Erster Gesang

[139] Die beyden Freunde, die voll Edelmuth

Sich gegen ein gewaltig Heer Athens,

Mit kleiner Macht, beherzt vertheidigten,

Besing ich. Muse sey dem Vorsatz hold!

Begeistre mich, auf daß der ehrne Klang

Des Kriegs, aus iedem Ton erschall! Auf daß

Mein Lied der großen That nicht unwerth sey!


Kaum starb der griechsche Held, für dessen Muth

Der Orient erbebt, als sich Athen

Erkühnete, gereitzt durch Eigennutz,

Vom Macedonschen Reich, Thessalien

Zu sich zu reißen, und ein furchtbar Heer

Versammelt' und es dem Leosthenes[139]

Vertraute. Wie ein Strom, im frühen Lentz,

Von Regengüssen und geschmoltznem Schnee

Geschwollen, rauscht, und aus den Ufern dringt,

Die Flur zum Meere macht und Wohnungen

Des Landmanns, Bäum und Stein fortrollt und tobt,

Daß Fels und Wald erschrickt und drüber klagt;

So rauscht die wilde Schaar Athens daher,

Verheert und überschwemmt Thessalien.


Antipater1 zog sich mit seiner Macht

Aus Lamia2 zurück, dem kühnen Feind

Im freyen Feld die Stirn zu biethen. Nur

Blieb Cißides als Haupt von wenig Volck

In einem festen Schloß bey Lamia;

Und Paches gab darinn nach ihm Befehl,

Den gleiche Tugend ihm zum Freund gemacht.


»Ihr Macedonier!« Sprach Cißides

Zur kleinen Schaar, die um die Mau'r bereits

Den fernen Feind mit Blicken tödtete,

»Ihr Macedonier! Zeigt ietzt, daß ihr

Verdienetet von Alexandern einst

Gebothe zu empfahn. Sein Heldengeist

Sieht vom Olymp auf alles, was ihr thut.

Den, der fürs Vaterland den Tod nicht scheut

Erwartet sein Olymp und ewger Ruhm,

Wie ewge Schande den, dem Muth gebricht.

Die Menge nicht, nur Muth macht Heere starck,

Und nur durch ihn bezwangt ihr sonst die Welt.

Athen ist nicht die Welt. Es wird, es wird

Sich neigen für Antipater und uns!

Durch uns geschwächt erliegt Leosthenes,

Und durch Verlust von seinem halben Heer

Erkauf er unser Schloß! Erinnert euch,

O Macedonier! stets wer ihr seyd![140]

Und fechtet noch, auf Knien, wenn ihr fallt!«

So sagt er; Und ein laut Gemurmel, wie

Vor nahem Sturm im regen Meer entsteht,

Durchlief die Schaar. Ein Krieger, der mit Blut

Den Ganges färben half, dem edler Stoltz

Im ofnen Angesicht voll Narben saß,

Erhub die Stimm und sprach zum Cißides:

»Mißtrauen hat das Heer, das dir gehorcht,«

Noch nie verdient, und doch zeigt was du sagst

Mißtraun und Sorgen an. Derselbe Geist

Der Tapferkeit beseelt uns noch, der uns

In Asien beseelte. Jeder denckt

In Nächten, die, für Ehrbegierd erhitzt,

Er oft durchwacht, an nichts als seine Pflicht,

Und seinen künftgen Ruhm. Sein Leben hat

Ein jeder gegens Wohl des Vaterlands

Und gegen seinen Ruhm verrechnet. Wird

Von Helden was geredt; horcht jeder auf,

Und glaubt es geh ihn an. Mehr Zuversicht!

Mehr Zuversicht zu uns, o Cißides!

Von Schande sprich uns nicht, und Feigheit nicht!

Bis auf den letzten Mann wird sich dein Volck

Vertheidigen; und hat die Schickung mich

Zum letzten ausersehn, so fecht ich noch,

Bis mit dem Blut das Leben von mir fließt.


Der Feldherr sprach: O Freunde! nie hat mich

Ein Schatten von Mißtrauen gegen euch

Und euren Muth, gequält, und ich bin stoltz,

Daß solch ein Heer mir anvertrauet ist.

