ auch nicht ein Kuß/ weil es heißt:


Nach den küßen/

Will man gerne weiter wißen etc.
[221]

oder:

Wer meint/ er wolle sich mit wenigem Vergnügen/

Um kleine Freyheit fleht/ das Küßen edel heißt/

Der ist in einen Fluß/ der seichte scheint/ gestiegen/

Der unversehens wächst/ und alles mit sich reißt.


Wer das kleine will/ weil auch das große: weil es an einer Ketten hängt/ und man keine Laster zu begehen anheben muß/ in der Meinung/ sich darinnen Maaß und Ziel zusetzen. Dieses hat tausend betrogen; und endlich auch viele/ wie sie selber gestehen/zur wahren Klugheit gebracht. Sie vergeben mir aber/daß ich die Erfahrung/ die aus unedler Liebe kömt/und sie anitzo rühmen/ nicht an sich preise. Wer unwißend darinnen ist/ ist am weisesten. Unschuldige kennen auch die Laster; und sind wegen ihrer niemahls befleckten Schönheit vortrefflicher/ als Lilien/die man von ihrer Unreinigkeir abgewaschen. Ihnen bleibt eine süße Freude/ daß sie niemahls in Koht gefallen; uns aber ein Abscheu in dem Gemühte übrig. Doch/ wie einer/ der Schiffbruch gelitten/ hernach desto vorsichtiger wird: so können uns die begangenen Fehler in so weit einen Nutzen verschaffen/ daß wir sie desto heftiger fliehen.

Dieser Entschluß gefället mir endlich am aller besten.


Der Liebe schlauen Trieb nicht wieder einzulassen.


Allein die vorhergehenden kommen mir gefährlich vor/ gleichsam als wenn in dem Meer/ darauf[222] ihr Tugend-Schiff anitzo gehet/ annoch verborgene Klippen wären. Sie schreiben:


Doch da ein anderer bey jener Schönen stehet:

So schlag' ich mir mit Recht Syrenen aus dem Sinn/

Da ich nicht gantz allein in ihrem Hertzen bin.


Wolten Sie denn solche wieder lieben/ wenn ihre Gunst ihnen eigenthümlich wäre? Sie haben ja vorhero gestanden/ daß Syrene ein Sammel-platz der Wollust/ und sie lauter Fehler mit ihr begangen? Sie fassen sich/ wehrter und zur Tugend geneigter Freund/sie reissen die vorigen Begierden gäntzlich aus sich. Sie lieben nichts/ als was tugendhafft. Mit den Lasterhafften tragen sie Mitleiden/ und wieder die Laster einen Abscheu.


Syrenen liebe nicht/ ihr Glantz muß dich betrüben/

Biß sie mit dir zugleich wird wahre Tugend lieben.

Nimm dich alsdenn in acht/ wenn dein Gemüthe steht:

Weil unsre Tugend hier auf glattem Eise geht.

Gar viele prüfen nicht den tiefen Grund der Hertzen.

Du aber wirst dein Glück unwissend nicht verschertzen.

Offt fält die Bahn zu schwer/ die uns die Weißheit zeigt.

Dein Hertz wird muthig seyn/ wenn es auf solche steigt.

Auf diesem Meer der Welt läßt man den Arm oft sincken.

Gewiß du schwimmest fort/ nicht deinen Tod zu trincken.

Ich selber bin noch schwach/ drum gib mir keinen Ruhm.

Dein starcker Führer sey das Helden-Christenthum.

Der Sitten-Lehre Glantz ist schön/ doch wie ein Schatten/

Wer mit dem Himmels-Strahl sein Hertz nicht denckt zu gatten.

Die Lehre der Vernunfft zeigt nur das Elend an.

Und die Glückseeligkeit wächst auf der Christen Bahn.[223]

Drum brauche jenes Licht/ dich von Natur zu kennen/

Daß Gottes Sonne mög' in dir viel heller brennen.

Wo diese Seligkeit nun dein Gemüth antrifft/

Das zeigt der Weißheit Schatz/ das zeigt die heilge Schrifft.

In dieser forsche stets/ denn die erklärt die Augen/

Und läßt die rechte Krafft zur Tugend in sich saugen.

Kan endlich deine Brust nicht ohne Liebe seyn:

So weist das Bibel-Buch dir eine/ welche rein/

Die freundlich/ hülfreich/ fromm/ demüthig und gelinde;

Wo ich/ wenn sie mich küßt/ viel Süßigkeit empfinde.

Die nie unruhig macht/ die selbst der Himmel liebt/

Die Gott und Menschen sich allzeit zu eigen giebt/

Die mehr als Hoffnung gilt/ und auch dem Helden-Glauben/

Wie selbst die Weißheit sagt/ den Vorzug weiß zu rauben/1

Die Liebe/ die zuletzt die Liebe nicht verdammt/

Damit du gegen mich/ und gegen dich entflammt.


Menantes.

Fußnoten

1 1. Corinth. 13. v. 13.


Quelle:
Christian Friedrich Hunold: Menantes Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte, Halle/ Leipzig 1713, S. 212-224.
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