Das Siebende Buch.

[1093] Der eintretende Winter hemmete zwar nicht weniger in Deutschland den Lauf des Krieges / als die Kälte das gefrierende Wasser. Dieser Stillestand aber schläffte den Feldherrn nicht ein / sondern er machte zu einem neuen Kriege alle nur ersinnliche Anstalt. Denn er wuste wohl: daß die Römer / ehe sie ein bekriegtes Volck völlig in ihre Dienstbarkeit gebracht hätten / nicht ruhen könten; sondern ihre Feindseligkeit auf den Frühling mit denen verstarrten Nattern und Schlangen wieder rege und lebend würde. Sintemahl das beständige Gelücke / da mehrmahls die unvernünfftigsten Beginnen den Römern nach Wunsch ausschlugen / die klügsten und tapffersten Anstalten anderer Völcker krebsgängig wurden / ja eine einige Ganß Rom vom augenscheinlichen Untergange errettete / dem Römischen Volcke diesen Wahn ins Hertze gesänckt hatte; daß das Verhängnüs ihm die Herrschafft über die gantze Welt zugesprochen hätte; sie also auch ohne andere Ursache alle sich diesem Göttlichen Schlusse widersetzende Menschen mit Rechte zum Gehorsam bringen könten. Diesem gemeinen[1093] Ubel nun zu begegnen zohe er durch Geschencke und Liebkosen eine ziemliche Anzahl der Semnoner und Longobarden an sich; welche entweder der Marbodischen Herrschafft überdrüßig / und den Römern gram waren / oder sonst unter einem so weltberühmten Helden die Waffen geführt zu haben die Ehre haben wolten. Germanicus hingegen war so Ehrsüchtig als einiger Römer für ihm; und ihm also unverschmertzlich: daß er den in Deutschland empfangenen Streich ungerochen hingehen und verrauchen lassen / noch daß er den vom Gefärthen des grossen Mithridates Taxilles den Römern gegebenen Ruhm / nehmlich: daß ihre Waffen unüberwindlich wären / einbüßen solte. Denn ob man zwar zu Rom von seinen Siegen viel Wesens machte; so heilte doch dieser blaue Dunst nicht die Wunden der biß auf die Helffte verschmoltzenen Legionen; und die verlangte Ersetzung des abgegangenen Volckes verrieth allen Klugen in der Welt: daß es den Römern nichts neues wäre sich so wohl mit anderer Sieges-Federn zu behencken als mit frembdem Blute zu kämpffen. Der sonst zu ersätzen unmögliche Verlust muste nach und nach gestanden werden / und daher Italien / Gallien / Hispanien / Pannonien / Dalmatien und andere schon der Dienstbarkeit gewohnten Länder sich angreiffen / mit Volcke / Pferden / Waffen und Gelde die Lücken zu ersätzen; wiewohl Germanicus zu Verstärck- und Ausrüstung seines Kriegs-Volckes / alle seine Einkünffte hierzu anwendete /damit er mit Aufnehmung so vielen Geldes seine Noth nicht allzu sehr an Tag gäbe. Zu welchem Ende denn auch Germanicus nicht nur zu Rom und in Italien /sondern in gantz Europa die neuen Werbungen anstellte / ja den Publius Vitellius / Cantius / Cethegus Tubero und andere weit und breit zu Aussuchung tauglicher Kriegsleute abfertigte / und ihnen mitgab für keinen geschickten einiges Geld anzunehmen. Jedoch konte er bey dem grossen Abgange nicht so genau die alten Kriegs-gesätze beobachten / sondern er muste aus dem Adel ihrer viel / die nicht fünff / und aus dem Volcke etliche / die nicht zehn Jahr im Kriege gedient hatten / zu Obersten / und wie nach der Schlacht bey Canna Jünglinge / welche noch nicht siebenzehn Jahr alt waren / und arme Leute / welche sonst nur auf die Schiffe gebraucht wurden / wie auch Freygelassene zu Kriegsknechten machen. So sehr war durch den deutschen und Pannonischen Krieg Rom erschöpffet / welches unter dem Bürgermeister Lucius Emilius Papo und Cajus Atilius Regulus ohne die Hülffsvölcker achzig tausend Reuter / und siebenmahl hundert tausend Fußknechte / unterm Cinna dreyßig / bey des Pompejus und Julius Bürger-Kriege vierzig / ja in dem einigen Sicilien auf einmal fünff und viertzig Legionen auf dem Fuße hatte; also / daß nunmehr der unerschöpffliche Männer-Brunn in Rom abzunehmen schien / von welchem Pyrrhus gesagt hatte: Er hätte mit einen Lerneischen Drachen zu thun; iemehr er Römische Köpffe abhiebe / iemehr stünden ihrer an der Stelle. Zu Rom verfügte sich Tiberius selbst auffs Capitolium / aus welchem zwey Kriegs-Fahnen / ein rothes für das Fuß-Volck / ein blaues für die Reuterey herfür ragten. Daselbst sätzte er sich nach geschehener Ausruff- und Versamlung der zum Kriege tüchtiger Leute / wie auch gehaltenem Kriegsrathe auf dem Platze auf einen Stul / und laß die Obersten aus / welche hernach die Hauptleute und die gemeinen erkieseten; damit auch die / welche sich vom Kriege zu entschuldigen Recht hatten / freywillig sich andern zum Beyspiele darein schreiben liessen; wiewohl auch diese Erfindung nicht allerdings aushalff; sondern der Kayser / wie für Zeiten Marcus Curius uñ Lucius Lucullus durchs Loß die nöthige Anzahl erfüllen muste. Alleine / weil der deutsche Krieg den meisten ein Greuel war / in welchem nichts als viel Elend und Wunden aufzulesen wären / meinten sich ihrer viel / welche das Loos traff und geruffen wurden / auszuschweigen; also / daß der hierüber ungedultige[1094] Tiberius anfieng: Er sähe wohl / daß die alte Tugend der Römer durch Wollüste gantz ersteckt wäre / da sich eine unzählbare Menge junger Edelleute / welche weder erkohren waren / noch einmahl unter die zur Wahl besti ten Hauffen gehörten / dem Emilius Fabius und Licinius eigenbeweglich unter die Fahnen gestellt hätten. Ob sie nicht wüsten: daß auf solche verzagte und wiederspänstige in Gesätzen Gefängnüs / Fessel / Ruthen / Verlust des Vermögens und der Freyheit ausgesätzt wären? ja der gütige Kayser August derogleichen weibischen Leuten die unnützen Daumen hätte abschneiden lassen? Ein solcher Bürger wäre dem gemeinen Wesen nichts nütze / der nicht zu gehorsamen wüste / und sein Leben lieber als das Vaterland hätte. Daher denn auch Tiberius alter Gewohnheit nach den Obersten die Untersuchung anvertraute: ob die / welche ihre Nahmen nicht von sich gegeben hätten / solche Leute wären / welche kranck /beschädigt oder über funffzig Jahr alt / oder wegen obhabender Würden / oder verdienter Freyheit sich des Krieges enteussern könten. Nach dem Germanicus auch im deutschen Kriege gelernet hatte: daß die Römischen Legionen / derer iede nur sechs hundert zu Pferde führten / mit allzu weniger Reuterey versehen /und auch diese der Deutschen nicht gewachsen / weniger solche / ihrem alten Ruhme nach / unüberwindlich wäre / nahm er nicht nur zweymal so viel Reuter an; sondern vergrösserte auch die in vorigen Zeiten kaum fünff tausend starcke Legionen biß auf sechs tausend Mañ. Nicht weniger musten die Bataver / Nervier /Vangionen / Nemeter / Ubier / Trierer noch einmahl so viel Reuterey / Hispanien und Africa auch an statt der Schatzung eitel Pferde liefern; weil Gallien durch den Krieg von allen Pferden erschöpft war / und die Deutschen einige über den Rhein zu verkauffen und zu führen bey Lebens-Straffe verboten hatten. Uber diß verschrieb er auch dreytausend Celtiberier / welche er auf seinen eigenen Sold unterhielt; weil andere Hülffsvölcker / ausser dem von den Römern ihnen gegebenen Getreyde / von eigenen Ländern bezahlet werden musten. So forderte auch Germanicus nunmehr von Hülffs-Völckern einen scharffen Krieges-Eyd ab / und in Legionen musten die Römer und Gefärthen aus Italien alle / nicht aber mehr einer für alle schweren. Nach dem nun die Legionen mit so viel neuen Leuten ergäntzet werden musten / beredete Germanicus nicht alleine mit Versprechen höherer Beförderung und gewisser Aecker die alten Kriegs-Leute /welche schon über zwantzig Jahr gedienet / und diß Jahr abzudancken Fug und Recht hatten: daß sie ihm zu Liebe unter den Legionen blieben / sondern er schrieb auch nach Rom und in alle Länder / wo Römische Legionen lagen / unzählbare Briefe an die alten daselbst abdanckenden oder vorhin schon erlassene Kriegsleute: sie möchten ihm zu Ehren noch einen Zug gegen danckbare Erkenntligkeit mit ihm thun. Durch welches Mittel er denn derer über zehn tausend an sich zoh / denen er eine besondere Fahn / in welcher des Kaysers Julius und Augustus Bild stand / zueignete / sie der Wache und Schantzens überhob / und sie zu seiner Leibwache / und gleichsam zum letzten Stichblatte gebrauchte. Daher sie auch alle nicht nur des Germanicus Nahmen auff ihre Schilde mahlten /sondern ihn auch / wie sonst nur von Neugeworbenen zu geschehen pflegt / auf ihre Armen und Hände einstachen. Nach dem auch so wol die deutschen Bundgenossen / als die Römer / welche in diesen Ländern lange gekriegt hatten / noch immer auf ihrer Meinung blieben: daß / wenn sie nicht den Cheruskern ins Hertz giengen / und zwischen der Weser und Elbe /wo das Land nicht so sümpficht und zum Kriege geschickter wäre / festen Fuß sätzten / sie die Deutschen ni ermehr bändigen würden / so weit aber zu Lande durchzubrechen unmöglich schiene; weil die Wälder zum Uberfalle / die Sümpffe das schwere Kriegsgeräthe zu schleppen allzuhinderlich wären / trug er dem Silius / Antejus und Cäcina auf / auf der Maaß und an dem Batavischen Ufer tausend neue Schiffe zu bauen;[1095] welche theils kurtz seyn / spitzige Vorder- und Hintertheile / mit weiten Bäuchen um gegen den Flutten desto besser zu tauern / theils flache Bödeme / daß sie im seichten zu brauchen wären; theils auch an beyden Enden haben solten: daß man ohne Umwendung vor und hinter sich segeln oder auch rudern könte. Viel solten auch zu Führung der Pferde / der Lebens-Mittel / und allerhand künstlicher Brücken / über welche man den Kriegszeug füglich fortbrächte / bereitet werden. Welches alles ihnen diese drey oberste Befehlhaber eyfrig angelegen seyn liessen.

Mitler Zeit als der Feldherr Herrmann und Germanicus sich mit ihrer neuen Zurüstung beunruhigten /waren die Gefangenen bey dem Ubischen Altare und andere den Römern bey gefallene Deutschen nicht in Ruh. Flavius genaß zwar von seiner Wunde / aber er kriegte sein Auge nicht wieder. Gleichwol war er noch blinder in seinem Gemüthe / als in seinem Gesichte. Denn mit diesem so schlecht abgelauffenen Feldzuge hatte er alle Hofnung einige Herrschafft über die Cherusker zu behaupten / und mit seinem ausgestochenen Auge allen Trost von der Königin Erato / ein holdes Auge sein lebtage zu bekommen verlohren. Der übele Fortgang stellte ihm allererst die Grösse seines Verbrechens für: daß er aus blosser Ehrsucht wider seinen Bruder und Vaterland die Waffen ergriffen hatte. Hingegen kam ihm ein: wie rühmlich Fabricius das ihm vom Könige Pyrrhus angebotene Theil seines Reiches / und der dürfftige Curius bey seinem Topffe Rüben das überschickte Gold verschmähet; ja Scipio Africanus lieber hätte ein gemeiner Bürger zu Rom bleiben / als in Africa oder Hispanien ein König werden wollen. Sein Bruder Herrmañ aber hätte ihm zu beherrschen mehr einzuräumen sich erboten / als er ohne Schamröthe hätte verlangen können. Gleichwol aber hätte er wider ihm und Deutschland den Degen gezückt / welchen noch keiner in solcher Begebenheit glücklich eingesteckt hätte. Alleine aus diesem Irrgarten sich auszuflechten wuste Flavius ihm weder Hülffe noch Rath. Denn ob zwar die Deutschen nicht unvergeßliche Feindschafft zu hegen pflegen / so stellte doch die Grösse der Beleidigung ihm seinen Bruder Herrmañ unversöhnlich für; und wenn er ihm auch gleich eine Hoffnung machte: daß sein Gemüthe zu erweichen wäre / so standen ihm doch Ingviomer und andere Anverwandte / die solches hindern würden / am Wege; weil sich alle mit ihres Blutsfreundes Haß und Rache zu betheilen schuldig /und wegen des den Bructerern angefügten Schadens auf ihn / als die für gewendete Ursache des Krieges /aufs ärgste ergrimmet waren. So muste sich auch Flavius genau in acht nehmen: daß die strengen und zum Argwohn geneigten Römer ihm das geringste abmercken möchten; als ob er wieder auf der deutschen Seite hienge / und von den Römern absätzen wolte. Also fürchtete er sich mit der gefangenen Fürstin Thußnelden und seiner Schwester Ismene einige Gemeinschafft zu pflegen; zumal er sich ebenfalls leicht bescheiden konte: daß auch diese ihm wenig Sommerblicke zu geben Ursach hätten. Es spielete sich aber ihm selbst hierzu Gelegenheit in die Hand. Sintemal Agrippine / nach dem sie vorher Thußneldens Einwilligung erlangt hatte / den Flavius mit sich in die Gesellschafft der Gefangenen brachte. Flavius nahm sich zwar gegen sie alsbald der alten Verträuligkeit an; Thußnelde / Ismene und Zirolane aber hielten aus einem klugen Mißtrauen gegen ihm zurücke / ob sie gleich weder offenbahre Feindschafft noch eine empfindliche Kaltsinnigkeit spüren liessen; weil sie wol wusten: daß Gefangene viel übersehen / manches verhören / alles wol aufnehmen / und niemanden beleidigen müsten. Die erste gute Aufnehmung veranlaste den Flavius: daß er sie öffters / besonders mit Agrippinen besuchte; wordurch denn auch Fürst Siegemund sich mit einzuspielen Gelegenheit suchte. Denn dieser hatte zwar des Kaysers Augustus Priesterthum[1096] wieder angetreten; aber sein Hertze blieb doch ein stets loderndes Opffer Zirolanens. Weil nun Flavius von ihrer Gemeinschafft nicht ausgeschlossen ward / bildete er ihm ein: daß er als ein Bruder Thußneldens einen noch nähern Zutritt zu finden Recht hätte. Gleichwol wolte er das erstere mahl unter dem Schirme des Flavius sich bey ihnen einfinden / aber er kam dessen ungeachtet übel an. Denn alle drey erblasten über seinem Anblicke / Zirolane fiel in Ohnmacht /Ismene wendete ihm den Rücken / und Thußnelde sagte mit einer ungemeinen Entrüstung zum Flavius: hat er so wenig Vernunfft oder allzu grosse Begierde uns zu beleidigen: daß er uns einen Rauber unsers Glückes und der Freyheit / einẽ Menschen / welcher weder Schande noch Ehre mehr achtet / unter Augen stellt? Kein Ubelthäter ist leichte so unverschämt: daß er nicht nach Vollbringung seines Lasters das Licht scheue. Dieser aber tritt uns mit einer so liederlichen Verwegenheit fürs Gesichte / als wenn er an uns eine Heldenthat ausgeübt / oder er durch seinen Raub uns mehr liebgekoset als Leid angethan hätte. Liebste Schwester / versätzte Siegesmund / ich kan es nicht leugnen: daß ich sie und ihre Gefärthen beleidiget habe. Aber nicht so wol ich / als meine hefftige Liebe gegen Zirolanen hat sich vergangen. In dieser aber läst sich eben so wohl Irrthum und Arglist / als im Kriege Gewaltthaten entschuldigen. In beyden sind gebrauchte Künste seinen Zweck zu erreichen nicht nur ehrlich / sondern auch ruhmswürdig. Der unerbittlichen Zirolane Raub war alleine mein Anschlag / sie und Ismene sind nur zufälliger Weise mit diesem Netze berückt worden. Wie aber ihre Gefangenschafft ihnen zeither erträglich und gleichsam ein Zeitvertrieb gewesen ist; also wünsche ich: daß das Ende näher /und ein Friedens-Mittel zwischen Rom und Deutschland seyn möge. Thußnelde achtete Siegemunden nicht würdig ihm zu antworten / sondern bat den Flavius ihm zu sagen: Sie schätzte sich viel zu hoch eines Raubers und Verräthers Schwester zu seyn. Er solte sich also ihren Bruder nicht rühmen / sondern glauben: daß sie seinet halben am ersten einen schwartzen Stein in den peinlichen Urthel-Topff werffen / und die Ausübung der schärffsten Straffen wider ihn befördern würde. Siegesmund verlohr hierüber das Hertze mehr zu reden; Flavius aber bat: Sie möchte doch die Hefftigkeit ihres Zornes mäßigen /und die Vernunfft ihr selbst sagen lassen / was in ihrem Zustande sie zu verschmertzen oder wenigstens zu verstellen hätte. Wenn aber auch diß nicht wäre /liessen sich doch die Bande der Natur so schlechter Dings nicht zerreissen. Denn weder Missethat noch Unglück könten machen: daß Thußnelde und Siegesmund ihr Wesen nicht aus einerley Adern empfangen hätten. Andere zufällige Freundschafften liessen sich zwar über das Knie abbrechen / nicht aber die des Geblütes. Denn das Gelücke hätte nur faule / die Natur aber zehe Wurtzeln; und angebohrne Liebe wüchse wie die Haarweiden allemahl aus / wenn sie schon hundert mahl abgehauen würden; da andere Verbindligkeit mit einem Bruche / wie Tannen und Fichten von einmahliger Köpffung ihres Wipffels / vertürbe. Thußnelde begegnete ihm: Aber weder Vernunft noch Natur schreiben mir ein Gesetze für: daß ich gegen eines boßhafften Bruders Laster keinen Zorn fassen solte. Solte ich ihm noch Pflaumen streichen / und seinen Verbrechen heucheln / daß er selbter sich noch mehr befliesse? Die Natur hat dieses heilige Feuer des Zornes in aller Thiere Hertzen angezündet / um sich gegen Gewalt zu beschirmen / und der Boßheit den Kopff zu bieten. Diesemnach sind Zorn und Vernunfft für keine so unerträgliche Gestirne zu halten; daß selbte ohne einander Abbruch zu thun / beysa en oder einander gegen über stehen könten. Sie stärcken einander vielmehr; und ihre Vereinbarung zeuget in der Seele dieselbe himmlische Wärmde / welche die schläffrichen Tugenden aufmuntert /[1097] und wider die Boßheit einen gerechten Eyver sie zu schelten und zu straffen erwecket. Flavius fühlte sich hierüber selbst /und damit auch ihm nicht etwan ein Rügel vorgeschoben werden möchte / muste er nur mit dem bestürtzten Siegesmund abziehen / welcher wegen wieder erlangter Gnade der Römer bey der gefangenen Zirolane einen geneigtern Stern zu haben ihm allzu frühzeitig eingebildet hatte. Sintemahl diese Fürstin allzu großmüthig war: daß sie durch Verlierung ihrer Freyheit sich ihrer Standhafftigkeit hätte enteussern sollen. Ihre Tugend gleichte einem künstlichen Marmel-Bilde / welches zwar von seinem erhobenen Fuße gestossen werden kan; aber es behält doch auch auf der Erde und im Staube seine Schönheit. Nach dem Flavius und Siegemund nun hinweg waren / schertzte die freudige Thußnelde aus der sich wiedererholenden Zirolane / und sagte: Sie wäre das vollkommenste Bild der Beständigkeit; in dem sie bey besorgender Anfechtung wie die gefrierenden Wasser zu Eise würde; also alle Bewegung verliere / alle Gemüthsregungen hemmete / und sich aller Fühle des bösen und der anlockenden Reitzungen entschüttete. Zirolane antwortete: Es wäre mir leid / wenn ich gegen einen so ungütigen Liebhaber nicht kälter als Eiß seyn solte. Sintemahl mein Hertze von seinen Strahlen mehr gefrieret / das Eiß aber an der Sonne zerschmeltzet. Ismene fiel ein: So wird Siegesmund in ihren Augen gewiß keine Sonne und seine Anwesenheit ihr kein Tag / sondern der kalte Angelstern in Mitternacht seyn / der die gantze Nordwelt in Schnee und Eiß einhüllet. Zirolane begegnete ihr: Ich wünsche wohl: daß Siegemund so wenig Liebe in seinem Hertzen / als der Angelstern Kräffte den Schnee zu schmeltzen in sich hätte; so würde die Herzogin Thußnelde und Ismene nicht meiner Kaltsinnigkeit halber mit zu entgelten / und in dieser Gefangenschafft so viel Frost der Traurigkeit zu erdulden haben. Nach dem aber sie beyde mit einer so hertzhafften Unempfindligkeit nicht nur alles Ungemach ausstehen / sondern auch in ihren Adern das sonst wallende Geblüte der nahen Anverwandnüß gleichsam gerinnen lassen / und / um der Vernunfft die ihr zuständige Herrschafft zuzueignen / der Tugend ihre Ausrichtung zu thun / den kalten Haß wider alle andere Gemüthsregungen und Anfechtungen ausrüsten / verdienen sie mehr als ich / die ich gegen diesen Liebhaber niemahls den geringsten Zug gefühlt /das Lob der mir zugelegten Kaltsinnigkeit. Da / wenn sie diesemnach nicht in Deutschland gebohren wären /würde ich sie für ein künstliches Gemächte aus den weissen Steinklippen Britanniens ansehen / welche die rasenden Winde / das hagelnde Ungewitter und die schäumenden Wellen des erzürnten Meeres ohne einige Bewegung und Fühlen erdulden. Ich würde sonder ihr mich erhaltendes Beyspiel gewiß vielen Schwachheiten Raum verstatten / wenn sie mich zu einer so tapffern Beständigkeit / welche entweder an sich selbst die höchste Weißheit oder ihr herrlicher Werckzeug und Ancker ist / nicht abhärteten; in dem sie weder durch stürmerisches Verlangen der Freyheit / noch durch ungeduldige Empfindligkeit der Dienstbarkeit und des Unglückes / noch durch andere Regungen sich eines Fingers breit von dem Stande ihrer Tugend und Ehre verrücken lassen. Ismene versätzte: Sie erbaute sich vielmehr aus der Anweisung zweyer so vollkommenen Heldinnen; und durch ihre Stärcke unterstützte sie ihre Schwachheiten: daß sie in dieser Erniedrigung sich nicht ihres Nahmens und Uhrsprunges unwürdig machte. Thußnelde fiel ein: der ihr von beyden zukommende Trost bescheidete sie schon: daß sie für ihnen sich keines Vorzugs zu rühmen hätte. Es wäre mit denen / welche einen festen Vorsatz hätten tugendhafft zu seyn / wie mit zweyen gegen einander gestellten Spiegeln beschaffen /[1098] derer ieder dem andern seinen Schein eindrückte / und auch ieder ihn von dem andern empfienge. Zirolane versätzte: Ich wolte vielleicht mit besserm Grunde unsere Gegeneinander-Stellung der des Mohnden und der Sonne vergleichen. Diese ist Thußnelde / jener bin ich / der ich von ihr nur Licht zu empfangen / keines aber wieder zu geben habe. Ismene brach ein: So bleibet für mich nichts / als die schattichte Erde übrig / welche des Tages von der Sonne / des Nachtes von dem Mohnden erleuchtet wird. Zirolane sätzte ihr alsofort entgegen: Wenn schon mein Gleichnüs sich so weit ausdehnen ließe / würde es doch der vollkommenen Ismene zu dem eingebildeten Vorthel ihrer angemasten Erniedrigung nicht dienen / und sie würde doch grösser und heller als Zirolane bleiben. Sintemahl die Erde dem Mohnden zweymahl an Grösse überlegen / und von der Sonne einen weitern und hellern Glantz als der Monde empfängt; dahero die Sternseher auch die Erde für den achten Irrstern halten. Ismene antwortete: Ich gebe mich gefangen / und bekenne: daß mich die unvergleichliche Zirolane so wohl an Scharffsinnigkeit /als an Vermögen alles Unglück hertzhafft zu erdulden / und alle Regungen zu dämpffen / weit hinter sich lasse. Zirolane versätzte: die Ohnmacht meines Leibes ist leider ein allzu klarer Verräther meines ohnmächtigen / und unter denen hefftigen Regungen verschmachtenden Gemüthes gewest. Dahero ich bey einem so unverdienten Lobe nur desto beschämter zu seyn / und meinen Schwachheiten mehr Hülffe zu suchen / als sie durch Entschuldigung zu verkleinern Ursache habe. Thußnelde fiel ein: Die selbst eigene Verkleinerung ist nicht die kleinste unter Zirolanens Tugenden. Ihrer viel / welche kaum sich mit etlichen Schalen der Tugend zu bedecken wissen / bilden ihnen selbst ein: sie wären als Kleinodter würdig in Gold und Helffenbein verwahret zu werden; und der Himmel unvollko en / so lange sie nicht in selbtem einen Abgott abgäben. Warhaffte Tugend aber vergnüget sich an der Güte ihres Kernes / und schämt sich nicht so sehr ihrer rauen und ungestalten Schalen / als sie sich über dem ihr / wiewohl mit gutem Grunde / beygelegten Lobes röthet. Diese Purper-farbichte Schamhafftigkeit aber ist die rechte Morgen- und Abendröthe der Tugend / welcher Sonne jene demüthige Tochter vor und nachgeht. Wie aber diese verschämte Heroldin nicht weniger Finsternüs der Nacht als Glantz des Tages / ja die Sonne selbst Flecken an sich hat und Verfinsterung dulden muß; also ist niemand unter den vollkommensten ohne Schwachheit und Unglück. Ja wir sind nicht gantze Menschen /sondern nur Stücke oder Scherben davon / aus allen zusammen kan etwas / iedoch nicht allzu viel / aus eintzelen aber nichts werden. Dieses ist ein unumstoßlicher Grund: daß ieden Menschens eigene Erhaltung und Wolfarth erfordere dem andern Handreichung zu thun und beyzuspringen. Welche Verbindligkeit unser itziger Nothstand sonderlich von uns abheischet; welche einige Würckung ihn uns nicht nur erträglich / sondern gar angenehm zu machen vermag / und uns allererst das rechte Siegel bewehrter Tugend eindrücket. Denn wenn keine schreckende oder verführende Regungen in uns / und in der Welt kein Unglück wäre / würde die Tugend zwar in unser Seele /wie eine reine Fackel in der von allem Winde / Wolcken und Nebel befreyten Lufft brennen / und uns zu der Glückseligkeit ohne Hindernüs führen / wie die Gestirne ohne einigen Auffenthalt und Bemühung alle Tage ihre Kreiße durchwandern; aber so denn würde kein Unterscheid der Menschen / und wie bey gutem Wetter / ieder Bots-Knecht ein kluger, Steuer-Mann /ja / weil die Laster so wenig als die getichteten Ungeheuer in der Welt gefunden werden würden / die Tugend selbst nicht Tugend seyn. Mit solchen Gesprächen verzuckerte dieses Frauenzimmer[1099] einander die verdrüßliche Gefangenschafft / noch mehr aber Agrippine mit ihrer freundlichen Unterhaltung und mit ihrer vertrösteten Unterbauung; daß sie gegen die Römer /welche der Feldherr vom Cäcina / Hertzog Arpus aber auf dem Taunischen Gebürge / und Catumer bey dem Grab-Male des Drusus gefangen bekommen hatte /ausgewechselt werden möchten. Worzu ihnen zum Theil auch Hoffnung machte: daß die Römer und Deutschen die Rauigkeit des anfänglichen Krieges mit einander ziemlich abgeschlieffen hatten / und die Deutschen die gefangenen Römer weder mehr opfferten / noch diese jene bey abgekühltem Blute schlachteten. Es verstattete Germanicus auch: daß die Gefangenen in Deutschland offene Brieffe schreiben / und von dar wieder empfangen dorfften.

Als sie nun in der grösten Hoffnung ihrer Erlösung lebten / ward Zirolanen / als sie mit Thußnelden und Ismenen am Rheine auf- und abgieng / von einem Römischen ihr mit dem Auge winckenden / und damit was geheimes andeutenden Kriegsmañe ein Schreiben an die Hand gesteckt / darinnen sie / als sie hernach solches zu lesen unter anderm Scheine auf die Seite trat / folgende Worte fand: Ihr seyd verlohren; und sollet von dem nach Rom beruffenen Germanicus zum Sieges-Gepränge mitgenommen / der junge Thumelich aber auf dem Grabe des Drusus zu Ravenna / wo nicht bey Meyntz / geschlachtet werden. Allem diesem aber kan Zirolane abhelffen / wenn sie sich überwinden kan ihren getreuen aber verhaften Liebhaber zu lieben. Um Mitternacht öffnet einem vertrauten Freunde / der euch hiervon umständlichere Gewißheit eröffnen wird / die Garten-Thüre / und sorget mehr auf eure Wolfarth / als daß ihr dem Mißtrauen oder euch verrathendem Kummer Raum gebet. Dieser Brieff war in Zirolanens Hertze ein zweyfacher Donnerschlag; und sie würde wegen der ihr mehr als Galle und Gifft verhasten Liebe solchen verdrückt haben /wenn nicht Ismene sie hätte denselben lesen und sie darüber erblassen gesehen. Daher sie alsofort nach Hause zu kehren Anlaß gab / und in Thußneldens Anwesenheit nach dem Briefe fragte; welcher sie in eine so grosse und ihr noch aus den Augen sehende Erstaunung versätzt hätte. Zirolane verstummte über dieser Frage / und statt der ihr gebrechenden Worte gaben ihre Augen tausend Thränen / ihre Hand den schrecklichen Brieff zur Antwort. Thußnelde und Ismene erstarrte über den ersten Zeilen / als sie aber zu der von des jungen Thumelichs Aufopfferung kam /fiel Thußnelde wie ein Klotz zu Bodem. Dieser Fall ermunterte Zirolanen und Ismenen / welche an Thußnelden weder Puls noch Leben fühlten; Durch reiben und kühlen sie aber kaum in einer halben Stunde so weit brachten / daß sie die Augen ein wenig auffsperrte / und einen tieffen Seuffzer ausließ. Sie fiel aber gleich wieder in Ohnmacht; und in diesem Augenblicke trat zugleich Agrippine ins Zimmer; welche nicht ehe nach der Ursache dieses Zufalls fragte /biß sie allerhand kräfftige Stärckungen zur Stelle gebracht / und sie Thußnelden so ferne erqvicket hatte: daß man sie entkleiden und auf ein Bette legen konte. Hierauf erkundigte sich Agrippine; woher dieser Unfall rührte? welcher aber Ismene / weil Zirolane neben dem Bette bey Thußnelden blieb / verschmitzt und um Agrippinen auszuholen antwortete: Sie wäre auf dem Stule entschlaffen / und nach einer halben Stunde mit diesen Worten aus dem Schlaffe aufgefahren: Nach Rom! nach Rom! Messer / Messer her! Worauf sie denn auch folgends aus einer Ohnmacht in die andere gefallen wäre. Agrippine erblaste hierüber und veränderte sich derogestalt: daß sie sich nicht zu erholen getraute / sondern unter dem Scheine: daß sie Thußnelden nicht an der nöthigen Ruh / noch Ismenen an derselben Wahrnehmung hindern wolte / Abschied nahm. Ismenen und Zirolanen war zwar durch[1100] diese Zeitung ein so schwerer Stein aufs Hertze gelegt: daß sie ihn kaum ertragen konten; doch musten sie ihn Thußnelden zu Liebe leichter machen / uñ ihren eigenen Schmertz verbeissen. Daher / als Thußnelde wieder ein wenig zu sich selbst kam / Zirolane ihr sagte: Sie hielte diesen Brieff für eine arglistige Erfindung des verzweiffelten Siegemunds; laß ihr auch zu Beglaubigung ihres Argwohns vollends das letzte Theil des Brieffes. Thußnelde antwortete: diese Muthmassung hat wohl einen Schein; gleichwohl aber traue ich diese Boßheit meinem Bruder nicht zu: daß er durch ertichtete Opfferung meines Sohnes mich / wie er ihm leicht von mir einbilden kan / da ich zumahl in diesen Banden gehe / vorsätzlich tödten solte. Hingegen saget mir mein Hertze: daß unsere Tod-Feindin Sentia und Adgandester dieses Hertzeleid uns beym Tiberius angesponnen haben. Hierauf überlegten sie: Ob es rathsam wäre um Mitternacht die Gartentühre zu öffnen und zu warten: ob ihnen iemand der Vertröstung nach mehrere Gewißheit bringen würde. Zirolane hatte hierzu schlechte Lust / aus Beysorge: daß sie daselbst nichts als Liebes-Versuchungen vom Siegesmund vernehmen würde / welche ihr zu hören unerträglich wären; weil sie lieber hinter des Germanicus Sieges-Wagen gebunden und baar-fußig in Rom gehen / als den Siegesmund lieben wolte. Hilff GOtt! fuhr Ismene auff / eine solche Kleinmüthigkeit kan ich der großmüthigen Zirolane nimmermehr zutrauen. Ich bin feste entschlossen / ehe zu sterben / als zum Schauspiele nach Rom zu kommen. Zirolane antwortete: Ich wil mich für der Zeit nichts vermässen / noch mich ohne Noth / was ich bey solcher Versuchung entschlüssen möchte / übereilen. Dieses aber ist bey mir eine ausgemachte Sache: daß ich auch lieber sterben / als ihn lieben wolle. Thußnelde fiel ein: Ich glaube wol / daß kein Zwang in der Welt; und also auch der uns angedreute Tod der ärgste Scheusal des menschlichen Geschlechtes nicht fähig sey / auch dem furchtsamsten Hertzen die süsse Empfindligkeit wahrer Liebe einzupflantzen; Ob sich aber iemand in solchem Falle und da es zumahl ohne Untreu und Laster zu thun möglich / noch der Ehre und Würde abbrüchig wäre / so versteinern könne: daß man zu Erhaltung des Lebens sich nicht verliebt stellen solte / wil ich zu entscheiden mich nicht vorzücken. Wie dem aber sey; so lasset uns zum wenigsten die Gelegenheit nicht versäumen unsere Gefahr zu erforschen / welcher Wissenschafft schon das halbe Genesungs-Mittel ist. Gesätzt; daß Zirolanen iemand von Siegesmunden neue Anmuthungen fürtrage; diese können sie weder verwunden noch bezaubern / sondern Zirolane behält ihren freyen Willen / sie wie vor zu verwerffen. Ismene siel Thußnelden bey / und bat Zirolanen mit heissen Thränen: sie möchte sich doch Thußneldens / und wo nicht ihr / doch des zarten Thumelichs erbarmen /also sich zu Annehmung der versprochenen Nachricht beqvämen. Zirolane willigte endlich darein / aber mit diesem Bedinge / da Siegesmund nicht selbst / wie sie besorgte / dahin käme. Sie musten also in ihren Willen kommen / und Ismene versprechen die Vorgängerin zu seyn / und zu verhüten: daß Siegesmund Zirolanen nicht solte zu sehen bekommen. Gegen die bestimmte Zeit verfügte sich Ismene bey wenigem Mondenscheine neben die geöffnete Garten-Thüre / Zirolane aber blieb hinter der Wand eines mit Immer-grün bewachsenen Ganges verdeckt stehen. Kurtz darauf gieng die zugelehnte Thüre des Gartens auf / und trat ein Römisch gekleideter Kriegsmann hinein / ruffte auch mit linder Stimme: Zirolane. Ismene trat auf der Seite herfür / und sagte: hier ist sie; was habt ihr ihr zu sagen? dieser betrachtete sie eine weile / und fieng an: Wo mich die Finsternüß und mein Auge nicht betreugt / sehe ich wohl Ismenen / nicht aber Zirolanen. Ismene antwortete:[1101] Ihr habt recht; aber Zirolane wird euch nicht ehe sehen / biß sie weiß / mit wem sie zu reden habe. Der vermeinte Römer versätzte: Es liegt mir zwar wenig dran / ob ich mit ihr oder mit Ismenen rede; weil mich aber meine Treue hieher bringt / habe ich kein Bedencken mich zu offenbaren: Ich bin Hermengarde des Ritters Dehnhof Tochter / welche die Ehre gehabt Zirolanen eine zeitlang zu bedienen / und hernach den Grafen von Hanau zu heyrathen. Ismene erinnerte sich im Augenblicke der Aehnligkeit ihrer Sprache / und fieng an: hilff Himmel! wie ist sie denn zu einem Römischen Kriegs-Knechte worden! Hermengarde antwortete: Noth und Treue sind Lehrmeister viel seltzamer Verwandlungen / als die / welche die alten Tichter denen flüchtigen Göttern zugeschrieben haben. Ismene schloß hiermit den Garten zu /nahm Hermengarden bey der Hand / führte sie zu Zirolanen / und sagte zu ihr: Sie erschrecke nicht / sondern bewillkomme vielmehr diese ihre treue Hermengarde. Ist es wohl möglich / sagte Zirolane: daß der Himmel uns diese treuste Gefärthin meines Lebens zuschickt / so kan ich nicht glauben: daß er noch unsern Untergang beschlossen habe. Wie nun Hermengarde sich genung zu erkennen gab / fiel ihr Zirolane um den Hals / und konte sich mit Küssen an ihr nicht sättigen. Hermengarde fieng hierüber an: holdselige Fürstin / sie spare ein Theil ihrer Gnade für mich auf andere Zeit. Denn an dieser hätten sie Ursache keinen Augenblick zu versäumen. Zirolane fragte: durch was für einen Wunder-Weg sie denn von Deutschburg dahin kommen wäre? Hermengarde sagte: Ihre Erzehlung würde alles entdecken / sie wünschte aber wol /wenn es möglich wäre / auch Thußnelden davon zu benachrichtigen. Zirolane nam sie ohne fernere Wortwechselung und führte sie auf Thußneldens unten in Garten gehendes Zimmer zu; Ismene aber sprang voran / und deutete ihr / um alles Schrecken zu verhüten / Hermengardens Ankunfft an. Diese war auch der Hertzogin eine so angenehme Gästin / als wenn sie ihr vom Himmel zugefallen wäre. Nach vielen Liebes-Bezeugungen fieng Hermengarde an: Als ich den an ihnen bey der Tanfanischen Höle verübten Raub in Deutschburg vernam / rüstete ich mich / und setzte mit denen andern Cheruskern den Raubern nach /hatte aber das Unglück: daß ich nach Verlust meines Pferdes von Chaßuariern gefangen / in Arnsburg gebracht und vom Fürsten Siegesmund erkennet ward. Weil er nun meinte: er hätte mit mir einen sehr nützlichen Werckzeug / ihm in seiner Liebe bey der Fürstin Zirolanen an die Hand zu gehen / gefangen / behielt er mich unter scharffer Aufsicht bey sich / ließ mich aber nicht ehe / daß er mich kennte / mercken / biß er allhier wieder zu des Augustus Priester eingeweihet war. So denn gab er mir zu verstehen: daß ich zwar seine Sklavin wäre / er wolte mich aber als seine Schwester halten / wo er meiner Treue könte versichert seyn. Ob ich nun wol wuste / wie verdrüßlich Zirolanen seine Liebe wäre / und mir leicht die Rechnung machen konte: daß sein Absehen wäre durch mich bey ihr was fruchtbarliches auszuwürcken / ließ sich doch in dieser Dienstbarkeit gegen der / in dessen Willkühr mein Leben und Tod stand / durch Hartnäckigkeit wenig ausrichten; sondern ich gelobete ihm an in allen meiner Ehre nichts benehmenden Dingen treu und dienstbar zu seyn. Er war mit meinem Erbieten / wie ich mit seiner Verhaltung / wol zu frieden; doch muste ich auf seinen Befehl mein Geschlechte verbergen / und ihm unter dem Scheine eines Schild-Trägers an die Hand gehen. Nach der Zeit brauchte er mich in allen seinen geheimesten Dingen / und muste ich mit dem Fürsten Flavius viel / was er keinem andern Menschen vertrauen wolte / sonderlich auch / daß er Zirolanens Hertze ihm zuzuneigen bedacht seyn möchte / verträulich abreden.[1102] Worbey ich denn so viel ausgespüret habe: daß weder Flavius noch Siegesmund mit den Römern vergnügt sey; sondern jeder sich mit leeren Hoffnungen geäffet; Flavius von Adgandestern / Siegesmund von der Sentia betrogen siehet; und jener /wenn er unter der Hand mit seinem Bruder ausgesöhnt / dieser aber / wenn er Zirolanens Gegen-Liebe genoßbar werden könte / sich augenblicks zu den Deutschen wenden würde. Unterdessen müsten doch beyde in Adgandesters und Sentiens Horn blasen /weil diese des Sejanus Schoos-Kinder / wie er des Tiberius wäre. Gestern kamen Brieffe von Rom / welche nur acht Tage unterwegens gewest / und darunter gewisse an Agrippinen / und den Fürsten Siegesmund gerichtet waren; nach derer Lesung ließ er eine ungemeine Schwermüthigkeit an sich mercken. Kurtz darauf begab er sich am Rheine mit mir alleine in seinen Garten / und nach einer zweystündigen Einsamkeit /näherte er sich und sagte mir: Er wolte mir ein hochwichtiges Geheimnüs anvertrauen / daran mir selbst viel gelegen wäre; ich müste desselben Verschwiegenheit und Treue ihm durch einen kräfftigen Eyd bestärcken. Weil nun sein ängstiges Antlitz mir die Wichtigkeit der Sache mehr denn zu viel vorbildete /erfüllte ich durch einen uns Deutschen gewöhnlichen Eydschwur Siegesmunds Verlangen; worauf er mir gegenwärtigen Brief einhändigte. Diesen überreichte Hermengarde hiermit Thußnelden / welche alsbald anfieng: diß ist Sentiens Hand. Ja / sagte Hermengarde; aber sie lassen sich dessen Innhalt nicht allzu sehr erschrecken / weil ich sie versichern kan: daß es Siegesmunden ein Ernst sey dieses durch die Zauberin und Unholdin Sentia angesponnene Unglück von ihren Häuptern abzuwenden. Ismene nam hierauf den Brief / und laß folgende Worte daraus: Sentia ihrem liebsten Sohne / dem Fürsten Siegesmund. Alle Sterne sind mir zu Rom geneigt / alle Winde blasen in die Segel meiner Wünsche / nach dem ich alles über den Sejanus / dieser aber alles über den Tiberius vermag. Ich hoffe nun bald über unsere gemeine Feinde zu frolocken / und an Hertzog Herrmanns Blute Rache auszuüben. Germanicus und Agrippina / welche den Römischen Feinden nur geheuchelt haben / und so wol dem Tiberius als weit-sehenden Sejan verdächtig sind / werden nach Rom beruffen / und müssen in Asien ziehen / wo von Parthien her sich ein Ungewitter über Armenien und Syrien aufzeucht. Thußnelde wird den Ungehorsam gegen ihren Vater / Ismene den Hochmuth ihres Bruders / Zirolane die Widerspenstigkeit gegen dich hier im offenen Sieges-gepränge des Germanicus durch allgemeine Verlachung des jauchtzenden Volckes / wo nicht mit dem Tode bissen müssen / weil man insgemein an solchen Sieges-Tagen die zum Schauspiele eingeführten Gefangenen zu tödten pflegt. Der junge Thumelich soll dem Drusus zur Rache seines von den Catten zerstörten Gedächtnüs-Maales geopffert / und darmit dem Herrmann das beste Theil seines Hertzens aus dem Leibe gerissen werden. Alles dieses habe ich dem Sejanus unter den Fuß gegeben / und er es beym Käyser zuwege gebracht. Zweifle diesem nach nicht; daß ich für dein Glücke beym Sejan und dem zu des Germanicus Nachfolger bestimmten Drusus eben so viel auszurichten fähig sey / und bleibe der / die dich mehr als eine gemeine Mutter liebt / gewogen. Thußnelde sanck hierüber aufs neue in Ohnmacht; weil aber Hermengarde ihr von einem Hülffs-Mittel Vertröstung gethan hatte / hielt die Schwachheit so lange nicht an; also / daß nach ihrer Erholung Hermengarde in der Erzehlung fortfahren konte: Mir / sagte sie / fieng bey ieder Zeile das Hertze an zu klopffen; der Brief an sich selbst behält noch die Merckmaale von dem Blute meiner verwundeten Seele / nemlich denen darauf gefallenen Thränen; ich verstu te und erblaste. Siegesmund[1103] sahe mich lange und mit nicht kleinerer Bestürtzung stillschweigend an; gleich als wenn er von mir Rath und Hülffe verlangte. Ob nun wol mein Verstand so verwirrt / als meine Zunge gehe et war /sahe ich ihm doch wol an: daß die widrigen Gemüths-Regungen in seinem Hertzen stärcker Epp und Flutt machten / als sie beym Vollmonden / und wenn Tag und Nacht gleiche werden / im Meere zu seyn pflegen. Denn Zorn / Furcht / Mitleiden / Liebe / derer eines wie der geschwinde Blitz einschlägt / das andere eine langsame und doch hefftige Bewegung hat / zerschlugen sich wie Wellen an einander / und wolte jedes das gröste Theil von seinem Hertzen erstreiten. Weil aber ich von Schrecken gantz verstarret war / und mich aus meiner Verwirrung nicht auswickeln konte / redete er mich endlich an: Ach! Hermengarde! ach! was habe ich gethan! dieses verteuffelte Schreiben ist allein der Ausleger meiner begangenen Laster. O verda te Verrätherey! O abscheuliche Thorheit! hätte ich mir was bessers als den Erfolg so schändlichen Spottes / und so grausamer Mordthat / welche in diesem Brieffe meiner Schwester / meiner Schwester Kinde / meiner Baase / ja meiner Liebsten angekündiget werden / von den blutgierigen Römern / von der unmenschlichen Sentia einbilden können! Aber ach! alle Laster haben eine schöne Stirne / einen heßlichen Nacken. Man wird allererst / weñ man sie vollbracht hat / ihrer abscheulichen Ungestalt inne; Rette mich! Hermengarde! ich vergehe! Mein Raub wird mir itzt zur Pein /und mein Gedächtnüs zum Hencker! Ach! Hermengarde! wenn meine Eingeweyde ein durchsichtiges Fenster hätten / würdest du zugleich mit Schrecken und Erbarmen sehen; wie mein Hertze von wüttenden Wunden zerfleischet / von spitzigen Pfriemern zerstochen / mit glüenden Zangen zerrissen / wie meine Seele mit dörnichten Peitschen zerkratzt / mit Bleypriegeln zerschlagen / uñ von den grausamsten Gestalten zu ärgster Verzweiffelung angelocket werde! Hilff mir / Hermengarde! denn ausser dir bin ich verlohren. Weil ich den Hertzog Herrmann und sein Geschlechte aufs empfindlichste beleidiget / meine Schwester und Freunde geraubet / meine Liebste auf den Tod gekränckt / mein Vaterland verrathen; darff ich zu keinem Menschen meine Zuflucht nehmen / ja auch zu Gotte nicht / den ich alle Tage seines Stuhles entsätze / so offt ich dem verstorbenen August Weyrauch ins Feuer streue. Hilf mir / Hermengarde; oder ich weiß ausser in der Tieffe des hier vorbey fliessenden Rheines weder Hülffe noch Auffenthalt zu finden. Diese schrecklichen Worte brachte Siegesmund mit so grausamen Gesichte / mit Zittern und Beben der Glieder herfür: daß mir die Haare darüber zu Berge stunden. Ich faßte mir aber ein Hertze und sagte: Er hätte freylich an allem dem übel gethan / und daher solte es ihm nicht frembde fürkommen: daß die Erinnerung seiner Vergehung nicht von Furcht und Schrecken leer wäre. Darinnen bestünde der kräfftigste Trost der Tugend: daß sie in Band und Eisen / ja auf einem glüenden Pfale allezeit freudig; Laster aber auf Sammet und Seide / ja auf dem Purper-Bette der Käyserthümer nicht ohne Zagheit und Bangsamkeit seyn könten. Jedoch könte ihm noch zum Troste dienen: daß er mehr durch Verleitung der zaubrischen und die gantze Welt zu verführen mächtigen Sentia / als eigenbeweglich gesündiget / und sein Gewissen noch eine so zarte Fühle hätte. Denn diesen Fühlenden wäre noch wol /denen aber gar kein Rath mehr / die das Andencken ihrer Laster nicht zitternd machte / sondern auch kitzelte. Solche Angst wäre ein Zeichen der göttlichen Barmhertzigkeit / welche die Fallenden dadurch zur Erkenntligkeit und Verbesserung ruffte. Wo diese aber einen nicht weckte / sondern in seiner blinden Unempfindligkeit die Rennebahn der Laster ausmässen liesse / da ersätzte sie so denn ihre Langsamkeit mit der Schwerde der Straffen /[1104] und forderte von dem Haupt-Gute die Zinsen nach der schärffsten Ausrechnung ab. Sentia und Adgandester rennten auf diesem schlipfrigen Wege der Sicherheit / und meinten / sie hätten für der Rache des gerechten Gottes schon einen solchen Vorsprung gewonnen: daß diese sie nimmermehr einholen würde; er möchte nur aber glauben: daß sie wie die Weiser an Uhren zwar unempfindlich aber geschwinde genung fortgienge; und sie mit Schrecken der gantzen Welt ein Ende der Boßheit und dem Leben machen würden. Wenn aber Fürst Siegesmund die Beleidigten aus dem Rachen der Schande und des Todes zu reissen sich entschlüsse / würde er seinem Verbrechen so viel abnehmen / als er ihrer Wolfarth beytrüge. Denn die Erhaltung eines gekränckten wäre das heiligste Versöhnungs-Opffer. Siegesmund gieng die Länge des Gartens etliche mahl schwermüthig und voller Nachdencken aus; fieng endlich zu mir an: Ich befinde / daß mir anderer Gestalt nicht / als durch deinen Rath zu helffen sey / und ich wil ihn auszuführen das euserste thun. Aber befindest du nicht auch der Billigkeit gemäß zu seyn: daß die /für derer Erhaltung ich alles wagen wil / auch die Gedancken mich zu verderben fahren lassen? Ja / antwortete ich; aber ich kan schwerlich glauben: daß sie derogleichen jemahls solten gehabt haben. Bey diesen Worten vermerckte ich am Fürsten eine gantz neue Veränderung. Denn sein vorhin erblastes Antlitz ward bald voller Blut / seine vor halb gestorbenen Augen voller Feuer / und bald darauf verlohr sich dieser Brand / und wechselte eines mit dem andern ab. Ich war zwar anfangs zweiffelhafft: ob ich diese Veränderung für eine Regung der Liebe oder einer Entrüstung annehmen solte; weil ich aber darbey mehr Mäßigung als Sturm vermerckte / und ich mich erinnerte: daß das Blut in Adern der Zornigen wie abschüssende Berg-Ströme mit Gewalt fortrieße / bey Verliebten aber wie Wasser in Röhren sanffte fortkrieche / hielt ich es beym Fürsten Siegesmund für ein Kennzeichen seiner aufwallenden Liebe / welche zum ersten das Hertze als den fürnehmsten Werckzeug der Begierde entzünden / von dar aber ins Behältnüs der Einbildung / nemlich ins Gehirne steigen / und sich daselbst bey Zusammenraffung der Lebens-Geister gleichsam abkühlen / das erste die Röthe / das andere die Erblassung verursachen soll. Nach diesem Wechsel fuhr Siegesmund heraus: Ich mercke wol / Hermengarde: daß du dein Lebtage nicht verliebt gewest seyest /also nicht verstehest: daß es einerley sey / ob man einen Verliebten verächtlich halte / oder ihm ein Messer ins Hertze steche. Ja jene Grausamkeit ist noch ärger; denn sie peinigt einen aufs längste / und zwinget einen endlich doch zur Verzweiffelung. Ich mühte mich zwar ihm die eingebildete Verachtung auszureden / und mich selbst zum Zeugen aufzuwerffen / wie viel gutes und rühmliches ich für ihn aus Zirolanens Munde mehrmahls gehöret hätte; also / daß wo Zirolane ihn gleich nicht geliebt / sie ihm dennoch wol gewolt hätte. Siegesmund fuhr hierüber nicht wenig auf / und seine Veränderung wuchs noch mehr / als ich ihn versicherte: daß Zirolane mehr als einmahl um seine Wolfarth Sorge / und / daß er nicht unvergnügt leben möchte / Kummer geführt hätte. Ich hätte seine hefftige Bewegung bey nahe für eine Verbitterung gegen mich aufgenommen / wenn ich mich nicht erinnert hätte: daß das sanffte und annehmliche Feuer der Liebe / wenn selbtes entweder durch Ankunfft des Geliebten oder durch einen unvermutheten Zufall mehr Zunder bekommt oder gestöret wird / so stürmrisch /wie die sanfften Sommer-Lüffte / welche von einer mässigen Wärmbde entstehen / zu Zwirbel-Winden werden. Diese Hefftigkeit aber sätzte sich aber auch bald und ward zu einem Seufftzer; nach welchem er anfieng: Ach! Hermengarde! wie glückselig wäre ich /wenn Zirolane mir jemahls[1105] wol gewolt hätte! Aber /wie soll ich mich dessen bereden / oder mir so was süsses von der träumen lassen / die mich aus ihren Augen verbannte? die mir die Zunge verschloß / und auf einmahl mir alle Hoffnung / das insgemein verschi elnde Brod der Elenden / abschnitt? Meinest du / ich sey so unwissend: daß Zirolane ihr Hertz alleine Rhemetalzen zugeeignet habe? Wie soll sie denn mir wol wollen / weil dieses von der Liebe nicht weiter als die Wärmbde vom Feuer / und die Strahlen von der Sonne unterschieden / und eine warhaffte Nachfolge oder Würckung zweyer vereinbarten Hertzen ist. Zirolanens aber ist allezeit nicht nur von meinem so weit als ein Angel-Stern von dem andern entfernet; sondern ihres hat auch für meinem eine grössere Abscheu / als der Diamant für dem Magnete gehabt. Wie viel ich nun gleich hierwider einwendete / war doch seinem Gemüthe dieser Glaube nicht einzudrücken; und endlich sagte er: Wenn auch jemahls ein mir wol wollender Bluts-Tropffen in ihren Adern gewest wäre / so hat sich doch nach meinem Raube leider! und zwar mit gutem Rechte alle ihr Geblüte gegen mich in Gifft und Galle verwandelt; also daß sie nechsthin von meiner blossen Erblickung / gleich als wenn meine Augen mit Basilisken-Giffte angefüllet wären /für todt zu Bodem gefallen. Ich antwortete ihm: daß ich von Zirolanens itziger Neigung nichts sagen / er aber selbst wol urtheilen könte: daß gegen den / von welchem der Verlust ihrer unschätzbaren Freyheit herrührte / der sie aus einer Fürstin zur Sklavin gemacht / keine Verbitterung im Hertzen zu hegen etwas mehr als menschliches seyn müste. Siegesmund versätzte: Meinest du aber wol / Hermengarde: daß / wenn ich sie alle in die alte Freyheit versätzte / alle Verbitterung von Grund aus vertilget werden könte? Ich antwortete: wenn er diese heilige Regung in seinem Hertzen hätte / und so rühmliche Entschlüssung ausführte / solte er den geringsten Zweiffel daran nicht haben. Denn edle Gemüther überstreuten erlittenes Unrecht mit dem Staube der Vergessenheit; Wolthaten aber liessen sie niemahls bestauben. Aber / Hermengarde; fiel Siegesmund ein / meinestu du nicht: daß ich durch ihre Befreyung von Zirolanen geliebt zu werden verdiente? Fürst Siegesmund / versätzte ich / hat sonder Zweiffel fürlängst schon von einer solchen Fürstin geliebt zu werden verdient; und sie würde ihn sonder Zweiffel eben so lange / als er sie / geliebt haben /wenn es in ihrer Willkühr gestanden hätte. Aber so hat die Liebe ihren Ursprung vom Verhängnüsse /welches durch die Gestirne denen Seelen eben so wie Gewächsen / Steinen und Ertzte gewisse Zu oder Abneigungen einflösset: daß sie entweder durch einen geheimen Zug wie Eisen und Magnet einander lieben / oder Vermöge einer gewissen Widerwärtigkeit wie Wolff und Schaff einander hassen müsten. Also ist der Himmel / nicht der Menschen freyer Wille der Urheber ihrer Vereinbarungen. Siegesmund fiel mir ein: Ach / Hermengarde! dieses ist eine nichtige Ausflucht. Die Sternen haben über unsere Vernunfft und über unser Hertz den Sitz der Liebe keine Bothmäßigkeit. Die an den Einfluß des Himmels sich bindende Weißheit ist keine Sibylle / sondern eine Betrügerin /welche mit ihrer Rechnung eitel Irrthümer behauptet /mit ihrem Maaß und Compaß den Sternen falsche Würckungen antichtet / und mit ihrem Lichte hinters Licht führt. Ich erklärte mich: daß die Gestirne zwar einen Menschen nicht unmittelbar Achillen die Briseis / und den Paris Helenen zu lieben nöthigten; aber sie flösten jedem Menschen gewisse Eigenschafften ein / welche mit unterschiedener anderen eine Verwandschafft hätten; und daher liebte wegen solcher Einstimmung auch Achilles Polyxenen / und Paris Oenonen. Die Warheit dieser Meinung erhellete augenscheinlich aus dem Unterscheide der eusserlichen Leibes-Beschaffenheiten /[1106] nach denen ein Mensch blutreich und freudig / gallicht und zu Entrüstung geneigt / flüßicht und traurig wäre; also nicht geleugnet werden könte: daß die Gemüths-Regungen / darunter die Liebe allerdings gehörte / mit der unterschiedenen Eigenschafft des Geblütes eine grosse Verwandschafft hätten / und nach dieser Unterschiede auch jene von einander unterschieden wären. Daß aber dieser Unterschied von unterschiedenen Einflüssen der Geburts-Sterne herrühren müste / ereignete sich Sonnen-klar daraus: daß Kinder offt ehe allen andern Menschen /als ihren Eltern an Leibe und Gemüthe ähnlich wären; und daß der Himmel so gar gantze Länder und Völcker mercklich unterscheidete. Die Gestirne zeugten in Indien Edelgesteine und Gewürtze / in Arabien Gold / bey den Seren Seide / bey Taprobana Perlen /in Phönicien Palmbäume / auf Madagascar Elephanten. Den Chaldeern flösten sie die Begierde zur Sternseher-Kunst / den Griechen zur Weltweißheit / den Römern und Deutschen zum Kriege ein; die Lydier machte sie wollüstig / die Cretenser lügenhafft / die Africaner betrüglich / die Deutschen aufrichtig; und es wäre kein Volck in der Welt / das nicht an sich ein gewisses Kennzeichen und einen besondern Zug zu diesem oder jenem Dinge habe. Wer wolte nun zweiffeln: daß die Verbind- und Zusammenstimmung zweyer Verliebten nicht eigentlich von der Gleichheit herrühre / die einerley Gestirne in zwey oder mehr Menschen einpflantzen. Siegesmund sätzte mir entgegen: wo diese Meinung Grund hat; so muß ich mit Zirolanen nothwendig einerley Geburts-Stern haben; sintemahl niemahls jemand hefftiger / als ich sie geliebt habe oder lieben kan. Daher ihr Zirolane aus einer vorsätzlichen Hartnäckigkeit sonder Zweiffel Gewalt anthun muß / indem sie mich nicht liebet. Ich begegnete ihm: Sein Schluß hielte den Stich nicht. Denn weil derer in uns ihre Würckung ausübende Sternen eine so grosse Anzahl wäre / könten zweyerley Dinge und Menschen zwar gewisser massen mit einander übereinstimmen / im übrigen aber einander zuwider seyn / einer eine lieben / die ihm wegen ihrer besondern Einflüsse grämer als einer Spinne wäre. Also züge der Agstein zwar die Spreu / die Spreu aber nicht den Agstein nach sich. Siegesmund fiel ein: Ich sehe wol / du machst aus der Liebe einen blinden Affen; benimmest also der Tugend ihre Verdienste /der Schönheit ihren Glantz / und der Liebe selbst ihre Krafft. Da doch jene zwey von Alters herfür die würdigsten Brunnen / und diese für die Heb-Amme der Liebe gehalten worden; und ich von Frauenzimmer wol hundert mahl gehöret habe: wie das an einander geriebene Eisen / oder die wider einander geschlagenen Kieselsteine / wie kalt und harte gleich beyde wären / Feuer geben müsten; also müste auch endlich das kälteste Frauenzimmer verliebt werden / wenn sie beständig geliebt würde. Ich antwortete ihm: diese Beständigkeit würde weder im Eisen / in Kieseln /noch im Frauenzimmer etwas thun / weñ nicht vorher in diesem ein ander Zunder der Liebe / wie in jenen der Saame des Feuers steckte. So machten auch weder die schönste Bildung noch der hurtigste Geist und die grösten Verdienste eines Menschẽ in der Liebe nicht das Kraut / ob sie schon köstliche Schwung-Federn in ihren Flügeln wären. Daher geschehe es täglich: daß wie das Eisen nur einen Zug zum ungestalten Magnetsteine / nicht zu dem schönen Rubine / der Magnet keine Neigung zum Golde hätte / die Rosen die Gemeinschafft des stinckenden Knoblochs nicht verschmähten / sondern ihren Geruch damit verbesserten; also offtmahls die schönste Venus auf den heßlichsten Vulcan / die vollkommste so bald auf Thersiten / als einen Achilles ein Auge würffe / hingegen nicht nur die annehmliche Syrinx für dem garstigen Pan / sondern auch die kaltsinnige Daphne für dem schönsten Apollo flüchtig und zum Baume würde. Dieses letztere Beyspiel[1107] solte Fürst Siegesmund ihm zur Richtschnure oder vielmehr zur Mäßigung seiner Liebe dienen lassen / sich auch seines eigenen Reichthums erinnern / nemlich: daß es ihm so wenig an Liebhaberinnen / als der Sonne an Zunder gebrechen würde. Warum wolte er sich denn an einem widerspenstigen Sterne / wie die Africanischen Ziegen am Sirius so versehen / als wenn der Himmel / wie Polyphemus nur ein Auge / und die Welt nur eine Zirolane wie eine Sonne hätte? Siegesmund brach ein: Unbarmhertzige Hermengarde! Ich mercke wol: daß du so wenig Lust mir zu helffen hast / als Zirolane mich zu lieben. Nach dem ich aber ein für allemahl ohne Zirolanen nicht leben / weniger glücklich seyn kan / so gehe und sey so wol Bürge als Zeuge meiner nicht nur unausleschlichen / sondern bey nahe verzweiffelnden Liebe. Gehe und sage Zirolanen: daß sie mit ihrer Liebe mir das Leben / ihr / Thußnelden / Ismenen und dem jungen Thumelich die güldene Freyheit geben könne; daß ich ihrer Liebe mein Römisches Priesterthum / ja mein eigenes Leben aufopffern / sie an diesem Orte folgende Nacht insgeheim über den Rhein / und auf dazu schon fertigen Pferden noch Morgen in die Sicherheit auf das Cattische Gebiete bringen wolte. Gehe / Hermengarde! handele geheim und behutsam /sorge für Zirolanens Liebe; für ihre Freyheit werde ich schon sorgen und Anstalt machen. Also nahmen wir von sammen Abschied / ich schrieb auf allen Vorrath den Zettel / welchen ich gestern am Rheine Zirolanen unvermerckt zuzustecken das Glück hatte; bin auch in festem Vorsatze hieher kommen meine Dienste und mein Leben so vollkommenen Heldinnen aufzuopffern. Es ist unschwer zu ermässen / was Hermengardens Erzehlung bey ihnen für widrige Regungen erweckte. Denn ob wol Ismene an ihr selbst hätte ermässen können: daß es schwer oder vielmehr unmöglich wäre / in einem Augenblicke ihm eine tief eingewurtzelte Liebe aus dem Sinne zu schlagen / und aus dem Steige-Reiffen einen verhaßten und verworffenen / und zwar nach so frischer Beleidigung ins Hertze aufzunehmen; so war sie doch / wie die Menschen insgemein geartet: daß sie nur ihre eigene Haut für empfindlich / sonst aber für was gar leichtes hielt: daß Zirolane ohne ihr sonderlich weh zu thun Rhemetalzen verstossen / und Siegesmunden erwehlen könte. Thußnelde dachte zwar dieser Schwerigkeit mehr nach; gleichwol aber leitete sie theils ihr ihrem Bruder zugethanes Geblüte / theils ihr an ihr gefangenes Kind gehefftes Mutter-Hertze auf eben die Meinung Zirolanen zu solcher Veränderung zu bereden. Zirolane hingegen hielt es für so unmöglich Siegesmunden zu lieben / als für schändlich vom Rhemetalzen abzusätzen. Daher war es auch ihr standhaffter Vorsatz ehe zu sterben / und alles Ungemach über sich ergehen zu lassen / als in Siegesmunds Willen zu kommen. Bey solcher Bewandnüs und leicht vermuthlicher Beysorge: daß Thußnelde und Ismene an sie destwegen sätzen würden / hielt sie für rathsam / nicht nur die Warheit der Schrifft zweiffelhafft zu machen /sondern auch zu behaupten: daß Gefangenen so wenig als Leibeigenen zu fliehen frey stünde; weil jene sich dem Sieger gegen freywillige Schenckung des Lebens zu dienen stillschweigend verpflichteten. Nach dem aber alle drey mit grossen Betheuetungen: daß diß Sentiens wahrhaffte Handschrifft wäre / sie versicherten oder vielmehr überwanden / und daß sie in keinem rechtmäßigen Kriege gefangen / sondern vom Siegesmund geraubt worden wären / also zu fliehen Recht hätten / ausfündig machten; sagte Zirolane: Sie wären aber in Arensburg des Germanicus rechtmäßige Gefangene worden; ob aber ein oder ander Volck gerechten oder ungerechten Krieg führte / liesse sich besser mit den Waffen / als aus Gesätzen erörtern. Wenn nun ihre Flucht mißlünge / wäre zu besorgen: daß ihre itzige Freyheit in die engste Einschlüssung verwandelt /[1108] und wegen Undanckes Agrippinens Güte in herbeste Empfindligkeit verwandelt werden würde. Uber diß käme ihr Sentiens Schreiben noch immer sehr verdächtig für. Denn wenn sie es schon geschrieben hätte / könte doch gar wol seyn: daß der schlaue Siegesmund diß mit Sentien so abgeredet hätte / um entweder aus Rachgier sie noch mehr zu betrüben / oder durch derogleichen Dräuungen ihr die Liebe auszupressen. Die Liebhaber wären Meister in solchen Erfindungen / und machten ihnen kein Gewissen durch Arglist und Betrug zu erlangen / was sie ihnen durch Liebritz nicht trauten zuwege zu bringen. Hermengarde aber antwortete: Sie solte bey so nahem Unglücke ihr die Sache nicht so leichte und die Gefahr so ferne setzen. Sentia wäre zwar schlau und böse / Siegesmund aber hefftig / und könte niemand weniger als er hinter dem Berge halten. Daher könte sie von ihm nichts weniger / als eine so künstliche Arglist muthmassen. Sentia wäre solcher Erfindungen wol fähig /niemand aber so böse oder gut / als er seyn könte. Daher betrüge man sich ins gemein selbst / wenn man in anderer Leute Thun allzu viel Kunst oder Geheimnüsse suchte. Sie wüste um Siegemunden allzu wol /und wäre von ihm versichert: daß ihre Wegführe und beschlossene Beschimpffung ihm zu Hertzen gienge. Zirolane fiel ein: wenn dieses wahr ist / wird uns Siegesmund auch ausser meiner Liebe aus Gefahr in Sicherheit bringen. Hermengarde antwortete: Ich wünsche dieses mehr / als ich es hoffe. Denn seine Liebe ist so hefftig: daß er ihm alle Handhaben der Welt nütze machen wird seinen Zweck zu erreichen. Er hat die gemeine Art der Menschen / welche wenn sie über anderer Heil rathschlagen / das ihrige mit einmengen. Zirolane fiel ein: Je mehr ich die Sache überwerffe / je mehr bekommet sie Ecken / und je weniger scheinet mir glaublich; daß Tiberius den Germanicus aus Deutschland nach Rom zum Sieges-Gepränge beruffen oder in Armenien schicken solte; da der Feldzug seiner Seits so schlecht abgelauffen / der Krieg mit den Deutschen noch lange nicht ausgemacht / der junge und unerfahrne Drusus dem Wercke nicht gewachsen / und Hertzog Herrmann niemahls mehr als itzt den Römern zu fürchten ist. Hermengarde versätzte: dieses alles sind vernünfftige Bedencken / wenn man sie nach der Richtschnur der ordentlichen Staats- Klugheit überlegt. Aber wer weiß / wo Tiberius / dessen Hertze mehr als das grosse Meer Tieffen / und die Erde verborgene Gänge hat / hinzielet? Wer weiß wo Sejan / welcher den Käyser / wohin er wil / mit der Nasen herum führet / sein Absehn hin hat? Zudem würde es itzt zu Rom nicht das erste mahl seyn: daß das Verhängnüs einem den Verstand verblendet / und die Klügsten wider alle Vernunfft und eigenen Nutzen handeln. Vielleicht ist dem Käyser mehr daran gelegen / dem verdächtigen und zur Nachfolge im Reich vom August bestimmten Germanicus das Hefft gantzer acht Legionen aus den Händen zu winden / als halb Deutschlandes Meister zu werden. Zirolane begegnete ihr: Wenn diß alles schon wegfällt / so bleibt mir doch unbegreiflich: daß Tiberius mit uns so strenge verfahren / und auf den unschuldigen Knaben Thumelich eine unerhörte Grausamkeit ausüben solte; da er ja weiß / wie viel edle Römer bey den Catten und Cheruskern gefangen sind / welche der Feldherr gewiß alle seinem geopfferten Thumelich zur Rache abschlachten würde. Hermengarde antwortete: Tiberius kan dieses freylich leicht greiffen; aber wer weiß: ob der Feldherr durch Hinrichtung aller gefangenen Römer dem Tiberius nicht mehr Dienst als Dampff anthun würde; nach dem er selbst durch hervor gesuchte wahre und falsche Laster die ansehnlichsten Häuser in Rom auszurotten bemüht ist. Zirolane brach ein: Wo werden wir uns endlich mit unsern Gedancken hin versteigen? Und wo werden wir mit[1109] unsern Schlüssen hinaus kommen / wenn wir von den allgemeinen Richtschnuren menschlicher Klugheit auf so seltzame und falsche Wege springen? Es ist wol spitzsinnig / nicht aber rathsam die Warheit von so weitem herholen / und unsere Gedancken in lauter Netze von dinnen Spinnenweben verwickeln. Wenn aber auch alles so / wie es Sentia geschrieben / eingerichtet wäre / so finde ich an dem vornehmen Siegesmund eben so viel Bedencken. Denn / da er es mit uns so gut meinet / da er sich der Römer zu entschlagen im Schilde führt / soll er nicht seine eigene / und des Feldherrn Schwester nebst seinem Sohne hier verderben lassen; welche alle daran keine Schuld tragen /daß ich ihn nicht kan und wil lieben? Ist es ihm Ernst: daß er durch unsere Befreyung sein Verbrechen auswetzen wil / wie kan er zugleich mit Vollziehung seiner Schuldigkeit wuchern? Wie kan er begehren: daß ich zwar aus der mir erträglichen Gefangenschafft loß / aber in seine Dienstbarkeit verkaufft / also aus einer bestrickten Fürstin sein ewige Leibeigene werden solle? Ismene fiel ein: Liebste Zirolane / wenn unsere Gefangenschafft in zeitherigem Stande bleiben könte /da uns Agrippine nicht nur als ihre Gäste / sondern als ihre Schwestern unterhält / würde mir nicht seltzam vorkommen: daß sie sich in ihre Bestrickung gar verliebte / und die unschätzbare Freyheit bey ihr so wolfeilen Kauffes wäre. Nach dem uns aber eine so grosse Schmach zuhängt: daß sie so wol als wir zum Schauspiele und Gelächter des Römischen Pöfels gemißbraucht werden soll / kan ich kaum glauben: daß Zirolane nicht alles in der Welt zum Löse-Gelde darfür gebẽ / und sich ehe auch unmögliche Dinge zu thun zwingen / als ihrem Stande / ihrem Geschlechte /ihrer Ehre so viel Abbruch geschehen lassen solte. Zirolane muß gewiß von der Grausamkeit der Römischen Adler / und von übeler Verhaltung der Gefangenen wenig oder gar nicht unterrichtet seyn. Jene flügen Königen auf den Hals / nicht nur sie ihrer Kronen und Länder zu berauben; sondern auch ihnen wie der höllische Geyer dem Tityon durch sinnreiches Ungemach täglich das Hertz auszufressen. Die Gefangenen aber werden in Sieges-Geprängen gebunden / wie Sclaven für dem Wagen hergetrieben / oder gar auf eine Tragebühne gesätzet: daß sie dem sie schmähenden Volcke ein desto sichtbares Ziel abgeben. Nach solcher Schmach würde ihnen der Tod noch zum Troste dienen; aber man hebt solche noch für die Schauplätze auf; man streichet Fürsten mit Ruthen; man zwinget sie Kämpffer wider gemeine Fechter und wilde Thiere abzugeben und gegen einander um ihr Leben zu streiten. Also daß es diesem hochmüthigen Volcke eine gemeine Kurtzweil ist / wenn es auf einen Tag viertausend edle Gefangenen entweder einander selbst aufreiben / oder von Löwen und Tigern verschlingen siehet. Man sperret den König Jugurtha fingernackt als ein unvernünftiges Vieh in einen finstern Kercker ein / und lässet ihn darinnen für Hunger verrecken. Keine hohe Ankunfft / kein tausend Jahr gekrönt-gewestes Hauß kommet bey ihnen in Ansehen. Je niedriger zu Rom ein Bürger ist / je verächtlicher hält er die verunglückten Häupter der Welt. Ja unser Mittleiden-würdiges Geschlechte findet bey diesen Wütterichen weder Erbarmen noch Unterscheid. Man looset um das edelste Frauenzimmer / welches dieser oder jenen Bürgerin eine Dienst-Magd / oder einem geilen Ehebrecher eine Beyschläfferin abgeben soll. Denn sonst würde die hertzhaffte Sophonisbe nicht durch das Gifft-Glaß / noch die verzärtelte Cleopatra durch einen Schlangen-Stich ihrer Gefangenschafft und Unehre zuvor kommen seyn. Ja ich bin versichert: daß wenn sie besorgt hätte: es solte ihr Bild nach Rom Augustens Siegs-Gepränge dienen /sie alle ihre Seulen zerschlagen / die Perlen vollends in Eßig zerlassen / ja alle Mahler und Bildhauer in Egypten[1110] getödtet haben würde. Diesemnach glaube mir / Zirolane: daß / wenn schon meine Fessel von Diamanten / meine Ketten von Golde seyn / und ich nach dem Siegs-Gepränge weder beschimpfft noch beleidigt / sondern nach der Ausspannung aus dem Sieges-Wagen auf einen mächtigen Stuhl erhoben werden solte / ich lieber sterben / als jenes leiden würde. Sintemahl die Hände / welche einmahl Fessel getragen / nicht mehr Zepter zu führen fähig sind. Siegesmund selbst / wenn er eines deutschen Fürstens Ader in seinem Leibe / einen Funcken Liebe gegen Zirolanen in seinem Hertzen hätte / solte ohne einig anderes Absehen das euserste thun zu verhindern /damit ja die an keinem Sieges-Wagen ziehen dörffte /welche einmahl seine Uberwinderin gewest. Zirolane aber begegnete Ismenen mit einer kleinen Entrüstung: Ich kan die Grösse der Unehre und des Schimpffes /welche uns aus dem Einzuge in Rom erwachsen soll /nicht begreiffen. Denn ich bin beredet: daß / wo kein Laster / auch keine Schande seyn; also keine Beschimpffung einen Weisen / der andere Meinungen /als der Pöfel hat / rühren könne. Dar ist kein Gefängnüs / wo die Unschuld sich aufhält; Ketten und Banden sind ihr Schmuck und Zierath. Germanicus wird auch durch uns mehr seinen Sieg verkleinern / als herrlich machen; weil alle Klugen urtheilen werden: daß er über geraubte Weiber hätte prangen müssen /weil er keine Männer überwunden hätte. Ich wil bey seinem Einzuge durch meine Unerschrockenheit allen Römern zu verstehen geben: daß solches zwar ein Sieg meiner Unschuld / aber nicht seiner Tapfferkeit /und meine Hertzhafftigkeit grösser / als die Eitelkeit der Römer sey? Ich wil dem Tiberius zu Hohne durch mein Beyspiel erhärten: daß wie grosse Seelen grosse Schmertzen ohne Verzweiffelung zu ertragen / und von einem Fürstlichen Stuhle mit einerley Gesichte auf einen Schand-Karren zu steigen / also ich nicht weniger das Bittere als Süßigkeit meines Lebens zu verdäuen fähig sey. Den wer ehrlich gelebt hat / soll sich befleissen so langsam zu sterben / als es ihm immer möglich ist. Viel anders war es mit Sophonisben und Cleopatren beschaffen. Denn alle ihr Ruhm bestand in ihrem Tode; ich aber trachte ihn durch mein Leben zu erwerben. Cleopatren hätte das Römische Volck allerhand Uppig- und Geilheiten fürrücken können; von mir aber wird kein Mensch nichts scheltbares zu sagen wissen; es wäre denn mein Unglück / von welchem man aber so viel gutes als Artzney von Nattern schöpfft; derogestalt traue ich mehr meine Fessel zu zieren / als von ihnen verstellet zu werden. Ich wil den Römischen Rath überweisen: daß wenn ich schon gleich nicht mehr eine Fürstin der Marsinger fürstellen / nichts desto weniger über ihre Gewalt und über mich selbst gebieten / ja vielleicht über etlicher Römer Hertzen und Augen gebieten könne / daß jene mit mir werden Mitleiden / diese mir ihre Zehren opffern müssen. Mich aber soll niemand seufftzen / weniger ungeduldige Thränen vergiessen schauen; also mir jedermann Zeugnüs geben: daß des Germanicus Ketten zwar meine Glieder / aber nicht mein Gemüthe fesseln können; also nichts unverträgliches sey gefangen und frey leben / und auf eine Zeit Banden und Kronen tragen. Warlich! ich wolte so denn mit des Germanicus Siege meinen nicht verwechseln / den ich in meinem Gewissen zu halten gedencke / weil ich mein Lebtage mich keiner That zu erinnern weiß / welcher ich mich schämen dörffte. Warum solte ich des Germanicus Siegs-Wagen nicht mit Standhafftigkeit folgen können / sondern mit Cleopatren diese Tugend für eine Schwachheit / die Verzweiffelung aber für eine Tugend halten? Warum solte ich ohne Noth mein Blut verspritzen / die ich mich auch der Thränen zu enthalten mächtig seyn werde? Gedult und Standhafftigkeit stehet Fürsten /welche ihrer Unterthanen Spiegel und Richtschnur[1111] seyn sollen / nicht heßlicher / als einem Weltweisen an; ja dort ist die Tugend noch höher am Brete / als allhier; denn dieser Ampt ist es nur sie zu lehren /jener aber zu thun. Wo Gedult und Standhafftigkeit nun Tugenden sind / wie ihnen denn noch niemand diese Würde strittig gemacht hat / so muß der verzweiffelnde Selbst-Mord nothwendig eine Schwachheit derer seyn / die nicht das Hertze haben dem widrigen Glücke unter die Augen zu sehen / in der Dienstbarkeit die Freyheit des Gemüthes zu behalten /und des närrischen Pöfels Gespötte zu verlachen. Wie ich nun aus diesem Grunde weder dem Unglücke zu weichen / noch mit Wegwerffung der Fessel aus Ubereilung das Leben verschleudern / also meinem Feinde durch Kleinmuth selbst zum Siege beförderlich seyn wil; also kan ich noch viel weniger dem Fürsten Siegesmund einen Sieg über meine Standhafftigkeit enträumen; welche Schwachheit so denn billich der gantzen Welt zum Gelächter / mir zur Schande dienen würde. Zu Rom werden die schweresten Banden meinem Geiste kein Leid thun; hier aber würde Siegesmund über mein Gemüthe / meine Liebe und meine Tugend ein Siegs-Gepränge halten. Rhemetalzes würde meine Untreu verfluchen / und dadurch seine Unbeständigkeit rechtfertigen können; in meinen Augen aber ist ein getreuer Leibeigener um ein grosses besser / als ein betrügender Fürst. Dahero wil ich mit meiner Unschuld den Rhemetalces / mit meiner Beständigkeit Siegesmunden / mit meiner Gedult den Germanicus überwinden / derer keiner mir eine schimpfliche Uberwindung fürrücken kan. Lasset diesemnach uns alle dieser Gelegenheit wol brauchen /die uns das Verhängnüs zu Prüfung unser Hertzhafftigkeit / also aus Gunst / nicht aus Zorne zuschickt! Lasset uns von den Römern zur Verwunderung erhärten: daß wir des Glückes unser Ankunfft / aber nicht ihrer Ketten würdig sind. Lasset uns bey dem zufälligen Verluste dessen / was uns das Glücke gegeben /also wieder zu nehmen Macht hat / nicht durch Kleinmuth die Tugend einbissen / welche das herrlichste Geschencke Gottes ist. Es wird uns rühmlicher seyn alles auszustehen / als Siegesmunden die Ehre zu enträumen: daß es in seinen Händen stehe uns glück- und unglücklich zu machen / uns die Freyheit zu nehmen und zu geben. Es ist ein Zeichen einer grossen Dörfftigkeit / wenn man von eigenbeweglicher Gnade und Freygebigkeit eines Raubers leben muß; und wir sollen noch darum betteln? ich aber gar verkleinerliche Bedingungen eingehen? Nimmermehr wird Zirolane sich so vergehen oder verstellen / sondern sie wil lieber durch das Verhängnüs zu Grunde gehen / als durch einen Ubelthäter erhalten werden. Thußnelde hörete Zirolanen mit grosser Langmuth / jedoch nicht ohne Auslassung etlicher tieffen Seufftzer aus; hernach fieng sie an: Es ist meine Meinung nicht / schönste Zirolane / ihr die Schmach der Gefangenen bey den Römischen Siegs-Geprängen zu dem Ende zu verneuern: daß ich sie bereden wolte ihr selbst Gewalt anzuthun. Ich erinnere mich zwar / was wir dißfalls gegen Agrippinen auf besorgten Fall gedräuet haben; aber anders müssen wir unter uns / anders mit einer Römerin reden. Sophonisbens und Mithridatens Gifft-Glaß / Cleopatrens Schlangen-Stich / des Cato Dolch / des Brutus Schwerdt / wormit alle diese sich von Sieges Geprängen zu befreyen getrachtet / haben alle mehr Verzweiffelung und Eitelkeit / als Tugend an sich. Und die Warheit zu sagen; ich wurde mich selbst tausend mahl bedencken: ob ich mich auch auf den allerärgsten Fall zu einer so verdächtigen oder vielmehr falschen Tapfferkeit entschlüssen / und mein Blut verschwenden würde; nicht zwar: daß ich für dem Tode eine so grosse Abscheu habe / sondern weil ich diese Art zu sterben wo nicht für ein Laster / doch für die gröste Schwachheit halte; und weil ich mich meinem Gemahl aufzuheben[1112] und mich seinethalben zu erhalten verbunden weiß. Er ist mein Haupt und der Herr meiner Seele; also kan ich / wenn ich schon wolte / nichts über mein Leben gebieten; und ich würde mit meinem ihm die Helffte seiner Seele rauben; oder den gar tödten / welcher alle auf mich angesehene Stiche willig mit seiner Brust versätzen und die Dienstbarkeit selbst für meine Wolfahrt willig leiden würde. Also ist auch meine erste und höchste Pflicht seinetwegen alles andere Absehen / außer der einigen Ehre / hindan zu setzen. Wenn ich schon alles andere verliere / bin ich mit Besitzung seiner reich genung / nach seinem Verluste aber würde mir Leben /Liebe und Ehre nur eine beschwerliche Last seyn. Mein Geist könte sich nach dem Tode nimmermehr beruhigen / weil er des traurigen Trostes entpehren müste: daß wir nicht unsere Asche in einem Grabe /wie zwey Hertzen in einer Liebe vereinbaren könten. Diesemnach würde mir Zirolane zuversichtiglich nicht verargen: daß / wenn es schon rühmlich wäre sich zu tödten / ich doch meinem Gemahl zu Gefallen in meinem Hertzen für ihn eine grössere Liebe / als in meinem Geiste eine stärckere Begierde der Ehrsucht unterhielte. Gleichwol aber läßt sich der Spott und Schimpff / welche gefangene Fürsten in Sieges-Geprängen erdulden müssen / leichter verkleinern als erdulden; und muß ich dem von Ismenen gemachten Entwurffe beyfallen. Ich weiß wol: daß Zufälle nichts der Tugend an ihrer Güte / anderer Schmäh und Verachtung nichts unserer Ehre benehmen könne; ja Prügel / Ruthen und Brandmaale niemanden / wenn die Ursache nicht darnach ist / unehrlich mache; gleichwol aber weiß ich: daß Leute / welche wider alles Unglück ja selbst einen schmählichen Tod gewaffnet gewest / durch Beschimpffung sind aus den Angeln gehoben worden. Grosse Gemüther verdäuen zwar diese Anfechtungen / wie starcke Magen Gifft; aber niemals ohne Gefahr und Schwerigkeit. Man muß sich also nichts vermässen / Zirolane. Ihrer viel haben gegen dem dräuenden Ungewitter zwey Hertzen / bey dem einbrechenden nicht ein halbes gehabt. Wenn sie ihrer aber noch so wol versichert ist / so wende sie doch ein Erbarmungs-Auge auf Thußnelden und ihr Vaterland. Rom hat noch die Ehre nie gehabt eines deutschen Feldherrn Gemahlin und Sohn im Siegs-Gepränge zu sehen. In ihren Händen stehet es nunmehr solches zu verhindern oder geschehen zu lassen. Dem Vaterlande sind wir schuldig unser Leben aufzuopffern / wie viel mehr unsere Liebe? Dieses würde uns sicher eine grössere Schande seyn / als welche sie ihr einbildet /wenn sie den lieben solte / den sie vorher verachtet hat. Muß doch die Sonne / wenn sie ihr Bild im Gegenscheine zeigen / oder ihre Geburt und Untergang mit Purper ausputzen wil / die Wolcken darzu gebrauchen / welche sie durch ihre Strahlen zu zertreiben gewohnt ist. Wir genesen mehrmahls durch die in unsern Augen so geringe geschätzten Kräuter / welche wir mit Füssen getreten haben. Also schäme sie sich nicht ihres und unsers Heiles halber ihren Willen zu beugen und dem Verhängnüsse ein paar Schritte aus dem Wege zu gehen. Aendert doch die Sonne alle Tage ihre Strasse. Rühret ihr zartes Hertz aber nicht Thußnelde und das Vaterland / so rühre es doch die unschuldige Kindheit meines zu einem grausamen Opffer verlobten Sohnes. Siehet sie nicht: daß die Römer durch Abschlachtung meines Mitleidens-würdigen Astianax uns / wie Ulysses den Trojanern / alle Rache abzuschneiden / und Deutschland in eben selbige Asche zu vergraben beflissen seyn? Wie könte sie nun ihre Liebe heilsamer angewehren / als wenn sie sich / ihre Freunde und die einige Hoffnung des Cheruskischen Hauses vom Untergange errettete. Die Liebe ist von der Natur zu Erhaltung der Welt allen Thieren eingepflantzt; so mache sie doch ihre nicht zum Werckzeuge des Todes. Rhemetalces hat zu ihr entweder keine Liebe gehabt / oder[1113] sie ist die laulichste in der Welt gewest / weil sie durch eine thörichte Eyversucht verloschen / welche sonst der kräfftigste Zunder der Liebe ist. Wie magst du nun einen so unmenschlich lieben / von dem du keine Gegen-Liebe zu hoffen hast? Wie magst du durch solche hefftige Liebe dich und uns tödten? Warlich! du machst es nicht besser / als jener Jüngling zu Athen / der ihm beym Fusse eines Marmel-Bildes einen Dolch ins Hertze stach / darein er sich verliebt hatte. Dein Hertze scheinet mehr bezaubert / als verliebt / und ihre Liebe kein annehmliches Feuer / sondern ein trauriger Schatten zu seyn. Denn sie hänget sich an den / welcher für ihr fleucht / und fleucht für dem / der ihr so sehnlich nachfolgt. Die Liebe ist ja sonst die Mutter der Gegen-Liebe / und man glaubet: daß sie eintzelicht vermagern und endlich vergehen müste; wenn sie aber zu Zwillingen werde / ihr vollkommenes Wachsthum erreiche. Wie daß denn meines Bruders Liebe eine solche Mißgeburt / nemlich nur Haß gebieret? welche doch so hefftig ist: daß sie gegen Zirolanen so viel mehr wächset / als sie ihn verachtet. Denn die Geringhaltung ist die sicherste Prüfung der Liebe. Sie liebe diesemnach wenigstens uns zu Liebe den Siegesmund. Ein beständiger Vorsatz zu lieben / machet so wol in der Liebe als Zauberey das gantze Werck aus. Daher wird Zirolane ihr damit weder weh noch Gewalt anthun können / und es wird niemand für ihr rühmlicher eine Liebe beschlossen / die andere angefangen haben. Zirolane ward über dieser Rede /und noch mehr über Thußneldens ihr aus den Augen sehenden Schmertzen / welche die Mutter-Liebe ihr erregte / so wehmüthig: daß sie eine gute Weile nur mit Thränen antworten könte. Wolte Gott! fieng sie endlich an / ich könte mit meinem Tode dem Thumelich sein Leben / und mit meinem Blute ihnen die Freyheit erkauffen! Aber so verheut es mir meine Ehre; so hindert mich die Unmögligkeit. Rhemetalzens Bild ist in mein Hertze so tief eingepreget: daß selbtes nimmermehr daraus vertilgt / weniger eines anderen darein gedrückt werden kan. Gebet mich also den Römern für euch zum Lösegelde / und für den jungen Thumelich zum Söhn-Opffer; ich habe mehr Lust für ihn / als Andromache für ihren Astianax zu sterben. Gebahret mit mir nach eurem / nur nicht nach Siegesmunds Gefallen; welcher zwar Thußneldens Bruder / Ismenens Schwager / aber auch Segesthens Sohn und unser gemeiner Feind ist; und welchem ich nur allererst recht gram zu werden Ursache habe /nach dem er mir eine solche Niedrigkeit des Gemüthes beymißt / indem er nach so grosser Beleidigung ihm noch einbilden darf: daß ich meinen Rauber lieben könne. Muthet mir also nichts so verkleinerliches zu. Denn ihr wisset ja allzu wol: daß die Ehre keinen Fleck / die Liebe keinen Zwang verträgt. Dieses redete sie so beweglich: daß Thußnelde / welche des Erbarmens ja so bedürfftig war / eben so grosses Mitleiden als Ismene und Hermengarde mit ihr haben musten. Diese fieng hierüber an: wenn ihr denn diß unmöglich ist / so behalte sie ihre Liebe für ihren Rhemetalzes / und gewinne allein Siegesmunden durch den Schein der Liebe. Zirolane seufftzete / und sagte: In was für Versuchungen werde ich endlich verleitet? Auch den Schein der Liebe müssen wir meiden / wenn er unserer Ehre nachtheilig / und auf eines andern Hintergehung angesehen ist. Hermengarde versätzte: Ach! Zirolane! kein Gemählde kan ohne Schatten seyn / und kein Mensch ohne Schein leben. Der Himmel selbst bedienet sich falscher Farben / der Monde streichet ihm ein so wol als die braunen Wolcken ein frembdes Licht an; ja Morgen- und Abend-Röthe ist nichts als eine Schmincke; wil denn sie alleine in der Welt was besonders seyn? die eitelen Menschen vergnügen sich offt mehr an Schalen / als am Kerne der Dinge. Hebe diesen für deinen Rhemetalzes auf / und lasse Siegesmunden sich mit jenen erqvicken[1114] und sättigen. Zirolane antwortete: Nein / nein Hermengarde! in diese gefährliche Irrgänge mag ich mich nicht verwickeln. Ich wil lieber elend als falsch seyn; lieber ehrlich sterben / als betrüglich leben. Ich unterwerffe mich aber übrigens ohne Bedingung euerer Willkühr. Gebahret mit meinem Glücke und Leben nach eurem Gutbedüncken / nur lasset meine Ehre und Liebe unversehret. Ich wil / um euch so viel mehr Freyheit in Rathschlägen zu enträumen / mich willig entfernen. Brauche Hermengarde deine Vernunfft und Beredsamkeit Siegesmunden auf Thußneldens und Ismenens Seite zu bringen. Sage ihm alles in der Welt zu / nur dieses nicht: daß ich ihn liebe. Nachdem nun alle sahen: daß Zirolane unbeweglich / und weder mit Bitte noch Thränen zu gewinnen war / wusten sie mehr weder Hülffe noch Rath; sondern musten nur alles der weisesten Schickung des unerforschlichen Verhängnüsses heimstellen. Thußnelde / wie bestürtzt sie auch anfangs gewest war / raffte nunmehr ihre Gemüths-Kräfften zusammen / dämpffte alle Kleinmuth / vergrösserte ihr Hertze / und wieß: daß kein Zufall die Höhe ihres Geistes übersteigen könte. Nichts weniger faßte sich Ismene / und beyde müheten sich zu beweisen: daß ihr Fürsten-Stand nicht die Eitelkeit der heuchlerischen Ehrerbietungen / sondern die wahrhaffte Hoheit der jederzeit ihre Bothmäßigkeit ausübenden Tugend zum Fusse hätte. Hermengarde war alleine von Bekümmernüs / daß ihr guter Vorsatz so schlechten Fortgang gewaan / verwirret: daß sie nicht wuste /wessen sie sich entschlüssen solte; die vorhin trostlose Thußnelde aber redete ihr nunmehr selbst ein Hertz ein / und sagte: Wir haben alles gethan / was uns die Vernunfft zu thun hat an die Hand geben können; also daß / was für ein Ausschlag auch erfolgen mag / wir nicht unter die Unbesonnenen / welche weder vor noch nach ihrem Beginnen / ihr Unterfangen überlegen / noch auch unter die Unvernünfftigen /welche nach ausgemachter Sache derselben erst nachdencken / werden können gerechnet werden; sondern wir haben dem künfftigen Ubel durch Vorsicht zuvor kommen wollen. Weil es aber damit nicht fort wil /müssen wir uns so viel mehr bescheiden / daß das Werck Gottes einiger Versorge heimzuschieben sey. Denn wie wir in allen Dingen so klug und behutsam gebahren müssen / gleich als wenn keine göttliche Versehung wäre; also / wenn diese nicht den Stich halten / muß man sich auf die göttliche Hülffe alleine so feste verlassen / als wenn menschlicher Witz und Fleiß bey nichts etwas thun könte. Hiermit nam Hermengarde Abschied / mit Vertröstung / daß sie folgende Nacht sie wieder besuchen / und für ihr Heil zu sorgen nicht vergessen würde.

Auf solche Weise war das übrige Theil der Nacht hingelegt; also / daß Thußnelden / Ismenen und Zirolanen nur wenige Stunden zum Schlaffe übrig blieben / welche aber ihnen mehr zu Sorgen als Ruhe dienten. Die gemeine Noth brachte sie also zeitlich wieder zusammen / und Agrippine fand sich ebenfals kurtz darnach in ihre Versammlung ein; sie wieß aber nicht ihre gewohnte Freudigkeit / sondern die Traurigkeit blickte so wol aus ihren Augen als Worten herfür. Nach dem sie gegen einander die gewöhnliche Bewillkommungen verrichtet und Agrippine über Thußneldens verbessertem Zustande ihre Freude zu verstehen gegeben hatte / gab Agrippine selbst Anlaß von dem Kriege und andern Staats-Sachen zu reden /um Gelegenheit zu finden ihnen von bevorstehender Wegführung einen Vorschmack zu geben. Weil das deutsche Frauenzimmer nun ebenfalls begierig war etwas von dem / was Sentia geschrieben hatte / auszugrübeln / kriegte Agrippine bald Anlaß ihnen zu entdecken: daß Germanicus vom Käyser beruffen wäre nach Rom zu kommen und in Asien zu ziehen. Thußnelde fieng an: Ich weiß nicht: ob ich über dieser Zeitung[1115] mich erfreuen oder betrüben soll. Denn eines theils ist mir zwar lieb: daß Deutschlande mit dem Germanicus einen so tapfferen Krieges-Helden vom Halse geloset; andern theils aber besorge ich: daß unsere Gefangenschafft / welche die holdseligste Agrippine uns in einen annehmlichen Zeitvertreib verwandelt hat / sich in eine unerträgliche Dienstbarkeit verwandeln werde. Was ist aber die eigentliche Ursache: daß Tiberius den Germanicus von hier abfordere? Agrippine antwortete: das Mißtrauen des argwöhnischen Tiberius. Denn weil Germanicus vom August zum Nachfolger bestimmet worden / ja er von rechtswegen noch für dem Tiberius dazu hätte gelangen sollen /wenn nicht Livia durch ihre Arglist es anders eingerichtet hätte / so besorget der Käyser: daß sein Sohn Drusus darneben kommen / oder auch wol Tiberius dem Germanicus zu lange leben; also dieser lieber das Reich würde haben / als erwarten wollen. Ob nun wol Germanicus sich aufs euserste beflissen dem Tiberius diesen Dorn aus dem Fusse zu ziehen / und durch seine Mäßigkeit in allem Thun ihn zu versichern: daß er nach der Herrschafft nicht lüstern sey; so misset doch der Argwohn alles andere nach seiner eigenen Neigung; und der aus eitel Schein bestehende Tiberius hält des Germanicus Treue und Bescheidenheit für eitel Künste der Ehrsucht. Fürnemlich sticht ihn in die Augen: daß Germanicus bey denen acht am Rheine liegenden Legionen / in welchen der Kern der Römischen Kriegesmacht besiehet / so wol gesehen ist. Daher weiß er kein besser Mittel dem Germanicus diese Werckzeuge und die Hoffnung der Herrschafft aus den Händen zu spielen / als daß er ihn unter dem Vorwand grösser Ehren ihn in Asien verbannet / und ihm eine kleinere Macht und unbekante Legionen untergiebet. Thußnelde fragte: weil denn sie und Germanicus diese Künste so wol verstünden: ob sie denn nicht durch anderen Verwand solche hintertreiben könten? denn sie besorgte: daß / nach dem das Mißtrauen der Herrschafft halber sich nicht ehe versichert zu seyn glaubt / als biß dem vermeinten Nebenbuhler das Licht ausgelescht ist / Tiberius mit des Germanicus Abforderung sich nicht vergnügen / sondern was grimmigers auf ihn entschlüssen dörffte. Denn die Eyversucht eines Fürsten hörte wie die Krocodile niemahls auf zu wachsen / ihre Scharfsichtigkeit machte aus wol gemeinten Dingen eitel Verrätherey / und hätte mehr Augen als ein Nebenbuhler. Sie liesse sich durch nichts anders versöhnen / als durch Blut derer /die zur Herrschafft recht oder Geschickligkeit hätten. Also hätte nicht nur Alexander alle tüchtige Anverwandten seiner Stief-Mutter / welche von seinem Vater in hohe Aempter gesätzet waren / getödtet; sondern auch Tiberius zu Rom durch angetichtete Laster alle Rathsherren aus dem Wege gerieben / welche August für fähig oder für verwegen genung des Reiches sich anzumassen geurtheilt hatte; ungeachtet sie / wie Germanicus / kein Erbrecht hätten anziehen können. Sie schauen sich also wol für / und nehmen sich wol in acht: daß Tiberius nicht am Germanicus als an einem so hohen Haupte / welches seine Hoheit überschattet / und ihm zu Kopffe wächst / nicht Perianders und des Tarqvinius Rathschlag ausübe. Agrippine antwortete: Es lieget mir dieser Stein freylich auf dem Hertzen / und Thußnelde hat dieser Sache weißlich nachgedacht. Aber / ich weiß nicht: ob Germanicus vom Tiberius bezaubert sey? denn ich glaube: daß wenn dieser ihn ausdrücklich nach Rom zum Blut-Gerichte forderte / er nicht nur kommen / sondern ihm selbst auf seinen Befehl die Gurgel abschneiden / ja seine eigene Kinder des Tiberius Grausamkeit aufopffern würde. Thußnelde fiel ein: Treue und Gehorsamgereichet zwar denen höchsten Leuten zu gröstem Ruhme / weil mit diesem jedes Reich verfallen muß; diß aber ist wol ein so heßlicher als blinder Gehorsam / da man die Tugend kleinmüthig[1116] mit Füssen treten /und die Boßheit auf sein unschuldiges Haupt ohne Zucken wüten läßt. Ich weiß wol: daß es grosse Unvernunfft sey / allenthalben mit dem Kopffe durch wollen / und durch eine unzeitige Tapfferkeit den Fürsten in Harnisch jagen. Denn es ist wol sicherer durch eine bescheidene Demuth einen entrüsteten Fürsten begütigen / als durch Sturm sich über Hals und Kopff in Untergang stürtzen / wordurch man zwar seinen Tod berühmt / sein Hauß und Vaterland aber nicht glücklich macht. Alleine / wo man so gar gerade auf sich wüten siehet / ist niemand schuldig sein und seiner Sicherheit zu vergessen / und sich wie das tumme Vieh abschlachten lassen. Der eingebildete Ruhm: daß man in unverrückter Treue gestorben sey / stehet einem auch nicht darfür / und ist ein zu geringer Preiß des verspieleten Lebens; welches zu erhalten uns die Natur eingegeben hat. Wenn man auch allzu viel nachgiebt / alles über sich ergehen läßt / und in nichts seine Empfindligkeit mercken läßt / reitzet man nur noch mehr die anfangs furchtsame Grausamkeit; daß /da sie uns anfangs nur auf die Zehen getreten hat / sie uns hernach gar auf die Scheutel springt. Diesemnach solte Germanicus zwar dem Tiberius die Kennzeichen seiner Treue / aber auch seiner Hertzhafftigkeit zeigen: daß es ihm wider Gewalt sich zu beschirmen weder am Willen noch Vermögen mangelte. Agrippine seufftzete / und fieng an: Ach! Thußnelde! welch ein stürmisches Meer ist des Tiberius Hof! und wie gefährlich läßt es sich selbtes durchschiffen! je klüger und vorsichtiger einer da ist / je geschwinder gehet er zu Grunde. Unter andern schlimmen Fürsten mögen ja noch wol grosse Leute haben stehen können / aber unter dem Tiberius scheinet es eine Unmögligkeit /sondern ein blosser Zufall zu seyn / wenn einer nicht zu Grunde gehet! den Sejan und Salustius liebet er mit einer solchen Blindheit: daß er sie auch über sich gebieten läßt / und ihre Beleidigungen für Liebkosen aufni t; Germanicus aber und fast alle andere können ihm das wenigste recht machen; also daß ich nicht weiß: ob dieser Unterscheid von ein oder des andern Geburts-Sterne / oder sonst einem geheimen Triebe des Verhängnüsses herrühre? und ob es menschlicher Klugheit wol möglich sey bey dem Tiberius eine von Ehrgeitz und Gefahr entfernte Mittelbahn zu treffen /daß man entweder durch Hartnäckigkeit nicht bey ihm anstosse / oder auf knechtische Heucheley absincke.

Also ist leicht zu ermässen / wie sehr ich um meinen Germanicus und um meine Kinder bekümmert sey. Ich werde aber Thußneldens Rathe folgen / und ihm einreden: daß er / wo immer möglich / sich bey denen deutschen Legionen auf- und in Sicherheit halten / sich auch außer eusersten Noth nicht aus seinem Vortheil begeben solte. Ismene fiel ein: Hat aber der Vorwand / durch welchen Tiberius den Germanicus in Asien sprengen wil / Grund / und ist die Noth von solcher Wichtigkeit? Agrippine antwortete: Es verhält sich freylich also: daß dem Römischen Reiche von Parthen in Armenien eine ziemliche Gefahr zuhengt. Denn dieses Volck ist an jenem / wie die Deutschen an diesem Ende des Reiches der Zaum der Römischen Herrschafft; ohne welchen sie sich schon biß zu ein- und dem andern Angelsterne ausgebreitet haben würde. Ja es scheinet: daß das Verhängnüs in Asien eben so wol den Phrat / als hier den Rhein unser Ehrsucht zum Riegel vorgeschoben habe. Denn als Crassus und Antonius über jenen Fluß die Römischen Adler flügen lassen / sind sie von den streitbaren Parthen unter dem Orodes / der das Reich Arsaces nicht lange nach des grossen Alexanders Tode aufs neue aufgerichtet hat / nicht viel besser / als Qvintilius Varus in Deutschland abgefertigt worden. Daher August seine Freude kaum begreiffen konte / deßwegen Freuden-Feuer anzündete / und Gedächtnüß-Müntzen schlagen ließ / als König Phraates ihm die eroberten Adler wieder schickte. Augustus beschenckte hingegen den Phraates mit allen in seinem Reiche[1117] nur befindlichen Seltzamkeiten. Livia wolte hierbey auch ihre Freygebigkeit sehen lassen / und weil sie stets einen guten Borrath schönen Frauenzimmers / um mit selbten grosse Leute wie mit der Angel Fische zu fangen / bey der Hand hatte / schickte sie mit vielen Geilheits-Würtzen etliche aus der Schule des Salustius Crispus kommende Künstler der Wollüste / und drey Mägdichen von vierzehn Jahren dem Phraates zu; welche er zu Kebsweibern brauchte. Unter diesen war eine aus Italien Nahmens Thermusa / welche mit ihrer Schönheit und Liebreitz in kurtzer Zeit zu wege brachte: daß der König sie an seine Taffel sätzte / sie sich also nicht nur zu Phraatens Gemahlin / sondern auch zu seiner Gebieterin machte. Diese brachte es auch auf der mit ihr stets Briefe wechselnden Livie Anstifften zu wege: daß Phraates nicht nur dem Kayser ein Bündnüs antrug / alles auf Armenien und Arabien habenden Rechtes sich begab; sondern auch nach der Zeit dem Landvogte in Syrien Titius vier seiner Söhne Vonones / Saraspades / Corospades und Phraates nebst ihren zwey Gemahlinnen und vier Kindern /wie auch eine seiner Töchter gleichsam zum Pfande des Friedens und seiner Freundschafft einlieferte. Rom machte hiervon so viel Wesens / als wenn gantz Morgenland sich der Römischen Botmäßigkeit unterworffen hätte; da doch Phraates und die wider uns stets sieghafften Parthen sich derogestalt zu demüthigen weder Ursache noch Gedancken hatten; sondern es war diß eine arglistige Erfindung seiner Gemahlin Thermusa / welche diese Kinder des Phraates zu keinem andern Ende auf die Seite brachte; als daß ihr Sohn Phraataces nach des Königes Tode allein zur Nachfolge bey der Hand wäre. Sie beredete aber Phraaten bey einem sich ereignenden Aufstande etlicher Parthischen Fürsten / unter diesem scheinbaren Vorwandte hierzu: daß bey verspürter Abneigung seines Volckes / welches auf einen verjagten und in Scythen geflohenen Fürsten aus dem Arsacischen Stamme Artaban ein Auge hatte; Phraates sich durch ein Bündnüs mit den Römern bey seinem Volcke in Ansehen / seine Kinder aber wider alle Unfälle in Sicherheit bringen müste. Denn so lange die Aufrührer diese nicht zugleich mit ihm aufreiben könten / würde sich wegen besorgter Rache keiner leicht unterstehen Phraaten anzutasten. Phraates war hierzu leicht zu bereden; weil ihn sein Gewissen stets erinnerte: daß er seinen Vater Orodes und neun und zwantzig Brüder ermordet / ja fast täglich seinen Stul mit edlem Blute besudelt hatte. Also konte nichts so grausames ihm für gebildet werden / welches er nicht verdient zu haben sich bescheidete / also billich fürchtete. Nach dem Phraates nun seine Kinder aus den Augen verlohren hatte / kamen sie ihm auch endlich aus dem Hertzen. Deñ ihre Stief-Mutter Thermusa bezauberte ihn derogestalt: daß er den noch bey Lebzeiten mit ihr gezeugten Sohn Phraataces zum Nachfolger erklärte /ihn an seine Seite zur Taffel sätzte / und mit sich vom güldenen Wasser trincken ließ / welches sonst nur der Könige erstgebohrner Sohn / niemand aber anders bey Straffe des Todes trincken darff; und Thermusa zu dem Ende mit Livien es abkochte: daß seine älteren Söhne zu Rom wie halbe Gefangenen gehalten wurden. Alleine Phraates lebte seinem Sohn Phraataces zu lange / und die geile Thermusa kriegte für dem ohnmächtigen Phraates einen Eckel / welche durch Vermischung der Persischen und Römischen Wollüste sich zur grösten Künstlerin in Uppigkeiten gemacht hatte; also ihre Unersättligkeit mit einem abgemergelten Greise nicht zu stillen wuste. Weil sie aber nicht weniger Ehrsüchtig als geil war / warff sie ihre Huren-Augen auf ihren eigenen Sohn Phraataces; mit welchem sie zugleich Gemahlin werden und Königin bleiben konte. Ob sie nun zwar zu Rom gelernt hatte: daß die Vermischung einer Mutter mit ihrem[1118] Sohne bey allen wol gesitteten Völckern / welche gleich unter andern Bluts-Freunden zu heyrathen erlaubten /verdammet; ja der eingebohrnen Schamhafftigkeit der Thiere / in dem weder Kameel noch Pferd sich mit seiner Mutter gattete / zu geschweigen vernünfftiger Menschen zu wider wäre; daß ein Mann zugleich Sohn und Ehmann / ein Weib Mutter und Ehweib seyn solte; so hatte doch Thermusa fürlängst Scham und Vernunfft / oder vielleicht gar den Menschen ausgezogen. Daher sie ihren Sohn Phraataces / nach dem sie ihn vorher durch anderer Geilheiten vergifftet hatte / in einem dazu erkieseten Lust-Garten / darinnen er von allen Würtzen der Wollüste entzündet ward / unverschämt anredete: Hertzliebster Sohn! ich bin wohl versichert: daß du an meiner Liebe nicht zweiffeln kanst / nach dem ich dich über alle das Vorrecht habende Söhne des Parthischen Königes gesätzt / und zum Stul-Erben Phraatens gemacht habe. Aber meine Mutter-Liebe ist noch nicht gesättiget / weil ich dich noch nicht würcklich herrschen sehe; und ich will mein Haupt nicht sanffte legen / biß ich dich mit dem Partischen Reiche vollkommen vermählet habe. Phraates war mir zwar lieb; aber die in meinem Hertzen gegen dich entzündete Flamme hat jene / wie der Sonnenglantz die der Sternen erstecket. Wundere dich also nicht: daß ich für dein nicht für Phraatens Wolfarth bekümmert bin. Dieser stehet wegen seiner Gramhafftigkeit nicht mehr mir / wegen seiner Grausamkeit nicht dem Reiche / wegen seines Wanckelmuths nicht mehr dir an; und ich sorge / wo ihm mit seinem Leben nicht der Weg zur Reue verschrenckt wird / dörffte Phraataces ein Rach-Opffer seiner von Rom zurück beruffenen Brüder werden müssen. Maße dich also des Reiches an / eh es dir unter den Händen verschwindet / und befördere Phraaten ins Grab / wo er mehr Ruh als bey seiner Herrschaft Vergnügen finden wird. Scheue dich nicht an ihm auszuüben / was er gegen seinen Vater zu thun sich berechtigt zu seyn geachtet hat. Die Parthen sind Phraatens überdrüßig / und sehnen sich nach deiner Herrschafft. Denn die Jugend ist in dieser eben so wohl annehmlicher / als in der Liebe. Vergnüge diesem nach / Phraataces / das Reich / iedoch auch deine Mutter. Warum eigne ich mir aber den Nahmen dessen zu / was ich mich zu seyn schäme. Wie gerne wolte ich deine Mutter nicht seyn! daß ich dich und du mich so viel inbrünstiger lieben köntest! O des seltzamen Zustandes! daß ich mich aus Liebe dessen gern enteussern wolte / was mich doch von Natur dich zu lieben anleitet. Phraataces / bilde dir ja nicht ein: daß ich deine Mutter / sondern etwas mehr / nehmlich deine Liebhaberin / deine Leibeigene bin. Weil die Mutter-Liebe für mich allzu kaltsinnig / für dich allzu wenig ist / habe ich mich in gantz was anders / ja aus heisser Begierde mich mit dir zu vereinbaren in dich selbst verwandelt; also / daß ich / so sehr ich mich selbst liebe / auch meinen Phraataces lieben muß. Köntestu wol ein sicherer Pfand meiner hefftigen Brunst / als den Verlust meines Mutter-Rechtes über den tapfferen Phraataces gewehren? Ich habe dich zwar in meinen Eingeweiden neun Monat getragen; aber von nun an werde ich dich ewig in mein Hertz beschlüssen. Was sage ich aber von meinem Beschlusse? Thermusa lebet in ihrem Phraataces! meine Seele ist das Opffer / meine Liebe die Flamme in dem Tempel deines Hertzens. Was könte deine Schönheit und Tugend nun für einen herrlichem Sieg / als über die eigene Mutter halten? Ich selbst würde meine Lüsternheit unter die Röthe meiner Schamhaftigkeit vergraben / wenn ich in iemanden anders / als in den unvergleichlichen Phraataces verliebt wäre; welcher in sich etwas Göttliches hat / und der gantzen Welt Liebe verdienet. Ich würde mich um den Schatz deiner Gegenliebe anzusprechen nicht erkühnen / wenn ich dich nicht vorher mit der Parthischen Krone versorget[1119] hätte. Um dieses muß man alles / ja Ehre und Tugend hingeben. Denn Könige können selbst aussätzen / was Ehre sey / und die Laster zur Tugend machen. Wer aber kan die Liebe zwischen Sohn und Mutter zum Laster machen? Wer hat diß Gesätze der Welt fürgeschrieben? Die Natur sicher nicht! denn sonst würde sie beyder Vermischung nicht selber fruchtbar seyn lassen. Sonst würden ausser wenigen sich auf solche Art nicht alle Thiere gatten. Die Weltweisen wissen ihre widrige Neinung mit nichts als diesem lahmen Vorwandte zu beschönen: daß man durch Vermählung so naher Bluts-Freunde nicht die Bande der Liebe so enge einschräncken / und zwischen Menschen von so ungleichem Alter nicht unfruchtbare Erben stifften solte. Alleine ist es nicht vielmehr rathsamer durch so nahe Heyrathen die Güter der Vor-Eltern in seinem Hause zu erhalten /und die offt gebrechliche Neigung des Geblütes durch Liebe zu befestigen? Wer wil mir / die ich kaum über dreyßig Jahr und in meinem kräfftigsten Alter bin /die ich meinen Köcher der Liebe noch voller Pfeile habe / den Gebrechen der Unfruchtbarkeit beymäßẽ? Also ist es ein eiteler Irrthum derer / welche den verborgenen Willen der Natur nie recht ergründet haben /die zwischen Eltern und Kindern eine solche Abscheu behaupten wollen. Viel vernünfftiger billichet der weise Diogenes und Chrysippus derselben Liebe /welche mehr als frembde einander zu lieben Ursache haben; weil die Vereinbarung der Liebe aus der Aehnligkeit herrühret / Kinder aber die eigentlichsten Ebenbilder ihrer Eltern sind. Berathe dich mit der Natur / so wird sie dir zeigen: daß sich iedes Ding zu seinem Uhrsprunge kehre / damit die Welt hierdurch für dem Untergange erhalten werde! die sich herum drehenden Himmels-Kreiße kommen täglich / und die Zeit alle Jahr in ihren ersten Stand. Der Schwantz ihres Endes stecket allemahl in dem Maule ihres Anfanges. Die Flüsse lauffen alle ins Meer / die Dünste und Wolcken sencken sich alle zur Erde nieder / daraus sie entsprossen sind. Die untergehende Sonne suchet die Spur ihres Aufganges. Warum soll ein Sohn in der Schooß seiner Mutter als im Brunnen seines Lebens sich durch die Süßigkeiten der Liebe nicht wieder gebähren? Wenn aber auch diß gemeinen Leuten nicht anstünde; wer wolte Königen dieses Gesätze aufhalsen / welche von denen unsterblichen Göttern allein ihren Hang haben / derer Wille ihr und anderer Gesätze ist? Leben wir aber nicht in Persien / in dem Lande der scharffsichtigen Weisen; welche iederzeit eben so wohl Indianer / Mohren und Meden zwischen Vater und Tochter / zwischen Mutter und Sohne die Ehen gebilligt haben? Lasse dich also anderer Miltz-süchtigen Leute Bedencken nicht irre machen deine Mutter zu lieben / welche du sonst durch Entziehung dieser Glückseligkeit tödten würdest! Was verliere ich aber viel Worte? die Liebe und Phraataces speisen sich nur mit Wercken. Sauge nunmehr aus diesen Brüsten Zunder der Liebe und Milch der Vergnügung / aus welchen deine Kindheit Nahrung des Lebens gesogen hat. Erstatte mir nun die unzählbaren Küsse /die ich als Mutter dir nicht so wol geschencket / als geliehen habe. Erinnere dich / so offt du das dir vorgetragene Feuer anschaust: daß die Könige der Parthen nicht von Eyß und Schnee seyn sollen; und daß deine Liebhaberin Thermusa dir ein viel edler Feuer in ihrer Seele fürtrage. Liebe mich also / mein Sohn /oder tödte mich mit dem Phraates. Denn du wirst nimmermehr Parthen beherrschen / wo Phraates nicht heute aufhöret dein Vater / und Thermusa deine Mutter zu seyn. Mit dieser abscheulichen Rede bezauberte sie den Phraataces; und ihre unkeuschen Umhalsungen verleiteten diesen von Wein und Jugend entzündeten Fürsten: daß er nicht nur in dieser unverschämten Wölfin Blutschande / sondern auch in Vater-Mord willigte. So verführisch ist die[1120] Wollust / und die Herrschafft so süsse: daß ihre Lüsternheit auch die eingebohrnen Neigungen ausrottet / und die Gesätze der Natur auslescht. Ja sie vergiffteten auch noch selbigen Abend Phraaten den Wein / worvon dieser Vater-Mörder folgende Nacht durch Vater-Mord seine Seele ausbließ. Auf solche Weise pfleget die Göttliche Rache mit eben dem zu vergelten / mit was man vorher gesündiget hat. Ja die / welche vorher noch etlicher Massen gezweiffelt hatten: ob Phraates seinen Vater umgebracht hätte / wurden durch seinen Tod dessen vergewissert; weil die Art der Straffe ins gemein die Art des Verbrechens zu verrathen pflegt. Thermusa ließ noch selbige Nacht die Leiche mit Wachse überziehen / die Aertzte tödten / damit weder sie noch die Gifft-Flecken ihren Mord verriethen. Denn Phraataces ward zwar durch Hülffe der Parthischen Fürsten / welche Thermusa theils mit ihrer Uppigkeit / theils mit grossen Geschencken schon vorher gewonnen hatte / den andern Tag in dem Tempel des Mithra mit der aus den besten Myrrhen bereiteten Krone aufgesetzt / sein Haupt mit einer weissen und purpernen Binde umfaßt / in das Bette mit dem göldenen Weinstocke gelegt / und auf Arsacens Stul erhoben / und die älteren Söhne wider das Vor-Recht des Alters und die durchgehende Gewonheit der Völcker /unter dem Scheine: daß ein König in seinem Erbreiche den jüngern Sohn dem ältern vorzuziehen berechtigt wäre / übergangen. Bald darauff ließ sich Thermusa offentlich und mit grossem Gepränge dem Phraataces vermählen. Weil dieser sich aber nur den Wollüsten ergab; etliche der Jungfrauen / welche ewige Keuschheit der Sonnen gelobet hatten / schändete / und sie hernach zu Eyden zwang: daß sie von der Sonne wären geschwängert worden; Thermusen aber die Reichs-Geschäffte in Händen ließ / ward Phraataces verhaßt / und Thermusa den Parthen ein Greuel. Denn alle schämten sich: daß ein so streitbares Volck einem frembden Weibe und eines Freygelassenen Tochter gehorsamen solte. Niemand war auch / welcher nicht wider beyde einen Argwohn schöpffte: daß Phraatens geschwinder Tod von ihnen herrührte. Es mangelte auch nicht bey hervorbrechendem allgemeinen Hasse an Leuten / welche am Könige gewisse Merckmaale des Gifftes gesehen zu haben betheuerten. Uber diß schlug Thermusa nach ihrem erlangten Zwecke die meisten Parthischen Fürsten aus der acht / welchen sie vorher geliebkoset / ja ihren Leib feil geboten hatte. Sintemahl bey keinem Volcke der Undanck mehr / als bey den Parthen verhaßt ist; also / daß sie auch durch Undanck Straffen darauf gesätzt haben. Dahero diese auf dem grossen Feyer / an welchem jährlich der Sonne vom Könige ein Pferd geopffert zu werden pflegt / einen Aufstand erregten /dem Phraataces Krone / Purper und Gürtel vom Halse rissen / ihn auch neben dem Altare im Gedränge ermordeten; Thermusen aber liessen sie fingernackt gegen der Sonne an ein Creutz annageln. Nach dieser lasterhafften Menschen Tode erregte sich zwischen den fürnehmsten der Parthen ein Streit / wen sie zu ihrem Haupte erkiesen solten. Etliche wolten einen der Phraatischen Söhne zu Rom / andere den vom Phraates in Scythen verjagten Artaban / andere den Herodes / welcher aus dem Königlichen Geblüte / und bey den Bactrianern Landpfleger war / haben. Uber diesem Streite gieng ziemliche Zeit hin; vielleicht /weil die / welche die Süßigkeit der Herrschaft einmahl geschmeckt haben / selbige nicht gerne aus den Händen geben. Nach dem aber die der Dienstbarkeit gewohnten Morgenländer nicht länger ihre Freyheit vertragen konten / fiel endlich das Looß auf Heroden; weil sie es für Schande hielten aus Rom oder Scythien einen mit frembden Sitten verkehrten Herrscher zu holen. Herodes ward durch eine prächtige Gesandschafft von[1121] Bactra geholet und zum Könige eingeweihet. Dieser meinte: er könte seine Herrschafft durch nichts mehr befestigen / als wenn er an denen / welche an Phraatacens und Thermuses Tode schuldig waren /Rache ausübte. Diese aber waren die fürnehmsten /welche ihn auf den Königlichen Stuhl erhoben hatten; daher er mit ihnen die Pfeiler seiner eigenen Hoheit und darmit sich selbst stürtzte. So vergnügte er sich auch nicht: daß er wie vorige Könige angebetet ward; sondern er wolte auch wie die Sonne seine besondere Priester und Tempel haben. Uber diß verbot er: daß /weil in Persien niemand kein Gold oder Edelgesteine tragen darf / welches er nicht vom Könige geschenckt bekommen hat / auch keiner sich mit voriger Könige /sondern nur mit seiner eigenen Freygebigkeit sehen lassen solte; gleich als wenn er der erste König / oder die alten Dienste verrostertes Eisen wären. Wie nun der hochmüthige Herodes nicht seine Glückseligkeit verkochen konte / da doch sonst ins gemein Fürsten im Anfange ihrer Herrschafft sich durch gute Wercke und Rathschläge wollen sehen lassen / und allererst bey erstarrter Gewalt aus dem Geschirre schlagen; also war auch Herodens Hoffart und Grausamkeit die zwey gemeinsten Schiffbruchs-Klippen hoher Häupter / den Parthen unverdaulich; welche einen König nicht nur über- sondern auch für sich / und wie ihren Gott die Sonne / geartet haben wolten / die nicht nur etlichen eintzelen / sondern allen ihre Wärmbde und Licht mittheilet. Diesemnach verbunden sich die Obersten seiner in täglicher Gefahr schwebenden Staatsdiener ihn als einen Wütterich zu tödten. Etliche riethen auf Gifft; und rühmte sich Meherdates: daß er dessen so vielerley Arten hätte / daß er damit im Augenblicke / in einer Stunde / einem Tage / einer Woche / einen und mehr Monatẽ tödten / ja die Würckung auf ein und mehr Jahre verschüben könte. Aber Teresmanes / der oberste Jäger-Meister meinte: Gifft wäre allzu meuchelmörderisch / und ehrlicher den Wütterich wie ein Wild auf der Jagt zu fällen. Dieses ward auch wenig Tage hernach vollzogen: denn als Herodes einen Hirsch in vollem Lauffe mit einem Pfeile durchs Hertze schoß / und den ihm folgenden Teresmanes fragte: ob er nicht wol getroffen hätte? antwortete ihm Teresmanes: Ja! es hätte Apollo selbst nicht künstlicher schüssen können, aber ich hoffe heute noch viel ein edler Wild zu treffen. Mit diesen Worten jagte er dem Herodes einen Wurffspiß durch die Brust / worvon er vom Pferde fiel / und von denen dazu kommenden Parthen mit etlichen hundert Pfeilen vollends erschossen ward. Sintemal die / welche an diesen verjagten Fürsten nicht einen Pfeil angewehrten / es für eine grössere Schande hielten / als welche bey vorhabendem Feldzuge mit ihr gezeichnetes Geschooß an die von dem Könige aufgesätzte Scheibe angewehrten. Hierauf ward gerathschlagt: ob sie den Fürsten Artaban / welcher mitler Zeit von den Meden zum Könige beruffen worden war / oder einen von Phraatens Söhnen auf den Thron sätzen solten? die Parthen waren hierüber mehr / als niemahls vorher zwistig; jedoch fielen die meisten Stimmen auf den letzten Vorschlag; weil sie besorgten: Artaban würde die Meden mehr als sie achten / und das Parthische Reich dem Medischen nur als einen Anhang beyfügen. Die Uberstimmten meinten zwar durch eine neue Strittigkeit / welcher unter den vier Söhnen das Vorrecht haben solte / solchen Schluß zu zernichten; endlich aber fielen die meisten auf den Vonones; welchem als dem ältesten das Völcker-Recht ohne diß das Vorrecht zueignete. Also ward eine prächtige Gesandschafft nach Rom geschickt. Diese brachte dem Käyser kostbare Geschencke / unter andern ein paar Zwillinge von Elefanten; welches für die gröste Seltzamkeit und ein Zeichen einer ungemeinen Glückseeligkeit gehalten ward / zwey Thiere mit einem Nasenhorne / welches wider Gifft eine gewaltige Krafft haben[1122] soll. Hierbey war eine grosse Menge der im Persischen Meere gesischter Perlen / und im Gebürge bey dem Flusse Zioberis gefundener Türckisse; allerhand Gewürtze / Adler- und Sandel-Holtz / Schlangensteine / welche alles Gifft einem aus dem Leibe ziehen / und solches hernach in Milch wieder von sich lassen / wie auch viel in Indianischen Bäumen wie das Hartzt in Kiefern wachsenden Campher; viel seltzame Steine und Kräuter / derer eines die Geburt so sehr befördert: daß wenn die Gebährerin nicht solches beyzeite von sich wirfft / sie die Eingeweide mit ausschüttet / das andere im Munde die Steine wie Mehl zermalmet. Das seltzamste darunter war ein Stück Ambra eines Kopffes groß / welches das Meer Persien schriems über an die Africanische Küste angespület hatte. Der Käyser nam die Gesandten mit ihren Geschencken wol- das Römische Volck aber diese Freygebigkeit für eine Schatzung oder ein Kauffgeld des Friedens an; frolockte auch nicht wenig: daß der Parthen Königs-Söhne zu Rom dienen müsten / daß sie hernach ihr Volck zu beherrschen wüsten. Der Käyser beruffte unter dem Scheine der Ehren den Vonones in völligen Rath / und sätzte ihm in Anwesenheit der Bothschafft eine auf Persische Art gebundene Krone auf; gleich als wenn er diß Reich von ihm als eine Wolthat erhielte; beschenckte ihn auch mit einem Schwerdte / einem helffenbeinernen Stule / und andern mehr schein- als kostbaren Dingen. Die Parthen zohen also mit ihrem neuen Könige von Rom ab /wiewol etlichen alsbald der Römer eingebildete Hoheit über das Parthische Reich nicht gefiel; die andern drey Söhne des Phraathes wurden zu Rom vom Käyser so willig behalten / als von Parthen gelassen. Denn diese meinten dadurch alle Zwytracht im Reiche zu verhüten; August aber mit diesen jungen Parthischen Fürsten einen Werckzeug in Händen zu behalten / dadurch er auf den Fall / wenn die Römer mit den Parthen in Krieg geriethen / ihr Reich in Unruh und Zwyspalt versätzten / und unter dem Scheine diesen zu ihrem Erbrechte zu helffen / seine Waffen rechtfertigen könte: Vonones ward in Parthen wie alle neue Fürsten mit unsäglichem Frolocken bewillko t. Denn wie man auch der besten Fürsten in die Länge überdrüßig wird; also hat eine mittelmässige Neuigkeit mehr Ansehen / als eine veralterte Vollkommenheit; und bilden ihnen Unterthanen von neuen Geschencke / Freyheiten / Wunderwercke und güldene Berge ein. Je mehr ihm nun das Volck vom Vonones eingebildet hatte / weil er so lange zu Rom auf der vermeinten Schule der Vollkommenheiten gewest war / je schwerer fiel es ihm ein so grosses und leeres Faß so vieler Hoffnungen auszufüllen. Sintemahl das vergangene uns allezeit besser vorkommt / als das gegenwärtige; also keine Gleichheit vergnüget / sondern eine zweyfache Vollkommenheit erfordert wird: daß ein Nachfolger nicht geringer zu seyn scheinet / als sein Vorgänger. Ja wenn einer auch schon von Anfange seine Unterthanen vergnüget / verfället doch sein Ansehn / ehe er es inne wird / wenn er nicht stets durch neue Klugheit / Tapfferkeit und Glücke sich wie ein Fenix aus seiner Asche wieder verjünget /oder wie die Sonne aus ihrem Untergange sich aufs neue gebieret. Weil Vonones aber durch solche Künste ihm nicht zu helffen wuste / hatte er bey seinen Parthen zeitlich aus; ja diß selbst / wormit er des Volckes Wolwollen gewinnen wolte / nemlich seine Freundligkeit / machte ihn verächtlich. Denn ein Fürst muß sich mit niemanden / besonders wo Unterthanen dienstbar zu seyn gewohnt sind / zu gemein machen; noch / daß es andere gegen ihn thun / verstatten. Sintemahl es ihm bey Grossen Gefahr / bey Kleinen Verachtung bringt; und er also allenthalben seine Hoheit verspielet. Hingegen behalten die Gestirne / die sich von niemanden irrdischen betasten lassen / sondern nur von ferne ihren Glantz der Erde zeigen / ihr unversehrtes[1123] Ansehen. Insonderheit war den Parthen verdrüßlich: daß er zu Rom sich aller ihrer Sitten entschlagen / hingegen der Römischen angewöhnet hatte; indem er zu eingezogen lebte / sich stets in der Sänffte tragen ließ; also sich der Jagt und des Reitens gantz entschlug; da doch diß der Parthen gröste Lust und Zeitvertreib / jenes ihr Handwerck und gemeinstes Nahrungs-Mittel war. Nichts weniger ärgerte sie: daß er allzu mäßig lebte / wenig Wein tranck / und so selten Gastmahle mit denen geilen Täntzerinnen ausrichtete / alles so genaue zusammen hielt / seine Schätze selbst versiegelte / seine meiste Zeit bey denen mit sich gebrachten Griechischen Weltweisen zubrachte /welche er als Priester der Ewigkeit / und daß sie einen Fürsten bey der Nachwelt unsterblich machen könten / rühmte / dem Adel verzoh und ihnen reichliche Besoldungen aussätzte. Sein erster Staats-Diener Tacfarinas erinnerte ihn zwar: daß der Adel hierüber schwürig / die Schatz-Kammer erschöpfft würde; aber Vonones antwortete: Es wäre einem Fürsten nichts anständiger / einem Reiche nichts heilsamer / als daß sein Hof mit verständigen Leuten / wie der Himmel mit Sternen / angefüllet würde. Der Adel solte es diesen Weisen gleiche thun / so wolte er ihn wieder den Griechen vorziehen. Man solte nur die übrigen zu unnützem Tantzen gewöhnten Pferde / dreytausend Jagt-Hunde / tausend Falcken mit ihren Wärtern / alle Narren / die ärgerlichen Täntzerinnen abschaffen / so würde jene fruchtbare Ausgabe ersätzt seyn. Er selbst wolte auch so wol im Rathe / als bey andern Zusammenkunfften / für sehr gelehrt / geschickt und freundlich angesehen seyn. Denn ob zwar ein Fürst nicht zu verdencken ist: daß er seinen Tugenden und Gemüths-Gaben eine noch bessere Farbe anstreicht / muß er ihm doch hierinnen nicht in die Karte sehen lassen /sondern allen Schein und Beflissenheit verstellen; weil alles diß / wormit man schon sich sehen zu lassen befleißt / seine Güte verliert / und die Schmüncke verstellet selbst die Schönheit; weil beydes so deñ gekünstelt / nicht von der Natur herzuflüssen scheinet. Hingegen hat auch was mittelmäßiges ein zweyfaches Ansehn / was seinen Glantz in sich selbst nicht in des Besitzers Einbildung zeiget; ja seine Unachtsamkeit verbessert um ein gutes seine Vollkommenheit. Ob nun zwar Vonones in vielem recht hatte / und bey freyen Völckern durch seine Leutseeligkeit sich beliebt gemacht haben würde; so waren doch diß bey den Parthen unbekante Tugenden / neue Laster; und das gute / was ihren Sitten nicht gemäß war / verdiente so wol bey Guten als Bösen Haß und Verachtung. Am meisten ward ihm der Adel aufsätzig; und die / welchen noch das Hertze nach dem Artaban hieng / liessen sich in allen Zusa enkunfften vernehmen: die Parthen solten sich schämen / daß sie von Rom aus einem frembden Lande einen mit ihres ärgsten Feindes Künsten angesteckten König geholet hätten; gleich als wenn in gantz Persien kein tichtiger zu finden gewest wäre. Die Römer hätten nun Ursache sich zu rühmen: daß sie auf des grossen Arsaces Stuhl einen König erhoben / und der Parthen Reich zu einem Theile des ihrigen gemacht hätten. Wo bliebe die von ihren Vätern erworbene Ehre / welche den Crassus und Antonius mit Spott und Schande über Hals und Kopff nach Hause gejagt hätten? Sie aber könten nun leiden: daß einer / welcher so viel Jahre dem Käyser zu Dienste gestanden hätte / über die Parthen herrschẽ solte / gleichwol hielt die Furcht für dem Käyser August die Parthen zurücke: daß sie ihre Ungedult nur mit Worten auszuschütten vergnügten. So bald sie aber seinen Tod / den Aufstand der Legionen am Rheine und den Krieg mit den Deutschen vernahmen / beruffte der Adel den Artaban; welcher mit einem ansehlichen Heere aus Meden den Parthen einfiel / und ein Theil des Parthischen Adels an sich zoh. Vonones sammlete hingegen von dem[1124] noch bey ihm stehenden gemeinen Volcke eine grosse Macht zusammen / und der ihm getreue Tacfarinas stellte sich /als wenn er es mit dem Adel wider den König hielte /entbrach sich also zu Ctesiphon des Hofes / und ward von den Aufrührern für ihr Haupt erkieset. Bey dieser Würde hatte er mit dem Vonones heimliches Verständnüs; also daß er alle Anschläge der Aufrührer leichte zernichten konte. Insonderheit spielete er es so künstlich: daß Vonones dem Artaban ehe auf den Halß kam / als der Adel zu ihm stossen konte. Daher ward er auch aufs Haupt geschlagen / und in Meden zurück getrieben. Den Aufrührern entfiel hierüber das Hertz / und Tacfarinas rieth sich beyzeiten mit dem Könige zu vergleichen / brachte sie also glücklich zum Gehorsame. Nach dem aber Tacfarinas alsobald in seine Würde gesätzt / herrlich beschenckt / und die fürnehmsten Häupter der Aufrührer gefangen genommen / ihre Geheimnüsse entdeckt / und sie getödtet wurden / ware gleichsam mit der Hand zu greiffen: daß sie vom Tacfarinas verrathen und betrogen waren; auch der Schuldigen Straffe mehr von ihm als vom Könige herrührte. Daher grieffen sie aufs neue zun Waffen / berufften den Artaban / welcher von Meden und Bactrianern ein noch stärckeres Heer zusammen gebracht hatte / und sich bey Apollonia mit dem Parthischen Adel vereinbarte. Daselbst kam es zu einer blutigen Schlacht; welche vom Morgen biß auf den Abend tauerte. Weil aber der tapffere Tacfarinas todt blieb / und dem Artaban gegen Abende noch vier tausend Hyrcanier und Margianer zu Hülffe kamen /ward Vonones geschlagen / der Kern seiner Reiterey erlegt / alles Fuß-Volck gefangen / ein unglaublicher Schatz erobert. Der König kam mit wenigem Volcke durch Hülffe der Nacht nach Selevcia. Artaban eilte mit seinem sieghafften Heere der Hauptstadt Ctesiphon zu; wo ihm die / welche mit ihm unter der Decke lagen / die Pforten öffneten / die Königlichen Schätze überlieferten / und ihm im Tempel der Sonnen die Parthische Krone aufsätzten. Denn nunmehr hatten die Parthen wider die alte Gewonheit der Persen auch / wiewol unbedeckte Tempel. Vonones hatte mit dieser Schlacht das Hertze und alle Hoffnung verlohren; daher flohe er von Selevcia / als er hörte: daß Artaban sich dahin wendete / und sahe sich fast nicht um / biß er über das Niphatische Gebürge nach Tigranocerta in Armenien kam. Gleichwol ward dieser verlauffene König nach einem neuen Reiche lüstern; und nach dem er mit denen aus seinem Schiffbruche noch davon gebrachten Schätzen einige der fürnehmsten Armenier erkaufft hatte; schickte er also nach Rom / und ließ beym Tiberius anhalten: daß er ihm das nach der Königin Erato Herrschafft mehr ohne Herrschafft als in Freyheit gewesene und theils zun Römern / theils zun Meden hängende Armenien geben möchte. Tiberius wieß des verzagten und zu Beherrschung eines so gefährlich liegenden Reiches ungeschikten Vonones Gesandten schimpflich ab; und weil nicht nur Artaban in Armenien einzufallen dräute / da man seinen Feind Vonones darinnen herrschen lassen würde / sondern auch die gegen Meden und Parthen gelegenen Armenier auf solchen Fall sich dem Artaban zu unterwerffen dräueten; Tiberius aber mit den Parthen zu brechen keine Lust hatte / befahl er dem Syrischen Landpfleger Creticus Silanus: er solte nach Artaxata eilen /den Vonones mit gutem oder Gewalt in Syrien führen; also zwischen den Römern und Parthen den Zanck-Apffel aus dem Wege räumen. Silanus vollzohe diß; und ward Vonones unter dem eitelen Nahmen eines Königes zu Antiochia in einem ehrlichen Gefängnüsse verwahret. Der Römische Rath ließ ihm diß zwar gefallen; doch hielt er für rathsam / und der Römischen Hoheit gemäß zu seyn denen zwistigen Armeniern einen König zu geben / wie vorhin August den Tigranes /[1125] Artavasdes und Ariobarzanes eben diesem Volcke fürgesätzt hätte. Aber Tiberius war hierzu nicht zu bringen; sondern er sagte: die Zeit wäre Meisterin aller Dinge / und ließe sich nicht allemahl thun / was einmahl gut gewest wäre. Cicero hätte hierwider verstossen / da er wider den mächtigen Antonius eben so mit dem Kopffe durchfahren wollen / wie er gegen Catilinen gethan / und weder diese zwey Leute noch den veränderten Zustand in Rom unterschieden hätte. Eben diesen Fehler hätte Demades Demosthenen ausgestellt / als er mit gleicher Kühnheit / wie Themistocles den Persen / begegnet war / den Feinden hätte die Stirne bieten wollen / in dem er ihm eingehalten: Themistocles wäre auf einem gantzen Schiffe Befehlhaber gewest; sie aber hätten nur von einem zerbrochenen die Breter zusammen zu lesen. Der in vollem Wachsthume sich befindende Artaban wäre nach der Schnure des verhaßten und unglücklichen Orodes nicht zu mässen: und das mit den Deutschen in Krieg geflochtene Reich müste mit den Parthen Friede haben. Tiberius meinte hierdurch der Sache sehr weißlich gerathen zu haben / nun aber hat der Ausgang gewiesen: daß grosse Rathschläge wie grosse Gerüste der Werckmeister zerbrechlich sind; und eben so oft als Wahrsagungen fehl schlagen. Denn wir haben gewisse Zeitung von Rom bekommen: daß nach dem Artaban seine Herrschafft über die Parthen befestigt /und / wie Tiberius mit ihm Krieg zu führen schlechte Lust habe / ausgespüret / er theils durch List / theils durch Gewalt einen seiner Söhne Orodes zum Könige in Armenien zu grosser Verkleinerung des Tiberius und des Römischen Reichs eingesätzt habe. Uber diß ist auch nach Absterben des Comagenischen Königs Antiochus zwischen dem Adel und gemeinen Volcke ein wichtiger Zwist erwachsen; in dem jener unmittelbar dem Römischen Reiche einverleibt zu werden /dieses aber einen König verlangte; also zu besorgen wäre: daß Artaban bey dieser Uneinigkeit sich seines Vortheils bedienen / das nach seiner Dienstbarkeit und einem Könige seuffzende Volck auf seine Seite bringen / und einen andern seiner Söhne in Comagene zum Könige einspielen dörffte. Diesem nach wäre freylich wohl nicht zu leugnen: daß es der hohen Nothwendigkeit wäre zu Bestillung der Comagener und zu Erhaltung Armeniens einen erfahrnen und tapfferen Feldherrn in Asien zu senden. Ja es wäre der Wichtigkeit: daß Tiberius sich selbst dahin verfügte; aber dieser mißträulicher Fürst würde sein lebtage nicht mehr das Haupt und Mittel des Reiches verlassen; also Germanicus mit den Haaren dahin zu ziehen gezwungen werden; ob ihm zwar solches so wohl als ihr zu wider wäre; weil ihm ein Chaldeer wahrgesagt hätte: er würde in Asien seinen gewissen Untergang sinden. Thußnelde danckte Agrippinen auffs höflichste für so ausführliche Erzehlung / und ersuchte sie auffs beweglichste alles / was möglich wäre / zu Hintertreibung solcher Wegreise fürzukehren; weil doch eben so wohl ihre / als des Germanicus Wolfarth daran hienge; als welchem sie alleine zutrauten: daß er denen Deutschen einen billichen Frieden / ihnen aber die Freyheit gönnen würde. Agrippine seuffzete hierüber / und ließ etliche Thränen aus den Augen fallen; welche dem deutschen Frauenzimmer Hermengardens Bericht nicht wenig beglaubigten / zumahl Agrippine anfieng: Ach! wie ist doch unser Verstand so verdüstert: daß wir ins gemein diß / was uns schädlich ist / wünschen oder befördern. Die allerklügsten irren am allermeisten / wenn uns das Verhängnüs schon zum Falle bestimmet hat. Daher ich glaube: daß selbtes ihnen mit allem Fleiß die Vernunfft benehme und verblände / und wider seinen Schluß weder Rathschläge noch Tugenden was gelten / sondern sein unhintertreibliches Muß wider aller Menschen Embildung seinen Fortgang haben müste. Thußnelde fiel ein: holdselige Agrippine / weil[1126] wir denn wider unsere eigene Wolfarth arbeiten / in dem wir ihre Abreise nach Rom zu hindern bitten; so helffe sie doch unser Unvernunfft zu rechte und erkläre uns / was aus ihrem hier bleiben uns für Unglück zuhänge. Agrippine antwortete: Glauben sie denn nicht: daß / so lange ich bey ihnen bleiben kan / ich von ihnen alles Leid und Unrecht abzuwenden bemühet seyn werde. Thußnelde versätzte: Wir halten sie freylich für unsere Schutz-Göttin; werden wir denn aber /wenn sie am Rheine verharret / von ihr getrennet werden? Agrippine zohe die Achsel ein und sagte: Meine Liebe verträget nicht ihnen zu verschweigen: daß Tiberius sie in Italien verlange. Alleine / wenn ich ja nicht so viel beym Germanicus vermögen solte: daß er des Tiberius schon zum dritten mahl wiederholeten Befehl hindan setzen wolte / wil ich es zum wenigsten dahin richten: daß sie zu Ravenna / welche Stadt August dem Germanicus geschenckt hat / unter seinem Schutze bleiben sollen. Thußnelde fiel ein: Ach! GOtt! können wir nicht hier unter des Germanicus Schutz bleiben / wo er acht oder neun Legionen zu seinen Diensten hat / wie viel weniger werden wir zu Ravenna für des grausamen Tiberius Gewalt-Thaten und Abholung nach Rom sicher seyn? Agrippine begegnete ihr: weil Tiberius sie nur der Sicherheit halber / und daß die Gefangenen nicht durch der Deutschen Waffen den Römern abgenommen werden mögen / in Italien verlangt / ist solches nicht zu vermuthen; und Germanicus wird hierbey ausdrücklich verlangen: daß alle Gefangene zu Ravenna ihm zu seinem Sieges-Gepränge aufgehoben werden solten. Thußnelde sagte: Sie hätten ihr zwar für diese heilsame Vorsorge höchlich zu dancken; ihr ahnete aber grosses Hertzeleid / welches ihnen in Italien zustossen würde. Ismene und Zirolane gaben ihr Leidwesen hierüber gleichfalls zu verstehen / befahlen sich in Agrippinens Schirm / und betheuerte Ismene nochmahls: daß sie ehe sterben / als schimpflich in Rom eingeführt werden wolte. Agrippine tröstete sie alle /und weil sie meinte: daß sie über dieser schlimmen Zeitung für dißmahl genung zu verdäuen haben wurden / wolte sie sie mit der befohlnen Opfferung des Thumelichs noch nicht erschrecken. Unter dessen hatte Hermengarde dem Fürsten Siegesmund ihre Verrichtung beybracht / und / weil sie Zirolanen zu seiner Liebe nicht hatte bewegen können / ihn bey nahe in Verzweiffelung gesetzt. Nach dem sie aber seinen ersten Sturm sich hatte abkühlen lassen / hielt sie ihm ein: wie ein heilsames Werck er einmahl durch vorgehabte Erlösung der Gefangenen in sein Hertz gefast hätte / und wie übel er dessen Ausführung hindan setzen würde. Könte ihn Zirolane nicht lieben / würde sie doch durch ihre Erlösung gezwungen werden ihm nicht gram zu seyn. Wolthaten solte man nicht verkauffen / sondern ohne einige Bedingung und Hoffnung des Gewinnes geben. Solcher Gestalt thäte GOtt der Welt wohl / er liesse die Sonne so gar bösen und undanckbaren scheinen. Dieses Lasters aber wäre Zirolanens Gemüthe nicht fähig; und wer weiß / was seine Wolthat in ihr Hertze für einen Funcken werffen / und für eine Fla e zeugen könte. Durch diese Einredung brachte es Hermengarde dahin: daß Siegesmund folgende Nacht die Gefangenen zu retten versprach / und hierzu nöthige Anstalt machte. Hermengarde spielte sich voller Freuden noch bey Tage zu denen Gefangenen; brachte ihnen und sonderlich Zirolanen die gewünschte Zeitung: daß Siegesmund ohne ferneren Anspruch an sie folgende Nacht sie alle in Freyheit setzen wolte. Sie möchten sich nur fertig halten: daß sie bey ihrer Wiederkunfft ihr ohne Säumnüs folgen könten. Zu welchem Ende sie denn ihnen auch drey Römische Kriegskleider zustellte. Das Frauenzimmer halsete und küssete Hermengarden für Freuden / und wusten nicht / wie sie wegen so guter Dienste ihr vergnüglich dancken[1127] oder schön thun könten. Thußnelde / Ismene / und Zirolane bereiteten sich zu ihrer Flucht aufs beste / und alle Augenblicke wurden für Verlangen ihnen gleichsam zu einem Jahre. Jede schrieb auch an Agrippinen einen Brieff / darinnen sie ihr für so grosse Wolthaten danckte / ihre Flucht aber dadurch rechtfertigte: daß sie nicht im Kriege gefangen / sondern vom Siegesmund und Sentiens Werckzeugen aus einem Heiligthume / welches auch wieder rechtmäßige Gewalt einen Flüchtigen schützte / geraubet worden wären. Diese Schreiben meinen sie hinter sich zu verlassen. Sehet aber wie das Verhängnüs / ehe man eine Hand umdrehet / alle kluge Anstalten zu Wasser machen kan! Hermengarde kam zu bestimter Zeit in Garten /fand aber Thußnelden in vollen Geburts-Schmertzen /welche auch in ihrer Anwesenheit einen jungen Sohn glücklich zur Welt brachte. Ungeachtet sie nun zu fliehen verhindert ward / ermahnte sie doch die beruffene Ismene und Zirolane: sie wolten sich ihrentwegen nicht aufhalten / sondern mit dem kleinen Thumelich forteilen / und die Gelegenheit ihre unschätzbare Freyheit wieder zu erlangen nicht versäumen. Sie wolte dem Göttlichen Verhängnüße gedultig aushalten / welchem nicht nur die Menschen / sondern der Himmel selbst unterworffen / und so wenig zu hintertreiben / als den Lauff der Flüsse umzukehren wäre. Aber weder Ismene noch Zirolane waren durch Thußnelden Thränen und Beschwerungen hierzu zu bringen / sondern beyde wolten mit und bey Thußnelden leben und sterben. Als Thußnelde nun alle Hoffnung sie zu erbitten verlohr / wendete sie sich zu der durch diesen Zufall gantz verwirrten Hermengarde / und bat sie zum wenigsten ihren Thumelich zu retten. Weil nun Hermengarde solches ihr versprach / ließ sie ihn durch Ismenen bringen / und nach dem sie ihn hundertmahl geküst / übergab sie ihn Hermengarden / mit Befehl: diesem solte er / wie ihr oder seinen Vater folgen / wo er sie und sein Heil lieb hätte. Hermengarde nahm also nebst ihm mit tausend Thränen Abschied / kam auch auf dem nahe bey dem Ubischen Altare vom Siegesmund bestellten Nachen glücklich über den Rhein / fand daselbst den Siegesmund und mit ihm alles fertig. Wie dieser nun der Gefangenen Außenbleiben insonderheit Zirolanens und desselben Ursache vernahm / machte er hundert Schwerigkeiten / vorgebende: Er sehe wol / daß Ismene und Zirolane ihm aus Gramschafft nicht einst das Gelücke gönten durch ihn erlöset zu werden; und daß es ihm für die Müh nicht lohnete eines Kindes halber sein gantzes Glücke in Wind zu schlagen / die Römer ihm unversöhnlich zu machen / und zwischen zwey Stülen nieder zu sitzen / weil er doch beym Feldherrn Herrmann ohne Befreyung Thußneldens schwerlich eine wahre Aussöhnung / weniger viel gutes zu hoffen hätte. Daher meinte er es rathsamer zu seyn / das Werck biß Thußnelde wieder Kräffte zu reisen bekäme / zu verschüben. Ob ihm nun Hermengarde einhielt: daß die Gefangenen alte Augenblicke weggeführt zu werden besorgten / Agrippine es ihnen auch schon angekündiget hätte / blieb doch Siegesmund auf seinem Vorsatze wieder zurück über den Rhein zu sätzen. Als sie aber ans Ufer kamen / war kein Nachen verhanden; sondern solcher / weil ihn die Schiffer nicht feste angemacht hatten / entschwommen /und ohne vieles Geräusche war auch kein anderer zu haben. Hermengarde nahm hierdurch Anlaß an Siegesmund noch einmal zu setzen und ihm einzuhalten; das Verhängnüs schickte ihm mit allem Fleiße diese Hindernüs / daß er ein so rühmliches Werck nicht unausgemacht lassen solte. Sie wolte mit ihrem Blute sich verpfänden: daß Hertzog Herrmann für Uberbringung seines Sohnes nicht nur aller Beleidigung vergessen / sondern ihn auch als seinen zweyten Sohn lieben würde. Weil nun Siegesmund sich keine Nacht von seinem Heiligthume[1128] entfernen dorffte / er auch sich auf den Morgen / sonder daß es die Römische Wache und die anderen Priester gewahr würden / darein zu spielen getraute / sondern vielmehr besorgte: daß seine Anstalt zur Flucht nicht unverrathen bleiben würde / ward er mehr gezwungen als beredet in Hermengardens Willen zu kommen. Sie zwey sätzten sich also nebst denen zwey Chassuariern / die sie über den Rhein geführet hatten / zu Pferde / und Hermengarde nahm den jungen Thumelich zu sich / auf ihr Pferd. Sie waren aber kaum drey Meilen geritten / als sie früh bey aufgehender Sonne in einem Walde auf eine ziemliche Anzahl Reuter stiessen / welche zu vermeiden sie seitwerts in das Gehöltze einlencken wolten. Alleine jene waren ihnen zu nahe auf den Hals kommen; daher sie sich nicht verbergen konten / sondern sich durch ihr Ausweichen nur verdächtig machten /und den andern sie anzusprengen und auszuforschen Ursach gaben. Cäpio / welcher diese Römische Reuter führte / und vom Germanicus zum Hertzoge geschickt worden / nun aber auf der Rückreise war /fragte bey ihrer Einholung: wer sie wären? welchem Siegesmund Lateinisch antwortete: Er wäre ein Juhonischer Edelmann / und diß seine Leute. Cäpio versätzte: warum sie denn Römisch bekleidet wären? Siegesmund sagte: weil wir den Römern im Kriege dienen. Jener forschte ferner: woher er käme? wohin er reisete? warum er ihnen ausgewichen wäre? und zu was Ende er seinen Knaben mit sich führte? Siegesmund versätzte: Er käme vom Ubischen Altare / reisete auf seine an dem Wied-Strome liegende Güter / der Knabe wäre sein Sohn / den er um Augustens Tempel zu sehen mit dahin genommen hätte / weil er mit dem Hertzoge Segesthes und dem Fürsten Siegesmund in guter Freundschafft stünde / und seinen Sohn mit der Zeit bey selbigem Eigenthume anzubringen gedächte. Aus dem Wege wäre er geritten / weil er die ihm begegnenden nicht so bald gekennt / und man ihn gewarniget hätte: er solte sich für denen streiffenden Catten vorsehen. Cäpio sagte: es wäre wahr / die Catten wären zwey Tage vorher biß auf eine Meile von Sieburg eingefallen / und er würde nicht fortkommen; daher solte er seiner Sicherheit halber mit ihm biß nach Antonach reisen / über welchem selbiger Strom in Rhein fiele; und also er wenig oder gar nichts umzüge. Siegesmund machte hier wieder allerhand scheinbare Ausflüchte; so / daß Cäpio sie hätte ihres Weges reisen lassen / wenn ihm nicht einer seiner Gefärthen in ein Ohr geraunt hätte: Er sähe diesen vermeinten Edelmañ für den Fürsten Siegesmund an /welchen er etliche mal beym Germanicus gesehen hätte. Cäpio sagte daher dem Siegesmund unter Augen: wer er wäre? und zu was Ende er sich verleugnete / wenn er nicht was böses vor hätte? Siegesmund verstummete über dieser unvermutheten Erkäntnüs / sahe sich also nur nach einem Loche um ihnen zu entkommen. Aber die Römer umringten ihn und seine Gefärthin alsofort / brachten sie in dreyen Stunden nach Antonach; allwo sie Cäpio dem Apronius einlieferte / welcher alsbald den jungen Thumelich erkennte / und hiermit war Siegesmunds Flucht und Anschlag verrathen. Apronius ließ alsbald einen ieden absonderlich verwahren / that auch diß durch den Cäpio selbst dem Germanicus zu wissen / und dem Labienus schrieb er: wie schöne Wache er bey dem Ubischen Altare halten müste: daß er Priester und so vornehme Gefangene so liederlich entrinnen liesse. Labienus ward hierüber nicht wenig bestürtzt: fragte alsbald nach dem Siegesmund und Thumelich; und weil keiner zu finden war / ließ er nicht nur alle Haußgenossen des Siegesmunds in Gefängnüße sperren / sondern besätzte auch alle Zimmer / darinnen Thußnelde / Ismene und Zirolane waren / mit starcken Wachen; alle andere Gefangene wurden auch enger als vormahls verwahrt:[1129] Agrippine dorffte hierwider nichts sagen / aus Beysorge / man würde wider sie argwohnen / daß sie mit unter der Decke läge. Das deutsche Frauenzimmer ward hierüber bestürtzt / und wahrsagte ihm nichts gutes / kurtz aber darauf ließ ihnen Agrippine sagen: Sie könte sich ihrer nicht mehr annehmen / nach dem sie hinterrücks ihrer mit dem meineydigen Siegesmund gepflüget / und durch Wegspielung Thumelichs die ihnen vergönnete Freyheit mißgebraucht hätten. Das Geschrey machte ihnen auch unverlängt kund: daß Siegesmund und Thumelich mit drey andern Deutschen zu Antonach gefänglich wären einbracht worden. Beydes ward ihnen ein Donnerschlag im Hertzen / und eine Ursache des erbärmlichsten Wehklagens. Thußnelde fiel hierüber in eine hitzige Kranckheit / so / daß auch fast iederman ihr verlohren gab. Germanicus befahl; daß so wol die Gefangenen vom Ubischen Altare / als Siegemund und Thumelich nebst Hermengarden und denen zwey Chaßuariern von Antonach nach Meyntz gebracht werden musten. Alle wurden genau befragt. Siegesmund konte nicht leugnen; daß er den Thumelich hätte entführen wollen; er entschuldigte es aber mit der Hefftigkeit seiner grossen Liebe / indem er dadurch Thußnelden / durch Thußnelden aber Zirolanen zu gewinnen gehofft hätte. Weil nun Germanicus alles an Tiberius berichtete / schrieb Siegesmund an Sentien: Sie möchte durch den Sejan ihn aus diesem Ungewitter erretten / und theils die Hefftigkeit seiner Liebe / welche die Menschen offt ihrer Vernunfft beraubte; theils: daß Thumelich nicht der Römer / sondern sein eigener Gefangener gewest wäre / fürschützen. Segesthes beschwur sie auch bey ihrer Liebe: sie wolte das eusserste thun / und verhüten: daß er durch Beschimpfung seines Sohnes nicht ins Grab / die Römer aber nicht in übelen Ruff versätzt werden möchten / als wenn sie eines Vaters Verdienste dem Sohne nicht liessen zu statten kommen. Sentia sparte weder Müh noch Geschencke / wendete auch alle Künste an: daß Tiberius von seinem erstern Vorsatze den zweymahl abtrünnigen Siegemund zu tödten möchte gebracht werden. Sejan und Salustius brachten es auch endlich so weit; daß Tiberius an Germanicus schrieb: dem Siegesmund solte das Ubische Priesterthum des August genommen / hingegen des Drusus zu Meyntz gegeben werden / und zur Straffe seiner unzeitigen Erbarmnüs solte er selbst den Thumelich dem Drusus zum Opffer schlachten. Die Sorge dieser Vollziehung vertraute er absonderlich dem Apronius. Sentia schrieb Siegesmunden diesen Schluß als eine freudige Zeitung zu; und ermahnte ihn: daß er durch desselben willige Befolgung die herrliche Gelegenheit des Tiberius Gnade wieder zu erwerben nicht versäumen solte. Sie vertröstete ihn auch: daß weil bey den Römern einer unterschiedene Priesterthümer haben könte / sie ihm das des Augustus mit der Zeit wieder zu wege bringen wolte; ungeachtet es bey den Römern was seltzames wäre bey solchen Jahren einem nur eines anzuvertrauen. Siegesmund hätte hierüber mögen von Sinnen kommen / verfluchte Sentien und den Tag seines Raubes / entschloß sich auch ehe zu sterben / als seiner Schwester und eines so grossen Fürsten Sohn zu ermorden. Diesen Schluß mit der bösen Zeitung machte er durch den bestochenen Kercker-Meister Hermengarden zu wissen; welche ihr hierüber die Haare ausrauffte / mit dem Kopffe wider die Wände lief / und sich erstossen hätte / wenn sie vom Kercker-Meister nicht wäre verhindert worden. Hermengarde erholete sich nach ausgeschütteter Ungedult endlich wieder / und ließ den Fürsten Siegesmund wissen: gefässelte Wölffe bissen ihnen aus Liebe der Freyheit ihre eigene Klauen ab; was wolte er sich denn hartnäckicht erweisen etwas zu versprechen / dessen Erfolg noch vielen Zufällen und Ausflüchten[1130] unterworffen wäre? Siegesmund folgte diesem verschlagenen Weiber-Rathe / stellte sich zu Thumelichs Opfferung willig an / und brachte darmit seine und Hermengardens Freylassung zu wege. Die Wahrsager sätzten hierauf einen zeitlichen Tag zu Siegesmunds neuer Einweihung an / auf welchen sie auch die Leute bereden wolten: daß Jupiter ihnen durch einen von der lincken Seite erscheinenden Blitz ein Glück-Zeichen ihres Vorhabens gewiesen hätte /ob schon das wenigste von einigen andern Menschen gesehen worden war. Denn die Einweihungen zum Priesterthume konten weder alle noch gewisse Tage geschehen / sondern die Götter musten sie gleichsam selbst hierzu erkiesen. Nach genommenem Wahrzeichen ward Siegesmund an den dem Drusus gewiedmeten Platz geführet / an welchem er entkleidet / aus Rhein-Wasser gebadet / und / weil die Geheimnüsse des Römischen Gottesdienstes nicht schrifftlich verfaßt werden dorfften / von der Verehrung des Drusus mündlich unterrichtet ward. Hierauf ward ihm ein weiß-seidener Unter-Rock angelegt / und ein von Golde und Perlen gestickter Mantel mit purpernen Aufschlägen umgegeben / auf das Haupt aber eine oben zugespitzte und mit einem güldenen halben Monden gezierte Priester-Mütze aus wöllenem Zeuge aufgesätzt. Mit diesem muste Siegesmund in ein neu gemachtes Grab steigen / und wurden über ihn etliche viel mahl durchbohrete Bretter gelegt. Auf diese brachten die Opffer-Knechte einen grossen weissen Sarmatischen Ochsen / dessen Hörner übergüldet / die Stirne gekräntzet / der Rücken mit Persischen Tapezereyen bedeckt war. Diesem zerschnitt ein Priester den Hals und die Gurgel / stach ihm auch hierauf das Messer bis ins Hertze / worvon er auf die Bretter fiel; das herausschüssende Blut aber durch die vielen Löcher auf den neuen Priester lief / welcher schuldig war nicht nur mit seinem Haupte und Leibe / sondern mit seinem Antlitze / ja mit seinen Augen / Ohren / Lippen und der Zunge das abtrieffende Blut aufzufangen. Als der Ochse nun ausgeblutet hatte / wurden die Bretter weggenommen / der von Blute über und über besudelte Fürst Siegesmund aus der Grube empor gezogen / von allen mit grosser Ehrerbietung als ein Priester des Drusus empfangen. Der ihn einweihende Priester nam von ihm den gewöhnlichen Eyd ab: daß er kein Geheimnüß des Drusischen Gottes entdecken wolte. Ihm wurden hierauf saubere Priester-Kleider angelegt / seine Haare mit einem Lorbeer-Krantze umflochten / das Haupt in ein Purper-Tuch eingehüllet / und er auf einem helffenbeinernen Stuhle zu einem prächtigen Gastmahle / bey welchem sich alle vornehme Römer befanden / getragen. Nichts war hier gesparet / sondern an allen nur ersinnlichen Kostbarkeiten ein reicher Uberfluß / welcher auch schon auf denen Priester-Mahlen bey dem noch armen und sparsamen Rome üblich / und diese keinem Gesätze / welches der Verschwendung Maaß und Ziel steckte / unterworffen waren. Sintemal sie denen Wollüsten nachzuhängen für zuläßlich hielten / wenn es nur den Göttern zu Ehren geschahe. Westwegen auch der Wahrsager Hortensius die Pfauen / andere Eyter und Geburts-Glieder von verwerffenden Schweinen und andere zur Uppigkeit dienende Gerichte auf einem Priester-Mahle zuerst auf die Taffel gebracht hat / da sonst für dem dritten Carthaginensischen Kriege niemand zu Rom einigẽ Vogel / ja keine zur Zucht noch dienende Heñe verspeisen dorffte; gleich als weñ den Göttern mit der Menschen Verschwendung und Lastern ein Dienst geschehe / und der Gottesdienst zu Vertilgung der Sparsamkeit und heilsamen Gesätze am geschicksten wäre. Dieser Einweihung ungeachtet ward doch die Opfferung Thumelichs so lange verschoben / bis das neue Gedächtnüs-Mahl des Drusus / worüber eyfrig gearbeitet ward / fertig seyn würde. Unterdessen kam auch[1131] Agrippine und Thußnelde / welche durch jener Hülffe von ihrer Kranckheit zum theil genesen war / nach Mäyntz / diese auf des Apronius Befehl /weil Sentia beym Tiberius eine Verordnung ausgebracht hatte: daß Thußnelde der Opfferung ihres Sohnes zuschauen solte. Agrippine aber kam in Meinung dieses grausame Opffer wo immer möglich zu verhindern / ungeachtet Germanicus aus hieraus geschöpfftem Verdrusse nach Trier und Mediomatricum gereiset war / unter dem Scheine das neue Kriegs Volck zu mustern und die Schatzung zu erheben. Agrippine selbst stellte dem Apronius für Augen / was die Römer und ihr Gottesdienst von Aufopfferung dieser Unschuld für einen bösen Nachklang bekommen / bey der gantzen Nord Welt aber für unaussöhnliche Verbitterung verursachen würde. Sie könte gar nicht begreiffen / was dem Tiberius mit einer handvoll Kinder-Blutes gedienet wäre. Apronius aber entschuldigte sich / und wünschte: daß ihm diese Grausamkeit vom Tiberius nicht anvertrauet worden wäre. Als aber Agrippine ihn nicht ausser Schuld lassen wolte / zeigte er ihr des Tiberius Befehl dieses Innhalts: daß / weil der Geist des Drusus einem seiner Priester erschienen wäre und zu verstehen gegeben hätte: daß er nicht anders als durch eines deutschen Fürsten Blut versöhnet werden könte / solte er an Aufopfferung des Thumelich sich keinen Menschen oder sonst was hindern lassen. Agrippine erstaunete hierüber / und fieng an: O verdammte Sentia! diese Lügen ist keines andern Menschen / als deine eigene Erfindung. Weist du nicht: daß wer wider die Warheit etwas leugt / die Götter ins Gesichte schlage? Meinest du nicht: daß du den Geist des Drusus durch solche ihm angetichtete Grausamkeit aufs ärgste beleidigest? Darfst du dich unterstehen ihn nach seinem Tode grimmiger zu machen / als er im Leben war? Ist der Geist des betrüglichen Ulysses aus der Hölle herfür kommen / und hat er dir diese teuflische Erfindung eingeblasen: daß des Drusus Geist mit des Thumelichs / wie des Achilles mit des Astyanax Blute versöhnet werden müste? denn des Drusus Geist verlanget gewiß nicht aus seinem Grabe eine solche Schlacht-Banck zu machen. Er ist gewiß aus seiner Grufft nicht gestiegen ein Kind zu verderben / welches zu erhalten sich ihrer tausend gerne vergraben würden. Ich wundere mich: daß du mit diesem Astyanax nicht auch eine Polyxena / nemlich Thußnelden / geschlachtet haben wilst! Ihr Götter! lasset mich doch erleben und sehen / wie diese Unholdin von euch ihre verdiente Belohnung bekommen werde. Weil sich nun von diesem Opffer ein grosses Geschrey weit und fern ausbreitete / kam auch vom Hertzog Arpus und Jubil ein Herold nach Mäyntz / welcher dem Apronius andeutete: daß / dafern er den unschuldigen Thumelich so grausam aufreiben würde / wolten sie ihm zum Opffer so viel tausend bey ihnen gefangene Römer verbrennen. Apronius ließ antworten: Es stünde nicht bey ihm des Tiberius Befehl zu hinterziehen. Die Catten wären daran selbst schuld / welche ihre unzeitige Rache an denen nichts fühlenden Marmeln des Drusischen Altares ausgeübt hätten. Wie möchten sie aber die Opfferung eines Kindes so empfinden / da die Deutschen nach des Varus Niederlage so viel tausend Römern wie Kälbern die Gurgel abgeschnitten hätten? die Gewonheit ihre Gefangene zu opffern wäre bey den meisten Völckern eingeführt. Themistocles hätte bey Salamine dem Bacchus drey der edelsten Persen / Lycortas bey dem Grabe des Philopämen viel gefangene Messenier die Sardinier ihre siebenzig jährige / die Celten /Geten und Scythen den hundersten / die Gothen und Einwohner des Eylandes Thute die Erstlingen / die Lusitanier aber die rechten Hände ihrer Gefangenen dem Kriegs-Gotte geopffert. Den Catten könte er nicht wehren ihre Gefangenen hin zu richten; es würde aber so[1132] denn auch dem Tiberius nicht zu verargen seyn / wenn er durch das Blut Thußneldens / und ihres neugebohrnen Sohnes / Ismenens und Zirolanens jener Geister versöhnete. Siegesmund und Hermengarde berathschlagten sich mitler Zeit: ob denn kein Mittel wäre den Thumelich zu retten; aber er ward vom Apronius so feste verwahrt: daß kein Mensch / ja Agrippine selbst nicht ihn zu sehen bekommen konte; also war Thußnelde gantz Trost-loß; / und sie würde /wie hertzhafft sie sonst war / ihr vielmahl ein Leid gethan haben / wenn nicht Ismene und Zirolane so genau achtung auf sie gehabt hätten. Dem Fürsten Flavius gieng diese Grausamkeit nicht weniger durchs Hertze. Denn ob zwar Adgandester durch seine Arglist sein und Hertzog Herrmanns Gemüther getrennet hatten; so lässet sich doch das Band des Geblütes nicht leicht derogestalt zerreissen: daß nicht eine innerliche Neigung übrig bleibe. Er eilte deßwegen nach Meyntz und mühete sich anfangs mit guten / und als diese nicht verfiengen / mit scharffen Worten den Apronius von Hinrichtung seines kleinen Vetters abwendig zu machen. Weil Apronius aber nicht zu beugen war; sondern vielmehr dem Flavius einhielt: daß er durch angemaste Hinderung dieses Opffers wider seine eigene Wolfarth stritte; weil ja / wenn Herrmann ohne Kinder stürbe / ihm die völlige Herrschafft über die Cherusker zufiele; sagte Flavius: Er begehrte durch Blut und böse Grieffe keine Herrschafft zu behaupten. Er gieng auch im Grimm und Sturme davon /nach dem er ihm gesagt: Er und andere Fürsten sähen wol: daß es auf ihre und ihrer Geschlechter Ausrottung gemüntzet wäre; und sie würden künftig ihr Thun nach einem andern Maße einrichten müssen. Siegesmund aber war gantz verzweiffelt / und ließ sich ausdrücklich heraus: daß er mit seinem eigenen Blute des Drusus Altar bespritzen wolte. Hermengarde aber redete ihm ein / und sagte: man solte niemahls / auch wenn schon alle Hoffnung verschwunden wäre / nicht verzweiffeln. Denn die Göttliche Hülffe wäre niemahls geneigter uns zu erretten / als wenn alle menschliche aus wäre. Endlich kam nun der traurige Tag herbey / an dessen Abende das grausame Opffer vollzogen werden solte; vielleicht / weil die Sonne davon hätte befleckt werden mögen. Thußnelde ließ beym Apronius Ansuchung thun: daß sie ihren Sohn noch einmahl sehen und küssen möchte / welches er aber damit ablehnete: daß Thumelich nicht mehr in seinen / sondern in der Priester Händen wäre. Worüber sie gleichsam unsinnig ward / und heraus fuhr: Grausamen Römer! unmenschlicher Apronius! wehret man doch Eltern nicht den Zutritt zu den ärgsten Missethätern / welche zum blutigen Halsgerichte geführet werden; und ihr! die ihr euch wider Recht der Gewalt des Lebens über ihn anmaßet / wollet einer Mutter wider das Recht der Natur nicht einen Kuß erlauben! Ihr setzet eure Tygerklauen ihm ins Fleisch / und ich werde von seiner letzten Umarmung ausgeschlossen! Abscheuliche Ungeheuer! aufs wenigste stehet es nicht in euer Gewalt mir zu verwehren: daß ich sterbe / und daß mein Geist seinen nach dem Tode so feste umschlüsse / als ich ihn nach seiner Empfängnüs in meiner Schoß / nach der Geburt in meinem Hertzen beschlossen habe. Hiermit sanck sie aus einer Ohnmacht in die ander / daß man an ihr genung zu reiben und zu kühlen hatte. So bald es nun begunte finster zu werden / schickte Apronius drey Senfften mit einem Hauptmanne und dreyhundert Kriegs-Leuten zu Thußnelden / sie mit Ismenen und Zirolanen zu des Drusus Altare zu tragen. Thußnelde / an welcher man den gantzen Tag wenig Leben verspüret hatte / richtete / als man ihr ihre Abfordrung andeutete / entrüstet auf / und ließ ohne Verlierung eines Wortes sich dahin bringen. Kurtz darauf brachten die Priester des Drusus auf einem güldenen Sieges-Wagen den mit Rosen gekräntzten und schneeweiß[1133] gekleideten Thumelich zwischen vielen mit Zitron-Zweigen umflochtenen Fackeln geführet. Er sahe sich zu aller Menschen Verwunderung so freudig um / als wenn er in einem Sieges-Gepränge führe. Diesem folgete der neue oberste Priester Siegesmund in einem langen weissen Mantel mit einem Lorber-Krantze / und hierauf eine Menge Priester / welche die Opffer-Geschirre trugen. Weil diese nun das erste Feuer auf dem neuen Altare zu machen beschäfftiget waren / näherte sich Thußnelde dem nun vom Wagen gehobenen Thumelich / umarmte und küssete ihn mehr als tausendmahl. Unter dem zuschauenden Volcke war fast niemand /der nicht über so traurigem Schauspiele Mitleidungs-Thränen vergoß / und das jedermann ankommende Schrecken versteinerte sie gleichsam: daß sie sich weder rührten noch redeten. Etliche allein murreten und fragten die nechsten Priester / mit was Rechte man einen schneeweissen Knaben an statt der kohlschwartzen Schaafe / welche sonst denen verstorbenen geschlachtet würden / opffern könte? Bey diesem Stillschweigen fieng Thußnelde ziemlich laut an zu reden: du sollst sterben! hertzliebster Thumelich! wie frühzeitig wäre es für dich / weñ nicht alle Menschen zeitlicher zu sterben anfiengen / als sie gebohren werden! Wie unglückseelig wärest du / wenn jemand nicht stürbe / und der Tod nicht ein allgemeines Gesätze der Natur / ja fast ihre beste Erfindung wäre! weil aber dein Tod gewaltsam ist / würde mein Hertze nicht genungsame Dünste ausdampffen und denen Augen zu Gebährung der Thränen zuschicken können / wenn ich nicht wüste: daß dein Tod zwar wider die Natur / nicht aber das Verhängnüs wäre. Wenn dieses nicht beystimmt / kan uns weder das Glücke unter den Grauß seiner Abstürtzungen graben / noch ein Feind uns ein Haar krimmen. Diß alleine vermag deinem Tode und meinem Schmertze alle Bitterkeit; weder ich noch du aber dem Schlusse des Himmels etwas von seiner Härte zu benehmen / wenn wir unsere Seele schon durch die Augen ausweinten. Du must also sterben! ich wil es nicht nur geschehen lassen / sondern ich bin gezwungen zuzusehen. Könte einer Mutter wol was grausamers aufgebürdet werden? Solte diß nicht die Unempfindligkeit selbst mürbe machen? Solten nicht alle meine Sinnen Zunder zu meiner Verzweiffelung beytragen? nach dem der sinnreichste Witterich in der Welt mich nicht zu einer grausamern Nothwendigkeit hätte zwingen können! Man verbindet den Ubelthätern die Augen: daß sie ihres Streiches nicht gewahr werden; die Richter enteusern sich der Verdammten Hinrichtung anzuschauen; der Mutter aber sperret man mit Gewalt die von Angst gebrochenen und schon von dem Vorschmacke des ewigen Schlaffes zugefallene Augen auf: daß diese so wol durch Anschauung eines solchen Greuels / als das Hertze durch Wehmuth mit sterben müsse. Warum tödtet man aber mich nicht für dich / oder zum wenigsten mit dir? Wie glückseelig wäre ich / wenn mein Tod ein Löse-Geld deines Lebens seyn könte! Aber nein! Thußnelde soll aus Verzweiffelung / Thumelich als ein aufgeputztes Opffer-Vieh sterben! Aber nein! der Schmertz hat keine solche Botmäßigkeit über meine Vernunfft / als die Römer über unser Leben. Die Verzweiffelung ist das ärgste Ubel / und sich selbst verletzen die gröste Narrheit unter allen. Wie glückseelig bin ich in meinem Unglücke! wie schön bist du in deinem Tode; daß dir unsere Todfeinde keine Schellen und Kennzeichen der Ubelthäter haben anhencken können! Niemand scheuet sich durch deine Anrührung verunreiniget zu werden. Die selber / welche dich zum Tode verdammen / müssen nicht nur in ihrem Gewissen dich loßsprechen / deine Unschuld mit Blumen krönen / und dich auf ihre heiligen Altäre heben. Ein so herrliches Vorrecht hat die Tugend: daß sie ihre eigene Feinde verehren / aber auch fürchten[1134] müssen. Die Thaten deines grossen Vaters haben verursacht: daß die Römer dich schon in der Wiege / wie die Schlangen den Hercules gefürchtet haben. Aus deines Vaters Klauen machen sie einen Mäßstab deiner künfftigen Wercke. Wenn ihr Römer aber auch noch nicht alle den grossen Herrmann hättet kennen lernen / köntet ihr schon von diesem unerschrockenen Knaben / wie die Baumeister aus einem kleinen Muster / die Zwerge aus dem Nagel des Daumens oder einer Zehe / die Grösse des Cyclopen / Herrmanns Riesen-Maaß nehmen. Du hast länger nicht wachsen dörffen. Eine Aloe wird in einer Nacht grösser / als Isop in hundert Jahren. Daher müssen dich deine Feinde als einen zarten Aufschüßling austilgen / weil sie nach deinem Wachsthume dir nicht gewachsen zu seyn trauen. Ja die Geister ihrer verstorbenen Helden sollen für dir Sorge getragen haben; und weil sie dich im Leben zu einem heiligen Opffer verlangen / werden sie dich nach dem Tode vergöttern müssen. Stirb also Thumelich! stirb! du hast in deiner Kindheit schon / mehr Ruhm erworben / als ihrer tausend nicht ihr Lebtage. Aber ich sehe wol: daß du so wenig der Ermahnung / als der Bejammerung von nöthen habest. Dein Antlitz hat in sich nicht das kleineste Merckmaal eines Sterbenden; deine Freudigkeit aber ist ein Sieges-Zeichen über alle menschliche Schwachheiten / über deine mächtige Feinde / ja selber über den Tod. Dieser hat für dir schon die Waffen / nemlich seine Schreckligkeit weggeworffen. Deine Feinde schämen sich ihres Todes-Urthels und ihrer Zaghafftigkeit; weil sie dir nichts übels nachreden können / und als ein Kind dich fürchten oder als einen Unschuldigen beweinen müssen. Siehest du nicht /wie allen Zuschauern die Thränen über die Wangen rinnen? nur ich und du haben trockene Augen. Ich /weil ich an dir nichts böses zu beweinen finde; du /weil du in deiner Kindheit wie ein Mann stirbst / dein Ruhm aber alle deine Feinde überleben / und also dieses Grab künfftig mehr dein / als des Drusus Ehren-Mahl heissen wird. Alles dieses redete sie ohne Verschwendung einer einigen Thräne / ohne den wenigsten Seuffzer; gleich als hätte sie alle Eigenschafften einer Mutter ausgezogen; so daß nicht nur die Römer / sondern Ismene und Zirolane selbst darüber / ihrer noch mehr aber über Thumelichs Unempfindligkeit erstarrten; welcher mit so freyem Gesichte als freudigen Gebehrden Thußnelden antwortete: Ich wil / liebste Mutter / behertzter den Streich empfangen / als ihn mir der Priester geben wird. Wäre es mir besser lange zu leben / würde mir das Verhängnüs nicht ein so kurtzes Ziel gesteckt haben. Viel wären glücklich zu preisen / wenn sie ehe gestorben wären / und ich zweiffelsfrey unglücklich seyn / wenn ich länger lebte. GOtt gebe aber ihr: daß sie so wol hundert Jahr leben möge / so vergnügt ich heute zu sterben gedencke. Hierauf gaben sie einander den letzten Kuß / und schieden von sammen. Thußnelde verfügte sich zu Ismenen / Thumelich gieng behertzt zum Altare / wo ihm die Priester die Stirne und Schläffe / die Hände und Füsse mit geweihetem Rheinwasser abwuschen. Siegesmund nam ihn hierauf in den mit vielen Eypreß-Zweigen umflochtenen Umschrot des Altares; und nach dem er sich darinnen dreymahl biß zur Erde gegen das Altar nieder gebückt hatte; also / daß man ihn nicht sehen konte / streute er ihm weisses Mehl und schwartzes Saltz aufs Haupt. Nach diesem schnitt er ihm die Haare ab / und warff sie ins Feuer / hernach band er ihm Hände und Füsse hinter dem Rücken zusammen / hob ihn also auf das Altar / hieb ihm mit einem Beile von hinten zu das Haupt ab / und warff es in das lodernde Opffer-Feuer. Das aus dem Leibe sprützende Blut fiengen die andern Priester in güldene Schalen auf / besprengten damit die Hörner und Pfosten des Altares / das übrige gossen sie in die Flamme; welche nunmehr mit[1135] Weyrauche / Oele /wolrüchendem Hartzte und Holtze erfrischet ward. Nach dem sie auch die Eingeweide erforschet hatten /verbrennten sie vollends den Leib. Kein Mensch sahe dieser Opfferung zu / welchen nicht dieses edlen und unerschrockenen Opffer-Thieres jammerte / ja den Apronius selbst; also / daß sich durchgehends ein erbärmliches Wehklagen erregte. Ismene und Zirolane hoben bey dem Streiche überlaut an zu schreyen /Hermengarde fiel beym Altare ohnmächtig zu Bodem; Thußnelde aber erstarrete; und war einem Marmel-Bilde ähnlicher als einem beseelten Menschen. Dem Priester Siegesmund fielen so viel Thränen aus den Augen: daß er darmit ein Theil des Opffer-Feuers hätte ausleschen können; ja er war etliche mahl so verwirrt: daß er nach einem Opffer-Messer grief / und es ihm in Leib gestossen hätte / wenn er nicht von einem seiner getreusten Chassuarier abgehalten / und sich zu besinnen erinnert worden wäre. Mit einem Worte: es hätten zwey oder drey Timanthes alle ihre Mahler-Kunst und Stellungen der Traurigkeit erschöpffet / und mehr als einen Agamemnon verhüllen müssen / wenn er diese viel erbärmlichere Opfferung /als die die Iphigenia war / hätte für bilden wollen. Jederman schied bestürtzt von dannen / und die Wolcken schütteten einen heftigen Platz-Regen aus; gleich als wenn sie zugleich eines so unschuldig-hingerichteten Kindes Tod hätten beweinen / oder ein solch ärgerliches Opffer-Feuer ausleschen wollen. Thußnelde kam mit Ismenen und Zirolanen nach Hause / allwo sie Agrippinen / welche dem abscheulichen Opffer nicht hatte beywohnen wollen / sich aber gleichwol unbekandter Weise dahin tragen lassen / vor sich fand / um diese unglückliche Mutter zu trösten / und sich zu entschuldigen: daß sie diesen herben Unglücks-Becher nicht hätte abwenden können. Aber Thußnelde hatte mehr weder Gehöre noch Vernunfft. Denn weil sie bey der Opfferung durch Versteinerung ihres Hertzens die Röhren des mütterlichen Schmertzes verstopfft hatte / brach er nunmehr / da er in ihrer Einsamkeit Lufft kriegte / mit desto grösserem Ungestüme heraus. Ihr Antlitz war ein rechter Schau-Platz der tiefsten Traurigkeit; das Hertze schlug nicht öffter / als es Widerschalle einer beängsteten Seele von sich gab; und also fand Agrippine zwar bey ihr Gelegenheit sich zu betrüben / aber Thußnelden keinen Trost beyzubringen. Sie brachte die übrige Nacht und den halben Tag mit eitel seltzamen Reden zu / welche eine gäntzliche Verrückung des Verstandes andeuteten. Endlich fiel sie in einen Schlaff / oder vielmehr in Ohnmacht. Nach dreyen Stunden aber fuhr sie auf /und fieng an: Helffet mir doch weinen! denn ein solcher Strom voll Blutes darff zu seiner Abschweiffung mehr Wasser / als zwey Augen austhränen können. Jedoch auch die Thränen sind keine taugliche Lauge ein so grosses Hertzeleid aus meinem Hertzen zu beitzen. Helffet mir also viel mehr: daß ich sterbe! weil ich zu leben mehr keine Lust / noch für mich selbst zu sterben genungsame Kräffte habe. Erbarmet euch doch mein! und seyd durch Verschrenckung des Todes gegen mich nicht unbarmhertziger / als Tiberius gegen meinen Thumelich. Es ist doch kein beschwerlicher Unvermögen / als sterben wollen / und nicht können; nichts beschwerlicher als das Leben /dessen man überdrüßig ist. Ismene und Zirolane sucheten alle ihre Scharfsinnigkeit die beweglichsten Freundschaffts-Bezeugungen herfür Thußnelden ein wenig zu hesänfften / und sie zu bereden: daß wie sie bereit gewust hätte der Nothwendigkeit zu gehorsamen / sie auch nunmehr der Vernunfft zu folgen sich entschlüssen solte! die bedrängte Tugend wäre ja fähig sich unmöglicher Dinge zu unterfangen / die Gedultige alles unerträgliche auszustehen. Aber sie blieb auf ihrer Meinung; ihre Tröster solten ihr Handlanger des Todes seyn. Denn / sagte /[1136] sie / mein zeither mehr mit Dörnern als Rosen ausgeflochtenes Leben dienet mir schon zum Wahrsager meines künfftigen Unglückes / und zur Nachricht: daß nichts als der Tod das Ende meines Elendes seyn könne. Ich habe mir schon bey vielen Zufällen eingebildet: daß kein Mensch oder zum wenigsten ich unglücklicher werden könte / der gestrige Tag aber hat mir gewiesen: daß die Sonne zwar nicht über den Thier-Kreiß /kein Adler über die Wolcken / aber das Unglück gar leicht über unsere Gedancken steigen könne. Ja es scheinet mit unglücklichen Menschen nicht anders /als mit einer rundten Kette beschaffen zu seyn / daß ein Unfall eben so / wie ein Ketten-Glied an dem andern hange / und nirgends kein Ende zu finden sey. Mein Verhängnüs hat mich zeither gleichsam bezaubert: daß weder meine Vorsicht noch meiner Freunde und Rathgeber Klugheit einen einigen Streich des erzürnten Himmels von mir haben ablehnen können. Mein Hertze sagt mir es gleichsam: daß mein Unstern noch nicht die Helffte seines Lauffes vollendet habe. Ein Schiffbruch / ein Unfall / eine Abstürtzung hat der andern die Hand gegeben; was ich für das Ende alles bösen gehalten / ist nur desselben rechter Anfang gewest / damit ich ja niemahls als mit dem Tode aufhörte unglücklich zu seyn. Das gestrige Ubel werdet ihr selbst zweiffelsfrey / noch mehr aber die / welche die zarte Empfindligkeit der Mutter-Liebe verstehen / für unermäßlich erkennen. Denn das durch Thumelichs Hals gegangene Beil hat mir mein Hertze zerschnitten. Aus seinen zerschnittenen Adern ist mein Blut geflossen / und sein Tod hat mich meines Lebens beraubet; aber diß Unglück ist doch nicht so groß: daß mir nicht noch ein grösseres zustossen könte. Denn das Elend wächst / ie weiter es laufft / wie die Flüsse / und vergrössert seine Krafft / ie tieffer es zu fallen hat. Die vergangene Nacht kan zwar keine Kohle schwartz genung abbilden; die meines Todes kan so finster nicht seyn. Sie ist die letzte meines liebsten Sohnes / aber die erste meiner Verzweiffelung gewest. Also habe ich in meinem Leben keine Ruh /sondern nur im Grabe zu hoffen. Thumelich fühlet zwar wol nicht mehr seine Wunden / aber ich seine Schmertzen! So offt als ich an das blutige Schauspiel dencke / verliere ich meine Vernunfft; und ich werde nicht aufhören zu sterben / biß ich mein Leben eingebüßt habe. Ich bin auch der betrübten Ruh nicht fähig / in die man nach einer grossen Müdigkeit fällt / weil mich alle Stunden ein neues Unheil oder ein schrecklicher Traum aufwecket. Ja weil mich mein Unglücke so sehr verfolgt / bin ich bekümmert: ob selbtes mit meinem Leben aufhören / oder nicht noch ein neues wie ein junger Phönix aus meiner Todten-Asche werde lebendig werden. Uber diesen Worten kam Hermengarde in ihrer nun angenommenen Frauen-Tracht in das Zimmer / und fieng an: Es ist freylich was seltzames / aber doch nichts unmögliches: daß man das alte Wesen aus desselben Asche herfür bringe. Sie mäßige also / Thußnelde / ihren Schmertz /oder vielmehr / wo ich ohne ihre Gefahr ihr was gutes sagen darff / ihre Freude. Thußnelde sahe Hermengarde starck an und über eine weile sagte sie: du must wol nicht wissen / was eine Mutter / weniger was Thußnelde sey / wenn du dir träumen läßt; daß mein Hertze sein Lebtage ein Gefässe der Freuden werde abgeben können. Hermengarde fiel ein: Es ist in ein trauriges Hertze durch gute Botschafft einen freudigen Geist einzugiessen nicht weniger unmöglich / als daß aus dem mit stetem Eiß bedeckten Berge Hecla Feuer-Flammen fahren. Thußnelde antwortete: Schweig /schweig / Hermengarde! Mein Hertze ist von Traurigkeit durch und durch gefroren / und kein Sonnenschein des Glückes wird selbte mein Lebtage aufthauen. Hermengarde versätzte: Ach! Thußnelde / wie ungleiche kan ihm der Mensch werden! Welch eine Beschwererin ist[1137] die Natur! welch ein Zauber-Gärthe das Glücke. Es zernichtet im Augenblicke alles Ubel; es treibet alle Finsternüß aus dem Verstande / alle Beschwerligkeit aus dem Hertzen; es erhebet uns über uns / verwandelt uns in andere Menschen oder vielmehr zu kleinen Göttern. Dieses alleine ist wahrhafftig das beruffene Kraut Nepenthes / welches auch eine verzweiffelnde Niobe nach Verlust aller ihrer Kinder freudig machen kan. Thußnelde brach ein: der grausame Raub meines einigen Thumelichs ist mir mehr /als andern Müttern der Verlust hundert Kinder. Auf der Welt ist ja nichts / welches mir ihn gleichgültig ersetzen kan. Hermengarde begegnete ihr: Aber er selbst ist ja eine vollkommene Ausgleichung. Thußnelde fieng an: Ich weiß nicht: ob du meines Ja ers noch spottest / oder du mich als eine träumende äffest. Bistu alleine / die du mit einer verzweiffelnden Mutter nicht Mitleiden haben kanst? Hermengarde antwortete: Niemand hat vielleicht noch in der Welt mit einer Bekümmerten hertzlicher Mitleiden gehabt /als ich mit Thußnelden; und wie könte ich dir bessern Beweiß bringen / als daß ich ihr für ihren verlohrnen Thumelich einen andern Thumelich geben wil. Thußnelde versätzte: Nun sehe ich: daß du selbst nicht bey Si en bist / in dem du in deinen thu en Gedancken einen Menschen / wie Jupiter in seinem Gehirne eine Pallas zeugest. Bildest du dir ein Orpheus zu seyn / welcher aus dem Lande der Todten verstorbene zurück holen kan? Führet sie doch von mir weg: daß sie durch ihren Wahnwitz nicht meinen Schmertz vergrössere. Wolte Gott! sagte Hermengarde / daß alle Wahnwitzige so viel Kräffte hätten Betrübte zu erfreuen / als ich. Aber ich muß meiner Begierde sie zu vergnügen / und der Frühzeit ihrer Freude was abbrechen: daß ich Thußnelden nicht mehr schade als nütze. Denn die Hefftigkeit dieser Gemüths Regung nimt dem Menschen alle Bewegung / hemmet ihm die Sinnen / erstecket die natürliche Wärbde aus; ja raubet zuweilen denen / welche den Lauff ihrer Freude nicht hemmen können / gar das Leben. Thußnelde fieng an: Ich weiß nicht / wie ich mit Hermengarden daran bin? ob ich mit einem alberen / oder klugen Menschen rede? Hermengarde versätzte: Es ist nicht so wol zu sehen / von wem / als was geredet wird. Sie lasse sich vergnügen: daß ich ihr was gutes sage / und noch was bessers / nemlich einen andern Thumelich geben wil. Wil sie denn die / welche ihr ein so herrlich Geschencke anbeut / allererst rechtfertigen? Ach! Hermengarde / fiel Thußnelde ein: Meinestu nicht: daß du durch ein Gemählde meines ermordeten Sohnes mir mehr die Wunden aufreissen als verbinden werdest? Hermengarde sagte: Ich wil ihr keinen gemahleten / sondern einen lebenden Thumelich überlieffern / wo du ihn nur verlangest. Thußnelde antwortete: Es ist eine so grosse Thorheit was unmögliches verlangen / als solches versprechen. Hermengarde begegnete ihr: Es ist aber eine desto grössere Kunst / und bringet so viel mehr Ehre etwas leisten / was andere für unmöglich halten. Kan man Blumen aus ihrer Asche verjüngen / warum nicht auch Menschen? Thußnelde brach ein: Ich höre wol / du wilst mich durch Zauberey / oder durch Spiegel bländen. Nein / nein! Ich mag weder von diesen Künsten was hören / noch kan ich mich mit Schatten oder einem falschen Lichte vergnügen. Hermengarde versätzte: Sie zweiffele doch nicht: daß ich ihr ihren wahrhafften Sohn in ihre Hände gewehren wil. Thußnelde antwortete: vielleicht seine Asche / und die Uberbleibungen seiner verbrennten Gebeine? diese können die Stelle meines Sohnes nicht ersätzen / und sie werden mein Hertzeleid nur noch bitterer machen. Aber gib sie mir doch: daß ich sie mit meinen Thränen befeuchte / in meine Schoß verwahre / oder sie durch mein Geträncke in meinen Leib begrabe: daß kein Wütterich nicht noch etwan sie in die Lufft oder ins Wasser schütte: Hermengarde[1138] sagte: Ich wil ihr keine Gebeine / keine Leiche / keinen Schatten / kein Bländwerck / kein Gemählde / kein Gespenste / sondern einen lebenden Thumelich lieffern. Hiermit gieng sie aus dem Zimmer / brachte etwas verhülltes mit sich hinein / welches nach Hinwegnehmung des Tuches den Thumelich wahrhafftig zeugte; welcher zu Thußnelden eilte / für ihr auf die Knie niederfiel / ihr die Hand küste und sagte: Ich lebe / liebste Mutter /damit sie ja meinet wegen nicht sterbe! Thußnelde /Ismene und Zirolane erstarrten über diesem Anblicke / und wusten nicht wie ihnen geschahe. Insonderheit vergaßen an Thußnelden alle Sinnen ihres Amptes; die Augen standen unbeweglich / ja alle Lebens-Geister hemmeten ihre Würckungen / und endlich sanck sie ohnmächtig auf ihr Bette nieder. Also hat übermäßige Freude mit grosser Bestürtzung einerley Würckungen. Hermengarde / welche die seltzame Eigenschafft dieser Gemüths-Regung wol verstand / und diesen Zufall vorgesehen / auch destwegen so viel Vorredens vom Thumelich gemacht hatte / war schon mit dienlichen Mitteln versehen / dadurch sie Thußneldens Ohnmacht geschwinde / und ihr wieder zurechte halff. Denn die Freude hat in- und bald nach ihrer Geburt die gröste Stärcke; und die Zeit schwächet und mindert sie gleichsam von einem Augenblicke zum andern. Sie sperrete also die Augen auf / warff sie auf den für ihr knienden Thumelich / und fieng mit einer schwachen und zitternden Stimme an: Mein Sohn! bist du es? oder träumet es mir? In alle wege /antwortete er. Ich bin der leibhaffte Thumelich. Lebest du? oder bin ich verblendet? hob Thußnelde abermahls an. Ja / ja / sagte er / ich lebe. Sie hingegen: Wer hat dich denn dem Tode aus den Klauen gerissen? Thumelich versätzte: Unsere allertreueste Hermengarde. Hierüber umfaßte Thußnelde ihren Sohn /und konte sich an seinen Küssen nicht ersättigen. Und da sonst Furcht und Traurigkeit die Leute stu ; Freude / Zorn und andere Regungen aber / welche sich mit dem Guten armen / das Ubel aber antasten / beredsam macht / so hatte diese Ergetzligkeit Thußneldens Zunge derogestalt gebunden; oder sie hatte sich im Küssen so verlohren: daß sie lange kein Wort aufbringen konte. Auf ihrem Munde vermählte sich Lächeln und Traurigkeit / in ihren Augen Anmuth und Thränen / und ihr nun wieder lebendig werdendes Hertze stieß einen Seufftzer nach dem andern aus; gleich als wenn keine Ergetzligkeit in der Welt vollkommen seyn könte / sondern jede sich mit Freuden anfienge oder endigte. Ismene und Zirolane blieben nichts weniger auf einem solchen Scheide-Wege des Traurens und der Freude; daher unterließ Hermengarde nicht sie aufzumuntern und zu ermahnen: sie möchten doch die trüben Wolcken aus ihren Augen und Hertzen vertreiben. Man müste eine fröliche Stunde mitnehmen /und das Unglück zuweilen mit dessen Vergessung oder mit denen sich zeigenden Sonnen-Blicken verzuckern. Wäre ihre itzige Freude gleich unvollkommen / indem sie noch in ihrer Gefangenschafft bestrickt wären; so müste man doch hoffen: daß GOtt /welcher dem Thumelich die Schlösser des Todes zerbrochen hätte / noch leichter die Fessel der Dienstbarkeit zerwürgen könte. Die Sonne wäre nicht frey von Flecken und Finsternüs / und dennoch die nützlichste und behäglichste Sache der Welt: also müste die noch übrig gebliebene Düsternheit die Vergnügung ihrer Freude nicht entziehen. Denn diese wäre das Licht alles andern guten; und wenn man alle Freude vom Leben wegnehme / würde nichts als Schrecken und Verwirrung übrig bleiben. Unser Leben würde ein unaufhörlicher Lauff des bösen / nicht der Jahre / unsere Sinnen Pforten des Schmertzens / keiner Erkäntnüs /ja die Wissenschafft selbst eine Anfechtung der Gemüther / und die Tugend eine beschwerliche Dienstbarkeit seyn. Also möchten sie doch ihrem Hertzen durch eine kleine[1139] Freudigkeit die benöthigte Stärckung beybringen / sonder welche die Seele kranck /alles gute ohne Licht und Werth wäre. Hierüber erholete sich endlich Thußnelde: daß sie von ihrem Sohne abließ / Hermengarden umarmte / und nach etlichen Küssen und Ausdrückungen ihrer Verbindligkeit /daß sie durch Wiedergebung ihres Sohnes ihr zugleich das Leben geschenckt hätte / bat: sie möchte ihr doch das Wunderwerck / wie sie ihren zerfleischten und verbreñten Sohn wieder lebendig gemacht hätte / entdecken? Sie hätte allemahl für Getichte gehalten: daß der in einer Schlacht gebliebene Eris Pamphilius nach zehn Tagen / als man ihn auf einen Holtzstoß gelegt / und das Weib / von welchem Heraclides Ponticus ein absonderlich Buch geschrieben /nach dreißig Tagen / wie auch Aristäus und Thelpesius solten lebendig worden seyn. Nachdem aber ihr zu Asche gebrennter Sohn wieder lebte / würde sie andere Gedancken fassen müssen. Hermengarden flossen bey dieser Frage die Thränen häuffig aus den Augen / und sie sagte: Es hätte mit Thumelichen eine gantz andere Bewandnüs. Es wäre ihr aber seine Errettung fast leichter gewest / als ihr itzt dessen Erzehlung fallen dörffte. Gleichwol aber wolte sie sich mühen ihnen hiervon nichts zu verschweigen. Sie hätte zwar alle Mittel in der Welt versucht den jungen Thumelich aus den Händen des Apronius zu spielen; nach dem aber alles vergebene Arbeit gewest wäre /hätte sie den Bau des Drusischen Heiligthums betrachtet / und befunden: daß das Altar hol und gewölbet wäre / und darinnen etliche Opffer-Geschirre verwahret würden. Diese Beschaffenheit schien mir eine beqveme Gelegenheit zu seyn einen grossen Menschen / noch vielmehr aber einen Knaben darunter zu verstecken / welcher bey der Opfferung mit dem Thumelich leicht könte verwechselt werden. Dessen Einrichtung aber schien ein Werck von grosser Schwerigkeit zu seyn. Ich verfügte mich also zum Fürsten Siegemund / welchen ich in einer halben Raserey und in noch beständigem Vorsatze antraf sich bey dem Altare des Drusus selbst zu opffern. Ich hielt ihm aber ein: daß sich zwar Gifft mit Giffte heilen / aber das Laster der Grausamkeit sich durch das der Kleinmüthigkeit nicht auswetzen ließe. Sich selbst aber hinrichten wäre die gröste und schändlichste Zagheit in der Welt. Wenn er mir aber an der Hand stehen wolte /traute ich dem Thumelich das Leben / ihn aber frey von beyden Lastern zu erhalten. Siegemund umhalsete mich und versprach mir in allem zu folgen / und mir zur Danckbarkeit die Botmäßigkeit über sein gantzes Leben einzuräumen. Hierauf sagte ich ihm: daß ein ander Knabe / den ich ihm schon liefern wolte / unter dem Altare versteckt / und mit dem Thumelich verwechselt werden könte. Er solte sich nur um einen getreuen Menschen bekümmern / der den andern Knaben dahin ins geheim brächte. Siegemund fieng an zu wancken / und sagte: Er könte so wenig eines andern unschuldigen Kindes / als Thumelichs Mörder seyn. Ich aber hielt ihm ein: daß nicht alle Tödtungen unrecht wären; denn sonst würde er auch im Kriege nicht haben den Degen zücken können. Siegemund antwortete: Es liesse sich von offenbaren und sich wehrenden Feinden auf unschuldige Kinder keinen Schluß machen. Ich versätzte: dieser Knabe den ich ihm verschaffen wolte / würde für den Thumelich willig sterben; was einer aber mit Willen litte / wäre kein ihm angethanes Unrecht. Siegesmund brach mir ein: Unmündige Kinder hätten keine Gewalt über ihr Vermögen / weniger über ihr Leben; ja auch gar kein erwachsener Mensch kan sein Leben jemanden verpfänden / weniger ihm selbst nehmen. Ich sätzte ihm aber entgegen: daß diß in alle wege für das Heil des Vaterlandes zu thun nicht nur zuläßlich / sondern rühmlich wäre. Was könte er aber Deutschlande nützlichers thun / als wenn er den jungen Thumelich eines[1140] so grossen Fürsten Sohn / eine so grosse Hoffnung des Vaterlandes durch seinen Tod erhielte? Wordurch ich denn endlich mit grosser Noth Siegemunden zur Einwilligung brachte; welcher aber keinem Menschen als mir die Versteckung eines andern Knabens unter das Altar anvertrauen wolte. Damit auch solches desto sicherer geschehen könte / ließ er um den Fuß des Altares einen steinernen Umschrott / und für die Höle eine eiserne etwas durchbrochene Thüre machen. Um Mitternacht vorher verfügte ich mich in Gestalt eines weissen Gespenstes / zu welchem Scheine ich denn eine glüende Kohle zwischen die Zähne nam / mit dem zum Opffer wahrhafftig erkieseten / und zwar nach der Gewohnheit bekleideten / aber mit einem weissen Tuche verhüllten Knaben dahin / schloß ihn in die Höle des Altares ein / gab dem Fürsten Siegemund den Schlüssel und alle Nachricht; welcher ihn hernach heraus nam / und statt des darunter versteckten Thumelichs opfferte. Ich aber habe umb Mitternacht dieses edle Opffer aus seinem Kercker erlöset /und niemanden sicherer als seiner Mutter einzuliefern gewüst. Hilf Himmel! fieng Thußnelde an zu ruffen; wer kan in der Welt sich an Treue und Klugheit Hermengarden gleich achten! Aber wer ist dieser aufgeopfferte Knabe gewest / und wer hat ihn beredet: daß er ohne Widersätzligkeit sich dem grausamen Opffer-Veile unterworffen? diese Frage gieng Hermengarden durchs Hertze: daß sie aufs neue eine hefftige Wehmuth überfiel. Nach vielen Seufftzern und Thränen fieng sie an: Ich weiß nicht / ob ich es sagen darf / und wie ich es gegen meinen Ehmann dem Grafen von Hanau verantworten werde: daß ich seinen und meinen Sohn / welchen ich durch einen getreuen Catten zu dem Ende hieher beruffen / dem Drusus habe abschlachten lassen. Alle Anwesenden erblaßten über dieser Zeitung. Thußnelde aber fieng an: O grausame / oder vielmehr unsinnige Mutter! welch Tyger /welche Schlange tödtet / was sie selber gebohren /außer dem ungeheuren Crocodil / der ein Theil seiner Jungen frißt? Welche Liebe ist über Mutter-Liebe? Welche Grausamkeit aber über deine? O unglücklicher Thumelich! daß dich zu erhalten eine so edle und tugendhaffte Mutter zur Kinder-Mörderin werden müssen! O unbarmhertziger Siegesmund! wie hast du deine Hände in so unschuldigem Blute waschen können? O grausames Verhängnüs! wie daß du denn mir alle Glückseeligkeiten gleichsam nur im Traume zeigest / und sie geschwinder als einen Schatten verschwinden läßt? Wie sehr hast du mir schon die Errettung meines Sohnes durch den Verlust seines unschätzbaren Lösegeldes verbittert! Als Hermengarde Thußnelden also wehklagen hörte / verhärtete sie ihr Hertze / entschüttete sich aller Empfindligkeit / und fieng an: Sie irret / holdseelige Thußnelde! denn wie hätte meines Sohnes Blut und Leben köstlicher / als für Deutschlandes künfftiges Heil angewehret werden können? Viel Mütter hätten zu Carthago ihre Kinder /Misa der Moabiter König seinen Sohn bey sich ereignender Noth geopffert; da sie doch nicht gewüst: ob ihre abergläubische Andacht sie das geringste helffen würde. Ihr Sohn aber wäre versichert gewest: daß sein Tod den jungen Fürsten Thumelich dem Vaterlande zum besten erhalten würde. Diesemnach er auch ohne einiges Bedencken und mit Freuden dieses Glücke zu sterben annam / und mir danckte: daß ich an seiner Hertzhafftigkeit nicht gezweiffelt hätte. Ismene fiel ein: O der unvergleichlichen Tugend dieses Knaben! welcher in seiner Kindheit sich zum grösten Helden der Welt gemacht hat! Carthago rühme nicht mehr seine sich in Sand lebendig begrabende Philenen! Syracuse schweige vom Damon und Pythias / derer einer sich für den andern zum Blutbürgen dem grimmigen Dionysius stellte. Denn dieser war der Freundschafft seines Gefärthen: daß er ihn nicht würde[1141] im Stiche lassen / allzu wol versichert; aber Hermengardens Sohn hat für den Thumelich sich unmittelbar dem gewissen Tode gewiedmet. Auch der für andere sterbende Alcestis / Admetus und Eumelus Pharaus haben sich mit diesem jungen Hanau nicht auf die Wagschale zu legen. Unsere Nachkommen werden diesen für einen Halb-Gott zu verehren mehr Ursach haben / als die Eleer das Kind / welches sich an der Spitze ihres Heeres in einen Drachen verwandelt / und der Arcadier Heer in die Flucht gejagt haben soll. Thußnelde umarmte Hermengarden aufs neue und küssete sie unzehliche mahl / weil ihr alle Worte viel zu leichte waren ihre Liebe und Danckbarkeit auszudrücken. Hermengarde aber sagte; Thußnelde möchte doch gegen ihr wegen Abstattung ihrer Pflicht sich nicht so tief erniedrigen / weil Unterthanen ja ihr eigen Blut /also auch ihre Kinder ihren Fürsten und dem Vaterlande zu opffern schuldig: ja nicht gemeiner wäre / als daß Menschen beydes ihrer Ehrsucht oder einer geilen Uppigkeit halber verschwendeten. Es wäre vielmehr hohe Zeit vor zu sinnen / auf was Weise Thumelich aus fernerer Gefahr gerissen / und ihr lobwürdiger Betrug nicht dem blutdürstigen Tiberius verrathen werden möchte. Thußnelde sagte: Sie vertraute ihren Sohn in die Hände Hermengardens / an welchem numehr eine so viel als die andere recht hätte. Ihre Treue und Klugheit würde den / welchen sie vom Tode errettet / auch vollends aus den Händen der Römer zu spielen wissen. Sie gelobete aber: wenn ihr GOtt und das Glücke wieder die Freyheit gönnte / dem jungen Hanau bey dem Tanfanischen Heiligthume ein köstlicher Gedächtnüs-Mahl / als welches dem Drusus aufgerichtet wäre / wiewol selbtes / wenn uns diese seltzame Geschichte zu offenbaren rathsam seyn wird /mehr von diesem Knaben / als dem Drusus reden würde. Hermengarde verkleidete den jungen Thumelich in ein Mägdichen; und nach dem ihn seine Mutter noch hundert mahl geküßt hatte / nahmen sie wiewol einen wäßrichten Abschied. Kurtz darauf fand sich Agrippine ein; welche kaum begreiffen konte / wie Thußnelde ihr grosses Hertzeleid entweder so verbergen / oder mit Hertzhafftigkeit vertragen könte. Nach vielen beweglichen Betheuerungen aber brachte sie ihnen zu Troste einen Brieff vom Germanicus herfür /darinnen er sie dem Käyser geschrieben zu haben versicherte: daß / dafern Tiberius Gallien und Rhetien nicht in euserste Gefahr setzen wolte /: könte er vom Rheine nicht ehe / als biß mit den Deutschen ein Friede gemacht / oder der Krieg in bessern Stand gesätzt /sein Nachfolger auch von vielen Geheimnüssen unterrichtet wäre / sich entfernen. Syllanus verstünde die Morgen-ländischen Sachen auch besser / als er sie in etlichen Jahren lernen würde. Hingegen würde Drusus / den er gerne zum Gefärthen haben wolte / in Deutschland auch guter Anweisung von nöthen haben. Denn wenn man mit den Deutschen in gleichem Felde zu thun hätte / könte man noch wol mit ihnen zurechte kommen. Aber sie wüsten sich ihrer Wälder und Sümpffe so wol als des kurtzen Sommers und frühen Winters zu bedienen. Die Römer würden von ihnen mehr durch verdrehtes hin- und herziehen abgemattet / als ihnen durch Treffen Abbruch geschehe. Man müste wider diesen Feind so wol andere Waffen / als Krieges-Künste gebrauchen. Endlich hätte er auch dem Käyser gerathen: er möchte doch wegen Abgang des alten Kriegs-Volckes die Römischen Gefangenen gegen das deutsche Frauenzimmer /welches denen Römern nichts schaden könte / und er sich im Sieges-Gepränge zu führen schämte / auswechseln lassen.

Mitler Zeit gab Siegesmund zum Scheine / Flavius aber wahrhafftig seine Empfindligkeit über dem grausamen Opffer so viel freyer zu verstehen; weil fast niemand unter den Römern war / der selbtes nicht unbilligte / und das zum[1142] Aberglauben geneigte Volck sich mit allerhand Zeitungen trug: daß der Schutz-Geist selbigen Ortes durch das verspritzte Blut aufrührisch gemacht / und von vielen Gespenstern das Drusische Altar beunruhiget worden wäre. Flavius ließ es auch darbey nicht bewenden; sondern er schrieb nicht alleine destwegen an Germanicus / an Hertzog Melo und Ganasch: daß sie solches anthen /uñ durch ihre Empfindligkeit mehrer Grausamkeit der Römer gegen die Deutschen vorbeugen solten. Als Hermengarde von dieser guten Meinung des Flavius versichert ward / entdeckte sie ihm die Erhaltung des Thumelichs; lieferte ihm auch selbten / nach dem Flavius vorher geschworen hatte ihn in Freyheit zu bringen / zu seiner grossen Freude in seine Hände; weil sie ihn beym Siegesmund / auf dessen Thun die mißträulichen Römer eine genaue Aufsicht hatten / nicht traute. Flavius / um den Thumelich in Sicherheit zu sätzen / kauffte von den Römern eine Anzahl Cattischer Knaben und Mägdichen / welche sie bey des Domitius Einfalle mitgenommen hatten / mit dem Vorgeben einen Römischen Hauptmann / welcher mit ihm in Africa gewest und auf dem Taunischen Gebürge gefangen worden war / mit diesen zu lösen. Er schickte zu dieser Behandlung unter erlangtem sicheren Geleite den Ritter Gudeweg zum Rhein-Grafen /welcher in dem Altare des Bacchus wegen des Feldherrn Stadthalter war; diesem ließ er das Geheimnüs vom jungen Thumelich vertrauen. Daher denn auch durch seine Vermittelung der verlangte Römische Hauptmann von Catten loß gelassen und dem Gudeweg ausgeliefert ward. Dieser hingegen brachte die behandelten Kinder und darunter den Thumelich dem Rhein-Grafen; dieser aber ihn dem Feldherrn zu; welcher seit erlangter Zeitung: daß sein Sohn zu Mäyntz solte geopffert werden / und nun / daß es geschehen wäre / feste glaubte / wütete / tobte / und die gantze Nord-Welt wider die grausamen Römer in Harnisch zu bringen sich bearbeitete. Als der Rhein-Grafe nun für den Feldherrn kam / rechtfertigte er ihn nicht ohne Entrüstung: warum er sich unterstanden hätte / ohne sein Vorwissen die ihm anvertraute Festung zu verlassen? sagte er ihm: Sie wäre unter des Ritters Ingelsheim Aufsicht in guter Sicherheit; er aber brächte dem Feldherrn ein so unschätzbares Geschencke / welches er keinem andern Menschen hätte vertrauen können; übergab ihm auch noch selbigen Abend ins geheim in einem dazu erwehlten Jäger-Hause den jungen Thumelich. Weil er diesen nun gewiß für todt gehalten hatte / ist unschwer zu ermässen: ob er ihn mit viel schwächerer Gemüths-Regung als Thußnelde bewillkommt habe. Ihn vergnügte hierbey auch nicht wenig: daß gleichwol seines Brudern Flavius Gemüthe nicht so gar arg / als er ihm eingebildet hatte / müste vergället seyn. Damit er nun bey den Römern nicht in Verdacht käme / hielt der Feldherr auf des Rhein-Grafen Gutbefinden für rathsam / diesen wieder gefundenen Schatz auch noch eine zeitlang für den Cheruskern zu verbergen; wiewol er seine hertzliche Freude so wenig verstellen konte: daß der Cheruskische Hof die Ursache seiner so geschwinden Veränderung nicht ergründen / noch von dem Rhein-Grafen erfahren konte. Nach dem aber der Rhein-Grafe vierzehn Tage weg war / brachte der Feldherr seinen Sohn unvermuthet aus der Bildnüs ins Licht / vorgebende: daß GOtt ihn so wundersam und warhaffter aus den Klauen der Römer / als Diana Iphigenien aus den Händen und vom Messer des Calchas errettet; und wie diesem eine Hindin / also jenem einen andern Knaben untergesteckt hätte. Die Cherusker wurden hierüber nicht nur hertzlich erfreuet / sondern hielten auch den Feldherrn viel höher als vorhin / und für einen Helden /welchem GOtt zu Liebe so grosse Wunderwercke ausrichtete. Weil er nun nicht nur / was wahr war / fürgab; nemlich:[1143] daß GOtt wunderbar seinen Thumelich erhalten und wieder geschenckt hätte / konte ihm kein Mißbrauch des Glaubens von GOtt beygemässen werden / indem sich die Art seiner Erlösung nicht ohne Nachtheil entdecken ließ / die Verschweigung der Geheimnüsse auch kein Verbrechen ist. Daher man schlechterdings nicht sagen kan: daß kein Fürst Andacht und Gottesdienst zu einem nützlichen Werckzeuge seiner Herrschafft gebrauchen könne / wenn man nur nicht dem Gottesdienste oder GOtt selbst einen Firnß von Lügen antichtet / mit dem Numa /Sartorius und Marius sich geheimer Gespräche mit den Göttern rühmet / mit dem Attalus und dem Chaldeischen Priester Sudin in die Eingeweide des zum Opffer bestimmten Ochsen eine falsche Schrifft / welche dem Könige Sieg andeutete / verstecket; mit dem Könige der Serer Fohy das albere Volck überredet: daß er seine Stern- und Glücks-Taffeln von dem gestirnten Rücken eines aus dem Wasser steigenden Drachens / welchen die Serer für das Zeichen des Glückes halten / abgebildet / und mit dem Könige Ein: daß ihm / als er geopffert hätte / ein göttlich Bild und damit die Herrschafft des Serischen Reiches vom Himmel durch den Geist des Fohy überantwortet worden wäre. Denn ob zwar das abergläubische Volck durch solche über die Natur und die Vernunfft lauffende Bländungen eine zeitlang im Gehorsam gehalten / und zu allem / was man wil / verleitet werden kan /so beleidiget man doch dadurch GOtt; man thut dem wahren Gottesdienste dardurch Abbruch; und verursacht: daß / wenn die Falschheit verrathen wird / die Menschen keinen Gott glauben; also auch keinen Fürsten mehr fürchten. Die Zeitung von dem lebendig gewordenen Thumelich breitete sich durch gantz Deutschland aus / und kam eben nach Mäyntz / als auch von Rom geschrieben ward: daß sich auf dem Eylande Planasia die Asche des auf des Tiberius Befehl ermordeten Agrippa aus dem Grabe verlohren /und er selbst sich lebendig in der Hetrurischen Stadt Cosa / und in Gallien an vielen Orten gewiesen und erzehlet hätte: wie wunderbar er durch Hülffe der Götter erhalten worden wäre. Beydes ward anfangs von den Klügern als ein eiteles Geschrey verachtet; es lieffen aber aus beyden Orten ie länger je mehr von Leuten / welche so wol den Thumelich gesehen hatten / umständliche Nachrichten ein. Ja endlich schrieb man von Rom: daß Agrippa zwar anfangs sich aus Furcht für dem Tiberius von einem Orte zum andern heimlich fortgespielet / und nur des Nachtes sich sehen lassen hätte; nach dem er aber von dem neubegierigen Volcke einen so grossen Anhang bekommen / wäre er mit einer unglaublichen Menge Volckes zu Ostia eingezogen / und stünde Tiberius in grossen Sorgen: daß er sich gar nach Rom / wo schon viel heimliche Zusammenkunfften gehalten / und vom Pöfel die Frage auf die Bahn gebracht würde: ob nicht Agrippa / als der wahre Enckel des Käysers August /näher als der Stief-Sohn / zum Reiche gehörte? Wie sich denn auch diese Zeitung in Wahrheit also verhielt: daß Tiberius in grossen Kummer gerieth: ob er dieses Agrippa sich mit Gewalt bemächtigen; oder /weil er ihn für einen Betrüger und für einen verwegenen Knecht des Agrippä Nahmens Clemens hielt / die eitele Leichtgläubigkeit des Volckes mit der Zeit der Mutter der Warheit verschwinden lassen solte. Endlich übergab er das Werck dem Salustius Crispus solchem nach seinem Gutbedüncken abzuhelffen; welcher zwey vertraute Kriegs-Leute nach Ostia schickte / die ihm Geld gaben / ihm ihre Treue und Hülffe wider den sich mit Gewalt eindringenden Tiberius anboten / und unter der Versicherung: daß viel Rathsherren nach ihm seufftzeten / ihn sich nach Rom zu wagen beredeten. So bald sie ihn aber dahin brachten / stopfften sie mit Hülffe etlicher bestellten Gehülffen ihm einen Schwamm in Mund / daß er[1144] nicht schreyen konte; und schleppten ihn nach Hofe. Als ihn Tiberius nun fragte: Ob er nicht Agrippens Knecht Clemens wäre? antwortete er freymüthig: ja. Tiberius fragte ferner: wie er denn Agrippa worden wäre? sagte er lachende: wie du Käyser; nemlich durch List und Betrug. Tiberius ließ ihn hernach foltern; aber es war ihm kein Bekäntnüs auszumartern: daß jemand mit ihm unter der Decke läge. Auf keinen Rathsherrn oder Ritter / derer viel doch angegeben wurden / als wenn sie ihm heimlich mit Rath und Gelde beygestanden hätten / wolte Tiberius ihn befragen lassen; noch auch hatte er das Hertze ihn offentlich zu straffen / sondern er ließ ihn in einem Winckel erwürgen / und den Leib mit angehencktem Bley in die Tiber werffen. Tiberius berichtete seine Hinrichtung dem Germanicus als eine sehr vergnügliche Zeitung / und weil in der halben Welt des Thumelichs Leben als ein grosses Wunderwerck ausgebreitet ward / erinnerte er ihn: er solte sich solches in nichts irre machen lassen. Denn der Knabe / welchen Herrmann vielleicht seiner Aehnligkeit halber für seinen Sohn ausgäbe / damit man vielleicht so viel weniger Anlaß nehmen dörffte / mit Tödtung seines neulich gebohrnen Sohnes seinen Stamm zu vertilgen / würde zweiffelsfrey nicht besser sein Thumelich / als Clemens Agrippa seyn. Weil er aber besorgte: daß wegen des gerühmten Wunderwerckes nicht nur viel deutsche Völcker dem Herrmann /als einem GOtt sonderlich lieben Fürsten / aus Aberglauben beyfallen / sondern auch die Römer selbst gegen ihn zu fechten kleinmüthig werden dörfften /hielt er es nicht für rathsam den Germanicus so bald aus Deutschland abzufordern / sondern verstattete ihm aus dieser einigen Ursache / wiewol unter dem Vorwand: daß er seiner Bitte nach ihn seine Siege vollends wolte ausmachen lassen / noch einen Feldzug. Demnach auch Germanicus nach Rom berichtet hatte: daß alle mit den Römern verbundene deutsche Fürsten über Thumelichs Hinrichtung so grossen Unwillen blicken liessen / schrieb er ihm: er solte dieses Geschrey zum Vortheile und Mittel ihrer Besänfftigung gebrauchen / und nunmehr fürgeben: daß man die Cherusker wegen Aufopfferung so vieler gefangenen Römer nach des Varus Niederlage / durch angedrohete Abschlachtung des Thumelichs nur ein wenig hätte schrecken wollen; und daß man selbst mit Fleisse einen gemeinen Knaben statt des Thumelichs geopffert hätte. Wormit denn zugleich das gerühmte Wunderwerck einen mercklichen Stoß bekommen /und vieler Aberglauben verschwinden würde. Tiberius übersendete auch an Flavius / Melo / Ganasch /Malorich und Bojocaln güldene Kronen / Hals-Bänder / Purper-Mäntel / helffenbeinerne Stüle und andere bey den Römern hochgeschätzte / wenig aber austragende Geschencke / um durch solche Bländwercke sie auf der Römischen Seite zu erhalten. Hingegen sätzte der Feldherr Herrmann sich auch in gute Verfassung / brachte auch beym Melo / Ganasch / Malorich und Bojocaln zuwege: daß sie den Römern keine / oder wenn sie es ja thun müsten / weil sie ihnen mit ihrer Macht zu sehr auf den Hals kämen / eine sehr kaltsinnige Hülffe zu leisten / auch außer höchstdringenden Noth keinen Durchzug zu verstatten geheime Vertröstung thaten. Damit nun der Krieg dieses Jahr von denen deutschen Bund-Genossen mit so vielmehr Eintracht und Vorsicht geführet würde / hielt der Feldherr von nöthen: daß sie an einem gelegenen Orte möchten zusammen kommen um mit einander abzureden / wie bey ein oder anderm Einfalle sie einander beyspringen möchtẽ. Sintemal an diesem Feldzuge der deutschen Freyheit oder Dienstbarkeit zu hängen schien / indem Germanicus nicht nur sodenn gewiß aus Deutschland würde Abschied nehmen / und dem unerfahrnen Drusus die Stelle räumen müssen / sondern er auch[1145] für dißmahl die letzten und eusersten Kräfften zusammen züge / nach derer glücklichen Abtreibung Deutschland den Sieges-Krantz der unversehrlichen Freyheit und ihrer allen andern Völckern obliegenden Tapfferkeit erstreiten würde. Es ward hierzu die für fünff Jahren den Römern abgenommene Cattenburg erkieset / und fanden sich auf bestimmten Tag nicht nur der Feldherr / Hertzog Ingviomer /Arpus / Jubil / Catumer / Marcomir und Malovend ein; sondern es solten auch die Cattische Hertzogin /die Fürstin Catta / und viel vornehmes Frauenzimmer dahin folgen; weil Hertzog Arpus bey einer so ansehlichen Versammlung seine Tochter an den Hertzog Jubil vermählen wolte. Bey der Zusammenkunfft rieth der Feldherr alsbald: man solte dißmahl seine euserste Kräfften angreiffen / und darmit dem Kriege auf ein mahl ein Ende machen. Denn schläffrige Anstalt mehrte nur die Gefahr und Unkosten / liesse dem Feinde Lufft sich zu verstärcken und einzurichten. Auch kriegte ein verzagter Feind darbey ein Hertze; und je grösser eine langsame Macht wäre / je mehr verspielte sie von ihrem Ansehen. Insonderheit solten sie nicht den Ansprung versäumen / und weil die Deutschen ohne diß der Kälte und harten Wetters mehr / als die Römer und Gallier gewohnt wären /würde ihnen nicht weniger zum Vortheil als Ruhme dienen / wenn sie am ersten im Felde stünden / und den Feind antasteten / sich aber nicht suchen und angreiffen liessen. Der listige Feind könte sie sodenn nicht verführen / und sich stellen: ob er dar oder dort einbrechen wolte / noch ihnen / ehe sie ins Gewehre kämen / Schaden thun / weil er seinem eigenen Feuer vorher zulauffen müste. Hertzog Arpus war eben dieser Meinung / und sagte: die Catten würden den Verlust ihres zwischen dem Rheine und der Eder verbrennten Landes in vielen Jahren nicht verwinden und den Irrthum bissen: daß sie den Feind im eigenen Lande erwartet hätten / der nirgends schwächer wäre /als in seinem eigenen. Wenn auch ein Heer nicht in des Feindes Lande stünde / müste es sein eigenes verheeren; und / wenn es nicht durch frembde Leute aufgefrischt würde / verliere es alle Lust und Lebhafftigkeit. Kein Land wäre so vermögend Feind und Freund lange zu unterhalten; daher wüchsen die Unkosten /die Mittel nähmen ab / und die Gefahr würde immer grösser. Alle andere stimmeten dieser Meinung bey /nur Malovend nicht; welcher einwarff: die Römer wären niemahls stärcker gewest / als sie diß Jahr aufziehen würden. Germanicus hätte fast alle Kräfften aus dem Römischen Europa zusammen gezogen. Mit einem stärckeren Feinde aber wäre es rathsamer in seinem eigenen Lande zu kriegen / wo ihm alle Gelegenheit bekandt / alle Leute geneigt wären. Insonderheit dienten ihnen Deutschlandes Flüsse / Sümpffe und Wälder zu besonderm Vortheile / da sie in dem ausgehauenen Gallien leicht von der grossen Macht umringet / und durch den besätzten Rhein abgeschnitten werden könten. Deutschland wäre gegen dem Rheine ohne diß so verderbt und ausgesogen: daß der Feind darinnen wenig mehr Schaden thun / und ihm alle Lebens-Mittel würde müssen nachführen lassen. Uber diß würde man die Römer durch einen Einfall in Gallien so erbittern: daß man mit diesem unüberwindlichen Volcke in ewigen Krieg verfallen würde; und die Nachbarn / besonders Marbod / würde ihnen beymässen: daß sie als unruhige Leute ihnen Dienstbarkeit und Verderb selbst auf den Hals gezogen hätten. Ingviomer brach ein: Er wunderte sich / wie Malovend auf diese Gedancken käme / da niemand ärger als seine Marsen erfahren hätten: wie schädlich es sey den Feind und eine Schlange in seinem eigenen Buseme beherbergen. Es wäre ein so verderblich als furchtsamer Rath seinen Feind nicht erzürnen / und /seiner Einbildung nach / unversöhnlich machen wollen. Es wäre ja was unverträgliches: daß[1146] man einem mit der einen Hand Feuer auf den Halß würffe / mit der andern ihm Wasser zum leschen zulangte / mit dem einen Auge ihn durchstechen wolte / mit dem andern ihn liebkosete. Sintemahl kein Feind diese Begegnung für Wolwollen / sondern für Zagheit und Aberwitz aufnehmen würde. Ein schon einmahliger Feind würde durch keine Wolthat / sondern nur durch seine Entwaffnung und wenn man ihn in den Stand gesätzt hätte: daß er nicht mehr schaden könte / versöhnet. Die Deutschen hätten / seinem Bedüncken nach / in nichts anderm verstossen / als daß sie den Römern gewiesen hätten: sie könten zwar ihnen schaden / aber sie wolten nicht. Denn hiermit hätten sie ihnen diesen schlauen Feind selbst auf den Halß gezogen. Nunmehr aber wäre es Zeit die Vertheidigung in eine Beleidigung zu verwandeln / und dadurch den Feind ihm vom Leibe zu halten. Der Krieg wäre eine Art des Feuers; wer es lange in seinen Händen behielte / verbrennte sich nur selbst. Ein einmahl ausgezogener Degen würde mit Schamröthe eingesteckt / der nicht mit dem Blute der Feinde rechtschaffen gefärbt wäre; er verletzte unsere eigene Ehre / oder den Feind. Bey so hertzhaffter Entschlüßung würden dem Feind alle Striche seiner Krieges-Anstalten verzogen werden / der halb Gallien über einer mächtigen Schiffs-Flotte arbeiten liesse / um darmit recht in die Eingeweide des innern Deutschlandes einzubrechen / wo es ihm an Unterhalte nicht mangeln könte. Die Friesen /Chauzen und Sicambrer stünden itzt gleichsam auf dem Scheide-Wege; und würden sich auf dessen Seite schlagen / welcher den andern angreiffen würde / und daher für den stärcksten gehalten würde. Also ward endlich der Schluß gemacht; Ingviomer solte mit dem Malovend der Römer Festung / welche sie an dem sich mit der Lippe vereinbarten Rheine gebaut hätten / und die ihnen allezeit zur Entkommung diente / belägern / Arpus / Jubil und Catumer / so bald Germanicus seine Macht hinunter züge / bey dem Altare des Bacchus über den Rhein gehen / der Feldherr aber / so bald er des Rückens sich versichert / wolte bey denen Menapiern und Eburonen einbrechen. Jeder ertheilte diesen Schluß zu vollziehen Befehl / und Hertzog Arpus machte zu Hertzog Jubils und der Fürstin Catta Beylager Anstalt / welche eben selbigẽ Tag mit ihrer Mutter / und vielem andern Frauenzimmer auf dem Schlosse Neidenstein ankam. Daselbst hatte Hertzog Arpus eine grosse Jagt angestellt / zu welcher er alle anwesende Fürstẽ lud. Auf den Morgen saß alles noch für Tage zu Pferde. Wie ihnen nun die erste Stallung geöffnet war / begegneten ihnen eine grosse Menge Satyren / Fauen und dergleichen Wald-Götter / welche mit vielerley Flöten / Schalmeyen und Pfeiffen die vornehmsten Gäste bewillkommten. Diesen folgten etliche hundert grün gekleidete Jäger / welche mit ihren Hörnern ein solch Gethöne machten: daß gleichsam das Gebürge sich davon erschütterte. Hinter diesen wurden etliche hundert Hirsche hergejagt; nach denen das Fräulein von Nassau in Gestalt der Britomartys / welche so wol die Fisch- als Jäger-Netze erfunden haben soll / vier und zwantzig in grüne Seide gekleidete / mit Jäger Spießen / Bogen und Pfeilen ausgerüstete Jungfrauen führete. Sie ritten alle auf zahmen Hindinnen; die Fürstin Catta aber war wie die Diana überaus prächtig angethan / und ward auf einem güldenen Wagen von vier schneeweissen Hindinnen geführt. Auf der Stirne hatte sie einen gesichelten über und über mit Diamanten schimmernden Mohnden; An der Seite einen güldenen Köcher / auf der Achsel einen solchen Bogen / in der rechten Hand einen Jäger-Spieß. Hinter dem Wagen folgten sechzig Jungfrauen zu Pferde / welche alle wie Wasser-Nymphen gebildet waren; weil Diana auch eine Vorsteherin der Wässer seyn soll; und hierauf die Fürstin Adelmunde / welche auf einem silbernen[1147] von vier Perlen-farbenen Pferden gezogenem Wagen / weil die Pferde vielleicht dem Neptun gewiedmet sind / die unweit davon flüssende Fulde vorbildete. Der Wagen hatte die Gestalt eines Ochsen; sonder Zweiffel / weil der Fluß Achelous / als er wider den Hercules wegen Deianirens kämpffen sollen / in solcher Gestalt erschienen. Sie hatte ein blaues mit vielen Perlen gestücktes Gewand / und auf ihrem Haupte zwey mit Edelgesteinen umflochtene Ochsen-Hörner; weil die Flüsse das Erdreich gleichsam wie die Ochsen durchwiehlen / und daher die Bilder der Flüsse entweder selbst wie Ochsen / oder in Männer-Frauen- und Knaben-Gestalt wie Bacchus mit Ochsen-Hörnern gemahlet werden. Denn weil man die ewigen Flüsse für was göttliches hält / ihre Häupter anbetet / die Hörner aber als Merckmaale grosser Kräffte den Göttern /und zwar dem Pan Bockdem Jupiter Wieder-Hörner zueignet / hat es dem Alterthume auch gefallen die Flüsse nicht anders aufzuputzen. Zuletzte kam eine Menge Auer-Ochsen / Hirsche / Füchse / Rehe /Hasen / und andere Thiere durch einander / und nach ihnen eine Anzahl gewaffneter Corybanten / und mit Tännen-Laube gekräntzter Priester; welche mit ihren Kessel-Paucken und Drommeln ein grosses Gethöne erregten. Auf einem bundten mit vier Löwen bespanntem Wagen folgte die Gemahlin des Hertzogs Arpus /in Gestalt Cybelens der Mutter des Apollo und Dianens / wie auch anderer Götter und Thiere. Sie hatte einen bundten Rock an / einen Krantz von Thürmen auf / in der einen Hand einen Zepter / in der andern einen Schlüssel. Uber diesem prächtigen Aufzuge wurden nicht nur die frembden Gäste / sondern auch Hertzog Jubil / welcher nichts von so geschwinder Ankunfft / weniger von so zierlichem Aufzuge das geringste wuste / höchst vergnüget. Insonderheit zohe die holdseelige Fürstin Catta eben so sehr aller Augen an sich / und erweckte in allen Gemüthern eine solche Freudigkeit / als das Bild der Pellenensischen Diana sein Antlitz von jedermann abwendete / die Bäume der Früchte beraubte / und sie unfruchtbar / die Menschen aber wahnsinnig machte. Nur diese letzte Würckung betraf den Fürsten Malovend. Denn seine alte Liebe glam nicht nur wieder an; sondern / weil ihm Catta in Gestalt Dianens nichts mehr menschliches /sondern eine Göttin der Schönheit zu seyn schien /ward er auf einmahl derogestalt gegen sie entzündet: daß er seiner selbst vergaß / und niemand zugegen war / der nicht seine Verwirrung anmerckte. Denn die weise Natur hat nicht nur die Zunge dem Menschen zu Entdeckung dessen / was er im Schilde führet / gegeben; sondern sie hat auch in seine Stirne und Augen gewisse Abbildungen seiner Gedancken eingepregt /welche ihn verriethen / wenn seine Zunge dem Hertzen teuschen und nicht gerade zu gehen wolte. Wie sehr nun gleich Malovend seine Regungen zu verdrücken vermeinte / so verrieth ihn doch sein Antlitz /in welchem das Ungewitter der Seele vielleicht kenntlicher ist / als wenn man einem gleich ins Hertze sehen könte. Er wuste so vielen auf ihn acht habenden Augen kein besser Mittel sich auszuwickeln / als daß er sich kranck stellte / und auf das nahe darbey auf einem spitzigen Berge liegende Schloß bringen ließ /wo auf des Hertzog Arpus Befehl die Ritter Hund und Dalwig ihn bedienten. Alleine weil so wol dem Hertzoge Jubil / als der Fürstin Catta / Malovends alte Neigung nicht unbekandt war / sahen beyde dem Malovend seine rechte Kranckheit allzu wol an. Denn die Liebe ist zwar blind / aber sie verräthet sich durch solche Verwirrungen / wie das Feuer durch den Rauch; und wenn andere Menschen nur zwey Augen haben / hat ihr die Eyversucht noch einmahl so viel. Sie liessen aber beyde weder gegen sich / noch gegen andere das geringste mercken; sondern weil ihre Liebe nunmehr im Hafen völliger Vergnügung angeländet zu[1148] seyn schien / halffen sie nicht allein bey der Jagt /auf welcher hundert Hirsche / dreyhundert wilde Schweine / zwantzig Bären / dreißig Luchse / und eine unzählbare Menge kleiner Wild geschlagen / und grossen theils von dem Frauenzimmer gefället wurden; sondern auch auf den Abend zu Neidenstein die angestellte Freude vermehren; insonderheit wieß sich Catta so wol in der Wild-Bahn eine geschwinde Jägerin / als in dem Zimmer eine leichte Täntzerin; also daß dieser Diana eben so wol / als der zu Elis Flügel auf den Rücken / ein Pardel auf die rechte / ein Löwe auf die lincke Seite hätte gestellet werden mögen. Der Hertzog Jubil wolte bey dieser Lust auch seine Pflicht und Geschickligkeit nicht vergessen; sondern er kleidete sich selbigen Abend für den Fluß Alpheus aus /und tantzte mit Catten das Getichte / wie Diana bey dem Letrinischen Nacht-Tantze sich mit Färbung ihres Antlitzes unter die Nymphen versteckte / und diesen verliebten Fluß äffete. Malovend wolte seiner ihm früh zugestossenen Schwachheit eine Farbe anstreichen / und daß solche aus einer gegen Catten tragenden Liebe herrührte / verstellen; daher mischte er sich in Gestalt des in die Britomartys verliebten Königes Minos in den Tantz / und drückte darinnen dasselbe / was er gegen der Fürstin Catta im Hertzen führte / gegen das Fräulein von Nassau mit Gebehrden aus. Beyden aber schien dieser Tantz eine so übele Wahrsagung ihrer unglücklichen Liebe zu seyn / als er im Getichte dem Alpheus und Minos gewesen seyn soll. Hertzog Catumer hielt sich ebenfalls verpflichtet seiner Adelmunde eine Lust zu machen / also erschien er als der Berg Melibock mit einer Menge Wald-Götter auf dem Tantz-Saale / und stellete seine zu dem Flusse Fulde tragende Neigung darinnen für. Weil es nun noch fünf Tage zu dem Vollmonden und also zu der bestimmten Vermählung Jubils und Cattens war / führete Hertzog Arpus die gantze Versammlung des Morgens auf eine neue Jagt aus. Wie wol ihnen nun darbey alle Fürsten seyn liessen; so unruhig war Malovend mit sich selbst; daher er auch aller Gemeinschafft sich entschlug / und kein ander Wild als die Einsamkeit suchte. Hiermit gerieth er in einen sehr dicken Wald / wo keine Spure eines Thieres weniger eines Menschens zu sehen war / und er bey nahe mehr weder vor-noch hinter sich konte. Nach dem er sich aber durch ein Theil des Gehöltzes durchgearbeitet hatte / fand er eine kleine Bach / welche er ihm zum Wegweiser erkiesete und an selbter hinauf ritt / also biß an derselben Ursprung zu einem frischen und hellen Brunnen kam. Rings herum war ein Kreiß in die Erde mit vielen seltzamen Zeichen gemacht / welchen Malovend eine ziemliche Weile betrachtete; endlich aber / weil ihn dürstete / vom Pferde abstieg / und um aus dem Brunne zu trincken über den Kreiß schreiten wolte. Ihn hielt aber unversehns eine heisere Stimme zurücke / welche ihm einen Stillestand gebot. Als Malovend sich umsahe / erblickte er ein eysgraues und runtzlichtes Weib / die mit dem Kopffe und halben Leibe aus einer Höle hervor sahe / und auf Malovends Frage: warumb sie ihm den Genüß des zu allgemeinem Gebrauche von der Natur verliehenen Brunnens verwehrete? zur Antwort gab: diese Bach wäre zum trincken / der Brunn aber zum Heiligthume geschaffen. Und wenn er diß nicht verstünde / solten ihn ja die heiligen Kennzeichen von Entweihung des göttlichen Brunnes zurück halten. Malovend weil er dieses Weibes zu seiner Wegweiserin von nöthen hatte / gab auf so harte ihr die besten Worte; entschuldigte seinen Fehler mit der Unwissenheit / und bat: sie möchte ihn hiervon unterrichten; weil er weder sie zu erzürnen /noch einiges Heiligthum zu versehren begehrte. Sie antwortete ihm: Ob er so unwissend wäre: daß alle Brunnen nicht nur Spiegel der ewigen und mildreichen / sondern Gaben der unterirrdischen Götter wären / aus derer Freygebigkeit sie so wol[1149] als die Strahlen aus der Sonne herflüssen? Ob er nie gesehen hätte: daß man denen Göttern Spiegel fürhielte? daß /weil ihrer wenig sie selbst zu sehen würdig wären /diese nur darinnen ihren Schein erblicken möchten? In diesem Brunnen pflegte sie also denen / welche allhier ihre Andacht verrichteten / die höllischen Götter /welche gegen die Menschen ja so wolthätig / als immermehr die himmlischen wären / zu zeigen; weil sie als ihre Priesterin alleine würdig geschätzt wäre sie mit ihren sterblichen Augen zu sehen. Malovend danckte ihr für diese Unterweisung / und fragte: was denn aber dieser Kreiß und die Kennzeichen bedeuteten? Sie versätzte: dieses sind Geheimnüsse / welche niemand / als der den Höllen-Göttern eingeweihet ist /wissen darf. Glaube mir aber: daß die Sonne nicht mehr in den gestirnten Thier-Kreiß / und das Meer in seine Ufer eingeschrenckt sey / als ich die Götter in diesen engen Kreiß einsperren / und kein Wahrsager so gewiß aus dem Geäder und den Eingeweiden der Thiere / oder aus dem Fluge der Vögel / kein Chaldeer aus dem Gestirne / als ich aus Bewegung dieses Brunnes wahrsagen könne. Ja aus diesem Kreisse übe ich eine gewaltigere Herrschafft über aller Menschen Regungen und Verhängnüs / als kein König über seine Unterthanen / aus. Malovend fieng hierauf an: So bin ich wol nicht so sehr aus Irrthum / als aus sonderbarer Schickung meines Verhängnüsses und zu gutem Glücke hieher kommen / wo du gegen Bekümmerte so wolthätig bist / als / deiner Erzählung nach /die Götter seyn sollen / derer Priesterin du zu seyn verdienest. In alle wege / sagte sie / bist du nicht ungefähr / sondern durch Leitung deines Glücksternes hieher kommen / und du wirst nirgends in der Welt besseren Rath und gewissere Hülffe in deinem Anliegen / als allhier / finden. Denn ich bin die weise Wartburgis / von der du sonder Zweiffel etwas gehöret haben wirst. Malovend stellte sich bey Vernehmung dieses Nahmens / als wenn er an ihr die Weißheit selbst zu verehren gefunden hätte. Ob er nun zwar hiermit erfuhr: daß er bey einer beruffenen Zauberin war; so hatte ihn doch die Liebe nun gantz wahnsinnig gemacht: also / daß es ihm wenig bedencklich war von dieser Unholdin / oder gar von höllischen Geistern Hülffe zu bitten. Daher liebkosete er ihr aufs möglichste / wolte ihr auch sein Anliegen eröffnen / sie aber sagte: daß es keiner Erzählung dörffte. Denn / wenn sie diß / was ihm begegnet wäre /nicht wüste / wie viel weniger würde sie ihm wahrsagen können / was ihm begegnen solte. Er müste sich aber biß nach Aufgehung des Monden bekümmern; welcher ihr himmlischer Spiegel des Verhängnüsses /wie dieser Brunn ihr irrdischer wäre / indem sie alles /was zukünfftig wäre / lesen und weisen könte. Malovend war hiermit vergnügt / that dieser garstigen Hexe so schön / als er der Fürstin Catta kaum selbst hätte thun können; Nach dem er sie nun durch allerhand Gespräche ziemlich verträulich gemacht hatte; fieng sie viel Dinge und zwar auch von Rom an zu erzehlen. Malovend fragte: Ob und wenn sie denn zu Rom gewest wäre? Sie antwortete: es sind keine sieben Tage / daß ich von dar wieder mit Sentien zurück kommen bin. Malovend ward hierüber noch sorgfältiger / versicherte sie auch: daß Sentia seine grosse Freundin wäre / und also möchte er wol wissen / was ihr zu Rom merckwürdiges begegnet wäre. Diesen Bericht beglaubigte er mit vielen ihm von Sentien bekannten Sachen. Die Zauberin ließ sich also bereden ihm folgende Erzählung zu thun: Es ist schon sieben oder acht Jahr: daß ich mit dem Hertzoge Segesthes und Sentien bekand / und eine Wahrsagerin / zum theil auch eine Stiffterin ihres Glückes worden bin. Denn mir hat sie zu dancken: daß sie Segesthes so liebet; und daß er ihr nichts in der Welt / was sie verlanget / abschlagen kan. Ihr ist noch nichts merckwürdiges begegnet / was ich ihr nicht vorher[1150] entdeckt habe. Als sie nun das letztere mal nach Rom zoh / ließ sie mich nach Mäyntz beruffen; und wie schwer es mich ankam diesen schon achtzig Jahr bewohnten heiligen Ort zu verlassen / beredete sie mich doch mit ihr nach Rom zu ziehen. Wir kamen dahin / und ward Sentia und Segesthes vom Elius Sejanus als sehr angenehme Gäste bewillkommt. Durch Sentien ward auch ich mit dem Sejan bekand; welcher offtmahls mit mir von allerhand Geheimnüssen redete / mich auch an den Thrasyllus seinen Sternseher / und an Eudemus einen Artzt der jungen Livia / welche des Germanicus Schwester und des Drusus Gemahlin war / zur Unterredung verwieß. Meine erste Kunst / die ich Sentien zu Gefallen thun muste / war: daß ich das Hertze des Sejanus von seiner holdreichen Ehfrauen Apicata /mit welcher er schon drey Kinder gezeugt hatte / ab- und der Sentia zuwendete. Welche mir so wol angieng: daß Sejan von Stund an Apicaten gram / Sentien aber so hold ward: daß er ohne sie nicht seyn konte; westwegen er auch Sentien seinen Garten an der Tiber zur Wohnung einräumte um ihrer Liebe täglich zu genüssen. Malovend seufftzete hierüber / und fieng an: Ach! möchte ich doch in meiner Kranckheit auch mit einem so bewehrten Artzte beglückseeliget werden! die Zauberin Wartburgis fuhr fort / und sagte: Segesthes / daß er Sejanens Liebe nicht im Wege stünde / muste in Bothschafft wegen des Käysers zum Könige Marbod reisen / und solte ihn bereden aufs Früh-Jahr seine Waffen wider die Catten und Cherusker mit den Römischen zu vereinbaren. Bey diesem Wolleben / dessen Geheimnüsse niemanden als mir vertraut wurden / ward Sejan von Tag zu Tage mit mir verträulicher / sonderlich als er nach unterschiedenen mit seinen Thessalischen Weibern / wie auch mit dem von Zauberey berühmten Lucius Pituanius und Junius gehörten Gesprächen wahrnam: daß alle ihre Künste gegen meine kalt Wasser waren / und Eudemus mich selbst zu seiner Lehrmeisterin erkiesete. Hierüber ereignete sich: daß Drusus dem Sejan /weil er beym Tiberius verhinderte / daß Germanicus nicht vom Rheine abgefordert und Drusus an seine Stelle geschickt ward / eine Maulschelle gab / welches er an seinem Leben zu rächen sich verschwur /und wie solches anzustellen wäre / mit mir zu rathe gieng. Ich wieß ihm aber: daß die Höllen-Geister diesem Vorhaben zu wider wären / und seine Rache dißmahl mißlingen und ihn stürtzen würde; ungeachtet sich Eudemus schon erboten hatte dem Drusus Gifft beyzubringen. Also verschob Sejan auf mein Gutachten diesen Meuchel-Mord / nicht aber die Rache. Denn er sätzte ihm für den Drusus ärger / als durch einen Todschlag zu kräncken. Daher flehte er mich aufs beweglichste an ihm seine Ehfrau Livia des Germanicus Schwester dem Drusus abwendig zu machen / und dem Sejanus durch Liebe zu verbinden. Ich gab ihm hierzu die kräfftigsten Mittel; und er gewehrte sie bey Livien eben denselben Tag glücklich an / als Tiberius den Sejan im Rathe zum Gefärthen seiner Arbeit erklärete / und verordnete: daß sein Bild im Schauplatze auf dem Marckte / und in Lägern bey den Adlern göttlich verehret werden solte. Durch diese Ehre ward Livia / ob wol Drusus nach dem Tiberius die gröste Hoffnung hatte Käyser zu werden / gebländet / oder vielmehr durch meine Mittel gezwungen dem kleinstädtischen Sejan ihren Leib und ihre Ehre Preiß zu geben. Weil ich nun beym Sejan hierdurch beliebt ward und in Ansehn kam / thaten mir alle schön / die ihm anhiengen; und insonderheit bewarben sich Pituanius und Junius wegen gemeiner Künste um meine Freundschafft. Weil ich ihnen nun in ein und anderm zu willen war / führte mich einmahl Pituanius aus Rom auf ein Tiburtinisches Lust-Hauß /welches rings umher mit einem Walde von Oelbäumen umgeben / und da wir überaus herrlich unterhalten worden.[1151] Daselbst erzählte er mir alle seine Künste / die er von einem Chaldeer gelernet hätte; wie er nemlich die Sterne vom Himmel ziehen / den Lauff der Flüsse hemmen / der Verstorbenen Seelen beruffen / Kranckheiten einem benehmen und aufhalsen /Träume auslegen / und künfftige Dinge wahrsagen könte. Alle diese Geheimnüsse stünden mir zu Diensten; und er wolte diese Nacht mir einen Vorschmack davon zeigen; also möchte ich ihm doch auch ein Theil meiner Wissenschaften davon nicht mißgönnen. Als ich ihm diß versprochen hatte / eröffnete er mir: daß einer der vornehmsten Römischen Edelleute so wol mich als ihn um sein künfftiges Glücke zu rathe fragen wolte; welcher gegen mir / insonderheit bey erlangtem Zwecke eine ungemeine Danckbarkeit bezeugen würde. Ich willigte hierein und ward nach der Sonnen Untergange zu dem grossen Wasser-Falle des Flusses Anio geführt. Daselbst fanden wir den jungen Edelmann nebst noch einem älteren in einem Rocke mit purpernen Aufschlägen schon vor uns / welcher uns mit so grosser Ehrerbietung empfieng / als wenn wir seine Glücks-Götter wären. Weil nun Pituanius seine Künste mit ihm zu erste ausüben wolte / fragte er genau nach seiner Geburts-Stunde; und nach dem er sich eine gute Weile im gestirnten Himmel umgesehen / und bey Mohnden-Scheine auf einer Schreibe-Taffel gerechnet hatte / sagte er ihm: sein Geburts-Licht wäre so gut als seines Groß-Groß-Vaters gewest wäre. Hierauf erkundigte er sich: Ob er verwiechene Nacht ihm die gegebenen Kräuter unters Haupt gelegt / und was ihm hierauf begegnet wäre? der Römer antwortete: Ihm hätte geträumet / er wäre in dem vom Sulla gebauten Tempel des Pränestinischen Glückes; daselbst hätte der Raths-Herr Firmius Catus an der Stelle des Esculapius gestanden / von dessen Stabe sich die Schlange loß und um seinen Leib gewunden hätte. Pituanius sagte: dieser Traum bedeutete viel gutes; nemlich daß des Catus Rathschläge so heilsam als eines Artztes wären / und er ihm dadurch grosses Glücke zuschantzte. Dessen Bild die Schlangen nicht weniger bey den Römern als Egyptiern und Griechen wären / und daher auf Müntzen und Steinen Osiris / Isis und andere gute Geister abgebildet würden. Nach dieser Auslegung begehrte Pituanius zu wissen: Wessen Geist er ihm aus der Hölle herfür bringen und was er ihn fragen solte? der junge Römer antwortete: des grossen Pompejus; dieser solte ihm sagen: ob er wol jemahls über so viel / als er zu gebieten / und so viel Geld haben würde / daß er die Appische Strasse von Rom biß nach Brundusium mit Gelde würde pflastern lassen können? Pituanius befahl hierauf allen ein Stillschweigen / weil er solches auch alsofort der Natur selbst gebieten wolte; wie denn auch / als er einen Kreiß und darein allerhand Zeichen gemacht / auch gewisse Beschwerungen vollbracht / sich mehr kein Blatt eines Baumes rührte / ja der vorhin mit einem schrecklichen Geräusche über die Felsen in ein grausames Thal abstürtzende Fluß Anio so stille stand / als wenn er biß auf den Grund gefroren wäre. Pituanius ärgerte sich hierauf länger als eine Stunde mit Beschwer- und Dräuungen gegen dem Geiste des Pompejus; aber dieser hatte keine Ohren; also daß Pituanius endlich schamroth seinen Kreiß und Zeichen ausleschen / und die Eitelkeit seiner Kunst damit entschuldigen muste: seine Beschwerungen hätten nur Gewalt über die Geister derer / welcher Asche in der Erde beschlossen wäre; daher müste des Pompejus Leiche noch im Meere schwimmen. Ich lachte darüber / und fragte: Wo denn sein zum Julius gebrachter Kopff hinkommen wäre? Ob Julius es hätte einbalsamen und zum Schau-Gerüchte für sich und seine Nachkommen aufheben lassen? oder ob die Geister der in Egypten gestorbener Menschen nicht ohne Schiff über das Meer kommen könten? Pituanius[1152] muste meine Aushöhnung verschmertzen / und mich bitten: ich möchte doch diesen ungehorsamen und hartnäckigten Geist bändigen. Ob mir nun zwar dieses Römers Fragen sehr bedencklich fürkamen / wolte ich doch nicht gerne / wie Pituanius / den Nahmen einer Aufschneiderin davon tragen. Daher beschwur ich des Pompejus Geist auf meine Art; welcher auch auf die Fragen folgender Weise willig antwortete:


Er wird bald mehr als ich jemahls Gefärthen kriegen /

Behertzter untergehn / und viel beglückter liegen.


Pituanius und sein Römer wunderten sich über meine kräfftige Beschwerung; deuteten des Geistes Antwort zu grossem Vortheile aus / und ich ward von diesem Unbekandten reichlich beschenckt / und also vergnügt: daß ich / wer er wäre / zu wissen keinen Vorwitz hatte. Auf den Morgen fuhr ich mit dem Pituanius wieder nach Rom: auf den dritten Tag aber erfuhr ich von Sentien: daß Libo Drusus Scribonius einer der edelsten Römer / welcher des Käysers Vetter / des grossen Pompejus Enckel / und allen hohen Häusern verwandt wäre / durch den Flaccus Vescularius beym Tiberius angegeben / durch den Cajus Vibius / Fulcinius Trio / und Fontejus Agrippa geklagt würde: daß er wider den Tiberius einen gefährlichen Anschlag vorgehabt / und die höllischen Geister hätte beschweren lassen. Mir schlug über dieser Zeitung wol bald das Hertze; weil ich und Pituanius aber wieder den Tiberius nicht gefragt hatte / verhölete ich Sentien diß / was mir begegnet war. Selbigen Abend aber hörte ich: daß Libo beym Sejan wäre / und ihn um Schutz wider die Verfolgung seiner Ankläger / insonderheit den Rathsherrn Firmius Catus anflehete; welcher unter dem Scheine der verträulichsten Freundschafft ihn zu Wollüsten und Verschwendung seiner Güter verleitet hätte / ihn aber nunmehr grosser Laster beschuldigte / entweder aus Neid / weil ihn der Käyser zum Stadt-Vogte gemacht / und ihn so offt zur Taffel hätte; oder weil er durch Verläumbdung der Unschuld sich beym Käyser beliebt machen wolte. Ich gab Achtung / als er Abschied nahm / und ward zu meinem grossen Schrecken gewahr: daß Libo eben der Römer war / welchem ich des Pompejus Geist beruffen hatte. Daher ward ich mit mir selbst uneines: ob ich mich beyzeite aus dem Staube machen / oder Sentiens Rath darüber einziehen solte. Es kam aber Pituanius zu mir / sagte: daß Libo zwar wegen Zauberey angeklagt wäre / ich dörffte mir aber keinen Kummer machen. Denn von ihrer beyder Beschwerung sagte niemand nichts; sondern Libo hätte vom Junius verlangt: er solte des Käysers Augustus Geist beschweren / um ihm zu sagen: Ob er den Tiberius nicht ermorden solte? denn dieser Junius hätte es dem Trio; Trio aber / welcher durch peinliche Klagen und Ubelthaten nach einem grossen Nahmen strebte / denen Bürgermeistern und dem Rathe entdeckt. Diß bewegte mich stille zu schweigen und das beste zu hoffen / ungeachtet mir Sentia vom Libo täglich was neues erzehlte; nemlich: daß Libo mit seinem Bruder Lucius Scribonius Libo / welcher diß Jahr Bürgermeister war / bey allen Rathsherren Gehöre und Hülffe gesucht / nirgends aber fast einen Verlaß erhalten hätte; ungeachtet die vornehmsten Frauen in der Stadt sich durch Vorbitte seiner anmaaßten. Er wäre auch zwar als kranck fürs Rathhauß kommen und hätte den Tiberius um Erbarmnüs angeflehet; es wäre aber der Käyser gantz unbewegt fürbey gegangen. Vibius hätte hierauf seine Anklage fürgebracht / welche den Libo mehr einer Wahnsinnigkeit / als eines Lasters schuldig machte; ausser / daß Libo in einer Schrifft über die Nahmen des Käysers allerhand zauberische Buchstaben geschrieben haben solte. Nichts desto weniger hätte Tiberius durch eine neue Erfindung des Libo Knechte dem gemeinen Anwalde[1153] zugeeignet / damit sie unbeschadet voriger Rathschlüsse über die Verbrechen ihres eigenen Herrn könten auf der Folter gefragt werden. Libo hätte zwar durch seinen Schwager Lucius Sulpitius Qvirinius beym Käyser nochmahls um Gnade bitten lassen / wäre aber von ihm an Rath verwiesen worden. Alle diese Nachrichten deuchteten mich noch nichts anzugehen; ich erfuhr aber zu meiner höchsten Verwirrung: daß Pituanius wäre gefangen gesätzt worden; und kurtz darauf ließ mich Sejan aus seinem Garten weisen / mit Bedräuung: wo ich von ihm nicht reinen Mund halten würde / hätte ich mich seiner Hülffe nicht zu getrösten / sondern ich würde den Morgen nicht überleben. Ich ward aber unferne von dem Garten umringt / in Kercker geworffen / auf den Morgen für den Rath gestellt / anfangs alleine / hernach wieder den Pituanius befragt; endlich beyde zum Tode verdammt. Er solte vom Tarpejischen Felsen gestürtzt / ich im Kercker erwürgt und mein Leib in die Tiber geworffen werden. Um Mitternacht aber kam der Kerckermeister mit einem Knechte; der warf mir ein geringes Manns-Kleid für / welches ich anziehen / und ihm zur Tyber auf einem Nachen folgẽ muste / welches mich aus Rom nach Ostia in ein gantz einsames Hauß und in ein Gemach brachte / darein weder Sonne noch Monde schien / jedoch gieng mir an Lebens-Mitteln nichts ab. Nach etwan zehn Tagen führte man mich auf ein Schiff / nach dessen Absegelung ward ich auf selbtem in ein Zimmer beruffen / darinnen ich meine Sentia mit unaussprechlicher Freude wieder erblickte. Sie aber verwieß mir mit harten Worten: daß ich ohne ihr Vorwissen mich in des aberwitzigen Libo Händel gemischet / und bey nahe sie und den Sejan mit in sein Spiel gemischt /oder zum wenigsten in Verdacht gestürtzt hätte. Sintemal Drusus im Rathe wider sie beyde scharff geredet hätte. Das grosse Ansehn und die Klugheit des Sejan hätte dißmahl noch durchgedrungen / und er hätte auf ihre Vorbitte sie aus dem Kercker errettet. Libo hätte nach einer prächtigen Todten-Mahlzeit sich für besorgter Verdammung durch zwey Stiche getödtet / Pituanius wäre zerschmettert / Publius Marcius / welcher mit dem Libo bey der Beschwerung gewest / für der Exqvilinischen Pforte enthauptet / alle Zauberer und Sternseher aber / weil die Ausdeutung des Sternen-Lauffes zu einem Schlüssel zur Hexerey diente / aus Italien zu jagen ein Rathschluß gemacht und die sämtlichen Weltweisen zu Rom in schlechtes Ansehn versätzt worden; nach dem der Rathsherr Haterius weitläufftig ausgeführet hätte: daß die Weltweißheit sich ins gemein mit falschen Tugenden ausschmückte / und unter dem Diagoras gottlose / unter dem Diogenes unverschämt / unter dem Demochares eigennützig / unter dem Lycon schandfleckicht / unter dem Metrodorus wollüstig / unter dem Crates wahnwitzig / unterm Menippus närrisch / unter dem Pyrrhon zu frey / unterm Cleantes verdrüßlich / unterm Arcesilaus unruhig / und unterm Lacydas zänckisch worden wäre. Ich danckte Sentien fußfällig für solche Hülffe / und verlachte nochmahls den Libo und Pituanius: daß sie so wol den so schlimmen Traum als des Pompejischen Geistes Andeutung so alber ausgelegt hatten; da jener vielmehr sich hätte für dem Catus /der ihm recht zur gifftigen Schlange ward / hüten /und sich einbilden sollen: daß niemand mehr als ein Sterbender Gefärthen bekomme. Wir kamen mit gutem Winde ehe / als wir vermeint hatten / zu Maßilien an / und reiseten durch Gallien glücklich nach Mäyntz; von dar ich für sechs Tagen allhier in meinem zwar einsamen aber viel sicheren Vaterlande an kommen bin; und / wenn ich versichert wäre / sagte sie zum Malovend: daß deine Neigung gegen Sentien so beschaffen wäre / wie du vorgiebst / wolte ich dich einer añehmlichen Heimligkeit theilhafftig machen. Malovend betheuerte: daß / ob zwar in Deutschland[1154] allerhand Zwistigkeiten wären / er doch gegen Sentien nichts hätte / sondern / wie sie vor diesem einander alles gute erwiesen / also wünschte er ihr noch zu dienen. Wartburgis nahm ihn nach diesen Worten bey der Hand / zündete geschwind ein stücke Kühn an /und führte den Malovend in eine grosse und hohe Höle / allwo er zu höchster Verwunderung Sentien nebst noch zweyen Weibern antraf. Eines entsätzte sich so sehr für dem andern / als das andere. Die verwegene Sentia aber fieng zuerst an: Was verleitet dich Wartburgis einen unser Feinde in diß Heiligthum zu bringen? Wartburgis entsätzte sich hierüber; Malovend aber fiel alsbald mit besonderer Freundligkeit ein: Er erinnerte sich nicht: daß sie ihm / oder er ihr sein Lebtage einiges Leid angethan hätte; zudem wäre es so wol seiner als aller tapfferer Leute Eigenschafft: daß sie gegen Frauenzimmer keinen Krieg führten /keinen Haß hegten. Er käme hieher aus Begierde ihre Befehle zu nehmen / und alle Annehmligkeiten zu erweisen; wünschte auch nichts mehr / als ihre Gewogenheit. Derogestalt sind die Augen mehr Larven als Fenster des Gemüthes. Sentia versätzte: Er wäre ja ein Feind des Segesthes / und ein Abtrinniger von denen mit ihm verbundenen Römern? Malovend antwortete: Ich bin ein so treuer Bund-Genosse der Römer / als ein geneigter Bluts-Freund Segesthens gewest; nach dem ich aber bey der Niederlage des Varus gefangen / die Römer über den Rhein getrieben / mein Land den Cheruskern zur Beute worden / habe ich mich müssen ins Glücke und die Zeit schicken /linde Seiten aufziehen / und wie Segesthes selbst mehr als einmahl zu thun genöthiget worden / den Mantel nach dem Winde kehren. Sentia nahm diß Wort von ihm / und sagte: du hast recht / Malovend; die Klugheit muß sich nach der Gelegenheit / wie der Steuermann nach dem Winde / und die Magnet-Nadel nach dem Angelsterne richten / und niemand durch Hartnäckigkeit überlegener Gewalt und dem Verhängnüsse widerstreben. Weil das Blat sich nun wieder auf die Seite der Römer gewendet hat / wirst du hoffentlich nun auch so klug seyn sich derer Untergehenden zu entschlagen / daß sie dich nicht zugleich mit in Abgrund reissen. Malovend fiel ein: Es läßt sich so leicht und so offt nicht umsatteln. Die Leichtsinnigkeit ist die ärgste Verstellung eines Mannes / wie vielmehr eines Fürsten. Sie bringet einen um den guten Nahmen / um alles Ansehen / und macht: daß ihm hernach kein Mensch / auch der selbst / zu welchem er sich wendet / nichts trauet. Wie nun ein kluger etwas mehr als ein Mensch ist; also macht sich ein Wetterhahn zu etwas wenigerm als einem Menschen /wenn er schon vorher für einen halben Gott wäre gehalten worden. Sentia versätzte: Es ist mir leid: daß du dich auf die Richtschnuren verschlagener Fürsten nicht besser verstehest / und nicht weist: daß sie andere nicht wegen ihrer Tugend / sondern nur wegen ihres Nutzen lieben. Du wirst itzt den Römern so lieb / und bey ihnen so hoch gesehen seyn / als vormahls bey den Catten und Cheruskern; ob du schon vorher den Degen wider sie geführet hattest. Malovend brach ein: Ich kan mir nicht einbilden: daß einer / welcher so offt umschlägt / und so sehr im Willen als in gutem Urthel hincket / viel geachtet / oder auf ihn viel gebauet werden könne; weil man ihn so geschwinde zu verlieren hat / als er vor gewonnen worden. Weiches Wachs läßt zwar leicht jedes Bild in sich drücken /aber sich auch eben so bald wieder verwischen; und die Wolle / welche alle Farben annimmt / behält endlich keine. Uberdiß stünde noch bey Gott und dem Glücke: ob die Römer oder die Deutschen in diesem Kriege den Meister spielen würden. Die Würffel lägen noch auf dem Tische / und hätten die Römer sich noch zur Zeit wenigen Vortheils zu rühmen. Ja /wenn auch diß schon wäre / so verkehrte sich nichts geschwinder / als das Glücke im Kriege /[1155] und stimmte der Ausschlag mit dem Anfange selten überein; wie die Römer im Carthaginensischen Kriege selbst erfahren / da sie / welchen doch das Verhängnüs den Sieg zudachte / vielmahl den kürtzern zohen / und dem Untergange näher / als ihre Feinde waren. Sentia antwortete: Er möchte doch von den Deutschen ihm den süssen Traum aus den Gedancken kommen lassen; daß nach dem die Parthen / derer Häupter sich Könige der Könige rühmten / mit der übrigen Welt das Verhängnüs der Römischen Herrschafft durch ihre Demüthigung erkennten / die eintzigen Deutschen sich von dem allgemeinen Nothzwange loß würcken würden. Sie gäbe gerne nach: daß Völcker Ursache hätten sich einer in der Nachtbarschafft allzu groß werdenden Macht zu widersätzen / und ihr die Flügel zu behacken: daß sie ihnen nicht zu Kopffe wüchse; weil man so denn billige Furcht hätte gleichfalls verschlungen zu werden / indem mächtige Herrscher sich weniger als Feuer mäßigen und ruhen könten. Alleine diß hätte sollen beyzeite geschehen / ehe die Flamme zu Schwunge kommen und unleschbar worden wäre /und als Gallien von Römern zum ersten angefochten worden. Nun aber wäre alles zu spät / und also rathsamer sich für der Römischen Macht zu beugen / als von selbter gar zermalmet werden. Die Römischen Gänse hätten den Brennus und seine Deutschen vom Capitolium abgetrieben; was solten nun nicht ihre Adler und Löwen ausrichten? die Sicambrer / Chauzen / Friesen und andere Deutschen wären ja schon hierinnen zum Verstande kommen; also solte er nicht der letzte seyn / und lieber etwas von Zerstickelung der Cattischen und Cheruskischen Länder zur Ausbeute zu bekommen trachten / als anderer Beute werden. Es wäre eine der grösten Klugheiten anderer Untergang ihm nütze machen / und aus frembdem Schiffbruche die Stücke zusammen lesen. Sie wünschte: daß er das Verzeichnüs der auf den Beinen habenden Römischen Kräffte / welches ihr zu Rom Sejanus gewiesen hätte / sehen solte. Zu Ravenna am Misenischen Ufer und bey den Carnen stünden drey mächtige Kriegs-Flotten / bey denen Batavern wären über die bey denen Ambraischen Städten stehenden nun funfzehn hundert Schiffe mit allem ausgerüstet. In Hispanien befindeten sich drey / am Euphrates vier / in Dalmatien zwey / in Mäsien zwey / in Pannonien zwey /an der Donau eben so viel / und am Rheine nunmehr neun mit einem Drittel verstärckte Legionen / ohne die unzählbare Menge der Hülffs-Völcker / welche so viel Länder als ihren Kern zu Uberwindung der hartnäckichten Deutschen und zu Beruhigung der Welt willig hergäben. Er möchte auch festiglich glauben: daß niemals keine grössere Macht wider einiges Volck aufgezogen wäre / als diß / welches diesen Frühling wider die Deutschen solte geführt werden. Malovend versätzte: die Deutschen stünden nichts weniger in einer bessern Verfassung / als niemahls vorher. Sie wären durch so viel Treffen geübet / der Römischen Kriegs-Art gewohnt / mit bessern Waffen versehen / und die Völcker üder der Elbe fiengen nun an die Augen aufzusperren / und hätten sich erboten mit einer ansehlichen Macht dem Feldherrn unter die Armen zu greiffen. Dahero wäre am rathsamsten hertzhafft und beständig zu seyn / und für der Grösse keiner Macht / welche vielmahl mehr zur Verwirrung als zum Siege diente / erschrecken. Der Tapfferkeit wäre kein- der Furcht aber jeder Feind zu starck; welche ihr aus Schatten grosse Riesen machte / und alle Kräfften des Gemüthes wie ein Geschwüre alle Glieder des Leibes einnähme und schwächte. Sentia brach ein: Ich sehe wol / Malovend hat ihm einen Kopff für gesätzt / welchen die wichtigsten Ursachen nicht brechen werden. Alleine es geschicht diß ins gemein: daß je in grösserm Irrthume einer steckt / je schwerer ist er ihm zu benehmen. Alleine diß ist keine Beständigkeit. Denn diese ist nur eine Tugend des Willens /[1156] nicht des Urthels / welches allemahl aus Liebe der Warheit sich zu ändern geneigt seyn soll / wenn es nicht in schädliche Hartnäckigkeit verfallen wil. Dencke aber der Sache besser nach / und glaube: daß ich nach geheyrathetem Segesthes mich nicht mehr für eine Römerin / sondern für eine Deutsche halte; und daß ich es mit dir und Deutschlande besser meyne / als ihr durch eure eingenommene Einbildung beredet seyd. Sie bezeugte ihm hierauf alle mögliche Höfligkeit /und weil sie vernam: daß er Wartburgens Rath zu pflegen gesonnen wäre / versicherte sie ihn: daß er keine weisere Frau in der Welt finden würde. Uber diesen Gesprächen neigte sich die Sonne zum Untergange / für welchem die Zauberer so wenig was zu bannen / als die Persen für der Sonnen Aufgange ihr Kriegs-Heer auszuführen pflegen. Wartpurgis redete also Malovenden an: Ich mercke / daß der Monde über unsere Erden-Fläche empor steigt / also die Zeit unsers Thuns verhanden ist. Woher wirst du aber für die höllischen Götter ein schwartzes Opffer hernehmen? Sie sätzte aber nach der Zauberer Gewonheit einen Krantz von Farren Kraute mit darein geflochtenen gelben Blumen vom güldenen Lein-Kraute auf; und fieng alsofort an zu pfeiffen; worauf eine grosse Menge Bären / Luchse / Wölffe / und anderer wilder Thiere mit vollem Rennen zugelauffen kamen / als schwerlich zu der Leyer des Orpheus geschehen ist. Wartpurgis ermahnte den Malovend: er solte ihm daraus ein schwartz Thier auslesen / und von ihm keine Widersätzligkeit besorgen / worauf er denn einen grossen Bär erkiesete / welcher sich wie ein zahmes Lamm führen ließ. Nach dieser Wahl kehreten alle Thiere zu rücke; gleich als wenn sie durch Lieferung dieses Bäres ihrem Gehorsame ein Genügen gethan hätten. Wartpurgis und Malovend verfügten sich zum Brunnen mit dem Bären; allwo jene den Kreiß und Zeichen ausleschte; hierauf um selbten / den Fürsten Malovend / welcher wie sie die Schuh von sich werffen muste / und den Bär mit vielem Gemurmel und grausamen Gebehrden einen neuen Kreiß und allerhand seltzame Zeichen in die Erde einscharrte. Weil bey solchen Zaubereyen auch sonst kein Mensch einig Wort reden darf / hemmete sie dem Malovend durch ein dinnes Blaster / wormit die Kinder in Mutter-Leibe bekleidet seyn / die Zunge: daß ihm weder Schrecken noch Vergessenheit einiges Wort auslocken konte. So bald der Monde nun über die Bäume empor kam / drehete sie sich an einem in der Erde angepflöckten Riemen von Ochsen-Leder unzählich mahl herum / ruffte Hecaten / und sang zugleich ein Aussohnungs-Lied dieser Göttin zu Ehren. Hernach fiel sie auf ihr Antlitz / betete ihn an / hernach warf sie aus dem Brunne drey Handvolln Wasser gegen selbtem empor und breitete ein Gebund ungemeiner und in Brunn getauchter Kräuter aus; gleich als der Monde durch seinen Einfluß ihnen mehr Kräffte einflößen solte / welcher auch nunmehr der Erde viel näher zu stehen schien. Nach diesem ergrief sie den Bär / warf ihn zu Bodem / stach ihm ein Messer ins Hertze / fieng sein Blut in ein Becken auf / und sätzte solches auf den nunmehr zu qvellen aufhörenden Brunn / daß es schwam. Hierauf fiel sie abermahls aufs Antlitz; darnach machte sie im Kreisse ein Feuer / worauf eine unzählbare Menge Schlangen / Nattern /Molche / Heydächsen und dergleichen Ungeziefer herzu kam / und drey Schuch hoch sich um den Kreiß legten / und darein aus ihren Mäulern dem Ansehen nach alle ihre Galle und Gifft ausschütteten. Wartpurgis aber schnitt den Bären auf / rieß das Hertze heraus / theilte es mitten entzwey / tauchte beydes in das ausgeschäumte Schlangen-Gifft / und warf ein Theil mit den Kräutern ins Feuer / daß es verbrennte; das andere in Brunn / und fieng mit einem abscheulichen Antlitz und mit verdrehten Augen an:[1157]


So wandt' ich Lieb' in Gifft / so kan ich Hertzen trennen.

Das eine müß' erfriern / das andere verbrennen.


Als diß vollbracht war / verließen die Schlangen mit einem schrecklichen Gepfeiffe und Zischen den Kreiß; Wartpurgis aber verdrehte die Augen / daß man keinen Stern / sondern eitel weißes sah / knirschte mit den Zähnen / schüttelte den Kopf / kratzte mit den Fingern in der Erde / gebehrdete sich als eine Rasende / und fiel endlich gar für todt zur Erde. Malovenden standen hierüber die Haare zu Berge; der Angstschweiß brach ihm aus / er verfluchte im Hertzen hundert mahl; daß er sich in diese Zauberey einflechten lassen / und hätte für Schrecken und Furcht verzweifeln mögen. Uber eine Weile aber fuhr Wartpurgis im Grimm auf und fieng an: Warum leidet ihr unterirrdischen Götter: daß in eurem Gebitte unter der Erden einige wilde Raute einiger Lorber-Baum wurtzele? Daß in euren Adern ein Jaspis wachse / damit diese schädlichen Dinge alle Opffer eurer Priester zernichte? Verbrennet und zermalmet doch alles / was euch und mir zu wider ist! Soll meine heutige Arbeit umsonst / meine Andacht verlohren / und ich zweyer liebenden Hertzen zu zerspalten nicht mächtig seyn? Auf solche Art mag ich nicht mehr eure Priesterin bleiben / noch so verachtet leben. Darnach schrieb sie neue Zeichen / und machte eine Grube in die Erde / schnitt sich mit einem Messer in die große lincke Zehe / ließ das Blut darein flüssen / goß Wasser aus dem Brunne dazu; fiel aufs Antlitz nieder und murmelte. Hierauf fuhr sie wieder empor / tauchte den Spißfinger in das mit Beeren-Blute angefüllte Becken / und schrieb darmit ins Wasser / des sich nicht rührenden und einen hellen Spiegel fürbildenden Brunnes / Malovenden aber gab sie ein Zeichen; daß er solte in Mohnden sehen / in welchem er folgende Schrifft deutlich lesen konte:


Was das Verhängnüß knipfft / weiß ich nicht zu zerschneiden /

Ich und die Erde wird sie sondern / doch nicht scheiden.


Wartpurgis grief hierauf mit Ungedult in den Brunn /nam das hinein geworffene halbe Herze wieder heraus / schnitt mit einer Nadel Malovends Nahmen darein /und Malovenden sieben Haare vom Kopffe / welche sie um das halbe Hertze wickelte / hernach solches dreymal gegen den Mohnden hielt / folgends ein Oel darauf goß / und es Malovenden recht aufs Hertze legte / darauf er es muste erwarmen lassen. Nach dem sie nun abermals dreymal aufs Antlitz gefallen war /und den Mohnden angebetet hatte / tauchte sie den Finger abermals ins Blut / und schrieb auf den Brunn / Malovend aber laß im Monden:


Du hast die / die du liebst / wol nöthig werth zu halten.

Denn / hülffe sie dir nicht / so müstestu erkalten.


Hiermit machte Wartpurgis ihrer Zauberey ein Ende; sie verwischte den Kreiß und die Zeichen; goß das Becken in die nunmehr zweyfach so starck flüssende Bach aus / und meinte dem Malovend viel zu seiner Nachricht und zum Glücke dienendes gesagt zu haben. Sentia hatte ihm unter deß in der Höle eine Lagerstadt bereitet / aber sein Gemüthe war über dem /was vorgegangen / so unruhig; daß es ihm kein Auge zumachen ließ. Auf den Morgen setzte Sentia aufs neue an ihn / und weil ihr nicht unwissend war: daß er die Fürstin Catta / welche nechster Tage dem Hertzoge Jubil vermählt werden solte / verliebt war / konte sie aus dem / was ihr Wartpurgis erzählte / die Rechnung leicht machen: daß an diesem Nagel sein Kummer hienge. Daher sie ihn an dieser Schwäche anzugreiffen für rathsam hielt / und ihm der Römer eusserste Kräfften versprach ihm die Fürstin Catta in die Hände zu spielen. Ob nun gleich diese Vertröstung keinen Schein einiger Mögligkeit hatte; so machte doch die den Liebhabern eigene Hoffnung ihm diß und ein mehres leichte; er versicherte also Sentien: daß wenn sie ihm zu Cattens Besitzthum verhülffe / er auf die[1158] Römische Seite treten wolte. Malovend ließ sich also auf den Weg nach Neidenstein weisen / und Sentia in Bauern-Tracht sich durch die Wildnüßen an Rhein und folgends nach Meyntz bringen. Beyde redeten aber mit einander eine verborgene Schrift ab / in welcher sie zusammen Briefe wechseln wolten. Malovend kam nach Mittage nach Neidenstein / und weil er durch die gantze Wildbahn vergebens gesucht worden war / ward er desto freudiger bewillkommet. Sintemahl sie ihnen von ihm was gar arges eingebildet hatten; weil die meisten von seiner heftigen Liebe /gegen die Fürstin Catta wusten / und sie in seinem Zimmer mit einem Diamant folgende nachdenckliche Reyme in ein großes Fenster-Glaß eingeschrieben gefunden hatten:


O Hofnung / meiner Seele Pein!

Und gleichwol Labsal meines Hertzen!

Du Qvell und Pflaster meiner Schmertzen /

Wilstu nun gäntzlich aus / und doch mein Hencker seyn?


Du speisest mich mit Zucker zwar /

Und wilst nun selbst zu Wasser werden;

Du weisest Lust / gewehrst Beschwerden;

Und machest niemals nicht / was du vertröstest / wahr.


Es ist nicht Wolthat / sondern Qvaal:

Daß du mich nicht bald sterben lässest /

Und doch mein Leben täglich pressest.

Denn vielmal sterben ist ja schwerer als einmal.


Du schnöder Schatten falsche Lust;

Du eitler Traum verwirrter Sinnen;

Du läst uns Blasen lieb gewinnen /

Und füllst mit deinem Nichts uns gleichwol Kopf und Brust.


Ich bildete mirs Anfangs ein:

Du würdest mich doch nur betriegen;

Doch ließ ich mir an dir vergnügen;

Denn Liebe kan mit dir und ohne dich nicht seyn.


Nun aber bann ich dich von mir;

Ich mag nicht hoffen / auch nicht leben;

Weil du nur Wermuth weist zu geben /

Geht des Verzweifelns Gifft weit deinem Zucker für.


Er danckte für ihre Sorgfalt / und gab für: daß er durch Verfolgung eines Hirsches im Wald sich so tieff verirret hätte / daß er darinnen übernachten müssen / und mit Noth wieder zu rechte kommen wäre. Weil nun alles schon zum Einzuge nach Cattenburg fertig gemacht war / konte er sich nicht ausschliessen; reisete also schwermüthig / und zwischen Furcht und Hofnung / was die Zauberische Monden-Wahrsagung ihm Gutes oder Böses bringen würde / mit dahin. Alle Tage dachte man auf neue Ritter- und Freuden-Spiele; also / daß Malovend ein und andermal Gelegenheit gefunden hätte der Fürstin Catta sein Anliegen mit dem Münde zu entdecken / wenn sie nicht solches mit Fleiß zu verhüten bemüht gewest wäre. Gleichwol redeten ihr als einer verständigen mehr denn zu viel seine Augen; welche in der Liebe eine so gute Zunge oder Feder des Hertzens / als das Hertze eine der Seele sind. Die sonst denen begierigen Liebhabern so langsame Zeit lief dem trostlosen Malovend schneller als der flüchtigste Pfeil vorbey. Das geringste Trennungs-Mittel / darauf ihn die Zauberin vertröstet hatte / ließ sich mehr hoffen / weniger blicken; und die Liebe zwischen dem Hertzoge Jubil und Catten / welche bey dieser Staats-Heyrath anfangs ziemlich lau gewest war / schien allererst rechten Zunder bekommen zu haben / nach dem Wartburgis Jubills Hertz im Feuer einzuäschern / und Cattens Liebe im Brunnen zu ersäuffen sich bemühet hatte. Als nun der Tag der Vermählung eintrat / ward für der Sonnen Aufgange alles fertig gemacht sich mit großem Gepränge in den zwey Meilweges von dar gelegenen Heyn zu verfügen / welcher bey den Catten für den allerheiligsten und dem Tanfanischen gleiche gehalten ward. Malovend befand sich nun in dem verwirrtesten Zustande / in den iemals ein Mensch gerathen kan. Denn seine Liebe / welche noch bey seiner Ankunfft nach Cattenburg[1159] gewest war / hatte die wenigen Tage so zugenommen: daß sie ein grausamer Vater aller heftigsten Gemüths-Regungen worden war. Eine war aber kaum gebohren / so ward sie von einer andern erstecket; also daß in wenig Augenblicken hundert Begierden und Anschläge jung wurden und verschwanden. Liebe / Furcht / Hoffnung / Eyversucht / Rache und Verzweifelung machten in seinem Hertzen ein schrecklicher Ungewitter / als ein Orcan auf der See seyn kan /wo ein rasender Wind wider den andern stößt / eine Welle die andere verschlingt / der Blitz die stock-finstere Nacht erleuchtet / vom Donner Wolcken und Schiffe zerbersten / Himmel und Erde sich mit einander vermischen. Er berieth sich mit sich selbst: ob er der Vermählung solte beywohnen oder nicht. Seine Liebe rieth es ihm; weil die Abwesenheit die betrübte Nacht der Liebhaber ist; seine Eyversucht aber widersprach es / und die zarte Empfindligkeit seiner Seele traute ihr selbst nicht zu: daß sie sonder Vergehen die Fürstin Catta solte einem andern übergeben sehen. Also konte er sich mit sich selbst nicht vergleichen. Es kam ihm aber die Zeit des Aufbruches und Hertzog Ingviomer so geschwind auf den Hals: daß / ehe er es bey sich entschlossen hatte / mit der Gesellschafft auf seyn muste. Sie wurden bey dem Eingange des Heynes von zwey Priestern empfangen / mit geweyhetem Wasser besprenget / und alle musten die Schuh ausziehen. Er war mit überaus großen Eichen und Buchen erfüllet; weil von etlichen tausend Jahren darinnen kein Ast abgehauen worden war / auch noch bey Lebensstraffe niemand eine Hand oder Axt anlegen dorffte ausser die Priester / welche zu Unterhaltung des ewigen Feuers nur dieselbigen Bäume abholtzen dorfften / welche von einem Regenbogen berühret wurden. Weil dieser nicht nur alles kräftiger und wolrüchender / sondern auch heiliger machen soll. Kein Tempel oder Bild war zu sehen; sondern in der Mitte stand ein ziemlich erhobener und von einem klaren Bach umflossener Steinfels. Auf diesem ward mit grosser Sorgfalt das ewige Feuer unterhalten / und alles geopffert. Nach dem nun alle auf den Knien eine Zeitlang gebetet hatten; stieg der oberste Priester mit dem Fürsten Jubil und Catten auf den heiligen Felß /worüber Malovend Gesichte / Gehöre und alle Sinnen verlohr; also wie ein unbeseelter Stock stand und endlich ohnmächtig zu Bodem fiel. Der Priester erfrischete inzwischen mit Hartzt die Flamme; welche aber nicht wie sonst gewöhnlich sich gegen dem Himmel zuspitzen wolte. Uber diß weigerten sich auch die von einem andern Priester zu der Bach gebrachten Holtz-Tauben daraus zu trincken. Denn es war hier eben diese Gewohnheit / wie in Egypten: daß kein Wasser zum Gottesdienste geschöpffet ward / daraus nicht vorher der Vogel Ibis getruncken hatte; welcher kein trübes oder giftiges anrühren soll. Hertzog Jubil ließ zum Opffer sieben weiße Ochsen / und Catta so viel solche Kühe herbey führen / es entrissen aber derer wol fünf ihren Führern. Die vorhin klare Lufft trübte sich auch / und der Himmel ward mit kohlschwartzen Wolcken bedeckt / welche hernach so viel schrecklichern Blitz und Donner ausspeyeten / als er um diese noch frühe Jahres-Zeit ungewöhnlich war. Jederman erstarrete über dieser plötzlichen Veränderung; und die Verlobten selbst / welche diesen Tag ihnen für den Anfang vieljähriger Vergnügung eingebildet hatten / wahrsagten ihrer Verehligung kein gemeines Ungelück; und bescheideten sich: daß der Menschen Hoffnung ein Ancker in eitel Trübsande wäre; und ihr Gelücke weder Gewichte noch Festigkeit hätte. Diese Bestürtzung aber verwandelte sich bald darauf fast in eine gäntzliche Entseelung. Deñ die Erde / welche der Grund des gantzen Welt-Gebäues seyn soll / fieng unter unter ihnen an zu beben /[1160] die grossen Bäume fielen mit Krachen über einander / die darum liegenden Berge wanckten hin und her; der Bodem borste und verschlang die Bach; der Opffer-Berg aber spaltete mitten entzwey / und aus dieser Oeffnung kam Glutt und folgends ein stinckender Dampff herfür. Niemand stand so feste / der nicht über dieser eine gute Viertel-Stunde währenden Schütterung über einen Hauffen fiel / und sich nicht für verlohren hielt. Hertzog Jubil ward von der Fürstin Catta durch den Ritz getrennet / welcher den gantzen Felß in zwey Theile zerspalten hatte. Daher als gleich das Erdbeben aufhörete / doch alle erblaßt wie die Todten aus- und sonder Vermögen zu reden einander bestürtzt ansahen. Denn ob zwar im Wercke es kein Unterschied ist: ob einen ein Leichenstein / oder ein gantzer Berg bedeckt; ob einen ein Baum oder die halbe Erd-Kugel erdrückt; ob man alleine in ein Grab gelegt / oder mit einem gantzen Volcke in das innerste Eingeweide der Welt verschlungen wird; und tapffere Leute für dem dräuenden Tode das Gesichte nicht verändern sollen; so ist es doch etwas übermenschliches in so unversehenen und schrecklichen Begebnüssen / wo die Natur selber zu zittern anfängt / das Antlitz nicht verstellen und kein Hertzklopffen fühlen. Nach dem nun auch etliche Personen von denen umgeworffenen Bäumen erschlagen worden / und alle in Furcht neuen Erdbebens waren / dachte niemand mehr an die Vermählung / durch welche die Natur selbst einen Strich gemacht zu haben schien / sondern die Priester eileten so wol als die Fürsten aus diesem Heyne / welchen jene ohne diß für entweyhet / und zum Gottesdienste nunmehr untauglich hielten. Die meisten bildeten ihnen auch ein: daß Jubils und Cattens Vermählung dem Verhängnüsse zu wider wäre; Malovend aber ließ ihm träumen: daß seine Liebe noch ihren Zweck erreichen würde / und dieses Erdbeben ihm zum besten durch der Wartburgis von den unterirrdischen Geistern wäre zu wege gebracht worden. Er würde auch vielleicht sein Lebtage in diesem Aberglauben geblieben seyn /wenn er nicht erfahren: daß es sich nicht nur über den Rhein in Gallien erstreckt hätte / sondern um selbige Zeit in Asien ein viel schrecklichers gewest wäre / in welchem gantze Berge verschlungen / und zwölff berühmte Städte / Sardis / Magnesia / Temnos / Philadelphia / Aege / Apollonia / Mosthenes / Hierocäsarea / Myrina / Cyme / Tmolus und Hircanien über einen Hauffen gefallen. Westwegen auch Tiberius ihnen auf fünf Jahr alle Schatzung erließ / und den Marcus Aletus in Asien schickte denen Beschädigten zur Wiederaufbauung Vorschub zu thun. Ungeachtet nun zu Cattenburg auch nach verschwundenem ersten Schrecken alles sehr bestürtzt war / und so wol etliche Priester / als das Volck den Donner und das Erdbeben für eine Wahrsagung grossen Ungelücks andeuteten; so mühte sich doch Hertzog Herrmann solches jedermann auszureden. Sintemahl Donner und Blitz die weisen Egyptier für eine Andeutung grosser Ehre und Ruhmes in der Welt auslegten / westwegen auch bey den Römern nicht ungewöhnlich wäre durch Opffer wahrsagende Donnerschläge zu wege zu bringen. Daher hätten die Wahrsager dem grossen Mithridates überaus grosses Glücke angekündigt / als er noch in der Wiege auf der Stirne vom Blitze gezeichnet / und bey seinen männlichen Jahren seine Pfeile im Köcher davon wären angezündet worden. So hätte auch weder der deutschen Fürsten Fall / noch das Erdbeben was böses hinter sich. Denn Julius Cäsar wäre nie glücklicher gewesen / als da er vom Schiffe ans Africanische Ufer gefallen; welches er auch alsofort für ein Zeichen seines erlangten Besitzthums ausgelegt; und die Erde wäre gleichsam selbst für der Vereinbarung so vieler tapfferer Helden erzittert. Nach dem er nun die Gemüther wieder in ziemlichem Stande sahe / Hertzog Jubil und die Fürstin Catta auch[1161] sonder den geringsten Abbruch ihrer Liebe die Vollziehung ihrer Ehe dem Verhängnüsse geduldig heimstellten / wolte der Feldherr mehr keinen Tag in seinen Krieges-Anstalten verschüben; sondern eilete gegen der Elbe daselbst von Cimbern und Longobarden gewisse Hülffs-Völ cker an sich zu ziehen. Ingviomer brach ebenfalls auch auf / um die Belagerung des Drusischen Altares an dem Rheine und der Lippe fürzunehmen. Arpus reisete nach Mattium; Hertzog Jubil an die Saale /Catumer auf das Taunische Gebürge wider die Römer gute Anstalt zu machen / das Frauenzimmer aber solte so lange / biß man sähe / wo der Krieg hinaus wolte /zu Cattenburg verbleiben. Malovend ließ zwar alle verbundene Fürsten dafür halten: daß er seine Marsen auch zu vorerwehnter Belägerung zusammen ziehen wolte; er wendete sich aber geraden Weges gegen dem Rheine und der Mosel auf Ambiatin zu seiner daselbst hin verschriebenen Sentia / wo Germanicus eben anwesend war / und eine Brücke über den Rhein angab. Weil Sentia nun mit dem Germanicus schon alle Bedingungen abgeredet hatte / ward Malovend von ihm / jedoch an einem gantz abgesonderten Orte mit grosser Ehre empfangen. Weil dieser nun dem Germanicus alle Anschläge der Deutschen verrieth /ertheilte Germanicus Befehl: daß sechs Legionen ohne einige Hindernüs in dem Ubischen und Menapischen Gebiete sich zusammen ziehen und daselbst fernern Befehl erwarten solten. Inzwischen säumte Ingviomer nicht mit seinen Bructerern sich bey dem Drusischen Altare zu sätzen / über die Lippe eine Brücke zu bauen / die an der Ecke beyder Ströme liegende neue Festung der Römer / welche sie nunmehr nach dem Verluste des alten Neu-Aliso hiessen / zu umschlüßen. Malovend schickte seinen Marsen Befehl sich mit den Bructerern zu vereinbaren / er würde in weniger Zeit sich selbst bey der Belagerung einfinden. Ingviomer bemächtigte sich inzwischen des auf einem Hügel nicht weit von der Festung liegenden und umschantzten Drusischen Grabmaals mit Sturme /schleiffte selbtes und machte alles der Erde gleich; also daß des Drusus Grabmaale gleichsam zur Einäscherung versehen waren / und der Römer ihrer kaum so viel bauen konten / als ihrer die Deutschen zernichteten. Weil aber die grosse Römische Macht sich der Belagerung näherte / schrieb Ingviomer an den Hertzog Arpus um Hülffe; welcher denn auch seine zwischen der Dymel und der Fulde liegende Kriegs-Völcker zehn tausend Mann starck unter dem Grafen von Hanau und Isenburg ihm zusendete; und /weil der Krieg sich derogestalt nach Norden zoh / befahl er nicht alleine: daß Catumer bey dem Altare des Bacchus über den Rhein gehen / und in das fast aller Kriegs-Macht entblöste Gebiete der Trierer einbrechen solte; sondern daß auch seine Gemahlin mit der Fürstin Adelmunde / Catta und anderm Frauenzimmer sich wieder nach Mattium verfügen solte. Sentia kriegte hiervon zeitlich Kundschafft / beredete also den Germanicus: daß er den Catten einen unversehnen Streich versätzen könte; daher er deñ auch den Silius beym Ubischen Altare mit zwey Legionen / drey tausend Hispaniern / zehn tausend Nemetern und Vangionen über den Rhein gehen ließ. Malovend war zwar auch darbey / aber in unbekandter Gestalt eines Ubischen Fürsten / welcher sich Klodowich nennte. Weil es nun diesem mehr um die Fürstin Catta als um der gantzen Welt Herrschafft zu thun war / veranlaßte er den Silius: daß er ihm aus allen diesen Völckern zwey tausend / welche am besten beritten waren / untergab; Mit diesen gieng er Tag und Nacht am Siegstrome hinauf / von dar wendete er sich gegen die Eder / und weil sie alle deutsch aufzohen / sie auch keinem Menschen einig Leid zufügten / hielt sie niemand für was weniger als Feinde. Eine Meile von Battenberg blieb er in einem Walde verstecket stehen / schickte etliche Cattischgekleidete[1162] Kundschaffter nach Franckenberg / welche ihm die Nachricht brachten: daß das Fürstliche Frauenzimmer den Abend vorher auf dem Schlosse Waldeck ankommen wäre / und folgende Nacht zu Franckenberg schlaffen würde. Malovend war so begierig: daß er des andern Tages nicht erwarten konte / sondern sätzte alsbald oberhalb Battenberg über die Eder und Orck sich des Frauenzimmers / ehe es Franckenberg erreichte / und der Ruff von der Römer Einfalle kund würde / zu bemächtigen. Sein Anschlag gerieth ihm auch so wol: daß Walbert ein junger Fürst der Nemeter eine Meile von dar auf den Vordrab und den Grafen von Witgenstein stieß / welcher in zwey hundert Pferden bestand / welche sonder sich eines Feindes zu versehen von Malovends ersten Hauffen nach einer kurtzen Gegenwehr angefallen und zurück getrieben wurden. Malovend ließ diese mit einander im Gefechte / gieng mit dem übrigen Volcke vorbey / und fand daselbst an einer Bach die Cattische Hertzogin Rhamis und die Fürstin Catta auf einem Wagen beysammen; derer ließ er sich ehe bemächtigen / als zehn oder zwölff Cattische Reiter durch den Furth selbiger mit vielem Gestrittig bewachsenen Bach kommen konten. Der Graf von Witgenstein eilte zwar herzu; und der junge Ritter Waldeck / welcher sie begleitete / sprengte mit einer Anzahl Cattischer Edelleute durch das Gestrittig über die Bach / aber der Feind war zu starck / und hatte jedem Catten ihrer vier entgegen zu sätzen; daher so wol Witgenstein als Waldeck harte verwundet / die verzweiffelt fechtenden Catten guten theils erlegt / die übrigen in die Flucht gebracht / aber nicht verfolget wurden. Denn Malovend war an seiner unschätzbaren Beute vergnügt / welcher die Fürstin zu Pferde bringen / und mit ihnen ohne Versäumung einigen Augenblicks gegen dem Siegstrome zurück eilen ließ; ohne daß er sich wie schwer es ihm auch ankam zu erkennen gab; weil er noch zur Zeit kein offentlicher Feind der Catten und Cherusker / weniger aber ein Rauber dieser Fürstin seyn solte / als bey welcher er so gestalten Sachen nach nimmermehr einen Stein im Brete zu erlangen getraute. Die Fürstin Adelmunde hatte zu ihrem Glücke dißmahl zu Pferde gesessen / und war mit den übrigen Catten entkommen. Das Geschrey von diesem Raube breitete sich also bald weit aus; daher alles / was nur reiten konte /zu Pferde saß / den Raubern den Weg zum Rheine zu verbeugen; der Feind aber hatte selbige Nacht einen so guten Vorsprung erlangt: daß er folgenden Tag gegen Abend bey dem Silius ankam / welcher mit seinem Heere zwischen dem Siegstrome und dem Gebürge sechs Meilweges herauf gerückt war. Der den Raubern selbst nachsetzende Hertzog Arpus kriegte vom Einbruche der Römer des Morgens Nachricht / als er über den Dillestrom sätzte. Daher er / wie erbittert er gleich über dem Raube seiner Tochter war / allenthalben Befehl herum schickte: daß / nachdem die Rauber doch besorglich schon entwischt wären / die Catten alle beym Eingange des Wester-Waldes / welcher ein Theil des Hercynischen ist / und die Catten von den Juhonen unterscheidet / anhalten / sich sammlen / und alle im Rücken stehende Macht ihm folgen solte. Unterdessen besätzte er das Gebürge und den Seinstrom; den Wester-Wald aber ließ er verhauen; also daß Silius / ungeachtet er an unterschiedenen Orten Lermen machte / nirgends durchbrechen konte. Weil nun die Macht des Hertzoges Arpus sich alle Tage verstärckte / der grosse Regen ihm auch vielerley Ungemach zufügte; inzwischen aber Hertzog Catumer bey des Bacchus Altare mit zwölf tausend Catten übergegangen war / und zwischen dem Rheine und der Mosel nach eigenem Willen hausete; also die Gallier um Hülffe rufften; muste Silius / ohne daß er wider die Catten das geringste ausgerichtet hatte / nur zurücke über den Rhein eilen / und dem Hertzoge Melo die Verwahrung seiner Gräntzen[1163] heimstellen / um Catumern in Gallien die Stirne zu bieten. Unterdessen wendete sich Malovend den gerädesten Weg gegen der Lippe /stellte sich nicht allein / als wenn er kein Wasser getrübt hätte / sondern gab auch / als er zum Ingviomer in die Belägerung kam / für: daß er um den eingefallenen Römern zu entkommen / fünff Tag und Nächte in einer der wildesten Einöde hätte Kummer und Noth leiden müssen. Germanicus aber sätzte mit sechs gantzen Legionen und dreißig tausend Ubiern / Menapiern und andern Galliern über den Rhein; zwang also den Hertzog Ingviomer: daß er die Belagerung der schon ziemlich nothleidenden Festung aufheben muste. Denn ob er zwar vom Feldherrn Hülffe verlangte / schrieb er doch Ingviomern: er hielte nicht für rathsam sein Kriegs-Volck durch hin und wieder ziehen ohne Noth abzumatten. Sintemal die grosse Schiffsrüstung und andere Nachrichten ihn allzu gewiß versicherten: daß die Römer nichts in den Wüsteneyen um den Lippestrom noch in den Sümpffen der Bructerer anfangen würden / oder ausrichten könten / sondern daß des Germanicus gantzes Absehen auf den Weserstrom gerichtet wäre. Diese Muthmaßung des Feldherrn traf auch richtig ein. Denn nach dem sich Ingviomer an die Isel sätzte / ließ Germanicus nur an der Lippe hinauf einen Streif thun / etliche alte Tämme / Schantzen und Gräntzmaale verneuern; er aber besserte die zerdrümmerten Mauern und Wälle um Aliso wieder aus / bauete auch nur ein schlechtes Altar seinem Vater Drusus / daß darauf geopffert werden könte / und an dem keine andere Zierath / als des Pluto und Proserpinens Bild zu sehen war. Gleichwol aber opfferte er darbey denen zwölff Göttern / nemlich dem dreyfachen Jupiter im Himmel / im Wasser und unter der Erde / in welchen die Welt bestehet; der Ceres / Juno und Diana / welche sie beseelen; dem Apollo / der Venus und Mercur / welche ihre Theile mit einander verbinden; der Vesta / Pallas und Mars /welche die Welt beschirmen. Uberdiß hielt er dem Drusus zu Ehren allerhand Spiele. Alle sechs Legionen Fuß-Volck muste die Wette lauffen / die Reiterey in die Wette rennen. Denen Siegern zu Fusse gab Germanicus einen gestickten Rock / denen zu Rosse ein Mauritanisches Pferd mit Sattel und Zeuge. Hernach muste das Fuß-Volck mit bleyernen Kugeln an Riemen; die Reiterey aber mit thönernen Kugeln fechten / und in einem Rennen mit dem Wurffspieße durch einen geharnschten Mann werffen / einen Mohren-Kopff mit dem Schwerdte abhauen; und den / welchen sein Vorläuffer abgehauen / mit einer Lantze anspießen. Die in jenem siegten / wurden vom Germanicus mit einem güldenen Schwerdte / diese mit einem Halsbande beschenckt. Die Bogen-Schützen musten nach einer auf den Gipffel einer sehr hohen Tanne gebundenen weissen Taube mit Pfeilen schüßen; und /die sie traffen / bekamen einen güldenen Köcher mit Pfeilen. Endlich ward auf dem Rheine von vier und zwantzig vergoldeten Schiffen ein Schiff-Rennen und hernach ein Gefechte gehalten. Die Boots-Leute musten auch die Wette schwimmen / und hernach auf kleinen Nachen eine an ein über den Rhein gespanntes Seil angebundene Gans loß reissen und andere Kurtzweilen angeben. Germanicus betheilte jedes Schiff mit drey Ochsen / jeden Boots-Knecht mit einem himmelblauen Kleide / einen jeden derer / welche das beste gethan hatten / mit hundert Sestertiern und einem geschnäbelten Schiffs-Krantze. Kein neues Gedächtnüs-Maal wolte Germanicus seinem Vater nicht aufrichten; entweder weil solches ohne des Tiberius als obersten Priesters Vorwissen und Willen nicht geschehen konte / er auch daraus mehr Mißgunst / oder vielmehr besorgte: daß es doch von den Deutschen wieder würde zerstöret werden.[1164]

Inzwischen kam die neu-erbaute Kriegs-Flotte vollends den Rhein herauf / welche die Bataver / Gallier und sonderlich die Armorischen Städte mit vier und zwantzig tausend Schiffern und Boots-Leuten besätzt hatten; es kam auch Silius vom Ubischen Altare mit zweyen Legionen nach Alison auf dem Rheine herunter; und muste Domitius mit einer aus Gallien gezogenen Legion nebst dem Aufboth der zwischen der Araris und Maas gelegener Völcker inzwischen die Catten zu he en über sich nehmen / welchem auf den Nothfall eine Legion aus Rhetien zu Hülffe kommen solte. Germanicus schickte die Last-Schiffe mit Lebens-Mitteln und dem Krieges-Geräthe voran / theilte die sechs hundert alten Schiffe unter die Hülffs-Völcker / die tausend neuen unter die acht Römischen Legionen ein. Aller Schiffe Mastbäume Vörder- und Hintertheile waren bekräntzt / und jedes hatte ein besonderes Schutz-Bild; des Germanicus Haupt-Schiff den Osiris und die Isis / welche aber eigentlich den August und Livien abbildeten. Des Silius Schiff hatte Jupitern und die Juno / beyden aber war der Zunahme des Augustus beygesätzt. Sintemahl die Römer nicht weniger als die Egyptier denen Göttern ihrer Fürsten /als ihren Fürsten der Götter Nahmen zueigneten. Auf allen Schiffen der Bataver stand das auf einer Drommel sitzende Bild der Göttin Nehalennia; welche sonderlich von denen Seefahrenden Handels- und Kriegs-Leuten verehret wird. Etliche Schiffe der Gallier führten den Gott Cososus / viel den Camulus / andere den Togotius oder Endovellicus / und nicht wenig den Nemausus oder Pedajus / die Senones ihren vergötterten Fürsten Moritas gus / die Hispanier den Togotus. Er führte auf drey Mast-Bäumen güldene Flacken; auf dem Hintertheile seines über und über vergüldeten Schiffes steckte eine grosse purperne Fahne / in welcher auf einer Seite das Bild der Stadt Rom mit der Uberschrifft: der Welt und Völcker Göttin; auf der andern Tiberius mit der Beyschrifft: dem Beschirmer des Vaterlandes dem Schutzherrn der Welt; mit Perlen gestickt war. Am Spiegel des Schiffes stand eine güldene Sonne über einem sinckenden Nebel / und darunter diese Worte: Ich erhöhe und drücke zu Bodem. Silius / Cäcina / Vitellius / Antejus Tubero / und die andern Häupter der Legionen /welche einen Adler führten / hatten alle übergüldete /wo aber ein ander Krieges-Zeichen war / übersilberte Schiffe / ja durchgehends alle waren gemahlet / hatten im Schilde besondere Zeichen und Sinnen-Bilder. Flavius war auf dem roth- und gold-gemahlten Haupt-Schiffe der Deutschen und Gallischen Hülffs-Völcker. Seine drey Flacken waren ebenfalls blau und gold; seine Haupt-Fahne roth / und auf einer Seite war Germanicus / auf der andern Deutschland wie Diana mit dem Mohnden auf der Stirne / und darüber die sie bestrahlende Sonne von Gold und Silber / und darunter diese Worte gestückt: Ich gläntze von deinen Strahlen. Im Spiegel stand das Cheruskische Pferd / und darbey ein Zaum / mit den Worten: Für meinen Fall. Malovend führte die Ubier und Menapier / hatte ein blau und vergüldetes Schiff / solche Flacken / und in dem grossen Fahne war auf der einen Seite ein Wachthurm mit einem leuchtendẽ Feuer / und ein in der stürmenden See wallendes Schiff gemahlt. Darunter war zu lesen: Mein Feuer / mein Wegweiser. Auf der andern Seite stand eine tröpffelnde Brenn-Kolbe über glüenden Kohlen / und diese Worte: Mein Weinen rührt von meiner Glutt. Im Spiegel führte Malovend einen rothen Löwen / mit der Beyschrifft: Mein Glantz rührt her von[1165] meinem eigenen Blute. Diese Schiffs-Flotte war in fünf Theile abgesondert. Den Vortrab führte Flavius und nachgehends Cariovalda; weil die Bataver dieses Meeres am besten kundig waren. Der andere Hauffen hatte den Silius / den vierdten Cäcina zum Haupte / den Nachzug führte Malovend und Cruptorich; in der Mitte aber prangete Germanicus mit dem Ausbunde der Schiffe und dem Kerne des Römischen Heeres. Der Rhein erstaunte über dieser grossen Krieges-Macht / und war kaum mächtig so viel und grosse Schiffe zu tragen. Bey dem Eingange des vom Drusus gemachten Grabens aber wartete Hertzog Cariovalda noch mit zwey hundert von Batavern besätzten Schiffen. Daselbst muste alles Kriegs-Volck aussteigen und dem Opffer des Drusus beywohnen / welchem Germanicus hundert Ochsen schlachtete und ihn mit grosser Andacht anruffte: Er möchte ihm doch nicht mißgönnen: daß er auf dieser seiner Fahrt seinem Beyspiele und der Ehre nachfolgte / sondern er solte ihm vielmehr ein Theil seines hi lischen Geistes einblasen / welcher ihn alles so klüglich entschlüssen und so tapffer ausführen lehrte. Nach vollendetem Opffer fuhr er ohne einige Hindernüsse in die Flevische See. Diese grosse Macht nöthigte den Friesischen Hertzog Malorich: daß er den Römern nicht nur seine Hafen öffnen / ihnen allen Vorschub thun / sondern auch / wie schwer es ihn gleich ankam / und wie sehr er den Feldherrn eines andern versichert hatte / den Fürsten Cruptorich mit hundert Schiffen und sechstausend Friesen den Germanicus verstärcken lassen muste. Derogestalt segelte er mit gewünschtem Winde aus der Flevischen See in das grosse Welt-Meer. In diesem lendete er mit etlichen Schiffen auf dem Eylande Burchanis an / und verehrete daselbst abermals den Hercules und Drusus bey ihren Gedächtnüs-Maalen mit Opffern und Ritter-Spielen. Er ließ auch bey des Drusus Bilde etliche gefangene Deutschen / Africaner und Sarmater auf den Tod gegen einander fechten / entweder aus Aberglauben: daß des Drusus etwan erzürnter Geist dadurch versöhnet / oder die Römer durch Anschauung so vieler Sterbens-Arten des Todes desto besser gewohnen /und sonderlich die neugeworbenen desto behertzter werden solten. Wiewol diese abscheuliche und blutige Spiele / da zu Rom mehrmahls in einem Monate zwantzig tausend Menschen abgeschlachtet worden /nicht so wol Mittel die Todes-Furcht zu vertreiben /und Leute tapfferer zu machen / als Wegweiser zu viehischer Grausamkeit sind / zu welcher Löwen und Tyger in Schauplätzẽ offtmals müssen denen Menschen zum Beyspiele dienen; So hat doch die Erfahrung von langer Zeit erhärtet; daß die / welche in solchen Spielen und im Zweykampffe grosse Helden zu seyn scheinen / hernach im Kriege es andern nicht so wilden Kriegs-Leuten gar nicht gleiche thun. Der Schluß des Germanicus war zwar gemacht in der Weser einzufahren / weil aber Hertzog Melo zum Germanicus auf das Eiland Burchanis zu kommen allerhand Ausflüchte machte / und ihm der Chauzen Kaltsinnigkeit ziemlich verdächtig vorkam; er auch erfuhr: daß die Angrivarier mit denen Cheruskern und Catten zuspanneten / blieb Germanicus unter dem Scheine der Andacht bey Burchanis so lange liegen /biß der West-Wind umschlug und sich in Nord-Ost verwandelte. Diesen Zufall brauchte Germanicus zum Vorwande: daß er das des Wassers ungewohnte und von der gewöhnlichen Schiff-Kranckheit abgemattete Volck nicht länger auf den Schiffen halten und die Weser erreichen könte; schickte daher den Antejus zum Melo um Erlaubnüs: daß er in der Emß aussätzen möchte. Melo aber hatte so bald nicht des Antejus Ankunfft vernommen / als er die Römische Schiffs-Flotte in die Emße einlauffen / und bey Amisia Ancker werffen sahe. Also war es weder Zeit noch rathsam[1166] dem Germanicus was abzuschlagen / sondern Melo muste sich über dieser Verdrüßligkeit noch freudig stellen / und zum Feldzuge mit den Römern wider die Deutschen sich rüsten. Gleichwol widerrieth er diesen zum besten mit den Schiffen weiter Strom auf zu fahren / unter dem Scheine: daß sie theils zu breit wären / theils ihrer Schwerde zu tief giengen /und besorglich auf dem hin- und her seichtem Ufer feste sitzen bleiben dörfften. Denn hierdurch verursachte Melo: daß Germanicus / welcher auf der Ost-Seite aussätzte / bey nahe drey Wochen mit Brücken-bauen und Abthuung anderer Hindernüsse / welche die vorher gehende Winters-Flutt mit Durchbrechung der Tämme verursacht hatte / zubrachte / ehe er sein Kriegs-Volck aus den Sümpffen aufs feste Land bringen konte. Wiewol dieses nicht ohne empfindlichen Verlust ablief. Denn weil Germanicus vernam: daß Ingviomer nicht mehr weit von der Emße / der Feldherr aber an der Hunte stünde / und er bey der Zusa enstoßung auf alle Weise hindern wolte / war es ihm zu lang des Brückenbaues abzuwarten. Diesemnach muste die Helffte der Hülffs-Völcker bey einfallender Eppe durch die ausgießende See und Sümpffe setzen und den Legionen den Weg zeigen; welche denn auch ohne sonderlichen Schaden durch kamen. Als aber die andere Helffte der Hülffs-Völcker durchsetzten und wateten / erhob sich ein Nord-West-Wind / welcher auf der Emße das Wasser schwellte und es aus dem Meere mit grosser Gewalt in Strom trieb; also daß alles / was nicht schwimmen konte / im Schlamme stecken blieb und ersoff. Inzwischen hatte Ingviomer Zeit sich mit dem Feldherrn zu vereinbaren; zumahl Germanicus aus Mißtrauen nicht fortrücken wolte / biß Melo Römische Besatzung in Amisia einnam / und die Römer ihrer unhinderlichen Rückkehr zu versichern / unterschiedene Schantzen aufgeworffen hatten. Dieses that dem Fürsten Melo so wehe: daß er im Hertzen den Tag verfluchte / da er sich mit den Römern in ein Verständnüs eingelassen hatte. Er erkennte nun allererst / aber zu spät: daß die nicht glücklich seyn / noch sich aus der Nothwendigkeit zu sündigen ausflechten könten / welche nicht alle ihre Regungen der Liebe des Vaterlandes unter die Füsse geworffen hätten / das noch niemand ohne empfundene Rache beleidiget hätte. Viel empfindlicher aber war es den Chauzen / welche von dem unmäßigen Heere der Römer biß aufs Marck ausgesogen worden / und noch darzu ihr Blut wider die deutsche Freyheit daran setzen solten. Diese Unterdrückung erweckte bey den Nachtbarn / insonderheit bey den Angrivariern / welche ihren Hertzog Bojocal in eben diß Unheil rennen sahen / nicht nur ein Mitleiden; sondern ein gleichmäßige Beysorge und Rachgier. Niemanden aber stieg diß mehr zu Hertzen / als dem Grafen von Ravensberg / welcher auf Bojocals Befehl sechs tausend Angrivarier dem Germanicus wider die Cherusker zu Hülffe schicken solte. Dieser stellte das ihm anvertraute Volck rings um sich her in Schlacht-Ordnung / nam seine Lantze / Degen / und alles andere Gewehre / warf es zu Bodem und redete sie an: Wundert euch nicht / ihr redlichen Deutschen; daß ich meine Waffen wegwerffe / und nicht mehr euer Führer seyn wil. Es ist keine so grosse Schande den Nahmen eines Furchtsamen haben / als wider die Freyheit und das Vaterland tapffere Thaten ausüben. Ich habe gemeint: die Freyheit wäre in Deutschland zu Hause und entsprossen / und sie wäre von uns so wenig als die Wärmbde vom Feuer zu trennen. Nun aber sehe ich leider! mit Augen: daß wir nicht einmahl unter die Völcker / welche weder eine völlige Freyheit / noch eine gäntzliche Dienstbarkeit ertragen können / sondern unter den grossen Hauffen / welcher ohne Herren nicht seyn kan / und sich selbst in die Knechtschafft verkaufft / zu rechnen sind. Wir haben die Dienstbarkeit auf unserm eigenen Esel zu Hause und Hofe. Denn ungeachtet unser[1167] Meer / unsere Flüsse und Sümpffe diese schädliche Feinde zu verschlingen /und uns zur Gegenwehre durch ihr Beyspiel aufzumuntern bemühet sind / widerstreben wir doch der Natur und unsern Schutz-Geistern / indem wir itzt gleich unterweges und im Wercke begrieffen sind /die Römer zu Herren Deutschlandes und unser zu machen. Niemand ist unter euch so blind / der nicht diß sowol / als ich / siehet / der nicht der Römer Vorhaben mit der Hand greifft / oder nicht schon das Römische Joch auf seinen Schultern fühlt. Aber niemanden ist diß mehr beschwerlich; keinem Menschen gehet unser Verlust zu Hertzen; sondern wir eilen als auf einer lustigen Rennebahn in unser Verderben wie Curtius in den Pful. Das ärgste ist: daß ich hierwider weder Rath noch Hülffe weiß. Denn ich sehe: daß die Schlaffsucht / die Zagheit und andere Niedrigkeiten der Gemüther zu gewissen Zeiten eben so wol / als Pest und Fieber in der Welt herrschen; und / weil etwas göttliches hierunter verborgen steckt / keine Artzneyen weder wider eines noch das andere Ubel anschlagen. Durch eine so seltzame Veränderung hat Athen und Rom seine Freyheit mit Füssen von sich gestossen; ja sich über dieser Erlangung nicht so sehr / als über ihrem Verluste erfreuet; gleich als wenn die Freyheit ihr verdrüßlicher Winter gewest wäre / und mit der Dienstbarkeit ihr annehmlicher Frühling angienge. Weil es nun ja nicht anders seyn kan; so ziehet immer hin / machet euch und die Cherusker zu Knechten der Römer / und bey dem Begräbnüsse euer Freyheit / wie bey Antretung einer fetten Verlassenschafft / lustig. Ich aber verlange kein Theil an dieser erbärmlichen Freude / sondern vielmehr den guten Nahmen zu haben: daß ich ehe kein Edelmann habe bleiben / als ein Werckzeug der deutschen Dienstbarkeit werden wollen. Die Angrivarier / derer viel ohne diß sehr schwermüthig zu diesem Zuge kommen waren / wurden durch Ravensbergs Rede gantz umgedreht: daß sie sich erklärten mit ihm für die Freyheit zu sterben / ihn auch nach langer aber vergebener Weigerung nöthigten seine Waffen wieder zu nehmen und ihr Führer zu bleiben. Das Geschrey hiervon versätzte Bojocaln in grosse Verwirrung / sintemahl ihm Ravensberg auf zugeschickten scharffen Befehl: daß er zum Germanicus stossen solte / zur Antwort wissen ließ: Er wäre Bojocaln nur so lange zu gehorsamen schuldig / als er ihm nichts wider das Heil des Vaterlandes zu thun schaffte. Denn dieses beleidigen wäre nichts besser / als GOtt selbst bekriegen. Viel andere Angrivarier pflichteten und fielen ihm bey; also / daß es zu einem gantzen Aufstande kam / und Bojocal sich zum Germanicus flüchten muste. Denn über diß /daß die Liebe der Freyheit sie zu denen kühnesten Entschlüßungen bewegte / war Bojocal wegen seiner Laster dem Volcke ohne diß verhaßt / welche wie verborgen sie geschehen / und wie fleißig sie Fürsten zu verstecken trachten / doch eben so wol als die Sonnenstrahlen hinter trüben Wolcken sichtbar sind / und sich leichter vermänteln als verbergen lassen. Die stummen Wände und Tapezereyen kriegen zuweilen Zungen solche zu verrathen / und die Zeit hat nicht weniger Macht ihre Geheimnüsse / als Hirsche mit ihrem Atheme die Schlangen aus den tiefsten Klüfften heraus zu ziehen. Uber diß hatte sich Bojocal nach der mit den Römern gemachten Verträuligkeit über die Angrivarier einer grössern Gewalt angemaaßt / als Könige und Fürsten in Deutschland über ihre Unterthanen zu haben pflegen. Sintemahl diese so wenig /als in Gallien über-sondern unter den Gesätzen sind /und nicht mehr Gewalt über das Volck haben / als das Volck über sie hat. Insonderheit hatte Bojocal durch allerhand von den Römern begrieffene Künste sie mit Anlagen beschweret / und seine Herrschaft verhaßt gemacht / auch hattẽ sie diß Unrecht durch ihre Gedult nicht verdäuet / sondern nur auf Gelegenheit es zu rächen gewartet. Denn Unterthanen haben zwey[1168] Eigenschafften der Kamele / nemlich daß sie lange ihr Unrecht vertragen / aber auch lange die Begierde es zu rächen wie ein Feuer unter der Asche verbergen. Germanicus ward über Bojocals Flucht und der Angrivarier Aufstande so viel mehr bekümmert / weil er nicht ohne Ursache besorgte: daß dieses Beyspiel die Chauzen / Friesen und Sicambern zur Nachfolge verleiten dörffte. Dieses Feuer nun beyzeite zu leschen gab er Bojocaln den Stertinius mit drey tausend Römischen und so viel Gallischen Reitern und von drey Legionen das leichte Kriegs-Volck neben fünf tausend frembden Fuß-Völckern zu / diesen Aufstand so wol zu straffen als zu dämpffen. Denn diese Gewohnheit haben die Römer allezeit gehabt: daß sie die Züchtigung der Abtrünnigen allen andern nöthigen und vortheilhafften Verrichtungen vorgezogen; ja / als Hannibal gleich Rom belägerte / ihrem eigenen Feuer zuzulauffen so lange verschoben / biß sie Capua wieder in ihre Gewalt gebracht hatten. Bojocal kam also dem Ravensberg ehe / als er vermeinte / auf den Hals; über diß sprengte er zum Schrecken aus: daß Germanicus mit der gantzen Römischen Macht folgte. Sein klügster Streich aber war dieser: daß er den Ritter Eberstein anstifftete sich auch zum Ravensberg zu schlagen / und bey denen Verbundenen von Beschützung der Deutschen Freyheit viel Wesens zu machen. Denn durch dieses Mittel theilte Bojocal die vorhin alleine beym Ravensberg bestandene Gewalt / und hiermit auch die Meinungen. Sintemahl Ravensberg zum Hertzoge Ingviomer zu stossen / Eberstein aber Bojocaln den Kopff zu bieten rieth / und jeder die Gemüther an sich zu ziehen bemühet war. Wordurch denn ein Aufstand wider den andern / und zwischen allen ein Mißtrauen erreget ward; also / daß / nach dem Bojocal allen / welche in dreyen Tagen sich unter seine Fahnen einstellen würden / völlige Begnadigung versprach / allen Hartnäckichten aber den Verlust ihrer Güter / Ehre und Lebens andräuete / es dem Eberstein nicht schwer fiel seinen Anhang wieder auf Bojocals Seite zu bringen. Ravensberg behielt also kaum fünf tausend Angrivarier / mit welchen er sich gegen dem Flusse Hunte wendete und sich mit den Cheruskern zu vereinbaren meinte. Aber sein Vorhaben war Bojocaln und dem Stertinius verrathen / welche ihm den Weg verbeugten. Gleichwol aber sprach er den Angrivariern ein Hertze ein: daß sie mit einer unbeschreiblichen Tapfferkeit den Römern begegneten / und ihnen eine ziemliche Zeit genung zu schaffen / und den Sieg zweiffelhafft machten. Sintemahl sie für ehrlicher hielten von Händen des Feindes / als eines Scharfrichters sterben; und daher aus verzweiffelter Hoffnung zu leben desto hartnäckichter fochten. Nach dem aber Ravensberg mit einem Pfeile durchs Auge in Kopff tödtlich verwundet ward und vom Pferde fiel / sahe man: daß das Haupt der gantze Mensch / und ein Heerführer das gantze Heer wäre. Daher wurden zwar die von Adel hierüber so sehr er bittert: daß sie mit Aufsetzung ihres noch übrigen Blutes Rache üben wolten; nach dem aber auch von diesen die Keckesten fielen / wurden die Gemeinen kleinmüthig; also gerieth alles in die Flucht. Da denn der meiste Theil erschlagen / wenig gefangen / und noch etwan tausend Pferde vom Ritter Garsau / Gottingen und Wundesdorff davon und zu Ingviomern gebracht wurden. Bojocal hausete mit dem Stertinius in seinem eigenen wie in des Feindes Lande. Er ließ alles / was mit im Aufstand war eingeflochten gewest / und ihm mit dem Eberstein gleich wieder zugefallen war / auf des Stertinius Rath niederhauen und ihre Güter verbrennen. Denn ein Fürst müste die / welche schon einmahl sein Ansehn verächtlich gehalten hätten / und mit keinen Wolthaten kräfftig verbunden werden könten / mit keinen linden Pflastern / unter welchen die Fäulnüs nur weiter um sich fräße / heilen; sondern sie mit Strumpff und[1169] Stiel ausrotten / und auch in unfühlbaren Dingen Merckmaale seiner Rache hinterlassen.

Mitler Zeit hatte der Feldherr und Ingviomer sich an dem Hase-Strome vereinbaret und gesätzt / weil beyde nicht wusten: ob es der Römer Ernst wäre über die Weser zu setzen / oder nicht vielmehr zwischen der Emße und der Weser einzubrechen. Zumahl Germanicus bald dar bald dort einzufallen Schein von sich gab. Es kriegte aber der Feldherr vom Hertzoge Marcomir / welchen er mit acht tausend Mann bey der vom Drusus gebauten und an der Cheruskischen und Chauzischen Gräntze liegenden Festung Fabiran zu Beschirmung der Weser gelassen hatte / Nachricht: daß der Römer anderwärtige Dräuungen ein bloßes Spiegelfechten / ihr rechter Ernst aber auf die Weser gespitzet / Germanicus mit der gantzen Römischen Macht schon über den Jadestrom / und im Munde der Weser viel Schiffe / Nachen und ander Zeug zum Schiffsbau ankommen wären. Dieses waren so gewisse Anzeigungen des dahin angesehnen Einbruchs: daß beyde Hertzoge gerade dem Hunte- und Delmen-Strome zueileten um für der Römer Ankunfft Fabiran zu erreichen und daselbst über die Weser zu ko en. Denn ob zwar Ingviomer der Meinung war / man solte den Römern disseits der Weser auf den Hals gehen; so pflichteten doch die meisten Kriegs-Häupter dem Feldherrn bey; man solte den Feind unverhindert über die Weser setzen lassen / weil er so denn sich desto schwerer zurück ziehen könte / und die über der Elbe wohnenden Völcker desto grössere Eyversucht wider die Römer schöpffen würden. Ehe sie aber an den Delmenstrom kamen / war Germanicus schon unten eine halbe Meile oberhalb der Weser über den darein flüßenden Hunte-Fluß kommen / hatte sich auch zwischen der Weser und der Olla eines sehr vortheilhafftigen Ortes bemächtiget; allwo er mit Hülffe der Chauzen / weil Hertzog Melo unabsonderlich beym Germanicus bleiben muste / unterschiedene Brücken über die Weser zu bauen anfieng. Gleichwol aber kam der Feldherr mit acht tausend auserlesenen Cheruskern dem das Ufer besetzenden Hertzoge Marcomir zu Hülffe / ehe die Römer mit einiger Brücke fertig werden konten / und folgte ihm Hertzog Ingviomer mit der völligen Macht der Cherusker /Bructerer und Marsen ohne einige Zeit-Verlierung nach. Auf den folgenden Morgen berieth der Feldherr mit dem Grafen von Nassau und fünf hundert auserlesenen Rittern den Strom und die Gegend: daß er alle Gelegenheit anzuländen und zu schlagen ihm absähe. Weil er nun über der Weser auf einem Hügel einen von Purper und Golde schimmernden Römer zwischen einer ziemlichen Menge herrlich gerüsteter Kriegs-Leute halten sahe / befahl er dem Ritter Hoye: er solte dahin an den Strom reiten / darüber ruffen und fragen: Ob nicht Germanicus auf dem Hügel hielte. Weil es diesem nun einer von den Römern / welcher sich Albius Atticus nennte / verjahete; kam der Feldherr selbst dahin / und ruffte dem Römer zu / er möchte dem Germanicus sagen: Er wäre ihm an diesem Strome ein angenehmer Gast / weil sie auf einer oder der andern Seite / daraus ihm Germanicus selbst eine erwehlen möchte / mit einander die deutsche und Römische Tapfferkeit zu prüfen Gelegenheit finden würden. Wenn er nun auf der Ost-Seite zu schlagen Lust hätte / wolte er ihn an Fertigung der Brücken nicht hindern / ihm auch Raum zum Aussätzen machen. Dafern aber sein Bruder Flavius im Lager wäre / möchte Germanicus ihm doch erlauben: daß er an dem Strome mit ihm zu Fusse und ungewaffnet reden möchte. Atticus rieth mit dieser Post zum Germanicus. Weil nun Hertzog Flavius eben zur Stelle war /und nebst dem Ganasch dem Germanicus alle Gelegenheit der Weser und des Landes anwieß; Flavius auch eine Begierde mit seinem Bruder zu sprechen mercken[1170] ließ / konte es ihm Germanicus nicht wol abschlagen; ungeachtet er nun so wol wider ihn / als andere mit den Römern verbundene Fürsten ein heimliches Mißtrauen hatte; jedoch gab er ihm zwey etwas deutsch verstehende Römer unter dem Scheine der Sicherheit mit; und der gegenwärtige Stertinius muste auch nicht ferne davon hinter dem das Ufer bedeckende Gestrittig mit dreyhundert Pferden auf allen unverhofften Fall fertig stehen; weil es den Deutschen nur eine Kurtzweil war durch die tieffsten und strengsten Ströme zu sätzen / ungeachtet das Ufer schon vorher mit einer ziemlichen Anzahl Bogenschützen besätzt war. So bald nun Flavius ans Ufer kam / grüßte ihn Herrmann / und bat: daß / wie er alle seine Leibschützen von sich gelassen hätte / Flavius auch die Römischen auf die Seite schaffen möchte / um mit ihm desto sicherer zu reden. Nach dem nun Flavius den Feldherrn wieder gegrüßt / und seine Freude über seinem Wolstande bezeugt hatte / gab dieser sein Mitleiden über die Verstellung seines Antlitzes und den Verlust des einen Auges ihm zu verstehen. Flavius hingegen sagte: Er könte sich mit einem Auge wol vergnügen / nach dem der Himmel ihrer nicht zwey bedörffte. Herrmann antwortete: die Natur hätte dem Menschen derer gleichwol zwey gegeben / welche so wenig was überflüßig zu verschwenden / als was nöthiges abzubrechen gewohnt wäre. Weil nun der gantze Mensch gleichsam ein Dienstbothe des Gesichtes /dieses aber der Wegweiser zu den meisten Wissenschafften / und der Handgrief fast aller Ergötzligkeiten wäre; müste der Verlust auch eines einigen Auges dem gantzen Leibe eine grosse Schwachheit zuziehen. Flavius fiel ein: Es ist eben so wol Vortheil mit Ehren ein Auge / als das Leben verlieren. Herrmann / ob er es zwar wol wuste / fragte: Wie und wo er es denn verlohren hätte? Flavius antwortete: In der letzten Schlacht mit seinen treuen Bund-Genossen den Römern. Herrmann fragte ferner: Was er denn für einen so grossen Verlust für Vergeltung erlangt hätte? Flavius begegnete ihm: Ich habe zu Rom nun zweymahl so viel Ansehn / als da ich noch zwey Augen hatte; und der Käyser hat mich mit zweyfachem Kriegs-Solde / mit einer goldenen Kette und seinem Bildnüsse / mit einer güldenen Krone und andern im Kriege gewöhnlichen Freygebigkeiten beschencket. Hertzog Herrmann fieng überlaut an zu lachen / und rief: O armseelige Belohnung einer so knechtischen Dienstbarkeit! Nun sehe ich: daß du nicht nur ein Auge verlohren hast / sondern daß dir auch das andere verblendet sey; indem du die unschätzbare Freyheit um Blätter und Schalen verkauffest / und sie dir noch theuer bezahlt zu seyn glaubest. Weist du nicht: daß es besser sey ein König in einer Kohlen-Hütte / als ein Knecht in dem prächtigsten Schlosse seyn? Flavius antwortete: So müssen wie uns auch schämen Knechte des unsterblichen GOttes zu seyn. Diesem und der Stadt Rom / welche einen rechten Spiegel der ewigen Gottheit fürbildet / zu dienen / ist mehr für eine Freyheit und Glücke / als für ein Joch und Unfall zu halten. Daher sätzen die Könige in Asien unter ihre Ehren-Titel: daß sie Freygelassene des Römischen Volckes wären / und durch ihre Untergebung allererst in die rechte Freyheit versätzt worden wären. Die gleichsam in einem stürmenden Meere durch ihre einheimische Kriege scheuternde Welt hätte an Rom einen sicheren Ancker erlangt / zu welchem sie ihre Zuflucht zu nehmen so viel besser thäten / weil diese Stadt doch vom Verhängnüsse zu ihrem Haupte und Göttin versehen wäre. Daher weigerten sich die unbändigen Parthen nicht mehr die Römischen Adler und die Bilder der Käyser anzubeten. Die Völcker stritten mit einander um die Ehre Rom und den Käysern Tempel aufzubauen. Was wolten deñ die Deutschen alleine wider den Schluß des Himmels und die Einwilligung der Völcker ausrichten.[1171] Es wären bey nahe achthundert Jahr / in welchen die Römische Macht durch nie unterbrochene Tugend und Glücke zusammen gewachsen wäre. Daher würde sie nimmermehr ohne der sie anfechtenden Untergange zu zerstören seyn. Dieses hätten die Sicambrer und Juhonen /die Chauzen und Friesen vernünfftig behertzigt. Warum wolten denn die Cherusker alleine ihnen daran den Kopff zerschellen? oder warum wolten sie durch verweigerte Unterwerffung ihnen alles Unheil auf den Hals ziehen / die Glückseligkeit aber mit den Füssen von sich stossen? welche so denn allererst in der Welt vollkommen seyn wird / wenn Rom alle Völcker ruhig beherrschen wird. Wilstu nun alleine das Heil der gantzen Welt und dein eigenes hindern? denn von den Römern lernte man allererst recht leben; zu Rom würde man erst zu rechten Menschen. Weißheit / Tugend und Glücke wohnten alleine in dieser Stadt Umkreiße in verträulicher Eintracht; und Herzog Herrmann würde seine Herrschafft um ein ansehliches vergrössern / seiner Tapfferkeit allererst ans Licht helffen / und sein Glücke befestigen / wenn er Rom für das Haupt der Welt / den Kayser für seinen und Deutschlandes Schutz erkennen würde; welches wegen seiner Stärcke und Entlegenheit viel gelinder /als kein ander Volck von Römern gehandelt werden müste. Denn was entfernet läge / wäre ausser allem Anstosse und Beleidigung; und hätte sich so vielmehr der Römischen Gütigkeit zu versichern. Den Hertzog Herrmann würde Rom und der Kayser mit ausgestreckten Armen für ihren Freund aufnehmen / und von den Cheruskern eine geringe Erkenntligkeit an statt / daß andere mit den Waffen bezwungene Völcker schwere Schatzungen abgelten müsten / abfodern. Die den Römern gehorchenden Gallier würden den Römern gleiche geschätzt. Sie wären nicht nur Römische Bürger / sondern sie würden auch gar Römischen Legionen und Landschafften fürgesetzt. Wie vielmehr hätte Hertzog Herrmann und andere deutsche Helden sich solcher Werthhaltung zu versehen. Daß er bereit bey den Römern in grossem Ansehen wäre / könte er daraus genugsam ermässen: daß seine Gemahlin und Sohn nichts von Beschwerde einer Gefangenschafft wüsten; sondern beyde Fürstlich unterhalten würden. Diese würde er durch einen billichen Vertrag so wol des Gefängnüsses erledigen / als Deutschland aus dem Rachen der Dienstbarkeit und des Untergangs erretten. Der Feldherr brach ein: wer hat dir / lieber Bruder / den Aberglauben eingeflößt: daß das Verhängnüs die Römer oder einiges andere Volck iemals zur Herrschafft der gantzen Welt versehen habe? keines hat biß auf diese Stunde sich zum Meister über ein vierdtes Theil gemacht; in dem ich nicht glaube: daß uns und den Römern das dritte Theil davon entdeckt sey. Rom wird auch sicher verfallen und andern Völckern dienen / ehe es der halben Welt Gräntzen wird kennen lernen. O welch eine unermäßliche Weite der Länder ist noch durch den Nebel unser Unwissenheit für unsern Augen verborgen / welche die Nach-Welt allererst erforschen wird! Ist es nun nicht eine Eitelkeit / oder vielmehr eine thörichte Hoffart: daß sich die Römer Herren der Welt zu seyn rühmen; und wie weit sie gleich herrschen / doch von denen dreyhundert und sechzig Staffeln der grossen Erd-Kugel / darein sie so wol der Länge als Breite nach getheilet wird / von Ost gegen West kaum siebenzig in die Breite / und von Sud gegen Nord nicht viel über dreißig nach der Länge besitzen. Meinestu auch wol: daß wenn es schon der Welt Nutzen wäre einen Herrscher zu haben / solche Herrschafft einzurichten möglich wäre? wenn schon ein solches Haupt der Welt aller bißherigen Weltweisen Verstand / aller Herrscher Klugheit besässe / und ihm schon die Adler / durch welche Jupiter einmahl durch ihren Flug das Mittel der Erde zu Delphis gefunden[1172] haben soll / oder gar die Winde seine Befehle an aller Welt Ende zu tragen in Bereitschafft stünden? die Natur hätte die Erde mit allem Fleiße nicht als einen flachen Tisch /oder wie einen Kegel nach etlicher Aberwitzigen Träume / sondern in Gestalt einer weder Ende noch Anfang habenden Kugel gefertiget / weil niemand /als der / welcher keinen Anfang noch Ende hat /nehmlich GOtt sie alleine zu beherrschen fähig wäre; und Pythagoras sie deßwegen Jupiters Thurm und Hutte genennt hätte. Meinestu / GOtt habe die Länder umsonst durch so grosse Meere / tieffe Flüsse und so hohe Gebürge / daran sich selbst die Wolcken zerstossen / und welche die Vögel nicht überflügen / ja durch Kälte / Hitze und viel andere Wiederwärtigkeiten / die Völcker aber durch so unterschiedene Gestalten / Sitten / Sprachen / Neigungen von einander unterschieden? Alles dieses sind klare Anzeigungen: daß auch ihre Beherrschung von einander unterschieden seyn / und iedem Volcke ein Haupt seiner Eigenschafft fürstehen; GOtt alleine aber aller Könige König seyn solle. Dieser und die Sonne hätten alleine Kräfften in allen Dingen ihre Würckungen auszuüben; alle andere Sterne hätten nur gewisse Dinge unter sich. Wie möchte nun der gram- und lasterhaffte Tiberius ihm eine solche nur GOtt an- und zuständige Herrschafft träumen lassen? Glaube mir: daß diese seine Ehr- und Herrschenssucht so vielmahl die Thorheit des den Hellespont peitschenden und mit Ketten fesselnden / wie auch den Berg Athos ins Meer zu werffen dreuenden Xerxes übertreffe; als die Welt selbige Meer-Enge und den Berg übertrifft. Wie hätte Flavius als ein Deutscher die ihm angebohrne Liebe der Freyheit / welche auch Thiere so sorgfältig als ihr Leben verwahrten / aus seinem Gemüthe vertilgen können? die doch sonst so lehrsamen und dem Menschen zu gehorsamen gewohnten Elephanten beweinten des Nachts ihre Dienstbarkeit. Pythagoras hätte die Freyheit für was so edles geschätzt: daß er auch die Finger mit einigem Ringe einzuzwängen verboten. Und die Deutschen solten auf einmahl ihre Leiber /Vermögen / und Gemüther Frembdlingen / welche die Deutschen vormahls für Feinde gehalten / welche so wenig im Geitze und Grausamkeit / als im Herrschen Ziel und Maaß zu finden wüsten / mehr als kleinmüthig unterwerffen? Sollen wir Deutschen / derer Vorfahren es an Treue und Tapfferkeit allen Völckern zuvor gethan / welche Rom selbst in Asche gelegt haben / so verhaster Ausländer Knechte werden? derer auch gelinde Herrschafft allen freyen Völckern bitterer als Galle und Wermuth ist / und derer übermäßiges Gelücke fürlängst alle gute Sitten verterbet hat? Rühme einem andern die Tugenden der Römer / welcher ihnen niemahls unter die Larve gesehen und ihre Klauen erblicket / oder gefühlet hat. Streiche etwas besserm als dem Römischen Joche die Farbe deiner Beredsamkeit an. Ist doch ihre Freundschafft denen /welche sie nur zu Bundgenossen aufgenommen haben / unerträglich / und die Bataver sind wenig freyer / als anderer Könige Leibeigene. Zu dem wären die sich ergebenden Völcker nicht nur des Kaysers / der Feldherren und Land-Vögte / sondern eines ieden kahlen Römers / der über zehn andere Befehlhaber ist /Knechte und Dienstboten. Wenn solche Aegeln sich an ihrem Marck und Blute voll gesogen hätten / sätzte man ihnen andere hungrige über den Hals / welche noch tieffsinniger ihnen das Fette auszuzöpffen wüsten / damit sie ja nicht wieder zu Kräfften kämen. Zu ihren Kriegen nähmen sie den Eltern ihre Kinder /dem Geschwister ihre Brüder mit Gewalt weg / und machten sie zu Werckzeugen neuer Dienstbarkeiten. Durch dieser Blut / nicht aber durch eigene Tapfferkeit wären die Römer Herren so vieler Länder worden. Der Lohn aller treuen Dienste aber wäre nichts anders / als unsterbliche[1173] Schatzung / Ruthen / Beile /und / wenn man es am besten gemacht hat / gramhafftige Herrschafft. Daher wäre ja rathsamer für die Freyheit alles zu wagen; weil es auch die Uberwundenen nicht schlimmer als die sich gutwillig Unterwerffenden haben könten. Sagunt / Astapa und andere weniger Kriegrische Völcker / als die Deutschen wären /hätten aus Abscheu der Römischen Dienstbarkeit sich mit ihrem Vaterlande willig eingeäschert. Was solten sie denn Muth und Hände sincken lassen / da sie noch zur Zeit weder Glücke noch Tugend verlassen hätte? Unter allen Deutschen aber hätte niemand weniger Ursache / als er den Römern hold zu seyn / auch würde ihn GOtt für dem geringsten Gedancken behüten: daß er Deutschlande das Seil ihrer Dienstbarkeit solte anschlingen lassen. Flavius rühmte ihm der Römer Wolwollen gegen ihn und seine Gemahlin. Sie wären ihm aber / ausser einer Frauen / nur durch Beleidigung bekandt. Denn welche Grausamkeit wäre mit der zu vergleichen / die Tiberius wider seinen Sohn auszuüben befohlen hat? hätte Thußnelden durch eigenen Tod ein grösser Hertzeleid zugefügt werden können / als da man sie an ihrem Kinde eine blutige Zerfleischung anzuschauen gezwungen hat? Mit was hätten die Römer dem doch für ihren Freund aufgenommenen Siegesmund das Hertz ausfressen können / als daß sie ihn gezwungen einen Scharffrichter über sein so nahes Blut abzugeben? Keine Gefängnüsse wären schön / wenn sie schon güldene Gegütter und gestückte Vorhänge hätten. Wie möchte er denn von den Römischen so viel Lobes machen? Seiner Gemahlin und Sohnes Bestrickung lägen ihm zwar als ein schwerer Stein auf dem Hertzen / und kämen ihm nie aus dem Sinne; aber der Deutschen Freyheit gienge ihm über alles. Das Vaterland wäre seine fürnehmste Gemahlin / und das gemeine Heil sein erstgebohrner Sohn; welchen beyden die Gefangenen gerne wiechen / und lieber dienen / ja sterben /als zu der Cherusker Nachtheile frey seyn wolten. Dieses solte Flavius auch behertzigen und mit der Liebe des Vaterlandes nicht einen deutschen Fürsten ausziehen; welche / so lange sie diß wären / so wenig Knechte / als Adler zu Eulen werden könten. Er beschwüre ihn nun zum letzten mahl bey der Freyheit seiner für solche gestorbener Vorfahren; bey ihren und Deutschlandes Schutz-Geistern: daß er sich den Fesseln des Römischen Joches entbrechen / und mit ihm für die Ehre der Cherusker / für die Wolfarth der Nach-Welt die Waffen vereinbaren solte. Dieses wäre aller Bluts-Freunde / aller Schwäger / und ihrer heiligen Mutter Wunsch / welche sich für Leide in die Erde scharren wolte; und die Fruchtbarkeit ihrer Eingeweyde verfluchen würde / wenn sie an ihm einen abtrinnigen Deutschen / und einen Verräther des Vaterlandes solte gebohren haben; welchem es doch weder an Kräfften noch Gelegenheit fehlte ein Heerführer und Beschirmer Deutschlandes zu seyn. Flavius ward über diesen letzten Worten so entrüstet / daß er heraus fuhr: An dir / Herrmann / hat unsere Mutter die Fackel gebohren / welche gantz Deutschland in Brand gesteckt hat / und zu Asche machen wird. Du wilst lieber dein Vaterland vergehen / als dein Gebiete und Herrschafft um eine Spanne geschmälert / und deiner Ehrsucht ein Ziel gesteckt sehen. Du hältest für verantwortlicher hundert Völcker in ewigen Krieg zu verwickeln / als deinem Bruder ein weniges vom väterlichen Erbtheile einzuräumen. Dem Feldherrn stiegen diese Worte zwar tieff zu Gemüthe; Er mäßigte sich aber / und antwortete: Ich höre wohl: daß du mehr Galle / als Brüderlichen Blutes in dir / und von mir gantz irrige Meinung hast. Damit du aber sehest /wie wenig ich an vieler Völcker Blutstürtzung gefallen habe / so bin ich erbötig mit dir alleine durch unsere Waffen oder durch unverdächtige Schiedes-Richter unsern Erbschaffts-Streit[1174] beyzulegen. Der hitzige Flavius war zum ersten bald fertig; ruffte also den Seinigen / forderte Pferd und Waffen / als inzwischen Hertzog Herrmann schon zu Pferde kommen / und zum Kampffe in die Weser zu sprengen fertig war. Stertinius aber / welcher alle harten Worte gehöret hatte / eilete herbey / redete dem Flavius ein und sagte: daß weder solche Hefftigkeiten noch der verwegene Zweykampff Fürsten anständig wären / sondern sie sich zu was besserm fürs Vaterland aufzuheben hätten. Nichts weniger eilte Hertzog Marcomir zum Feldherrn und mühte sich ihn zu besänfften. Also kamen beyde zwar ohne Kampff / aber mit so vielmehr getrennten Gemüthern von sammen / und traff auch hier unter Brüdern ein: daß ihre wiewol zur Versöhnung angesehenen Zusa enkunfften ins gemeine nur mehr Oel ins Feuer zu giessen / und Fürsten da durch öffter Gelegenheit einander zu hassen / als zu lieben; ja ihre zusammen gebrachte Verträuligkeit in bittere Galle zu verwandeln bekommen. Sintemahl es mit der um Ehre und Herrschafft willen iederzeit zusammenkommenden Fürsten Freundschafft viel anders beschaffen ist / als um niedriger Leute / welche nicht allemal solche Begierde / noch so eyversüchtige Beystände / als der Fürsten Diener sind / mit zur Stelle bringen / als die für den treusten Dienst halten /wenn sie einem andern Fürsten etwas entziehen und ihrem zuschantzen.

Selbigen Tag kam Hertzog Jubil mit sechs tausend Hermunduren / der Graf von Hanau / Hohenstein und Waldeck mit fünf tausend Catten bey dem deutschen Heere an. Diesemnach stellten der Feldherr und Ingviomer ihr Heer folgenden Morgen an der Höhe selbiger Gegend in Schlacht Ordnung: daß die über der Weser stehenden Römer solche nicht nur eigentlich sehen konten; sondern sie liessen auch durch einen Herold dem Germanicus entbieten: Sie warteten daselbst der Römer und hätten ihm zwischen dem Flusse und den Bergen mit Fleiß einen geraumen Platz gelassen sein Heer nach Belieben zu stellen / sie begehrten ihn auch an dessen Ubersetzung nicht zu hindern. Germanicus /weil er entweder eine Hinterlist besorgte; oder der Deutschen Entbietung für zu hochmüthig und ihm für verkleinerlich / oder auch ohne Brücken und vorher aufgeworffene Schantzen die Legionen mit Schiffen /oder auf Flößen überzuführen für allzu gefährlich /und wie Julius Cäsar einem Römischen Feldherrn für unanständig hielt / ließ den Herold beantworten: Wenn er es für rathsam halten würde über den Fluß zu kommen und zu schlagen / würde er jenes ohne seines Feindes Einwilligung thun; und im Treffen pflegte er seiner Vernunfft / nicht seiner Feinde Rath zu folgen. Gleichwol aber gebrauchte er sich dieses ihm von den Deutschen eingeräumten Vortheils / ließ selbige Nacht die zur Zimmer-Arbeit abgerichteten Römischen Soldaten aus denen nahe an der Weser stehenden Bäumen etliche hundert Nachen aushauen /die Chauzen leere Bier- und Fisch-Fässer zuführen /die Häute von geschlachteten Ochsen und Schöpsen zusammen nähen / daß weder Lufft noch Wasser darein kommen konte / wie auch Balcken und Breter herbey schaffen. Von diesem Vorrathe baute er in wenig Stunden drey Schiff-Brücken darüber. Diese befestigte er durch unterschiedene aus Wieten oben spitzig zu geflochtene / mit Steinen gefüllte / und an statt der Ancker ins Wasser gesenckte Körbe / versahe solche auch am Ost-Ufer mit Schantzen und Besatzungen. Der Feldherr war zwar willens / weil Germanicus ihre Gutwilligkeit verachtete / sich derselben aber gleichwol bediente / seinen hierzu unwilligen Cheruskern zu erlauben der Römer Brücken-Bau zu hindern / das Ufer der Weser behaupten zu lassen / und die angesätzten Feinde nieder zu hauen. Aber Malovend verleitete Ingviomern und Marcomirn: daß sie als rathsamer behaupteten / man solte um den[1175] Sieg vollkommen zu machen / und nicht nur eine Handvoll Römer zu erlegen / sondern es dem Germanicus wie dem Qvintilius Varus mit zu spielen / dem Feinde ehe Brücken bauen helffen als sie daran hindern. Sie blieben auch ziemlich hartnäckicht auf ihrer Meinung /ungeachtet der Feldherr ihnen einhielt: Germanicus hätte nicht nur wie Varus drey- oder vierdte halbe-sondern acht Legionen / und nicht weniger deutsche und andere Hülffs-Völcker. Die Vermässenheit aber und Sicherheit wären der gemeinste Anfang des Unglücks. Ein kleines Versehen könte den gäntzlichen Untergang / wie ein Funcke einen grossen Brand / und eine verachtete Schwachheit den Tod nach sich ziehen. Daher liesse sich an keinem / zu geschweigen an einem so mächtigen nichts ohne Gefahr verachten; welchen nichts so sehr als die Nachläßigkeit verstärckte; hingegen erleichterte nichts mehr den Sieg /als wenn man ihm den Feind noch einmahl so starck /als er wäre / einbildete / und ihn zu erlegen Anstalt machte. Malovend aber wuste durch viel Nachrichten zu beglaubigen: daß das Römische Heer theils an neu geworbenem Volcke / theils an verzagten Flüchtlingen bestünde / welche voriges Jahr mit Noth aus des Feldherrn und Cäcinens Händen entronnen wären. Die Gallier wären mehr zur Verwirrung als zum Fechten tauglich / die Chauzen / Friesen und Sicambern folgten mit Unwillen den Römischen Adlern / und würden entweder die Waffen in der Schlacht wegwerffen /oder gar wider die Römer brauchen. Der Deutschen Heer aber bestünde in eitel Kerne alten und durch viel Schlachten abgehärteten Volckes / und in der gantzen Welt könten sie keinen vortheilhafftigern Ort zu einer Schlacht erkiesen / als den sie schon eingenommen hätten; indem sie von dieser an dem Rücken mit Wäldern befestigten Höhe auf die im Thale stehenden Römer mit grossem Nachdrucke loß gehen / der vom Flusse umgebene Feind aber ihnen nicht entfliehen könte. Ob nun wol der Feldherr diesen Einwürffen erhebliche Gründe und insonderheit dieses ihnen entgegen hielt: daß Germanicus den Kern fast aller andern Römischen Legionen und etliche tausend schon ausgediente Kriegs-Leute an sich gezogen hätte / er auch als ein erfahrner Feldherr die deutschen Hülffs-Völcker so unter zu spicken wissen würde: daß sie auch wider Willen würden fechten und treu bleiben; die Gallier aber wegen der ihnen durch den am Rücken habenden Fluß Stand halten müssen: so gab doch die Ankunfft acht tausend Longobarden und Semnoner unter dem Ritter Ringelheim / Wethin und Soltwedel der Sache den Ausschlag: daß auch die / welche unter denen Kriegs-Obersten vorher Hertzog Herrmanns Meinung gewest waren / nunmehr des gantzen Römischen Heeres Ubergang verlangten. Unterdessen ließ Germanicus noch ober- und unterhalb beyder Heere Anstalt machen über die Weser zu kommen / um die Deutschen / wo er eigentlich übergehen wolte / irre zu machen. Der Feldherr aber war auf allen Seiten wachsam / und machte allenthalben nöthige Gegen-Verfassung. Unterhalb vertraute er dem Hertzoge Marcomir / oberhalb dem Fürsten Malovend die Aufsicht. Nach dem aber dar / wo dieser stand / auf einem verstrauchten Hügel ein Rauch aufgieng / gieng Publius Vitellius mit der vierzehnden- und Cethegus mit der fünfften Legion auf Flößen und über die Brücken in möglichster Eyl über; Cariovalda aber sätzte mit der Batavischen Reiterey durch / und hemmete zugleich die Hefftigkeit des Stromes / daß unter ihm Stertinius und Emilius mit der halben Römischen / Sacrovir und Indus mit der Trierischen und Seqvanischen Reiterey durchschwemmen konte. Cruptorich führete auch tausend Friesen; der Graf von Fleckenstein zwey tausend Tribochen / Dagsburg zwey tausend Nemeter / Westerburg so viel Vangionen über. Malovend / welcher mit fünf tausend Marsen / zwey tausend[1176] Angrivariern / so viel Chamaven / drey tausend Cimbern darstand /sahe wider die Meinung der andern Kriegs-Häupter dem Feinde so lange zu / biß Sacrovir und Indus die an der Spitze stehenden Chamaven auf einer / Fleckenstein aber die Angrivarier auf der andern Seite anfiel. Der Ritter Spor und Stauben aber begegneten den Galliern auf eine solche Weise: daß sie nicht Zeit sich umzusehen hatten / biß sie zwischen die Römischen Legionen kamen / und sie Westerburg mit den Vangionen entsätzte. Der Graf von Diest traf mit den Tribochen / und denen sie entsätzenden Nemetern auch so tapffer: daß wie hertzhafft gleich Fleckenstein und Dagsburg ihm begegneten / konten sie doch ihr verwirrtes Volck nicht wieder zu Stande bringen. Inzwischen hatte Cariovalda und die Bataver mit den Cimbern angebunden; welche Ranzau und Ahlefeld führte. Diese brauchten an statt der Schwerdter lange auf beyden Seiten hauende Streit-Aexte / welche ungewohnte Art der Waffen / wie alle Neuigkeiten / die streitbaren Bataver / und die ihnen unter dem Emilius zu Hülffe kommenden Römischen Reiter nicht wenig verwirrete. Inzwischen rückte Cethegus mit der fünfften Legion / welche aber so wol als die vierzehnde zwey Adler auf- und viel Römisch-gekleidete Gallier untergesteckt hatte / gegen die Marsen. Aber Malovend wendete sich unerwartet einigen Schwerd-Streiches zurück über den Berg / ließ also die Angrivarier / Chamaver und Cimbern alleine im Gefechte; welche / als Cethegus von der Seite gegen sie andrang / nicht wusten: ob Malovend mit seinen Marsen verschwunden war. Hierauf kriegten sie allererst von ihm Befehl: Sie solten sich zurück ziehen / weil schon vier Römische Legionen über wären / und sie sonst von der gantzen Römischen Macht umgeben werden würden. Sie vernahmen diesen Befehl und Malovends Weichen mit so vielmehr Ungedult / je mehr sie bey schon erstrittenem Vortheil ihnen Hoffnung zum Siege gemacht hatten; gleichwol müsten sie Malovenden als ihrem Haupte folgen. Stertinius meinte mit der andern Helffte der Römischen Reiterey ihnen zwar den Weg zu verbeugen und sie von den Marsen gar abzuschneiden / aber der Ritter Winzenburg nam mit drey hundert Angrivariern bald einen engen Weg ein /und hielt durch seine fast verzweiffelte Gegenwehr den Stertinius so lange auf / biß die / welche sich zu sehr gegen den Feind vertiefft hatten / sich zurücke und an einander zohen; worauf sie denn dem Feinde allemahl die Stirne bietende zu rücke über die Höhe und zwischen die häuffigen Brombeer-Sträuche wiechen; welche denen Deutschen mercklich zu statten kamen / daß sie vom Römischen Heere nicht umringet werden konten. Malovend sahe sich inzwischen nicht einst um / biß ihm hinter dem Berge im flachen Felde der Graf von Regenstein mit drey tausend Cheruskern / und der Graf von Steinfurt mit nicht weniger Bructerern begegneten / welche der Feldherr dem Malovend bey vernommenem Einbruche der Römer zur Hülffe verordnet hatte. Malovend / welcher vorgab: daß er vier Legionen am Rücken und zum Treffen der Reiterey einen unbeqvemen Ort gehabt / also sich an diesen beqvemern zu ziehen nöthig befunden hätte / ward nun entweder durch Schande oder Furcht: daß seine Verrätherey ausbrechen würde / gezwungen sich hier hinter ein Gepüsche in Schlacht-Ordnung zu stellen. Regenstein und Steinfurt sätzten sich also auch / thäten solches auch durch den Oberstein einen Edelmann zu wissen / und schickten nur vier hundert Reiter den Angrivariern / Chamaver und Cimbern auf die Höhe zu Hülffe: daß sie sich desto besser zurück ziehen könten. Niemand lag den weichenden Deutschen schärffer in Eisen als Cariovalda mit seinen drey tausend auserlesenen Batavern / und Sacrovir nebst dem Indus mit vier tausend Galliern wolten die Schande ihrer ersten Flucht nunmehr durch desto hitzigere Verfolgung auswetzen;[1177] dahero verfielen so wol diese als jene desto unvorsichtiger in das ihnen gestellte Netze. Denn Malovend muste nunmehr dem Ritter Lindenhusen und Winburg befehlen mit der Marsischen Reiterey sich hinter ihnen herum zu ziehen. Diest / Ranzau / Allefeld / Spor und Stauben / als sie Malovends Anstalt sahen / liessen nunmehr ihren Argwohn fahren und hielten es für eine Krieges-List; daher boten sie gleich den Batavern und Galliern aufs neue die Stirne. Cariovalda und Sacrovir sahen sich unvermuthet im Netze / und hätten sich gerne gewendet / aber die Marsische und Cheruskische Reiterey war ihnen schon im Rücken. Gleichwol aber machten sich Sacrovir und Indus durch die Güte ihrer Mauritanischen Pferde noch aus dem Staube / und liessen ihre Gallier mit dem Orgentorich zu einem Söhn-Opffer zurücke /als welche von den Cimbern und Chamaven wie Vieh zu Bodem geschlagen wurden. Cariovalda aber / welcher nicht weniger Hertze als ein Löwe / und nicht weniger Verstand und Geschickligkeit hatte / ermunterte seine Bataver mehr mit einem Beyspiele als Worten zu tapfferer Gegenwehre; Worte und Unterricht aber fallen nur in die Ohren / Wercke aber in die Augen / welche mehr als jene beglaubigen / und einen jeden überzeugen: daß diß / was er thun soll / nicht unmöglich sey. Zumahl er sich auf die ihm folgende Römische Macht allzu gewiß verließ. Die Tribochen /Vangionen und Nemeter sätzten ihm auch treulich nach; aber weil der Graf von Regenstein sich mit der Cheruskischen Reiterey an die Bataver machte / nam der Graf von Diest und seine Angrivarier es aufs neue mit jenen an / und Malovend / wie ungern er daran kam / muste nicht nur seine Reiterey nebst der Bructerischen / welche der Ritter Breich führte / dem Stertinius und Emilius entgegen sätzen / sondern weil so wol Cethegus mit der fünfften / als Vitellius mit der vierzehnden Legion von der Höhe herab kam / muste er mit dem Marsischen Fußvolcke gegen dem Vitellius / wie Steinfurt gegen den Cethegus anrücken. Der Ritter Alvensleben aber nahm es mit dem Fürsten Cruptorich an; also blieb noch ein gutes Theil Kriegs-Volckes auf alle bedörffende Fälle übrig. Es ist nicht zu sagen / wie die Römischen Kriegs-Häupter / welche mit dem Malovend Verständnüß hatten / hierüber verwirret waren / indem sie nunmehr ihnen einbildeten: daß er unter dem Scheine die Deutschen zu verrathen / sie arglistig betrogen und in diß Garn geführet hätte. Dahero Vitellius und Cethejus noch viel ein ärgers besorgende / sich nicht aus ihrem vortheilhafften Stande zwischen den Brombeersträuchen von der Höhe in die Fläche begeben / noch weiter fortrücken wolten. Inzwischen that Cariovalda zwar sein eusserstes / erlegte mit eigener Hand den Ritter Weda und Mellen / und mühte sich mit seinen übrigen Batavern / welche sich auf seinen Befehl harte an einander ziehen musten / denen ihm in den Augen stehenden Legionen durchzuschlagen; aber der Graf Regenstein hatte eben so vielmehr Muth als er / und dißmahl mehr Glücke. Denn er versätzte seinem Pferde einen Streich in Hals / daß es mit Cariovalden zu Bodem fiel / und ehe er sich aufraffen konte / stach er ihm eine Lantze durch und durch. Mit seinem Leben entfiel denen übrigen Batavern vollends aller Muth /welche ohne diß wegen empfangener Wunden sich kaum mehr rühren konten. Also blieb allhier der Kern des Batavischen Adels; Regenstein aber gieng mit seinen Cheruskern theils auf den Stertinius / theils auf den Emilius loß / und nöthigte beyde nebst dem Ritter Broich und den Marsen sich an die Legionen zu ziehen / dahin Cruptorich vom Alvensleben / wie auch die sehr verwundeten Führer der Nemeter und Vangionen / Dagsburg und Westerburg schon auch getrieben waren. Steinfurt und Malovend sätzten zwar auch an den Vitellius und[1178] Cethegus / aber beyde wolten sich aus ihrem Vortheil nicht geben / und weil die Römische Reuterey und alle übrige Hülffs-Völcker sehr übel zugerichtet waren / und den Deutschen das Feld geräumet hatten / zohen sich auch beyde Legionen zurücke. Weil sich nun oben auf dem Berge zwey Römische Adler sehen liessen / die zur List und Uberfall bequeme Nacht auch nahe / und die deutsche Reuterey sehr abgemattet war / stimmten die andern Kriegs-Häupter dem Fürsten Malovend bey: daß man den Feind nicht weiter verfolgen / sondern sich diesen Tag an der Ehre eines so herrlichen Sieges vergnügen solte. Die Römer aber hatten sich kaum an die Weser wieder zurück gezogen / an welcher bey wehrendem Treffen das aus der Chauzen noch anstossendem Gebiete dahin gebrachte Land-Volck umb einen ziemlichen geraumen Platz eine Brustwehr hatte aufwerffen / und verschlagen müssen / als Hertzog Herrmann selbst mit noch zwölfftausend Cheruskern und Bructerern ankam; dazu der falsche Bericht: daß schon vier Legionen daselbst übergegangen wären / Anlaß gegeben hatte. Germanicus kriegte von dieser Zertheilung der Deutschen Macht zeitlich Nachricht; daher ließ er des Nachts in aller Stille den Vitellius und Cethegus beyde Legionen mit allem Anhange zurücke über den Fluß gehen / hingegen baute er in einer Nacht aus mit sich gebrachten küpffernen Schiffen eine so feste Brücke: daß er darüber alle schwere Kriegesrüstung führen konte; von leeren Fässern /ausgehauenen Nachen und zugeführten kleinen Chauzischen Fischer-Kahnen aber noch wol zehn leichte Brücken / ließ die am Ufer stehenden grossen Eichbäume umhauen: daß sie in Strom fielen / und nicht nur desselben Gewalt hemmeten / sondern auch zu halben Brücken dienten. Auf diesen sätzte er an dem ersten Orte unterhalb mit einer solchen Behendigkeit über: daß Ingviomer bey anbrechendem Tage aller acht Legionen Adler ihm gegen über längst dem Strome stehen sah. Sintemahl die deutschen Hülffs-Völcker alle überschwamen; die Mäsier und Thracier hielten sich an die Schwäntze ihrer Pferde an / und liessen sich überschleppen. Die Gallier flochten Schilff-Rohr und Bintzen zusammen / überzohen sie mit Häuten / und schwamen auf diesen Nachen / welche Semiramis erfunden haben soll / ihrer drey und drey beysammen an den Brücken oder denen über den Fluß gespannten Seilen über. Weil nun die Weser nicht alleine zwischen dem Feldherrn und ihm eine ziemliche Krümme und dadurch einen ziemlichen Umweg machte / sondern auch der Leese-Strom und noch ein ander in die Weser lauffendes Wasser darzwischen war / und daher der Feldherr und Germanicus mit der hinauf gezogenen Macht in etlichen Stunden sich mit ihm nicht vereinbaren konte; hielt er nebst dem Hertzog Jubil nicht für rathsam mit dem Germanicus alleine anzubinden; sondern zohe alsbald den noch weiter oben stehenden Fürsten Marcomir mit den Chassuariern und Dulgibinen an sich / und beyde hernach sich über den Leese-Strom; allwo die gantze deutsche Macht wieder zusa en stieß / und in einem Walde ihr Lager aufschlugen / darinnen das Bild des alten König Alemanns stand / welchen die Gallier Ogmius / die Römer und Griechen den Celtischen Hercules nennen / die Deutschen aber im Kriege seine Helden-Thaten zu singen / ihn aber nicht /jener Meinung nach / anzubeten pflegen. Germanicus wolte sich auch nicht wagen den Deutschen nachzugehen / und sie anzugreiffen; ungeachtet sie ihr Lager nicht umschantzt / sondern nur mit Wagen umgeben hatten; weil sein Volck müde / und von des vorigen Tages Verluste kleinmüthig; er selbst auch / weil er sich vom Malovend hinters Licht geführet hielt /gegen alle seine Seite haltende Deutschen argwöhnisch war. Diesemnach schlug er daselbst ein nach Gelegenheit des Stromes in die Länge abgetheiltes Lager und befestigte es[1179] noch selbigen Tag und Nacht; als inzwischen die alte Kriegs-Leute zuförderst in Bereitschafft stehen musten / nach Gewohnheit der Römer / welche wegen so geschwinder Arbeit bey ihren Legionen gleichsam eine gemauerte Stadt mit sich führten / mit einem zwölf Füsse langen und neune breiten Graben / wie auch mit einem von Rasen gebauten und oben mit einem Zaune versehenen Walle. Er ließ auch ein Altar auf einem Eylande der Weser aufrichten / darunter er nach Römischer Gewohnheit einen Wetzstein und ein Scheermesser vergrub / seit dem der Wahrsager Abius auf Tarqvinius Priscus Befehl mit einem einen solchen Stein auf des Wahrsagers Wort soll durchschnitten haben. Auf das Altar befahl er einen weissen gekräntzten Ochsen mit vergüldeten Hörnern zu stellen / welchen die Römer als ein Bild des diesen Strom bewahrenden Schutz-Bildes verehren musten. Sintemahl die Römer allen Flüssen / Bergen / Städten / Völckern / Häusern /Schauplätzen / ja allen Säulen und Dingen einen gewissen Schutz-Geist zueigneten / und mit diesem das Glücke als eine unabtrennliche Gemahlin verknüpfften. Die Geister der Flüsse aber bildeten sie in Gestalt der Ochsen ab; entweder ihres brüllenden Geräusches halber / oder weil beyde die Erde zerreissen. Germanicus gelobte auch ein ertztenes Bild der schlaffenden Weser / und vier küpfferne Pferde / wie Julius Cäsar dem Flusse Rubico gethan / in Rom aufzurichten. Mit derogleichen Andacht und Befestigung des Lagers brachte er etliche Tage zu ohne das geringste gegen den Feind zu wagen / unter dem Vorwandte: daß er die Deutschen in einem dem Hercules gewiedmeten Orte / welchem Gotte die Römer den Zunahmen des heiligsten zu geben pflegten / nicht angreiffen dörffte. Sein wahres Absehn aber war sich des Flusses und der Rückkehr recht zu versichern / und der Deutschen Vorhaben zu erfahren. Dieses glückte ihm auch nach Wunsche. Denn am dritten Tage kam ein Marse übergelauffen / der brachte im Munde einen überwüchsten Brief vom Malovend; darinnen er nicht nur berichtete / durch was für unvermutheten Zufall die Bataver und Gallier ins Garn verfallen / und sein guter Anschlag krebsgängig gemacht worden wäre; sondern er thät auch zu wissen: daß die Deutschen noch selbige Nacht näher anrücken / und daselbst den Römern eine Schlacht zu liefern / oder wenn sie im Lager blieben /solches zu stürmen beschlossen hätten. Diß Schreiben und des Uberläuffers umständlicher Bericht fand vielmehr Glauben; weil man von ferne die deutschen Wach-Feuer erkiesete / und die ausgeschickten Kundschaffter vergewisserten: daß sie das Wiegern der Pferde / und das Geräusche eines sich bewegenden grossen Heeres gehöret hätten. Bey solcher Beschaffenheit hielt Germanicus für hoch nöthig den Muth seines Kriegs-Volckes wahrhafftig auszuspüren. Weil Germanicus nun wol wuste: daß den Fürsten so selten unverfälschte Wahrheit zu Ohren / als reines Wasser aus den Flüssen ins Meer käme; und die furchtsamsten in Anwesenheit ihrer Kriegs-Häupter am meisten von Tapfferkeit groß zu sprechen pflegten / wolte er weder den Hauptleuten / welche ins gemein ihre Untergebene groß machen und nur gute Zeitungen bringen wollen / noch seinen Freygelassenen / welche stets was knechtisches an sich behalten / noch auch seinen besten Freunden trauen / die sich schwerer der Heucheley / als die Biber ihrer stinckenden Geilen enteusern können; sondern selbst die lautere Wahrheit aus ihrer eigenen Qvelle / nemlich aus deren unter sich bey der Mahlzeit oder im Truncke alleine verträulichen Kriegs-Leute Munde schöpffen; wo sie weder Hoffnung noch anderer Vortrag was nachzusagen / noch die Furcht zu verschweigen verleitet. So bald es nun Nacht worden war / gieng er mit einem einigen vertrauten Hauptmanne aus seinem Zelte; und damit es seine[1180] Leib-Wache nicht gewahr würde /durch die Schrancken der Wahrsager / eine Wolffshaut über den Kopff und Rücken habende /durch die Gassen des Lagers / und wo er in einer Hütte Kriegs-Leute mit ein ander reden hörte / stellte er sich in seinen verborgenen Winckel um ihre Urthel / Meinungen und Vorschläge zu vernehmen. Er fand aber allenthalben etwas gutes / daran sich sein Gemüthe speisen konte. Deñ einer lobte des Germanicus hohe Ankunfft / und seine Gestalt; einander seine Gedult / seine Freundligkeit und sein bey Schertz und Ernst unveränderliches Gemüthe. Der dritte prieß seine Aufrichtigkeit; in dem bey ihm das Sagen dem Thun mehr / als die Nachtlänge dem Tage gleichte /wenn die Sonne in Wieder träte. Er bemeisterte in seinem Zimmer nicht weniger Gemüther durch seine Anmuth / als im Felde mit schrecklichen Waffen; und weder an einem noch dem andern Orte benehmen seine widrige Verrichtungen etwas seiner Hoheit und Ansehen. Die meisten rühmten ihn als den tapffersten und glücklichsten Feldherrn / der iemahls gelebt hätte; und ob ihn zwar verwichenes Jahr nicht so wol die Feinde / als die unversöhnten Schutz-Geister dieser Länder und Flüsse an Uberwindung Deutschlandes verhindert hätten; so würde er doch nunmehr nach derselben Versöhnung unzweifelbar durchdringen. Hätten die Bataver und Gallier gleich für etlichen Tagen durch ihre Unvorsichtigkeit einen Streich versehen / so hätte doch der Feind nicht das Hertze gehabt zwey Römische Legionen anzugreiffen. Wie würden sie nun gegen acht derselben stehen? Weil sie nun einen so unvergleichlichen und wolthätigen Feldherrn hätten / müsten sie auch ihm anständige und erkenntliche Krieges-Leute abgeben. Er würde aber ihre Hertzhafftigkeit für den grösten Danck annehmen. Daher solten sie zu Ausrottung so unbändiger und Frieden-brüchiger Feinde weder Arbeit noch Blut sparen / und sie also ihrer eigenen Rache / und ihres Fürsten Ruhme abschlachten. Als Germanicus mit seinem Gefärthen nun derogestalt von einem Orte des Lagers zum andern gieng / und nahe an Wall kam / traf sichs gleich: daß ein der Lateinischen Sprache kundiger Deutscher mit seinem Pferde biß an Graben kam / und überlaut ruffte: Ein jeder / der vom Feinde zu den Deutschen übergehen würde / der solte vom Feldherrn Herrmann eine schöne Frau / etliche Huben Acker /alle Tage / so lange er diente / hundert Sestertier zum Krieges-Solde bekommen. Weil er diß nun offt wiederholete / hörte es nicht nur die Wache; sondern viel andere liessen auf den Wall / einer sagte es dem andern / und also war das gantze Lager von diesem Geschrey voll: welches sie derogestalt erbitterte: daß sie lieber über den Wall gesprungen wären / es zu rächen / wenn es die Kriegs-Gesätze zugelassen hätten. Gleichwol brach ihre Ungedult in einmüthige Wünsche aus: daß doch der verlangte Tag der Schlacht und des ungezweiffelten Sieges bald kommen / sie also der Deutschen Aecker und Weiber unter sich theilen möchten. Sie nehmen es allerdings für ein gutes Zeichen und eine Wahrsagung an: daß die Feinde ihnen selbst ihre Gelder und Heyrathen anböten /welche zweiffelsfrey bald ihre Beute seyn würden. Germanicus war mit allem / was er in denen vergangenen sechs Stunden des Nachts gehöret und gesehen / wol vergnügt / und kaum ins geheim wieder in sein Zelt kommen / als die zur dritten Nachtwache aufziehenden Kriegs-Leute ihm die Ankunfft des Feindes mit vielem Sturmzeuge zu wissen machte. Der muntere Germanicus befahl alsbald im Lager Lermen zu blasen / ließ auch durch eine über seinem Zelte angesteckte Fackel ein Zeichen des verhandenen Feindes geben; und weil jede Legion schon ihren Stand auf dem Walle wuste / ward in einer halben Stunde nicht nur alles in Waffen / sondern wol besätzt / und für dem Walle unzählbare Feuer und Fackeln angezündet:[1181] daß man die Feinde und ihr Vorhaben erkiesen und selbtem begegnen konte. Weil die Deutschẽ nun alles in so guter Bereitschaft funden / hielten sie nicht für rathsam den so mächtigen Feind in seinem Vortheil anzugreiffen / sondern zohen sich ohne Versuchung des Sturmes zurücke. Germanicus war nunmehr entschlossen eine Schlacht zu wagen; daher machte er folgenden Tag hierzu alle nur ersinnliche Anstalt /steckte auf seinem Zelte eine rothe Blut-Fahne aus /stellte im Lager alle Legionen in Schlacht-Ordnung /ritt durch alle Glieder / besahe ihre Waffen und Kleider / theilte für das schadehaffte gutes und einem jeden Kriegs-Knechte zehn Sestertier aus / versprach einem jeden nach der Schlacht derer noch zehnmahl so viel / sonderte die Krancken ab; und an statt der alten Kriegs-Leute / mit welchen sonst pflegten die Lager besätzt zu werden / bestellte er diese zur Besatzung im Lager zu bleiben / wiewol er mit sich noch nicht einig war: ob er nicht bey angehender Schlacht Lager und Brücken abbrechen / also seinem Volcke alle Hoffnung zu entfliehen benehmen wolte; vergab die erledigten Kriegs-Aempter; ließ die grossen Schleudern zum Stein- und Pfeil werffen / derer jede Legion nicht nur / wie sonst gewöhnlich / fünf- und funfzig / sondern achtzig mit sich führte / nebst allen andern Werckzeugen des Streites versuchen: ob sie auch gangbar wären / und alles mangelhaffte ausbessern. Die / welche noch nicht gegen die Deutschen /oder auch gar nur gegen aufgerichtete Pfäle gestritten / musten sich mit ihren alten und erfahrnen Gefärthen / welche Germanicus deutsches Gewehre brauchen ließ / oder auch gegen die Chauzen / Friesen und Sicambern so wol im Rennen / Springen / Heben /Schwimmen und Ringen / als im Gefechte / üben /damit sie durch nichts neues irre gemacht würden. Massen er denn diesen Tag ihrer mehr als viertausend für Kriegs-Leute allererst zeichnen / und ihnen an statt der vorhin in der Ubung gebrauchten schweren Keulen / Degen / an statt der aus Wieten geflochtenen eiserne Schilde einhändigen ließ; weil er zu Erfüllung der Legionen viel junge Leute / so gut er sie bekommen können / hatte nehmen müssen. Mit einem Worte: Germanicus that alles / was einem klugen Feldherrn oblieget / und menschliche Weißheit auf solche Fälle vorsehen kan. Weil er aber allzu wol verstund: daß nichts in der Welt über die Gemüther der Menschen grössere Gewalt habe / als Andacht / oder auch nur Aberglauben; also / daß man durch selbte ihm mehr als Kletten anhängig / die verwegensten verzagt / die furchtsamsten hertzhafft / ja begierig in Tod zu rennen machen / seinen Worten und Wahrsagungen auch solchen Glauben erwerben könne: daß kein vernünfftiger Einwand / ja der Augenschein selbst das Volck eines andern bereden kan; sondern im blinden Eyver auch wider die Unmögligkeit seinem in Ansehn einmahl gekommenen Führer durch Feuer und Schwerdt mit Freuden folget / so beruffte er ins geheim die Priester und Wahrsager / und befahl: daß sie alle ihre Künste gebrauchen solten das Kriegs-Volck zu bereden: daß es einen unsäglich grossen Sieg wider die Deutschen erstreiten würde. Beyde wusten hierinnen dem Germanicus meisterlich an die Hand zu gehen. Denn die Priester wusten mehr als zehn Siege zu erzehlen / welche die Römer an folgendem Tage wider ihre Feinde erhalten hätten. Einer that es dem grossen Alexander und dem Wahrsager Jmides nach / schrieb mit gewisser Farbe auf seine Hand rückwerts das Wort: Sieg / drückte die aus einem geopfferten Ochsen genommene Leber darauf /und wieß hernach solche dem alberen Kriegs-Volcke; gleich als wenn der Finger GOttes solche Schrifft der Leber zu Andeutung ihres Sieges eingedrückt hätte. Aus denen Sibyllinischen Büchern aber erzählten sie: daß die Römer dieses Jahr zweyer grosser ins Welt-Meer flüssenden Ströme Meister werden[1182] würden /welches auf keine andere als die Weser und die Elbe füglich gedeutet werden könte. Bey Abschlachtung der Opffer-Thiere zerrissen sie in einem Ochsen die Leber: daß es schien / als wenn er derer zwey hätte /welches allemahl für ein sehr gutes Zeichen gehalten ward. Und in einen Wieder steckte der Priester noch eine Galle; gleich als wenn er derer zwey in ihm gefunden hätte; welches auch sich dem Käyser August an dem Tage ereignet haben soll / als er bey Actium wider den Anton gesieget. Nicht besser machten es die Wahrsager: indem sie die Hüner vorher etliche Tage ausgehungert hatten: daß sie hernach zum Zeichen bevorstehender Glückseeligkeit desto begieriger frassen. Dieser Betrug beseelte das abergläubische Kriegs-Volck mit mehr Hertzhafftigkeit und mit einer solchen Versicherung des Sieges / als wenn sie noch acht Legionen zu Hülffe bekommen hätten. Denn sie glaubten: daß derogleichen Andeutungen die Sprache der Götter zu den Menschen / ihr Schluß aber auf einer solcher Nothwendigkeit gegründet wäre: daß gegen selbte aller menschlicher Witz zur Thorheit /alle Stärcke zur Ohnmacht würde / die verblendete Klugheit allezeit das schlimmste erwehlte / und die Tapfferkeit sich in ihr eigenes Messer schnitte. Wiewol nun Germanicus sich dieses Aberglaubens nur zum Werckzeuge seines Krieges bediente; so hielt er doch sehr viel auf die Träume; theils weil des Käysers Mutter Calpurnien sein blutiger Untergang und des Käysers August Erhaltung seinem Artzte Artorius /der ihn warnigte der Schlacht auf den Philippischen Feldern nicht beyzuwohnen / dadurch entdeckt worden war; oder vielmehr / weil das Jahr vorher der erblassete Varus dem Cäcina die dem Römischen Heere zuhängende Gefahr so wahrhafftig für Augen gestellt hatte. Daher opfferte er selbigen Tag dem Castor und Pollux / welche die Menschen durch Träume zu warnigen geglaubt werden / zwey / und dem Hercules drey Lämmer. Denn dieser soll der rechte Urheber der göttlichen Träume seyn / und den Sterblichen dadurch Geheimnüsse und künfftige Dinge zum besten entdecken. Insonderheit ist er destwegen auf dem Berge Sambulos in Mesopotamien berühmt / allwo er seinen Priestern im Traume eingiebt / wenn sie die Pferde fertig machen sollen / auf welchen der Geist selbigen Ortes hernach in die umliegenden Wälder auf die Jagt reitet / und für sie viel Wild erleget. Diesem hat desthalben der durch Anleitung der Träume bereicherte Octavius das Zehnde seines Gewinnes gewiedmet. Hierauf ereignete sich auch / entweder aus fester Einbildung des vorherigen Tages / oder weil der Aberglaube auch einen ihn unterhaltende Geist hat / daß dem Germanicus träumete: Er opfferte dem Jupiter /und weil er seinen weissen Fürsten- und Priester-Rock mit Blute bespritzte / reichte ihm seine Groß-Mutter Livia einen viel schönern von Gold und Purper zu. Germanicus war nur aus dem Schlaffe erwacht / und überlegte mit sich selbst die Deutung des Traumes / als ihm ein neuer Uberläuffer vom Malovend ein neues Schreiben brachte / worauf er denn alsofort auf war / sein mit Golde gestücktes Purper-Kleid /welches schon ein gewisses Zeichen der Schlacht war / anlegte / noch für Tage das gantze Heer abspeisete /in Waffen brachte / aus dem Lager führte; und nach dem er auf dem Idistavisischen Felde des schon meistentheils in Ordnung stehenden Feindes gewahr ward / solches in Schlacht-Ordnung stellte. Dieses Feld war ein sandichter und von Grase unbewachsener Bodem /krümte sich zwischen der Schlangen-weise lauffenden Weser und denen gegen über liegenden Hügeln herum. Jedoch hatte Germanicus genungsamen Platz sein gantzes Heer auf eine gantz ebene Fläche zu stellen. In dem rechten Flügel kam Julius Florus mit dem Fuß-Volcke der Seqvaner / Arverner und Heduer; neben diese die Sicambrischen / Tencterischen /[1183] und Frisischen Hülffs-Völcker. Auf der einen Seite stand Cruptorich mit der Frisischen; auf der andern Fleckenstein mit der Tribochischen / Nemetischen und Vangionischen Reuterey. Im lincken Flügel hielt Aviola mit dem Tririschen / Narbonischen / und Lugdunischen Fuß-Volcke; und neben diesen die Ubier / Menapier / und Bataver unter dem Verzingetorich. Auf der einen Seite stand Bojocal mit der Angrivarischen und übrigen Batavischen; auf der andern Seite der Graf von Chur / Sarnganß / und Werdenberg mit der Rhätier / Lepontier und Noricher Reuterey. In der Mitte standen fünfftausend Chauzen zu Fuße / welche auf der Seite tausend Reuter deckten; neben ihm zweytausend Celtiberier / dreytausend andere Hispanier; unter dem Galba und Indobil auf der Seite zwölffhundert Thracische Reuter / welche nicht wie andere Völcker ihr gestochenes Krieges-Maal auf den Armen / sondern nach Art der sich mit weidfärbenden Britannier / ihr Zeichen auf der Stirne hatten. Zwischen alle diese Hauffen waren noch Cretische Schützen / und Balearische Schleuderer eingespickt / welche die ersten und besten in der Welt sind. Sintemahl sie mit ihren aus scharffem Schilffe / Hanff oder Haaren gemachten und im Werffen einmahl um das Haupt geschwenckten Schleudern / welche sie ausser dem als Haarbinden zur Zierde ums Haupt tragen / auf ein Haar treffen / und in ihrer Kindheit von ihren Müttern keine Speise bekommen / die sie nicht vorher mit dem Steine oder Pfeile getroffen haben. Diese Völcker vermengte Germanicus mit allem Fleiß unter einander; theils daß eines das andere durch Eyversucht zur Tapferkeit aufmuntern solte; theils / daß niemand / der gleich einige Untreue im Schilde führte / solche ausüben könte. Uber den rechten Flügel war Segesthes /über den lincken Flavius / über den mitlern Leib Hertzog Ganasch Feld-Oberster. Hinter diesen stellte Germanicus in rechten Flügel den Silius und Apronius mit der andern und dreyzehenden / in lincken Flügel den Vitellius und Tubero mit der vierzehenden und sechzehnden Legion in der gewöhnlichen Ordnung. Hinter die Schützen und leichtbewehrte Mannschafft waren die grossen Schleudern und Geschosse gepflantzt. Den rechten Flügel deckte Stertinius / den lincken Emilius mit der Römischen Reuterey. Ein Theil der Reuterey aber ordnete er hinter die Legionen / durch derer Hauffen er die Gassen desto weiter machte; daß auf den Nothfall die Reuter durch selbige hervor brechen konten. Ob nun wol die ältesten und edelsten Kriegs-Leute sonst ihren rechten Stand hinter den Adlern im Hinterhalte hatten / baten ihrer viel ihnen doch selbst beym Germanicus aus: daß sie zuförderst an die Stirne unter die den Kampff anfangenden Spißträger gestellt werden möchten. Zwischen denen Legionen in einer geraumen Mitte hielt Germanicus selbst zu Pferde mit seinen ausgelesenen alten Kriegs-Leuten / und der Leibwache zu Roß und Fuße; von denen er rühmte: daß er den geringsten darunter sicher zu einem Hauptmanne gebrauchen könte. In dieser Mitte befanden sich auch die Obersten übers Lager und das Geschütze. Sonst muste ein ieder Oberster bey seiner Legion und bey seinem Adler /ieder Hauptmann für seinem Fahne bleiben; iedoch war Silius im rechten Vitellius im lincken Flügel Oberster Befehlhaber. Hierauf folgten im rechten Flügel abermahls die Aqvitanier und Helvetier zu Fusse; auf der einen Seite waren tausend Pannonische / auf der andern so viel Dalmatische leichte Reuter mit Pfeilen; im lincken Flügel waren die Atrebater / Bellovaken und Sveßioner zu Fuße / und diese auf einer Seite mit tausend Mohren / auf der andern mit so viel Mäsischen und Armenischen Reutern bedeckt. In der Mitte folgte das Fuß-Volck der Nervier / Lingonen und Morinen / und zwischen diesen noch tausend Chauzen / fünff[1184] hundert Angrivarier / so viel Juhonen und Friesen. Diese bedeckten auf der einen Seite tausend Bastarnische und Sarmatische / auf der andern so viel Macedonische und Thessalische Reuter; und die zwischen denen Fahnen gelassenen Gassen waren mit Achäischen Schleuderern / welche viel stärcker als die Balearischen werffen / versorgt. Nach diesen führte allererst Cäcina seine vier Legionen auf. Cethegus und Cantius machten mit der fünfften und ein und zwantzigsten den rechten / Cajus Cetronius mit der ersten / und mit der zwantzigsten Legion den lincken Flügel. In der Mitte war Cäcina mit etlichen Fahnen von der Kayserlichen Leib-Wache und alter ausgelesener Mannschafft nebst einem Kerne des Römischen Adels zu Pferde. Auf der Seite des rechten Flügels stand Pedo / auf der lincken Meßala mit der leichten Reuterey der Römer. Die Erde zitterte gleichsam unter dieser ungeheuern Macht / welche der gantzen Welt ein Schrecken einzujagen mächtig gewest wäre. Kein Feind der Römer hatte auch noch keine desgleichen und mit solcher Rüstung versehen / gegen sich stehen gehabt. Denn sonst pflegten die Römer ins gemein nur Kriegs-Heere von zehntausend Fuß-Knechten und zwey tausend Reutern / und wenn sie mit gar einem mächtigen Feinde zu thun hatten / noch einmahl so viel / darunter zwey Legionen waren / ins Feld zu führen. Hier aber standen nicht nur acht Legionen / sondern die Hülffs-Völcker waren auch wider ihre sonst genau beobachtete Kriegs-Völcker fast noch einmahl so starck / als die Römer. Denn nach dem zumahl die zwey Scipionen in Hispanien aus diesem Fehler: daß sie zu viel Celtiberier in Dienste genommen hatten /umkommen waren / banden sie ihren Heerführern scharff ein: daß sie sich mit fremdem Volcke / welches selten es recht treu meinte / noch mit solchem Eyver für Rom stritte; also sich darauf nicht zu verlassen wäre / ja gar sich zum Feinde schlagen könte /und die Krieges-Künste der Römer zu eigener Gefahr lernte / niemahls biß an die Helffte überladen solten. Alleine Germanicus hielt die Deutschen für den mächtigsten Feind der Römer in der Welt / und also für nöthig eben so / als die Römer in dem Kriege wider die Volsker und die Carthaginenser unter dem Bürgermeister Sempronius gethan hatten / die gemeine Richtschnur ausser Augen zu sätzen. Welches er so vielmehr ohne Gefahr zu seyn hielt; weil die Hülffe aus so unterschiedenen Völckern der Welt zusammen gelesen war. Uber diß gebrauchte er sich auch dieses Kunst-Stückes: daß er die / welche mit einander einige Gemeinschafft und Absehen haben / oder einerley Vortheil suchen konten / so wohl im Feldzuge als im Lager und in den Schlacht-Ordnungẽ von einander entfernete. Durch welche Künste auch Hannibal sein von so widrigen Völckern bestehendes Heer allemal in Gehorsam / und daß es auch in eusserster Noth nie einigen Auffstand gemacht / erhalten haben soll. Als Germanicus nun alles wol verordnet hatte / stellte er sich in der Mitte des Heeres auf einen Hügel / und redete das Kriegs-Volck folgender Gestalt an: Es ist schon zwey und siebzig Jahr / seit dem Ariovist sich zum ersten an Kayser Julius gerieben / und drey Jahr weniger: daß er zum ersten mahl die Römischen Waffen über den Rhein gebracht. So viel Jahre wird Deutschland bekriegt / und hat doch noch nicht überwunden werden können; ungeachtet Kayser August so viel Heere und noch mehr tapfere Feldherren in Deutschland geschickt / er selbst etliche / Kayser Tiberius neunmahl in oder nahe an Deutschland gewest wären. Gantz Asien und Africa ist in viel wenigern Jahren den Römern unterthänig worden / und beyde haben so viel Römer und Heerführer nicht verschlungen / als das einige Deutschland; in welchem Carbo /Caßius / Scaurus / Aurelius / Sevilius Cäpio / Manlius erschlagen oder gefangen / Varus und drey Legionen mit Strumpff und Stiel[1185] aufgerieben worden. Meinem Vater Drusus und Tiberius haben den Zweck zu erreichen einige / die tapfersten unter den Deutschen aber uns die gröste Hoffnung gemacht. Sintemahl die Chauzen / Bataver / Sicambrer / und Friesen nunmehr den Vortheil der Römischen Freundschafft / die Beschwerligkeit der iñerlichen Kriege erforschet und erfahren haben: daß das Glücke mehrmahls nicht nur einzeler Menschen / sondern gantzer Völcker zum eigenen Schaden schone; und daß die Römische Beschirmung / welche der von dem unruhigen Herrmann verleitete / und wider den rechtmäßigen Erben der Cheruskischen Herrschafft / nemlich den Fürsten Flavius aufgehetzte Feind eine Dienstbarkeit nennet / die vergnüglichste Freyheit und den sichersten Frieden nach sich ziehe. Dieser klugen und tapfferen Völcker Waffen sehe ich hier zu unbeschreiblicher Vergnügung mit den Römischen vermänget / um das allgemeine Heil der Welt / und die Ruh der Völcker zu befestigen. Vater Drusus! und du vergötterter August! thut einen Blick aus jener in diese Welt! aber mißgönnet eurem Sohne die Glückseligkeit nicht heute den deutschen Kriegen ein Ende zu machen! Freuet euch ihr tapfferen Kriegsleute! daß euch heute das Glück ein Ziel eurer Arbeit gesteckt / und der Sieg auf einmahl eure vieljährige Verdienste nach Würden belohnen wird! das Werck / das ihr heute ausrichten solt /ist zwar grösser als eines der Römer iemahls gewest /aber der Sieg wird von keiner solchen Schwerigkeit seyn. Denn mit der Helffte so vieler tapfferen Kriegs-Helden traute ich mir die Sonne aus ihrem Nachtlager aufzufordern / wohin zwar des grossen Alexanders Wunsch / aber nicht seine Kräfften reichten. In diesem gantzen Heere sind eitel Männer / kein Weib. Daher alle wie die Egyptier mit Ehren in ihren Schilden zum Kriegs-Zeichen Kefer führen könten; unter denen keiner weiblichen Geschlechtes seyn soll. Wer unter so vielen streitbaren und auffs beste gewaffneten Leuten wolte nun nicht hertzhafft fechten / wo so grosse Hoffnung zu überwinden für Augen liegt? wo der Kern der streitbarsten Völcker zusammen kommen gleichsam um den Verzug der Tugend zu kämpffen; wo das Vorhängnüs alle bißherige Schwerigkeiten aus dem Wege geräumt hat? denn / da die Deutschen nicht anders als durch Deutsche bezwungen werden können; so stehen die edelsten an der Stirne dieser Schlacht-Ordnung / weil sie ihnen selbst die Ehre erkieset haben das Eiß zu brechen um diese Länder mehr dem treuen und tapffern Fürsten Flavius / als den Römern zu erobern. Ihr sehet für euren Augen keine stinckende Sümpffe / die bißherigen Hindernüße eures Sieges; sondern ein hartes und zur Schlacht geschicktes Feld. Treibet ihr den Feind auch gleich in den am Rücken habenden Wald / so habet ihr noch einen grössern Vortheil; weil zwar ihr eure kurtze Degen und Wurff-Pfeile gar wol / der Feind aber zwischen den Aesten und dem Gestrittige seine langen Spiesse und ungeschickten Schilde schwerlich brauchen kan. Wenn ihr schon nicht mehr Hertze als der Feind hättet / würde der Vortheil eurer geschickten Waffen euch zu Siegern machen. Stosset daher nur behertzt drauf! und sonderlich auf die unbedeckten und unleidentlichsten Antlitzer! wiewohl fast keiner euerer Streiche mißlingen kan / weil die wenigsten Helm und Pantzer haben. Ihre Schilde haben wenig Leder oder Seiten / viel weniger Eisenwerck an sich; sondern bestehen meist aus gemahlten und zu spalten unschweren Bretern / die besten sind nichts anders /als aus weidenen Wieten gemachte Flechten. Die wenigsten haben einen Helm / sondern statt derselben Püschel der über dem Wirbel zusammen gebundener Haare / oder zum höchsten eine Wolffs- oder Beeren-Haut über dem Kopffe. Ihre ersten Glieder haben zwar mit Eisen zugespitzte Spisse / die andern aber nur gebrennte Priegel / oder stumpffes Gewehre.[1186] Die Cherusker / Blucterer und Cimbern wären zwar groß von Leibe / und scheußlich anzuschauen / aber zu keiner langen Arbeit tauerhafft / und bey Verwundungen unleidentlich. Ihre Glieder wären wohl starck / aber nicht gelencke; und hätten mehr Ansehen als Kräffte. Die Römer wären durch ihre Geschickligkeit und Krieges-Ordnung über die Menge der Gallier / über die Kräfften der Hispanier / über die Arglist der Africaner und über die Klugheit der Griechen Meister worden; warum wolten sie sich für der Grösse der Cherusker entsetzen / welche wol Riesen aber keine Krieges-verständige wären? die kleinern Leute hätten / wie Tydeus / ins gemein mehr Hertze im Busem und mehr Geschickligkeit in Kleidern / als ungeheure Cyclopen. Die Cherusker fielen zwar als wilde und rasende Thiere ihre Feinde mit Geschrey und Ungestüme an / aber sie hielten weder Ordnung noch in die Länge Stand; achteten es für keine Schande aus dem Gliede zu weichen / dem Feinde den Rücken zu kehren / oder ihrer Führer Befehl ausser acht zu lassen; und wüsten / wenn sie einmahl verwirret oder getrennet wären / nicht wieder zu rechte zu kommen. Lasset euch also ihren ersten Sturm / ihre unterschiedene Gestalt und Waffen nicht feige machen oder verwirren. Denn ich kan von der Vermischung so vielerley Feinde eben diß / was Qvintus Flaminius von seinen vielen Gerichten zu Chalcis und von des Königs Antiochus Heere sagen; nemlich: daß jene nur einerley auf unterschiedene Art zugerichtetes Schweinefleisch /dieses eitel verzagte Syrer gewest sind. Gegenwärtiges Heer aber besteht an eitel wilden aber ungeübten Deutschen. Ihres Angrieffs Austhauerung ist euer Heil und ihr Verterb. Widrigen Falls aber werdet ihr mit Schaden empfinden: daß ihr mehr mit wilden Thieren zu thun habt / und ihr Blut zöpffen / oder es selbst lassen müst. Verlasse sich aber keiner auf ihre Gnade. Denn wie sie / wenn es ihnen nicht wol geht / auf einmahl das Hertze verlieren / also sind sie bey gutem Glücke unerträglich / und ihre Grausamkeit gegen besiegte unerbittlich. Fürchtet euch nicht mehr für beschwerlichen Wegen / für ungeheuren Wäldern und garstigen Pfützen / oder für neuen Feinden. Ihr übersehet hier alles / was Rom noch zu überwinden hat. Die Elbe ist bey weitem nicht mehr von uns entfernet / als der Rhein. Jene aber ist nicht weniger das Ende eures Krieges / als des feindlichen Gebietes. Denn über diesem Strome gehorsamet alles dem Römischen Bundgenossen Marbod. Zweiffelt an dem Siege ja nicht / wo ihr eure Pflicht thun werdet / wie ich mein Ampt / der ich entweder sterben / oder in meines Vaters und Vetters Fußstapffen treten will. Ihr aber könnet unmöglich anderer Gedancken seyn / wenn ihr den unvergleichlichen Ruhm überleget / den ihr mit mir erwerben werdet / wenn Germanicus an der Elbe die Römischen Sieges-Zeichen des Drusus verneuern und befestigen wird. Germanicus hatte kaum ausgeredet /als das gantze Heer zum Zeichen ihrer Begierde zu fechten und eingebildeter Glückseligkeit mit den Zähnen knirschte / die Hände empor reckten / jauchzeten /die Spisse wider die Schilde / die Schilde wider die Knie schlugen. Germanicus lobte ihren rühmlichen Beyfall / und trug ihnen für: daß sie bey solchem Vorsatze kein Bedencken haben würden den von den Römern vorhin mehrmals geleisteten Eyd auch dißmahl zu wiederholen: daß sie nicht ehe / als nach erlangtem Siege / die Wallstatt verlassen wolten. Die Römer waren hierzu alsbald fertig / und sprachen den von ihren Hauptleuten vorgesagten Eyd nach / oder wol gar selbst für. Daher sich auch die Hülffs-Völcker dessen nicht weigern konten.

Der Feldherr Herrmann hatte den Tag vorher zwey schlechte Zeitungen bekommen; nemlich: daß König Marbod auf Anstifften Adgandesters zwantzig tausend Marckmänner in das[1187] Hermundurische Gebiete des Hertzog Jubils hatte einfallen / dem Hertzoge Arpus aber zuentbieten lassen: er solte mit den Römern in Ruh leben / oder er darzwischen kommen /und das Spiel verterben. Marbod aber hatte ihm selbst bedräulich zugeschrieben: er solte die wider sein Verbot sich in den Römischen Krieg einflechtende Longobarden und Semnoner von seinem Heere absondern / oder er würde diese als aufrührische Unterthanen zu bändigen / und am Herrmann es als einen Friedenbruch zu rächen wissen. Weil nun der Herold vom Könige viel solche Abforderungs-Schreiben mitgebracht und allenthalben ausgestreuet hatte; über diß verlautete: daß zwölff tausend Marckmänner und Sedusier an der Spreu ankommen wären / nahmen fünff tausend begüterte Longobarden vom Feldherrn / wiewol mit Unwillen / Abschied / und blieben derer unter dem Graf Robert von Ascanien / dem Ritter Beringer / Königsmarck / Blumenthal / Schwerin / Osten und Bärlepsch kaum drey tausend zurücke / welche nichts zu verlieren hatten und dem Könige Marbod zur Antwort wissen liessen: Sie wären Edelleute / und wären unter seiner müßigen Herrschafft bey nahe eingeschlaffen und versauert. Nachdem sie nun lange genung /aber vergebens auf einen frischen Krieg wider die Römer gewartet hätten / würde er nicht übel aufnehmen: daß sie wie der andere junge Adel in Deutschland bey einem andern Fürsten Kriegs-Dienste suchten / ihre verrosterte Waffen daselbst auswetzten / und sich mit der Zeit ihr Vaterland zu beschützen fähig machten. Der Müßiggang wäre ihnen so unerträglich als verkleinerlich. Sintemahl ihr Vermögen nicht auskommentlich wäre ihren Stand zu führen / wenn ihres Fürsten Freygebigkeit ihnen nicht Mittel vorschüße ihre Pferde und Rüstung zu unterhalten; welche zu Hause sonst mit ihrem Geschlechte verschimmelte /dessen Glantz nur im Kriege und bey gefährlichen Zufällen erhalten würde. Hertzog Jubil wolte auch / ungeachtet des verlauteten Einfalls / die Schande nicht haben itzt / da das Eisen der deutschen Freyheit solte ausgeschmiedet werden / die Hand vom Feuer zu ziehen. Ungeachtet nun dem Feldherrn mit den Longobarden ein gutes Theil seiner Stärcke entfiel / war es doch unvermeidlich ohne Verlust vielen Volckes und bißher erhaltenen Ruhmes zu schlagen / oder es muste das Cheruskische Gebiete den Römern bis an die Elbe Preiß gegeben werden. Denn der Feind war den Deutschen zu nahe auf den Hals kommen; sie hatten weder vor-noch hinter sich einen Vortheil / und bey des Marbods Einfalle zwar mehr Feinde aber keine Verstärckung mehr zu hoffen. Weil der Feldherr nun in der Nacht Kundschafft kriegt hatte: daß Germanicus den Tag vorher alles zur Schlacht bereitet hatte / wolte er den ins gemein wichtigen Vortheil sein Heer am ersten zu stellen nicht versäumen. Daher fieng er und Hertzog Ingviomer an bald mit anbrechendem Tage das deutsche Heer in Schlacht-Ordnung zu stellen. Sie hatten den Römern zu ihrer mit Fleiß die Fläche übrig gelassen / weil der Deutschen Reiterey / welche der Römischen weit überlegen ist /daselbst desto freyer treffen konte. In den rechten Flügel / welcher in keinem flachen aber mit vielen Sträuchen bewachsenem Felde zu stehen kam / stellte er zuförderst das Fuß-Volck der Angrivarier und Chamaver unter dem Grafen von Ravensberg und Homburg / welches der Ritter Wintzenburg auf der rechten Seite mit fünf hundert Angrivarischen / der Richter Wachtendonck auf der lincken mit fünf hundert Chamavischen Pferden deckte. Hinter diesen stand das gantze Marsische Fuß-Volck unter dem Grafen von Qverfurt / Rietberg und Schrapelau. Auf der einen Seite führte der Graf von Lingen tausend Marsische und Tubantische / auf der andern Seite der Graf von Steinfurt tausend Chassuarische Reiter. Dieser Flügel war dem Fürsten[1188] Malovend anvertrauet. Zu seinem Hinterhalte stand Hertzog Marcomir; welchem unter dem Grafen von Hanau tausend Cattische / unter dem Ritter Ranzau fünf hundert Cimbrische Reiter / unter dem Grafen von Mansfeld zwey tausend Cherusker /und unter dem Grafen von Bentheim zwey tausend Bructerer / und unter denen Rittern Buchwald und Blume tausend Cimbern zu Fusse untergeben waren. In den lincken Flügel / welcher ein ebenes freyes Feld einnam / verordnete Ingviomer zuförderst zwey tausend Longobarden unter dem Grafen von Ascanien /und zwey tausend Hermundurer unter dem Grafen von Schwartzenburg / der Ritter Beringer hatte auf der Seite fünf hundert Hermundurische / der Graf Barby fünfhundert Longobardische Ritter. Hinter diesen stand das gantze Fuß-Volck der Bructerer unter dem Grafen Burghard von der Lippe / dem Grafen von Salm und Seyn. Die rechte Seite deckte der Graf von Teckelnburg / die lincke der Graf von Oldenburg mit dreyhundert Bructerischen Reitern. Diesen gantzen Flügel nam Hertzog Ingviomer selbst zu führen / welcher ihm dreyhundert Bructerische Ritter zu seiner Leibwache auserlesen hatte / darunter ich der Graf Diest / Wartenberg und andere / welche vorhin Obersten gewest waren / befanden. Zu dieses Flügels Hinterhalte ward vom Feldherrn Hertzog Jubil bestellt. Dieser bestand in zwey tausend Hermunduren und zwey tausend Catten / und tausend Cimbern zu Fusse / unter den Rittern Reuß / dem Grafen von Gleihen /Stolberg / Isenburg und Solms und dem Grafen von Holstein. Der Graf von Henseberg führte tausend Hermundurische / und der Graf von Wertheim tausend Catten zu Rosse. Er hatte um sich hundert aus den Hermunduren auserlesene Ritter zur Leibwache. Der mitlere Leib der Schlacht-Ordnung kam auf eitel Hügeln zu stehen / und bestand aus lauter Cheruskern; außer fünfzehn hundert Catten und so viel Cimbern waren unter dem Fuß-Volcke / fünf hundert Catten und so viel Cimbern unter der Reiterey. Im Vordrabe führte das Cheruskische Fuß-Volck der Ritter Reckheim / Osterode und Buren; dieses ward auf der rechten Seite durch den Grafen von Arensberg mit fünf hundert Cheruskischen / und vom Ritter Ahlefeld mit so viel Cimbrischen Reitern / auf der lincken Seite vom Grafen von Eberstein mit fünf hundert Cheruskischen- und vom Rhein-Grafen mit so viel Cattischen Reitern bedeckt. Das hierauf folgende Cheruskische Fuß-Volck bestand in achtzehn tausend Köpffen. Dessen Führer waren der Graf von Hoheloh / von Schauenburg und Löwenburg. Der Graf von Waldeck bedeckte es mit zwey tausend Pferden auf einer / der Graf von Limburg und Hoya mit so vielen auf der andern Seite. Allhier als im Hertzen und Mittelpuncte des gantzen deutschen Heeres hatte der Feldherr Herrmann zwar seinen ersten Stand / aber er sätzte ihm für / wie die Seele eines Leibes allenthalben zu seyn / und destwegen erklärete er allhier den Grafen von Nassau zu seinem Stadthalter. Er hatte um sich dreyhundert auserlesener Ritter / darunter waren Staden / Dassel /Bechlingen / Lüneburg / Qvedlenburg / Ballenstadt /Listen / Woldenburg / Plesse / Reyne / Alvensleben /Melvero / Dinxlacken / Rheinstein / Thanneberg /Arnstein / Haldesleben / Suppelberg / Wenigerode /Lawenrode / Lindau / Gerenrode / Homburg / Plotzke / Wethin / Sladen / Schrapha / Walder-See / Recklingshausen / Roretz / Hoinstein / Potolys / Zarmude / Revemungen / Steppendisen / Sommerseburg / Watberg / Alsleben und andere. In seinem Hinterhalte führte der Graf von Sulm und Delmenhorst dreytausend Cherusker / der Graf von Wied tausend Catten /der Ritter Uhlefeld tausend Cimbern zu Fusse / der Graf von der Marck auf einer Seite tausend Cherusker zu Pferde / und der Graf von Ravenstein auf der andern Seite eben so viel. In[1189] beyden Heeren waren die Völcker gar artlich durch ihre Schilde unterschieden. Denn die Römer hatten in ihren nebst dem Nahmen ihres Feldherrn / ihrer Legion und Fahnes güldene Adler / die Armenier einen gehörnten Löwen / die Griechen zwey Wieder-Hörner und des Hercules Keule / die Africaner einen Drachen / die Asiatischen einen Fisch / die Thracier einen Hund / die Mösier einen Wolff / die Pannonier drey Eber-Zähne / die Rhetier einen Gemß / die Sicambrer einen rothen- die Bataver einen gelben Löwen / die Friesen einen See-Hund / die Chauzen ein Wasser-Pferd / die Gallier aber Hahnen / Adler / Habichte und andere Vögel. Hingegen führten die Cherusker ein weisses Pferd im rothen Felde / die Bructerer eine güldene Harpyje im schwartzen / die Hermundurer einen roth- und weiß-scheckichten Löwen im blauen / die Catten einen gekrönten gelben Löwen im rothen / die Longobarden einen rothen Adler im weissen / die Cimbern einen gelben Hahn im schwartzen / die Marsen einen schwartzen Löwen im gelben / die Chamaver einen rothen Löwen im gelben / die Angrivarier einen schwartzen Bär im weissen Felde. Nach der also gemachten Schlacht-Ordnung redete so wohl Hertzog Ingviomer als der Feldherr das Kriegs-Volck folgenden Innhalts an: Ich weiß wol / ihr unüberwindlichen Deutschen / daß auch des tapffersten Feldherrn Worte einem verzagten kein Hertze einzuflößen vermögen /und in einem Augenblicke so wenig ein furchtsamer in einen tapffern zu verwandeln / als ein todter lebendig zu machen sey. Denn wem ein Helden-Muth nicht von Natur angebohren / durch öfftere Gefahr und Thaten geschärfft ist / und das Leben höher als die Ehre schätzt / bey dem ist alle Ermahnung verlohren; weil die Furcht ihn des Gehöres ja aller Sinnen beraubt. Die dicksten Peltze / die besten Betten werden den nicht erwärmen / und kein Achilles dem eine Hitze einflössen / der im Leibe und im Hertzen kein Feuer hat. Aber bey so hertzhafften Leuten ist eines Heerführers Wort oder Winck eine so durchdringende Flamme / welche aller Gemüther wie ein Blitz anzündet / daß sie wie Oel und Schweffel brennen. Wecket das Liebkosen des Reuters ein Pferd zum Lauffe / der Zuruff des Volckes einen Fechter zur Standhafftigkeit auf; was soll nicht eines Obersten Stimme bey so hertzhafften Leuten würcken? Ich habe eure Treue und Tapfferkeit mehr prüfen müssen / als mir lieb gewesen; euch aber nun so viel rühmlicher ist. Ich schätze es für kein geringes: daß niemand unter euch ist /der nicht mich und ich ihn fürs Vaterland ein und andere Heldenthat habe ausüben gesehen; also euerer Tapfferkeit Verwunderer gewesen / und nun derselben Zeuge seyn kan. Es gereichet so wol euch zur Ehre als mir zur Vergnügung: daß ich eure lobwürdige Verrichtungen mit Fleiß aufgezeichnet verwahre / als euch dadurch kenne / und ieden mit seinem Nahmen zu ruffen weiß. Eurer Tugend habe ichs zu dancken: daß Deutschland noch in Freyheit / ich der Cherusker Fürst und der Deutschen Feldherr bin. Unsere Feinde haben aller Welt Kräfften / Wollust / Betrug und alle Laster wider uns aufgeboten; ja durch Zauberey Himmel und Hölle wider uns beweget / aber vergebens; weil GOtt und ihr bey mir gestanden / welcher als ein Feind der furchtsamen und boßhafften niemahls unser Unschuld entfallen wird. Stehet als Männer und Brüder bey einander / wie ich euch nach euer Verwandschafft zusammen gestellet habe. Kein Volck /wie klein es ist / kan von den mächtigsten Feinden ausgetilgt werden / wenn es sich durch eigene Uneinigkeit nicht verzehret. Wie solten die Römer es denn an euch / die ihr unerschöpfliche Völcker seyd /enden? Solte GOtt aber / welches unglaublich / gerechten Waffen widerstreben / so wird mir / euch und tapfferen Leuten doch unverwehrlich seyn frey und unerschrocken zu sterben. Wie ich nun meine Herrschafft lebend[1190] zu verlieren nicht gedencke; also beschwere ich euch bey der Ehre eurer ruhmbaren Vorfahren / bey der Wolfarth euerer Nachkommen: daß ihr einen eurem Adel anständigen Muth fasset / eure durch so viel Schweiß und Blut sauer erworbene Ehre nicht in Stich sätzt; sondern den heutigen Tag durch einen herrlichen Sieg oder wenigstens durch einen Löwenkampf denckwürdig macht. Dieses wird euch nicht schwer fallen / wenn ihr eurer Vor-Eltern Lehre nicht vergessen habt: daß es süsser sey sterben / als dienen. Keine Dienstbarkeit aber ist bitterer / als die der Römer / keines Volcks Freyheit vollkommener und eyfriger als der Deutschen / und also jene diesen desto unerträglicher. Die so grausamen als hoffärtigen Römer bilden ihnen ein Recht ein freyen Völckern Gesätze fürzuschreiben. Denen Carthaginensern verboten sie über den Fluß Iberus / dem Antiochus über den Berg Taurus / den Deutschen über den Rhein und die Donau zu kommen; aber sie wollen die Schlüssel zu allen Strömen und Gebürgen haben / und wollen von keiner Gräntze / als dem Ende der Welt / auch von keinem Gesätze / als ihrer eigenen Willkühr /wissen. Was werden sie denn uns zumuthen oder aufbürden / wenn sie uns überwinden solten? Bildet euch an ihnen keinen solchen Feind ein / welcher aus seinen Uberwundenen Gefärthen / aus seinem Feinde Bürger mache. Sie alleine wollen Herren / alle andere müssen Knechte / aller Gut ihr Eigenthum seyn. Daher werden sie auch uns und keinem Volcke eine Spanne Landes übrig lassen / den sie nicht mit ihrer Lantze abmässen und vertheidigen können. Lasset euch nicht bländen: daß so viel Deutschen so gedultig an ihrem Joche / ja gar wider uns den Degen ausziehen. Der Steller streuet nur so lange denen gefangenen Vögeln schmackhaffte Körner / biß er die andern im Garne hat / und sie nicht mehr zu Lockvögeln braucht. Sie selbst fühlen zwar schon die Schwerde ihrer Hand-Schellen und der Fessel an Füssen; aber es lässet sich seine Knechtschafft nicht so leichte wegwerffen / als anlegen. Wenn ihr nun nicht wie die Gallier Sclaven werden / und zu Uberwindung der übrigen Nord-Völcker den letzten Tropffen Blut aufzuopffern gezwungen werden wolt / so gewehret dieses köstliche Oel eures Lebens lieber für eure Freyheit / für des Vaterlandes Heil und zu eurem Ruhme an. Die Natur hat euch hierzu ausgerüstet; und die Vernunfft unterrichtet euch diß zu thun. Denn jene hat denen der brennenden Sonne nahe gelegenen Völckern zwar mehr Tieffsiñigkeit / uns in der Mitternacht aber mehr Blut / Hertze und Beständigkeit mitgetheilet: daß wir ohne Schwerigkeit das Leben verachten und den Tod trotzen können. Diß ist heute zu thun / und nicht mehr Zeit hierüber zu rathschlagen /sondern aus der Noth eine Tugend zu machen. Heute müsset ihr siegen oder sterben / nunmehr habt ihr nicht nur für den Ruhm der Deutschen / sondern für euer Heil zu streiten. Ihr habt keinen Rhein / keine Weser mehr vor euch / sondern die Elbe am Rücken; welche das Ziel des Cheruskischen Gebietes und der Deutschen Freyheit ist. Wir haben den Feind in Eingeweyden; also haben unsere Hertzen Zeit ihr bestes zu thun. Wollet ihr auch gleich euer so liebes Vaterland verlassen / und über Meer fliehen; so werden doch nur die unersättlichen Feinde / diese Rauber der Welt zu Wasser euch nachziehen / welche zu Wasser hieher kommen sind; und nach dem ihnen nunmehr Länder gebrechen wollen / alle Winckel der Meere auszustanckern anfangen. Je ferner ihr nun ziehen würdet / ie begieriger würden sie folgen. Denn ie mehr etwas verborgen ist / ie herrlicher bildet man es ihm ein. Das Armuth der mitternächtischen Eylande wird sie nicht zurücke halten. Denn die Reichen verfolget ihr Geitz / die Armen ihre Ehrsucht. Also sättigt sie weder die Fülle noch der Mangel / sondern sie sind nach einem so lüstern[1191] als nach dem andern. Wenn sie alles rauben und todt schlagen / heißt es bey ihnen geherrscht; und wenn sie alles in Wüsteneyen verwandelt oder gantze Völcker ausgerottet haben /Friede gemacht. Jedoch ist es mit dem Verluste eures Vermögens / welches euch zu ihrer Verpfleg- und Schatzung ausgepresset worden / noch auch eures Lebens nicht ausgerichtet. Ihr werdet dieses euch zur Straffe / und ihnen zu Frohn Diensten behalten / in Ertzt-Gruben / Bergwercken / Sümpffen als Esel arbeiten / und noch darzu Schläge und Schmach-Reden erdulden müssen. Den Augentrost eurer Kinder werden sie ihren Müttern aus der Schoß mit Gewalt reissen / und entweder unter das Kriegs-Volck unterstecken / oder zu ihrer viehischen Geilheit mißbrauchen. Eure Weiber und Töchter werden sie anfangs mit Gewalt schänden; und wenn ihr werdet ihre Unterthanen worden seyn / sie zu Kebsweibern nach Rom schleppen. Keinem einigen Volcke haben sie es besser mitgespielet / euch aber werden sie es noch ärger machen; weil das deutsche Frauenzimmer schöner und tugendhaffter als anders ist; also es dieses üppige Volck so vielmehr in die Augen stechen / eure Mannbarkeit aber ihnen allezeit verdächtig / und destwegen so vielmehr an Ketten gehalten werden wird. Ja / weil ihr in der allgemeinen Dienstbarkeit der Welt schier die letzten seyd / werdet ihr noch darzu / wie die Neulinge unter den Knechten / der Gallier und anderer dienenden Völcker Hohn und Spott seyn müssen. Derogestalt habt ihr ja aus höchster Noth / die Römer aber nur aus Ehrsucht und Wollust zu kämpffen. Diese machet die Tugend stumpff / die Noth aber ist der beste Wetzstein der Tapfferkeit / und beyde zusammen euer Glücke. Denn durch diese werdet ihr eure Freyheit behaupten / und euch mit nicht wenigerm Ruhme / als Beute bereichern. Wer wolte nun nicht gegen solche Feinde als eine Mauer stehen /wenn er weiß: daß / in der Schlacht fallen / Ehre / in der Flucht umkommen / Schande sey; daß die Furcht als der gerädeste Fußsteig zum Tode trage / die Hertzhafftigkeit aber durch Tod und Leichen zum Leben durchdringe? Lasset euch aber die kaum zu übersehen mögliche Menge der Feinde nicht schrecken. Die Helffte bestehet bey nahe an weichen Galliern und weibischen Völckern aus Asien. Die darbey sich befindenden Römer sind meistentheils neugeworbene /und aus wollüstigen Städten zusammen gebracht und dahero unwehrbare Weichlinge. Ihr aber seyd unter freyem Himmel / auf harter Erde in rauen Wildnüssen erzogen / der Sonne und Kälte / des Schweißes der Arbeit und Streites von Kind auf gewohnet. Ihr wisset euch ohne Dach und Zelten unter Peltzen nicht weniger als Wölffe / Bären / und andere wilde Thiere auszuwintern. Ihr wisset nichts von Bädern / Schatten /niedlichen Speisen und andern Zärtligkeiten der Städte. Also können sie unmöglich gegen euch austauern. Die älteren Römer aber sind eine Uberbleibung vom Varus / welche / um nicht mehr wider die Deutschen zu streiten / sich durch Aufruhr des Krieges zu entbrechen bemühen / oder Flüchtlinge des vorigen Jahres /welche die Narben ihrer von euch empfangenen Wunden noch auf dem Rücken tragen / und theils von euren Streithämmern / theils von Sturmwinden und den Meeres Wellen verstimmelt sind; also ohne einige Hoffnung des Sieges so wol wider das erzürnte Verhängnüs / als ihre schreckliche Feinde zu fechten gezwungen worden sind. Sie haben das Hertze nie gehabt geraden Weges zu Lande gegen die Cherusker aufzuziehen / sondern sie haben aus Furcht / daß wir sie auf der Gräntze bald übel bewillkommen würden /durchs Meer und Umwege sich in unser Land gespielet. Heute aber wird ihnen weder Segel noch Ruder /sondern alleine der Degen dienen / und unsere Weser wird sie zwingen festen Fuß zu halten. Heute wird die Erfahrung[1192] euch lehren: daß sie nicht so rüstig zum Kampffe / als zu Lastern sind. Unsere Zwytracht hat sie uns zu bekriegen verwegen gemacht; und nicht die Tugend / sondern die Schwachheiten der zwistigen Völcker haben ihr Kriegs-Heer in solch Ansehn versätzt. Hätten die Deutschen nicht ihnen ihr Blut zu Bezwingung der Gallier vor geliehen / würden sie noch nicht mit diesem furchtsamen Volcke fertig seyn. Glaubet aber nicht: daß die Römischen Hülffs-Völcker mit gutem Hertzen ihren Fahnen folgen / oder vielmehr ihnen mit ihrem Blute die Bahn brechen müssen. Zweiffelt nicht: daß viel / welche für die Römer heute den Degen zücken müssen / sie gerne überwunden sähen; und daher werden sie sich auf eure Seite schlagen / so bald sich der Sieg gegen euch neigen wird. Itzt hält sie nur noch Furcht und Ungewißheit des Ausschlages zurücke / welches morsche Banden der Freundschafft sind; nach derer Zerreissung sie die Römer so viel gifftiger hassen / ie begieriger sie selbte zu fürchten aufhören werden. Also werdet ihr mitten unter den Feinden euch beyspringende Hände antreffen. Denn bey euerer freymüthigen Tapferkeit werden die Gallier / die Celtiberier / fürnemlich aber die Chauzen / Friesen und Sicambrer sich ihrer verlohrnen Freyheit erinnern. Daher schonet so viel möglich dieser Hülffsvölcker / und machet euch an die Römer als die allgemeinen Feinde der Welt. Lasset euch ihre schimmernde Waffen nicht schrecken! Sintemahl Gold und Silber weder mehr decket noch verwundet / als Stahl. Mit einem Worte: bezeuget euch heute als Deutsche / und bedencket: daß / wenn ihr heute nicht Männer seyd / ihr und eure Nachkommen ewig werden Knechte seyn müssen. So bald der Feldherr diese Rede beschlossen hatte / stieß das Kriegs-Volck ihre Spisse zusammen / welches bey den Deutschen die kräfftigste Art der Beypflichtung ist. Die Priester aber giengen mit in Händen getragenem Feuer / als einem Zeichen des Streites /durch alle Glieder durch / und ermahneten das Kriegs-Volck zur hertzhafften Gegenwehre / welches nicht so wol aus Furcht / als aus einem fast alle / auch die tapfersten Helden angehender Schlacht befallenden Schrecken zitterte; der oberste Priester aber kam aus dem Heyne des Hercules auf einem von vier weissen Pferden gezogenem Wagen in einem schneeweißen Pferde zum Feldherrn gefahren / welcher ihn mit Nahmen ruffte und versicherte: daß GOtt und die Schutz-Geister selbiger Gegend seine Beystände wären. Auf welche Art Pericles auch einst sein Heer aufgemuntert / und dadurch den Sieg erlangt haben soll. Ja die Cheruskischen Weiber kamen mit zerstreuten Haaren zwischen die Flügel gelauffen / stellten ihnen ihre Kinder und schwangere Leiber unter Augen und beschwuren sie: daß sie durch ihre Zagheit sie nicht in unerträgliche Dienstbarkeit stürtzen solten. Dieses schwachen Geschlechtes wehmüthige Beredsamkeit hatte in ihren Hertzen den kräfftigsten Nachdruck. Dahero diese einige Würckung zweiffelhafft macht: ob die Deutschen das Weibes-Volck klüger in ihre Lager und Heere mit sich nehmen / oder die Römer sie daraus verbannen; ja denen Kriegesleuten wie denen Ringern gewisser massen zu heyrathen verbieten. Denn ob zwar dieses gebrechliche Geschlechte ins gemein durch Wollust die tapffersten Helden entkräfftet / dem friedlichen Zustande durch Verschwendung / dem kriegerischen durch Schrecken Abbruch thut; so ist doch das deutsche Frauenzimmer gleichsam einer gantz anderen Art als anderes; weil es zur Geilheit keinen solchen Zug als zum Kriege hat. Dahero sie denn mit ihnen im Lager und Felde gantz willig alles Ungemach ausstehen / sie bewaschen / ihnen Speise kochen / schantzen und graben helffen / die Waffen ausputzen / aus ihren Wunden das Blut und Eyter aussaugen / sie verbinden / und nicht nur Zuschauer und Zeugen / sondern auch[1193] Aufmunterer ihrer Tapfferkeit abgeben wollen. Ja es mangelt ihnen nicht das Hertze die Waffen an statt der Spindel zu ergreiffen / oder ihren verwundeten Ehmäñern die Waffen aus den Händen zu reissen / an ihre Lücke zu treten / und ohne Furcht zerfleischet zu werden / ihrem Feinde die Stirne zu bieten / oder bey verzweifeltem Zustande ihre eigene Kinder ins Gesichte zu schmeissen. Daher sich auch öfters ereignet hat: daß die schon wanckenden und brechenden Schlacht-Ordnungen durch das Winseln und Wehklagen der Weiber / derer besorgliche Dienstbarkeit ihren Männern mehr als ihre eigene zu Hertzen steigt /oder auch durch ihren gleichsam rasenden Anfall im Stande erhalten oder ergäntzet haben. Die Barden fiengen auch an die Helden-Thaten ihres Tuiscons /Alemanns und anderer Deutschen zu singen / derer Bilder sie zu Beyspielen denen Kämpffenden fürtrugen / und ihnen gleichmäßige Lob-Lieder versprachen. Als nun auch der Streit angehen solte / schrien sie / was sie nur aus dem Halse bringen konten / weil das Kriegs-Volck aus der Barden starckem Geschrey ihm Sieg / aus schwachem und heiserem aber Unglück wahrzusagen pfleget. Welches zuweilen zweiffelsfrey destwegen eintrifft / weil die behertzten mehr Kräfften haben ihre Stimme zu erheben / die Furcht aber einem die Zunge hemmt; wiewol sonst ins gemein dräuende Großsprecher wenig Werckes machen; hingegen die in der Schlacht die hurtigsten sind / welche für selbter am ruhigsten gewesen / und ein furchtsamer Hund hefftiger billt als beißt. Der Barden Singen kriegte auch einen gewaltigen Widerschall / weil das gantze deutsche Heer in ihre Schilde aus gantzen Kräfften schrie / die Waffen zusammen stieß / und dadurch ein Gethöne verursachte / worvon die Erde bebte; sintemahl die meisten Völcker der Welt / insonderheit die Perser / Indier / Britannier / Gallier /Hispanier / Parther und Deutschen so wol von solchem Geschrey / als von dem Blasen der Trompeten und Krummhörner / wordurch zum Angrieffe das Zeichen gegeben wird / beredet sind: daß dardurch die Feinde kleinmüthig / sie selbst aber hertzhaffter gemacht würden. Diesemnach öffters kluge Feldherren ihre Kriegs-Leute befehlichen die Ohren zuzustopffen; gleich als weñ das feindliche Geschrey wie der Schlangen Beschwerer was zaubrisches an sich hätte. Der Graf von Nassau und andere Kriegs-Häupter versicherten den Feldherrn im Nahmen des gantzen Heeres: daß sie ihre Pflicht redlich beobachten wolten /baten ihn aber mit Thränen: er möchte als ihr Haupt /an welchem aller ihr Heil gelegen wäre / seiner wol wahrnehmen / und sich nicht ohne euserste Noth in Gefahr / durch sich aber gantz Deutschland in Unglück stürtzen. Ein gemeiner Kriegsmann könte niemahls zu kühn seyn; ein Feldherr aber nie zu sicher gehen. Pelopidas und Marcellus hätten durch eines Tages Verwegenheit auf einmahl allen Ruhm viel jähriger Helden-Thaten verspielet. Er verstünde selbst allzu wol: daß es besser wäre / wenn ein gantz Heer umkäme und der Fürst übrig bliebe / als wenn aus einem gantzen Heere niemand als das Haupt erlegt würde. Der Feldherr nam diß wol auf / und erinnerte sie als Glieder ihr Ampt zu thun / er würde nicht weniger auch seines wahrnehmen. Als er nun sahe: daß Germanicus auf einer Stange den Purper-Rock zum Zeichen des Angrieffs ausstecken ließ / befahl auch er zu dem Ende einen Wolffs-Kopff empor zu stecken /die Drommeln und Paucken / wie auch mit Steinen an messene Töpffe zu schlagen / und in die Ochsen-Hörner zu blasen. Es kam aber der junge Fürst Gottwald /fiel für dem Feldherrn auf die Knie nieder / und bat ihn um die Gnade: daß er diesen Tag der letzte unter seiner Leibwache seyn / und seine erste Waffen für das Heil eines so grossen Helden einweihen möchte. Der Feldherr nam dieses wol auf; befahl ihm aufzustehen / gab ihm einen eisernen Ring / und sagte[1194] ihm: Er solte sich so tapffer halten / als seine hohe Ankunfft erforderte / so würde er diesen noch für untergehender Sonne mit einem güldenen rühmlich verwechseln können.

