8.
Schreiben Tankreds an Reinald, den Rittern, die ihn ins Lager vor Jerusalem herabholeten, mitgegeben

[73] Weine, kriegrischer Held! wofern deine männlichen Wangen

Je ein warmes Mitleid und Liebe mit Tränen gefeuchtet.

Meinem Munde sind Klagen versagt, denn Krieger stehn um mich:

Aber die Hand darf bereun und tiefe Schmerzen erklären,

Denn durch sie ist das Licht des schönsten Lebens verloschen.

Ach, wo ist sie, wo ist sie, die Seele des trostlosen Tankreds,

Meine Clorinde? – Hier sinket der Kiel, hier hebt sich der Busen,

Hier entfliehn die Gedanken und werden zu zahllosen Tränen.


Freund! – Doch nein, ich belüge dich, nein, ich empfand keine Triebe

Als für sie, ich werde für keinen jemals empfinden

Als für sie. Nun hab' ich kein Herz: sie hatt' es geraubet,

Hatt' es der ganzen Welt geraubt: ihre kalte, schöne

Gar zu schöne Hand hält's mit erstarreten Fingern,

Hat's in ihr Grab mitgenommen, nun hab' ich für Freunde kein Herz mehr;

Doch ihr habt Herzen für mich, o fühlt, o werdet mitleidig,

Werdet weinende Kinder wie ich, ihr stählernen Helden! –

Oder verachtet mich, haßt mich, tödtet mich! Grausames Schiksal!

Warum zwingst du den Mörder zu leben? Asträa, so bist du[73]

Denn von der Erde geflohn? Wie, oder – oder erblaßtest

Du mit meiner Clorinde? Warum verweilet die Rache,

Einen höllischen Wütrich zur Hölle nieder zu schlagen?


Ach du weissest, Clorinde war standhaft und edel und tapfer,

All' ihre Triebe waren zu grossen Thaten gespannet.

Wie ein höheres Wesen sah sie verächtlich hernieder

Auf den kriechenden Geiz und auf den blähenden Hochmuth

Der mit Wind sich aufbläht, auf die verschmachtende Liebe,

Auf die zärtlichsten Tränen um sie: sie wählte das Rauschen

Strenger Waffen für ächzende Küsse, sie wählte den Harnisch

Für den jungfräulichen Schleyer, verschmähte den Sieg ihrer Reize

Für den Sieg mit dem Schwerdt, verschmähte den elenden Tankred.

Zwar ihr Schwerdt war furchtbar, doch furchtbarer weit, ihre Blikke,

Ihre allmächtigen Blikke, die meine verhärtete Seele

Wie die Sonnenstrahlen durchdrangen, belebeten, wärmten.

Weissest du nicht, daß ich sie geliebt? Hast du sie gesehen,

Hast du das Feuer des Auges, die Seraphsmiene voll Hoheit,

Hast du die Stirne gesehn, auf der die Tapferkeit thronte?

Must' ich die Kriegrin nicht lieben? – Einst focht ich – Wie? Focht ich? Ich legte

Wie ein gezähmter Löwe mich ihr zu Füssen: sie sah mich

Wie ich da lag und die Seele verseufzt' und die schönsten Arme

Um einen tödtlichen Streich bat: sie sah mich mitleidig und lächelnd,

Und entfloh, wie ein Bliz entfleucht, stolzlächelnd wie Blizze.

Nachmals focht ich nie mit ihr mehr; ich flehte zum Himmel:

Laß mich sie finden, laß mich von ihren Händen erblassen!

Aber ich fand sie nicht, ich lebt' – ich sollte sie tödten.


Schrökliche Nacht! wer hieß dich die grausen Flügel verbreiten

Und meinen Augen das Licht entziehn, meinen trostlosen Augen

Ihren Reiz verbergen? O leiht mir Flügel, ihr Blizze![74]

Ich will ihr nachziehn, der höllischen Nacht, ich will sie bey ihren

Schwarzen Fittigen haschen, ich will sie mit eisernen Händen

Würgen, ich will sie zur Hölle hinab, zur Höll' hinab schikken:

Denn sie führte Clorinden hinaus, sie führte die Heldin

In unser Lager, sie hieß sie den Thurm der Christen entzünden,

Sie verschloß ihr Jerusalemsthor. Die zum Tode bestimmte

Arme, verlaßne Clorinde irrt' ohne Leitung am Bollwerk

Wie eine schüchterne Taube umher, die die Zuflucht versperrt sieht.

Warum fiel nicht ein Stern vom Himmel und zeigte die schöne

Seele, wie sie da irrte, mir an? Ich hätte mit treuem

Arm sie umfaßt, ich hätte sie in mein Lager geführet:

Tausend Lampen hätten schnell in die Lüfte aufsteigen

Und ihr Feuer keine der Mienen des Engels auf Erden

Mir verheelen sollen. Allein ich verirreter Tankred

Ritt voll Wuth auf sie zu; ich sprach zu ihr: Kämpfe! sie kämpfte.

Ach, noch trag' ich die Zeichen des Kampfs, die werthen Wunden,

Die sie mir schlug. Ich küß' euch, Wunden! ich seh euch, mit Wonne,

Einzige Andenken, die sie mir ließ. Warum wart ihr nicht tödtlich?

Und warum mußte ich siegen? Mein Reinald, mit brechendem Herzen

Muß ich dir sagen: ich siegte. Sie lag vor mir da: mein Schwerdt war

In ihren Busen gedrungen, und meine Hand fühlte Blut,

Meine verfluchte Hand ihr Blut. Mit leiser Stimme

Rief sie: Taufe mich, Sieger! Da stieß ihre Rede mir auch ein

Schwerdt in die Brust: ich fühlt' eine Angst, eine Ahndung im Herzen

Die mich erschrökt', ich schöpfte den Helm am Jordan voll Wasser,

Lößt' ihr den Helm vom Haupt und sah – wie ein trüber Himmel

Lag ihr Angesicht da – ich sah Clorinden – und Schwindel,[75]

Graun und Tod benahm mir Empfindung und Sinne. Mit starren

Händen taufte ich sie, und taumelte nieder und bebte

Stumm. Die Zunge, die ihr Gebete vorstammeln sollte,

Stammelte nur ihren Namen. Ach Reinald! ach himmlische Wonne!

Ach! indem ich nun sank und auf sie hinstarb, da fühlt' ich

Daß sie die mördrische Faust mir drükte; sie sprach: Ich verzeih dir.

O sie sprach noch viel. Bedaure mich redlicher Reinald!

Ach sie seufzte noch viel, doch alle Seufzer zum Himmel,

Keinen für mich, kein Wort mehr für mich – doch was red' ich, ich Lästrer?

Ich Verruchter! Sollt' ein sterbender Engel mein denken,

Eines Unmenschen denken? Zu viel ist mir Gnade geschehen.

Hätt' ihr blasser Mund mir geflucht, oder schröklicher als der

Strengste Fluch! hätt' er: ich liebe dich nicht, mit der lezten

Stimm' in mein Ohr gedonnert: dann wäre mir Recht wiederfahren.

Höre noch mehr! Sie erschien mir: Die folgende Nacht war ein Himmel –

Schön wie ein heiliger Engel erschien sie. O Schlaf, o verwünschter,

Vermaledeyter Schlaf! Im Schlaf erschien sie, nicht wachend.

Hätt' ich gewacht, ich hätte das blosse Schwerdt auf die Brust mir

Drohend gesezt, ich hätte mit einer verzweifelten Stimme

Sie gefraget: Liebst du mich? oder ich hätte mit starken

Armen an mein Herz sie gedrükt, ich hätte den theuren

Schatten nicht loss gelassen, bis er in der heissen Umarmung

Vor mir zerflossen wäre; dann wär' ich mit ihm zerflossen.


Aber nun erscheint er nicht mehr. – Erhabene Seele!

Lächerlich Sehnen, daß ich dich in die Welt zurük wünsche,

Die du wie einen Punkt, wie einen Ameisenhaufen

Unter dir siehst. Der Himmel wird seine Schäzze nicht missen,[76]

Noch geläutertes Gold in vorige Schlakken versenken.

Wie! ich wag's dich zu lieben, die du von höherem Wesen,

Höherem Stoffe nun bist und sterblich Lieben verachtest?

Seraphen müssen dich izt mit himmlischer Freundschaft umschweben

Und des thörichten Sterblichen lachen, der zu dir hinaufwünscht.


Ach der unsinnigen Hand die dich der Erde geraubet,

Dich so früh der auf dich bewundrungsvoll hoffenden Erde

Mördrisch geraubt. Unsinnige Hand, empfandst du nicht in dir,

Daß du wider dich selber strittest? Du warst nicht die meine.

Ich will von meinem Leibe dich reissen: du warst nicht die meine,

Du warst die Hand eines Satans, der wider die Himmlischen wütet.


Weine Reinald! Du, den izt die Helden zum Kampf herabhohlen,

(Denn meine Stärke ist hin, ich bin ein ächzender Knabe)

Weine männliche Tränen um deinen gefallenen Helden,

Oder wenn mehr Erbarmen noch deinen Busen durchglühet,

Bete um meinen Tod!


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 73-77.
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