26. Hundposttag

[895] Drillinge – Zeusel und sein Zwillingbruder – die aufsteigende Perücke – Entdeckung von Spitzbübereien


Wenn ich in Coventgarden über das Trauerspiel geweint hätte: so würd' ich doch im Epiloge bleiben, den sie nachher halten, ob ich gleich über ihn lachen müßte. Allein nur aus dem Trauerspiele führt ein Quergäßchen in das Lustspiel, aber nicht aus dem Heldengedicht; kurz der Mensch kann nach dem Erweichen, aber nicht nach dem Erheben lachen. Ich darf es daher nie verstatten, daß ein Vielleser sogleich nach dem 25sten Kapitel dieses anfange. Wenn man überhaupt selber zusieht, wie sie einen lesen – nämlich noch fünfmal elender, gedankenloser, abgerissener, als man schreibt – (ich rede bloß von Fleiß: Kenntnisse fallen von selber beim Lesen weg, und die Autorfeder kann die Lebengeister des Lesers, wie der Pumpenstiefel das Wasser, doch nur auf eine gewisse Höhe ziehen) – wie sie bei den besten Stellen zwei Blätter auf einmal umwenden, bald zwei ungleichartige Kapitel entern lassen, bald in vier Wochen erst ein Kapitel gar hinauslesen, das in einer Sitzung hätte durchsein sollen – wie solche klassische Leser oft kurz vor einem Besuche oder unter dem Andrehen oder gar Ansengen der Haarwickel oder unter dem Auskämmen der Haare (die gar das erhabenste Kapitel einpudern) letztes lesen oder ein rührendes unter dem Keifen mit der ganzen Stube – wenn man bedenkt, daß unter solche Leser die meisten Scheerauer und Flachsenfinger gehören, und bloß die Leserinnen nicht, die sich in alle Bücher und Männer einzuschießen wissen, und denen einerlei ist, was sie lesen oder heiraten – und wenn man gar die traurige Betrachtung macht, daß, wenn über diese Leser nicht einmal der Lesegroschen, den sie fürs Buch bezahlen müssen, so viel Gewalt besitzt, um sie zum Genusse rührender und erhabner Blätter zu vermögen, daß es dieser lange Periode noch weniger erzwingen[895] werde: so preiset man das deutsche Publikum glücklich, das doch solche Werke nähren, an denen wie an Truthühnern das Weiße das beste ist.

Da ein solcher Truthahn auch die Wiener Zeitschrift ist, und ich vorige Woche im Traume dachte, mein Hund schreibe daran: so wirds hierher passen, daß ich meinen Irrsal widerrufe. Mir fällt der Traum nicht auf – (da die Korrespondenzbestie gleichfalls Hofmann72 heißt) –, daß diese gar der in eine Hundshaut eingewindelte und verpuppte Professor sei. Ich wäre gar nicht darauf verfallen, daß ein Professor der »praktischen Eloquenz« in der Form eines Hundes der Welt Drucksachen apportierte, hätte nicht einmal in Paris ein Kerl sich mit konterbanden Waren in eine Pudelhaut einnähen lassen, um so verkappt durchs Tor zu kommen. Schon aus der ungleichen Größe beider Wesen hätt' ich wissen können, welche Zeit es sei; aber ich ging im tollen Traume so weit, daß ich den Hund wirklich examinierend zwickte und befühlte, als der Professor, den ich hinter dieser Charaktermaske suchte, selber lebendig zur Tür eintrat. Er hob zwar sofort alle Verwechslung; ich legte mir aber, gleichsam um ihm Genugtuung zu geben, die Strafe auf, das ganze Ding bekannt zu machen und noch dazu sein Mitarbeiter, d.h. seine Monattaube zu werden, die monatlich heckt... Es sollen daher viele wirklich in der Wiener Zeitschrift (denn in der ersten Auflage vergaß ich das zu sagen, daß ich nur geträumt) nach Arbeiten von mir geforschet haben: ist das möglich, ich bitte? – –

Wir haben unsern Viktor unter lauter trüben Vermutungen stehen lassen: jetzo finden wir ihn wieder vor einem Begegnis, das sie alle bestätigt.

Wer den Apotheker Zeusel, um den sich der ganze Vorfall dreht, nur von Hörensagen kennt, weiß, daß er ein Hasenfuß ist Besagter Fuß – ein Hase und der Teufel behalten, wenn auch das ganze Fell abgestreift ist, noch den Fuß – sah es gern, wenn ihn[896] ein Herr von Hofe ausschmausete und – auslachte; er konnte nicht bescheiden verbleiben, sobald ihn ein Vornehmer zum Narren hatte. Der edle Matz benahm ihm daher seine Bescheidenheit oft. Von diesem vertrug er wie die Flachsenfinger alles, von Viktor nichts. Ich erklär' es nur daraus, weil Viktors Satiren allgemein und passend und für das Bessern waren; die Menschen aber vergeben lieber Pasquill als Satire, lieber Verleumdung als Ermahnung, lieber Spotten über Orthodoxe und Aristokraten als Vernünfteln darüber73. – Demungeachtet, ob Zeusel gleich von Matthieu diesesmal wieder gehänselt und geprellet wurde, wollt' ers ihm nicht recht vergeben, sondern bekam das Chiragra darüber.

Es war nämlich kurz vor dem ersten April – manche haben jährlich 365 erste Aprile –, als der Junker den Apotheker in jenen April schickte. In St. Lüne waren schon drei Bad- und Trinkgäste angekommen, drei junge wilde Engländer, die sich für Drillinge ausgaben, aber wahrscheinlich nur nacheinander, nicht miteinander geborne Brüder waren. Bloß ihre Seelen schienen Drillinge des Gemein- und Freiheitgeistes zu sein; sie waren so republikanisch, daß sie nicht einmal an dem Hofe erschienen, und hielten wie jeder Engländer uns alle (mich und den Leser und den Eloquenz-Professor) für Christensklaven und die Freigelassenen für Steckenknechte. Die Zauberkraft eines ähnlichen Herzens trieb bald den Regierrat Flamin in ihre kartesischen Wirbel; sie waren kaum acht Tage da, so hatten sie mit ihm schon einen Klub beim Kaplan gehalten. Er versprach ihnen auf Ostern das Gesicht ihres Landsmanns Sebastian; und den edlen Matthieu hatt' er gleich anfangs mitgebracht. Matzens Freiheitbaum war bloß ein satirischer Dornstrauch; seine Satiren ersetzten die Grundsätze. Nur ein einziger Drilling, den selber der Böse mit Hörnern und Bocksfüßen, nämlich der Satyr, ritt, konnte den beißenden Evangelisten und falschen Freiheit-Apostel recht leiden; denn in einem heitern lichten Kopf nimmt jedes fremde Witz- und Blitzwort einen größern Schimmer an, wie Johanniswürmchen in dephlogistisierter Luftart heller glimmen.[897]

Als Matthieu den Pfarrkutscher und den Lohnlakai der Engländer, den Blasbalgtreter Zeusel – den Zwillingbruder des Apothekers-, erblickte: erfand er etwas, das ich eben erzählen werde. Der Apotheker mußte sich bekanntlich seines leiblichen Bruders schämen, weil er ein bloßer Balgtreter war und keinen andern Wind machte als musikalischen – und weil er ferner schlechte innere Ohren und außen gar keine hatte. Jedoch hatt' er sich wegen der letzten mit einem gerichtlichen Zeugnis gedeckt, das ihm nachrühmte, daß er seine Schallmuscheln auf eine ehrliche Art durch einen Bader verloren, der ihm von seiner Schwerhörigkeit helfen wollen. Aber sein Kopf war sein Ohr. Wenn er einen Stab an den Redner oder an seinen Sessel hielt, oder wenn man gerade über seinem Kopfe predigte: so hörte er recht gut. Haller erzählt ähnliche Beispiele, z.B. von einem Tauben, der allemal einen langen Stock an die Kanzel als Leiter und Steg der Andacht stieß. Seine Taubheit, die ihn eher zu einem höchsten Staatsbedienten, als zu einem Lehnbedienten berief, wendete ihm gerade den Sieg über andere Wahlkandidaten zu, weil dem Kato dem Ältern – so hieß sich der lustige Engländer – seine närrische Stellung gefiel.

Der edle Matthieu, dessen Herz eine ebenso dunkle Farbe hatte wie seine Haare und Augen, hing die Drillinge als Köder-Würmchen an die Angel, um den Apotheker zwischen seinem und Flamins Arm nach St. Lüne zu bringen. Zeusel ging freudig mit und ahnete das Unglück nicht, das ihn erwartete, nämlich seinen Bruder, mit dem ers schon seit vielen Jahren gegen etwas Gewisses ausgemacht hatte, daß sie einander in Gesellschaften gar nicht kennen wollten. Der Balgtreter begriff ohnehin aus Einfalt gar nicht, wie ein so vornehmer Mann wie Zeusel sein Bruder sein könnte, und verehrte ihn im stillen von weitem; nur eine Sache vertrug er nicht, trotz seiner blödsinnigen Geduld, die, daß sich der Apotheker für den Erstgebornen ausgab: »Bin ich nicht«, sagt' er, »um eine Viertelelle länger und eine Viertelstunde älter als er?« Er schwur, in der Bibel sei es verbaten, seine Erstgeburt zu verkaufen – und er war dann wie alle, denen eine dumme Geduld ausreißet, nicht mehr zu bändigen.

Der Apotheker bemerkte nach dem ersten Schrecken über den[898] dastehenden Bruder mit Vergnügen, daß niemand seine Verbrüderung kenne; er wollte es daher auch nachtun und foderte vom Bruder-Bedienten so kalt wie jeder, zu trinken. Der Balgtreter besah, indem er den Kopf niederbog, damit der Bruder oben darüber die Befehle gäbe, mit Erstaunen und wahrer Achtung die silbernen Gattertore und Beinschellen auf den Füßen seines Verwandten und dessen Hüftgehenk von Stahl-Girlanden der Uhren. Zeusel hätte sich gern – wäre dem Junker zu trauen gewesen- gegen die Briten angestellt, als betrög' er sich und hielte des Tauben Bücken für übertriebene Kriecherei gegen Hofleute; er wäre dann imstande gewesen, dazuzusetzen, der Opisthotonus gegen Niedere sei derselbe Krampf wie der Emprosthotonus74 gegen Höhere – aber wie gesagt, der Henker traue Hofjunkern!

Die Briten indessen nahmen den Narren samt seiner Geldbörse am Hintern kaum wahr und wunderten sich bloß, was er da wolle. Ihre republikanischen Flammen schlugen mit Flamins seinen zusammen, und zwar so, daß der Hofjunker sie für Franzosen und für Reisediener und Zirkularboten der französischen Propaganda würde genommen haben, wenn er nicht geglaubt hätte, nur ein Narr könne eine versuchen und eine glauben. Matthieu hatte Scharfsinn, aber keine Grundsätze – Wahrheiten, aber keine Wahrheitliebe – Scharfsinn ohne Gefühl – Witz ohne Zweck. Er war heute nur darauf aus, durch losgezündete Streifschüsse den Apotheker immer in der Angst zu befestigen, irgendeine Ideenverbindung werde ihn den Augenblick auf den dastehenden Bruder lenken. So legt' er recht glücklich nebenher den armen Hasenfuß auf die Folter des »gespickten Hasens«, als er ironisch für den Nepotismus focht. »Die Päpste, die Minister« (sagt' er) »geben wichtige Posten nicht dem ersten besten, sondern einem Manne, den sie genau geprüft haben, weil sie mit ihm fast auferzogen wurden, nämlich einem Blutfreund. Sie denken zu moralisch, als daß sie nach ihrer Erhebung ihre Verwandten nicht mehr kennen sollten, und sie halten den Hof für keinen Himmel, wo man nach seiner in die Hölle verdammten Magenschaft nichts fragt. Weil ein Minister[899] so viel verdauen kann wie ein Strauß: so wundert man sich, daß er nicht auch wie ein Strauß seine Eier voll Anverwandten in den Sand und vor die Sonne wirft und ihr Aufkommen nicht dem Zufall anvertrauet. Aber nichts verträgt sich weniger mit dem echten Nepotismus als dies; ja selber der Strauß brütet zu Nacht und in kältern Orten persönlich und unterlässet es nur dann, wo die Sonne besser brütet: so sorgt auch der Mann von Einfluß nur in solchen Fällen für seine Vettern, wenn großer Mangel von Verdiensten es fodert. Ich gesteh' es, die Moral kann so wenig Nepotismus wie Freundschaften gebieten; aber das Verdienst ist desto größer, wenn man ohne alle moralische Verbindlichkeit mit seinem Stammbaum gleichsam die halben Thronstufen überdeckt.« – Dieser satirische Hüttenrauch und Schwaden nahm die Briten für ihn ein, zumal da der Rauch edle Metalle voraussetzte, nämlich die höchste Unparteilichkeit bei einem Sohne, dessen Vater Minister war.

Da der Apotheker das Souper zerlegte – Matz hatt' ihn ersucht, le grand escuyer tranchant zu sein –, so paßte sein Freund es ab, bis er einen großen Truthahn an der Gabel hatte, um ihn in der Luft, wie Reiher die Fische, und noch dazu italienisch zu zerfällen; dann nahm der Edle seinen Weg über den Partage-Truthahn und über Polen durch die Wahlreiche, bis er in den Erbreichen anlangte, wo er stille lag, um da die Bemerkung zu machen, daß ganz natürlicherweise der erste große Diktator seinen eignen Sohn auf seinen Thron nach sich werde hinaufgezogen haben: »so hab' er sich oft beim flachsenfingischen Vogelschießen an den Kindern ergötzt, die mit den Kronen und Zeptern, welche die Väter herabgeschossen, herumsprangen und damit warfen und spielten.« – Der Taube unterhielt durch seinen Visierstab und seine Zündrute, die er an den Tisch stemmte, die freieste Verbindung mit dem ganzen Klub und sah seinem arbeitenden Bruder zu, wie er sägte und hielt. Matthieu, der den Vorschneider liebte, aber die Wahrheit noch mehr, konnte seinetwegen nicht die Reflexionen über die gekrönten Erstgeburten unterschlagen, sondern er merkte frei an, man sollte wenigstens unter der regierenden Familie, wenn auch nicht unter dem Volke, die Wahl frei haben.[900] »Jetzt denken wir nicht einmal wie die Juden, bei denen zwar eine halbtierische Mißgeburt noch die Rechte eines Erstgebornen hat, aber doch keine ganze tierische.75«- Der Balgtreter wurde durch die fallopische Muttertrompete des Stabs mit neuen Ideen des Erstgebornen geschwängert – sein Bruder wurde von der Angst mehr zerlegt als der indische Hahn in der Luft. – Der Evangelist fuhr fort: »Auch bei den Juden hat bloß die tierische Erstgeburt, weil sie nicht mehr opfern dürfen, das beste Futter und ist heilig und unverletzlich – das übrige Vieh gehört unter die jüngern Söhne.«...