Ehr und Unsterblichkeit ist unser Theil;

Denn unsre Thaten wird einst das Gerücht

Auf ewgen Fittigen von einen Pol

Zum andern tragen, und es wird einmal

Gestirn nach uns benannt, und unser Ruhm

Wird funckeln ewiglich am Horizont.«
[141]

Wenn, vom Orcan gepeitscht, des Meeres Fluth,

Die mit den sinckenden Gewölcken sich,

Hoch in der finstern Luft, zu mischen schien,

Gleich Berg und Felsen im Erdbeben, fällt,

Und wieder steigt und fällt, daß alles heult,

Und alles Donner wird, und schnell Neptun

Den mächtigen Trident mit starckem Arm

Aus Wasserbergen hebt; wie dann der Sturm

Verstummt, die Flügel nicht mehr regt, und Meer

Und Himmel ruhig wird, daß Phöbus lacht,

Und jeder Strahl von ihm im Meere blitzt:

So legte sich der Schaar Unwille schnell

Nachdem der Feldherr dieß zu ihr gesagt,

Und Hofnung flößte Lust den Tapfern ein.


Indessen nahte sich der kühne Feind,

Und Mann und Roß trat aus dem Staub hervor.3

Ein unabsehlich Heer, das Bogen, Pfeil

Und lange Spieße, Schild', und Schwerdter trug,

Zog einen Kreis ums Schloß im wilden Lerm.

Und eine weiße Stadt von Zeltern, stieg

Schnell aus der Erd. Im Meere sehen so

Beym Mondenschein die lichten Wellen aus –


Mit Pfeilen und Ballisten4 war der Feind

Nicht zu erreichen, drum faßt Cißides[142]

Kühn den Entschluß, ihn in der nahen Nacht

Zu überfallen, und den Schlaf in Todt

Ihm zu verwandeln. Bald sank sie herab

Vom Himmel, diese Nacht. Und Paches nahm

Zweyhundert Krieger aus der dunkeln Burg

Und überfiel in Eil den müden Feind,

Den gleichsam Schlaf von Bley belästigte.


Wie ein gewaltger Sturm den Hayn ergreift

Auf Eichen Eichen stürzt, und eine Bahn

Sich durch die Wohnung der Dryaden macht;

So machte Paches auch sich eine Bahn

Durchs Feindes Lager, würgt und tödtete

Erst die entschlafne Wacht, dann eilt er fort,

Und tränkte Schwerdt und Spieß mit vielem Blut,

Und machte jedes Zelt zur Todtengruft,

Bis, durch der Sterbenden Geschrey erweckt,

Das weite Lager zu den Waffen griff.

Schnell zündet' er die öden Zelter an.

Das Feuer lief durch ihre Reihn – Und schnell

Lief jedermann nach seinem leichten Haus,

Entweder es zu löschen, oder auch

Es einzureißen, wenns vom Feur noch nicht

Ergriffen war. Indessen zog, vergnügt

Und unverfolgt, sich Paches in die Burg,

Und sah draus, selbst erstaunt, am Morgen, was

Sein Schwerdt und die Gewalt des Feuers verübt.


Leosthenes ergrimmt. Im Lager kam

Kaum der Ballisten Last beschwerlich an,

Und Katapulte5, Thürm6 und was die Wuth[143]

Zum Untergang der Menschen ausgedacht;

Als er dem Schlosse sich in Gräben7, und

Verdecken8 näherte. Nichts wird versäumt

Was fähig war, es mit Gefahr und Todt

Zu füllen. Eisen fiel wie Regen drein.

Der Felsenstücke Last, von dem Ballist

Geschleudert, sauset', (und durchkreuzte sich,

Irrsternen gleich, im Raum der finstern Luft)

Und jeden, den sie traf, begrub sie tief.

Und vom Geschrey der Stürmenden erklang

Des Himmels Bühne weit, wie sie erklingt

Vom tausendstimmigen Sturmwinde, wie

Der Wald in Lybien ertönt, wenn Löw

Und Tyger, und manch wütend Thier ins Netz

Der schreynden Jäger fällt, und heult und brüllt;

Der Widerhall brüllt von den Felsen auch,

Und jede Höle brüllt. – Doch Cißides

Blieb ruhig und ward nicht betäubt vom Lerm,

Und überschüttet' auch mit Todt den Feind.

Gleichsam ein Wolkenbruch von Steinen fiel

Aufs Heer Athens. Der mächtge Katapult

Durchbohrte Brustwehr und den Feind zugleich

Mit langen Pfeilen, wie des Blitzes Strahl,

Und Spießen. Eine Erndt Erschlagener

Lag auf dem Felde weit verbreitet. Selbst

Des Feindes Widder, die den Grund der Mau'r

Erschütterten, (wie Harz und Schwefel, in

Der Erd entbrannt, die Felsen beben macht,

Und spaltet) und die Mauerbohre, Thürm,[144]

Sammt der gewaltigen Phalangen9 Wuth,

Auch Schaaren, die gehoben in die Luft

Durch Hebel, auf Gerüsten10 stürmeten,

Erschreckten nicht die Macedonier.

