Siebenter Zettelkasten

[126] Predigt – Schulaktus – prächtiger Irrtum


Der Konrektor bekam seine 135 fl. 4 T kr. 1/2 Pf. fränkisch, aber keine Antwort: der Hund blieb ohne Namen, sein Herr ohne Pfarre. Inzwischen verlief der Sommer, und der Dragonerrittmeister[126] hatte noch immer keinen geistlichen Hecht mit einem Kopf voll Passionsknochen aus dem Kandidaten-Besetzteiche ausgezogen und in den Streckteich der Hukelumer Pfarre geworfen: es tat ihm wohl, mit Suppliken behangen zu werden wie ein spanischer Schutzheiliger, und er zauderte (ob er gleich den Subrektor vozieren wollte) mit der Erhörung einer Supplik so lange, bis er siebenunddreißig Färbers-, Knopfmachers-, Zinngießerssöhnen die ihrigen auf einmal abschlagen konnte. Denn die jetzigen Lehrer des Christentums werden gern den ersten oder diesem selber ähnlich gewählt, das wie Venedig und Petersburg sich anfangs an Fischerhütten anbauete. Gönnet dem von Aufhammer die Verlängerung seiner Stimmfähigkeit zur geistlichen Parlamentswahl! Er weiß, daß ein Edelmann dem Timoleon gleicht, der seine größten Siege an seinem Geburtstage gewann, daß nämlich das Wichtigste, was er zu tun hatte, war, eine Freiherrin, Semperfreiin usw. zur Mutter zu nehmen. Man kann einen, der schon als Fötus in den Adelstand erhoben wird, noch besser mit der Spinnfliege vergleichen, die wider die Weise aller Insekten sich schon im Mutterleibe entpuppt und verwandelt. –

Aber weiter! Fixlein war jetzt doch nicht ohne Geld. Es wird so viel sein, als wenn ichs dem Leser schenkte, wenn ich ihm hinterbringe, daß er vom Legate, das den Gemeinschuldner abspeisete, noch 35 fl. übrig behielt als Allodium und Schatull-Geld, womit er sich kaufen konnte, was er wollte. Und wie kam er zu einer so bedeutenden Summe, zu einem solchen Kompetenzstück? – Bloß dadurch, daß er, sooft er ein großes Stück Geld in kleinere zersetzte, und überhaupt bei jeder Einnahme zwei, drei, vier Petermännchen unbesehen und blind unter die Papiere seines Koffers warf. Seine Absicht war, einmal zu erstaunen, wenn ers endlich aufsummierte und das Kapital erhöbe. Und beim Himmel! die erreichte er auch, als er bei der Thronbesteigung seiner Quintur diese Sparpfennige aus den Papieren zog und sie zu den Krönungskosten schlug. – Jetzt säete er sie wieder unter die Verbriefungen. Närrisch! Ich meine, hätt' er nicht glücklicherweise sein Legat bloßgestellt, da ers als positive Belohnung und Kuppelpelz für den Patronatsherrn ausbot: so hätt' ihn der Fehlgriff nach[127] dem Klopfer der hukelumischen Kirchentüre verdrossen; so aber erwischt' er doch, da er den Klopfer verfehlte, den Pelz wieder und konnte froh sein.

Jetzt schreite ich in seiner Geschichte weiter und stoße im Gestein seines Lebens auf eine so schöne Silberader, ich meine auf einen so schönen Tag, daß ich (glaub' ich) sogar den dreiundzwanzigsten Posttrinitatis, wo er doch seinem geliebten Vaterdorfe eine Vakanzpredigt vorhielt, hier nur leicht bestreifen werde.

An sich war die Predigt gut und herrlich und der Tag ein rechter Wonnetag; aber ich müßte überhaupt mehr Stunden übrig haben, als ich dem Mai abstehle, worin ich jetzt lebe und schreibe, und mehr Kräfte, als mir die Lustfahrten durch schöne Tage zu den Landschaftsgemälden derselben frei lassen, wenn ich mit einiger Hoffnung es versuchen wollte, von der Länge und Dicke der Saiten und ihren Vibrationen und den konsonen Verhältnissen derselben untereinander, die insgesamt an jenem Posttrinitatis seinen Herzohren eine Sphärenmusik machten, einen mathematischen Bericht abzustatten, der mir so sehr gefiele wie andern... Man verlang' es nicht! Ich denke, wenn ein Mann an einem Sonntage vor allen Frönern, die ihn sonst als den Kunstgärtners-Buben auf dem Arm hatten, ferner vor seiner Mutter, die ihre selige Zerfließung in die Gosse des Samt-Muffs ableitet, ferner vor seinem gnädigen Herrn, dem er geradezu befehlen kann, selig zu werden, und endlich vor seiner mousselinenen Braut, die schon selig ist, weil sie fast zu Stein darüber wird, daß dieselben Lippen küssen und predigen können, ich denke, sagt' ich, wenn ein Mann das leistet: so hat er wohl einiges Recht, vom Biographen, der seinen Zustand schildern will, zu begehren, daß er das – Maul halte, und vom Leser, der solchen nachempfinden will, daß er seines aufmache und selber predige. – –

Aber was ich ex officio malen muß, ist der Tag, wozu der Sonntag nur der Vorschabbes, die Vigilie und das Voressen war – nämlich der Vorschabbes, die Vigilie und das Voressen vor dem Martini-Aktus. Am Sonntag hielt er die Predigt, am Mittwoch den Aktus und am Dienstag die Probe. –

Der Dienstag soll jetzt der Welt beschrieben werden.[128]

Ich zähle darauf, daß ich nicht bloß von lauter Weltleuten gelesen werde, denen freilich ein Schulaktus nicht viel anders und besser als eine bischöfliche Investitur oder eine Frankfurter Krönungs-opera seria vorkömmt, sondern daß ich auch Leute vor mir habe, die auf Schulen waren, und die wissen, was sie vom Schuldrama eines Aktus und vom Maschinenmeister und von dem Komödienzettel (dem Programm) zu denken haben, ohne darum dessen Vorzüge zu übertreiben.

Eh' ich die Probekomödie des Martini-Aktus gebe, leg' ich mir selber als Dramaturg des Schauspiels auf, die Einladungsschrift des Konrektors, wenn nicht zu exzerpieren, doch zu registrieren. Er sagte darin manches und machte (welches einem Verfasser so wohltut) Vorschläge statt Vorwürfe und erinnerte, ob nicht bei den bekannten Donatschnitzern der Magnaten in Pest und Polen die Schulgebäude am besten als Kontumazhäuser gegen infizierende Barbarismen schirmten. Auch verteidigte er an Schulen, was zu verteidigen war (und nichts in der Welt ist süßer oder leichter als eine Defension), und sagte, Schulleute, die nicht ohne Unrecht gleich gewissen Höfen nur lateinisch mit sich sprechen ließen und selber sprächen, könnten die Römer vorschützen, deren Untertanen und deren Könige samt den Briefen und Verhandlungen der letztern sich des Lateins befleißigen mußten. Er verwunderte sich, warum nur die griechischen und nicht auch die lateinischen Grammatiken lateinisch abgefasset wären, und tat die auffallende Frage: ob denn die Römer, wenn sie ihre kleinen Kinder die lateinische Sprache lehrten, es in einer andern taten als in eben dieser? – Darauf ging er auf den Aktus über und sagte folgendes mit seinen eignen Worten:


»Ich bin willens, es in einer andern Einladungsschrift zu beweisen, daß alles, was über den großen Stifter unserer Reformation, den Gegenstand unserer heutigen Martini-Redeübungen, zu wissen und zu sagen ist, schon längst erschöpft worden, sowohl durch Seckendorf als andere. In der Tat kann von Luthers Personalien, von seinen Tischreden, Einkünften, Reisen, Kleidern usw. nichts Neues mehr vorgebracht werden, zumal wenn[129] es zugleich etwas Wahres sein soll. Indessen ist doch das Feld der Reformationsgeschichte, bildlich zu reden, bei weitem nicht ganz angebauet; und es will mir vorkommen, als müßte sich der Gelehrte noch heutiges Tages vergeblich nach echten, bis an unsere Zeiten reichenden Nachrichten von den Kindern, Enkeln, Kindskindern etc. dieses großen Reformators umsehen, die doch alle entfernter in die Reformationsgeschichte einschlagen, so wie er näher. Du drischest vielleicht nicht ganz, sagt' ich zu mir, leeres Stroh, wenn du nach deinen geringen Kräften diesen versäumten historischen Zweig hervorziehest und bearbeitest. Und so wagte ich es denn, mit dem letzten männlichen Nachkommen Luthers, nämlich mit dem Advokaten Martin Gottlob Luther, der in Dresden praktizierte und 1759 da verstarb, den Anfang einer speziellern Reformationshistorie zu machen. Mein schwacher Versuch über diesen zur Reformation gehörigen Advokaten wird belohnet genug sein, wenn er zu bessern Werken darüber ermuntert; das wenige aber, was ich von ihm aufgetrieben und gesammelt habe, ersuch' ich untertänig, gehorsamst und gehorsam alle Gönner und Freunde des flachsenfingischen Gymnasiums den vierzehnten November aus dem Munde sechs gutgearteter Peroranten anzuhören. Anfangs wird

Gottlieb Spiesglas, ein Flachsenfinger, in lateinischer Rede zu zeigen suchen, daß Martin Gottlob Luther überhaupt ein Schwertmagen des Doktor Luther gewesen. Nach ihm bemühet sich

Friedrich Christian Krabler aus Hukelum in deutscher Prosa den Einfluß zu bestimmen, den Martin Gottlob Luther noch auf die schon daseiende Reformation gehabt; worauf hinter ihm

Daniel Lorenz Stenzinger in lateinische Verse die Nachrichten von Martin Gottlob Luthers Prozessen und überhaupt die wahrscheinlichen der Advokaten um die Kirchenverbesserung zusammenfassen will; – welches sodann einem

Nikol Tobias Pfizmann Gelegenheit geben wird, französisch aufzutreten und das Wissenswürdigste aus Martin Gottlob Luthers Schuljahren, Universitätenleben und männlichen Jahren auszuheben. Und wenn nun

Andreas Eintarm in deutschen Versen die etwaigen Fehltritte[130] dieses Stammhalters des großen Luthers wird zu entschuldigen gesucht haben: so wird

Justus Strobel in lateinischen seine Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit im Advokatenstande nach seinen Kräften besingen; worauf ich selber den Katheder besteigen und allen Patronen der Flachsenfinger Schule gehorsamst danken und diejenigen Stücke aus dem Leben dieses merkwürdigen Dresdners noch anführen werde, von denen wir noch gar nichts wissen, weil sie sich für die Redner des nächsten Martini-Aktus g. G. aufsparen.«


*


Der Tag vor dem Aktus lieferte gleichsam die Probeschüsse und Aushängebogen des Mittwochs. Leute, die des Anzugs wegen vom großen Schulfest wegbleiben mußten, besonders Damen, erschienen Dienstags in den sechs Probereden. Niemand ordnet zwar bereitwilliger als ich den Probeaktus dem Mittwochsaktus unter, und mich braucht man am wenigsten erst aufzufodern, das Trommetenfest einer Schule gehörig zu würdigen; aber auf der andern Seite bin ich ebenso gewiß Überzeugt, daß einer, der Mittwochs nicht in den echten Aktus gegangen ist, sich etwas Glänzenderes als den Probetag vorher gar nicht gedenken könnte, weil er nichts hätte, womit er die Pracht vergleichen könnte, in der der Primas des Festes vor Damen und Ratsherren das an seinen Triumphwagen vorgelegte Gespann von Sechsen – um die sechs Gebrüder Redner Gäule zu nennen – einfuhr auf morgen. Lächle immer, Fixlein, Über das Anstaunen deiner heutigen Ovation, die dem morgendlichen Triumph entgegenfährt: auf deinem auseinanderfließenden Gesichte zuckt das glückliche, sich und den Weihrauch wiederkäuende Ich – aber eine Eitelkeit wie deine, und nur diese, die genießet, ohne zu vergleichen oder zu verschmähen, kann man erdulden, will man ernähren. Was aber über sein ganzes wächsernes Herz wie ein schmelzender Sonnenschein fiel, war seine Mutter, die es auf vieles Zureden gewagt hatte, sich in Bußtagskleidern ganz unten an die Prima-Flügeltüre demütig anzulegen. Es wäre schwer zu sagen, wer beglückter ist, ob die Mutter, die zusieht, wie der, den sie unter ihrem Herzen getragen,[131] die vornehmsten jungen Herren in halbseidenen Westen beordern und regieren kann, und die zuhöret, wie er samt ihnen lauter hohe Sachen sagt und auch versteht – oder ob der Sohn glücklicher ist, der, wie einige Helden des Altertums, das Glück hat, noch bei Lebzeiten seiner Mutter zu triumphieren. Ich habe niemals in meinen Schriften und Taten einen Stein aufgehoben gegen den sel. Burchardt Großmann, der in die Initialbuchstaben der Stanzen im Liede: »Brich an, du liebe Morgenröte.« seine Namenslettern verteilte, und noch weniger bewarf ich arme Kräuterweiber, die schon bei Lebzeiten ihren Leichenkattun ausplätten und 1/12 Dutzend Totenhemden für sich ausnähen. Ich halte auch den Mann nicht für weise – obwohl für recht klug und pedantisch –, der sich die Gallenblase voll ärgern kann, daß jeder von uns Blattminierern das Herzblatt, worauf er sich nagend herumschiebt, für einen Augarten, für einen fünften Weltteil ansieht wegen der Nähe und Weide, die Blattporen für Tempe-Täler, das Blätterskelett für einen Freiheits-, Brot- und Lebensbaum und den Tautropfen für die Flut. – Wir Tag-, Abend- und Nachtraupen fallen sämtlich in den nämlichen Irrtum, aber nur auf andern Blättern, und wer (welches ich tue) über die wichtige Miene lacht, mit der der Rektor Landesprogrammen, der Dramaturg Komödienzettel, ein Kennikottischer Varianten-Almosensammler Buchstaben aufkauft: der tut es, wenn er weise ist – wie hier der Fall ist –, mit dem Bewußtsein seiner ähnlichen Narrheit und lacht an seinem Nächsten nichts aus als die Menschheit und sich. –

