29. Zykel

[144] Als Sphex dem Bibliothekar die Stube auftat, war solche schon besetzt von einer Kiste (auch aus Italien angelangter) Vipern, von 3/4 Zentner Flachs, einem bleichen Reifrocke und von drei durchbohrten Seidenschuhen der Doktorin samt einer Weife und einem Vorrate von Kamillenkraut; das medizinische eheliche Paar hatte gedacht, das pädagogische niste beisammen. Aber Schoppe versetzte recht gut und fast mit einiger Ironie gegen den vornehmer traktierten Augusti: »Je kräftiger und geistreicher und größer zwei Menschen sind, desto weniger vertragen sie sich unter einem[144] Deckenstück, wie große Insekten, die von Früchten leben, ungesellig sind (z.B. in jeder Haselnuß sitzt nur ein Käfer), indes die kleinen, die nur von Blättern zehren, z.B. die Blattläuse, nesterweise beisammenkleben.« – Zesara hätte allerdings an seinem unersättlichen Herzen den Geliebten, den ihm das Geschick darangelegt hätte, unaufhörlich in jeder Lage und Stunde wie einen Waffenbruder behalten wollen; aber Schoppe hat recht. Freunde, Liebende und Eheleute sollen alles gemein haben, nur nicht die Stube; die groben Forderungen und die kleinlichen Zufälle der körperlichen Gegenwart sammlen sich als Lampenrauch um die reine weiße Flamme der Liebe. Wie das Echo immer vielsilbiger wird, je weiter unser Ruf absteht, so muß die Seele, aus der wir ein schöneres begehren, nicht zu nahe an unsrer sein; und daher nimmt mit der Ferne der Leiber die Nähe der Seelen zu.

Der Doktor ließ seine lauten Kinder als einen ausräumenden Strom in die Augiasstube laufen; er aber ging wieder zum Trommler hinunter, mit dem es nach seiner Erzählung diese Bewandtnis hatte: Sphex hatte schon vor mehrern Jahren besondere Vermutungen über die Fett-Absonderung und den Durchmesser der Fett-Zellen in einem Traktate gewagt, den er nicht eher herausgeben wollte, bis er die anatomischen Zeichnungen dazu konnte stechen lassen, mit denen er auf die Sektion und Ausspritzung des dasitzenden Trommlers wartete. Diesen kranken, einfältigen, schlaffen Menschen, Ma: mit Namen, hatt' er vor einem Jahre, als sich einige Fett-Augen auf ihm ansetzten, unter der Bedingung in die Kost genommen, daß er sich zerlegen ließe, wenn er verstorben wäre. Zum Unglück findet Sphex seit geraumer Zeit, daß der Kadaver täglich abfället und eindorret aus einem Aale zu einer Hornschlange; und es ist ihm unmöglich, herauszubringen, was es macht, da er ihm nichts Aussaugendes zulässet, weder Denken noch Motion noch Passionen, Empfindsamkeit, Essig noch sonst etwas.

Die Trommel muß der Kadaver – da er ebenso harthörig als hartsinnig ist und schon darum keine Vernunft annimmt, weil er keine hört – immer umgehangen tragen, weil er unter ihrem Rühren besser vernimmt, was sein Brotherr und Prosektor an[145] ihm aussetzt40. – Der Doktor filzte ihn nun drunten – Schoppe hörte zum Fenster hinab – so aus: »Ich wollte, der Teufel hätte lieber Seinen verdammten seligen Vater geholet, als daß er gestorben wäre. Er schießet ja über Sein Lamentieren ein wie Soldatentuch und weckt ihn doch nicht auf, und wenn Er sich die Nase wegweinte. Besser getrommelt, Kahlmäuser! – Weiß Er denn nicht, Schuft, daß Er mit einem andern einen Kontrakt gemacht, ins Fett zu wachsen, so gut Er kann, und daß man den Brotdieb kostbar ernährt, bis er brauchbar wird? – Andere würden gern fett, wenn sie's hätten. – Und Ihr! – Redet, Strick!« Malz ließ die Trommelstöcke unter die Schenkel niederklappen und sagte: »Sie haben recht Seine Not mit mir – es ist kein rechter Segen bei unserm Schmalz – und darüber mergelt sich unsereiner im stillen ab. – Meinen Vater sel. schlag' ich mir wahrhaftig aus dem Kopfe, er mag mir einfallen, wenn er will.«

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Derham (in seiner Physiko-Theologie 1750) bemerkt, daß Taube unter dem Getöse am besten hören, z.B. ein Harthöriger unter dem Glockengeläute; eine taube Wirtin unter dem Trommeln des Hausknechts. Daher wird vor Fürsten und Ministern, die meistens schlecht hören, Musik-, Pauken- und Kanonen-Lärm, wenn sie durchpassieren, geschlagen, damit sie das Volk leichter hören.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 144-146.
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