Das Ungewitter, das vom Schlosse fiel,

Zerschlug, und schleuderte zum Grund den Feind.

So schlug die wüthenden Giganten Zevs,

Als sie den Himmel zu bekriegen, Berg

Auf Berg gethürmt. Sein Blitz warf sie herab,

Verbrannt und blutig lag die tolle Schaar

Umher, und maß der Berge Höh verkehrt. – –


Doch blieb auch mancher Held des Cißides;

Die Todten lagen in der Burg, gehäuft,

Wie Halmen, die die Sichel hat gefällt.

Den tapfern Parmeo11 durchbort ein Pfeil;

Simotes auch. Dem Zelon, der allein

Ein Heer an Muth und Geiste war, zerschlug

Ein Felsstück beide Bein'. Er lebte lang'

Ein grausam Leben, und verbiß den Schmerz

Voll Großmuth. Endlich fand sein Bruder ihn

Im Kampf mit Schmerz und Todt, und schlug, erblaßt,

Die Hände über sich zusammen. Selbst

Dem Tode für Entsetzen nah, verband

Er den Geliebtesten. Ein Thränenbach

Floß ihm vom Aug. – – Ach Bruder, endige

»Mein Leben! Endig' es, o du, um den

Es mir allein gefiel, sprach Zelon. Nimm

Mein unnütz Gold von mir, das du, und nicht

Der Feind verdient – Allein der Bruder weint,«

Und gieng davon. Verlässest du mich auch?

Rief Zelon, »Gönnst du mir langsamen Todt?«

»Sonst treuster Freund, gönnst du mir, daß ich noch[145]

Den Schmerzen und der Schwachheit unterlieg'

Und winsel' und nicht sterbe wie ein Held?

Grausamer geh! und rühme dich nur nie,

Daß du mein Bruder warst! – Der Bruder kehrt«

Zurück, umarmet den Verwundeten,

Auf dessen Lippen mit den seinigen

Er lang' erstarret lag, indessen daß

Mit Schmerzen und mit Jammer Zelon rang.

Zuletzt setzt er den Bogen auf die Brust

Dem Flehenden, mit weggewandtem Blick.

Mitleidig fuhr der Pfeil ihm durch das Herz,

Und endigt' ihm die Qvaal. Und jammernd floh

Der edle Mörder, der freundschaftliche,

Zur Maur, um auch den Todt fürs Vaterland

Dem Bruder gleich zu sterben, aber ließ,

Zu groß zum Eigennutz, der Leich ihr Gold.


Ende des ersten Gesangs


Fußnoten

1 Alexanders General.


2 Die Hauptstadt in Thessalien.


3 Dieser Gedancke des Herrn Bodmers ist in dem Neologischen Wörterbuche gemißhandelt worden. Aber eben deßwegen bediene ich mich desselben, weil man ihn gemißhandelt hat, und weil er schön ist.


4 Maschinen mit denen man Steine warf. S. Lipsii Poliorceti κων lib. III. Dial. 3.


5 Maschinen, mit denen man Eisenpfeile, Spieße, und dergleichen warf.


6 Bewegliche Thürme, welche die Alten oben mit Volk besetzten, und sie gegen die besetzten Thürme der Mauern gebrauchten. Siehe den Polybius.


7 Die Alten machten Laufgräben, die den unsrigen sehr ähnlich waren. Siehe St. Genie, Art milit. pratique, Tom. I. pag. 82.


8 Eine Art beweglicher Hütten deren flache aber starke Dächer die Belagerer vor den Steinen sicherten, und bey den Römern Musculi, Crates, Vineae etc. hießen. S. Lipsii Poliorc. Lib. I. Dial. 9.


9 Φαλαγξ, Συνασπισμος oder wie es die Römer nennten, Testudo militaris. Geschlossene Colonnen legten ihre Schilde über die Häupter. Andere Colonnen stiegen auf dieses Dach von Schilden, und von da über die Mauer.


10 Dergleichen die Tollenones der Römer waren.


11 Die hier genannten Macedonier waren alte Officiers des Alexanders.


Quelle:
Ewald Christian von Kleist: Sämtliche Werke. Stuttgart 1971, S. 139-146.
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