Die Mutter war nicht zu halten: sie mußte diesen Abend noch fort nach Hukelum und Thiennetten nur wenigstens etwas berichten von dieser Herrlichkeit.

Jetzt wird die Welt hundert gegen eins wetten, daß ich nun biographisches Wachs nehmen und ein Wachsfigurenkabinett von dem Aktus selber bossieren werde, das einzig in seiner Art sei. – –

Aber Mittwoch morgens, als sich der hoffnungstrunkene Konrektor eben anzukleiden dachte: klopfte etwas an – –

Es war der bekannte Bediente des Rittmeisters, der die Vokation an den Subrektor Füchslein hatte. Zum letztern sollte der gute Mensch diesen Wildruf ins Pfarramt tragen; aber er distinguierte[132] elend zwischen Sub- und Kon-Rektor und hatte überhaupt seine guten Gründe, warum er zu diesem kam: denn er dachte: »Wer wills weiter kriegen, als der den vorigen Sonntag predigte und aus dem Dorfe her ist, und der ja mit unserer Fräulein Thiennette im Gerede ist und dem ich ja schon eine Uhr und die Zopfdukaten habe bringen müssen.« – Er stellte sich gar nicht vor, daß sein gnädiger Herr den leiblichen Paten übergehen könnte.

Fixlein las die Adresse der Bestallung: »An des Pfarrer Fixlein zu Hukelum Wohl-Ehrwürden.« Er mußte notwendig den Fehlgriff des Lakaien tun und die fremde Bestallung erbrechen als eigene; und da er noch dazu in der Vokation nur von einem Schul-Unterbefehlshaber (statt Subrektor) etwas fand, so mußt' er in seinem Irrtum verharren. Eh' ichs gut erkläre, warum der Gerichtshalter, der Former der Vokation, diese so dumm aufsetzte: wollen wir zwei, ich und der Leser, d.h. mehr Menschen, als je in einen Kirchensprengel gehen, uns bei Fixleins freudigen Springfüßen aufhalten – bei seinen dankbar-nassen Augen – bei seiner hämmernden Brust – bei seinen bringenden Händen, diesen Handhaben eines verschenkten Mußteils – beim Gratial von zwei Zopfdukaten, die er an den Infulträger so gern fahren lässet als den pädagogischen Zopf, der ihm nächstens auf der Kanzel abfället. – – Wußt' er wohl, was er denken sollte (vom Rittmeister) oder schreiben (an eben diesen) oder auftischen (für den Lakai)? – Zog er nicht Erkundigungen von dem gnädigen Befinden seines Wohltäters zu wiederholten Malen ein, ob ihm gleich der Bediente schon recht gut auf die erste geantwortet hatte? – Und wurde nicht dieser Mensch, der zum spottsüchtigen, achselzuckenden und achselträgerischen Menschen-Sortiment gehörte, durch die Freude, die er mitgebracht, endlich so gerührt, daß er sich auf der Stelle vornahm, dem Aktus des neuen Herrn Pfarrers. obgleich kein einziger vom Adel darin war, seine Gegenwart zu schenken? – Fixlein siegelte vorher die Dankadresse ein und hielt höflich beim Adelsbrief-Träger an, ihn oft in der Pfarre zu besuchen und heute bei seiner Mutter vorbeizugehen und ihr den Text zu lesen, warum sie gestern nicht geblieben sei, da sie heute[133] bei der Vokation durch seine gnädige Patronatsherrschaft hätte mit sein können.

Als der fort war, fing er vor Freude ordentlich an, skeptisch zu werden – und ängstlich, daher er das Vokations-Instrument, der Mauserei wegen, gut in den Koffer mit zwei Vorlegschlössern einsperrte (- und andächtig und weich, weil er Gott ohne Scheu für alles dankte, dessen ewigen Namen er sogar nie anders schrieb als mit Kanzleischrift und mit bunter Dinte, wie der jüdische Abschreiber diesen namenlosen Namen nur im Ornat und frischgewaschen schrieb34 – und taub wurde der Pfarrer), daß er kaum die Aktus-Schäferstunde schlagen hörte – und zerstreuet, weil eine schönere bei Thiennetten mit ihren Rosenstauden und ihrem Rosenhonig nicht aus seiner Seele wollte. Er, der schon das Glück, wenn es ihm ein schiefes Maul schnitt, so lange, wie Kinder einander, anlachte, bis er wirklich selber anfangen mußte zu lächeln – er flog jetzt gleichsam immer höher geschnellet auf einem Schwungbrette empor...

Aber vor dem Aktus wollen wir den Gerichtshalter verhören. Fixlein statt Füchslein schrieb er aus einer Unwissenheit in der Namen-Orthographie, die durch die Rechtschreibung des Testaments noch größer und natürlicher geworden war. »Von« diesen Ehrenbogen, durft' er nicht vor Füchsleins neuen Namen stellen, weils Aufhammer untersagte, der dessen ahnen-reine Abkunft anfiel und nicht bedachte, was überhaupt ein Edelmann sich zu getrösten habe, da schon Christus in seinem von Matthäus gefertigten Stammbaum vier bekannte – Huren zählt, die Thamar, Rahab, Bathseba und Ruth. Endlich hatte der Bestallungs-Macher die Unart Campens an sich, daß er alles verdeutschen wollte, was man erst nach der Verdeutschung nicht mehr verstand, als wenn ein Wort sich um eine bessere Naturalisationsakte zu bewerben hätte, als die ihm seine allgemeine Verständlichkeit erteilt. An und für sich ists doch einerlei – um so mehr, da alle Sprachen wie alle Menschen miteinander verschwistert und verschwägert sind –, ob ein Wilder oder ein Ausländer ein Wort erfand, ob es wie Moos unter den deutschen Wäldern aufwuchs oder wie Festungsgras[134] in den Pflastersteinen des römischen Forums. Der Gerichtshalter hingegen verfocht, es ist zweierlei, und ließ es seinen Parteien unverhohlen, daß Tagefahrt Termin bedeute und Appellieren Berufen. Daher zog er dem Wort Subrektor die fremde Livree Unterbefehlshaber an. Und diese Version vertierte auch den Schulherrn in einen Pfarrherrn: so sehr wächset unser bürgerliches Glück – nicht unser menschliches, sich auf unserem inneren Grund und Boden nährendes Wohlsein – bloß auf der Flugerde von Zufälligkeiten, Konnexionen, Bekanntschaften und der Henker oder der Himmel weiß von was. –

Bei Gelegenheit! Von einem Gerichtshalter würd' ich mehr Verstand erwarten, ich würde (ich kann mich irren) voraussetzen, er wisse, daß die Akten, die sonst (s. Hofmanns deutsche oder undeutsche Reichspraxis § 766) lateinisch ausgefertigt wurden, wie vor Joseph die ungarischen, heutzutage, wenn man es ohne Beleidigung sagen darf, vielleicht mehr deutsch als lateinisch geschrieben werden; und ich darf mich hierin auf ganze deutsche Zeilen steifen, die in den Reichs-Kammergerichts-Erkenntnissen stehen. Ich will aber nicht glauben, daß der Jurist darum, weil Inchhofer die römische Sprache für die Muttersprache des zweiten Lebens erklärt, sich von einem Dialekte loszumachen suche, durch den er so viel wie der römische Adler oder später der römische Fischreiger (der römische Stuhl) in seinen Adlers-Fängen entführte. – –

Man läute immerhin den Aktus ein, man ströme immer hinein: wer fragt darnach? Weder ich noch der Ex-Konrektor. Die sechs pygmäischen Ciceros wollen sich vergeblich vor uns in prächtiger Einkleidung ihrer Gedanken und Leiber vortun. Der Zugwind des Zufalls hat vom Aktus den Strahlen- und Pudernimbus weggeblasen, und der gewesene Konrektor hat eingesehen, wie wenig man sich mit einem Katheder brüsten könne (der nicht voll Schiffs-, sondern voll Gelbschnabel ist), und wie viel im Gegenteil mit einer Kanzel: »Ich hätte nicht gedacht,« (dachte er jetzt) »da ich Konrektor wurde, daß es noch etwas Größeres geben könne, ich meine einen Pfarrer.« Der Mensch hinter seiner ewigen Augen-Binde, die er nur anders färbt, und nicht dünner[135] legt, trägt seinen Stolz von einer Stufe zur andern und tadelt auf jeder höhern nur den Stolz auf der tiefern.

Das Beste am Aktus war, daß ihm der Regimentsquartier- und Metzgermeister Steinberger beiwohnte, emballiert in einen langen Schafspelz. Unter der Feierlichkeit warf der Subrektor Hans von Füchslein mehrere vergnügte und fragende Blicke auf den Schadecker Bedienten, der ihn gar nicht ansah: Hans hätte sich darauf totschlagen lassen, nach dem Aktus beruf' ihn der Kerl. Als endlich die sechs-hälsige kleine Hahnen-Voliere auf ihrem Miste abgekrähet hatte, d.h. peroriert: bestieg der amtierende Schuldiener, über den nun eine höhere Dienstfahne flatterte, selber die Bühne und stattete dem Scholarchat, dem Subrektorat, der Vormundschaft und der Herrndienerschaft seinen gehorsamen Dank für ihre Gegenwart ab, meldete ihnen aber mit wenigem dabei:

»Gott hab' ihn indes von seinem Posten zu einem andern abgerufen und ihm die Seelsorge über die Hukelumer Pfarrgemeinde so wie über das Schadecker imparochierte Filial unwürdigermaßen anvertrauet.«

– Diese kleine Anrede schoß dem Ansehen nach den zeitigen Subrektor Hans von Füchslein beinahe vom Sessel herab, und sein Gesicht sah vermengt aus wie roter Bolus, grüne Kreide, Rauschgelb und vomissement de la reine.

Der lange Quartiermeister richtete sich in seinem Pelze ziemlich auf und sumsete, in glücklichem Selbstvergessen, laut genug: »Der Daus! – Pfarrer??«

Der Subrektor fuhr wie ein Schwanzstern vor dem Bedienten vorbei, befahl ihm, er sollte bei ihm ein Billett an seinen Herrn mitnehmen, sprang nach Haus und setzte da an den Patronatsherrn, der daheim auf einen langen Dankpsalm aufsah, so gut er in der Eile konnte, eine kurze satirische Epistel auf und untermengte sie mit einigen Verbalinjurien.

Der Staatsdiener überreichte seinem Herrn miteinander Fixleins Dankgesänge und Füchsleins Invektiven. Der Dragonerrittmeister, aufgebracht über den Grobian und gebunden an sein Wort, das der Konrektor öffentlich im Aktus abgelesen, schrieb dem neuen Pfarrer zugleich die Verwechslung und die Ratifikation[136] derselben zurück – und Fixlein ist und bleibt nun zu unserer aller Freude ordentlicher wohlbestallter Pfarrer zu Hukelum.

Sein zurückgesetzter Nebenbuhler Füchslein hat noch den Trost, daß er im Wespenneste der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek mitsitzet. – Sollte einmal der Pfarrer sich in einen Autor verpuppen: so kann die Schlupfwespe herausfliegen und ihren Stachel in die Puppe drücken und ihre Brut an die Stelle des erstochenen Schmetterlings setzen. Da der Subrektor überall herumschlich und frei drohte, seinen Kollegen zu rezensieren: so wundere sich das Publikum nicht, daß es Fixleins errata und seine masorethischen exercitationes noch bis diese Stunde nicht in Händen hat.

Im Frühling macht das Gnadenjahr der Witwe seinen Sabbatsjahren Platz – und wie es da zugehen wird, wenn er unter einem Thronhimmel von Blütenbäumen die Braut Christi (die christliche Kirche) in die eine Hand nimmt, und seine eigne in die andere, das würde ohne einen achten Zettelkasten, der in diesem Falle ein wahres Schmuckkästchen und eine Regenbogenschüssel35 werden kann, sich niemand denken können als der Sponsus allein.

34

Eichhorns Einleit. ins A. T. 2. T.

35

Der Aberglaube nimmt an, auf der Stelle, wo der Regenbogen aufstehet, sei eine goldne Schüssel.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 4, München 1959–1963, S. 126-137.
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