Abu Haßan.


Abu Haßan

[220] Ein Kaufmann zu Bagdad, der alten Stadt der arabischen Khalifen, hatte eine Frau hinterlassen, und einen Sohn, und weil er sehr reich war, auch viel, sehr viel Geld. Daß ers hinterließ, das macht, daß er gestorben war, denn sonst hätt er es gewißlich noch selbst behalten.

Der Sohn war an 30 Jahr alt, als er seines Vaters Erbe wurde, und begriff wohl, es sei eine herrliche Sache sorgenfrei und lustig leben zu können, mit so vielem Vermögen. Das war aber auch das Einzige, was er so recht begriff, denn an Verstand hatte ihm der knauserige Vater eben nicht mehr hinterlassen, als was er so von sich selbst mit zur Welt gebracht hatte. Der Herr Vater aber hatte blos darum viel hinterlassen, weil er an allem erknauserte, selbst an der Bildung des Sohnes – doch was geht uns der Geldkasten vom Vater an, zumal da er todt ist; wir haben es mit seinem Sohn zu thun, mit Abu Haßan, der noch lebt, und nun erst recht zu leben sich vornahm; so nämlich wie Er sich das rechte Leben dachte. Eingezogen und kärglich war er gehalten worden, nun sollte es aber ganz anders gehen, denn er konnte es ja den Söhnen der reichsten Väter gleich oder gar zuvor thun, weil er Geld genug hatte.

Er theilte sein Geld und Gut in zwei gleiche Theile – den einen Theil zu Jubel und Lust, den andern aber, für welchen er[221] Landgüter kaufte, bestimmte er für den Fall, daß, wenn der erstere versaußt sein würde, er immer noch anmuthig und anständig davon leben könnte. – Man sieht, daß von des Vaters vorsichtiger Kaufmannsnatur auch auf ihn etwas war übergegangen.

Haßan, der so lange wie ein Einsiedler gelebt hatte, und hatte fast keinen Menschen gekannt, fand auf einmal eine große Menge Freunde, die so viel Liebenswürdigkeiten und Tugenden an ihm fanden, daß er gar nicht begreifen konnte, wo dieselben auf einmal herkämen, und wie sie so lange in ihm hätten verborgen bleiben können, zumal da ihn der Vater immer nur Dummhut, Tölpel, Freßsack und Taugenichts und mit andern so schönen und anmuthigen Namen genannt hatte.

Die Liebenswürdigkeiten und Tugenden aller Art fanden sich aber da, als er den Freunden die glänzendsten Feste gab, die vom Abend an, bis zum Anbruch der Morgenröthe währten. Da waren die ausgesuchtesten Gerichte, aus den fernsten Gegenden der Erde; die seltensten und feinsten Weine, von denen sie eigentlich keinen Tropfen trinken durften, weil sie Muhamedaner waren, – sie thaten es aber doch, und tranken tapfer drauf los. Da waren die theuersten Spielleute, die herrlichsten Sängerinnen mit Engelstimmen, Tänzerinnen wunderschön, und in allen Sprüngen und Hüpfen gewandt; die schönsten Sklaven und Sklavinnen dienten bei Tische, und am Ende schloß sich immerdar das Fest mit einem Ball, wo Alles durcheinander ging.

So ging es Abend für Abend und Nacht für Nacht, und Alles was in dem großen und reichen Bagdad, hoch und vornahm, glänzend und reich, kunstreich und kostbar war, fand man bei Abu Haßan beisammen.

Aber die Herrlichkeit konnte doch ewig nicht währen. Sie hielt etwa zwei Jahr aus, und dann war es damit auch wirklich aus.[222]

Und da nun die Stille und Einsamkeit in Haßans Haus eingezogen, waren die Freunde mit ihren Lobpreisungen seiner Liebenswürdigkeit und Großmuth ausgezogen, und ließ sich keiner erblicken. Es war als wären sie alle gestorben, obwohl Haßan noch viele der selben auf den Straßen lebendig sahe, die ihm aber sämtlich schon auf hundert oder gar tausend Schritt auswichen.

Das kränkte den Haßan sehr, und er grämte sich darob mehrere Tage, und saß mit unterstütztem Kopfe in seinem Sofa gar trübsinnig. Nicht das verlorne Geld that ihm weh, sondern die Untreue derer, die sich seine Freunde hatten genannt, und hatten ihm Liebe und Treue auf Noth und Tod geschworen mit theuern Schwüren, und nun thaten, als habe er niemals gelebt. – Den weltklugen und selbstsüchtigen Leuten mit feinen Schnüffelnasen begegnet so etwas nicht leicht, und den ausgemachten Spitzbuben noch weniger, aber Haßan kannte die Welt nicht, und war eine treuherzige Haut.

Es kränkte ihn, und er grämte sich darob so sehr, daß er ordentlich verfiel. Die Mutter wollte ihn trösten, und sagte, er habe ja noch genug, und könne ruhig in die Welt hinein sehen, und sich noch manchen guten Tag machen. Aber Haßan antwortete, das sei es auch nicht, was ihm so weh thue; aber daß die Menschen, die er so lieb gehabt habe, so – so – ach so gar grundschlecht wären, das habe er nicht erwartet, und schmerze ihn weit mehr.

Da setzt ihm denn die Mutter auseinander, daß es nun einmal in der Welt leider also zustehe und zugehe, und heiße das der Weltlauf, in den man sich denn schon müsse schicken, wenn man sich nicht täglich wolle ärgern oder betrüben!

»Ach Mutter! rief Haßan, was Ihr da sagt, das ist gar nicht gut, sondern erbärmlich! Ach einen treuen Freund fürs Leben, nur Einen einzigen möchte ich haben; dem wollte ich auf Leben und Tod zugethan bleiben. Ich will suchen, ob ich ihn finde? – Vielleicht ist unter meinen Abend- und Tischgenossen, doch noch Eine treue[223] Seele – vielleicht finde ich sie heraus, und ich habe mirs schon ausgedacht, wie ich das anfangen will.«

»Mein Sohn! antwortete die Mutter, Gott lasse dich finden, was du sucht. Aber rechne nicht gar zu gewiß darauf, sondern glaube mir, es ist ein sehr rarer Fund. Und was deine Spieß- und Spaßgesellen betrifft, so rechne auf diese am wenigsten, denn bei denen war Alles nur Spaß. Es waren Maul-, Tisch- und Bouteillenfreunde, die ihrem Maul, deinen Gerichten und Weinen sehr freundschaftlich zugethan waren, aber nur Dir nicht – Glaube mir!« –

Haßan glaubte zwar, aber nicht so grad hin, und nicht so durchaus, und so that er denn, was er sich ausgedacht hatte, und was schon Viele in ähnlichen Lagen gethan haben.

Er geht zu denjenigen seiner Abendgenossen, die er noch für die besten hielt, stellt ihnen seine Lage und jetzigen Nothstand vor, und ohne ungroßmüthig zu erwähnen, daß er sich ja fast ganz allein um ihretwillen erschöpft habe, bittet er blos um ein Darlehn, womit er sich wieder aufhelfen könne, verspricht pünktliche Rückzahlung, und macht sogar Hoffnung, daß er, wär er nur erst wieder hinauf, dann auch mit seinen Freunden manchen vergnügten Abend wieder verleben wolle. – Ein ehrliches und gutes Herz, meinte Haßan, würde sich doch finden.

Haßan hatte sich verrechnet. Der Eine bedauerte mit den allerhöflichsten Worten, daß er in Verzweiflung sei, ihm gerade jetzt nicht helfen zu können, – er habe große Auslagen gehabt, habe erst gestern und vorgestern da und dort verliehen, und sei dermalen selbst in einiger Verlegenheit; aber die andern Freunde würden gewiß sich eine Ehre und ein Vergnügen daraus machen, ihm zu willfahren, – mit vielen Betheurungen seiner innigsten Freundschaft und Liebe, schob er ihn ganz mählig und sanft zur Thüre hinaus, und empfahl sich ihm nochmals.[224]

Haßan ging zu einem Andern, und dachte: Vielleicht Der! Aber der machte wenig Umstände mit ihm, und sagte höhnisch: »Wie mans treibt, so gehts! und bat, ihn mit solchem dummen Ansinnen zu verschonen, denn er werde kein solcher Narr sein, einem Bruder Lüderlich seine blanken Goldstücke zu leihen, die doch wieder in einigen Wochen verschwelgt wären. Des Ueberlaufs von solchem Gesindel sei ohnedieß schon zu viel.« – Haßan ging.

Ein Dritter sagte zu Haßan, er müsse wohl ein wenig im Kopfe verwirrt sein. Sein Gesicht sei ihm ganz fremd, und als Haßan das übel nehmen wollte, ließ er den Unverschämten durch seine Bedienten kurzweg zur Thüre hinaus werfen.

Ein Vierter stellte sich auch ganz fremd, und nahm ein Paar kleine Silberstücke, und sprach: »hier mein Freund!« und damit wollte er sie ihm geben; Haßan aber ging, und biß vor Grimm die Zahne zusammen.

»Das ist also die Freundschaft! die Freundschaft der Welt! sagte Haßan. So sieht sie also aus? – Nun wir wollen uns vor der Freundschaft der ganzen Welt künftig in Acht nehmen.«

Er machte sich seinen Plan, wie er jeden Abend vergnügt sein wolle, ohne irgend einen Menschen in ganz Bagdad. Die Mittel dazu gaben ihm sein gut gefüllter Goldkasten und sein reiches Einkommen von den Gütern. Er bat sich jeden Abend einen von den vielen Fremden, und namentlich von den vielen auswärtigen Kaufleuten, die nach Bagdad kamen, und nahm sich fest vor, keiner sollte öfter bei ihm zu Abend essen, und zur Nacht beherbergt werden, als ein einziges Mal. So führte er es auch aus. Früh wurde schon das Schönste und Beste, was nur irgend zu haben war, angeschafft, und zu Abend setzte sich Haßan auf eine Brücke, und bat den ersten besten Fremden, der ihm gefiel, höflichst, bei ihm zu essen und zur Nacht zu bleiben. Da hatte er denn alle Abende lehrreiche und angenehme und oft lustige Unterhaltung, denn die[225] Fremden hatten viel gesehen und gehört, und manche steckten voll Scherze und Schnurren, und die köstlichen Gerichte und Weine trugen das Ihre zur Fröhlichkeit bei. Nach Mitternacht erst begab man sich zur Ruhe, denn Haßan hatte Zeit genug auszuschlafen.

Haßan befand sich bei seiner neuen Lebensweise sehr wohl, und hatte schon viele Abende vergnüglich zugebracht, als er eines Abends den Khalifen Harun Alraschid bittet, den er nicht kannte, weil er sich mit Mesrour seinem Oberkämmerer und einem begleitenden Sklaven hatte verkleidet, so, daß ihn Niemand erkennen konnte. Haßan hatte ihn ohnedieß nie gesehen, denn die Sultane des Morgenlandes allzumal lassen sich nur sehr selten sehen.

Die seltsame Einladung belustigte den Großherrn, und er nahm dieselbe an, zumal da ihn Haßan von seiner Lebensweise und von seinen stets neuen Abendgästen unterrichtete. Haßan erschien ihm als ein sonderbarer Kautz, welchen er näher müsse kennen lernen.

Sie aßen mit einander, und Haßan, mit der Hoheit seines Gastes unbekannt, überließ sich seiner fröhlichsten Laune, die der Khalif geflissentlich mit vermehren half, zumal da er sich schon einen gnädigen großherrlichen Spaßscherz mit dem lustigen Wirth ausgedacht hatte. Seine großgläubige Majestät sahen zwar gar gravitätisch aus, hattens aber dick hinter den Ohren, wenns anders erlaubt ist, von hohen Potentaten also zu sprechen.

Sie aßen nicht blos mit einander, sie tranken auch mit einander, ordentlich wie sichs gebührt. Haßan schenkt sich zuerst eine Schale voll ein und trinkt, und singt dazu ein fröhliches Trinklied und schenkt dann dem Khalifen ein, der seine Schale köstelnd ausschlürft, den Wein gut findet, ohne zu singen. So geht es hin und her, und dabei sagen sich beide die höflichsten und artigsten Sachen. Der Khalif gefiel dem Haßan, und Haßan gefiel dem Khalifen.

Mitternacht war heran gekommen, und wenn man so gut getrunken hat, wie diese Beiden, so will man denn auch gehörig ausschlafen.[226] Der Khalif bezeigt seinem Wirthe die innigste Dankbarkeit, und wünscht dieselbe thätig beweisen zu können. Hätte Haßan ein Verlangen, so möge er es ihm eröffnen, vielleicht könne er es ihm gewähren, denn er sei selbst am Hofe nicht unbekannt.

»Ich, erwiederte Haßan, habe eigentlich in der ganzen Welt nichts zu wünschen, denn es fehlt mir nichts. Aber der Iman unsers Viertels, und vier andere Spitzbuben von Graubärten, die meine Nachbarn sind – ja! wenn ich die einmal so recht tüchtig könnte durchbläuen lassen, daß sie es so ein vier Wochen auf dem Buckel juckte, das sollte meine Herzenslust und Freude sein! – Ich wollt' ich wär einmal nur einen einzigen Tag Khalif, dann sollt es geschehen.«

»Ei! sprach der Khalif; so heilige Leute!«

»Ja doch, erwiederte Haßan! heilige Heuchler, die alle Tage sich versammeln, und über Alles lästern und leumden, was im Viertel vorgeht, und stiften lauter Unheil und Händel an, und anstatt in ihren Koran die Nase zu stecken, stecken sie die Schnüffelnasen in fremde Angelegenheiten, und alle Nachbarn und ehrlichen Leute fürchten sich vor diesen Spitzbuben; und den Iman kann ich nun vollends nicht leiden, denn der alte Bengel brüllt wie ein Löwe, wenn er früh morgens von seinem Spitzthurm (Minaret) herab zum Gebet ruft, wo man doch noch im besten Schlafe liegt.«

»Ja freilich, sprach der Khalif, wenns so ist so muß man sehen, wie man den alten Heuchlern aufs Kollet kommt – Laßt mich einmal sorgen! Vielleicht gelingt es mir. Ich will indessen jetzt von Euch dankbaren Abschied nehmen, damit ich Euch morgen nicht im Schlafe zu stören brauche, weil ich gewohnt bin früh aufzustehen.«

»Thut nach Eurem Belieben, sprach Haßan, und macht nur morgen früh beim Fortgehn die Thüre ordentlich zu, wenn ich noch schlafe.«[227]

Das versprach der Khalif, füllte den Nest des Weins, der noch in der Flasche war, halb in seine Schale, und trank ihn zur schuldigen Danksagung; die andere Hälfte goß er in Haßans Schale, in welche er aber sehr geschickt ein Schlafpulver gebracht hatte, das er immer bei sich führte. Er bot die Schale seinem Wirthe, dessen Augen schon gläsern und schläfrig waren, mit der gefälligsten Art dar, und dieser leerte sie auf einen Zug. – Aber sie war kaum geleert, so sank er auch schon im tiefsten Schlaf aufs Sofa hin.

Jetzt rief der Khalif den Mesrour und seinen Sklaven, ließ den Haßan auf die Achseln laden, und in seinen Palast tragen. Die Kammerdiener mußten den festen Schläfer auskleiden, und in das Bett des Khalifen legen, der, um sich einen rechten Hauptspaß zu machen, auf der Stelle seine Befehle für den folgenden Tag gab. Alles lief darauf hinaus dem Haßan einzubilden, er selbst sei der Khalif. – Ich weiß nicht, ob der Großherr diesen Spaß mit seinem großherrlichen Genie sich selbst ersonnen, oder nur von andern Genies abgelernt hat; denn solcher Spaß ist öfter von hochgewaltigen Herren gemacht worden. – Genug, der ganze Hof und selbst Giafar der Großweßir bekam höchst gnädig strengen Befehl, den Haßan in allen Dingen wie den Khalifen zu behandeln, und nach dessen Willen überall zu verfahren, er möge gebieten, was ihm beliebe. Daß der Allergnädigste Alles am andern Tage sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden, und daß er keinen einzigen Spaßaugenblick verlieren konnte, dafür war Sorge getragen.

Haßan erwachte. Sein Bette, sein Nachtkleid, sein Zimmer und die Verzierungen desselben, die Gefäße von Gold und Silber mit Edelsteinen besetzt, die schwarzen Sklaven, die mit kreuzweis über die Brust gefalteten Armen schweigend und demüthig unweit des Bettes standen, und die wunderschönen reichgeschmückten Sklavinnen, mit Flöten, Hoboen, Zimbeln und Handtrommeln – allesammt[228] seines Winks und ihres Dienstes gewärtig – – was sollt er aus dem Allen machen?

»Wach ich? – träum ich? fragt er sich selbst, und war an sich selbst irre. – Nein das ist doch Wachen! – Aber es kann ja nicht Wachen sein, denn sonst müßt ich ja wohl, bei Gott, der Khalif sein, so groß und herrlich ist Alles – ich träume also. – Aber das ist doch wahrhaftig ein Traum, der wie Wachen scheint. – Wer bin ich denn? – Es sieht mir aus, als wär ich ein Bischen Khalif, und bin doch, ich weiß es gewiß, nur Abu Haßan, der Bruder Lustig, der sich um die ganze Welt nicht kümmert, seitdem er die Weltfreundschaft hat kennen gelernt, und den der alte Heuchler der Iman immer verlästert. – Nun Geduld nur; ich wills schon noch heraus klauben, wer ich denn so eigentlich bin, und ob ich träume oder wache?«

Aber er konnte es doch nicht so stracks heraus bringen. Da trat eins der schwarzen und stummen Gesichter auf ihn zu, und thät seinen Mund auf, und sprach:

»Beherrscher der Gläubigen! Nach Eurem eigenen hohen Befehl muß ich bitten, aufzustehen; die Morgenröthe glänzt schon am Himmel!«

»Dumrian, rief Abu Haßan, ich weiß besser wer ich bin. – Ich wäre eben der rechte Beherrscher der Gläubigen! Ich schlafe bis in den Tag hinein, du Narr, und deine Morgenröthe, du Mohrengesicht, geht mich gar nichts an. – Laß mich träumen, Hans Narr.« – Damit legt er sich auf die andere Seite.

