9. Clorinda erfreuet sich des Ends ihrer Pilgerfahrt/und der hoch-erwünschten Zunahung ihrer Seligkeit: Nimmt Urlaub von denen Welt-Kinderen; gibt ihnen eine gute Lehr/ und stirbt selig/ mehr aus Gewalt der Lieb'/ als Kranckheit

Concupiscit, & deficit anima mea in atria Domini.

Psal. 83. v. 2.


Meine Seele verlanget/ und wird Krafft-loß nach den Vorhöfen des Herren.


1.

Gott sey gepriesen/

Der mir erwiesen

So grosse Lieb/ und Gnad/

Daß Er gezogen/

Mir höchst bewogen/

Mich auff die Himmels-Pfad:

Der mich beruffen zu der Buß/

Und biß zum End

Durch seine Händ'

Darbey gesteurt auff steiffem Fuß.
[317]

2.

Nun will auff Erden

Es Abend werden

Mit meiner Lebens-Zeit/

Bin von der Lände/

Wohin ich wende

Mein Schifflein/ gar nicht weit/

Sehr wenig Zeit ist übrig noch/

Dann geh ich fort

Nach jenem Ort/

Wohin ich stäts verlangt so hoch.


3.

Die Liebes-Schmertzen

In meinem Hertzen

Seynd allzu ungeheur;

Kan nicht mehr wehren/

Mich will verzehren

Das strenge Liebes-Feur;

Die Qual durchdringet Marck/ und Bein

Mir tausendfach/

Ach/ Daphnis, ach!

Vor Lieb werd' ich geäschert ein!


4.

Wie der Theresen,1

Dort sey gewesen/

Ich nunmehr glauben kan/

Als sie zu schwitzen

Vor Liebes-Hitzen[318]

So starck gefangen an/

Daß sie ohn' alle andre Seuch/

(O süsser Tod/

Gleich meiner Noht!)

Ist endlich worden eine Leich.


5.

So heisse Flammen/

Verspehrt beysammen/

Bald werden brechen auß/

Und mich vertreiben;

Wer wolte bleiben/

In einem solchen Hauß/

So ärger auch/ als Ætna brennt/

Und mir zumal

Mit süsser Qual

Den Leib biß in die Seel durchrennt.


6.

Ich will mit Freuden

Diß Häußlein meyden/

Und ziehen stracks darvon;

Hab' dieses Elend/

Den Tod erwehlend'/

Genug verkostet schon;

Will nach dem Hauß des Herren gehn/2

Wie gestern spat

Mir Daphnis hat

Trostreich gegeben zu verstehn.
[319]

7.

Zu Cusco waren

Vor wenig Jahren

Noch Häuser/ und Palläst/3

Als welcher Tächer/

Zimm- und Gemächer

Mit Gold bedeckt geweßt;

Ja/ wie die Sag' der Schreibern geht/

Von Gold so gar

Alldorten war'

Das Felder-Hauß- und Tisch-Geräht.4


8.

O Bettler-Häußlein/

Nur für die Mäußlein

Ein armer Underschlauff!

Ich hab' in Händen/

Bald zu vollenden

Wohl einen andern Kauff;

Desgleichen war' auff Erden nicht

Zu keiner Zeit

So groß/ und weit/

Noch also köstlich auffgericht.5


9.

Wann auff den Gassen

Sich sehen lassen

Von Gold die Pflaster-Stein;6[320]

Von Edlen-Steinen7

Die Mauren scheinen/

Wie wird die Wohnung seyn?8

O Wohnung/ so kein Menschen-Zung

Entwerffen kan!

Wie solte man

Nicht stutzen vor Verwunderung?


10.

Wann in den Wäldern/

Geblümten Feldern/

Und grünendem Gestäud/

Zu Frühlings-Zeiten

Den jungen Leuten

Begegnet solche Freud/

Daß man sich selber ohngefehr

So weit verschliefft/

In Lust vertiefft/

Als wann man gantz verzucket wär.


11.

Was wird nicht dorten

An jenen Orten

Für Freud und Wollust seyn?

Allwo zu schauen

So gar die Auen

Mit Gold gehaget ein?

Allwo die Landschafft also schön/

Daß einer möcht'/

Von Lust geschwächt/[321]

In lauter Lieblichkeit vergehn.


