[Ich träumte tausend Lieder]

[209] Ich träumte tausend Lieder

Und alle schön und hold,

Sie hatten blaue Augen

Und Haare licht wie Gold.


Die Welt lag mitten drinnen,

Ein Purpurröslein rein,

Unangehaucht vom Menschen,

Bestrahlt vom Sonnenschein.


Jetzt träum' ich viele Lieder,

Doch all' mit dunklem Haar,

Mit großen dunklen Augen,

Und tränenvoll wohl gar.


Die schattigen Gestalten,

Sie schwanken hin und her,

Wie sturmbewegte Wellen,

Auf sturmbewegtem Meer.


Ihr großen dunklen Augen,

Mit tief und ernstem Blick,

Ihr gleicht an Ernst und Wunder

Dem tragischen Geschick.
[210]

Ihr schattigen Gedanken,

Die Wahrheit Euch verzehrt,

Ihr zeiget mir im Röslein

Den Wurm, der es zerstört.


Quelle:
Friederike Kempner: Gedichte. Berlin 81903, S. CCIX209-CCXI211.
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