Fahrewohl

[58] Den Linden ist zu Füßen tief

Das dürre Laub geblieben;

Am Himmel steht ein Scheidebrief

Ins Abendrot geschrieben.


Die Wasser glänzen still und kühl,

Ein Jahr ist drin ertrunken;

Mir ist ein schauernd Grabgefühl

Ins warme Herz gesunken.


Du schöne Welt! muß wohl ich bald

In diese Blätter sinken,

Daß andres Herz und andrer Wald

Die Frühlingslüfte trinken?


Wenn du für meines Wesens Raum

Ein Beßres weißt zu finden,

Dann laß mich aus dem Lebenstraum

Rasch und auf ewig schwinden!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 58-59.
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