Die Mitgift

[69] Ich ging am grünen Berge hin,

wo sich der Weih im Äther wiegt

Und reisemüd der Sonnenstrahl

ausruhend auf der Quelle liegt,

Wo wilde Rosen einsam blühn,

die Föhre hoch den Gipfel kränzt

Und drüberhin noch eine Burg

von weißen Sommerwolken glänzt.


Und wie in solcher Weihezeit

der Herr der Welt schon zu mir trat,

Erschien er jetzo in des Bergs

noch frisch ergrünter Eichensaat;

Der jungen Stämme schlanke Schar

umschwankte säuselnd seine Knie,

So groß und herrlich ging er her

vor meiner regen Phantasie!


Sein Haupthaar war wie Morgengold

und wallte gar so reich und schwer,

Und in den klaren Augen ruht'

ein ätherblaues Liebemeer;

Ein Regenbogen gürtete

sein Kleid mit edler Farbenlust;

Er trug 'nen duft'gen Blütenstrauß

von jungen Linden an der Brust.


Es traf mich seiner Augen Licht

wie wolkenlos ein Tag im Mai,

Und als er meinen Namen sprach,

erhob mein Haupt ich stolz und frei.[70]

Ich wuchs und rankte rasch empor,

daß ich mir selbst ein Wunder schien,

Und wandelte mit leichtem Schritt

an Gottes hoher Seite hin.


Und nun erzählte plaudernd ich

dem Herrn mein irdisch Tun und Sein;

Doch alles dies besteht ja nur

in dir, du gutes Kind, allein!

Aus vollem Herzen sprach ich drum

von dir, von dir die ganze Zeit;

Er aber spiegelt' lächelnd sich

in meiner frohen Seligkeit.


Dann trug ich ihm auch klagend vor,

wie ich so sehr ein armes Blut,

Und bat darauf um Haus und Hof,

um Tisch und Schrein, um Geld und Gut,

Um Garten, Feld und Rebenland,

um eine ganze Heimat traut,

Darin ich dich empfangen könnt

als myrtenschöne Schleierbraut.


Es mußte doch einmal geschehn,

drum schilt mich nicht und werd nicht rot!

Hör an, was mir der Herr für dich

für eine wackre Mitgift bot!

Er sprach: »Zuwenig und zuviel

hast du verlangt, mein lieber Sohn!

Drum tu ich dir noch viel dazu

und nehm ein wenig auch davon.


Nicht Haus und Hof verleih ich euch,

doch meine ganze große Welt,[71]

Darinnen ihr euch lieben könnt,

wie's euren Herzen wohlgefällt;

Zwei jungen Seelen ist zu eng

das größte Haus, sei's noch so weit;

Doch finden sie noch eben Raum

in meiner Schöpfung Herrlichkeit.


Der ganze Lenz soll euer sein,

so weit nur eine Blume blüht,

Doch nicht das allerkleinste Land,

um das sich eine Hecke zieht.

Kein Prunkgetäfer geb ich euch,

kein Silberzeug, kein Kerzenlicht,

Weil sich ob Silberbronnenglanz

Goldstern an Stern zum Kranze flicht.


Und alles soll besonders blühn

für euch und schöner, wo ihr geht,

Dieweil euch in mein Paradies

ein eigen Pförtlein offensteht.

So führe deine junge Braut

getrost in deine Wirtschaft ein,

Brautführer soll mein lieblichster

und allerschönster Frühling sein!


Hofjungfer soll die Anmut sein

bei deines Herzens Königin,

Ihr hübscher flinker Page sei

ein immergrüner Jugendsinn!

Zum Haushofmeister geb ich euch

ein unvergänglich Gottvertraun,

Es ist ein klug erfahrner Mann,

und Felsen dürft ihr auf ihn baun!«
[72]

Ist unser Haus nicht gut bestellt

und auserlesen das Gesind?

So zaudre nun nicht länger mehr

und folge mir, du blödes Kind!

Ich glaub, auf deinen Wangen spielt

vom Morgenrot ein Widerschein:

Sobald die Sonn am Himmel steht,

will ich als Freier bei dir sein.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 69-73.
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