Das Leben ist doch schön!

[302] Wie schön, wie schön ist dieses kurze Leben,

Wenn es eröffnet alle seine Quellen!

Die Tage gleichen klaren Silberwellen,

Die sich mit Macht zu überholen streben.


Was gestern freudig mocht mein Herz erheben,

Das muß ich lächelnd heute rückwärts stellen;

Wenn die Erfahrungen, sich drängend, schwellen,

Erlebnisse wie Blumen sie umgeben!


So muß ich breiter stets den Strom erschauen,

Auch tiefer mählich seh den Grund ich winken,

Und täglich lern ich mehr der Flut vertrauen.


Nun goldene Geschirre, sie zu trinken,

Gebt, Götter! mir und Marmor, um zu bauen

Den festen Damm zur Rechten wie zur Linken!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 302.
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