98. Zykel

[544] Schoppe hatte sich vorgesetzt, um den Ritter – der den Abend halb an den Minister und halb an Wehrfritz in Blumenbühl verteilte – sich gar nicht zu bekümmern, sondern geradezu vor die Prinzessin Idoine mit der großen Bitte zu treten. Vorher wollt' er sich den Lektor dazu holen als Türhüter oder Billeteur der versperrten Hoftüren und als Bürgen seiner Worte. – Aber Augusti erschrak unbeschreiblich; er versicherte, das geh' unmöglich an eine Prinzessin und ein kranker Jüngling – und gar eine ridiküle Geister-Rolle u.s.w., und der eigne Vater seh' es ja schon ein. Schoppe wurde darüber ein aufspringendes Sturmfaß und ließ wenig Flüche und Bilder liegen, die er nicht gebrauchte über den menschenmörderischen Widersinn der Hof- und Weiber-Dezenz – sagte, diese sei so schön gebildet und so blutig quälend wie eine griechische Furie – sie binde an Menschen wie Köchinnen an Gänsen die Hals-Wunde nur nach dem Verbluten zu, damit sich die Federn nicht befleckten – und er sei so gut ein Courtisan, schloß er zweideutig, als Augusti und kenne Dezenz; »auch der Fürstin, die ihn doch so gern hat, darf ichs nicht vortragen?«[544] Augusti sagte: »Der Fall ist nicht verschieden.« – »Juliennen auch nicht?« – »Auch nicht«, sagt' er. – »Auch dem so satanischen Satan nicht?« – »Ein guter Engel ist doch dazwischen,« (versetzte Augusti) »den Sie wenigstens schicklicher als Vorbitter brauchen können, weil er dem Vliesritter von Cesara Verbindlichkeiten schuldig ist – die Gräfin von Romeiro.« – »O, warum nicht gar?« sagte Schoppe betroffen.

Der Lektor – unter die niemals eigenhändigen Menschen gehörig, die alles gern durch die dritte, sechste, fernste Hand nach einer der Fingersetzung ähnlichen Hände-Setzung tun – legte seine Bereitwilligkeit, ihn bei Linda einzuführen, und ihr Vermögen, in dieser »epinösen Affäre« zu wirken, dem Nachdenker näher vor.

Schoppe fuhr ungemein hin und her – schüttelte oftmals heftig den Kopf und stockte doch plötzlich – flog und schüttelte noch heftiger – sah mit scharfer Frage den Lektor an – endlich stand er fest – schlug mit beiden Armen nieder und sagte: »Der Donner und das Wetter hole die Welt! Nun gut, es sei! Ich will vor sie – – Himmel, warum bin ich denn Ihnen sozusagen so lächerlich, jetzt gerade, mein' ich?« – Gleichwohl hatte der höfliche Lektor das Lächeln der Lippen nur in das Lächeln der Augen versetzt. Auf Schoppes Gesicht stand die Wärme und Eile des Selbst-Siegers. Wie Menschen zugleich harthörig unter dem gemeinen Lebens-Getöse sein können und doch den feinsten musikalischen Lauten offen167: so waren Schoppens innere Ohren verhärtet gegen das Volks-Gepolter des allgemeinen Treibens, aber durstig zogen sie alle weiche, leise Melodien der heiligern Seelen ein.

Der Lektor – den Grafen weit herzlicher liebend als dieser ihn – nahm stürmisch den Bibliothekar sogleich mit fort ins Schloß, in weil eben jetzt die recht-erlesene Hof-Ferien-Stunde sei, von 4 1/2 bis 5 1/2 Schoppe sagte, er sei dabei. Im Schloß befahl Augusti einem Diener, der ihn verstand, Schoppen ins Spiegelzimmer zu führen. Er tats; brachte Lichter nach; und Schoppe ging langsam mit seinem verdrüßlichen Gefolge stummer flinker Spiegel-Urang-utangs auf und nieder, seiner Rolle und Zukunft nach[545] rechnend. Seltsam fühlt' er sich jetzt betroffen von seinem jungen, frischen Gefühl der bisherigen Freiheit, die er eben suspendierte; er erkannte sie an, hielt sie fest, sah sie an, sprach ihr zu: gehe nur ein wenig fort, rette ihn und dann komme wieder!

Seine eigne Vervielfältigung ekelte ihn: »Müsset ihr mich stören, ihr Ichs?« sagt' er, und er legte sichs nun vor, wie er stehe vor der reichsten, hellesten Minute und feinsten Goldwaage seines Daseins, wie ein Grab und ein großes Leben liege auf dieser Waage, und wie sein Ich ihm schwinden müsse wie die nachgemachten gläsernen Ichs umher. – – – Plötzlich flog ihn eine Freude an, nicht über den Wert seines Entschlusses, sondern über die Gelegenheit dazu.

Endlich gingen nahe Türen auf und dann die nächste. – Da trat mit noch halb zurückgewandtem Kopfe eine große Gestalt herein, ganz in lange schwarze Seide eingehüllt. Wie ein entzückter Mond auf hohen Laubgipfeln, stand auf der seidnen dunkeln Wolke ein üppig-blühender schmuckloser Kopf voll Leben vor ihm, mit schwarzen Augen voll Blitze, mit dunkeln Rosen auf dem blendenden Gesicht und mit einer thronenden Schnee-Stirn unter dem braunen Locken-Überhang. – Schoppen war, da sie ihn ansah, als liege sein Leben im vollen Sonnenschein, und er fühlte ängstlich, daß er sehr nahe an der Königin der Seelen stehe. »Herr v. Augusti« (fing sie ernst an) »hat mir gesagt, daß Sie eine Bitte für Ihren kranken Freund in meine Hände geben wollen. Sagen Sie mir solche klar und frei, ich werde Ihnen gern und bestimmt und offen antworten.«

Alle Rollen-Erinnerungen waren in ihm zu Boden gesunken und aufgelöst; aber der große Schutzgeist, der unsichtbar neben seinem Leben flog, stürzte sich mit feurigen Flügeln in sein Herz, und begeistert antwortete er: »Auch ich! – Mein Albano ist tödlich krank – er ist im Fieber seit gestern abends – er liebte das verstorbene Fräulein Liane – er ist auf die Greifgeier-Schwinge des Fiebers gebunden und wird hin- und hergerissen – er stürzt bei jedem Glocken-Aus klang auf die Knie und betet, dicht an der Glutseite der Phantasie liegend, immer heißer; erscheine mir und gib mir Frieden – er steht aufrecht und angekleidet auf dem hohen[546] Scheiterhaufen der phantastischen Kreis-Flammen und lechzet und brät und dorret sehr aus und krümmt sich nieder, wie ich wohl sehe.....«

»O, finissez donc!« (sagte die Gräfin, welche den Venus-Kopf schaudernd zurückgebogen und langsam geschüttelt hatte) »Fürchterlich! – Ihre Bitte!«

»Nur die Prinzessin Idoine« (sprach er, zu sich kommend) »kann sie erfüllen und ihn erretten, wenn sie ihm erscheint und ihm Frieden zusagt, da sie eine so nahe Ass- Kos-168, Kopie und Nebensonne von der Verstorbnen sein soll.« – »Ist das Ihre Bitte?« sagte die Gräfin. »Meine größte«, sagte Schoppe. »Hat Sie sein Vater hergeschickt?« sagte sie. »Nein, ich« – (sagt' er) »der Vater, damit ich klar und frei und bestimmt sei, will es nicht.«

»Sind Sie nicht der Maler des niesenden Selbst-Porträts?« fragte sie. Er verbeugte sich und sagte: »Ganz gewiß!« Als sie ihm geantwortet, in einer Stunde hör' er die Entscheidung, machte sie ihm eine kurze achtende Abschiedsverbeugung – und die einfache, edle Gestalt verließ ihn mitten in seinem trunknen Nachschauen; und er war unwillig, daß die kindischen Spiegel umher der einzigen Göttin so viele Nachschatten nachzuschicken wagten.

Zu Hause fand er zwar den Wahnsinnigen, dessen Ohren allein nur in der Wirklichkeit fortlebten, wieder auf den Knien vor dem sechsten Glockenschlage; aber seine Hoffnung blühte jetzt unter einem warmen Himmel. – Nach einer Stunde erschien der Lektor und sagte mit bedeutend-froher Miene: es gehe recht gut, er hole einen Ausspruch des Arztes über die Krankheit, und dann entscheid' es sich darnach.

Herr v. Augusti gab ihm mit hofmännischer Ausführlichkeit den bestimmtern Bericht: die Gräfin flog zur Fürstin, deren Achtung für den künftigen Reisegefährten sie kannte, und sagte ihr, sie würd' es in Idoinens Falle ohne Bedenken tun. – Die Fürstin bedachte sich ziemlich und sagte, hierüber könne nur ihre Schwester entscheiden – Beide eilten zu ihr, malten ihr alles vor, und Idoine fragte erschrocken, was sie für ihre Ähnlichkeit und ihre[547] wohlwollende Reise könne, daß man sie so tief in solche phantastische Verwicklungen ziehen wolle. – In dieser Sekunde trat Julienne blaß herzu und sagte, sie habe schon seit dem Morgen Nachricht davon, das Erscheinen sei einer so guten Seele Pflicht. – Da antwortete Idoine, sich und alles bedenkend und mit Würde: es sei gar nicht das Ungewöhnliche und Unschickliche, was sie schrecke, sondern das Unwahre und Unwürdige, da sie mit dem heiligen Namen einer abgeschiednen Seele und mit einer flachen Ähnlichkeit einen Kranken belügen solle. – Die Gräfin sagte, sie wisse darauf keine Antwort, und doch sei ihr Gefühl nicht dagegen – Alle schwiegen verlegen. – – Die gewissenhafte Idoine war im weichsten Herzen bewegt, das unter dem Gewichte einer solchen Entscheidung über ein Leben zitternd erlag. – Endlich sagte Linda mit ihrem Scharfsinn: »Es wird aber doch eigentlich kein moralischer Mensch getäuscht, sondern ein Schlafender, ein Träumer, und Einbildung und Lüge soll ja an ihm nicht bestärkt, sondern besiegt werden.« – Julienne nahm Idoinen mit sich, um ihr den Jüngling, den sie so wenig wie Linda gesehen, wahrscheinlich näher zu malen. – Bald darauf kam Idoine mit dem Ausspruche zurück:

