29.
(An Seraphine.)

[115] Von dir entfernt, dir immer nah,

O du mein Leben, Seraphine,

Ist das ein Traum, was mir geschah?

Mich tröstet, daß ichs nicht verdiene.

Nein selbst dein Zorn verschönert dich

Und ist das höchste Gut für mich.

In dieser Einsamkeit, des kurzen Lebens müde

Das ich doch nicht verlieren kann,

Da schenkst nur du, mein Glück! dem bangen Herzen Friede

Das dich auf ewig liebgewann.

Wie, wer verbietet mirs? wer kann es mir verbieten?

Ist das ein Laster, Götterbild!

Von dir gerührt zu seyn? wer kann sein Herz behüten

Wenn selbst der Himmel nicht solch eine Neigung schilt.

Nein Göttliche! solch eine Lieb ist Pflicht,

Für die will ich mein Blut verströmen,

Man kann mir zwar das Leben nehmen,

Doch meine Liebe ewig nicht.

Ich kenne dich nicht erst von heute,

Ich kenne dich von jeder schönen Seite.

Ich bete, denk ich noch daran,

Dank, Sehnsucht, Tränen in den Blicken

Den, der dich schuf, mit heiligem Entzücken

Und dich, sein schön Geschöpfe, an.

Ach wieviel Glück ist selbst in diesen Tränen,

Nach wem kann sich mein Herz sonst sehnen

Als nur nach dir und stets nach dir

Und dies – nur dies – verbeut man mir?

Dis reine Feuer macht ein Bube, sich zu rächen,[116]

Mir zu dem schwärzesten Verbrechen?

Und du mit ihm? Du die Gerechtigkeit

Die Güte selbst? War es Verwegenheit

Dich anzusehn? Gott! ist es eine Sünde

Wenn ich in dir den Himmel finde

Mit aller seiner Seeligkeit?

Schiltst du ein Kind, das dir die Hände küßt,

Dafür, daß du ihm freundlich bist?

Hast du mich je in den beglükten Stunden,

Da ich noch nicht verstoßen war,

Wohl anders als ein Kind gefunden,

Und worin lag denn die Gefahr?

Ach Seraphine, Seraphine,

Es tödtet mich, daß ich das nicht verdiene.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 115-117.
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