Ueber die Vergleichung

[250] An Nanntchen.


Den 5. Okt. 1779.


Laß Dich bey Leibe nicht vergleichen

Mit meiner Kleinigkeit,

Ich lief nur unter Haselsträuchen

In früher Jugendzeit,

Wenn unter einer Bacchuslaube

Dein zartes Füßchen ging,

Wo Dir die schönste Purpurtraube

Ins Rosenmäulchen hing –

Ich kannte nur die Nachtigallen;

Kein buntes Papchen ließ

Im Hause meinen Namen schallen,

Fürs Futter fein und süß.

Mein Sopha war nur Wiesenerde:

Da schwatzete mein Mund

Mit Blumen und mit meiner Heerde,

Die trieb ich ohne Hund.

Mir horchten auf ein Wort drey Rinder,

Wie Dir Fidelchen Boll,

Ich pflegte meiner Mutter Kinder,[250]

Wenn Du von Liebe voll

Auf Deinem Schoße Zuckerküchlein

Dem Kläffer gabst, und ihn

Das Maul mit einem seidnen Tüchlein'

Verstopftest, weil es schien,

Daß er Mamachen wecken möchte –

Du warst geboren reich;

Ich bin vom Ackerbaugeschlechte,

Darum ist ein Vergleich

Nie zwischen Dir und mir zu machen.

Du singst dem Mann allein,

Bist groß, kannst über Fürsten lachen;

Ich darf so stolz nicht seyn!

Doch dring ich nicht auf Marmorstufen

An karger Fürsten Ohr:

Der König selber ließ mich rufen

Nach Sanssouci empor,

Ob er gleich nicht das Deutsche liebet;

Und was kann ich davor,

Daß Ferdinand mir Antwort giebet,

Der große Ferdinand!

So vielmal Ihm mein Herz geschrieben,

Von aller Haabsucht rein:

Er muß bey hohen Heldentrieben

So stolz wie Du nicht seyn.
[251]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 250-252.
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