28.
Auf eine Papillote; welche sie mir im Conzert zuwarf

[113] Meinstu mit Zucker willst du meine Quaal versüßen?

Mitleidig göttlich Herz! wie wenig kennstu sie?

Wenn sich nach Mitternacht die nassen Augen schließen

Schläft doch mein Herz nicht ein, es wütet spat und früh.

Vor Tage lieg ich schon und sinn auf mein Verderben

Und straffe mich oft selbst und nehm' mir Tugend vor

Und kämpf und ring mit mir und sterb und kann nicht sterben,

Weil mich mein Unstern nur zum Leiden auserkohr.

Ich soll dich sehn und fliehn? Dein Lächeln sehn und meiden?

Und du verstehst es wohl, wo mirs am wehsten thut.

Du haßest meine Ruh, es scheint dich freut mein Leiden,

Du wünschst es größer noch, es scheint du willst mein Blut.

So nimm es göttliche! ein kleines Federmesser

Eröfnet mir die Brust, wie sanft würd es mir thun?

Ach thus, durchbor mein Herz, gewiß dann wird mir besser,

In deinen Armen will ich dann vom Leben ruhn.

Ach welche Süssigkeit! von Lieb und Wollust trunken

Schläft dann mein mattes Haupt von seiner Unruh ein,

Auf deinen süßen Schooß verliebt herabgesunken,

Und küßet sterbend noch die Ursach seiner Pein.

Ja thus! von deiner Hand wie kann der Tod mich schröcken?

Es ist das gröste Glück, das ich erhalten kann.

Ein Stoß, so ists geschehn: wie süß wird er mir schmecken,

Ein kleiner Stoß und dann geht erst mein Leben an.

Dann will ich zärtlich dir als Geist zur Seite schweben,

Dann wehrt es niemand mir, du selber wehrst es nicht;[114]

Denn darf ich ungescheut dem Munde Küsse geben,

Der so verführisch lacht und so bezaubernd spricht.

Dann darf so lang ich will mein Auge nach dir sehnen,

Denn hasch ich deinen Blick und schließ ihn in mein Herz.

Denn wein ich, wenn ich will, und niemand schilt die Tränen,

Dann seufz ich, wenn ich will, und niemand schilt den Schmerz.

Dann will ich dir im Traum zu deinen Füssen liegen

Und wachend horch ich auf, wie dirs im Busen schlägt.

Bistu vergnügt, o Glück! so theil ich dein Vergnügen,

Wo nicht, so theil ich auch, was dir Verdruß erregt.

Dann mein unschätzbar Gut! dann straft mich das Gewissen

Für meine Liebe nicht, nur dann, dann steht mirs frey;

Dann fühl ich keinen mehr von den verhaßten Bissen

Als ob ich Frevler Schuld an deiner Unruh sey.

Dann bistu meiner loß, nicht wahr du bist es müde

Von mir gekränkt zu seyn? dann weißtu es nicht mehr

Was mich schmerzt oder nicht, denn hast du ewig Friede,

Denn nach dem Tode rührt mein Schmerz dich nicht so sehr.

Selbst ach! dein Glück verlangts, ich fühl es, ach! mit Zittern,

Daß ich im Wege bin – so thu es beste Hand!

Ich muß mir täglich nur das Leben mehr verbittern,

Und thust du's nicht – dann Gott! erhalt mir den Verstand! –

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 113-115.
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