Der 2. Absatz.

Von der menschlichen Zungen.

[212] Die menschliche Zung bestehet in einem weichen und zarten / roth- und lebhafften Stücklein Fleisch / welches unterhalb breitlecht / oben aber / oder vornenher scharpff oder spitzig ist / als wie ein Schwerdt: sie ist gar beweglich und geschwind.29 Ihr Dienst und Ampt ist die Speisen annetzen / und zertheilen helffen: wie auch die Aussprach oder Red formiren. Sie ist ein getreuer Dollmetsch und Auslegung des Gemüths. Es wird auch die Zung öffters für die Red selber genommen / und diese dardurch verstanden.[212] Weilen nun die Reden oder Wort bißweilen gut / bißweilen böß seynd / so ist auch die Zung bald gut und bald böß.

Gar wohl und recht derowegen hat geredt und gethan jener Weltweise / welcher / als ihme ein gewisser König / mit deme er zu Tisch sasse / befohlen hat / er solle ihme aus denen vorgesetzten Speisen das jenige vorlegen / was er selbst vor das beste hielte; da legte er dem König eine Zungen für / mit Vermelden / dieses seye ohne Zweifel das allerbeste. Als aber der König ihme wiederum befahl: er solle ihme jetzund auch das schlimmste geben / da gabe er ihme abermahl eine Zungen / und sagte / eben dieses seye auch das schlimmste. Wohl geredt und recht gethan ware dieses; dann es ist in der Wahrheit nichts bessers /und nichts schlimmers als die Zung (von der menschlichen Zung zu reden) nachdem sie nemlich wohl oder übel regiert und applicirt wird. Nichts bessers und nichts nutzlichers ist als die Zung / wann sie wohl und recht angewendet wird zu dem End / zu welchem sie uns gegeben ist / nemlich zu dem Gebett und Lob GOttes / zur Auferbauung des Nächsten / zur Zeugnuß der Wahrheit / zur Beschützung der Unschuld und Gerechtigkeit etc. hingegen aber nichts ärgers und nichts schädlichers ist als eben die menschliche Zung / wann sie ungezäumt und ausgelassen ist / wann sie mißbraucht und übel angewendet wird zum Lügen und Betrügen / zum Fluchen und Schwören / zum Ehrabschneiden / zum Zancken und Haderen / zum Zotten- und Possenreissen.

Der Heil. Isidorus und Greg. Nazianzenus nennen eine gute / und wohl im Zaum gehaltene Zungen eine lieblich- und wohlklingende Orgel / GOtt eine angenehme Music darmit anzustimmen.30 Der Heil. Paulinus aber nennet sie einen Canal oder Rohr des lebendigen Wassers / des ewig-fliessenden Bronnens. Sie ist ein besondere Zierd und Beyhülff des menschlichen Leibs / die ihne absonderlich von denen unvernünfftigen Thieren unterscheidet. Gar ein schönes Lob gibt ihr der H. Laurentius Justin. indem er sagt: sie seye ein Zierd der Seelen / ein Spiegel des Gewissens / ein Band der Lieb / eine Erhaltung des Fridens / niemand beschwerlich / allen angenehm / alten nutzlich.

Eine gute Zung ist das beste und tauglichste Instrument / das menschliche Gemüth zu gewinnen und einzunemmen. Verbum dulce multiplicat amicos, & mitigat inimicos,31 sagte der weise Syrach: Eine süsse Red oder gutes Wort macht vil Freund / und stillet die Feind. Und der Prophet Isaias: Dominus dedit mihi linguam eruditam, ut sciam sustentare eum, qui lapsus est verbo:32 Der HErr hat mir eine wohlberedte Zungen geben / daß ich wisse den / der müd ist / durchs Wort zu erhalten. Durch solche beredte und von GOtt regierte Zungen seynd vil tausend bey dem Leben erhalten / und von dem Verderben zu dem Heyl gebracht worden / unzahlbar vil Gutes geschafft / und Ubels abgewendet worden. Durch die Zung werden alle Künsten und Wissenschafften gelehrt / alles Gewerb und Handelschafft getriben: durch die Zung /oder durch die Red wird der Weise von dem Thoren erkennt und unterschieden: durch die Zung oder Wohlredenheit thut man offt mehr / als durch das Schwerdt zuwegen bringen / wie vorlängsten der Poet Verinus gesungen hat:


Ancipiti eloquium longè penetrantius ense,

Hoc rabiem motam sedat, & arma movet.


Der Beredtsamkeit das Schwerdt weit weicht /

Bald bringt sie Krieg / bald d'Feind vergleicht.


