Liebe

[258] O weh und aber weh dem Mann,

Der Schönes nicht auf Erden liebt,

Sich keines Dings erfreuen kann,

Sein volles Herz an keins ergiebt!

O wehe, wer sich nie vereint

Mit Wies' und Quell und Blüthenast,

Sein Mädchen auch und seinen Freund

Mit halber Seele nur umfaßt!


Und wieder wehe, weh dem Mann,

Den Liebe zieht, den Liebe drängt!

Der Schönes sucht, und fest daran

Sein ganzes Herz auf immer hängt![259]

Wenn Erd' es trägt, verschwindets bald.

Der Blüthenast am Quell verdirbt:

Im Freundesbusen wird es kalt;

Und ach! das treue Mädchen stirbt.


Mag lieben denn, mag lieben nicht!

O weh und aber wehe mir!

In Liebe strahlt das Sonnenlicht,

Und fällt auf lauter Gräber hier.

Was einst ich an mein Herz gedrückt,

Ist Asche nun und Todtenbein;

Es sank, wo ich die Gruft geschmückt;

Ihm sinket nach der Leichenstein.


Wohin, wohin? Denn Lieb' ist Noth,

Und Alles wankt, und Alles weicht;

Gebohren wird's und geht in Tod:

Wohin, so weit der Himmel reicht?

Zu dir hinauf, du Gotteskraft,

Die Baum und Wiesenquell erneut,

Ohn' Ende wirkt, ohn' Ende schafft,

Und noch das Grab voll Blumen streut!
[260]

O du, dein Athem ists allein,

Der allen Staub lebendig weht;

Du gabst den Sternen ihren Schein,

Und bleibst, wenn Erd und Meer vergeht.

Zu dir hinauf erhebe mich,

Zu deiner unsichtbaren Welt!

Da lebt und liebt's, und ewiglich

Wird bleiben, was an dir sich hält.

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 258-261.
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