Phaëthon

[77] Phaëthon,

Der Mundschenk der Götter,

Mischte den Göttern

Schlaf in den Wein.

Sie tranken,

Sie sanken

In Traum und in Schlaf.


An seinen Sonnenwagen gelehnt

Schlief Helios.

Die Zügel schleiften

Auf Wolken.


Da trat der Knabe Phaëthon herzu,

Sprang auf das Brett,

Ergriff die Geissel

Und liess sie über die Rosse sausen,

Die goldenen.[77]


Sie wieherten jauchzend

Unter der jungen Hand

Und jagten durch den Äther,

Verliessen die alteingefahrne Bahn.

Die goldenen Locken des Knaben,

Die goldenen Mähnen der Rosse

Stoben im Sternensturm.


Als er am Abend lenkte

Das goldne Gefährt

In den himmlischen Stall,

Da waren die Götter erwacht.


Helios jammerte,

Zeus grollte.


Schneeweiss war des Göttervaters Haar geworden,

Schnee lag auf dem Götterberg.

Denn allzuweit hatte der Knabe sich von ihm entfernt

Mit dem Sonnenwagen.


Zu nah war er der Erde gekommen,

Denn tausend Steppen standen in Flammen

Und Wälder bluteten rot.


Das grosse Feuer kam

Wie einst das grosse Wasser war gekommen.

Die Lava rollte schwarz.

Die heilige Zeder

Brannte.[78]


Aus den verkohlten Wurzeln stiegen

Gewürm und Engerling ans Licht.


Und Kypris, die die Nacht wie stets

Auf Erden zugebracht,

Riss ihren Knaben

Eros

Hinter sich auf das geflügelte Pferd.

Das galoppierte über den wandernden Insekten

Auf den Leibern der Dämonen

Und hob sich wie ein Adler dann

Und galoppierte auf den Wolken –

Und kam zum Götterberg.


Eiszapfen hingen von dem Ritt durch die Äonen

Dem Pferde in den Mähnen.

Kypris mondblondes Haar war weiss beschneit,

Und Eros

Schlug die erstarrten Finger aneinander

Wie Glockenklöppel.


Ich friere, sagte Helios.

Was tatest du,

Vorwitziger Knabe,

Phaëthon?

Die Götter frieren,

Und der Menschen viele sind verbrannt

Wie Kälber am Spiess.[79]


Zeus weint zum erstenmal seit Ewigkeiten,

Und Kypris floh die Erde.


Der Knabe aber

Schnalzte mit der Zunge

Und zog die Stirne kraus –

Und lächelte

Und schwieg.[80]

Quelle:
Klabund: Das heiße Herz. Berlin 1922, S. 77-81.
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