Zwey und zwanzigster Brief.

An den Herrn Hauptmann von Weckel, auf der Reise.

[190] Coppenhagen den 12ten October 1771.


Herzlichen Dank, mein geliebter, theurer Freund! für Ihren gütigen Brief; Er hat mir einige recht fröhlige Augenblicke gemacht. Ich kann nicht genug sagen, wie sehr ich Sie um Ihre glückliche Laune beneiden könnte.

Sonderbar ist es doch mit den verschiedenen Dispositionen der Menschen beschaffen. Mich haben so viel ertragene Schicksale gar zu sehr in Moll gestimmt. Ich war einmal ein recht munterer fröhliger Mann; Ich konnte so recht aus Herzens Grunde lachen, und der ehrliche Müller war dafür bekannt,[190] daß er keine Gesellschaft verdarb. Wenn ich einen kleinen Plan zum Vergnügen für mich oder Andre entwarf, oder irgend eine Aussicht, Wonne einzuerndten, vor mir zu erblicken glaubte, dann hatte ich Vor- und Nachgenuß. Gerieth eine kleine Wiederwärtigkeit dazwischen; so kam ich anfangs aus aller Fassung; Aber Ein Augenblick von besserer Ueberlegung war hinreichend, wenn ich nur noch einen Schlupfwinkel fand, mich wieder mit neuem Muthe zu erfüllen, mich alles vergessen zu machen, und dann sah man mich wieder so heiter als vorher. Auf diese Art kämpfte ich lange gegen das Ungemach, und oft war mir es schon Erleichterung, wenn ich nur über das Schicksal, und die Eindrücke, welches dasselbe auf das Herz des Menschen macht, raisonnieren konnte. So gerieth ich dann auf manche theils neue Bemerkung, theils auf irgend einen frisch aufgestutzten Gemeinspruch, der in der neuen Livree mir wenigstens für den Augenblick diente, mich ein wenig zu trösten.[191]

Ich sah unter andern, daß doch niemand in der Welt so unglücklich ist, daß er mit einem Andern, so oft er diesen auch beneidet, gänzlich gradeauf tauschen mögte, nemlich wenn er alles Gute und Böse, Vollkommenheiten und Fehler, Dispositionen der Seele und des Körpers, Verbindungen Kenntnisse, Gefühle, kurz, sein ganzes Wesen mit dem Wesen des beneideten Glücklichern umwechseln müßte.

Ich fand, daß das die seltensten, edelsten Seelen sind, die auch mitten im Schmerze dem Gefühl der Freundschaft offen bleiben, die ihren Kummer nicht Andre empfinden lassen, und durch Traurigkeit nicht böse Launen bekommen, sondern um so liebevoller gegen ihre Brüder werden, wenn der Balsam, den sie so gern in fremde Wunden giessen mögten, ihre eigenen nicht heilen kann.

Ich erfuhr, daß man den Menschen fliehen soll, der fähig ist, einem schon gekränkten[192] Manne, auch wenn er von ihm beleidigt wäre, eine böse Stunde zu machen, der kein Gefühl für die heilige Unverletzlichkeit des Unglücklichen hat.

Mit dergleichen Beobachtungen zerstreuete mein Verstand die trüben Wolken, welche meine Seele umhüllten; Aber der Schläge kamen zu viel – Wenn ein Papier gar zu oft gefaltet wird; so ist es zuletzt nicht mehr glatt zu machen. Nunmehro also, da es nur wohl geht, drücken mich noch die alten Beugungen. Ich fühle einen sonst nie gekannten Hang, alles in unangenehmen Lichte zu sehen; Ich bin lustig, ohne fröhlig zu seyn, und, was mich am mehrsten kränkt, ich kann nicht mehr so lebhaft an der Freude Anderer Theil nehmen.