– Darauf sagte er plötzlich und lächelnd das Kompliment: »Bloß mein Freund hier mit dem Truthahn macht die glücklichste Ausnahme von meiner Behauptung und sein Herr Bruder mit dem Stabe da die betrübteste; es sind aber Zwillinge, und er ist nur eine Viertelstunde älter als der Taube.« Er wandte sich unbefangen an den Gestabten, der sein Gesicht schon zum Krieg mobil gemacht hatte: »Nicht wahr, eine Viertelstunde älter?« – »Ja, straf' mich Gott,« (sagt' er) »das bin ich: was sagt mein Bruder?« – Der Apotheker mußte matt den Dividendus an der Gabel senken, ob er gleich durch die herabgeschnittenen Quotienten schon leichter war. Der Balgtreter überschauete flüchtig alle Gesichter und entdeckte überall darauf einen schweigenden Unglauben, den der Junker durch seine kalten Versicherungen noch lesbarer machte. »Der ganze Scherz« – sagte Zeusel leise – »ist wohl für niemand interessant.« Da der Balgtreter die leise Exzeptionhandlung nicht durch seinen langen Gehörknochen habhaft werden konnte – er sah aber dann nicht ab, wie er seinen Prozeß und sein Erstgeburtrecht behaupten wollte –, so trat er seinen Beweis an und zog vier lange Flüche als ebensoviel syllogistische Figuren so heraus und bückte den Kopf unter seinen Bruder, damit der über demselben seine Salvationschrift einreichte. Der Apotheker, der nicht die Erstgeburt, sondern nur das wankend machen wollte, daß er sein Bruder sei, und der ihn wegen[901] Zweifel über dessen Titulaturen nicht gern anreden wollte, sagte bittend zu Matthieu: »Geben Sie ihm recht, denn er weiß gar nicht, wovon wir bisher gesprochen haben.« – Schnell und abgerissen, aber mit einer ungläubigen Miene sagte daher der Junker zu ihm: »Er soll recht haben, mein Freund«, und setzte unter dem Schein, ihn ablenken zu wollen, dazu: »recht frisch und jung sieht er aus.« – »Bei Gott!« (versetzte er aufbrennend) »der da ist jünger; aber er kam hinter mir schon zusammengefahren auf die Welt in der Gestalt eines Tabakbeutels – er ist aus den Bettelmännern76, die von mir abfielen, zusammengedreht und gezwirnt.« Der Balgtreter brannte nun alle Kanonen auf dem Wall seines Kopfes ab, erbittert durch die Essigmienen und Giftblicke und die Unhörbarkeit seines Blutfreundes: er spannte daher den Daumen und den Ohrfinger aus und setzte sie wie Zirkelfüße an sein eignes Gesicht, um es auszumessen; dann wollt' er beide als ein Längenmaß über das Gesicht seines Blutfreundes legen – er würde dann, da der Mensch zehn Gesichtlängen hat, das fremde und sein eignes Gesicht gegeneinander gehalten und dann aus ihrem verschiedenen Maße leicht auf ihre Statur geschlossen haben –; aber der Apotheker wackelte, und der Balgtreter setzte den Daumen ganz falsch über dem Kinnbacken ein. Hier hob den Daumen, der sich in den weichen Backen eintunken wollte, etwas Hartes und Rundes auf, und der Balgdiener trieb durch das Heruntergleiten an dem Kinnbacken eine Wachskugel zum Maule heraus, womit der Apotheker seine eingekrempten Wangen ausgefüttert hatte wie mit einem Polster, um das eingelegte Bildwerk des Gesichts zum erhobenen aufzustülpen. Die herausgleitende Kugel warf wie eine Boselkugel den Apotheker um, d.h. seine Gelassenheit, und er sagte zum Tauben, der jetzo gar zu einer Historie von seinem Kahlkopfe überschreiten wollte, mit blitzenden Augen nur so viel: »Ihr Mensch habt keine Lebensart, und Euer älterer Bruder muß Euch erst abhobeln.« Da aber der Kalkant schon in der Naturgeschichte des Kahlkopfes fortschritt: so eilte Zeusel davon mit der Entschuldigung, der Herr Hofmedikus Horion warte heut' abends auf ihn. Der ernsthafteste unter den Engländern trat ganz[902] nahe an ihn und sagte: »Empfehlen Sie mich dem Doktor, und da er so gute Kuren macht, so sagen Sie ihm in meinem Namen, Sie wären ein großer – Narr.«

Kaum war er zum Dorfe hinaus: so dauerte den Kalkanten der Emigrant, und er wollte in der Historie des Kahlkopfes aufhören. Der Evangelist schickte ihn daher dem erbosten Zwilling nach, um ihn jetzt in der Nacht einzufangen; und nahm dafür selber den historischen Faden auf. Nämlich an einem Abend, wo der Hof nicht im Schauspiel war, hielt der Hofapotheker (der Himmel weiß wie) sein Nußknackergesicht aus einer der ersten Logen heraus. Matthieu, damals noch Page, postierte den Balgtreter im Scheitelpunkte seiner Perücke, nämlich in der Galerie gerade über ihm. Der Kalkant ließ oben an einem unsichtbaren Roßhaar einen kleinen Haken niedersteigen, der wie ein Raubvogel über der herausschauenden Perücke hing, die ich für ein Ideal von Haaren halte. Denn sie schien aus dem Kopfe, dem die Locken und die Vergette längst ausgefallen waren, als Eingeborner und Fechser herausgewachsen zu sein, und niemand nahm sie für adoptiertes Pelzwerk. Der Balgtreter ließ den Haken so lange über der Perücke wie einen Perpendikel schwanken, bis Gewißheit da war, daß er in die Vergette eingegriffen. Sofort bedient' er sich seiner Hände als Fuhrmannwinden und hob (wie der Frost andre Gewächse) die ganze Frisur aus den Wurzeln und zog langsam die Zopfperücke wie eine steigende Haar-Montgolfiere in die Höhe. Das Parterre und der erste Liebhaber und der Lichtputzer wurden vor Erstaunen zu Eisschollen, da sie den Schwanzkometen in gerader Aufsteigung zur Galerie aufgehen sahen. Auf dem Apotheker, der seinen Kopf abgedeckt und kalt angeweht fühlte, richteten sich die wenigen natürlichen Haare auch empor vor Schrecken, wie die künstlichen; und als er sich mit dem kahlen Scheitel umdrehte, um der Kreuzerhöhung seines Haarwuchses nachzusehen, ließ sein Zwillingbruder (um nicht entdeckt zu werden) das ganze härene Meteor, das dem Haar der Berenice im Himmel nachwollte, gar unter die Leute herunterfallen vor seinem Gesichte vorbei und sah gelassen herab auf die Kulmination im Nadir, wie die ganze Galerie. – –[903]

Während unserer Erzählung haben die Zwillinge einander geprügelt. Der Erstgeburt-Akzessist rief draußen auf dem mit Nacht überdeckten Flachsenfinger Weg in einem fort: »Herr Hofapotheker!« Und da er keine Antwort vernehmen konnte, mußt' er mit dem Hörrohr an jedes Ding, ob es etwan rede, stochern. Endlich stieß sein Visitiereisen an die Erstgeburt, und er ging hin, um sie um Vergebung und Retour zu ersuchen. Aber der Apotheker war dermaßen im Kochen und Sprudeln, daß er, als der Balgtreter seinen Kopf unterhielt, um dessen Antwort einzuholen, seine Hand in eine Kugel anschießen und sie wie einen Glockenhammer auf die Pfeilnaht des untergehaltenen Hauptes fallen ließ, worauf die Täucherglocke einen ordentlichen Ton angab. Der Apotheker würde, wenn man ihn recht verstanden und ihm Zeit gelassen hätte, durch diesen Zainhammer die Suturen auf dem tauben Haupte um vieles vorgehoben haben; aber so störte ihn sein eigner Bruder, der ihn am Kopfe- denn der Balgtreter würde seine Finger als Schmucknadeln in die künstlichen Haare gelegt und ihn daran gelenkt haben, wäre die Perücke am Kopfe festgemacht gewesen – wie ein Gesträuch niederbog, um sein Hörrohr als ein zweites Rückgrat so stark und doch so behutsam über des Zwillings erstes zu legen, daß niemand komplizierte Frakturen davontrug als der Hörstab. – Darauf sagte er gute Nacht und empfahl ihm, sich links zu halten, um nicht irrezugehen....

– Hätte ich gewußt, daß diese Geschichte so viele Blätter überschatten würde, ich hätte sie lieber weggeworfen. Am andern Morgen stattete der unverschämte Matthieu einen Besuch beim Kreuzträger ab, an dessen Händen jetzt das vom Zorn reifgewärmte Chiragra glühte; er wollte – weil er jeden Tadel seiner Unverschämtheit mit einer größern beantwortete – die gichtbrüchigen Hände zu neuen Katzenpfoten machen, um frische Spaß-Kastanien aus dem Feuer zu nehmen. Aber der Apotheker, dessen Herz nur klein, aber doch nicht schwarz war, fühlte sich zu sehr gekränkt, und als Matthieu, über seine Klagen lachend und schweigend, von ihm ging, ohne sich nur die Mühe einer Entschuldigung zu geben: so schwur der Chiragrist, ihn – da haben wir wieder den Narren – zu stürzen.[904]

Tritt wieder auf, mein Viktor, ich sehne mich nach schönern Seelen, als dieses Gebrüder Narren da hat! – Niemand von uns lebt und lieset so in den Tag hinein, daß er nicht wüßte, in welcher biographischen Zeitperiode wir leben: es ist nämlich acht Tage vor Ostern, wo Zeusel auf dem Krankenbette und Klotilde auf dem Wege nach St. Lüne ist. – Flamin hinterbrachte unserm Viktor den Spaß mit dem kranken Zeusel. Er mißfiel ihm gänzlich, so wie ihn Schriften wie der Antihypochondriakus, das Vademekum oder die mündlichen Erzähler gedruckter Späße – die fadesten aller Gesellschafter – ekelten. Er konnte nie eine Tierhatze zwischen zwei Narren anlegen: nur der Entwurf eines solchen Schlachtstücks kitzelte seine Laune, aber nicht die Ausführung, so wie er Prügelszenen gern in Smollet (dem Meister darin) las und dachte, aber niemals sehen mochte. Sogar von den Körper-Bonmots und Hand-Pointen am fremden Leibe dacht' er zu geringschätzig, die ich doch den stummen Witz (wie stumme Sünden) nennen möchte, und die das wahre attische Salz kleiner Städte sind; denn wahrer Witz, dünkt mich, muß sich wie das Christentum nicht in Worten, sondern in Werken offenbaren. Er sah unsere Torheiten mit einem vergebenden Auge, mit humoristischen Phantasien und mit dem ewigen Gedanken an die allgemeine Menschennarrheit und mit schwermütigen Schlüssen an. Sobald er den bösen Punkt ausnahm, daß Zeusel sich jedem Edelmann zum Miettier so lange, bis ihn dieser zurückprügelte, vorstreckte, wie man in Paris Schoßhunde zum Spazierengehen mieten kann: so hatt' er gegen dessen Eitelkeit, da sie zumal in andern Fällen gutmütig, freigebig und oft sogar witzig war, wenig einzuwenden. Niemand ertrug Eitelkeit und Stolz liebreicher als er: »Was hat denn der Mensch davon,« sagt' er viel zu lebhaft, »wenn er kein Narr ist, oder wo soll er denn aufhören, demütig zu sein? Entweder zu gut oder gar nichts müssen wir von uns denken.«

Viktor stattete also bei seinem Hausherrn zugleich einen freundschaftlichen und einen ärztlichen Besuch mit seiner teilnehmenden Seele ab. Diese Gesinnung griff herrlich in den Plan des Apothekers ein, den Doktor anzuwerben, damit er gegen Matzen diene. »Dazu brauche ich nichts,« (sagte Zeusel zu Zeusel) »als daß ich[905] ihn die Intrigen, die das Schleunessche Haus gegen ihn spielet, sehen lasse, denn er ist ohne mich nicht raffiniert genug dazu.« Denn er hält überhaupt den Helden der Hundposttage – ders auch willig litt – ein wenig für dumm, bloß weil dieser gutmütig, humoristisch und gegen alle Menschen vertraulich war. In der Tat gab ihm das Leben in der großen Welt zwar geistige und körperliche Gewandtheit und Freiheit, wenigstens größere; aber eine gewisse äußere Würde, die er an seinem Vater, am Minister und sogar oft an Matthieu wahrnahm, konnt' er niemals recht oder lange nachmachen; er war zufrieden, daß er eine höhere in seinem, Innern hatte, und fand es fast lächerlich, auf der Erde ernsthaft zu sein, und zu gering, stolz auszusehen. Vielleicht konnten sich eben darum Viktor und Schleunes nicht leiden; ein Mensch von Talenten und ein Bürger von Talenten hassen einander gegenseitig.

Eh' ich dem Apotheker erlaube, alle Fäden des Schleunesschen Kanker-Gespinstes vorzuzeichnen: will ich nur erklären, warum Zeusel hierüber so allwissend war, und doch Viktor so blind. Dieser aber war es, weil er sich unter seinen Freuden auf das Erraten gleichgültiger oder schlimmer Leute gar nicht legte; er schwebte überhaupt wie ein Paradiesvogel immer in der Himmelluft, vom Schmutzboden abgetrennt, und flog, wie alle Paradiesvögel, der losen Federn wegen immer gegen den Wind; daher bekam er, aus Mangel an Verbindungen, die mündlichen Hofzeitungen erst, wenn alle Heiducken, die Lakaien der Pagen und die Einheizer sie schon schwarz gelesen hatten; – oft gar nicht. – Der Apotheker ist im entgegengesetzten Falle, weiler zwar die schlechten Augen, aber auch die guten Ohren eines Maulwurfs hat, und weil in der camera obscura seines ähnlichern Herzens sich leichter die Bilder der verwandten Kniffe malen; noch dazu setzt er zwei lange Hörröhre – zwei Töchter – an die Kabinette oder vielmehr an ihre Liebhaber an, die daraus kommen, und horcht durch die Röhre manches weg, was ich in dieser Lebensbeschreibung recht herrlich schon im dritten Heftlein nutzen kann. Es gibt Menschen – der war so –, die nur Nachrichten, ohne Interesse für den Inhalt, erhetzen wollen und Personalien ohne Realien, und die alle große Gelehrte, aber keine Gelehrsamkeit – alle große Staatsmänner,[906] aber keine Politik – alle Generale, ohne Liebe zum Kriege – zu kennen suchen persönlich und schriftlich.

Es kann sein, daß mancher feine Leser schon aus dem vorigen von dem, was Zeusel jetzt entdecken will, Wind hat. Ich gebe des Apothekers Darstellung in folgender verjüngten:

»Der Minister habe den Fürsten sonst niemals in sein Interesse ziehen können, selten in sein Haus; zwar hab' er zuweilen eine Tochter, die ihm gefallen konnte, zu vermählen nicht unterlassen; aber entweder das verschiedene Interesse des Tochtermanns war allemal dem seinigen ungünstig, oder auch der Einfluß Sr. Herrlichkeit (des Lords). Daher sei er mehr zu entschuldigen als zu verdammen, daß er die Partei des Schwächern ergriffen, nämlich die der verlassenen Fürstin, die doch allemal etwas sei, und welche ihre italienischen Künste vielleicht nur noch verdecke. Im ganzen genommen sei es also nicht unrecht, daß man die Fürstin, die viel Temperament habe, durch Matthieu an Schleunes' Haus zu knüpfen suche, worin man sich nach ihrer äußern Tugend-Grandezza geniere, indes man sie durch den Hofjunker über die Kälte ihres Gemahls beruhige.«...

Wenn sich der Leser das Schlimmste vorstellt: so begreift er Viktors ungläubiges Erstarren und Verfluchen; er ließ aber Zeuseln erst ausreden.

»Zum Glück habe Herr Hofmedikus dem Hause die Ehre erwiesen, oft hinzukommen; und die Schleunesschen werden ihn wahrscheinlich auf alle Weise zum öftern Geschenk seiner Besuche ermuntert haben, da er zumal dadurch auch den Fürsten eingewöhne. Er wisse hierüber allerlei von guter Hand.«...

Viktor erriet, was Zeusel aus Höflichkeit verschwieg – den Wink auf Joachime. »Sonderbar ists doch,« dacht' er, »daß mir mein Vater fast dasselbe schreibt! – Aber ein hübsches Gewirre von Absichten! ich machte bei meinen Absichten auf die Fürstin den Minister zu meinem Deckmantel, und er mich bei seinen auf den Fürsten zu dem seinigen.« – Das hätt' er ohne mich wissen sollen, daß böse Menschen die guten nie aus Liebe suchen, und daß Joachimens Herz nichts ist als ein Köder in der Hand des Ministers; aber dichterische Menschen, die immer die Flügel der[907] Phantasie aufspannen, werden, wie die Lerchen wegen ihrer ausgespreizten Flügel, sogar in Netzen festgehalten, welche die weitesten Maschen haben, wodurch sonst leicht ein glatter Vogelkörper glitte. – Nur noch ein Wort: warum betrug sich Viktor gegen die besten Menschen, gegen Klotilde, seinen Vater etc., feiner, anständiger und schöner als der beste Weltmann; und gegen mittelmäßige und schlimme benahm er sich doch so links: warum? – Weil er alles aus Neigung und Achtung tat, und nichts aus Eigennutz und Nachahmung; die Weltleute hingegen behaupten ein immer gleiches Betragen, weil sie es nie nach fremden Verdiensten, sondern nach eignen Absichten abformen. Daher gab ihm sein Vater auf der Insel unter den Lebenregeln – die überhaupt eine feine versteckte Weissagung von seinen Fehlern und Begebenheiten waren – diese mit: man begeht die meisten Torheiten unter Leuten, die man nicht achtet.

»Da nun Klotilde dem Fürsten gefalle: so werde dieser Matthieu, der um sie schon vor einigen Jahren geworben, sie zu seinen Eroberungen zu machen suchen, um durch sie viel wichtigere zu machen.«

Pfui! rief Viktors ganze Seele, jetzt seh' ich erst alle Stacheln der Dornenkrone, die auf dein Herz gedrücket wird, du arme Klotilde!

»Matthieu wäre längst mit seinen Heuratsanträgen weiter herausgegangen, hätt' er die gegenwärtigen Aussichten (eines – Ehebruchs) näher gehabt. Vielleicht sei auch Matthieu noch über die Zurückkunft ihres Bruders (Flamins, wegen ihrer verkleinerten Erbschaft) in Sorge, ob ihn gleich der Tod seiner Schwester (der beerbten Giulia) ein wenig entschädige. Daher liebe die Fürstin Klotilden, da deren Heurat mit Matthieu nur eine Sache des Interesse sei. Käm' es aber wirklich zu einer Vermählung, wie wahrscheinlich sei, da Matthieu sie schon durch Grobheit dem Kammerherrn abnötigen würde«.... (Es ist ein eigner Zug des Evangelisten, daß er gegen Schwache grob und oft gegen dieselbe Person rauh und wieder fein war) – »so könnte jener und Jenner sich im wechselseitigen Vergeben üben; und das Band der Freundschaft würde sich auf einmal um vier Personen in verschiedenen[908] Schleifen wickeln. Diese vierfache Verkettung risse dann keiner mehr auseinander, und alles ginge zum Teufel. Der einzige Maschinengott, der die Knüpfung dieses Knotens noch verhüten könnte, sei der – Herr Hofmedikus. Ihm versage Herr Le Baut vielleicht die Tochter nicht, da er ihr zum Hofdamenamt verholfen – ›welches damals, da ich mich Ihnen nicht deutlich erklären durfte, gerade meine wahre Absicht war, die Sie ebensogut errieten als ausführten‹ – und da das Schicksal des Sohns (Flamins, der nach der allgemeinen Meinung noch verschollen war) ja in den Händen Sr. Herrlichkeit stehe. Auch zweifle er am Gewinnen der Fürstin nicht, da er (der Doktor) bisher ihre Gunst besessen, und sie ihn dem Doktor Kuhlpepper vorgezogen. Durch den Verlust Klotildens und Agnolas wären den Schleunesschen die Flügel beschnitten.«...

Schurke! hätte hier Flamin geflucht; aber Viktor, der glaubte, diesen moralischen Staubbesen verdiene nur ein ganzes Leben, nie eine Handlung, und der mit der größten Unduldung der Laster eine zu große Duldung der Lasterhaften verband, dieser sagte, aber mit mehr Hitze, als man nun vermuten wird: »O du gute Fürstin! die deutschen Skorpionen sitzen um dein Herz und stechen es zur Wunde und gießen als Balsam Gift in die Wunde, damit sie niemals heile! – Abscheuliche, abscheuliche Verleumdung!« Viktor lobte und verfocht gern seine Freunde zu lebhaft – und zwar aus Neigung zum Gegenteil; denn da er bei seiner eignen Ehre die Belobbriefe seines Gewissens den Schandgemälden der Welt ruhig und stumm entgegensetzte, so wär's zwar seine Neigung gewesen, die Ehre seiner Freunde so kalt zu verteidigen wie seine eigne, aber es war Gehorsam gegen sein Gewissen, es (trotz dem Gefühle der Entbehrlichkeit) mit der größten Wärme zu tun.

so Das höfische und triumphierende Lächeln Zeusels war eine zweite Verleumdung; der Tropf hielt Viktor für ein Zifferblatt oder Stundenrad bei der Sache und sich für den Perpendikel. Daher sagte Viktor mit einem aus Wehmut und Stolz gemischten Unwillen: »Meine Seele erhebt sich zu weit über eure Hof-Kleinigkeiten, über eure Hof-Spitzbübereien, mich ekelt euer Kram unaussprechlich. – O du edler Geist in Maienthal!« – –[909]

Er ging mit durchschnittenem Herzen weg – der Nachtwächter, der ihn allemal im höhern Sinne an die Zeit und an die Ewigkeit dazu erinnerte, rief seines Lehrers Gestalt vor seine weinende Seele und – Klotilde mit ihren blassen Mienen kam mit und sagte: »Siehst du noch nicht ein, warum ich so bleiche Wangen habe und so schnell in das fromme Tal Emanuels ziehe?« – und Joachime tanzte vorüber und sagte: »Ich lache Sie aus, mon cher!« – und die Fürstin verhüllte ihr unschuldiges Gesicht und sagte aus Stolz: »Verteidige mich nicht!« –

Der Leser kann sich leicht denken, daß Viktor den Namen Klotilde für zu groß hielt, um ihn nur in einer solchen Nachbarschaft über die Lippen zu bringen – wie die Juden den Namen Jehova nur in der heiligen Stadt, nicht in den Provinzen auf die Zunge nahmen. Seine Seele heftete sich nun an den Nachflor seiner Liebe, an die von Zeuseln besprützte Agnola. Es war ihm erwünscht, daß gerade jetzo der Kaufmann Tostato aus Kussewitz ankommen mußte, um seine katholische Osterbeichte in der Stadt abzutun: er konnte bei ihm doch auf Verschwiegenheit über die Maskopei-Rolle in der Bude dringen, damit er der gemißhandelten Fürstin wenigstens den Schmerz über eine gutgemeinte Beleidigung, über die in die Uhr eingeklebte Lieberklärung, ersparte.

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Der Professor Hoffmann und seine Zeitschrift, worin er im Anfange der Revolution jeden freien Geist als Thronenstürmer gefangen nahm, ist freilich längst vergessen; aber man kann ja den nächsten neuesten deutschen Ultra statt seiner setzen.

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Daher war es in Athen erlaubt, die Götter zu verspotten, aber nicht zu verneinen.

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Emprosthotonus ist der Krampf, der den Menschen vorwärts krümmt – der Opisthotonus beugt ihn rückwärts.

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Siehe die Wochenschrift »Der Jude«, S. 380; z.B. nachdem Buch Lebusch Atteret Sahaph ist ein Mensch mit einem Tierkopf eine menschliche Erstgeburt, aber ein Insekt, ein ganzes Tier ist es nicht.

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Die Spinner nennen das Abfällige der Baumwolle so.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 1, München 1959–1963, S. 895-910.
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