Anhang

Zu dem Haar von den Peruquen, und kahl- oder Glatzköpffen.

[220] Es ist da wiederum meine Meinung gantz und gar nicht / so viel ansehnliche und gescheide Männer zu taxiren oder zu tadlen / welche aus Rath der Herren Medicorum, wegen Schwachheit des Haupts / wegen Mangel der Haaren oder anderen erheblichen Ursachen der Peruquen sich bedienen; dann es ist freylich eine nutzliche Erfindung um das Peruquen tragen / es ist bequemlich / absonderlich bey kalter Winters-Zeit / es giebt auch einer sonst unansehnlichen Person ein Ansehen.

Aber die jenige (sie seyen geistlich- oder weltlichen Stands) welche ohne alle Noth und Nutzen / aus lauter Hoffart und Eitelkeit / unterschiedliche kostbare /und mehr als standmäßige Peruquen tragen / diese kan ich nicht gar ungerupfft und ungezupfft lassen.

Nur gar zu gewiß ist es / daß bey jetziger Zeit so vil hochtragene Pracht-Hanßen umlauffen / die mit ihren bald langen / bald kurtzen / bald Spanisch- bald Frantzösischen / bald Staats- bald anderen Peruquen ein solches Gespiel treiben / und solchen Unform verüben / dergleichen die Welt bey vorigen Zeiten niemahl gesehen hat.61 Es will zwar / wie ich lise / Strabo behaupten / daß vorlängsten einige Weltweise auch dergleichen aufgekraußte Haar getragen. Aber dem seye nun wie ihm wolle / so ist es doch gewiß /daß nicht alle / so jetziger Zeit Peruquen tragen / lauter Weltweise seyn; dann offtermahl stechen die Esel-Ohren an dem Stroh-Kopff durch die schön gekraußte Haarlocken herauß. Nein / nein / der allzugrosse Mißbrauch der Peruquen ist keine Weißheit / sondern vilmehr eine Thorheit: dann was kunte närrischers seyn /als ihme einbilden / als wann die gröste Reputation und aller Respect oder Ansehen / Klugheit und Gravität in einer schönen Peruquen bestunde. Ein mancher Lufftschnapper und Grillenfanger tritt so pompatícc auf der Gassen daher in seiner großmächtigen Peruquen / als wann er ein anderer Pompejus, Scipio oder Hanibal wäre. Kaum gelanget ein mancher armer Schlucker / ein hungeriger Dinten-Schlecker zu einem Dienstlein / da muß gleich ein guter Theil der Besoldung auf die Haar-Kramerey / auf eine Staats-Peruquen verwendet werden / wann er schon kein Stück Brod in der Laden / und kein Geld in der Taschen hat / wann schon das Weib und Kind an dem Hunger-Tuch nagen muß / und die Katz sein bestes Stuck Vich ist. Es hat bey der bethörten Welt diese Einbildung also überhand genommen / daß man darfür haltet / es mache die Peruquen einen allererst zum rechtschaffenen Doctor / Hoffmann / Kriegsmann /Staatsmann oder Handelsmann / und deßwegen müsse man sich vor allem mit ein oder anderer schönen und wohl aufgelauffenen / wohl gekraußten und wohl gebuderten Peruquen versehen / in welcher die Anschauende das Gesicht zu Zeiten eine gute Weil suchen müssen / und vor so vil Haar-Gepräng nicht wohl finden können. In der Peruquen muß man speculiren und studiren / processiren und protocolliren / spatziren und discuriren / galanisiren und panquetiren / ja in der Peruquen muß man die Schuh butzen / und Hunger leiden.[220]

Man kan ja fast nicht mehr Haar genug auftreiben /und die Peruquenmacher nicht genug studiren / immerdar neue und frembde Arten und Gattungen der Peruquen zu erfinden und aufzubringen: auch so gar die Dieb an dem Galgen seynd nicht sicher mehr /wann sie ein wenig saubere Haar haben / werden selbige ihnen abgenommen / und auf das Haupt des Richters oder Advocaten transferirt. Bald will man lange Peruquen haben / bald kurtze / bald breite / bald schmale / bald krauße / bald glatte / bald frisirte /bald geschmierte / bald zöpffichte / bald knüffte /bald mit dem Haar-Beutel / bald mit dem Zopff. O wann an einer jeden Peruquen ein Zettul hienge / wo die Haar herkommen / wie wurde es so wunderlich in das Gesicht kommen: auch die Pferd müssen ihre Schweiff hergeben / und die Haar / mit welchen man vor Zeiten die Sättel und Madrazen ausgeschoppet hat / müssen jetziger Zeit gespalten und gekräußt werden / diesen oder jenen Esel / hätte schier gesagt / Esels-Kopff zu bedecken / und ihme ein Doctor-mäßiges Ansehen zu machen.

Anno 1129. soll es geschehen seyn / daß / weilen damahls die Mannsbilder gar zu üppig und übermüthig ihre Haar geziglet haben / so haben vilen die Haar auf dem Kopff gähling zu brinnen angefangen /welches Zweifels ohne eine Straff GOttes gewesen ist.62

Dergleichen hat sich auch begeben zur Zeit des Kaysers Lotharii: dann als dieser die Stadt Speyr belagerte / da haben die Teutsche eine grosse Hoffart mit ihren schön aufgebutzten Haaren getrieben / welches GOTT also mißfiele / daß sehr vilen aus der Kayserlichen Armee ihr Haar durch einen Donnerstrahl ist angezündt und verbrennt worden.63 Was wird anjetzo der Allerhöchste darzu sagen / da man weit grösseren Pracht mit denen falschen Haaren treibet / und offtermahl auf ein einzige Peruquen solchen Kosten wendet / daß man einen armen Menschen eine halbe Jahrs-Zeit darmit ernähren kunte? Ich will nichts sagen von dem wohlriechend- und kostbaren /aber so unnütz- als häuffigen Haar-Buder / mit welchem nicht nur die Peruquen selbst / sondern auch der Rucken und Schulteren so dick muß übersäet seyn /als wann einer lange Zeit unter einem Mühl-Beutel gestanden wäre. Wann GOTT solchen Haar-Pracht /wie zur Zeit des Kaysers Lotharii allzeit mit dem Strahl straffen wolte / so wurden wir wohl auch mitten im Winter ein manches Donner-Wetter haben.

Olim non sic: vor Zeiten war es nicht also. Nicht nur die Krauß-Köpff / sondern auch die kahle oder Glatz-Köpff seynd in Ehren gehalten worden.64

Synesius Cyrenensis hat in Griechischer Sprach ein grosses und weitläuffiges Lob zu Ehren der Glatz-oder Kahlköpffen geschrieben / welches von Joanne Phrea, einem Brittanier ins Teutsche übersetzt worden. Auch Hugobaldus Elvonensis Ord. S. Benedicti, ein sinnreicher und laborioser Poet hat zu Ehren Kaysers Caroli des Anderen / mit dem Zunamen des Glatzkopffeten ein Carmen heroicum geschrieben / in 136. Versen bestehend / in welchen allen kein einziges Wörtlein ist / welches nicht von dem C. anfangt. Welches mich allzeit ein rechtes Wunder der Kunst und des Ingenii zu seyn geduncket hat. Er beweiset in demselben / daß aus den Kahl- und Glatzköpffen sehr vil berühmte und fürtreffliche Männer gewesen seyen / vil Bischöff und Prälaten / Doctores und Poeten /König und Fürsten. Einen Theil desselben Carmeus referirt Jo. Adamus Weber in seiner Arte conversandi à fol. 763. und fanget also an:


Carmina Clarisonæ Calvis Cantante Camænæ.

Comere Condigno Conabar Carmine Calvos,

Contra Cirrosi Crines Confundere Colli.

Cantica Concelebrent Callentes Clara Comænæ.

Collaudent Calvos, Concludant Carmine Cunctos,

Carpere Conantes Calvos, Crispante Cachinno.[221]

Conscendat Cœli Calvorum Causa Cacumen.

Conticeant Cuncti Concreto Crine Comati.

Consona Conjunctim Cantentur Carmina Calvis etc.


Der Sensus oder Innhalt dieser Versen ist / daß die Musæ eingeladen werden / zu Ehren der kahlen oder Glatzkopffeten Lob zu singen / und ihren Ruhm zu verkündigen etc.

Ja was noch mehr ist / GOTT selber scheint ein Patron und Beschützer der Kahlköpffen zu seyn: dann als der Prophet Elisæus hinauf gieng nacher Bethel, da lieffen ihme die kleine Buben aus der Stadt nach / spotteten seiner und rufften: Kahlkopff komm herauff / welches GOTT also mißfallen hat / daß eilends 2. grimmige Beeren aus dem Wald daher geloffen seynd / und 42. jämmerlich erwürgt und zerrissen haben.

Aber auch da heisset es: Quot capita tot sententiæ: Vil Köpff vil Sinn.65 Es wollen halt die Kahlköpff nicht allen gefallen. Julius Cæsar hat seinen Kahlkopff mit grosser Ungedult getragen / weilen er vermerckte / daß man ihn deßwegen zum öffteren ausrichtete. Es ist ihme auch deßwegen von dem Römischen Rath und gemeinen Volck kein grössere Ehr und Lieb erwiesen worden / als daß ihme vergunt ware den Lorber-Crantz beständig auf dem Haupt zu tragen. Wie Suetonius bezeuget.

Der Kayser Domitianus hat sich seines Glatzkopffs also geschämt / daß er es für eine grosse Schmach und Beleydigung hat gehalten / wann man auch nur einem anderen diesen Defect in Schimpff oder Ernst hat vorgeworffen. Elisabetha aber / eine Königin in Engelland / obwohlen / wann sie offentlich vor dem Volck erschienen ist / schöne krauße Haar hatte / so ware sie doch gantz kahl oder glatzkopffet: welches sie aber also verborgen und geheim gehalten / daß es niemand als ihre Cammer-Fräulein wußte. Als aber ein Hoff-Herr unversehens in ihr Zimmer kame / und sie mit entblößtem Haupt gantz kahl oder glatzkopffet antraffe / da hat sie sich also geschämt und erzürnet / daß sie alsobald diesen Hoff-Herrn aus dem Pallast / die Cammer-Fräulein aber von dem Dienst abgeschafft hat.

Die Ursach aber / warum der Mensch kahl oder glatzkopffet wird / ist der Abgang der warmen Feuchtigkeit / dann wann diese ermanglet / da verdorren die Würtzelein der Haaren: und deßwegen fallen gemeiniglich die Haar auf dem vorderen Theil des Haupts zu erst aus / weilen in selbem das kalte Hirn enthalten ist / und die Wärme verhinderet.[222]

Fußnoten

1 Des Munds sein Ampt und Beschaffenheit.


2 Der Mund ist nothwendig das Gemüth zu erklären.


3 lib. 5. phys.


4 Die Prediger werden durch den Mund beditten / und wie sie sollen beschaffen seyn.


5 Der Mund lehret Gutes und Böses zu unterscheiden.


6 Den Mund soll man mit Behutsamkeit eröffnen.


7 S. Amb. lib. 1. de Virg.


. 8 Eccli. c. 3. v. 7.


9 Apoc. c. 17.


10 Psal. 134. v. 18.


11 Prov. c. 10. v. 19.


12 Eccli. c. 5. v. 2.


13 Schweigen ist eine sehr nutzliche Kunst.


14 Prov. c. 13. v. 3.


15 Die Verschwigenheit ist nothwendig.


16 Prov. c. 26. v. 28.


17 Fabel vom Tantalo.


18 Unterschiedliche böse Mäuler werden beschrieben.


19 lib. 2. de offic. c. 2.


20 Psal. 108. v. 1.


21 Prov. c. 11. v. 9.


22 Sap. c. 1. v. 11.


23 Psal. 13. v. 3.


24 Eccli. c. 7. v. 6.


25 Prov. c. 17. v. 19.


26 Psal. 34. v. 21. & 21. v. 14.


27 Psal. 72. v. 9.


28 Eccli. c. 14. v. 1.


29 Das Ampt und die Beschaffenheit der menschlichen Zungen.


30 Das Lob und die Krafft der Zungen.


31 Eccli. c. 6. v. 5.


32 Isa. c. 50. v. 4.


33 Ep. c. 3. v. 4.


34 Vilfältiger Schaden böser Zungen.


35 tomo 1. serm. 23. c. 3.


36 Epist. c. 3. v. 7.


37 Prov. c. 18. v. 21.


38 Eccli c. 28. v. 29.


39 lib. 1. de offic.


40 Wie unsere Reden solen beschaffen seyn.


41 Prov. c. 15. v. 1.


42 Prov. c. 12. v. 18.


43 Dreyfache Zung der Prediger.


44 Böse Eigenschafften der Zungen.


45 Psal. 38. v. 11.


46 Wie die Haar wachsen und beschaffen seyen.


47 Die Gedancken und innerliche Neigungen werden durch die Haar beditten.


48 Cassianus Coll. 2.


49 Isaiæ c. 1. v. 16.


50 2. Reg. 18.


51 Die Haar überflüßiger Reichthumen soll man abschneiden.


52 Der Bart bedeutet die männliche Stärcke und Weißheit.


53 Tugend und Weißheit solle mit dem Alter zunehmen.


54 Sap. c. 7. v. 8.


55 Haar und Bart abscheeren / ob es löblich seye oder nicht.


56 Num. c. 6 v. 5.


57 Lev. c. 19. v. 27.


58 Der Bart wird gepriesen.


59 Bart-Streit


60 Mit dem Bart soll man verlieb nemmen wie er ist.


61 Der starcke Mißbrauch der Peruquen wird getadlet.


62 Trithem. in Chron.


63 Cranz. lib. 6. Metrop.


64 Die kahle oder Glatz-Köpff seynd in Ehren gehalten / und werden gelobt.


65 Die Kahl- oder Glatzköpff seynd unangenehm.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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