Rosenglaube

[165] Dich zieret dein Glauben, mein rosiges Kind,

Und glänzt dir so schön im Gesichte!

Es preiset dein Hoffen, so selig und lind,[165]

Den Schöpfer im ewigen Lichte!

So loben die tauigen Blumen im Hag

Die Wahrheit, die ernst sie erworben:

Solange die Rose zu denken vermag,

Ist niemals ein Gärtner gestorben!


Die Rose, die Rose, sie duftet so hold,

Ihr dünkt so unendlich der Morgen!

Sie blüht dem ergrauenden Gärtner zum Sold,

Der schaut sie mit ahnenden Sorgen.

Der gestern des eigenen Lenzes noch pflag,

Sieht heut schon die Blüte verdorben –

Doch seit eine Rose zu denken vermag,

Ist niemals ein Gärtner gestorben!


Drum schimmert so stolz der vergängliche Tau

Der Nacht auf den bebenden Blättern;

Es schwanket und flüstert die Lilienfrau,

Die Vögelein jubeln und schmettern!

Drum feiert der Garten den festlichen Tag

Mit Flöten und feinen Theorben:

Solange die Rose zu denken vermag,

Ist niemals ein Gärtner gestorben!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 165-166.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gesammelte Gedichte
Die Leute von Seldwyla / Gesammelte Gedichte: BD 3
Sieben Legenden und Gesammelte Gedichte