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[238] Und als das Kind geboren ward,
Die Wehmutter sprach: »Ei seht!
Es trägt ja ein Glückshäubelein,
Wie Sammet weich, wie Seide fein,
Es wird einst vor dem Volk erhöht.«
Und Vater List und Mutter List,
Die schauen gläubig drein;
»Griete Tetzlaff spricht nicht ungefragt,
Wenn Griete Tetzlaff etwas sagt,
Dann trifft es immer richtig ein.«
Und Vater List und Mutter List,
Die stellen sich an, o Gott!
Nichts ist für Nickelchen zu fein,
Sie schauen in ihr Kind hinein,
Als wär' es ein goldner Pott.
Wer ist der reiche Kavalier?
Baron de la Mosel er heißt!
Mit Sammet ist er angetan,
Im Gold er nur so wühlen kann,
Mit großem Troß im Land er reist.
Und sein Gemahl ist ebenfalls
Aus hochgebornem Haus;
Selbst unsre Bürgermeisterfrau
Trägt solche Perlen nicht zur Schau,
Sie sieht dagegen ärmlich aus.
So spricht man, wo er geht und steht,
Es lacht der Herr Baron
Und denkt: Es sieht mir niemand an,
Daß jedes Schloß ich sprengen kann
Und daß ich bin ein Häuslingssohn.
In Hamburg seufzt man: »Domine!
O welches Skandalum![239]
Bestohlen ist Sankt Nikolaus,
Geraubt der Schatz dem Gotteshaus!«
Die Ratsherrn schleichen trüb herum.
In Braunschweig stöhnt man: »Jemine!
O Sakrilegium!
Geschehn ist, was man nie geglaubt,
Sankt Katharina ist beraubt.«
Die Ratsherrn sind vor Grausen stumm.
In Lüneburg ist Ach und Weh,
»Sankt Michel ist entweiht!
Es hat ein Dieb in letzter Nacht
Die güldne Tafel fortgebracht,
Zum Himmel auf die Untat schreit.«
Zu Celle auf dem Galgenplatz
Das Volk steht dicht an dicht;
Das Glöcklein gibt so schnellen Klang,
Der Nickel tut den letzten Gang,
Es wird ihm endlich das Gericht.
Der Henker stößt ihm mit dem Rad
So Arm wie Bein entzwei;
Die hochgeborne Lebensart
Sich Nickel bis ans Letzte wahrt,
Er tut auch nicht den kleinsten Schrei.
Und als es nun zu Ende war,
Der Henker sprach: »Ei seht!
Er trug ja ein Glückshäubelein,
Wie Sammet weich, wie Seide fein,
Drum ward er vor dem Volk erhöht!«
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