Schweizerdegen

[184] Tischlied am Jahresfest der schweizerischen Militärgesellschaft


1857


Heißt ein Haus zum Schweizerdegen,

Lustig muß die Herberg sein;

Denn die Trommel spricht den Segen,

Und der Wirt schenkt Roten ein!

Kommen die Gäste, schön Wirtin, sie lacht,

Sie hat schon manchen zu Bette gebracht!


Ist kein Volk fast allerwegen,

Was da nicht schon eingekehrt,

Und der Wirt zum Schweizerdegen

Hat den Eintritt nie verwehrt,

Hat dann die blutige Zeche gemacht,

Daß die Frau Wirtin vor Freuden gelacht.


Zweiundzwanzig Schilde blitzen

Von dem Giebel weit zu Tal:

Zeug- und Bannerherren sitzen

Harrend in dem hohen Saal,

Lauschend, bis jauchzend die Mutter sie ruft

Und von den Schilden erklinget die Luft.


Und auf allen Weg' und Stegen

Steht es auf zu Berg und Tal;[184]

Hört, es klingt der Schweizerdegen,

Hört, es singt der alte Stahl!

Tut ihm genug und erprobt ihn vereint!

Besser, das Mütterchen lacht, als es weint!


Wo in Ländern, schön gelegen,

Wo in altgetürmter Stadt

Schweizerherz und Schweizerdegen

Die gemeine Herrschaft hat,

Da ist die Mutter, so hold und so fein.

Lacht sie? so wird's Frau Helvetia sein!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 184-185.
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