Wohl billich und recht wird die Zung von dem Heil. Apostel Jacobo ein Feur genennt / & lingua ignis est,33 sagt er; dann durch die feurige / das ist /eyfrige Zungen werden die Eisenharte Hertzen der Sünder zerschmeltzt / oder zur Reu und Buß bewegt. Durch dieses Feur oder feurige Zungen hat der Heil. Franciscus Seraphicus in einer[213] einzigen Predig 500. Jünglig bewegt / daß sie in seinen strengen H. Orden seynd eingetretten. Ja all anderes Lob der Zungen übersteiget weit / daß GOtt der Heil. Geist selber sich gewürdiget hat in Gestalt der feurigen Zungen zu erscheinen / und über die Apostel zu kommen.

Hingegen aber ist auch nichts ärgers und nichts schädlichers / als eine böse ausgelassene Zungen; sie stifftet sehr vil Ubel und Unheyl an / sie beschädiget und verletzet öffters ihrer vil auf einmal / nemlichen den / der sie hat / und die jenige / wider welche sie gebraucht wird.34

Eine böse Zung wird billich in Heil. Schrifft genennt eine Geißel / ein schneidiges Schwerdt / oder spitziger Degen / ein Pfeil / der auch in die Weite verletzet / und von dem Heil. Jacobo ein brennendes Feur / ein unruhiges Ubel / ja ein Versammlung aller Boßheit. Auch Juvenalis sagt: Lingua mali pars pessima servi, an einem bösen Menschen ist nichts schlimmers als die Zung.

Den vilfältigen Schaden einer bösen Zungen / beschreibet trefflich wohl der H. Bernardus Senensis, indem er unter anderen also aufschreyet: O boßhaffte Zungen! du bist ein schlimme Zucht des Neid und Hasses / ein gifftiger Außsatz / so die Uneinigkeiten anstellet: Du zerrittest die Fromme / verläumdest die Gerechte / du gebährest Aergernussen / falsche Schwür und Zeugnussen / du lassest nicht nach / die böse Gelegenheit zu vermehren.35 O wütige Zung! fahret er weiters fort / du verursachest grosses Ubel unter denen Ehleuthen / du verschreyest die Verwittibte und Jungfrauen / du machest zuschanden die Fromme und Geistliche / du beunruhigest die einfältige und ruhige Gewissen. Endlichen / du gebährest die Verräthereyen / schierest an die Feursbrunsten / begehest Todtschläg / Vatter- und Bruder-Mord / ja noch vil andere Ubel und Grausamkeiten mit deiner ungezäumten gifftigen Boßheit.

Omnis natura bestiarum domatur, linguam autem nullus hominum domare potest,36 sagt abermahl der Heil. Jacobus / alle wilde Thier kan man endlich bändigen und zahm machen / die Zungen aber kan kein Mensch (aus eignen Kräfften) bändigen oder meisteren: sie ist ein unruhiges Ubel / voll des tödtlichen Giffts. Der Heil. Augustinus haltet es für eine grössere That / eine böse Zung zähmen / als eine veste Stadt überwältigen und einnemmen.

Also wahr ist / was geschrieben stehet: mors & vita in manibus linguæ,37 der Todt und das Leben /das Heyl und das Verderben ist an der Zung gelegen / nachdem man sie wohl oder übel anwendet / sie ist das beste und schlimmste Ding. Derowegen ermahnet und warnet uns so getreulich der weise Mann / sprechend: verbis tuis facito stateram, & frœnos ori tuo rectos:38 Mach deinen Worten ein Waag und deinem Mund rechte Zaum. Ja die Natur selbsten lehret uns bedachtsam reden / indem sie die Zungen in dem Mund versperret hat / und gleichsam mit einem Bollwerck und Balisaten / ich will sagen / mit Zähn und Lefzen umgeben / damit sie nicht so geh und unbedachtsam ausbreche: Es seynd auch die unbehutsame Plauderer schier bey männiglich verhaßt / man hat ein natürliches Abscheuen darab. Sapiens priusquam loquitur multa considerat, quid dicat, cui dicat, quo in loco & tempore, sagt gar merckwürdig der H. Ambrosius. Der Weise / ehe daß er was redet / bedenckt zuvor wohl / was er sage / wem er es sage /wo / und zu was für einer Zeit.39

Ubrigens / weil die Red selber durch die Zung verstanden wird / so sollen / wie gar schön Berchorius in seinem Repert: V. lingua anmercket / unsere Wort und Reden siittlicher weiß beschaffen sein / gleichwie die Zung natürlicher weiß beschaffen ist.40 Die menschliche Zung ist zart und weich: auch unsere Wort und Reden sollen lind oder glimpfig seyn / in dem Antworten durch die Sanfftmuth / und weich /durch das Mitleiden gegen den Betrangten in dem Straffen; dann [214] responsio mollis frangit iram, sermo durus excitat furorem.41 Ein linde Antwort stillet den Zorn / und ein hartes Wort richtet Grimm an.