Diesen Brief gebe ich dem Doctor Verenholz mit, der Sie in Frankfurt aufsuchen, oder den Brief, wie Sie es befohlen haben, im römischen Kaiser abgeben wird. Ich wünschte, Sie lernten den Mann genau kennen. Feinheit des Geistes, Reinigkeit des[193] Herzens, Menschenliebe, Thätigkeit, Wärme, Sanftmuth, Bescheidenheit und Milde verbindet er mit Weltkenntniß, Lectur, Geschicklichkeit und Witz. Aeusserst mäßig in allem, hat er nur wenig Bedürfnisse zu befriedigen, aber doch ein Paar Leidenschaften, die an sich nicht unedel sind, aber ihn doch oft in Verlegenheit setzen; denn seine häuslichen Umstände sind nicht die besten, obgleich er nie klagt, denn er kennt die Menschen genug, um zu wissen, daß sie den unter die Füße treten, von dem sie wissen, daß er ihrer bedarf. Vielleicht übertreibt er diesen Grundsatz ein wenig, indem er lieber das Aeusserste leidet, als seinem vertrauetesten Freunde seine Bedrängnisse zu klagen, so sehr ihn auch dieser durch einen liebevollen, bittenden Blick, durch ein stummes Händedrücken, ein vorausbezahltes Thränchen der Theilnehmung, oder durch zutrauliches Aufdecken eigener Verlegenheiten zu ermuntern sucht; Es ist alles vergebens.[194]

Er würde, wenn er Feinde hätte, nie davon reden, denn er hat den Grundsatz, daß jeder feste Mann sich selbst schützen müsse, und da des Kämpfens in der Welt so viel wäre; so sey es vergebens Alliirte zu suchen, weil dieselben bey der ersten Gelegenheit, wo es eigene Sicherheit gilt, davon liefen; Man müsse immer sagen: »Gottlob! mir geht es gut, ich habe Freunde.« Da hielte man uns dann für einen mächtigen Bundesgenossen, den man schonen müsse, und liesse uns ungeschoren, da hingegen auf den Verlassenen jeder, wie die benachbarten Fürsten auf die Rechte einer kleinen Reichsstadt herumtanzte, und den verfolgten Mann Alle auf grobe oder feine Art flöhen.

Unterdessen kenne ich des guten Verenholz Umstände recht gut, und weiß, wie wenig sein Schicksal seiner würdig ist. Sein Hang zur Unabhängigkeit läßt ihn alle Gelegenheit fliehen in öffentlichen Geschäften gebraucht zu werden, und da er unverheyrathet ist; so[195] hält er alles geduldig aus, und hilft sich, so gut er kann. Indessen bringt er gewiß seine Zeit nicht unnütz für die Welt hin. Er wird Ihnen von einem weitaussehenden Plane reden, an dem er schon so manches Jahr arbeitet, und zu welchem er, wenn ihn die Natur auf den Beinen erhält, den ersten Grundstein legen wird. Schade, daß es ihm Mühe kosten wird ein Paar Mitarbeiter zu finden! Es giebt wenig Menschen, welche ausdauern können; die Mehrsten, wenn sie auch für etwas warm werden, verliehren bald das Feuer, sobald die Sache nicht gut geht, oder sie nicht augenblickliche gute Früchte vor sich sehn. Einen schweren Plan für die Nachwelt anzulegen, wovon man gewiß weiß, daß man die Ausführung nicht erleben wird; und dennoch mit den ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen; nicht müde zu werden; Gefahren, Aufopferungen aller Art, Wiedersprüche, Demüthigungen – Alles zu ertragen, und seinem Vorsatze getreu zu bleiben – das ist Größe der Seele![196]

Ein solcher Mann ist der Ueberbringer dieses Briefes. Sie werden ihn lieb gewinnen, und wenn Sie einige glückliche Stunden mit ihm verleben; so gedenken Sie in Ihren Gesprächen zuweilen


Ihres

Ihnen ewig ergebenen Freundes

Müller.[197]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 190-198.
Lizenz:
Kategorien: