Lied vom Schuft

[257] Ein armer Teufel ist der Schuft,

Er weiß: es kennt ihn jedes Kind;

Er wandelt wie ein Träumender,

Wo unverdorbne Menschen sind.


Ein dummer Teufel ist der Schuft,

Weil doch er der Geprellte ist,

Wenn ihn die Welt, die er betrog,

Mit großen, klaren Augen mißt.


Er geht einher im Silberhaar

Und keimt schon in des Knaben Blick,

Er kriecht umher in dunkler Not

Und spiegelt sich in Glas und Glück.


Bald sitzt er auf dem Königsthron

Und heißt von Gottes Gnaden Schuft,

Bald steckt er und vermodert er

In eines Bettlers Hundegruft.


Doch immer müht und plagt er sich

Und tut, als wär er sehr gescheit;[257]

Wenn man an ihm vorübergeht,

So pfeift er aus Verlegenheit.


Laßt pfeifen sie und nagen nur,

Die Ratten, im dunklen Erdenhaus;

Es tagt dereinst ihr Wandertag,

Dann schweigen sie und sterben aus!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 257-258.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gesammelte Gedichte
Die Leute von Seldwyla / Gesammelte Gedichte: BD 3
Sieben Legenden und Gesammelte Gedichte