Ode auf die Geburt des jungen

Prinzen von Preußen

[44] Meine Seele taumelt, nicht berauscht vom Weine,

Im bemoosten Fasse hergebracht vom Rheine,

Oder übers Meer gesandt;

Wonnetrunken bin ich, mich erfüllen deine

Freuden, liebes Vaterland.


Alle Kinder jauchzen, alle Greise glühen;

Friedrich, dein Erhalter, wiegt auf seinen Knieen

Diesen königlichen Sohn,

Den er dir zum Herrscher weislich wird erziehen,

Und der Zögling lächelt schon,
[45]

Denn er scheint zu horchen, was sein Lehrer saget,

Der ihn zärtlich küßet, und ihn freundlich fraget:

Ob er künftig sich bestrebt,

Daß er über alle seine Väter raget,

Die bisher berühmt gelebt.


Liebling meines Herzens, spricht der große Weise,

Wie der müde Wandrer schmachtend Trank und Speise,

Wie der Steuermann den Rand

Tiefer Fluten wünschet auf der weiten Reise:

Also wünschte dich das Land.


Heil mir, daß du kamest! Heil sey deiner keuschen

Jugendlichen Mutter, die das Sehnsuchtsheischen

Meines Volkes hat gestillt!

Du wirst meine Hofnung nimmer nimmer täuschen;

Sie wird ganz in dir erfüllt.
[46]

Früh wirst du erkennen, daß man auf der Erde

Durch die Tugend jenem Herrscher ähnlich werde,

Dessen Herrschaft ewig ist;

Und daß du dem Hirten bey der kleinsten Heerde

Deine Güte schuldig bist.


Deine höchste Wollust wirst du mit Entzücken

In der Uebung finden, Menschen zu beglücken,

Und dafür geliebt zu seyn.

Keinem, als dem Schmeichler, wirst du zornig blicken,

Und ihm nie dein Ohr verleihn.


Also redet Friedrich, seine Thränen feuchten

Diese Stirne, welche dermaleinst wird leuchten

Ueber dich voll Gnad' und Huld.

Wohl uns, daß wir unsrer Wünsche Ziel erreichten

Nach so langer Ungeduld.
[47]

Die verlebten Männer nebst den grauen Müttern,

Sprechen: Wohl euch, Enkel! Eure Kinder zittern

Nie vor dem Erobrungsgeist!

Keine Donner werden diesen Thron erschüttern;

Dieser Thron wird nie verwayst!


Töchter, streuet Blumen, bringet Opfergaben

Um die goldne Wiege; kleine muntre Knaben

Macht ein Singechor, und sprecht:

O! du sollst zum Opfer unsre Herzen haben,

Kind vom göttlichen Geschlecht!

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Neue Gedichte, Mietau und Leipzig 1772, S. 44-48.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Die vorliegende Übersetzung gibt den wesentlichen Inhalt zweier chinesischer Sammelwerke aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert wieder, die Aufzeichnungen über die Sitten der beiden Vettern Dai De und Dai Schen. In diesen Sammlungen ist der Niederschlag der konfuzianischen Lehre in den Jahrhunderten nach des Meisters Tod enthalten.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon