Lied auf dem Marsche

[195] O tagesfrühe Wonne!

Wie wird dem Herzen leicht!

Wir haben vor der Sonne

Den frischen Wald erreicht.

Marschieren wir am Morgen,

Dann schwinden alle Sorgen,

Und alles Dunkel weicht.


Die Hörnerrufe wecken

Vom Dickicht auf das Reh;

In grünen Tannverstecken

Schläft tief im Grund der See.

Da steigt zum lichten Morgen,

Vom Nebel noch verborgen,

Empor die schöne Fee.


Zum Schloß auf jenem Hügel

Dringt jetzt der Sonne Licht;

Vor jedem Fensterflügel

Hängt noch der Vorhang dicht.[195]

Du schlummerst sanft geborgen,

Du kennst noch keine Sorgen,

Kennst meine Liebe nicht.


Im Felde stehn Kanonen,

Und Reiter halten Wacht.

Ach, wirst du's je mir lohnen,

Wie treu ich dein gedacht?

Das bleibt dir wohl verborgen,

Jetzt ist es heller Morgen,

Ich sag' dir gute Nacht.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 195-196.
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