§. 7.

[13] Es fehlet nicht an ältern Zeugnissen. Die alte Sachsen Chronicke / welche keinesweges zu verachten / hat auch davon p. 419. Zu Hameln hat man noch heut zu Tage unter ihren Monumentis ein sehr alt Buch mit rother Dinte gezeichnet und klein abgeschrieben / darinne folgendes gelesen wird: Anno 1284. am Tage Johannis des Täuffers / wenn sonsten das junge Volck alten Gebrauch nach eine sonderliche Johannes-Freude zu halten pfleget / ist ein wunderbahrliches und unbekantes Ebentheuer in bunten seltzamen Kleidern kommen / auff der Gassen auf und nieder gangen /und mit einer Pfeiffen und mancherley Possen viel Kinder zusammen bracht / und endlich derselben 130. zur Stadt hinaus geführet / also daß niemand wissen und erfahren können / wohin solche Kinder möchten kommen seyn. So hat auch die alte Hamelische Chronicke / welche Reimweise geschrieben ad Annum 1284. die Joh. & Pauli alle Umstände gar deutlich ausgedrucket / welche also lauten:


[14] Hie kan man nicht / vorüber gehn /

Weil ich muß auf die Jahrzahl sehn /

Der Kinder Ausgang zu vermelden /

Die viel Leute vor eine Fabel schelten /

Auch etzlich wollen achten dafür /

Wie ich an denen warlich spür /

Es sey geschehn wie diese Stadt /

Noch nicht gehabt einen Senat,

Und einem Dorffe gleichet sich /

Das aber kan nicht gläuben ich /

Dieweil doch Hertzog Allbrecht frumb /

Die Stadt zu seinen Fürstenthumb /

Bereits gerückt und adjungirt /

Den andern Städten gleich geziert /

Mit Bürgermeister Rath und Gemein /

Was einer Stadt zugehöret fein /

Das will vor diesmahl fechten nicht

Nur geben von der Sachen Bericht:

Allhie kont man die losen Ratzen /

So wenig durch Gifft als durch Katzen /

Vertreiben / darum ward bedacht /

Wie eine Kunst würd zuwege gebracht /

Dadurch sie alle gar ertäufft /

Und in der Weser würden ersäufft.

Biß sich herfand ein Wundermann /

Mit bunten Kleidern angethan /

[15] Der pfiff die Mäuß zusammen all /

Ersäuffte sie in der Weser zumal /

Da man aber nicht wollt gar bezahln /

Was ihn ward zugesagt vormahln /

Wie hart er auch den Rath besprach /

Der Stadt dräuet seinen Zorn und Rach /

Daß er heimlich für der Gemein.

Nur auff den Dorff konnt sicher seyn /

Und eben umb dieselbe Zeit /

Johann und Paul feyrten die Leut /

Derhalben in der Kirche sasse /

War der Mann wieder auff der Gasse /

Und führt mit sich hinaus geschwind /

Dreyßig und einhundert Kind /

Zur Pungelosen Strasse hinaus /

Hieß wohl bezahlt die Ratzen und Mauß /

Unter den Berg Calvariæ,

Das Oals-Gericht dadurch versteh /

Wurden sie verlohren an den Tag /

Mit ihrer Eltern Weh und Klag /

Erschrecklich ist wohl dieser Fall /

Wie es hat ein Rumor und Schall /

Durch alle Region und Land /

Doch wenn man GOttes starcke Hand /

Betracht und seinen gerechten Zorn /

Gegn unser Sünd sind wir verlohren.


[16] Henricus Kornmannus setzet fast dergleichne Reime / doch etwas weitläufftiger / darinnen er unter andern mit anzeiget / daß der Rath zu Hameln diese Geschicht auch denen Nachkömlingen wohl imprimiren wollen / weil sie die Abbildung dieser Geschicht in der Kirchen immer wieder renoviren lassen.

Quelle:
[Meister, Johann Gottlieb:] M. Theodori Kirchmayeri Curiöse Historia von den unglücklichen Ausgange der Hamelischen Kinder. Aus dem Lat. ins Teutsche übers. von M. M. [d.i. Johann Gottlieb Meister], Dresden, Leipzig 1702, S. 13-17.
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