Sr. Hochfürstl. Durchlaucht dem

Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel,

im Königlichen Garten zu Schönhausen unterthänigst gewidmet

[57] Den 4ten September 1769.


Du großer Ferdinand, ich brannte Dich zu sehn

Dort wo die Königinn jezt wohnet

Und mußte mit Gesang erst zu dem Gotte flehn,

Der durch Gesundheit Deine Tugenden belohnet.


»Sohn des Apollo, (rief mein ängstlich bittend Lied)

O mache mich gesund, verstatte

Daß bald mein Auge den berühmten Guelfen sieht

Der deines Vaters Schutz in Kriegsgefahren hatte.«
[57]

Da half mir Aesculap, des Fiebers Tück und Macht

Entwich vor einem seiner Blicke;

So wich vor Deinem Blick in mehr als einer Schlacht

Aus Deinen Kriegern Furcht und Zagemuth zurücke.


Ich fand mich stark genug, und flog dem Garten zu,

Wo Deine Schwestern Dich genossen;

Und sahe Dich, und sprach: O Muse, sage du,

War diese lichte Stirn mit Heldenschweiß umflossen?


Hat dieses Augenpaar, worinnen Liebe sitzt,

Und Freundlichkeit und holde Güte

Dem Feinde Schrecken in sein stolzes Herz geblitzt,

So, daß er waffenlos vor seinem Sieger kniete?


Die Muse lächelte und sprach: »Ist nicht Apoll

Auch freundlich auf des Tages Wagen,

Und schrecklich wenn er zürnt, und seinen Köcher voll

Mit Todespfeilen auf der Schulter pflegt zu tragen?«
[58]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 57-59.
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