Ordinärer Landwein

[231] 'nen Vetter hab ich, einen Bauersmann,

Der hat sein Gut mit starker Hand geründet

Daß all sein Gut im weitgezognen Bann

Des Eigners hohe Willenskraft verkündet;

Was heißer Fleiß der Erd entlocken kann,

Hat er in immergrüner Pracht entzündet,

Und in der Mitte steht sein stattlich Haus,

Die Fenster schimmern in das Land hinaus.


Da ist das ganze Jahr ein wechselnd Blühn

In weiten Kreisen und in allen Farben

Rings um das Haus, vom feinen Saatengrün

Bis zum gediegnen Gold der schweren Garben.[231]

Des Mohnes traumerfüllte Kelche glühn,

Wenn kaum des Flachses blaue Sterne starben;

Vereinigt leuchtet aller Farben Flor

Im Blumengarten vor des Hauses Tor.


Vom fernen Hügel aus dem eignen Wald

Hat er zum Hof den Brunnen hergeleitet

Und von des Forstes hoher Felsenhald'

Aus eignem Stein des Hauses Grund gebreitet;

Man sieht, wie neben mächt'ger Eiche bald,

Bald neben der gefällten Föhr er schreitet,

Die blanke Axt fest in den Stamm gehauen,

Dem schwanken Zug den besten Pfad zu schauen.


Vom Morgengrauen bis zum Wehn der Nacht

Kann man ihn sehn durch Flur und Felder streifen,

So weit noch seines Feldes Blume lacht,

Treu seine Bienen Pflug und Roß umschweifen,

Selbst von der Lüfte sonnig heitrer Pracht

Die Tauben seines Hofs Besitz ergreifen;

Und auch die Lerche, wildes Huhn und Rabe

Sind heimatliche Kinder seiner Habe.


Jedoch sein Herzfleck ist ein jäher Rain,

Der sich erhebt aus weiten Ackergründen,

Da wo am vollsten ruht der Sonne Schein

Und abgewandt des Nordens rauhen Winden;

Da zieht der Landmann seinen Labewein,

Da ist er manchen langen Tag zu finden,

Wie Arbeit er und Müh mit Lust verschwendet,

Der Rebe zartes Schoß zum Lichte wendet.


Doch zieht er nicht die Traube zum Erwerb,

Mit seinen Söhnen trinkt er selbst den Saft;[232]

Gewöhniglich zwar wird er etwas herb,

Doch frischet er das Herz mit tücht'ger Kraft;

Auch Brot und Leib und Leben sind ja derb

Dem Manne, der in brauner Scholle schafft.

Nur wenn ein heißes Weinjahr ist auf Erden,

Kann auch sein Wein ein rechter Festwein werden.


Wie oftmals, wenn der kühle Herbst gekehrt,

Gelungen war des Jahrs mühsel'ger Plan,

Die Speicher hoch mit reicher Frucht beschwert,

Der neue Wein in seine Haft getan:

Hab ich ein schäumend Glas bei ihm geleert –

Nie setzt ich eines ruhig wohler an!

Der Vetter saß inmitten seiner Sippe

Und trank den jungen Wein mit froher Lippe.

Wenn dieser so im Glas zu gären schien,

Im Innersten nach Klarheit heiß zu ringen,

Dann sprach der Mann wohl träumend vor sich hin,

Als hörte er ein fernes Lied erklingen:

»Gott hat's gegeben, und wir preisen ihn!

Wir loben ihn, wenn wir es wieder bringen!

Denn wie Er's geben kann, kann Er es nehmen,

Und unser ist ein fröhliches Bequemen.


Wohl hört man ihn durch Tann und Schlüchte fahren,

Wer aber weiß, von wannen kommt der Wind?

So drängen sich der Menschheit schwere Scharen,

Die selber sich ein tief Geheimnis sind,

Das aber endlich sich soll offenbaren

Den Lebensklugen, die nicht taub und blind.

Indes zur Übung, Stärkung unserm Streben

Ist dieser harte Erdenkloß gegeben.
[233]

Und was wir heute sammeln und gestalten,

Das wird der Morgen schonungslos zerstreuen;

Doch wollt ihr einen süßen Kern erhalten,

Dürft ihr euch nicht zu sehr der Schalen freuen!

Wenn sich der Geist ins Weite will entfalten,

Wird unablässig er das Wort erneuen.

Wir aber müssen bei der Arbeit lauschen,

Wohin die heil'gen Ströme wollen rauschen!«


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 231-234.
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