Fünfte Fahrt
Herr v. Gehrischer – die Mülanzer – Plan zu einem Galgen-Jubiläum samt der Jubelrede

[949] Wer könnte einen Tag lang unter den Mülanzern aushalten, wenn er nicht sein Kajüte-Fenster zum Glaser schicken müßte? Herrn Gehrischer, einem Hotel-Bekannten, dem ich in Europa wenigstens dreißigmal entgegenkam, tat ich die Ehre an, sein Gast zu sein zu gleicher Zeit mit zwölf andern. Niemand kann nach jemand weniger fragen als wir beide nach einander; »Giannozzo ist ein sehr pläsanter Hanswurst, gewiß nicht ohne Talent, aber dabei maliziös und impertinent!« sagte er; ich sage, von Gehrischer ist der Stellvertreter der Menschheit. Aus seinem Kopf voll Sprachen und Kenntnisse – aus seinem Stammbuch voll großer Namen – aus einem Bilderkabinett, einem Musikzimmer, einem Büchersaal und Geldkasten, aus allen diesen Perlen der Menschheit setzt er doch nur eine abgeschabte passive Figur wie einen Nußknacker zusammen, der nur andern die Kerne reicht, ein Ding, das (seinesgleichen ausgenommen) nichts macht, kein Werk, kein Glück, kein Unglück, nicht einmal einen Streich. Durchstreicht diesen lebendigen Gedankenstrich, ihr merkt die Korrektur nicht, weil der längere Strich noch da ist. Wie gesagt, er ist der Taschenspiegel der Menschheit. – Hell steigt der Genius vom Himmel nieder, und das Gewölke erglänzet weit, wenn er es durchdringt; und der ätherische Geist berührt die Erde: da verwandelt sich alles – die Felsen gehen auf und zeigen stille große Gestalten – auf die Leinwand und die Mauern fällt der Widerschein von fernen Göttern und ihren Himmeln – alle Körper erklingen, Sehne, Holz und Gold, und die Luft durchfliegen Lieder –; aber die dumpfe Menschenherde hebt ein wenig den Kopf von der Weide verwundert auf und bückt sich wieder und graset weiter; nur einige werden geheiligt und knien verklärt.

Was die Mülanzer anlangt, so treibt dieses ruhige Chor und Käugelag kein Gott von der Gemeinhut; wollt ihr sie aber näher taxieren, ohne euch um mehr als drei Pfund zu verrechnen? Kommt mit mir zum großen Ball, den Gehrischer ihnen heute[949] gab. Ganz Mülanz von Stand ist da, ob er gleich etwas darin setzt – das ist sein einziger Posseß-Titel des Werts –, daß er, wie die alten deutschen Bücher, ohne Titel bleibt. Wie es einen gelehrten Adel gibt, so gibts einen goldnen, der für den tafelfähigen offne Tafel halten kann.

Sie kamen, sahen und siegten – über alles, was sie erwartete auf den Tischen. Himmel! es waren aufgeklärte Achtzehnjahrhunderter – sie standen ganz für Friedrich II., für die gemäßigte Freiheit und gute Erholungs-Lektüre und einen gemäßigten Deismus – und eine gemäßigte Philosophie – sie erklärten sich sehr gegen Geistererscheinungen, Schwärmerei und Extreme – sie lasen ihren Dichter sehr gern als ein Stilistikum zum Vorteil der Geschäfte und zur Abspannung vom Soliden – sie genossen die Nachtigallen, wie die Italiener andere, als Braten und machten mit der Myrte, wie die spanischen Bäcker mit der andern, den Ofen heiß – sie hatten die große Sphinx12, die uns das Rätsel des Lebens aufgibt, totgemacht und führten den ausgestopften Balg bei sich und mußten es für ein Wunder halten, daß ein anderer eines annimmt. – Genie, sagten sie, verwerfen wir gewiß nie, nur feil's – und nur für ein Ding brennt ihr frostiger Geist, für den Leib; dieser ist solid und reell, dieser ist eigentlich der Staat, die Religion, die Kunst, und diesem diene die Berliner Monatsschrift. – –

O wie mir dieses blankgescheuerte Blei der polierten Alltäglichkeit, dieses destillierte Wasser, dieser geschönte Landwein ein Greuel ist! – Ich bin ohnehin schon längst die seichte Menschheit durchgewatet und ein Misanthrop der Köpfe weit mehr als der Herzen13 geworden, weil am Ende jeder Kopf uns mit seinem Ufer[950] und seinem Meersgrunde erschüttert und erschreckt; aber nun gar ihr allgemein-deutsch-bibliothekarischen Menschen, ihr Kopiermaschinen der Kopien, die ihr niemals ahnet und nichts erratet als Ebenbilder, wie selig seid ihr; denn wenn Madame des Houlieres in ihren Idyllen schon einen mouton glücklicher preiset als einen Menschen: wie muß es erst einer sein, der beides zusammen ist! –

Doch fehlet es den Mülanzern nicht so sehr an ungemeinen Menschen, daß nicht von Zeit zu Zeit einige gemeine aufständen, welche mit der Fichtischen Schule Klagen über den Überfluß an Trivialität repetierten; selber auf dem Gehrischerschen Balle hopseten drei dergleichen Titus-Köpfe mit; so mangelt es auch in Piemont an Hunden nicht, an welchen ebensogut Kröpfe sitzen als an den Piemontesern, noch in Asien an Affen mit Pocken der Menschen.

Morgen – das ist das einzige Erfreuliche – feiert in einer langen bürgerlichen, kanonischen, militärischen, adeligen Prozession Mülanz seine Belehnung mit der Stadtgerechtigkeit vor 100 Jahren. Da nun die Deutschen nichts Seelenloseres, Langweiligeres, Kälteres, Kanzleimäßigeres, Schlafröckigeres haben als – ihre Komparativen ausgenommen – ihre Jubiläen, Prozessionen, Krönungs- und andere Feierlichkeiten: so sitz' ich noch so spät in der Nachmitternacht, wo ich dieses schreibe, ein wenig auf und verfasse etwas Spöttisches, das ich, wenn ich morgen absichtlich durch mein publikes Ab- und Aufsegeln dem Jubel dazwischenkomme, auf den langen Zug herunterwerfen kann, adressiert an den Magistrat des Orts und lautend, wie folgt:


Flüchtiger Plan zu einem Jubiläum des Mülanzer Galgens


Eine Stadt und ein Galgen sind – nicht bloß topographisch – so nahe aneinander, daß alle Kriminalisten diesen nur für die fernste Pforte und Vorpost derselben ansehen; sein Pilaster-Dreizack ist die trinomische Wurzel der städtischen Sittlichkeit und bildet die drei Staatsinquisitoren, auf denen alles ruht.

Wer einen Galgen sieht, erfreuet sich, weil er weiß, daß eine Stadt sogleich nachkommt nach diesem dreibälkigen Telegraph oder sechseckigen Bierzeichen derselben.[951]

Daher glaubt ein ganz fremder Herr – der morgen schon über die jubelierende Kette hinfährt –, den Anteil, den er am untern Jubel nimmt, nicht am schlechtesten dadurch an den Tag zu legen, daß er auch zu einem Jubiläum des Galgens – dieses so nahen Balkenvorsprungs und Heiden-Vorhofs der Jubelstadt – der Orts-Obrigkeit als Andenken folgenden schlechten Vorriß hinterlässet und herunterwirft:

Die Prozession zum Jubelgebäude formiert sich unten am Rathause und bricht in folgender Stufenfolge auf: Zuerst gehen die Spezial-Inquisiten, weißgekleidet und in der von der Realterrition beizubringenden Meinung, man knüpfe sie auf; ja den reifsten kann man wirklich dazu nehmen. – Hinter ihnen kommen sämtliche General-Inquisiten beiderlei Geschlechts; die Hand- und Faustzeichnungen der seit 100 Jahren in effigie Gehangnen hängen ihnen als Medaillons auf der Brust. – An diese schließen sich an (es soll ihre Ehre nicht versehren) die bisherigen Statisten im Pranger, da dieser von den größten peinlichen Geistern nie für etwas anderes angesehen wurde als für die Stiftshütte und Sakristei zu dem auf der nordischen Säulenordnung stehenden Jubel-Pantheon.

Dicht hinter ihnen schleichen die Fiskale und Defensores, mit langen Papierrollen in der Hand, gleichsam als wollten die Edeln an diesem feierlichen Tage amtieren, nämlich anklagen und verteidigen.

Es wird das Einerlei unterbrechen, wenn zwischen den Statisten und den Advokaten ein Artillerietrain von 300 Festungs-Karren auffährt, worauf die Kriminalakten des Säkulums aufgeschlichtet liegen. Die Bagagewagen können – wenn die Abkunft auszumitteln ist – von den Deszendenten der Kühe gezogen werden, deren Haut sonst über diesen Jubelweg gezogen wurde.

Die malefizische Obrigkeit seh' ich jetzt dahinziehen. –

Verurteilte Gassenkehrer laufen von Zeit zu Zeit zwischen alle und fegen gewandt – sie wollen den Jubel heben.

Nach der Fraisherrschaft erwart' ich das peinliche Offizialat, die maitres des hautes oeuvres und die maitresses – einige alte[952] corpora delicti – Diebsdaumen – zerbrochene Stühle und Bänke – Brecheisen, und was, beim Henker! sonst noch als Attribut etwan schmücken und ergreifen kann. Denn soll ich alles vorreißen, so ist man dumm.

Der Fraisdienerschaft tritt die Schuldienerschaft auf die Ferse – dieser die Geistlichkeit – dieser der Magistrat – und am Ende, was Beine hat und einen Begriff davon, was Galgen-Jubiläen bedeuten. –

Es würde vernünftig und symmetrisch sein, wenn dem vordern abstoßenden, aus den Spitzbuben formierten Pole der Jubelsuite hinten einer korrespondieren wollte, der anzöge, aus Hasardspielern gemacht, so daß (wenn ich zierlich reden darf) der lange Jubelstab an beiden Enden magnetisch geschlagen wäre, in der Mitte aber indifferent; allein die Spieler werden nicht aus der Mitte wollen.

Unaufhörlich hört man läuten mit dem Armensünderglöcklein, aber nicht mit allen Glocken.

Langt der Zug am Galgen an: so windet sich die Blumenkette als ein Kränzchen um ihn und nimmt ihn in die Mitte unter unaufhörlichem Rufen: er lebe! Die Stadt-Soldateske gibt drei Salven. Oben zwischen den drei Pfeilern hält auf einer Leiter schon der Galgenpater, der die Jubel-Leute längst erwartete, um sie mit folgender Jubelrede zu empfangen, die ihm wahre Ehre macht:


»Teuerste Jubelseelen!


Die wichtige Stätte, wo ich stehe, ist das Thema meiner Kasualrede. Wir haben uns alle versammlet, um die drei Pfeiler, zwischen denen ich rede, als die Eckpfosten unserer Sittlichkeit, als die Karyatiden, welche das Staatsgebäude halten, zu ehren durch ein jubilierendes Betragen. Wie leicht wird uns allen Redlichkeit und Achtung des Eigentums durch den täglichen Anblick dieser Hermes-Säulen, dieser führenden Wolken- und Feuersäulen der Kinder Israels! Alle Stadtkirchen scheinen nur die Filiale zu dieser Rotunda mit drei Türmen zu sein, welche, wie eine Zitadelle, für die Stadt und deren allgemeine Sicherheit und Tugend wacht. Bei der ausgebreiteten Begierde, gleich Schwangern zu stehlen, – welche sich auf uns von Kindern und[953] Wilden vererbt – tut uns ein öffentlicher Ort wohl, wo Mumien hängen, die anders als die ägyptischen bei Gastmählern unsere Gesetzprediger und frères terribles sind.

Ja sogar beinharte Seelen, wie solche, die ich an der Spitze des Jubelkondukts marschieren sah, setzen sich in fromme um, wenn sie dieses offne Bethaus betreten und da ihre Andacht verrichten. Wenn ich nachher die Matrikel der büßenden Brüder verlese, die seit 100 Jahren hier ihr steilrechtes Erbbegräbnis gesucht und gefunden haben: so wird man nicht sieben finden, die zum Teufel fuhren; alle andere wurden nach den gewöhnlichen kriminalistischen Pönitenzen – ich meine die Ohrenbeichte des Spezialverhörs, das Geißeln (aber von fremder Hand), das Kerzenhalten (auch in fremder) – hier in dieser peinlichen Mission ganz umgekehrt und wiedergeboren, wandten sich auf der Stelle um, schlugen den rechten engen Weg ein, der freilich in wenig Minuten aus war, und wurden unter dem Beten, wie Loyola14, ordentlich emporgezogen. – – So konnten sie leicht als Gesetze ad valvas (hujus) templi affigiert bleiben.

Diese Wiedergeburt erfolge nun, wovon sie will – es sei davon, daß alle Höhen wie die Berghöhen den Menschen läutern, oder daß das Luftbad, worin der Badgast hängt, den Wasserbädern gleiche, welche auch den innern Menschen abwaschen15 –: so würd' es alten Sündern von Stande ebenso guttun und sie ebensogut umschmelzen, als ob man sie in eine Kapuzinerkutte vor dem Sterben steckte, wenn man bloß den Strick vom Kapuziner nähme und sie daran hier vor ihrem Ende befestigte; und wer sollte ihnen das nicht mit mir wünschen?

Betrachtet diesen Dreizack, der das Land beherrscht, und zählt unter den Mülanzern, die er seit einem Säkulum bei Ehren erhalten, besonders drei Klassen, die Fallierer, die Nachdrucker und die Spieler. Der Dreizack macht, daß die Bankeruttierer-Firma – ob sie gleich die Reichsgesetze16 sonst unter die Diebe rubrizieren[954] – nicht wie diese auf Chausseen mit Pistolen und auf Leitern an Fenstern stehen muß (was doch immer so äußerst mißlich für Ehre und Leben ist), sondern zu Hause bleiben und auf die anständigste und die sicherste Weise im Schlafrock und Komtoir die Seelenkraft, welche die Philosophie das Begehrungsvermögen nennt, völlig entwickeln kann, indem sie durch eine dem Papier-Adel ähnliche Papier-Kaperei ein Handelsfreund von jedem wird; Freund sagen sie mit den Griechen des Wohlklangs wegen statt Dieb. Nach einiger Zeit lässet der fallite Handelsfreund, anstatt in Häuser einzubrechen, sie bloß fallen, und anstatt viele fremde Kaufläden aufzusprengen, schließet er bloß seinen eignen zu. Nun hat er (der Staat bemerkt es mit Wohlgefallen, wie schon der alte Deutsche und fast alle Wilde Raub außer Lands vergönnten) wie ein inländisches Lotto fremdes Geld und Gut ins Land gezogen. Er wartet noch eine kurze Zeit, bis der Gerichtshof ihm die bulla compositionis17, gleichsam den Retour- Kaperbrief, ausgefertigt, und dann zieht er sich – er müßte denn noch einmal in die See als Algierer stechen – mit dem besten Vermögenszustande und allgemein geehrt samt seiner Familie zurück und verzehrt wie ein Krokodil den Raub auf dem Lande. Welchem Fallierer unter uns ist daher nicht der Galgen venerabel? –

Auch der Nachdrucker hält sich an dessen drei Herkulessäulen. Man reiße dieses tertium comparationis ein, so läuft der Schelm von Weib und Kind und rennt in den Spessarter Wald und passet Meßleuten auf, statt Meßbüchern. Wie viele Nachdrucker- die sonst gestohlen hätten – haben sich bisher redlich und unter dem Schutze des Staats, der sie wie die Geier um London zu schonen befiehlt, bloß durch das lachende Intestat-Erben der Verleger, deren Verleger sie sind – Erben sag' ich mit den Zigeunern, welche des Wohlklangs wegen das Stehlen so nennen –, samt ihrer Familie so gut ernährt, daß sie statt eines bloß vom Ehrensolde gebaueten Meierschen Hauses18 ein größeres, vom Unehrensolde errichtetes von Trattnerisches in die Gasse stellen konnten![955]

Ich sage, wie viele taten das bloß aus Ehrliebe, um nicht als Seiltänzer am straffen vertikalen Seile da aufzutreten, wo ich es sage! –

Dieser Vorteil wäre aber nicht beträchtlich genug, da dem deutschen Staate am Hängen oder Gehen von vier oder sieben Spitzbuben wahrlich wenig gelegen sein kann – denn höher beläuft sich schwerlich die Zahl der Edlen von T bis Z, welche die Druckerschwärze zum Vier- oder Siebenräuberessig19 machen –, nicht vorteilhaft genug wäre die ganze Kaperei, sag' ich, wenn nicht sämtliche Leser, Edle in ganz anderem Sinn als Trattner, sich Pfeifen aus diesem Rohre schnitten; aber das Wichtige ist eben, daß alles mitstiehlt.

Die Beute, welche der Total-Plagiarius durch Ersparen des Ehrensolds und der Assekuranzprämie macht, repartieren die sämtlichen Käufer unter sich, deren Räuberhauptmann er ist. Obgleich auf jeden Käufer zweiter Drucke nur wenige Groschen Erbportion fallen – so daß von einem so geringen Verkaufspreise ihrer Ehrlichkeit nicht aller Anstrich von Schande weggehen will –, so wird doch das gestohlne Gut durch die Wiederholung – wenn man sich die ganze Bibliothek aus der Nachdruckerei verschreibt – sehr verstärkt und noch außer diesem durch den Zweck gestempelt, die eigne schöne Seele auf die fremde schöne, die nachgedruckt worden, zur Veredlung zu impfen. Denn man wählt nur einen geliebten moralischen Ehrensöldner oder Autor zum Bestehlen, wie man in Nitri nur der Geliebten Kleinigkeiten, Nippes etc. raubt. So wächset der Lorbeer der Literatur an Galgenpfeilern wie an Parnassen hinauf.

Endlich wer gab uns, wer bildete uns so viele und so gute Hasardspieler als die angeregten Pfeiler? Die deutsche Geschichte sagt uns, daß der Adel sonst vom ›Sattel oder Stegreif‹ lebte, nämlich vom Rauben unter freiem Himmel. Das Reich schränkte es durch die drei Pfeiler auf eines zwischen den vier Pfählen ein, welches man Pharao, vingt-un, Creps u.s.w. heißet. Daher man bloß bürgerlichen Menschen Hasardspiele nie vergönnen kann, weil sie die Rechte der Raubschlösser nie besessen. In Spaa müssen[956] sogar Juden, wenn sie als Bankiers und Croupiers auftreten wollen, sich unter der Hand eigenhändig zu Michaelsrittern erheben. Mit den Galgen bräche man zu Meßzeiten, wo so sehr gespielt und gestohlen wird, zugleich die Spieltische ein, und der abgesetzte Bankier müßte sogleich aufsitzen und in dem nächsten Hohlwege reisen, um dem Viehhändler nach der Geldkatze zu greifen. – – Nein, lieber lasset uns Galgen und Ehrlichkeit behalten und dabei ein Spiel Karten.

Und überhaupt – was soll ich erst lange einteilen – steigen meine drei Säulen mit ihren Fruchtgehängen durch alle Stockwerke des Staatsgebäudes! – Allgemein hat man conscientiam dubiam, Gewissens-Skepsin – Hunger und Sättigung herrschen in vermischter Regierungsform über die Welt – alle Stände haben wenig, wollen viel; – – und doch wird wenig gestohlen! Denn die Gedächtnissäulen stehen da und machen aus allgemeiner Not allgemeine Tugend; sie halten jeden von uns zu einem bloßen Nahrungszweige von dem im ganzen verbotenen Baume an, zum Borgen, zum Liquidieren, zum Handel und Wandel, zum kleinen Küstenhandel mit Ämtern, Kindern, Rechten – in dem wie der menschliche Körper aus lauter Gefäßen gebaueten Staatskörper arbeiten, wie in jedem geschwächten, die einsaugenden stärker als die ausdünstenden; alle Kassen stehen daher da, man hat die Stadtkassen, die Heilandskassen, die Regimentskassen, die Steuerkassen – die Beamten bitten Gott um Ehrlichkeit20, wenn die Jahre kommen, wo sie zu leben haben – der breite Weg Rechtens bedeckt, wie in Ungarn die breiten Straßen, das fruchtbare Land – die Residenzraubvögel steigen höher, um zu stoßen – alles gedeiht, die Welt ist ehrlich und satt, und der Galgen ist der allgemeine Protektor.

Gehangen daran werden freilich von Zeit zu Zeit mehrere Galgen-Schneußvögel, wie wir denn da unten am heutigen Jubeltage einen ganzen dergleichen Flug vor uns haben; aber auch dem Fluge kann man diese Freitreppe zum Hängebette von sehr annehmlichen Seiten zeigen, und ich als Geistlicher, der über alles[957] trösten soll und der hier ein betrübtes Kondukt vor sich hat, wo die Leiche und der Leidtragende eine Person formieren, bin zu einem Trostsermon verpflichtet. Bedenkt also, ihr Spezial- und andere Inquisiten – damit tröst' ich euch –, daß alles sterben muß und mithin irgendwo, also auch auf dieser Handels-Freundschaftsinsel – zieht die ungeheuern Korporationen in Erwägung, welche schon vor euch hier ihre eignen Anker und Schlußvignetten geworden, auch die nach euch – beherzigt, daß es ja noch schlimmer wäre, wenn man euch lebendig spießte, schünde oder in Öl sötte – erwägt, daß ihr weniger euer Leben (das läuft hinter dem Sperrstrick fort) als eure Armut hergebt, weil ja der Staat, so wie er in Blotzheim in Oberelsaß unter zwei gleich edeln Jünglingen, die Augrafen werden wollen, gerade dem ärmsten den Kranz und die Schaumünze überreicht, ebenso unter zwei gleich großen Adspiranten gerade den armen diese drei Gedächtnissäulen einnehmen lässet – macht euch recht tröstliche Bilder von der Sache ( denn, wie Young sagt, nicht der Tod, sondern dessen Bild und Pomp erschreckt, das Läuten, die Prediger, das Herausführen), nennt sie mildernd eine Pfänderstrafe, einen bloßen mors civilis, einen kosmischen Untergang, eine Aposiopesis, ein Calando, scheinbare Selbst-Funeralien wie Karls V., die freilich wie ja auch bei Karln am Ende reell ausgehen – und wenn ihr noch andere aus Leichenreden erinnerliche, mir zu lange Salben darüberstreicht, z.B. von Kürze des Lebens und Hängens, vom Prüfungsstand, von der Mehrheit der Welten – –: so werdet ihr es gelassen er tragen, daß andere (was so viele erst mühsam von sich erringen) euch hängen.

Nun lasset uns diesen Galgen verlassen, wenn wir miteinander gerufen haben: er lebe, denn er lässet leben.«

Darauf prozessiert man wieder zurück. – Nachts ist die geschmackvollste Stadt- und Galgen-Erleuchtung – frugales Gastmahl von den Henkergeldern (es kann ein Spitzbube zu deren Ersparung auf freien Fuß gelassen werden) – den Hausarmen wird viel gereicht – dabei Kanonen-Salven – Gesundheit-ausbringen – Ball bis in die späte Nacht oder länger.... Verdammt! soll ich euch denn alles vorpfeifen?[958]

12

Bekanntlich lud Ödip das getötete Tier auf einen Esel u.s.w.

13

Denn das Herz ist unendlich und ewig-neu. Wir können uns an den größten Schönheiten und Wahrheiten Übersättigen und ihnen Reiz und umriß durch den Genuß zerdrücken, aber keine schöne Tat kommt uns veraltet oder zu oft, und über den moralischen Zauber und Genuß herrschet keine Zeit. Diese seelenstärkende Unveränderlichkeit bauet sich nicht nur auf die Grenzenlosigkeit des freien Herzens, sondern auch auf die eigne Einrichtung unserer Natur, daß wir die moralische Schönheit und Freiheit und das Verdienst nur außer uns finden und also lieben können, in uns aber nur moralische Wahrheit und Notwendigkeit antreffen und billigen. Ich werde einmal diesem, unsern ganzen innern Menschen und Lebenslauf durchziehenden Unterschied näher nachfolgen. A. d. H.

14

Von ihm und andern erzählt man, daß ihr Körper während der Andacht in die Höhe schwebte.

15

Wie man sonst glaubte, daher sie auch Seelenbäder hießen.

16

Quistorps peinl. Recht. S. 95.

17

Diese Bulle erlaubt gegen 6 bis 7 Prozent die Behaltung des gestohlnen Guts.

18

Der Philosoph Meier bekam in Halle eines für ein Buch.

19

In Italien heißet der Vinaigre de quatre voleurs: vinaigre de sept voleurs.

20

Augustin betete: da mihi castitatem, sed non modo, d.h. verleihe mir Keuschheit, aber nicht gleich.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 949-959.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch
Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch. IB Nr. 434,
Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch: Almanach für Matrosen wie sie sein sollten
Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch (Insel Bücherei)
Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch und Über die natürliche Magie der Einbildungskraft.
Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch. Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten.

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon