An Gott

bei dem Ausruf des Friedens

[129] Den 5. März 1763.


Was hör ich? rauschen goldne Flügel?

Posaunet in zertheilter Luft

Ein Seraph, welcher über alle Grabeshügel

Daher fährt, und die Todten ruft?


Was reisset mich empor? Ich fühle

Den nahen Himmel; bin ich schon

Hoch über der Gebürge Gipfel, über Stühle

Der Zepterführer weggeflohn?


Hör ich, Du Gott der Erdengötter

Dich loben durch den ganzen Raum

Der neuen Schöpfung, selbst von Deines Glanzes Spötter,

Der Deine Wunder nannte Traum?
[129]

Erblick ich Myriaden Sterne

Um Deines Sonnesthrones Fuß?

Hellleuchtend, daß davor ich zitternd in der Ferne

Mein Angesicht bedecken muß?


Horch ich erstaunt dem hohen Liede,

Der Sänger Deines Namens zu?

Gott, welch ein Saytenspiel! es tönet Friede! Friede!

Und Kronengeber, den giebst Du!!


Du lässest Deinem Volke wieder

Die Ruhe schmecken, rufest laut

Uns aus dem Schmerzensschlaf zum Jubel neuer Lieder

Bei den Altären, Dir gebaut.


Wir lagen, gleich den Blumenstengeln,

Wenn sie der Nordost niederbeugt;

Du hebst uns auf, und hörst dein Lob von allen Engeln,

Wenn unsre stumme Freude schweigt.
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Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 129-131.
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