»Wenn der Arzt ein Zeugnis gibt, daß ein Menschen-Leben daran hänge: so muß ich mein Gefühl besiegen. Gott weiß es,« (setzte sie bewegt dazu) »daß ich es ebenso willig tue als unterlasse, wenn ich nur erst weiß, was recht ist. Es ist meine erste Unwahrheit.«

Der Lektor eilte von Schoppe zum Doktor, um von ihm unter vielen Wendungen gerade das schicklichste Zeugnis mitzunehmen.

Schoppe wartete lange und ängstlich – nach 7 Uhr kam ein Blatt von Augusti: »Halten Sie sich bereit, Punkt 8 Uhr kommt die bewußte Person!« – Sogleich ließ er, um die Fieberaugen zu schonen, im Krankenzimmer statt der Wachslichter die magische Hänge-Lampe aus Beinglas brennen.

Den kranken Jüngling zündete er mit Geschichten von Wiedergekommenen noch stärker an und riet ihm, mit langen Feuergebeten vor der festen Todespforte zu knien, damit Ihr milder,[548] barmherziger Geist sie aufreiße und ihn auf der Schwelle heilend berühre.

Kurz vor acht Uhr kamen in Sänften die Fürstin und ihre Schwester. Schoppe wurde selber schaudernd von dieser auferstandnen Liane ergriffen. Mit funkelndem Auge und versperrtem Munde führt' er die schönen Schwestern in die Kulisse, auf deren Bühne draußen sie schon den Jüngling beten hörten. Aber Idoinens zarte Glieder zitterten vor der ungeübten Rolle, worin ihr wahrhafter Geist sich verleugnen sollte; sie weinte darüber, und der fromme schöne Mund war voll stummer Seufzer; oft mußte die Schwester sie umarmen, um ihr Mut zu machen.

Die Glocke schlug – fürchterlich-heiß flehte der Wahnsinnige drinnen um Frieden – die Zunge der Stunde gebot – Idoine schickte einen Blick als Gebet zu Gott. – Schoppe öffnete langsam die Türe. –

Drinnen kniete mit gen Himmel gehobnen Armen und Augen ein schöner, in der magischen Dunkelheit blühender Göttersohn im eisernen Zauberkreise des finstern Wahnsinus und rief nur noch: »O Frieden, Frieden!« – Da trat die Jungfrau begeistert wie von Gott gesandt hinein; weißgekleidet wie die Verstorbne im Traumtempel und auf der Bahre, mit dem langen Schleier an der Seite, aber höher gestaltet, weniger rosenfarb und mit einem schärfern, hellern Sternenlicht im blauen Äther des Auges und ähnlicher der Liane unter den Seligen und erhaben, als komme sie als ein verjüngter Frühling von den Sternen wieder, so trat sie vor ihn – sein greifender Flammenblick erschreckte sie – leise und wankend stammelte sie: »Albano, habe Frieden!« – »Liane?« stöhnte seine ganze Brust, und seine weinenden Augen bedeckte er darniedersinkend. »Frieden!« rief sie stärker und mutiger, weil sie nicht mehr sein Auge traf und irrte; und sie entwich, wie ein überirdischer Geist die Menschen wieder verlässet.

Die Schwestern schieden still und voll hoher Erinnerung und Gegenwart. Schoppe fand ihn noch kniend, aber entzückt dahinblickend, ähnlich einem im Sturm erkrankten Schiffer auf den tropischen Meeren, der nach langem Schlaf an einem stillen rosenroten Abend die Augen aufschlägt vor dem brennenden Untergang[549] der Sonne – und die schlagende Wellen-Bahn wallet als ein Rosen- und Flammenbeet in die Sonne, und das sprühende Gewölk zerspringt in stumme Feuerkugeln – und die fernen Schiffe schweben hoch im Abendrot und schwimmen fern über den Wogen. – So war es dem Jüngling.

»Ich habe nun meinen Frieden, guter Schoppe,« (sagt' er sanft) »und nun will ich in Ruhe schlafen.« Verklärt, aber blaß stand er auf, legte sich auf das Bette, und in wenig Minuten sank das matte, so lange im heißen Fieber-Sande watende Gemüt auf die frische, grüne Rasenbank des Schlummers nieder.

167

z.B. der Kapellmeister Naumann.

168

Er wollte Assonanz und Kosekante sagen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 544-550.
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