Bald kam ein anderer Schwarzer. »Beherrscher der Gläubigen, sprach er; die Sonne will aufgehen; die Stunde des Gebets naht sich.« –

»Hol der Popelmann deine Stunde, sagte Haßan, ich schlafe nicht nach Stunden, sondern so lange ich will, und alleweil träum ich, ich sei der Khalif.«[229]

»Ei, mein gnädigster Herr, das seid Ihr ja auch gewiß und wahrhaftig, sagte Mesrour der Oberkammerherr, der eben heran rat; und die Geschäfte warten auch schon auf Ewre Majestät. Die Emirs und Fürsten sind schon alle versammelt, erwartend, ob Aller-Höchstdieselben Dero allerhöchsten Thron zu besteigen, und Dero Allerhöchstgnädige Befehle zu ertheilen geruhen wollen.« – Es versteh: sich, daß Mesrour auf dem Bauche lag, indem er zu dem Allerhöchsten diese höchst freimüthigen Worte sprach.

Haßan wurde immer mehr an sich selbst irre, und immer mehr unwillig, und beinahe so unwillig, als nur immer ein Khalif werden darf, und rief: »Schweig du schwarzer Dickkopf mit deinem Breitmaul, und laß mich fortträumen. – Du weist den Henker wer ich bin.«

»O, antwortete Mesrour, Euer Sklav wird nie vergessen, wer Ihr seid! –Ihr seid der Herr der Welt, und der Herrscher von ganz Arabien, und der Sohn der Sonne, und das Kind der Aeltern der Gestirne, und der Allerallmächtigste und Allerunüberwindlichste Herr, vor dessen Blicken die Geister und die Menschen zittern, und wenn Ihr Eure Augenbrahnen runzelt, so sieden und wallen die Meere, denn Ihr seid Harun Alraschid!«

Haßan sahe stumm und starr den Sprecher eine Weile an. Dann sagte er: »Höre Bruder! Einer von uns Beiden ist rein toll – entweder Du, oder Ich. – Am Ende, glaub ich, wir alle Beide.«

»Das verhüte Gott in Gnaden, sprach Mesrour, aber Ew. Majestät belieben wahrhaftig zu scherzen, oder ein sehr böser Traum muß Ew. Majestät irre gemacht haben.«

»Ja, träumen mag ich wohl, brummte Haßan, aber ich will mir gleich aus dem Traume helfen. Wartet nur.«

Da stand ein kleiner schwarzer Mohr – so ein Page, das heißt, so ein junges Jüngelchen von 15 oder 16 Jahren, welches die vornehmen[230] Aeltern an den Hof zu thun pflegen, damit es dort recht höflich und recht grob, recht klug und recht dumm, recht kriechend und recht hochstolz werden, und vor allen Dingen die Kunst lernen soll, Nichts zu thun, dafür aber nachmals einen Titel sich geben zu lassen, und tüchtiges Geld für die geleisteten Dienste obenein.– Ja so ein Bürschlein, einen Pagen, Gott sei bei uns – sahe er, und sprach: »Hört einmal lieb jung gnädiges Herrlein, Ihr seid doch dahier am Hofe, und seht mir so hübsch klug und gescheut, und so hübsch einfältiglich daneben aus; nun sagt mir einmal, was ich denn bin, oder was ich nicht bin?«

Dem Knaben – nein, dem jungen Herrn, hatten die alten Junkherren, schon heimliche Zuflüsterungen mit etwas Seiten, und Rippenstößen gegeben, und weil denn das junge Kerllein schon im funfzehnten Jahre klüger war, als es im dreißigsten hätte werden können, so sagte es:

»Mein hochgnädigster Herr! ich weiß zwar eigentlich fürwahr nicht, was und wer Ihr seid; aber Ihr seid doch eigentlich wahrhaftig und gewiß ein hochgebietender Herr!«

»Nun da seh eins Gotts Wunder, sprach Haßan; nun weiß ich doch wer ich bin! – Der Junker ist ein geborner Hofmann, so scharf und tiefsinnig spricht er, und weder Er noch ein anderer Mensch kann klug daraus werden.«

»Hört einmal, Ihr lieben scharmanten Dingerchen mit Euren Musikinstrumenten, fuhr Haßan fort, kommt einmal der Reihe nach her, und sagt mir einmal wer Ihr seid, und wer ich bin, und ob ich wache oder träume?«

Die Erste trat heran, und sagte: sie heiße Perlenauge; die Andere sprach: ihr Name sei Rosenmund; die Dritte nannte sich Morgenröthe; die Andern allzumal hatten ihre seltsamen kostbaren Namen, z.B. Abendschein, Elsenbeinzahn, Pfauenschwanz, Mondscheinstrahl, Silberblick, Goldfunke u.s.w. – und nannten sich[231] alle so hübsch und niedlich, wie wir jetziger Zeit, wo wirs auch gelernt haben, unsere Töchter zu nennen pflegen, z.B.: »Li li; Lu lu; Tu tu; Lo lo; Mi mi1« u.s.w. »Nun, sagte Haßan, du Rosenmaul, oder du, Ratten- oder Affenschwanz, oder du, Perlenschnauze u.s.w. sagts einmal ehrlich, und rein von der Leber weg, wer bin ich denn eigentlich und ordentlich?« Aber auf sein Befragen wußten sie wahrhaftig nichts weiter, als daß er der Beherrscher der Gläubigen wäre, und damit er völlig erwachen und sich ganz besinnen möchte, spielten sie fein und lieblich auf, tanzten und sangen dazu, und der in sich selbst verwirrte Haßan dachte: »Nun wenn ich also einmal der Khalif wider Willen sein soll so, so will ichs denn auch sein; aber ich begreife von dem ganzen Handel gar nichts, und Gott allein weiß, wie ich dazu komme. Aber ich will jedoch regieren und befehlen, daß es eine Art haben soll, weil es nicht anders sein kann.«

So stand er denn auf, ließ sich ankleiden von mehr als sechszig Paar Händen, was er sonst mit seinem einzigen Paar Händen allein gekonnt hatte, und da er nun angethan war, mit königlichem Kaftan und Turban, führten ihn die Großen des Reichs in den Staatsrath, und halfen der Majestät auf den Thron herauf, und die Umstehenden, die Emirs und Fürsten wünschten ihm mit lauten Ruf, Gesundheit und langes Leben; – denn Weisheit und Verstand brauchten sie ihm nicht zu wünschen, weil er, wie jeder Sultan, so viel davon übrig hatte, daß er fürs ganze Land abgeben konnte.

Giafar streckte sich vor dem Throne nieder, berichtete dieß und das, ohne daß Haßan in seiner Betäubung wußte, worauf es ankam. »Machts, wie ihr wollt;« dachte er, und half sich so gut durch als er konnte. Nur den Iman und die vier Graubärte vergaß[232] er nicht, und Giafar erhielt Befehl, dieselben öffentlich auspeitschen zu lassen, mit dem Ausruf, daß sie Händelmacher und Friedensstörer und Lästermäuler wären. Giafar ließ stracks den Befehl vollziehen, und erstattete Bericht, wie sie sich gebehrdet und wie sie geschrieen hätten. – So wars dem Haßan denn eben recht.

Hierauf bekam Giafar Befehl, der und der alten Frau, die in demselben Viertel wohne, wo der Iman mit seinen Genossen geochsenziemert worden war, zweitausend Goldstücke zu schenken, (es war seine Mutter, die er aber sich schämte als Mutter anzuerkennen, seitdem er Khalif war), – Giafar ließ auch das vollziehen und erstattete Bericht von dem Danke der alten Frau, die gar nicht gewußt habe, wie sie zu dieser hohen Gnade von dem Beherrscher der Gläubigen käme.

»Das will ich schon glauben, sagte Haßan, ich aber weiß es recht gut, wie sie dazu kommt.«

Haßan, wie man sieht, hatte in kurzer Zeit das Regieren recht ordentlich gelernt, denn er konnte nach Belieben auspeitschen lassen, und Goldstücke verschenken. Es lag ihm aber in der That nicht sehr an den Regierungssachen, und er dankte dem Himmel, als die Sitzung des Staatsraths zu Ende war, und es nun ans Essen und Trinken ging, worauf er sich viel besser verstand, und womit er den ganzen übrigen Theil des Tages zubrachte. Es ging in viele Säle und Zimmer, und in jedem Saale und Zimmer waren andere Gerichte, andere Weine, andere Früchte, und auch andere Sängerinnen und Tänzerinnen, so schön, als sie auf der Erde nicht vorhanden sind, und auch gar nicht vorhanden sein können. Hier aber waren sie doch da! – Und er suchte den Korallenlippen, den Perlensträußern, den Morgensternen, den Mondscheinsstrahlen, den Blütendüften, und wie die Mädchen weiter hießen, die schönsten Früchte aus goldnen Becken aus, und sie mußten ihm in den besten Weinen mit Bescheid thun, welches sie auch recht gern thaten, denn[233] das konnten sie gar gut, indem sie es längst gelernt hatten. – Sie tranken und sangen; sie sangen und tranken, und Haßan trank und sang auch mit, und kümmerte sich am Ende gar nicht mehr darum, wie er ein so großer Herr geworden sei, denn es war ihm genug, daß er es war, und in seiner Ueberfreude erwischte er diese und jene Jungfer beim Arm, und hopsasate mit ihr durch den Saal, und lachte und jubelte dazu. – Wer aber noch mehr lachte, war der wirkliche Khalif, der Alles, Alles mit angesehen, und sich oftmals vor Lachen den hochgnädigen Bauch gehalten hatte, damit der sich nicht ausschütte.

Guter, treuherziger Haßan, das Regieren hattest du so bald begriffen, und du warst Khalif, und dachtest nur an deine Freude, aber nicht daran, daß du nur der Narr eines – – Khalifen warst. Armer Haßan! du mußtest schwer büßen, ohne Etwas verschuldet zu haben; aber es geht einmal in der Welt nicht anders.

Der Abend war gekommen, und mit dem letzten Glase Wein empfing Haßan wieder ein Schlafpülverchen, und wurde in seine Wohnung zurück getragen, und in seine Schlafkammer gelegt. – Die Thür der Schlafkammer ward aber offen gelassen, mit Fleiß, denn also hatten es seine Majestät befohlen, die grade in solchen Dingen kleiner Art recht sehr groß waren.

Armer Haßan! Du erwachst in deiner Hauskammer, du rufst Perlenstrauß, Rosenmund, Korallenlippe, Morgenstern u.s.w. – rufst, rufst, und brüllst beinahe am Ende, aber es kommt ja Niemand, als die gute, alte Mutter, die zu dir spricht: »Guten Morgen, mein Sohn! – was fehlt dir denn? – du schreist ja so sehr!«

»Dein Sohn, Ich? – du alte Person du? – du Alte – alte. – – Weißest nicht einmal, daß ich Beherrscher der Gläubigen bin; der Statthalter Gottes, und wohl am Ende eben so viel als der[234] liebe Gott selbst? – das weißest du nicht einmal, Du, alte Frau Bursche? – Gleich fort du – aus meinem Gesicht fort!«

Aber die gute arme Mutter wußte ja nur, daß er ihr Sohn war, und merkte wohl, daß er etwas wirre und toll im Kopfe geworden war, und auch wohl einen dummen, bösen Traum gehabt hätte, und wollte ihn zurecht, und auf andere Gedanken bringen. – So sagte sie denn: »Mein Sohn! mein lieber Sohn! sieh doch nur umher in deine Schlafkammer! – deine Tische und Sofas und Alles – da ist ja Alles nicht wie bei dem Khalifen. Du mußt dich ja erinnern, daß dieß Haus, diese Kammer, diese Geräthe« – –

»Ja Mutter! ja! unterbrach er sie, ich erinnere mich wahrhaftig. Ich bin der Khalif gar nicht, und du liebe Mutter, bist meine gute herzliebe Mutter. – Aber ich muß recht närrisch geträumt haben!«

»Ja das muß wohl sein, mein Sohn, sprach sie, und wollte ihn nun von den tollen Einbildungen ganz abbringen, und erzählte ihm deshalb, was sich gestern begeben hätte. – Wie der Iman auf Befehl des Khalifen wäre geochsenziemert worden, mit seinen Genossen, und wie sie selbst, – Gott wisse allein wie? von dem Khalifen mit zweitausend Goldstücken wäre beschenkt worden.«

Das erzählte sie; aber sie hatte, statt besser, Alles ärger gemacht, und Haßan fuhr heftig auf, mißhandelte die Mutter in Wort und That, und wollte nunmehr durchaus und durchum der Khalif sein, und die Nachbarschaft wurde rege und wach, und brachte den armen verwirrten Menschen ins Narrenhaus, wo man auf gut muhamedanisch, welches auch wohl je zuweilen gut christlich ist, mit tüchtigen Ochsenziemern ihm nach Herzenslust die Vernunft einzutreiben versuchte, weil so ein Ochsenziemer in der Welt mehr helfen muß, als der größeste und vornehmste Doktor der Weltweisheit.

Einige Monate hatten sie täglich ein- bis viermal auf Haßan unmenschlich losgehauen, ehe sie ihm die Khalifengedanken hatten[235] heraus hauen können. Endlich aber trieb der Prügel Macht und Herrscherkraft dennoch die Khalifengedanken aus, und Haßan begriff, er sei ein ganzer Narr gewesen, und kam, auf Fürbitte der Mutter, aus dem Stock-, und Prügelhause wieder in sein eignes Haus. Er und die Mutter waren bald darüber ganz und gar einig, wie er zu den seltsamen Khalifengedanken gekommen sei. – Sie blieben dabei, daß daran der Kaufmann Schuld wäre, der beim Weggehen des Morgens die Thür der Schlafkammer habe offen gelassen, und so habe denn leicht ein tückischer Nachtgeist herein schleichen, und Haßans Sinne durch einen schweren bösen Traum verwirren können.

Nachdem erst Rücken, Arme und Lenden wieder geheilt waren, fing Haßan sein ehemaliges Abendleben abermals an, und vergaß dabei den Khalifen und die ganze Welt.

Nicht sogar oft hatte er auf der Brücke zu Bagdad gesessen, und sich jeden Abend einen neuen Gast geladen, als der Kaufmann wieder daher kommt, und zwar in der nämlichen Begleitung wie das erstemal, der durch das Auflassen der Schlafkammerthür Schuld an dem bösen Traum gewesen war. Haßan wollte nichts mit ihm zu schaffen haben, und wendete sein Gesicht ab, da der Kaufmann bei ihm vorbei ging. Der aber sahe ihn recht gut, denn er war eigentlich um Haßans willen gekommen, und wußte wie Alles gegangen, und wie tüchtig der arme Haßan durchgehauen war; aber weil er doch so ein großmüthiger und hochgnädiger Monarch war, der an Haßan so herrliche Gaben zur Belustigung hatte entdeckt, wollte er sich noch einmal ein Späßlein machen.

»Ja wahrhaftig, das seid Ihr ja, mein Bruder Haßan!« redete er ihn an, und wollte ihn umarmen. Haßan aber sagte ihm ganz trotzig, daß er sich Gruß und Umarmung recht höflichst verbäte, und der Herr Kaufmann möge in Gottes Namen sich seiner Wege scheeren. Aber der Khalif wußte den ehrlichen und also auch dummen Haßan mit süßen Worten, Umarmungen und Schmeicheleien[236] aller Art, so zu bethören, daß dieser den Thürauflasser wieder mit sich zum Abendessen nahm, und treuherzig alles Unheil erzählte, das ihn betroffen hätte. Es ging, wie am ersten Abend. Haßan bekam ein Schlafpulver, und wurde abermals in den Palast des Khalifen gebracht und ins Bett gelegt, wo er beim Erwachen Alles wieder so fand, wie das erste Mal, die schwarzen Herren und die weißen, und die Sklavinnen mit ihren Musikinstrumenten und Kehlen, und mit ihren Tanzsüßen – und der Herr Khalif war wieder in seinem Versteck, und sahe Allem mit großer Lust zu.

»Potz Popelmann! rief Haßan, indem er sich die Augen rieb, da träume ich schon wieder Khalifens, und mags doch gar nicht sein! – Das macht aber der verwünschte Galgenstrick der Kaufmann, der mir, so wahr ich lebe, die Thür wieder aufgelassen hat. Aber ich will kein Narr sein und mich für den Khalifen halten, denn das Stockhaus und die Hiebe von Herrn Ochsenziemer habe ich wahrhaftig noch gar nicht vergessen.«

Die Morgensterne und die Perlensträußer und die Korallenlippen wollten ihn überreden, er sei der wahrhaftige und leibhaftige Khalif, und es sei allerhöchste Zeit in den Staatsrath zu gehen.

»Ihr seid leibhaftige Närrinnen, rief Haßan ärgerlich, Ihr dummen Dinger wißt den Henker, wer ich bin? Ich will schlafen, sag ich Euch, bis der böse Satan von Traumgeist zum Satan geht, und mich verläßt; und laßt Rath halten und Khalif sein, wer Lust hat – ich für meine geringe Person bedanke mich fein dafür.«

Da faßten ihn die Mädchen an – denn so wars ihnen befohlen – und trugen ihn in seinem großsultanischen Kaftan bis mitten in den Saal, und setzten ihn auf des Khalifen Seßel; und nun tanzten und sprangen und musicirten und trillerten sie in wilder Lust um ihn so arg und lärmend herum, daß man selbst das überlaute Gelächter des Khalifen nicht hören konnte.[237]

»Seid Ihr denn Alle toll, so will ichs auch mit sein!« rief Haßan, sprang vom Sessel auf, erwischte eine und die andere der Mädchen bei der Hand, und sprang lärmend und schreiend und jubelnd mit ihnen im Kreise herum, bis er ganz außer Athem war, und sich auf den Sessel erschöpft hinwarf.

»Jetzt wollten sie allzumal ihn überreden, er sei der Khalif, und müsse in den Staatsrath, wo gar viele Geschäfte seiner warteten. – Gestern habe er ja den Iman und die Graubärte auspeitschen, und die Mutter eines gewissen Abu Haßans mit zweitausend Goldstücken beschenken lassen. Sie erinnerten ihn an die Speisen und Getränke, die Seine Majestät gestern zu genießen beliebt hätten, und hätten selbst, höchst übergnädig und höchsteigenhändig, Dero unwürdigen Sklavinnen Früchte und Schalen mit Wein geschenkt, und wie zu Abend nun Alles wäre zu Ende gewesen, hätten Se. Majestät geruht sich zur Ruhe zu begeben, und hätten nur bis heute früh auch wirklich recht sanft geruht.«

Haßan sahe die Mädchen, den Großweßir und den Oberkämmerer mit stummen Nachdenken an. – »Wahrhaftig, sagte er alsdann, Ihr habt vollkommen recht – so ists gewesen – und ist doch, so wahr ich lebe, kein einziges wahres Wort daran wahr. – Seht! Ich bin der Khalif, und bins auch nicht, und möchte eigentlich wohl wissen, wer ich bin? – – Ihr aber seid schlaue Bestien, und ist nur Schade um Eure glatten Mädchengesichter, daß sie so hübsch sind. – Der Henker werde klug daraus; und mit eurem Staatsrath bleibt mir zehn Schritte vom Leibe, das will ich Euch gesagt haben.«

»Ach Himmel, riefen die Mädchen, Ewre Majestät belieben heute gar nicht ordentlich zu erwachen!«

»Da habt Ihr wieder recht, sagte Haßan; mir ist selbst so als träumte ich; und dann ist mir auch, als wachte ich – – – aber wart, dahinter will ich gleich kommen. – Du da, Perlenmuschel[238] – oder Korallenzinke, komm einmal eins von Euch her, und beißt mir mit Euren Elfenbeinzähnen da hier ins rechte Ohrläppchen, damit ich weiß ob ich wache; und machts ein wenig derb, damit ichs auch ordentlich fühle.«

Da biß ihn eins der Mädchen so gewaltig ins Ohrläppchen, daß er aufsprang und überlaut anfing zu schreien. Aber da fing der ganze Lärm der Musik wieder an; die Mädchen umtanzten ihn wieder, und er sprang in halber Verzweiflung mit ihnen herum, walzte wie närrisch mit ihnen durch den Saal, überschrie und überlärmte Alle, riß die Khalifenmütze vom Kopf und warf sie zu Boden; zog den Khalifenkaftan aus, und sprang mit den Füßen darauf herum, und trieb es so toll und arg, daß der Khalif aus seinem Versteck hervor sprang und rief: »Hör auf, Haßan, hör auf! ich muß vor Lachen ja sterben!«

Jetzt war dem Haßan auf einmal Alles klar und er erkannte in dem Khalifen den verkleideten Kaufmann. »Heda! rief er, Ihr seid also der Kauz von Kaufmann, der die Schlafzimmerthür bei den Leuten aufläßt, daß sie tolle und thörichte Träume bekommen, und im Hirnkasten verwirrt werden? – Kommt mir nur wieder Patron, ich will Euch schön nach Hause leuchten. – Aber da wir Beide beisammen sind, so sagt mir doch, wer von uns ist denn der rechte Khalif, Ihr oder ich? damit ich nur wieder weiß woran ich bin?«

Der Hof erblaßte bei solchen Worten, die Haßan sprach. Der aber wußte recht wohl, was er that, und der Khalif konnte zu lachen nicht aufhören. »Haßan, sagte er, und umarmte ihn zugleich, Haßan du bist mein Bruder, und kommst nun und nimmermehr nicht wieder von mir weg. – Und Khalif werd' Ich wohl sein, und habe Lust das Aemtchen noch eine Weile zu behalten.«

»Da thut Ihr recht wohl daran, erwiederte Haßan, ich mag das Amt ohnedieß nicht, weil ich ein Haar habe darin gefunden. Bleibt denn Khalif, regiert aber hübsch mit ein wenig Menschenverstand,[239] welcher der Regierung, wie ich mir habe sagen lassen, gar nicht schaden soll.«

Der Khalif versicherte, er wolle sein Bestes thun. Haßan blieb am Hofe, und war der einzige Mensch, der zu aller Zeit und Stunde freien und unangemeldeten Zutritt zum Großherrn hatte, und was mehr sagen will, auch das Recht des freien und ungeheuchelten Wortes. Dafür aber wußte er auch den Großherrn durch tausend lustige Dinge zu unterhalten und zum Lachen zu bringen. Er war dem ganzen Hofe lieb, er belustigte Alle, er schadete Niemand, er nützte Vielen, und selbst Giafar bediente sich seiner, um dem Khalifen Manches vorzubringen, was er selbst zu sagen nicht wagen durfte. – Von seinen närrischen Dingen hat uns die Geschichte nur eins aufbehalten, und das sollt Ihr lesen.


Der Khalif hatte eine Gemahlin, die hieß Zobeide, und Hassan hatte sich eine Frau unter den Hofdamen der Zobeide ausgesucht, die eben so närrisch und lustig war, als er selbst, und hieß, ich weiß nicht recht wie? – etwa Rosenblatt, oder Nelkenstiel, oder Je länger je Lieber, oder so etwa. Kurz einen Namen hatte sie, das weiß ich gewiß.

Haßan war der Liebling des Khalifen; Rosenblatt die Lieblingin der Frau Khalifin. Beide hatten den Kopf voll lustiger Schwänke, und Haßan sann sich einmal einen Schwank aus, der Monate lang Hof und Stadt zu lachen machte.

»Hör du Bursche, sprach Haßan zu seiner Frau, du hast einen anschlagigen Kopf, und sollst mir einen Spaß mit ausführen helfen, wo wir sie Alle zum Narren haben wollen, und sie sollen Alle lachen,[240] meinen Papa Khalif, und deine hochvornehme Stumpfnase Zobeide nicht ausgenommen. Sie sollen Beide genarrt werden, und Beide lachen; wir aber wollen am meisten lachen!«

»Nun! ich will schon helfen, so viel ich kann; sagte die Bursche Rosenblatt, sag nur worauf es ankommt?« – Da sagte Haßan, »wir müssen beide sterben, Frau Bursche; darauf kömmts an.«

»Sterben? entgegnete Rosenblatt, das ist kein Spaß mehr, Bursche Haßan. Stirb du, wenn dirs gefällt, drei oder vier Mal, nur stirb allein, denn ich will noch so ein hundert oder tausend Jahr leben bleiben.«

Sie verständigten sich denn schon Beide, und der Spaß ging an, und sie stellten sich Beide todt, nämlich wahr und wahrhaftig mausetodt, aber sie stellten sich nur so, und so blieben sie dennoch am Leben.

Haßan ging zum Khalifen, und that ganz jämmerlich und betrübt, und weint dazu, und spricht, er sei nun ein verlassener Wittwer, weil seine Frau plötzlich Todes verschieden sei. Der Khalif wundert sich, daß das junge muntere und rührige Ding von Frau schon gestorben sei, zumal da sie die Lieblingin seiner Gemahlin gewesen war. Er beklagt zwar den Haßan gar sehr, und spricht: »du armer Schelm, du mußt es zu ertragen suchen.« Aber er nahm in der That keinen Theil daran, daß sie gestorben war, weil sich das für einen Khalifen gar nicht schickt – denn es schickt sich sogar nicht für ihn, wenn ein paar Millionen Menschen in seinem Lande vor Hunger und Elend umkommen, nur eine Miene zu verziehen, wenn er anders ein rechter Khalif ist.

Rosenblatt ging zur Khalifin Zobeide, und hatte einen Wittwenschleier über das Gesicht, und sagte und klagte unter vielen Thränen und Schluchzen, ihr herzlieber, köstlicher, himmlischer Haßan, das treue Herz, die gute Seele, sei ihr plötzlich abgestorben, und nun sei sie eine arme Wittib, und habe keinen Menschen mehr, weder[241] im Himmel noch auf Erden, als den lieben Gott. – Zobeide beklagt das arme junge Weib, und den armen lustigen Haßan mit vornehmen Worten, die ordentlich aussahen, als wären sie menschlich und mitleidig. So war es Sitte. Was aber noch mehr Sitte war, war dieß: der Khalif sendet seinen Mesrour den Oberkämmerling an seine Gemahlin, und läßt hoch und sehr bedauern, daß ihr Liebling, das Rosenblatt, gestorben sei; diese denkt, der Herr Khalife sei nicht recht bei Troste, und läßt vielmehr darüber ihr Beileid ihm bezeigen, daß sein Liebling, der Lustigmacher Haßan, gestorben sei. – Nun gabs ein Hin- und Herlaufen in dem Palast, denn es wurde eine Ehrensache zwischen dem hohen Paar, wer Recht habe. Jetzt kamen sie von Seiten des Khalifen, nachzusehen, wer eigentlich gestorben sei? ob Haßan oder Rosenblatt; jetzt von Seiten der Khalifin. Haßan und seine Frau standen lauernd am Fenster. Kam von Seiten des Khalifen Jemand, nachzusehen, wer eigentlich die Leiche sei, so legte sich Rosenblatt aufs Leichenlager, den Schleier über dem Gesicht, und Haßan saß an dem Lager, mit dem Thränentuch vor den Augen; kam aber Jemand von Seiten Zobeidens, so legte sich Haßan hin, mit dem Turban über dem Gesichte, und seine Frau saß untröstlich am Lager.

So gerieth denn der ganze Hof in Aufruhr und Lärm und Streit, wer eigentlich von Beiden gestorben sei, und gab ein Beschicken hin und her, einen ganzen halben Tag lang. Der Khalif mit seinen Dienern behauptete, Rosenblatt sei todt, denn die und die Abgesandten hätten es ja mit ihren Augen gesehen, aber Zobeidens abgeschickte Damen hatten doch auch gesehen, daß Haßan als Leiche da lag. – Kurz die Hofherren und Hofdamen stritten sich auf Blut und Leben, und gaben einander in den allerhöflichsten Ausdrücken die allergröbsten Redensarten, und der Khalif und dessen Gemahlin ließen sich auch empfindliche Spitzigkeiten sagen, die durch ihre höchste[242] Geschliffenheit recht ungeschliffen waren, und jeder Theil dachte, der andere Theil sei so ein wenig verrückt.

Der Khalif wurde am Ende ganz ungeduldig und ging zu seiner Gemahlin, aber der ganze Handel wurde nicht um ein Haarbreit mehr als zuvor berichtigt – jedes blieb bei seiner Meinung; Haßan ist todt, hieß es hier; nein, Rosenblatt ist todt, hieß es dort – die Redensarten wurden immer höflicher, d.h. gröber. Der Khalif hatte seine schwarzen Kämmerer allzumal auf seiner, Zobeide ihre Hofdamen sammt und sonders auf ihrer Seite.

Da war kein Rath, als der Khalif und dessen Gemahlin gingen beide ins Todtenzimmer. Aber Haßan hatte gut aufgepaßt, und sie hatten sich nun Beide hingelegt, und als der Khalif mit seiner Gemahlin eintrat, waren sie alle Beide todt.

Nun stritten sich Harun und Zobeide darüber, wer zuerst wohl wäre gestorben, und wer, aus Liebe und Betrübniß dem Andern nachgestorben wäre, und daß sich der Hof mitstritt, versteht sich von selbst. Einig konnten sie nicht werden. – Da sprach der Khalif: »Zehntausend Goldstücke gäb ich, sagte mir Jemand, wer von beiden zuerst gestorben ist.« – »Die bekomme ich, rief Haßan, denn ich hab eigentlich den ersten Gedanken gehabt zu sterben, und das Blatt, das da liegt, erst nach mir. Ich bin aber wieder aufgelebt, und alleweile wird das Blatt auch aufleben;« welches es denn auch that.

Der Khalif lachte, mithin der Hof auch – Alles war frisch und munter und Haßan bekam zehntausend Goldstücke.

1

Mu muh! fehlt uns aber noch, welches zur ernsten Beherzigung hiermit angezeigt wird.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 220-243.
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