43. Summula

[289] Präliminar-Frieden und Präliminar-Mord und Totschlag


Wir kehren vom Nachfluge hinter den unschuldigen Paradiesvögeln zurück, um noch einen Abend lang in die Bühne hineinzusehen, wo freilich kein erster Liebhaber spielt, obwohl ein letzter Haßhaber. Katzenberger ist Held und Regisseur zugleich. Gewissermaßen sing' ich in der 43. Summel, wie Homer den Zorn des Achilles, so Katzenbergers seinen.

Dieser – seit dem tückischen Handschlag in stiller Trauer und Wut – hatte diesen Abend dazu erlesen, um die Wolfgrube für seinen Freund mit noch einigen Blütenzweigen mehr zu bedecken und ihn an dieselbe zu geleiten, um den Isegrimm, wenn er unten saß, oben zu empfangen und anzureden mit einem und dem andern Wort. Zufällig mußt' er sich an der Wirtstafel dem Fürsten nahe setzen, folglich auch dessen Hintersassen und Unedelknaben oder Edelknechte, dem Arzte Strykius. Der Doktor pries vor dem Landesherrn stark die Höhle und alles; aber bloß um überall auf den Inspektor derselben, auf Strykius, schmeichelhafte Lichter zu werfen. Dieser wollte überall den Weihrauch wieder auf ihn zurückblasen; der Doktor versicherte aber, sein Lob sei um so unbestochner, da sie beide oft in ärztlichen Sachen frei auseinandergingen. – Da er absichtlich bloß mit der Linken aß: so fragt' ihn der Fürst darüber; er antwortete: wie mehre damit gemalt, so esse er noch leichter damit, bis eine schwache Wunde seiner Rechten, die er im Höhlen-Eingange von einem mit der Lampe herabfallenden Stein erhalten, sich geheilt; – und dabei schüttelte er die schlaffe Rechte und sah heiter genug aus.[289]

Nur der Brunnenarzt stutzte innerlich darüber hin und her; inzwischen erhob er die Höhle und den Höhlen-Bären, den Doktor, hoch, doch zu hoch; aber er gehörte unter die wenigen Seelen, die von Natur klein sind; mit Seelen ists nun wie mit Vergrößer-Linsen: je kleiner und winziger diese sind, desto breiter und ausgezogner stellen sie den Gegenstand vor. So, je kleiner Herz oder Auge ist, desto größer stellt es das Kleinste dar; – am Großen erliegt ein Vergrößerglas; – vielleicht ein Wink für Fürsten, welche gern sich und der Welt groß erscheinen wollen, daß sie sich mehr nach Menschen umsehen, welche klein genug zugeschliffen sind zu bedeutenden Vergrößerungen.

Der Fürst schlich sich am Ende unter die Bäume – und gar davon, wie die nachziehenden Lakaien bewiesen. Katzenberger hätte nun endlich die Freude haben können, seinen Strykius ganz allein zu genießen und die Frucht abzuschälen; aber die alte widerwärtige Landedeldame, die früher über seine medizinischen Tischreden ein Fi! ausgerufen, war so spät sehr nahe sitzen geblieben, nicht etwan aus heimlicher Hinneigung zu Katzenberger, sondern aus Dorfgehorsam gegen ein lindes sieches weiches Hoffräulein, das gerade von den Gerüchten seiner kecken Äußerungen nach ihm und nach seinen Ratgebungen für ihr Wohl und Wehe desto lüsterner gemacht worden; denn für eine Dame von Stand war ein wilder zackiger Doktor bloß ein englischer Park voll Stechgewächse. Die junge Dame hatte die alte, wie gewöhnlich, zum Schilderhaus oder zur Brandmauer ihrer freundschaftlichen Gefühle verbraucht oder als weibliches Meßgeleite des Anstands. Da nun der Doktor – der fein erriet, um grob zu handeln – sehr leicht fand, daß er bloß die Alte fortzutreiben habe, um beide weg zu haben: so tat er das Seinige und genierte vorzüglich die Alte. »Es zeige zu seiner ärztlichen Freude« – wandte er sich an sie – »schöne Jugendkräfte, daß sie sich so spät und kühn der Nachtluft aussetze, die oft viel Jüngern schlecht zuschlage.« – »Meine Brust ist ganz gesund«, antwortete sie kurz. – »Doch dadurch allein, meine Schönste,« versetzte Katzenberger, »wäre wohl Ihr Brustfell nicht vor nächtlicher Entzündung gedeckt. Aber Sie haben gewiß damit allzeit selber gesäugt, und[290] wieviele Kinder wohl? Schon an und für sich eine der edelsten tierischen Verrichtungen, um die ich Sie bis auf jedes Säugtier von Amme beneide.« – Strykius, der sie kannte, nahm eiligst das Wort für die stumm-Entrüstete und sagte hastig: er sei im vollständigsten Irrtum über das Fräulein »Nu, nu, mein Freund,« erwiderte der Doktor, »unter die Saugtiere gehören wir doch alle, wenn sich auch gleich nur die schönere Hälfte unter die Säugtiere zählen darf. – – Aber unser Herr Brunnenarzt« – fuhr er gegen die beiden Fräulein fort – »lag von jeher gern vor Damen auf den Knien und dies, glaub ich, mit' Recht; denn er weiß als Arzt, der Schelm, recht gut, daß die Knie, wie stark er sie auch beuge, den feurigsten Blutumlauf nicht im geringsten einhemmen. Wenn ein unmedizinischer Liebhaber vielleicht dächte, die großen Aderstämme der Beine liefen an den Kniescheiben hinauf und würden also durch das Drücken der Scheiben auf den Boden so gut wie unterbunden: so weiß dagegen unser Arzt aus seinem Sömmering, daß es anders ist und daß die großen Adern unten um die Kniekehle liegen und nicht leiden und stocken durch Biegen....«

Da war des Bleibens nicht mehr für das Landfräulein, das unter die feinern Dorfdamen gehörte, welche vor einer Hofdame nie Füße, Strümpfe, Knie, Beine anbehalten, sondern sie zu Hause ablegen, um nicht am Hofe damit anzustoßen; zarte Wesen, welche wie Sirenen nur ihre Hälfte zur Sprache bringen und aus Anstand sich nur als Büsten geben. – Zögernd und mit einer freundlichen Abschieds-Verbeugung an den Doktor zog das Hoffräulein dem aufbrechenden Landfräulein nach, das sich die größte Mühe gab, bloß von Strykius den Abschied zu nehmen durch Knicks und Blick und gute Nacht. –

Endlich saß Katzenberger ohne Scheidewand und Ofenschirm neben seinem Strykius. Er ließ sogleich viel Achtundvierziger bringen und verrichtete vor der Welt das Wunderwerk, daß er den Brunnenarzt mitzutrinken bat.

»Längst schon hab' er sich verwundert,« – hob er an – »daß die Ärzte ungeachtet des Sprichwortes (experimentum fiat in corp. vil.) so wenig Versuche an ihrem eignen Körper machten und[291] nicht die verschiedenen Arten wenigstens der angenehmen Unmäßigkeiten durchgingen, um nachher besser zu verordnen. Ob sich nicht ein ganzes Collegium medicum so in die verschiedenen Unmäßigkeiten teilen könnte, daß z.B. das eine Mitglied sich aufs Saufen, das andere aufs Essen, das dritte aufs Denken legte, das vierte aufs sechste Gebot, davon oder von der Unnützlichkeit wünsche er doch einen Beweis zu vernehmen, und zwar um so mehr, da z.B. so viele glückliche Kuren der Aphroditen- oder Cypris-Seuche durch junge Ärzte in Residenzstädten bewiesen, daß ein solches Vorarbeiten und solche sich gelesene Selber-Privatissima der Praxis gar nicht schaden – Er wolle nicht hoffen, daß man sich dabei ans Laster stoße, das hier als ein Pestimpfstoff der Arzt ja nur so wie der Schauspieler oder Dichter an sich selber darstelle, um zu lehren und zu heilen.«

