[40] Ein Idyll
Bey der Vermählung des jungen Grafen von Stollberg-Wernigerode.
Dorimön.
Du Wonne meiner jungen Tage,
Du Leben meines Lebens, sage,
Wie diese Hütte dir gefällt?
Amariette.
Wie einer von den Erdgöttinnen
Der allerhöchste Thron der Welt!
Dorimön.
Mein Vater wohnete darinnen
Viel schöne Sommer lang, und fand
Vergnügen dran, mit eigner Hand[41]
Die zarten Bäume zu begießen,
Die dazumal von mir sich noch umspannen ließen,
Und nun so hoch empor gestrebt;
Hier hat mein Vater froh gelebt,
Wie in dem seligen Gefilde
Der erste Mensch mit seiner Braut.
O! du nach eines Engels Bilde
Für mich so liebenswerth gebaut,
Hier will ich leben, dir zur Seite,
So glücklich wie der erste Mann.
Amariette.
Hier geb ich dir durch Blumen das Geleite
Vom kunstgepflanzten Garten an
Bis in die wilden Rosenhecken.
Dorimön.
Der Laube grünes Dach soll dich und mich verstecken,
So oft der Mittag glüht, hier will ich Rosenduft
In langen Zügen geizig trinken,
Und wenn aus ungepaarten Finken[42]
Die bange Liebe lockend ruft,
Und wenn die Nachtigallen klagen,
Daß Fels und Hügel Antwort giebt,
Dann will ich im Entzücken sagen:
Ich bin geliebt, geliebt, geliebt!
Amariette.
Und ich will mich von deinem Busen stehlen
Des Morgens, wenn aus Lerchenkehlen
Das erste Lied gen Himmel tönt;
Ich will die schönsten Blumen pflücken,
Den kleinen Altar auszuschmücken,
Den deine Mutter oft gekrönt
Mit Rosen und mit Rebenranken;
Dann wecket dich mein sanfter Kuß,
Dann folgst du meinem Wink und kniest mit mir am Fuß
Des Opferheerdes, dem zu danken,
Der alle Menschen werden hieß,
Und über unsern Häuptern Sonnen[43]
Und um uns her die Flur entstehen ließ,
Und dich erschuf, den ich so zärtlich lieb gewonnen,
Dich meines Herzens süßen Freund;
Dann beten wir und loben mit einander
Den guten Gott, der uns vereint,
Und unser Lob steigt an einander
Gleich zweyen Flammen hoch empor,
Und unser Lob erreicht sein Ohr.
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