Vergleich

[282] O ein Glöcklein klingelt mir früh und spät

Silbernen Schalles in die Seele hinein,

Zart wie ein Luftlied, welches von Osten weht,

Unermüdlich plaudernd, melodisch rein!


Aber wandl' ich es um zum Becherlein,

Kehr ich es um und häng es an meinen Mund,

Trinke daraus den allersüßesten Wein:

Schweigt das Glockenbecherchen zur Stund,


Hält sich stille, solang ich trinken mag,

An meinen durstigen Lippen verhallt sein Rand,

Tönet jedoch wieder mit hellem Schlag,

Kaum ich es der innigen Haft entband.


Glas und Glöcklein ist, mein Engelchen!

Mir dein Mündchen ohne Rast und Ruh,

Und das Zünglein drin das Schwengelchen,

Das nie schweigt, als wenn ich dich küssen tu!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 282-283.
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