§ 40
Der Hanswurst

[160] Zum Übergang vom dramatischen Komus zum lyrischen find' ich keinen bessern Zwischengeist und Zwischenwind als den Hanswurst. Er ist der Chor der Komödie. Wie in der Tragödie der Chor den Zuschauer antizipierte und vorausspielte und wie er mit lyrischer Erhebung über den Personen schwebte, ohne eine zu sein: so soll der Harlekin, ohne selber einen Charakter zu haben, gleichsam der Repräsentant der komischen Stimmung sein und ohne Leidenschaft und Interesse alles bloß spielen, als der wahre Gott des Lachens, der personifizierte Humor. Daher, wenn wir einmal ein bestes Lustspiel erhalten, wird der Verfasser sein komisches Tierreich mit dem schönsten Schöpfungstage segnen und den Harlekin als den besonnenen Adam dazu erschaffen.

Was diesem guten Choristen den Einlaßzettel für die Bühne nahm, war nicht die Niedrigkeit seines Spaßes – denn dieser wurde bloß in mehre Rollen ausgeschrieben für das restierende Personale, besonders für die Bedientenstube, in welche unsere Schreiber ihre Unkenntnis des Herren-Komus verstecken –, sondern erstlich wirkte die Schwierigkeit eines solchen Humors mit ein113 (insofern er mit den höhern Forderungen der Zeit aufsteigen mußte), zweitens Harlekins unedle Geburt und Erziehung. Schon ehrlos, in beschorner Sklavengestalt bei den rohen Römern, wie noch bei dem Pöbel, als bloßer Schmarotzer114, der mehr Spaß ertrug als vortrug, um nur zu essen – und darauf als ähnlicher Tisch-Narr, der mehr die Scheibe war als der Schütze, mehr passiv- als aktiv-komisch, nur daß er an den Höfen, wo der Hofnarr als umgekehrter Hofprediger oder als der Wochen-Koadjutor desselben hinter gleichem Schirme über dieselben Texte, nur in mehren Rockfarben predigen durfte – da war seine zufällige Erscheinung immer so, daß der sittliche Schmerz über einen solchen Menschen-Verbrauch – nur den Römern erfreulich, die zum[160] Spaße auf Bühnen wahre Kriege aufführten und wahre Torturen nachspielten – durch die Ausbildung das Übergewicht über die Freude gewann, welche der komische Geist austeilte, und daß man daher den Gegenstand des Mitleidens mehr als des Mitfreuens lieber hinter die Kulissen trieb. – Aber könnte nicht eben darum Harlekin wieder tafel- und bühnen-fähig werden, wenn er sich ein wenig geadelt hätte moralisch? Ich meine, wenn er bliebe, was er wäre im Lachen, aber würde, was einmal eine ganze Mokier-Sekte von Pasquinen war im Ernste? Nämlich frei, uneigennützig, wild, zynisch – mit einem Worte, Diogenes von Sinope komme als Hanswurst zurück, und wir behalten ihn alle.

Um aber feinere Seelen an der Pleiße, die ihn wegschwemmte, nicht durch die Aufhebung dieses Edikts von Nantes selber wieder zu vertreiben, muß dieser Mensch durchaus den Küchennamen Hanswurst, Pickelhäring, Kasperl, Lipperl fahren lassen. Schon Skapin oder Truffaldino ist vorzuziehen. Doch möcht' er sich uns mehr als ein sedater Mann von Gewicht und Scherz darstellen, wenn er einen oder den andern Namen – weil sie unbekannt sind und spanisch –, entweder Cosme oder Gracioso annähme; wiewohl ein Deutscher noch lieber wünschen wird, daß man den guten Hofnarren oder courtisan bei einem deutschen Namen erhielte, den er wirklich schon führt, und ihn nicht anders nennte als (veredelt) – indem man kurzweilig wegstriche, besonders da alle andere Räte eben Beinamen haben, z.B. Kammer-, Hof-, Legations-u.s.w. –Rat. Sogar in Leipzig müßte ein Hanswurst geduldet werden unter dem Namen Rat.

113

In Shakespeare haben die Narren oder Rüpel in den eigentlichen Komödien mehr Witz als Laune aber in den ernsten Stücken tritt aus komischen Mitspielern die Laune bis zum Humor hervor.

114

Der Parasit der Alten ist der Harlekin, nach Lessings Vermutung.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 160-161.
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