Dreyzehnter Brief.

An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen.

[99] Urfstädt den 30sten August 1771.


Sie wissen schon, mein verehrungswürdiger Freund! durch des Baron Leidthals Brief1, daß mein Oncle aus dieser Welt gegangen ist. Was soll ich Ihnen darüber sagen? Er war ein so redlicher Mann, daß ihm Wenige an practischer Rechtschaffenheit gleichkommen werden. Indessen schienen seine Umstände von der Art, daß ihm der kleine Rest von Leben nur zur Last gefallen seyn würde; und wenn gleich mir die Trennung von einem so herzlich guten wohlthätigen Freunde nicht gleichgültig seyn kann; so ist mir es doch von der andern Seite ein[99] Trost, daß seine Leiden ein Ende genommen haben, da ohnehin diese Welt dem gefühlvollen menschenliebenden Manne wenig Scenen der Freude darstellt, um derentwillen man wünschen mögte, darinn über die gewöhnlichen Grenzen des Menschenalters hinaus umherzuwandeln –

Dergleichen ernsthafte Beobachtungen sind Sie von dem leichtsinnigen Weckel nicht gewöhnt zu hören. Aber glauben Sie mir, ich kann oft sehr schwermüthig seyn – Doch aber will ich Ihnen mit keinen hypochondrischen Klagen Langeweile machen, sondern Ihnen nur angenehme Dinge erzählen.

Wir sind seit gestern Alle hier versammlet; der junge Wallitz, Hohenau, Meyer und ich stehen da gestiefelt und bereit, unsern großen Ritterzug zu machen, den wir in sechs Tagen antreten werden. Wir haben uns Röcke von gleicher Farbe angeschafft. Man wird Einen von uns für einen reisenden[100] deutschen Fürsten nebst Suite halten, zumal wenn wir aus Sparsamkeit Nacht und Tag, eilig reisen, und in keinem Wirthshause viel verzehren. Doch das erste werden wir wohl bleiben lassen; Wir wollen uns oft in kleinen Städten länger aufhalten als in den großen Residenzen, wo alle Menschen einerley Gesicht haben. Dort will ich herrliche Originale zu Zeichnungen für Sie sammlen, und wir haben es verabredet, daß unser Leidthal Ihnen und, wenn ich bitten darf, Sie ihm, alle Briefe mittheilen. Was der zärtliche Herr Bräutigam an seine Charlotte schreibt, werden wir sämtlich wohl nicht zu sehen verlangen.

Ich bin etwas unpäßlich gewesen. Verkältung bey dem Nachtwachen an dem Bette meines guten Oheims hatte mir einen steifen Hals zugezogen. Der Doctor Pipenbühl (Sie kennen ihn ja, den Mann mit der Perücke von Eisendrat, dem kleinen Haarbeutel mit Schmelz besetzt, dem kaffeebraunen Rocke,[101] dessen Aermeln kaum über die Ellbogen hinausgehn, mit den steifen Schößen, langen Manschetten, der gelben plüschenen Weste, dem unsichtbaren porcelainenen Degen, Wickelstrümpfen und kleinen runden, dickengegossenen silbernen Schnallen) Nun ja! eben dieser Mann hat mir Kräuterthee verschrieben. Ich glaube es waren dieselben Species, die man auch zu Clystieren nimt – Genug, ich bin itzt gesund.

Dieser nemliche Mann hat neulich einen sonderbaren Entbindungsfall gehabt. Ein Bauersfrau wurde wegen Gartendiebstahl verurtheilt um die Mittagsstunde an den Pranger gestellt zu werden. Sie war schwanger, welches aber der Beamte nicht wußte. Der Arzt speisete bey diesem, als gemeldet wurde, die Frau sey in Kindesnöthen. Der redliche Amtmann wollte sogleich befehlen, man solle sie losschliessen; allein der Herr Doctor versicherte auf seine Pflichten, das sey nur ein Vorgeben, und es sey damit so weit noch nicht. Indessen bestättigte sich doch[102] die Nachricht; Herr Pipenbühl mußte selbst hin, und kam noch eben früh genug, um die Frau am Pranger zu accouschieren.

Des Doctors Sohn ist ein sehr geschickter junger Mann, und Hofmeister in dem Hause des Herrn von F ... in O ..., mit welchem er aber jetzt einen unangenehmen Proceß führt. Der gnädige Herr war zu nachsichtig gegen seine ungezogene Jugend, und wenn der Hofmeister durchgreifen wollte, so bekam er Streit mit ihm. Eine solche kürzlich vorgefallene Verdrießlichleit, wobey sich Herr Pipenbühl sehr geärgert hatte, bewog den armen Mann einige Tage auf seinem Zimmer zu bleiben, und nicht an den Tisch zu kommen, weswegen er bescheiden um Erlaubniß bath. Der gnädige Herr, welcher gewohnt ist den Erzieher seiner Kinder wie einen andern Hausknecht zu betrachten, murrte sehr, nannte es Eigensinn, und ließ endlich – horribile dictu! – am dritten Tage den armen Hofmeister, selbst durch seine Untergebenen, bey lautem Gelächter des Gesindes,[103] im Schlafrocke mit Gewalt herunter in das Eßzimmer schleppen. Eine solche unvernünftige Beschimpfung brachte den ehrlichen gekränkten Instructor, wie natürlich, aufs Aeusserste. Er verließ sogleich das Haus, und hat itzt gegen den Herrn von F ... geklagt.

Ich habe mich herzlich über die bessern Aussichten Ihres Herrn Sohns gefreuet; Sie wissen ja, welchen aufrichtigen Antheil ich an allem was Sie und die Ihrigen betrifft, nehme.

Da kömmt ein Brief von Ihrer Hand an den Baron. Wann etwas darinn steht, worauf Sie Antwort haben müssen; so wird man Ihnen heute noch schreiben. Ausserdem empfehlen wir uns Alle Ihrer Freundschaft und Güte. Vergessen Sie nicht, daß ich auf Reisen wie zu Hause froh bin, wenn Sie mir erlauben, mich nennen zu dürfen,


Ihren

treu ergebensten Freund

Weckel.

Fußnoten

1 der, wie viel andre, nicht eingerückt ist.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783.
Lizenz:
Kategorien: