David

[364] Der Ölbaum wuchs in dichten Hainen,

An klaren Bächen wucherte die Rose,

Allwo die Wiege stand des Kleinen,

Gleich einem Taubennest im grünen Moose.

Er spielte noch im bunten Knabenkleide

Und füllte dienend seiner Brüder Krug,

Als er zu seines Stammes Freude

Schon meisterlich die Harfe schlug.


Mit Wein und Brot kam er gegangen,

Sein Auge strahlt' in kindlichem Vergnügen;

Er fand sein Volk mit Spieß und Stangen,

Doch zag und ratlos vor dem Feinde liegen.

Der große Hans Narr warf dort Bein und Arme

Mit tollem Prahlen in die Luft empor,

Daß rasch dem Heldenkind das warme

Zornrosenblut im Herzen gor.


Des Königs Waffenlast verschmähend,

Trat er hervor, mit Gott allein im Bunde,

Und einen weißen Stein erspähend[364]

Aus eines Bächleins hellem Silbergrunde,

Tat er den Wurf; des Riesen Stirne klaffte,

Es war aus blauer Luft des Blitzes Schlag!

Wie lacht' er schön, als der Erschlaffte

Hauptlos zu seinen Füßen lag!


Der Dank, den David hat empfangen,

Steht in den alten Schwarten aufgeschrieben;

Nach seinem Tod ein schwarz Verlangen,

In Not und Irrsal wurd er umgetrieben.

Das Angesicht zum Herren aufgewendet,

Sang er des Grames Lied ohn Unterlaß;

Doch hat das Spiel noch gut geendet,

Als auf dem Thron der Feldhirt saß.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 364-365.
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