»Ich weiß fast,« – versetzte Strykius, der dasaß mit dem Ölblatt im Schnabel und wie Buridans Esel zwischen Ernst und Lächeln – »wohinaus Sie damit wollen.« – »Hinein will ich damit, mit dem Weine nämlich«, sagte der Doktor und eröffnete ihm ganz frei, er sei gesonnen, sich gegenwärtig vor seinen Augen zu betrinken, um den Effekt mit wissenschaftlichen Augen zu beobachten und jede Tatsache rein ausgespelzt zurückzulegen für die Wissenschaft »Es wird« – fuhr er fort – »meinen Handel gewiß nicht schlechter machen, daß ein Mann vom Fache, wie Sie, dabeisitzt, den ich bitten kann, von seiner Seite mehr die nüchternen Beobachtungen über mich anzustellen und deshalb langsamer als ich zu trinken, da es genug ist, wenn einer sich opfert. Spätere Folgen am nüchternen Morgen beobacht' ich allein.« – »Wie gebeten, zugesagt!« versetzte der Arzt.

Darauf rückte der Doktor noch mit einer Bitte ganz leise heraus, Strykius möge, da seinen schwachen Kopf der Wein leicht so zurichte wie der verschluckte Traubenkern den Anakreon, in diesem Falle sein Leib- und Seelenhirt, seinen Gesundheit- und Gewissens-Rat machen und besonders dann, wenn er wie alle Trinker am Ende anfangen sollte zu weinen, zu umhalsen, zu verschenken, ja die größten Geheimnisse auszuplaudern, ihn warnen und lenken und notfalls mit Gewalt nach Hause ziehen; er[292] geb' ihm Vollmacht zu jeder Maßregel, mög' er selber betrunken dagegen ausschlagen, wie er wolle.

Der Brunnenarzt sagte lächelnd, er versprech' es für den undenklichen Fall, erwarte aber denselben Liebe-Dienst, falls er selber hineingeriete.

In der Tat ging bisher der Doktor mit Anschein genug zu Werke – und Strykius fing an, aus den geleerten Flaschen schöne Hoffnung Katzenbergerischer Ehrlichkeit zu schöpfen; doch war es mehr Trug; denn jenem, der sich längst als einen ehemaligen (wie Pitt in London) sogenannten Sechs-Flaschen-Mann gekannt, blieb das schöne Bewußtsein, daß er bei allem Trinken nicht aus den Fußstapfen der Griechen wanke, welche bekanntlich den Rachegöttinnen nur nüchtern opferten und deshalb keinen Wein vor ihnen libierten oder weggossen.

Jetzo berührt' er wieder von weitem den Rezensenten und sagte, er sei im Badmonat bloß nach Maulbronn wie die Juden zum Ostermonat nach Jerusalem gegangen, um das kritische Passahlamm oder den Passahsündenbock zu schlachten und zu genießen; noch aber fehle der Bock, und käm' er an, so sei doch manches anders, als ers haben möchte. Strykius konnte nicht anders, als er mußte stutzen. Bei der dritten Flasche oder Station hielt es der Doktor für seinen Schein zuträglich, ein wenig mit seinem Verständigsein nachzulassen und mehr ins Auffallende zu fallen; überhaupt mehr den Mann zu zeigen, der nicht weiß, was er will. »Noch gehts gut, Herr Kollege,« sagt' er, »doch sieht man, was der Mensch verträgt. Ich wäre jetzt imstande, jedem, der wollte, unangenehme Dinge mit einer solchen juristischen Kautelarjurisprudenz zu sagen, daß der Mann an keine Injurienklage denken dürfte. – Es böte mir z.B. eine vornehme Residenz-Frau ihr Herz und Hand, so könnt' ich, da es nach Quistorp41 für Kleinigkeiten einen recht hämischen Dank zu sagen, keinen Animus injuriandi, Schimpf- oder Schmäh-Willen verrät, der trefflichen Dame ins Gesicht versichern: gut! Ich nehme noch dies an; aber nun beschämen Sie mich mit keinen größern Geschenken,[293] da ich noch nicht einmal Ihre Kleinigkeiten zu vergelten vermocht. – Dies könnt' ich.