Die Zung ist scharpf und spitzig wie ein Schwerdt oder Degen: Auch die Red soll kräfftig und durchtringend seyn / wann es die Noth erfordert / mit einer mäßigen Schärpfe versehen. Die Zung ist roth / lebhafft und wohl gefärbt / wann der Mensch wohl bestelt und gesund ist / welches die Medici eben aus der Zungen abnehmen. Also sollen auch unsere Reden roth und lebhafft seyn / durch die Liebe / durch die Erbar- und Schamhafftigkeit: und die innerliche gute Beschaffenheit solle aus unseren Reden können abgenommen werden. Lingua sapientium sanitas.42 Die Zung der Weisen ist heilsam.

Die menschliche Zung ist hurtig / beweglich auf alle Seiten / und geschmeidig. Eben also die Zung unsers Gemüths / nemlich die Red solle beweglich seyn / und geschmeidig / durch die Bescheidenheit: Und gleichwie die Zung in dem Mund sich leichtlich umkehrt / und bald hin / bald her wendet / also sollen unsere Reden weiß und bescheiden seyn / sich nach allem zuschicken und zu richten wissen / nach Beschaffenheit der Person und Umständen / in welchen wir reden: Bald sollen wir die Traurig- und Kleinmüthige trösten und stärcken / bald die Unwissende lehren / die Schuldige straffen / die Fromme loben etc.

Es wäre ja eine Schand / sagt ein gewisser Heil. Vatter / daß ein Hund solle ein so heilsame Zungen haben / daß er mit öffterem Lecken dem Menschen eine Wunden oder offnen Schaden heilen kan / und ein Mensch hingegen solte den anderen mit seiner Zung oder Red verletzen und beschädigen: das seye fern von uns! vilmehr sollen wir eine zarte und linde /eine dinne / bewegliche und geschmeidige Zungen haben / das ist / heilsame / nutzliche / dienstliche und bequeme Wort und Reden hören lassen. Endlichen /gleichwie die Zung in dem Mund eingesperret ist / mit Zähn und Leffzen umgeben / also sollen die Reden eingezogen seyn / und immer in den Schrancken der Ehrbarkeit gehalten werden.

Von denen Heil. Apostlen stehet geschrieben: variis linguis loquebantur magnalia Dei, sie redeten von grossen Thaten GOttes mit unterschiedlichen Zungen: und dieses gehet fürnemlich die Prediger an; dann diese sollen mit dreyfacher Zungen reden: nemlich mit der Zung des Munds / oder mit den Worten: mit der Zungen der Händen / das ist / der guten Wercken / und eines guten Exempels oder tugendlichen Lebens-Wandel / mit welchem sie ihren Zuhöreren vorleuchten sollen: und mit der Zung des Hertzens /das ist / mit dem eyfrigen Gebett / GOTT zu erbitten /daß er sein Zung regiere / und seinen Worten die Krafft und den Seegen gebe / daß sie seine Zuhörer bewegen / und bey ihnen fruchten; dann gewiß ist es /daß offtermahl vil mehr Sünder bekehrt werden wegen dem heimlichen Gebett einer andächtigen Seel / als wegen offentlichen und gelehrten Predigen ansehnlicher Männeren.43

Die obgemeldte gute Eigenschafften sollen sich bey unseren Zungen befinden.44 Aber es gibt leider gar zu vil Zungen / welche zwar weich und zart seynd /aber nur wegen der Schmeichlerey und falschem Liebkosen. Andere seynd zwar scharpff und spitzig genug / aber nur den Neben-Menschen zu stechen und zu beissen. Wiederum andere seynd zwar gantz frisch /aber durch die Frechheit und hitzigen Eyfer. Andere seynd nur gar zu hurtig / schnell / und gäh / auch sehr beweglich wegen grosser Unbeständigkeit. Sie seynd auch endlich ingehalten und gleichsam eingesperret oder angebunden / wann sie am meisten solten gelößt und beredt seyn zum Gebett und Auferbauung des Nächsten.

So sollen wir dann wider so vil Ubel und Gefahren der böß- und schädlichen Zungen mit dem königlichen Propheten David den vesten Schluß machen /und von Hertzen sprechen: dixi custodiam vias meas, & non delinquam in lingua mea, posui ori meo custodiam:45 [215] Ich will meine Weeg bewahren / daß ich nicht sündige mit meiner Zungen. Ich will meinen Mund bewahren mit einem Schloß.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 212-216.
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