10. Clorinda bewäinet ihr unmenschliche Grausamkeit/ so sie sowol gegen ihr eigne/ als viel andere durch ihr verführerische Lieb verkehrte Seelen verübt

Nunc reminiscor malorum, quæ feci in Jerusalem.

1. Maccab. 6. v. 11.


Nun gedencke ich des Ubels/ so Ich an Jerusalem verübt.


1.

Was Ubels an Jerusalem

Antiochus vollbracht/

Indem er es zu einer Schwemm

Der Thränen hat gemacht:

Den Tempel rein geplündert auß/

Die Stadt biß auff das letste Hauß

Verwüstet/ und verstört/

Nur nicht gar umbgekehrt.


2.

Das hab' an meiner Seelen ich

Auch allerdings verübt/

Indem ich sie stieffmütterlich

Biß in den Tod betrübt:

Ich hab' Sie/ als das Oberhaupt/

Der Herrschung meines Leibs beraubt/[92]

Und immer nur veracht/

Zur Sclavin mir gemacht.


3.

In meiner zarten Jugend noch

Hab ich sie unterdruckt

Unbändig ihrem Tugend-Joch

Mich meisterlich entzuckt:

Den Schatz der Unschuld hab' ich ihr

Entfremmt/ eh' sie vernünfftig schier/

Ja mörderisch verletzt'

In armen Stand gesetzt.


4.

Man sagt was einer bösen Art1

Die Manticora sey/

Ein Thier von Zähnen scharff/ und hart/

Sehr grausam auch darbey/2

Groß wie ein Löw/ Haarlocken-reich/

Von Angesicht den Menschen gleich/

So seinen wilden Wuht

Erkühlt mit Menschen-Blut.


5.

Die Manticor' so wild/ wie ich/

Niemahlen sich verhält/

Dann sie aus Hunger nur dem Vieh-

Und Menschen-Fleisch nachstellt:

Ich aber habe (läider ach!)

Den Seelen auch gesetzet nach/

Sie mörderisch versehrt/

Zerrissen/ und verzehrt.
[93]

6.

Was für ein grosse Missethat

Hat Cain nicht vollbracht/

Als er dort seinen Bruder hat

Zu einer Leich gemacht:

Wann Menschen-Blut gen Himmel schreyt/

Wie wird nicht seyn vermaledeyt/

Der eine Seel bezwingt?

Und umb das Leben bringt?


7.

Ein Basilisc mit schauen an

So gar zu töden pflegt/

Der Seelen doch nicht schaden kan/

Wann er den Leib erlegt/

Ich aber voller argen Tück

Durch geil-vergiffte Liebes-Blick

Den Seelen/ wie ein Pest/

Gegeben hab' den Rest.


8.

Unmenschlich Diomedes war'/

Und tausend Höllen werth/

Weil er mit Menschen-Fleisch so gar

Gespeiset seine Pferdt:

Ich aber böse Jezabel3

Hab' manche fromm und edle Seel

Dem Höllen-Beel-phegor4

Zur Speiß geworffen vor.
[94]

9.

Dem Jasons-Weib5 war' auff der Welt

Zu grausam keine That/

Als die zerrissen/ wie man meldt/

Ihr' eigne Kinder hat:

Den Bruder in viel Stuck verzehrt/

Den Mann verfolget unerhört:

Sein Hauß mit Feur berennt/

Sammt neuen Weib verbrennt.


10.

Daß aber ein so grosse Rach

Medea hat verübt/

Gab Jason dessen ihr Ursach/

Weil er sie höchst betrübt/

Indem er sie von seinem Hauß/

Ehbeth/ und Lieb gestossen auß/

Ein anders Weib getraut/6

Die nicht mehr angeschaut.


11.

Ich aber mit den Seelen bin

Grausam gegangen umb/

Hab' Türckisch sie gerichtet hin/

Und wußte nicht warumb?

Die Lieb allein die Ursach war'/

Daß ich an der bethörten Schar/

Vorauß die mich geliebt/

Dergleichen Mord verübt.


12.

Procrustes ein verruchter Mann7[95]

Begierig auff die Beut/

Geschlachtet hat/ wie ein Tyrann/

Die Weeg-verirrte Leut/

Hat doch/ ob er fürsichtig schon/

Empfangen endlich seinen Lohn:

Theseûs hat ihn erhägt/

Und mit dem Schwerdt erlegt.


13.

Ich aber hab die Seelen-Mord

Begangen so verdiebt/

Daß man mich dannoch immerfort

An Hassens-statt geliebt:

Wie Moloch dort das Götzen-Bild/8

So mit den Kindern haußte wild/

Die man ihm schlachten müßt/

Doch göttlich wurd gegrüßt.


14.

Busiris, der den Göttern auch9

Geschlachtet seine Gäst'/

Ist nicht/ wie ich/ so wild/ und rauch

Gewesen/ glaub' ich vest/

Dann er vermeinte/ dieses wär'

Gefällig dem Gott Jupiter,

Ich auch der Seelen nach

Thät es zu Gottes Schmach.


15.

Ein so Blut-durstigs Löwen-Hertz

Gehabt hat Phalaris,10[96]

Daß einen Ochsen er von Aertz

Zur Marter giessen ließ/

In welchen er gesperret eyn

(Der Meister11 müßt der erste seyn)

Die Menschen/ und im Feur

Verbrennet ungeheur.


16.

Ich hab' gar die Plutonische12

Schwitz-Oefen eingeheitzt/

Indem ich das Adonische13

Volck zu der Lieb gereitzt:

Wer sich aus ihnen nicht bekehrt/

Unfehlbar wird darein gesperrt/

Und immer immer fort/

Gemartert werden dort.


17.

Was könnte doch so grausam seyn/

Als der Medusa Haupt/14

So stracks verkehrt in einen Stein

Den/ der es angeschaut:

Ich auch von keiner bessern Art

Die Leut mit meiner Gegenwart

Zur Christlichen Andacht

Hab' Diemant-hart gemacht.


18.

Wie groß/ ô höchst-erzörnter Gott/

Ist meine Boßheit nicht/[97]

Indem ich fast ein gantze Rott

Der Seelen hingericht!

O wär' ich Æsculapius,15

So wolt' ich (durch das Kraut der Buß)

Erwecken aus dem Grab/

Die ich entseelet hab'!


19.

Orpheûs mit seiner Lauten hat16

Sein Weib der Höll entführt/

Als er auff wohlbeglücktem Raht

Die Seyten süß gerührt:

O wär ich jetzt an Orpheûs Stell/

So wolt' ich aus der Sünden-Höll

Erlösen wiederumb/

Die ich gemacht unfrumb.


20.

Doch seynd noch übrig alle beyd'/

Des Æsculapen Kraut/

Und/ für das lange Höllen-Leyd/

Des Orpheûs süsse Laut:

Das Kraut der Buß das Leben bringt:

Des Creutzes-Spiel die Höll bezwingt:

Gebraucht euch dieser Kunst/

So brennt die Höll umsunst.


Fußnoten

1 Elian. lib. 7. c. 21.


2 Plin. lib. 8. c. 21.


3 Ein gottlose Königin.


4 Ein unersättliches Götzenbild/ die Geilheit bedeutend. Num. 25.


5 Der Medea.


6 Genommen.


7 Ein grausamer Mörder.


8 4. Reg. 23. v. 10. Ein Götzenbild/ welchem man die Kinder geschlachtet.


9 Ein grausamer Wüterich in Aegypten.


10 Ein grausamer König in Sicilien.


11 Perillus.


12 Höllische.


13 Bulerische.


14 Medusa Haupt hatte die Krafft/ alle Menschen/ die es angeschaut/ in Stein zu verwandlen. Poët.


15 Æsculapius ein berühmter Artzt/ der einen Todten zum Leben erweckt. Poët.


16 Orpheûs ein fürtrefflicher Lautenschlager hat durch sein Spiel sein Weib Euridice aus der Höll erlöset. Poët.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 88-89,92-98.
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