So weiß ich aus demselben Quistorp die andere Einschränkung, daß man nie beschimpfe, wenn man bloß die Sachen seines Neben- und Mit-Menschen (nicht ihn) verächtlich heruntersetzt, als etwan seinen Anzug, seine Gastmähler u.s.w. Ich würde also mit Vorbedacht, da doch am Menschen alles nur fremde Sache ist, außer seiner Moralität, die er sich, wie der preußische Soldat die Knöpfe, auf eigne Kosten anschaffen muß, ohne Ehrenklage im höchsten Grade anzüglich und geringschätzig z.B. von den schwachen Talenten oder Gesichtzügen eines Rezensenten sprechen, beides Sachen, die der Tropf sich nicht geben kann; ebenso wollt' ich auf viele deutsche Kronen und Thronen (ein schöner weiblicher Reim) losziehen, ohne die Besitzer, die ja beides teils halb auf, teils unter sich haben, im geringsten zu meinen. Doch ich kehre zu meinem Satze zurück – beiläufig ein ganz gutes Zeichen, denn Trunkne können, wie Verrückte, nie dieselbe Sache unverändert wiederholen und stehen hier tief unter Autoren und Advokaten. – Und Rechtswissenschaft ist nicht einmal mein Fach – (doch trinken wir recht auf sie!); aber Heilkunde bleibt es stets. Wie gesagt, ich sagte vorhin von Injurien und dergleichen. Wo finden Sie hier, Herr Doktor, den Vollzapf?«

Strykius beschwor nach allen Seiten hin das Widerspiel »Dies sag' ich, beim Teufel, ja selber,« versetzte der Doktor – »und wozu denn Ihr Fluchen? Ich denke, ich kenne mich und viele. Manches bringt mich auf, darüber ist keine Frage. Nur wünscht' ich zu wissen, ob jemand von der trefflichen, nie hoch genug zu achtenden Gesellschaft um uns her etwas an mir merke; aber freilich Fox und Pitt konnten nur halb so viel vertragen.

Mein lieber Herr Brunnenarzt, Sie brauchen, bei Gott, nicht zu lächeln, als läg' ich schon in den Lagen, für welche ich Ihre Vormundschaft bestellte. Sie sehen, ich weiß noch alles. Hab' ich aber ein Geheimnis verraten? Seh' ich irgendeinen Kopf doppelt? Kaum einfach. – Verschenk' ich schon außer dem Einschenken? Und wo stehen mir dumme Tränen der Liebe und Trunkenheit im Auge? Im Gegenteil verspür' ich eher harten Humor zum[294] Totschlagen, besonders schlüg' ich gern einem Manne aus Ihrer Residenzstadt, der mir mit seinen Augen- und Weisheitzähnen ins Bein gefahren, diese auf der Stelle aus. Die Bestie kommt aber erst, wie Sie sagten, künftige Woche.«

»Sie erhitzen sich, Guter«, sagte Strykius. – »Aber für das Recht und für jeden Rechtschaffnen, der es mit mir so redlich meint als du, Stryk! – Herr Brunnenarzt, ich sage du zu Ihnen, wie der Russe zu seinem Kaiser. Einen Kuß, aber einen Judas den zweiten! Denn du weißt aus dem Neuen Testament, wo der Brief des zweiten Judas steht. Der erste Judas war nie mein Mann.« –

Strykius gab Katzenbergern einen Bühnen-Kuß »Trinke zu, heize ein, zünd an, mein Zünd-Stryk! Ohne Wein war dem Urdeutschen kein Vertrag heilig. – O, wenn ich daran denke! Ein Freund ists Höchste. Ich sage dir, Stryk, einst hatt' ich einen, und wir herzten einander und er mich – alles tat ich für ihn und machte meinen Schnitt für ihn – ich hätt' in seinem Namen gestohlen. Halt, dacht ich, hältst du auch stich? Ich wollte ja in der Eile etwas Ihnen darstellen; sage mirs, Bruder!« – »Das Bewähren Ihres mir unbekannten Freundes«, versetzte der Brunnendoktor. »Und dies willst du besser wissen als ich? Stich, sagt' ich ja vorhin, hält er, wenn er sich bewährt und seinem Freunde zu verzeihen weiß. Der nur ist mein Freund. Deshalb macht' ich mir eine leichte Streitsache mit ihm zunutz und schleuderte diesem Freund, um recht zu wissen, woran ich mit ihm wäre, eigentlich um seine Liebe gegen mich zu erproben, einen vollen Bumper oder Willkommen mit allen Kräften an den Kopf; darauf beobachtete ich scharf und kalt, wie er bei dieser ersten Freundschaft-Anker-Probe standhalte und sich betrage. – Aber wir prügelten sogleich uns mit vier Händen durch, und der Treulose haßte mich hinterher wie einen Hund. Dies hatt' ich von meiner ersten leichten Liebe-Probe; – was hätt' ich mir vollends von einem so wankelmütigen Freunde zu versprechen gehabt, hätt' ich ihn noch ganz anders und schärfer auf die Kapelle gebracht, z.B. um Haus und Hof oder gar ums Leben? Anders sollen, hoff' ich, unsere Freundschaft-Proben ablaufen. Mich meiner seits erschlagen Sie, wenn Sie wollen; ich umhalse Sie stets sogleich in[295] der frohen Ewigkeit und sage: willkommen, mein Stryk, mein heraufführender Franziskaner-Strick und Galgen- und Treppen-Strick – Doch dies sind Wortspiele und elend genug.«

Der Brunnenarzt hatte bisher, zumal vor mehren Maus-Ohren an der Tafel, den bedächtigen Mann gespielt und sich wenig anders gegen den Trunk-Sprecher ausgelassen als mit leichtem Nein, Ja und Wink. Nur Neugier nach dem Ausgange, Scheu vor dem wild-begeisterten Doktor, mehr Hoffnung, ihn vor der Welt zuletzt beschämend zu verwickeln, und sogar einiger angetrunkener Mut pichten ihn auf dem Folterstuhle fest. Nüchtern erhielt er sich übrigens durch Meid-Künste – ja mehr als der Doktor selber, der sich zuletzt doch durch Reden betrank.

Erst bei der vierten Flasche überzeugte jener sich, daß im Weine oder im Doktor wirklich Wahrheit sei; mehre versprochne Rausch-Nachwehen und Feuermäler waren schon da, nur das geweissagte Verschenken wollte sich nicht einstellen. Der Doktor warf allerlei seltsame Winke hin, daß er sehr gern wolle, der Fürst wäre nicht da, aber wohl dafür ein anderer Mann für einen dritten, der prügelt »Kennst du seinen Leibmedikus Semmelmann recht?« sagt' er. – »Längst als den gelehrtesten Arzt und feinsten Mann und meinen Freund«, versetzt' er etwas laut, um von fürstlichen Spionen, die den Geblendeten der Tafellichter rings im Blätter-Dunkel ungesehen belauschen konnten, besser vernommen zu werden »Nun so sag' ich dir, ich bin noch schwankend, ob ich gegen Taganbruch diesen deinen Freund ganz totschlage oder nur halb. Weißt du,« (fing er leise an und fuhr sogleich laut fort) »wer dieser Semmelmann im innersten ist, Stryk? Der Fallstrick, der Galgenstrick, der Ehrenkronenräuber, kurz der Rezensent meiner Werke.« – »Wie? – Herr Kollege!« sagte Strykius. – »Kein Wort weiter, er wird totgemacht! – Flex, heda! mein Kerl fährt augenblicklich vor bei Herrn Brunnenarzt Strykius, meine Tochter wird nicht geweckt – sie soll nichts wissen, bis ich wiederkomme, und das ohne alle Umstände.«

Wenn wirklich, wie schon Swift nach Rochefoucault sagt, wir in jedes Freundes Unglück etwas weniges finden, was uns heimlich erlabt: so mußte allerdings der Brunnenarzt in der Aussicht[296] auf die Ausprügelung seines Freundes Semmelmann etwas Behagliches finden, da er so lange diese sich selber zugedacht geglaubt; auch wurde diese Behaglichkeit durch die Betrachtung eher vermehrt als vermindert, daß der Leibmedikus, sein Nebenbuhler, der als Weg-Aufseher der ersten und zweiten Wege des Fürsten mehre Wege Rechtens und Himmelfahrten und bedeckte Wege und enge Pässe des Landes besetzte, vom berühmten Katzenberger vielleicht durch Prügel könnte um einigen Kredit, wenn nicht um Glieder und mehr gebracht werden. Dies hielt ihn aber nicht ab, vielmehr spornte es ihn an, sich nicht nur unter vier Ohren, sondern vielleicht vor mehr als zehn Hörmaschinen des Hofs im Finstern entschieden des Leibmedikus oder der Semmelmannschen Unschuld anzunehmen, und zwar mit um so größerer Wärme der Überzeugung, je gewisser er wußte, daß er selber die Rezension gemacht.

»Mein bester Kollege«, begann er, »möge mich nur hören! Wie stark der Argwohn gegen den Herrn Leibmedikus gegründet, entscheid' ich am wenigsten, da ich Journale, worin etwas stehen soll, als z.B. die Gothaischen Anzeigen, die Oberdeutsche Literatur-Zeitung, die neue allg. deutsche Bibliothek und dergleichen Unrat, mehr mithalte als mitlese. Aber trefflicher kühner Amt- und Waffenbruder! Lassen Sie mich doch auch reden! Kennen Sie die Mißlichkeit solcher Namen-Ablauschungen wie die Ihres Herrn Richters? Ich halte Semmelmann, soweit ich ihn kenne, durchaus für unschuldig; doch gesetzt, aber nicht zugegeben, Sie hätten recht; aber Freund, wie kann ein Gelehrter mit einem andern Gelehrten (zur Abwägung zwei solcher hab' ich keine Gewichte) den geistigen Zwist mit Waffen ausfechten wollen, die nichts treffen als Leiber? – Bei Gott, ich bin hier nicht bestochen, und die fremde Sache nehm' ich kühn für eigne..«

»Ich habe dich Spitzbuben wirklich ruhig ausgehört, bloß nur um dir vorläufig darzutun, daß ich, bei Gott! bei Verstand bin wie einer und nach niemand frage – Was verschlagen alle Flaschen im Magen gegen das wenige, was aus ihm davon in den Kopf steigt? Aber, wie gesagt, das ist mein Satz, oder ich weiß nicht, was wir sagen. Und doch ein Spitzbube bist du selber, so[297] groß wie Semmelmann, weil du ihm ähnelst und beistehst. Denn du bist, nimm mirs nicht übel, lieber Stryk, – von Hause aus – ein milder Mann mit einem weichen Herzen im Brustkästchen, und es ist dir nachzusehen, wenn du aus verdammter verhaßter Liebe Schubjacke und Stricke (ich rede gesetzt) verfichst; denn dein Angesicht ist ein sanfter Ölgarten, wo man Blut schwitzt, und du bist am ganzen Leibe mit Selber-Dämpfern wie mit Blutigeln besetzt. Du weißt nur zu gut, wer mich rezensiert hat; aber siehst ihn nur nicht gern erschlagen. Ein Knicker ist Semmelmann auch, und nichts hass' ich mehr als so einen geizigen Hund, der mir nichts herschenkt, der selber seinem Hund nichts zu fressen gibt aus Gras, das dem Tier nur schmeckt, wenn sich das Wetter ändert. – Hat er nicht bloß aus Geizhalsigkeit meine Praxis beneidet, obwohl außer Lands, und meinen Ehrensold und die wenigen Ehrenpforten und Ehrenlegionen, die ich mir etwa erschrieben? Ist der Leibmedikus nicht der größte Schmeichler des Hofs und denkt bei dem Fürsten, weil ich, bei Gelegenheit der Hämatosen und Mißgeburten, nichts von den mineralischen Bestandteilen des Landes-Bades angebracht, Ehre einzulegen, wenn er mir eine größere nimmt, als er hat? Die Sache ist: seine Zunge gleicht der Bienenzunge, welche einem Fuchsschwanz ähnlich ist und die für sich Honig saugt, und für andere Gift. Wie gesagt, Bruder! – Ich erhebe dich vielleicht zum Leibmedikus, wenn ich den alten erschlage, mags hören, wer will.«

»Guter Amtbruder,« sagte Strykius, »jetzt in der Nachtkälte tritt die vorher abgeschlossene Bedingung ein, nolens volens« – »Dummes Wort, ich will entweder nolens oder volens« – »Fein bemerkt! Wir gehen dann miteinander zu mir auf einen warmen Tee«, sagte Stryk und nahm ihn mit.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 289-298.
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