12.

Der stäte Jäger/

Gewild-Erleger

Genannt/ Hippolitus,9

Sich so ergetzte/

Der Jagd nachsetzte

Ohn' eintzigen Verdruß/

Daß ihn in sieben Jahren auch

Kein Dach bedeckt/

Noch Müh erschreckt/

Ob schon das Wetter wild/ und rauch.


13.

O arme Freuden/

Nicht zu beneyden/

Bey so viel Ungemach;

Was ist das Jagen

Bey nassen Tagen

Für ein' trostreiche Sach/

Allwo der Leib gemattet ab/

Und immer zu/

Beraubt der Ruh'/

Samt seiner Lust geht nach dem Grab.


14.

Die Freud dort oben/

Die ist zu loben/

Und zu verlangen sehr/

Weil mit Beschwerden

Alldort nicht werden[322]

Vermischt die Freuden mehr:

Die Nuß hat dort kein' bittre Schelff;

Die Herden seynd

Dort ohne Feind/

Weil zu beförchten keine Wölff'.


15.

Diß ist die Wohnung/

Der Buß-Belohnung/

In meines Daphnis Reich/

Was kan mir Schrecken/

Und Forcht erwecken/

Wann ich von hinnen weich'?

Wann ich aus diesem Jammerthal/

Und Thränen-Bach/

Wo nicht als ach/

Wird' eingehn in den Freuden-Saal.


16.

Mein hier-verbleiben/10

Und Zeit vertreiben/

Ach währet allzu lang!

Das groß Verlangen

Gott umbzufangen11

Macht mir unsäglich bang!

Ey laß! warum dann sterb' ich nicht/

Der langen Zeit

Forthin befreyt/12

In Schauung Gottes Angesicht!
[323]

17.

Dich aber gebe

Zu Ruh'/ und lebe

Clorinda/ wohl getröst:

Es wird bald brechen/

Kanst kaum mehr sprechen/

Wirst werden bald erlößt;

Das Blut in meinen Adern schon/

So stäts gewallt/

Wird aller kalt/

Der Tod eylt starck mit mir darvon.


18.

Nun/ du verwandte/

Liebreich-bekandte/

Sehr werthe Hirten-Schar

Und ihr Freundinne:

Mit-Schäfferinne/

Euch alle Gott bewahr':

Nemmt wohl in acht die Ewigkeit/

Sie kommt behend/

Und hat kein End/

Feur/ oder Freud ist dort bereit.


19.

Wär' ich an Brüsten

Der Welt-Gelüsten

Gehangen biß hieher/

Und müßt' jetzt sterben/

Zum Heyl-erwerben

Gantz Trost- und Hoffnung-lär/[324]

Was wurd' es nunmehr helffen mich/

Wann ich nun müßt/

Gantz ungebüßt/

Gehn zum Verderben ewiglich?


20.

Ach/ ach! bedencket/

In euch versencket

Tieff meine letste Wort:

Niemand kan leben13

Der Freud ergeben/

Glückselig hier/ und dort!

Ade: Clorind' nach Gott verräißt/

Es geht zum End'

In deine Händ'/

O Gott/ befehl' ich meinen Geist!


Fußnoten

1 Breviar. Rom. 15. Octobr.


2 Psal. 121. v. 1.


3 Regis Atabalibæ Palatium cum 20. Domibus.


4 Die Pflüge/ und alles Haußgeschirr.


5 O Israël, quàm magna est domus Dei. Baruch. 3. v. 24.


6 Apoc. 21. Plateæ civitatis aurum mundum. v. 21.


7 Apoc. 21. Plateæ civitatis aurum mundum. v. 20.


8 Structura muri ejus ex Lapide Iaspide. v. 18.


9 Ein Sohn Thesei, ein fürtrefflicher Jäger. Poët.


10 Heu mihi, quia incolatus meus prolongatur. est. Ps. 11. v. 5.


11 Coarctor, etc. desiderium habens dissolvi, & esse cum Christo. Philipp. 1. v. 23.


12 Quando veniam, & apparebo antefaciem Dei. Ps. 41. v. 3.


13 Impossibile est, ut præsentibus quis, & futuris fruatur bonis. S. Hieron. Epist. 34. ad. Juliau. vers. fin.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 313-314,317-325.
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