Hiermit kamen beyde Heere an einander. Bojocal traf mit der Angrivarischen und Batavischen Reiterey auf den Ritter Wintzenburg und die ihm aus sonderbarem Verhängnüsse entgegen gestellten Angrivarier desto verbitterter / weil es seine Unterthanen waren; und diese fochten so viel hartnäckichter / weil die zerreissenden Banden der Liebe hernach desto festere Ketten unversöhnlichen Hasses abgeben. Zu eben der Zeit und mit gleicher Hefftigkeit traf Wachtendonck mit der Chamavischen Reiterey auf die Rhätier und Lepontier / welche ihnen einbildeten: daß ihre Brüste so unbeweglich als ihre Stein-Felsen wären. Zwischen diesen band der Graf von Ravensberg und das Angrivarische Fuß-Volck mit den Batavischen / Ubischen und Menapischen und ihren Führer Verzingetorich; der Graf von Homburg aber mit den Chamavern auf die Trierer / Narboner und Lugduner. Im rechten Römischen Flügel grief Fürst Cruptorich mit seiner Friesischen Reuterey die vom Ritter Beringer geführten Hermundurer / und Bruno / ein Chauzischer Ritter /den Graf Barby mit seiner Langobardischen Reiterey an. Zwischen diesen machte sich der Graf von Ascanien mit dem Langobardischen Fuß-Volcke an das Frisische / Tencterische / Arvernische und Seqvanische / der Graf von Schwartzburg aber mit dem Hermundurischen an die Sicambern / Tribochen /Nemeter / Vangionen und Heduer. In diesem Flügel stand alles wie Mauren gegen einander / und wolte ein Theil seinem Feinde nicht einen Fußbreit Erde enträumen. Denn ob zwar die Heduer und Seqvaner etliche mahl getrennt wurden / ergäntzte doch der Graf von Fleckenstein und Julius Florus alsbald die Lücken /daß das Treffen in gleichem Gewichte stehen blieb. In der Mitte sahen die Feinde eine lange Zeit einander an / weil die Cherusker ziemlich hoch standen / die Thracier und Hispanier aber den Feind an diesem vorthelhafften Orte nicht beissen / und weder einer noch der ander sich verschüssen wolte / gleich als wenn der einen grossen Vortheil über seinen Feind erlangte /der seine Pfeile noch im Köcher behielte / seines Feindes erste Hitze aber verrauchen / oder sich wie starcken Eßig überbeissen liesse. Weil nun die Cherusker sich auch nicht aus dem Vortheil begeben wolten / ließ Germanicus aus den grossen Schleudern Steine auf sie werffen / und die eingespickten Balearier machten sich auch zu dem Ende an den Hörnern der Schlacht-Ordnung herfür / und schleuderten eine grosse Menge ihrer in einem angehenckten Sacke bey sich getragener und zum theil mehr als ein Pfund wiegender Feldsteine auf sie. Der Graf von Nassau aber befahl: es solten alle Deutschen die Häupter mit den Schilden decken / und als die Steine darauf fielen /fieng er hertzhafft an: Freuet euch ihr Brüder / es regnet Steine / welches den Römern niemals nichts guts bedeutet hat. Endlich machte sich der Rheingraf an die Chauzische / der Graf von Eberstein an die Thracische Reiterey. Dieser befahl seinen Cheruskern: sie solten den Thraciern nur harte auf den Hals gehen und beständig in Eisen liegen / weil alle Kräfften der Thracier in Wurff-Pfeilen bestünde / darzu sie Raum dörfften / und im Gedrangen wider der Deutschen Streit-Hämmer nicht bestehen könten. Inzwischen kam das Fuß-Volck auch zum Handgemänge. Der Celtiberier Schlacht-Ordnung war zuförderst spitzig und hinten breit / und meinten darmit die Cheruskischen Hauffen zu durchbohren / wie sie wol ehmahls denen Römischen Legionen gethan hatten. Aber ihre Einbildung schlug ihnen gewaltig fehl / weil die Cherusker mit ihren langen Spißen auf beyden Seiten sie so gewaltig anfielen: daß sie ihre Spitze einziehen /und sich in die Breite stellen[1195] musten. So konten auch die Hispanier mit ihren kurtzen Degen wider der Cherusker langes Gewehre wenig ausrichten; noch / wie scharff ihre Ballen an der Spitze gleich waren / die Spisse zerhauen / weil sie sie mit eisernen Federn hatten versehen lassen / ungeachtet sie sich rühmten: daß sie darmit alle Helme und Harnische zerspalten könten. Als sich das Gefechte hier nach und nach zwischen dem Cheruskischen Fuß-Volcke / denen Celtiberiern und andern Hispaniern vermischte / verkehrte sich das Spiel im lincken Römischen Flügel überaus. Denn Bojocal ward oder stellte sich zum wenigsten verwundet; gab also mit seiner Reiterey die Flucht auf die Seite an dem Weser-Strome hinab. Diesem folgten das von der Reiterey entblöste und vom Ravensberg in Unordnung gebrachte Fußvolck der Gallier / und nichts minder die Rhetische Reiterey. Malovend befahl: daß nicht nur Wintzenburg und Wachtendonck mit ihrer Reiterey / sondern auch Ravensberg und Homburg den Feind verfolgen solten / damit solcher nicht über die untersten Weser-Brücken entkommen könte. Ungeachtet nun diese letztern etwas stutzten und ihnen dieser Befehl bedencklich fürkam / aus Beysorge: daß der Feind sie durch eine so schlaue Flucht / als Cyrus der Tamyris unvorsichtigen Sohn /zu verführen vor hätte / musten sie doch des Malovends als ihres Hauptes Befehl vollziehen; weil das Kriegs-Recht denen Unteren keine vernünfftige Wider-Rede / weniger eine Befugnüs ihrer Obersten Befehle zu untersuchen erlaubt / sondern einen blinden Gehorsam / und alles übrige GOtt und ihrem Feldherrn heimzustellen auflegt; gleich als weñ das Heer nur der Leib / der Feldherr aber die Seele im Kriege wäre. Als derogestalt beyde Vordertheile des Römischen lincken und deutschen rechten Flügels Raum gemacht hatte / rückte Emilius mit der Römischen Reiterey / Vitellius mit der vierzehnden und Tubero mit der sechzehnden Legion / welche hinter der vördersten Schlacht-Ordnung der Römischen Hülffs-Völcker wol hundert und fünf und zwantzig Schritte entfernet war / gegen den Fürsten Malovend / zu welchem Hertzog Flavius mit dreyhundert Pferden / jedoch ohne gezückte Waffen voran gerennet kam / ihn freundlich grüßte / und auf ehrliche deutsche Treu und Glauben mit ihm zu reden verlangte. Nachdem Malovend nun mit dem Flavius wenig Worte gewechselt hatte / wendete sich Malovend zu seinen Marsen / und sagte: Ihr ehrlichen Marsen! wir sind mit den Römern verglichen / sie sind unsere und wir ihre Freunde. Euch soll alles abgenommene erstattet oder vergolten / und weder meine Herrschafft noch euere und ander deutschen Freyheit gekräncket / sondern dem Hertzoge Flavius alleine sein Erbtheil erstritten und eingeräumt werden. Weil Malovend seinem Volcke eitel an seiner Verrätherey theilhabende und von Römern bestochene Obersten fürgesätzt hatte / schlugen sie zum Zeichen ihrer Freude und Einwilligung mit ihren Spißen wider die Schilde / neigeten ihre Schilde gegen dem Flavius / und ermahneten die Marsen: daß sie ihre Heerspitzen gegen die ihnen nun auf den Hals kommenden zwey Römischen Legionen stellen solten. Die Marsen wurden hierüber bestürtzt / sahen einander an / und wusten nicht / wessen sie sich entschlüssen solten. Denn ob zwar ihrer etliche murrten und sich beklagten; daß sie von ihren eigenen Häuptern verrathen und in Römische Dienstbarkeit verkaufft wären / so ist doch ein Heer ohne Führer ein Leib ohne Kopff / welcher weder Vernunfft noch Stärcke sich zu bewegen hat. Bey dieser verwirrten Unbeweglichkeit ritt Hildebold / ein Oberster der Marsen / mit entblöstem Degen zwischen ihre Glieder zu der Marsischen Haupt-Fahne / welches ein rother Löw im weissen Felde war / und dreute den sie haltendẽ Hademersleben zu durchstossen / da er solche nicht gegen die zwey Römischen Adler neigen würde. Unterdessen theilte[1196] Tubero die funfzehnde Legion / und rückte mit zweyen Theilen auf den Seiten / und mit dem dritten mitten zwischen das Marsische Fuß-Volck; also daß diß nicht nur von einander getrennt / sondern auch von der Marsischen Reiterey abgeschnitten / und diß eben so wol von der Römischen / Mäsischen und Armenischen Reiterey umgeben ward. Derogestalt waren den redlichsten und keckesten Zungen und Armen gebunden / die andern henckten den Mantel nach dem Winde / wendeten sich zurück / und kehrten die Spitzen gegen dem Hertzoge Marcomir und seinem Hinterhalte / welcher an diesem püschichten Orte der so seltzamen Veränderung fast nicht ehe gewahr ward / als biß er die Römischen Adler gerade auf ihn andringen und mit selbten die Marsen vermenget sah. Hallermund / ein Marsischer Ritter / hatte sich gleichwol nebst etlichen Edelleuten von der Marsischen Reiterey loß gewürckt / und der Ritter Steinfurt schlug sich mit denen Chassuarischen Reitern noch durch / stiessen zum Hertzoge Marcomir und legten ihm das Retzel der Malovendischen Verrätherey aus. Marcomir konte dieses schwartze Laster kaum dem Malovend zutrauen / wenn er nicht ihn und den Flavius neben einander hätte die Marsische und Mäsische Reiterey auf seine Cattische unter dem Grafen von Hanau anführen gesehen. Marcomir fertigte den Ritter Sinzich alsbald zum Feldherrn ab / um ihm seine euserste Noth zu entdecken; dem Ritter Kwad und Lochau aber befahl er: sie solten doch durch einen Umweg dem den flüchtigen Feind verfolgenden Ravensberg / Homburg / Wachtendonck und Winzenburg nachgehen / und sie ihm zu Hülffe beruffen. Diese richteten es durch die Püsche glücklich aus /traffen diese aber in einem hitzigen Gefechte an. Sintemahl Bojocals und der andern Römischen Hülffs-Völcker Flucht nur ein mit dem Malovend abgeredeter Betrug gewest war / das vorderste Theil des deutschen rechten Flügels abzuziehen um dem Malovend zu Ausübung seiner Verrätherey Lufft zu machen. Denn eine viertel Meile von dem ersten Stande fanden die Deutschen fünffhundert Römische / tausend Dacische und Illyrische Reiter / tausend Römer und zweytausend Gallier zu Fusse in voller Bereitschafft stehen / neben welchen sich Bojocal / Chur / Sarnsgans und Werdenberg mit ihrer flüchtigen Reiterey widersätzten / Verzingetorich und Aviola lasen auch ihr zerstreutes Fuß-Volck wieder zusammen / und boten mit gesamter Hand den Deutschen die Stirne. Ob diese nun zwar gegen ihre Feinde ziemlichen Vortheil erlangt hatten / Werdenberg vom Ritter Woldenberg durchstochen / Verzingetorich vom Ravensberg auf den Tod verwundet war / Homburg auch die zweytausend frischen Gallier schon zertrennt hatte / sätzte sie doch die schlimme Zeitung vom Malovend in die gröste Verwirrung. Weil nun Marcomir die Last des gantzen lincken Römischen Flügels auf dem Halse hatte / sie auch besorgen muste: daß Centronius mit der ersten Legion / und Messala mit der leichten Reiterey sie gar vom deutschen Heere abschneiden dörffte / musten sie entschlüssen sich zurücke zu ziehen. Alleine die Verfolgten / welchen Vitellius zuentbieten ließ: daß der gantze rechte Flügel der Deutschen schon über einen Hauffen geworffen wäre; kriegten nicht nur Lufft sich wieder an einander zu ziehen /sondern auch Hertze ihre vorigen Verfolger zu verfolgen. So schlecht es nun auf dieser Seite für die Deutschen stand / so gutes Ansehn zum Siege hatte es für sie in der Mitte und im lincken Flügel. Denn die Langobarden und Hermundurer hatten den Julius Florus verwundet; daß er auf zwey Picken muste aus dem Gefechte getragen werden; und Schwartzenburg den Fleckenstein gar getödtet; also daß die Gallier / Friesen und Sicambern biß an die andere Legion getrieben wurden / und Silius mit selbter den Deutschen die Stirne bieten / Stertinius auch mit seiner Reiterey dem[1197] vom Ritter Veringer bedrängten und verwundeten Cruptorich zu Hülffe kommen muste. In der Mitte hatte der Graf von Arenberg und der Ritter Ahlefeld die Thracische Reuterey biß an des Germanicus Leibwache in die Flucht gejagt; daher die Armenische Reuterey hervor rücken und die Thracier entsätzen / ja Germanicus selbst hundert Ritter selbigen Einbruch zu stopffen / und denen vom Reckheim getrennten Hispaniern die Schützen von der zwantzigsten Legion /wie auch die Nervier und Theßalier zu Hülffe senden muste. Bey diesem gefährlichen Anblicke brachte Appius Junius Silanus dem Germanicus die fröliche /Sinzich aber dem Feldherrn die traurige Zeitung: wie das Spiel sich in Malovends Flügel verkehrt hätte. Dieser verordnete alsofort: daß sein gantzer Hinterhalt dem Hertzoge Marcomir alsobald / und eh er etwan geschlagen würde / zu Hülffe eilen / hingegen der Graf von Wertheim mit seiner Cattischen Reuterey / Isenburg und Solms mit ihrem Fußvolcke an dessen Stelle rücken solte. Germanicus hingegen ließ durch sein gantzes Heer kund thun: der gantze rechte Flügel der Deutschen wäre erlegt oder in der Flucht; also solten sie ihnen die Schande nicht anthun: daß Flavius und Vitellius ihnen müsten zu Hülffe kommen. Hierbey ereignete sich entweder ungefähr: daß acht Adler von der Weser her über das Römische Herr gegen das Deutsche / und die darhinter gelegenen Wälder geflogen kamen; oder daß sie im Lager von den Wahrsagern mit Fleiß waren aus ihren Behältnüssen gelassen worden. Germanicus war ein Meister so wol sich des Aberglaubens zu seinem Vortheil zu bedienen / als zufällige Dinge zu Werckzeugen seiner Klugheit zu gebrauchen. Daher ruffte er mit heller Sti e seinem Volcke zu: Sie solten empor / und das gewisseste Kennzeichen des ihnen von den Göttern bestimmeten Sieges schauen. Diese acht Adler / welche die eigentlichen Schutz-Götter seiner acht Legionen wären / wiesen ihnen selbst den Weg zum Siege. Die vorhin schon vom Aberglauben eingenommenen Römer wurden darinnen so gestärckt / daß sie rufften: Er möchte sie doch wider die Feinde fechten und ihnen nicht die Hülffs-Völcker den Sieg wegnehmen lassen. Die Hülffs-Völcker hingegen baten: man möchte ihnen doch die Ehre nicht mißgönnen ihre Treue gegen das Römische Volck durch Tapferkeit zu bewehren. Germanicus ließ also durch die geöffneten Glieder der andern Legion die Pannonische Reuterey hervor rücken / umb nebst den Friesen den schon ziemlich müden Hermundurern zu Pferde zu begegnen / Stertinius aber muste mit der Römischen Reuterey auf der rechten Hand einen Umschweiff machen / und den lincken Flügel der Deutschen seitwerts angreiffen / und Silius mit der gantzen andern Legion ihm folgen; Cethegus aber mit der fünfften in die Stelle rücken. Segesthes lösete mit denen frischen Helvetiern und Aqvitaniern die Völcker / welche wider den Grafen von Ascanien uñ Schwartzburg lange gefochten hatten / gleichfalls ab / und zwangen die abgematteten Longobarden und Hermundurer vom Ingviomer Verstärckung zu begehren. Gleicher gestalt kamen die Bellovaken den Celtiberiern und Hispaniern wider die Cherusker zu Hülffe. Wie scharf es nun hier hergieng / so hatte doch Marcomir den härtesten Stand. Sintemal nicht nur Vitellius mit seiner gantzen vierzehenden Legion / sondern auch die darzwischen zertheilten dreytausend Marsen seine fünfftausend Cherusker /Cimbern und Bructerer in Gestalt eines halben Mohnden umgaben. Flavius aber traff mit dreyhundert Edelleuten / und tausend Mäsiern / und Lepidus mit fünffhundert Römischen Reutern auf den Graf Hanau und seine tausend Cattische Reiter. Malovend aber mit tausend Marsen / uñ Coccejus mit fünffhundert Römischen Reutern auf des Ranzaus Cimbrische Reuterey. Wiewol nun des Feldherrn Hinterhalt / nemlich der Graf[1198] von der Marck und Ravenstein mit zweytausend Cheruskischen Reutern / der Graf von Wied mit tausend Catten / Delmenhorst und Sulm mit dreytausend Cheruskern / und Uhlefeld mit tausend Cimbern /Marcomirn bey zeite entsätzten; so begegnete doch Tubero mit der gantzen sechzehnden Legion und dreytausend Marsen dem Fußvolcke / und Emilius mit zweytausend Römischen schweren Reutern und fünffhundert Mäsiern der Reuterey. Beyde Theile fochten wie Löwen gegen einander; ein Theil aus Verzweifelung / das ander aus Aberglauben und Begierde des Sieges; und ob wol die Deutschen weit übermannet waren / wiesen sie doch durch ihre Standhaftigkeit: daß sie so wol als die Römischen eiserne uñ unzerbrechliche Legionen / Mauern geneñt zu werden verdienten; und das Gesätze / welches Demaratus den Spartanern gegeben: daß nemlich niemand fliehen /sondern stehende siegen oder sterben müste / ihnen von Natur angebohren wäre. Denen Römischen Legionen / derer Kriegsleute ieder seinen Nahmen /unter welchem Fahne und in welcher Stelle er stehen solte / auf seinem Schilde geschrieben hatte / kam sonderlich ihre vortrefliche Ordnung / und ihrer täglich geübten Kriegsleute Geschickligkeit zu statten. Denn ihre Hauffen waren nicht nur durch die Kriegeszeichen / sondern ieder Legion Volck auch durch die Farben der Kleider / und hohe Federpüsche / welche ihnen zugleich ein besser Ansehen machten / unterschieden. Das erste Fahn ieder Legion / welches eilfhundert und fünffe zu Fuße / und hundert und zwey und dreyßig Reuter hatte / also fast zweymal so starck als eines der andern war / führte den Haupt-Adler mit dem im Klauen habenden Blitze / das ander einen Wolff / das dritte den Minotaurus / das vierdte ein Pferd / das fünffte ein wild Schwein / das sechste einen Elephant / das siebende eine Welt-Kugel /welch Zeichen August wegen besiegter Welt zum ersten gebraucht / das achte einen Löwen / das neundte eine Schlange / das zehnde einen Bär. Uber diß hatten die alten Kriegsleute die Bilder des Kaysers Julius /des August / des Tiberius / des Drusus / des Germanicus / des Claudius Nero / des Agrippa / der Livia / der Antonia und des Sejanus / die ihnen vorgehenden Kriegsleute aber zehnerley geschnitzte Drachen / welche aus dem offenen Rachen die Zähne vorwiesen /beym Winde zischten und den Schwantz bewegten. Diese sollen dem Apollo zu Ehren wegen des erlegten Pythischen Drachen nicht nur von Römern / sondern auch von Aßyriern / Persen / Scythen und Indiern zu Kriegszeichen gebraucht werden. Die Spißträger aber führten in weissen Fahnen die Nahmen der Römischen Feldherren mit Purper / die leichten Schützen sie in purpernen Fahnen mit Golde geschrieben. Die Reuterey war mit kleinen Purper-Fähnlein versehen /diese aber mit darein gemahltem Blitze / Feuer-Strahlen und Bildern unterschieden. Die erste Legion hatte rothe Kleider und Federn / die andere gelbe / die fünfte Hi elblau / die dreyzehnde weiße / die vierzehnde grüne / die sechzehnde graue / die zwantzigste braune / die ein und zwantzigste blau und gelbe. Im Treffen kamen anfangs aus den Gassen die im lincken Arme gepantzerten Schützen / Schleuderer / und leichten Fußknechte herfür / und schütteten auf die Deutschen unzählbare Steine / bleyerne Kugeln / Pfeile und Wurffspisse aus. Denn ob zwar die Römer selbst keine Schleuder / als ein in ihren Augen knechtisches Gewehre brauchten / so steckten sie doch Acheer und Balearier auch unter das leichte Volck der Legionen. Weñ diese sich wie ein Blitz wendeten und wieder in die Gassen / welche die zehn Fahnen einer Legion unterscheidetẽ / versteckt hatten / traffen von dem schweren und von Fuß auf geharnischten Fußvolcke anfangs die Spißträger; und weñ diese müde waren /wiechen sie rück werts / uñ kamen zwischen ihnẽ die fürnehmern Kriegsleute ohne einige Verwirrung herfür. Sintemal aller ihr Stand gleichsam auf einẽ Finger breit abgemessen war. Jeder Fußknecht hatte um sich drey Fuß breit freyen Platz / also daß keiner beym Gebrauch seiner Waffen anstieß /[1199] und die letztern Glieder durch die vorstehenden Glieder unverhindert durchgehen / ja so gar im Falle der Noth die Reuter durchs Fuß-Volck durchbrechen konten. Dieser andern Glied war von den Spißträgern funffzig / die dritten ältern Fuß-Knechte aber / welche / weil die zwey erstern stritten / auf der Erde knieten / und sich auf ihre Schilde lehneten: daß sie für dem Geschoß desto sicherer blieben und ausruheten / wol hundert Füsse weit von den zweyten entfernet. Die mitlern waren mit einem Schwerdte und Dolche / fünff bleyernen Kugeln / einem grossen und kleinen eine dreyeckichte eiserne Spitze habenden Wurff-Pfeile gerüstet /derer einer sechstehalb / der andere drey Füsse lang war. Wenn diese sich verschossen / und mit den Degen müde gefochten hatten / löseten sie die wieder hervor kommenden Spißträger ab. Die drittern Eltesten aber / derer ohne biß nur halb so viel als der Spißträger waren / und welche gleichwohl den güldenen Adler bey / und den Feldherrn für sich hatten /blieben unbewegt / biß der Oberste sie zur höchsten Noth aufforderte. Diese waren gleichfalls mit eisernen Stiefeln auf den Schienbeinen / Pantzern in Armen und Beinen / Harnischen am Leibe versehen / und ihre Helme mit Bären-Häuten / der andern aber mit anderm Peltzwerck überzogen. Diese Menge / ihre Rüst- und Ordnung gab den Römern einen grossen Vortheil für den Deutschen / welche weder so viel Fahnen /sondern nur iedes Volck ein gewisses Thier / nemlich die Cherusker ein Pferd / die Catten einen gelben / die Marsen einen rothen Löwen / die Bructerer einen Adler / die Langobarden einen Bär / die Hermundurer einen Luchs / die Cimbern ein Elend / die Angrivarier einen Hirsch / die Chamaver einen Wolff / die Chauzen einen Wallfisch / die Sicambrer einen Ochsen /die Friesen einen Hund / auch nicht gleiche Waffen /sondern so gut sich ieder ausrüsten kan / führen. Gleichwol ersätzte dieser Hertze die Härte und Eyver / welche entweder keine Wunde fühlten / oder nicht achteten / allen Abgang. Sintemahl die Deutschen mehr hertzhafft gebohren als gemacht / die Römer aber mehr tapfer gemacht als gebohren werden. Also musten die alten Römischen Kriegsleute ehe / als sie sichs versahen / an die Spitze; ja hätten die alle / welche aus ihren Gliedern gewichen / nach der Schärffe des Krieges-Rechtes den Kopff sollen verlohren haben / würden ihrer viel / die sie gleich von den feindlichen Schwerdtern davon gebracht / sie unter den Beilen der Scharffrichter verlohren haben. Sonderlich hatten die Römischen Hauptleute einen harten Stand / weil ieder nicht nur an der Stirne seines Fahnes stehen muste / und sie für andern an ihren versilberten Helm-Spitzen kenntlich waren; sondern fürnehmlich / weil die deutschen Obersten ihr Volck befehlichten die Befehlhaber anzufallen / bey derer Erlegung sie der gemeinen leicht Meister werden würden. Insonderheit aber machte die deutsche Reuterey den Römern viel zu schaffen; ja der Graff von Hanau /nach dem er den Flavius und Lepidus zertrennt /brach mit seinen Catten zu Pferde durch die vierzehnde Legion / nahm selbter den Wolff / den Minotaurus und das Pferd / und nöthigte den Vitellius: daß das erste / fünfte / siebende und achte Fahn sich harte zusammen ziehen / mit ihren zusammengefügten Schilden wie eine Schnecke in ihr Haus zusammen kriechen / also verblasen / und tiefferes Einbrechen verhüten muste. Mitlerzeit war Stertinius dem Grafen von Oldenburg und der Bructerischen Reuterey bey nahe in Rücken kommen; also daß weil dieser sich wenden muste / Silius seine zweyte Legion wie einen Kegel ordnete / und zwischen Beringern und dem Oldenburg den Hertzog Ingviomer und sein Fußvolck recht im Hertzen angrieff. Germanicus befehlichte auch die von Helvetiern und Aqvitaniern abgelöseten und verblasenden Tribochen / Nemeter / Vangionen /Seqvaner / Sicambrer / Tencterer und[1200] Friesen: daß sie aus denen / welche nicht verwundet waren / dreytausend ausschüssen / dem Silius folgen / und gleichfalls auf der Seite einbrechen solten. Pedo aber muste mit seiner Römischen Reuterey noch einen weitern Umkreiß machen / und des deutschen lincken Flügels Hinterhalt angreiffen. Als er nun derogestalt dem deutschen Heere / in welchem der Feldherr und Ingviomer wie der Blitz bald dar bald dort waren / und allem Ubel vorbeugten / auf allen Seiten genug zu schaffen gemacht / die Schlacht auch schon über fünff Stunden gewähret hatte / meinte Germanicus nun das Eisen zum schmieden genugsam gewärmet und der Nothwendigkeit zu seyn: daß er mit allen biß noch dahin gesparten Kräfften auf einmahl vollends loßbräche. Daher ließ er von des Centronius ersten- und des Antejus zwantzigsten Legion nur das siebende und neundte Fahn / welche ohne diß nebst den andern und vierdten die neusten Kriegs-Knechte hatte stehen müssen; der Kern der übrigen zwölf Fahnen aber musten den Platz einnehmen / wo Malovend am ersten gestanden hatte / und von dar das Hertze des gantzen deutschen Heeres / nehmlich die Cherusker / wo der Feldherr selbst seinen Stand hatte / zur rechten Seite anfallen. Hieran war es noch nicht genung / sondern Germanicus ließ auch den Centius seine ein und zwantzigste Legion wie einen Kegel stellen / und dar mit zwischen Ingviomers Flügel den Cheruskern in die lincke Seite einbrechen. Als diese nun an beyden Orten mit der grösten Verbitterung fochten / musten die Hispanier sich trennen und eine weite Gasse machen. Durch diese drang Germanicus mit seinen viertausend ausgelesenen Römern den Cheruskern auf den Hals. Osterode und Buren waren ohne diß schon von dem grossen Römischen auf einen vortheilhaften Hügel gebrachtem Geschütze todt blieben / welches sechs Ellen lange Pfeile durch alle Pantzer und Harnische etlicher Menschen auf einmahl abschoß; also nicht nur alle Vorsicht und Tapferkeit zu Wasser machte / sondern gleichsam zu Vertilgung des menschlichen Geschlechtes erfunden zu seyn schien. Nun aber fiel auch Reckheim und Eberstein / welcher vom Anfang biß an seinen Tod wie ein erzürnter Eber um sich gehauen / und viel der keckesten Feinde zertreten hatte. Der Feldherr / welcher zu Bezeugung: daß er lieber mit Gefahr dem Feinde kenntlich / und den seinen desto sichtbarer / als in einem gemeinen Kleide sicher seyn wolte / hatte gleichfalls über seinen Harnisch einen von Golde schimmernden Rock flügen / und auf dem Helme einen mit Edelgesteinen versetzten weissen Reyger-Pusch. So bald er nun den Germanicus theils aus seinem Purper-Rocke / theils aus dem für seine ausgelesenen erkieseten Krieges-Zeichen /welches der auf einem güldenen Adler sitzende August in Gestalt des Jupiters war / erkennte / befahl er dem Grafen von Nassau die gemeine Aufsicht. Schauenburg muste wider den Centronius / Löwenburg wider den Antejus / Hohenloh wider den Centius fechten. Der Feldherr aber selbst mit seinen fünfhundert Rittern begegnete dem Germanicus; und Waldeck muste mit der Helffte seiner Cheruskischen Edelleute ihm an der Hand stehen. Das Gefechte war nirgends so grausam als allhier / auch zweiffelsfrey niemahls irgends wo schärffer gewesen; also / daß man in dieser Schlacht eben so wenig / als in der mit Hannibaln beym Thrasymenischen See geschehen / ein Erdbeben würde gefühlet haben / wodurch doch Städte eingefällt / Berge abgestürtzt / Flüsse vom Meere verschlungen wurden. Die Tugend und das Glücke schienen hier gleichsam selbst mit einander zu streiten /welches die meiste Gewalt in Schlachten hätte. Die Anwesenheit beyder fechtenden Feldherren / welche allemal mehr als tausend anderer Kriegsleute Nachdruck hat / gab einem ieden zwey Hertzen und vier Armen.[1201] Die Verbitterung entraumte weder Zeit / noch der auf einander dringenden Feinde Blutdurst Raum: daß die Glieder mit einander abgewechselt hätten; sondern die / welche ihre Pfeile / Wurff-Spitze / und Bley-Klugeln verworffen hatten / musten durch verwechselte Niederbückung den hinteren Gliedern Gelegenheit zum Werffen und Schüssen machen. Jedoch wehrete diß nicht lange / sondern alles grieff zun Schwerdtern / und fochten die ersten Glieder nicht biß zur Müdigkeit; sondern biß auf den Tod; und wenn einer fiel / trat ein ander unerschrocken herfür; gleich als wenn das Sterben im ersten Gliede keine Bitterkeit und doch die höchste Ehre der Welt an sich kleben hätte. Der Macedonier Phalanx / der Perser unsterbliche Kriegsleute würden hier schwerlich haben Stand halten können. Denn die / welche schon ihre Hände und Waffen verlohren hatten / stiessen ihren Feind mit Füssen / und suchten sich mit Zähnen an ihm zu rächen. Die eigenen Leichen dienten den Kämpffenden theils zum Vortheil / weil sie darauf stehen und ihren Feind überhöhen konten; theils auch zum Fall-Brete; und endlich ward derer so viel: daß sie hätten zu einer Brustwehre dienen können / wenn die Raserey einige Trennung vertragen hätte. Auf der Deutschen Seite waren in einer Stunde die Ritter Blanckenburg / Schwerin / Boxtehude / Werdenhagen /Schacke / Erpes / Beichlingen / Beck / Billingen /Greven / Rusler / Wepe / Suppelberg / Roretz / Zarmunde / und viel Edelleute / noch vielmehr aber edle Römer umkommen; aber dieser Zerfleischung sättigte sich so wenig durch Blut / als die Flamme durch Holtz; und hatte es das Ansehen / niemand würde dem Tode entrinnen / sondern alle so lange würgen /biß niemand mehr davon übrig seyn würde. Fürnehmlich vergrösserte sich die Hefftigkeit des Streites an den Orten / wo ein deutscher Ritter geblieben war /derer Leichen die Deutschen auch bey den zweifelhafftesten nicht zurücke liessen / sondern für Schande hielten / wenn sie sie nicht ihren Weibern oder Kindern zurück brächten / solten auch hundert lebende darüber aufgeopffert werden. Wiewohl es auch sonst bey den Deutschen bräuchlich und keine Schande war / zu ihrem Vortheil und nicht aus Kleinmüthigkeit zu weichen; so waren sie doch hier so hartneckicht; daß sie ihre Art verlernten / und lieber sich in Rachen des Todes stürtzen / als einen Fuß breit weichen wolten. Also dachte niemand allhier an die Köstligkeit des Menschen-Blutes; und daß man frembdes so wenig /als sein eigenes verschwenden / oder lieber einen Bürger erhalten als tausend Feinde erschlagen solte. Denn niemand war in seinem Thun hier mehr einem Menschen ähnlich / weniger konte er so zarte Gedancken hegen. Wenig gelinder gieng es bey Hertzog Ingviomer her; welcher den Stertinius / und die zweyte mit der dreyzehenden Legion auf dem Halse / den Grafen von Salm / Lippe / Oldenburg / Teckelnburg und Seyn aber als Löwen zu Gehülffen hatte. Denn der von Ascanien und Schwartzenburg / welche diesen Tag mehr Wunder / als Helden-Thaten ausgeübt / waren so sehr verwundet: daß man nicht wüste: ob sie sich mehr in eigenem als frembdem Blute gewaschen hatten / und beyde sich aus der Schlacht hatten müssen in den Wald des Hercules zum Kriegs Geräthe führen lassen. Ob nun zwar durch diese zwey Säulen Ingviomern viel entfallen war / so standen doch die übrige redlich für die Lücke / und der einige Ingviomer war für hundert Kriegs-Obersten zu rechnen. Denn er ermahnte nicht nur einen ieden für den Ruhm ihrer Ahnen / für Heerd und Hof / für Kinder und Ehgatten / für Deutschlands Freyheit / ja für die[1202] Ehre ihres eigenen Gottes / welche durch Aufdringung frembden Gottesdienstes gekränckt werden würde / zu streiten; sondern er brach mit seinem Degen ihnen allenthalben die Bahn / und rieß mit eigener Hand das fünffte Zeichen der dreyzehenden Legion / nehmlich das wilde Schwein / und der Graf von Teckelnburg das zehnde /nehmlich den Bär seinem zu Bodem gerennten Führer aus den Händen. Der Graf von Salm aber eroberte von der zweyten Legion den Löwen und Elephant /der Graf von Oldenburg aber vom Stertinius drey purperne Fähnlein / darein des Nero / Drusus und Tiberius Bild mit Golde gestickt war. Ein erbärmlicher aber zugleich merckwürdiger Zufall ereignete sich hiermit dem Grafen von Seyn; welchem Rubellius Geminus /der erste Hauptmann von der andern Legion / mit einem Hispanischen Degen den lincken Arm abhieb: daß er ihm mit samt dem Schilde für die Füsse fiel /solchen aber ein ander Römer erwischte. Seyn achtete nicht so sehr seines Armes als seines Schildes; also /daß er mit seinem Schwerdte den Römer nicht zu verfolgen aufhörte / biß er es ihm in Bauch gestossen /und seinen Schild wieder erobert hatte; mit welchem er aber alsofort zu Bodem fiel und mit seinem häuffig verspritzten Blute die Seele ausbließ. Uber welchem Heldens-Vorhaben sich so viel weniger zu verwundern ist; weil es bey den Deutschen eine grössere Schande / als bey einigem andern Volcke ist / seinen Schild im Stiche lassen. Epaminondas wolte ihm zwar noch in der Matineischen Schlacht nicht ehe den Pfeil aus der Wunde ziehen lassen / biß er hörte: daß sein Schild nicht eingebüst wäre; und die Spartaner verwiesen den Archilochus aus ihrem Gebiete / weil er gesagt hatte: es wäre rathsamer den Schild wegwerffen / als erschlagen werden; Aber bey den Deutschen wird einer seines Adels verlustig / er darff in keine ehrliche Zusammenkunfft / zu keinem Gottesdienste kommen / der solchen aus der Schlacht nicht mit zurücke bringt. Es ist zwar auch schimpflich / wenn ihm einer den Degen nehmen läst. Aber diese Scharte kan durch Eroberung eines feindlichen Degens ausgewetzt werden; jene Schande hingegen ist unausleschlich; vielleicht / weil einem der Degen nur zu Verletzung des Feindes / der Schild aber zu Beschirmung aller Bürger anvertraut ist. Dahero die / welche auch gleich ins gemein ohne Schuld ihren Schild verlohren haben / ihrer Unehre mit dem Leben durch den Strick abhelffen. Der Graf von der Lippe rächete auch den Seyn unverzüglich; indem er dem Führer des zweyten Adlers einen Spiß durch die Brust jagte: daß solcher zu grossem Schrecken der Römer über einen Hauffen fiel; als welche diese Krieges-Zeichen nicht nur als geweyhete Sachen mit Blumen schmücken / einbalsamen / sondern als Götter / oder zum wenigsten als ihre Bilder zu Rom im Tempel des Saturn / oder Minervens im Lager in gewisse Heiligthümer verwahren / sie anbeten / und wider alle Gewalt sie als Schutz-Bilder umfassen / und zu selbten als zu Freystädten Zuflucht nehmen. Also lagen drey gantzer Stunden Sieg und Verlust beyderseits auf gleicher Wage / und die Würffel zum gewinnen auf dem Tische; zumahl da der Graf von Henneberg mit seinen Hermunduren zu Pferde den Pedo auch so empfieng: daß er biß an die dreytausend hingefolgte Gallier / Sicamber und Friesen zurück weichen muste; ja an allen Orten hatte die deutsche Reuterey die Oberhand; aber sie muste sich das übermannte Fuß-Volck im Stande zu erhalten an allzu viel Orte vertheilen / und nach ihrer gewohnten Art nach Gelegenheit des Ortes bald zu Pferde / bald zu Fuße fechten / bald sich wieder auf ihre zum Stillestehen gewöhnte Pferde schwingen / ungeachtet sonst die Reuter dem Fuß-Volcke nicht gut / und diese jenem gram sind. Derogestalt erhärtete dieser Tag: daß ob wol der Parthen und Sarmaten Stärcke[1203] alleine in der Reuterey / der Römer und Hispanier allein im Fuß-Volck bestehet / doch die Deutschen in einem so tapfer als im andern / und zu Pferde den Römern weit überlegen seyn; ungeachtet sie keine auf Römische oder Sybaritische Art zugerittene / sondern unansehnliche aber arbeitsame und etwas gewandte Pferde haben. Zumahl da die Deutschen gewohnt und geschickt sind von einem Pferde auffs andere oder dritte zu springen / die Fuß-Knechte den Pferden gleich zu lauffen / und ohne Unordnung Reuter und Fuß-Volck durch einander vermischt zu streiten. Germanicus war bey dieser Beschaffenheit auf den Feind / auf das Glücke und wider sich selbst unwillig: daß ungeachtet durch seine Arglist schier der gantze rechte Flügel der Deutschen auf seine Seite gebracht oder sonst verführet worden war / dennoch die Deutschen wider die eussersten Kräfften der Römer nichts minder glücklich als hartneckicht austauerten. Daher befahl er: daß Cethegus die nur noch übrige fünffte Legion dem Feinde in Rücken / Caßius Longinus aber die vier Fahnen von der ersten und zwantzigsten Legion wider den Fürsten Marcomir führen solte; welchem Hertzog Jubil inmittelst noch tausend Hermundurer unter dem Ritter Reuß hatte zu Hülffe senden müssen. Diesen Rathschlag hatte sonder Zweiffel das der deutschen Tapfferkeit mißgünstige Gelücke dem Germanicus eingegeben. Denn Cethegus kam mit der fünfften Legion / und Pedo mit seiner Reuterey dem Hertzoge Jubil auf den Hals / welcher nicht mehr / als unter dem Grafen von Henneberg tausend Hermundurer zu Pferde / unter dem von Gleichen und Stolberg kaum zwölff hundert zu Fuße in seinem Hinterhalte hatte. Bey diesem Mangel des Volckes mangelte es diesem Fürsten weder an Rathe noch Muthe. Er berichtete seinen Nothstand und die gemeine Gefahr dem Hertzog Ingviomer und dem Grafen von Nassau / und bekam von diesem sechshundert Cherusker / von jenem so viel Bructerer zu Verstärckung / ungeachtet beyde das Volck selbst mehr als an einem Orte von nöthen hatten. Uaer diß stellte er auch sein Volck auf der einen Seite an Wald / auf der andern Seite an einen holen Weg / damit er von dem stärckern Feinde nicht zugleich vorwerts und zur Seite bestritten werden konte / und gleichwohl deckte er die Bructerer und Cherusker: daß sie vor dem Einbruche von hinten zu sicher blieben. Cethegus / weil er fast noch einmahl so starck war als die Deutschen / meinte mit dem ersten Sturme durchzubrechen / aber die Hermundurer stunden wie Felsen / an welchen gleichsam alles Geschoos zurücke prellte. Als er nun mehr Wiederstand fand / denn er ihm eingebildet hatte / ließ er nicht allein die Schützen und Schleuderer auf der Seite über den holen Weg die Deutschen mit Pfeilen /Steinen und Bley-Kugeln / sondern auch mit achzig dahin geführten grossen Pfeil- und Stein-Büchsen ängstigen. Weil diesem mördlichen Geschosse nun weder die besten Schilde noch der Kriegs-Leute Vorsicht und Tapferkeit steuern konte / sondern sie gleichsam dar zum Ziele stehen musten / ward Jubil hierüber nicht wenig bekümmert / und seine Obersten riethen ihm ein Stücke ins geraumere Feld zu weichen. Jubil aber wolte darein nicht willigen / weil er sich hierdurch aus dem Vortheil seiner engen Schlacht-Ordnung begeben / und durch diesen Schein der Flucht den Römern den Muth zu vermehren / den Deutschen zu benehmen besorgte / und daher diese zu stehen ermahnte; weil es besser wäre / ehrlich fallen als schimpflich dienen; und die / welche fürs Vaterland stürben / niemahls zu leben aufhörten. Es bot sich aber der Graf von Bergen an: daß er mit drey oder vierhundert Soldaten alle diese grausame Büchsen und Schleudern zu zernichten getraute. Der Hertzog gab ihm derer wol fünff hundert / und boten sich die Ritter[1204] Brunckhorst / Kuhlenburg / Flodorff und Vehlen selbst zu Gehülffen an. Bergen spielte sie bey etlichen Hecken in holen Weg / und gab der Helffte ein Beil und eine Fackel in die Hand; fiel hierauf wie ein Blitz aus dem holen Wege herfür / und ließ die mit den Beilen und Fackeln auf die Mord-Gewehre /die übrigen auf die Schützen und Schleuderer loßgehen. Weil diese nun nicht gewohnt sind Stand zu halten / sondern ihr gantzes Thun in der Flüchtigkeit bestehet / wiesen sie den Deutschen zeitlich die Fersen. Inzwischen zerhieben die andern die Seile / zersprengten die Ketten und das Gefieder / verbrennten was Holtz war / zerbrachen die Pfeile / und zernichteten in kurtzer Zeit alle kostbare und schreckliche Geschoße dieser Legion. Cethegus schickte zwar alsbald ein Theil seiner Reuterey dahin; und die Schützen wendeten sich mit dieser wieder / aber beyde kamen zu spat. Deñ der Graf von Bergen kam ohne einigen Mannes Verlust wieder in holen Weg / und über den zum Treffen / allwo es ie länger ie schärffer hergieng; und der Ritter Reußen / welcher zu tieff in die Feinde gedrungen / und das Zeichen des Elephanten erobert hatte / auf den Tod verwundet ward; gleichwol aber seine Beute durch Hülffe des Ritters Rheinstein und Metternich behauptete und davon brachte. Ob auch wohl dem Cethegus noch zwey tausend andere Hülfs-Völcker folgten / und auf seinen Befehl über den holen Weg sich zu kommen mühten / also ihn zur Zertheilung seines Volckes nöthigten / behielt doch Hertzog Jubil seinen ersten Muth und einerley Gesichte. Ja als an einem Orte / wo Cethegus selbst mit dem ersten Fahne durchbrechen wolte / und deßhalben den Römischen Adler vortragen ließ / sein Fußvolck kleinmüthig werden wolte / sprang er wie Catilina und Spartacus für ihm / aber in keiner so guten Sache gethan / vom Pferde / fochte daselbst zu Fuße zur Versicherung: daß er alldar mit ihnen zu sterben /nicht aber durch Hülffe seines Pferdes zu flüchten gedächte. Stolberg aber kam dahin / und konte durch viel Bitten ihn kaum bewegen: daß er / um allenthalben mit seiner Ankunfft sein Volck zu beseelen / sich wieder zu Pferde sätzte.

Biß hieher hatten die Bänder der deutschen Tapferkeit zu Erstaunung ihrer Feinde ihre Schlacht-Ordnung und Glücke gehalten; nunmehr aber rieß das ungültige Verhängnüs solche in ihrem rechten Flügel entzwey / wo Hertzog Marcomir / der Graf von Manßfeld / Hanau / Wertheim / Delmenhorst / Sulm /Ravenstein / Ranzau und andere Ritter die Unmögligkeit gleichsam selbst bemeistert / und was mehr als menschliches gegen eine so grosse Macht ausgeübt hatten. Keiner unter ihnen war / der nicht viel Blut eingebüst / und gleichwohl nichts von seiner Hertzhafftigkeit verlohren hatte; ja kein gemeiner Kriegs-Knecht war mehr unverwundet. Weil nun die Römer nicht mächtig waren die Deutschen in die Flucht zu bringen / bot der Himmel ihnen endlich selbst Krieg an. Denn der sich wölckende Himmel erregte einen schrecklichen Sturm-Wind / welcher den Deutschen die von Pferden und Menschen loßgetretene Erde gerade in die Augen wehte: daß sie nicht sehen / weniger fechten konten. Vitellius und Tubero vergassen nicht sich dieses Windes zu bedienen / rufften also ihrem Volcke zu: Sie solten dieser göttlichen Hülfe sich bedienen / und nur noch einen hertzhafften Ansatz thun. Der Sieg stünde in der Geburt / und dörfte nur noch eines Druckes. Die ältesten Kriegsleute musten mit beyden Adlern an die Spitze; uñ derogestalt brach an zweyen Orten auf einmal bey dem Bructer- und Cimbrischen Fußvolcke die so lange und fast über menschliche Vernunft gehaltene Schlachtordnung. Der Graf von Bentheim und Ulefeld eilten zwar an selbige Lücke. Jener redete die sich wendenden /wie Sylla in Mithridatischen Kriege die weichenden Legionen an: schämet ihr euch / nicht ohne mich dem Feinde den Rücken zu kehrẽ? Aber laufft! nur sagt denen nach mir fragenden:[1205] daß ihr euren Obersten hier schändlich verlassen habt. Uhlefeld erwischte den aus seinem Gliede gekommenen Führer des Cimbrischen Kriegs-Zeichen bey dem Arme / drehete ihn um und sagte: dar solstu dein Antlitz und alle Cimbern hindrehen / welche nicht als Feinde und Verräther von meinen eigenen Händen sterben wollen. Sie brachten auch beyde wieder zu wege: daß sich die Glieder schlossen / aber hiermit zerriß die Schlacht-Ordnung an zwey andern Orten bey den Catten und Bructerern. Der Graf von Hanau eilte den Catten / Hertzog Marcomir selbst den Bructerern zu Hülffe / und beyde fochten mit wenigen Rittern gegen Wind / Wetter /Feinde und das Glücke. Hanau erkiesete auch den Malovend; daher drang er sich gegen ihn durch und rieff ihm: Stehe Verräther! wo du noch einen Tropffen deutschen Blutes im Leibe hast. Hiermit hob er ihn auch mit seiner Lantze aus dem Sattel / daß er auf die Erde und ihm die Achsel ausfiel. Er hätte ihm auch vollends sein Licht ausgelescht / wenn nicht ein Marse seinem Pferde im Hinterschenckel die Seenen zerhauen / und solches damit gefällt hätte. Der Ritter Putlitz und Heldrungen aber sprengten Augenblick herzu / und brachten ihn glücklich auf ein ander Pferd und aus dem Gedränge. Hingegen erkennte Vitellius den Hertzog Marcomir an seinem güldenen Helme. Als er ihn nun so gar kühn an die Römer andringen sah / gieng er selbst mit dem gantzen ersten Fahne und dem Adler auf ihn loß / und befahl: sie solten alle andere Feinde ausser acht lassen und nur Marcomirn auf den Halß gehen. Denn mit ihm als dem Haupte würden alle Glieder fallen und krafftloß werden. Also ward Marcomir mit dem Ritter Schwalenberg / Lemey / Sternberg und Brand umringt: welche ihren Fürsten gleich als wenn sie ohne ihn unverwundlich wären /mit ihren Schilden deckten / und mit den Degen männlich vertheidigten. Der Graf von Mannsfeld wolte zwar durchbrechen und ihm Lufft machen / aber das zweyte gantze Römische Fahn bot ihm die Stange. Als nun Marcomir die Unmögligkeit zu entrinnen sah / rieff er: Ey! so lasset uns nicht ungerochen sterben! hiermit sprengte er unversehens gegen dem Vitellius / und rennte ihn übern Hauffen / versätzte zugleich auch dem Führer des vierzehnden Adlers einen tödlichen Streich in Hals / und rieß ihm den Adler aus der Hand. Hierüber fiel er mit seinem Pferde / welchem der erste Hauptmann Qvintus Serväus einen Stich in die Brust gab / zu Bodem; worauf ihm ieder Römer einen Streich zu versätzen die Ehre haben wolte. Das Blut lieff Stromweise von ihm / sein Schild war zerspaltet / und sein Helm war mit Steinen zerschmettert; also daß ihn die Feinde schon für todt hielten; deßwegen auch der erste Hauptmann unvorsichtig herzu trat / und ihm den Schild vom Arme reissen wolte. Aber der schon halb todte Marcomir empfand diese Antastung so sehr: daß ihm der Zorn seine Lebens-Geister wieder rege machte / und er dem Hauptmanne seinen Degen durch den Bauch biß ins Hertze stach / worvon er augenblicks Stein-todt zur Erde fiel. Diese Rache verbitterte die Römer: daß sie ihm noch mehr als hundert Wunden versätzten / und alle ihre Rache in seinem Blute sättigen wolten. Also starb dieser unvergleichliche Held eines rechtens Helden-Todes. Denn er hatte das Glücke: daß ein Römischer Adler / welchen gantz Rom anbetete / unter ihm liegen / und seiner Leiche zur Baare oder vielmehr zum Bette der Ehren dienen muste. Mit seinem Falle verfiel dieses gantzen Flügels Geist und Verfassung. Alles gerieth in die Flucht; Hanau stieß zwar einem flüchtigen Catten selbst den Degen in Leib; Mannsfeld und die andern Kriegs-Häupter hielten ihnen nicht nur ein: daß ihrer auf der Flucht mehr / als in der Schlacht umkommen; und daß die / welche den Tod verachteten / älter als die kleinmüthigen würden; sondern sie thaten[1206] auch im Wercke das eusserste sie aufzuhalten / wie denn dieser sich bey Marcomirs Kriegs-Zeichen mit einem Theile der Cherusker und Bructerer auffs neue sätzte. Weil aber die Furcht über verwirrtes Kriegs-Volck mehr Botmäßigkeit als ihr Oberster hat / war alles vergebens. So sehr die Kriegs-Leute nun aus dem Felde in Wald zurennten /so sehr kamen etliche tausend Weiber mit zerstreuten Haaren / mit Fackeln und Schlangen in den Händen aus dem Walde ins Feld gerennt; welche theils die Fliehenden schalten; theils die Römer / ungeachtet diese sich nicht schämten ihre Waffen mit Weiber-Blute zu beflecken / als rasende Menschen anfielen. Vitellius war zwar von Marcomirs Pferde übel getreten / daß er nicht stehen konte; er ließ sich aber tragen / und wuste nebst dem Tubero sich des Sieges wol zu gebrauchen. Denn beyde liessen nur die leichten Schützen und die Reuterey den flüchtigen nachsetzen / die Marsen schickten sie denen anfangs entflohenen Hülffs-Völckern der Römer wider die Angrivarier und Chamaver nach; sie aber giengen mit beyden Legionen den Cheruskern in Rücken. Ravensberg und Homburg hatten biß hieher mit genauer Noth sich wider die Menge ihrer Feinde vertheidiget; iedoch den Ritter Wintzenburg / Waldpot / Runckel und andere eingebüst. Nach dem aber das Volck so abgemattet war: daß es kaum mehr die Waffen halten konte / die Marsen sie auch nunmehr am Rücken antasteten; geriethen die Chamaver und Angrivarier in Unordnung; und ob wohl ihre Führer sie ermahneten lieber ihrer Dienstbarkeit durch einen vorher gerochenen Tod zu entkommen / dennoch vollends in die Flucht; wiewol ihnen hierzu kein ander Ort offen war / denn daß sie aus dem Gepüsche in das freye Feld gegen die Weser / und von dar über den Strom sätzten. Der Feldherr kriegte nicht nur hiervon die böse Zeitung / sondern sahe auch die vierzehnde und sechzehnde Legion gegen ihm andringen / und hiermit die Unmögligkeit länger auszutauren. An statt aber / daß er vorhin alle Mittel der Klugheit und Tapfferkeit gebraucht hatte /gerieth er nun zu einer verzweiffelten Entschlüssung. Denn weil es ja allem Ansehen nach gestorben seyn müste / wolte er zum wenigsten sein Leben theuer verkauffen. Er ermahnete also die um sich habenden Ritter: sie möchten doch alle auf den einigen Germanicus loßgehen / und durch dieses einigen Menschens Erlegung dem Römischen Heere den Sieg / der Stadt Rom ihre Freude versaltzen. Germanicus hingegen befahl eben so wol nur den Feldherrn zu stürtzen. Der Sieg wäre ohne diß schon erfochten; ohne des unbändigen Herrmanns Erlegung würde der Krieg kein Ende / sie durch den Sieg nichts gewonnen / und die Römer Deutschland nicht besser als ein Jäger den Wolff bey den Ohren haben. Also thäten so wol Römer als Deutsche ihr bestes / und der für Zorn schäumende Feldherr kam dem Germanicus endlich so nahe: daß er einem Wurff-Spiß seinem Pferde durch den Hals jagte; und der Ritter Nesselrode rieß dem Servilius Rufus seine Leibfahn aus den Händen. Die ausgelesenen Römer drängten sich also wie ein Bienschwarm um beyde / und kriegte Nesselrode hierüber zwischen seinen Harnisch fünff / sein Pferd mehr als zwantzig Wunden; also / daß dieser Ritter um mit selbtem nicht zu stürtzen / selbst herab springen muste; welchem aber der Ritter Ringelburg und Seinsheim Lufft machten / daß er sich auf eines erlegten Römers Pferd schwingen konte. Der Feldherr leschte inzwischen dem Marcus Tatius und Sempronius Grachus das Licht aus / welche ihm den Weg zum Germanicus verbeugten. Weil nun aber bey diesem hitzigen Gefechte mehr weder Glied noch Ordnung gehalten / sondern Römer und Deutsche durch einander vermengt waren / kam Marcus Acerronius dem Feldherrn in Rücken / und hätte ihm den durch die Oeffnung[1207] des Harnisches schon mit der Spitze angebrachten Degen durch und durch gestossen / wenn nicht zu allem Glücke der aus sonderbarer Schickung des Verhängnüßes in die Leibwache aufgenommene junge Fürst Gottwald dem Acerronius zugleich den Degen durch die Gurgel gestossen / und hiermit die Vollendung des nur drey qver Finger tieffen Stiches verhindert hätte. Gottwald aber muste diese Wolthat mit einem Streiche / den ihm ein Römer über die Achsel versätzte / bissen. Der Graf von Nassau hatte inzwischen des Feldherrn Stelle tapfer und vorsichtig vertreten; nach dem er aber einen solchen Schwall Völcker den Cheruskern über dem Halse sah / ermahnte er die andern Obersten nur noch eine kurtze Zeit den Sturm der Feinde auszuhalten: biß hieher hätten sie um den Sieg und die Ehre gefochten / nun aber wäre es Zeit sich um des Vaterlandes Wolfarth zu bekümmern / nehmlich für dem Verhängnüße die Segel zu streichen / den Feldherrn und das übrige Volck zu retten. Hiermit nahm er und Graf Stirum dreyhundert Ritter / und brachte durch dieser Hülffe den Feldherrn aus dem Gedränge / erzehlte ihm den Zustand der Schlacht und bat ihn: er möchte nun aus dem verhandenen Schiffbruche retten / was möglich zu retten wäre. Der Feldherr antwortete ihm: Es wäre keine grössere Thorheit / als in der Flucht und in Schenckeln sein Heil suchen / wenn man noch Waffen in Händen hätte. Beyde wären einem nichts nütze /und unbrauchbar / wenn man dem Feinde den Rücken kehrte. An der Hertzhafftigkeit / als in der sichersten Festung der Bedrängten / hienge das Leben; die Zagheit aber hätte den Tod zum Verfolger / die Furcht reitzte zwar zur Flucht / aber sie hienge zugleich der Flüchtigen Beinen eben so wol einen Klotz an: daß sie nicht von der Stelle kommen könten / als sie den Armen die Krafft benahme sich zu wehren / und den Kopf verdüsterte was gutes zu erwehlen. Nein / nein Nassau! Laß uns lieber sterben als lauffen! und lieber Ruhm bey unsern Feinden / als Schmach bey unsern Weibern verdienen! An der letzten Stunde ist mehr als am gantzen Leben gelegen. Nassau versätzte: wir wollen nicht schimpflich fliehen / ob zwar Scythen und Parthen ihren Feinden auf der Flucht den grösten Abbruch thun / und eine behutsame Flucht offt des Feindes Fallbrett und einer unter eines klugen Heerführers Kunst-Stücken ist; sondern lasset uns nur mit gutem Bedacht an einen beqvemern Ort zurück ziehen: daß wir mit besserm Vortheil fechten und mit desto grösserer Ehre siegen können. Denn einem zu starcken Feinde und dem Verhängnüße ausweichen /hiesse vielmehr sein im Rücken habendes Gelücke verfolgen als fliehen. Wäre man schuldig frembden Blutes zu schonen / müste man so viel weniger sein eigenes unnützlich verschütten / welches auch wilde Thiere spareten. Hätte doch Hercules niemals mit zwey Ungeheuern auf einmal gefochten; und der hertzhafteste Kriegsmann müste vorsichtig in Streit gehen / behutsam der Gefahr begegnen / und aufs künstlichste selbter sich auswinden. Wie es eine schädliche Vermessenheit wäre ihm an den Pfosten der Unmögligkeit den Kopf zu zerstossen; also wäre es eine heilsame Gemüthsmäßigung sich dem Vaterlande zum besten auf eine andere Zeit aufheben. Ein kluger Schiffer würde thöricht handeln / wenn er das Ungewitter lieber pochen und zu Grunde gehen / als beym Sturme in nechsten Hafen einlauffen wolte. Die Römer selbst hätten nach der Cannischen Niederlage den Paulus / eben so wohl als Athen den Nicias gescholten: daß so wohl einer als der ander ohne Noth aus verzweifelter Hartneckigkeit umkommen; dem fliehenden Varro aber gedanckt: daß er an der gemeinen Wolfarth und der Römer Erholung nicht verzweiffelt wäre. Jeder wäre wohl schuldig fürs Vaterland zu sterben / aber eben so wohl zu leben / wenn dem gemeinen Wesen so viel / als Deutschlande an seinem[1208] Feldherrn gelegen wäre. Was heute verlohren geht / kan morgen wieder kommen. Das Glücke wechselt nirgends lieber als im Kriege. Daher müsten grosse Gemüther niemahls sich der Hofnung entblössen /wenn schon auch das Hembde weg wäre; und wenn die Furcht gleich die meisten Stimmen wider uns macht / müssen wir doch auf unsere Seite hängen. Wenn auch der Feldherr den Ruhm der Wolfarth Deutschlandes vorzuziehen vermeinte / würde es ihm sicherlich weniger Unehre bringen / wenn die Nachkommen von dieser Wallstadt sagten: Hertzog Herrmann ist hier geflohen / als / er ist hier erschlagen worden. Gleich kam der Ritter Wilich vom Hertzoge Ingviomer / und kurtz darauf Schönberg vom Hertzog Jubil mit der schlechten Zeitung: daß es ihnen länger zu stehen unmöglich / also einen andern Schluß zu fassen unvermeidlich wären. Eben dieses ließ der Graf von Hohenloh und Löwenburg wissen. Der Feldherr zohe hierüber die Achseln ein / und fieng an: Wenn es denn nicht anders seyn kan / so muß man durchkriechen / wo man nicht überspringen kan. Aber hier ist lange Berathung unser Verterb; man muß aus dem Steigereiffen einen Schluß fassen. Eilet! und saget daher dem Hertzoge Jubil: daß er sich mit dem Ingviomer auffs engste vereinbaren / beyde sich aber mit an aller Gewalt Sudwerts über den nahen Hamme-Strom nach Fabiranum ziehen sollen. Ich werde mit meinen Cheruskern mich nicht alleine fest anhängen / und auf der Nord-Seite sie decken / sondern auch durchzubrechen ihnen treulich an der Hand stehen. Unsere Tapfferkeit / die bald anbrechende und zum Entkommen beqveme Nacht und die Müdigkeit der Feinde wird uns diesen Schluß hoffentlich erleichtern; und wenn wir über die Hamme kommen / sind wir ausser Gefahr. Der Feldherr ertheilte diß zu vollziehen seinen Obersten alle nöthige Befehle; und Nassau muste über sich nehmen dem Germanicus / Limburg dem Centronius / Ahrenberg dem Antejus / Löwenburg dem Vitellius / Schauenburg dem Tubero / den Einbruch zu verwehren. Der Feldherr selbst und Ingviomer giengen mit der übrigen gantzen Macht der Cherusker auf den Centius loß / und nöthigten ihn: daß er mit der ein und zwantzigsten Legion sich zurück ziehen muste. Derogestalt hiengen sich die Cherusker und Bructerer glücklich an einander. Also würcket auch in gefährlichstem Zustande die Erfahrung diß /was die Geschickligkeit eines treflichen Mahlers /welcher mit vier Striechen und wenigem Schatten einem gantzen Gemählde seine Verstellung benimt /es zu rechte bringt / und andere Irrthümer verbessert. Ingviomer vertraute dem Grafen von Teckelnburg und der Lippe die Stirne gegen den Apronius zu bewahren; und Hertzog Jubil hielt dem Cethegus die Wage; Ingviomer / Salm und Oldenburg aber wehreten alle Kräfften an durch des Silius Legion und des Stertinius Reuterey ein Loch zu machen. Es hielt hier zwar harte / sonderlich da Germanicus nach vermercktem Absehen der Deutschen den Apronius und Centius befehligte den Bructerern den Weg zu verbeugen. Der Feldherr aber kam mit einem Theile seiner Leibwache /denn die Helffte muste mit dem Graf Nassau dem Germanicus die Stirne bieten / diesen zuvor / und drang bey denen Chauzen und Tencterern durch / welche von den Römern hernach beschuldiget wurden: daß sie ihm und den Cheruskern mit Fleiß Lufft gemacht hätten. Hertzog Ingviomer drang mit seinen Bructerern auffs kräfftigste nach / und erweiterte durch seine Reuterey / zwischen welche die Fußknechte sich vermischten / diese Oeffnung auf solche Weise: daß Stertinius / Silius und Cethegus Müh und Arbeit einbüsten / durch die sie die Deutschen wieder einzuschlüssen vermeinten. Sintemal das deutsche Fuß-Volck gewohnt ist den Reutern gleich zu lauffen / die schwer gerüsteten Kriegsleute der Römischen Legionen aber nur[1209] stehende zu fechten / und einen weichenden Feind die Schützen und ander leichte Mannschafft verfolgen zu lassen. Derogestalt erreichten die Deutschen bey der Dämmerung den Wamme-Strom / über welchen das Fuß-Volck theils schwam /theils durchwatete; beyde Hertzoge aber blieben mit der Reuterey und dem kräfftigsten Volcke gegen die sie verfolgenden Römer stehen. Weil von diesen aber nur die Reuterey uñ die leichten Schützen denen weichenden nachzusätzen pflegen / brachten die Deutschen alle Verwundete / und fast alles in dem Walde des Hercules gelassene Kriegs-Geräthe über / ehe das schwere Kriegs-Volck der Legionen denen im Kriege mehr zu lauffen als zu gehen gewohnten Deutschen nachkam. Hiermit gab es hier zwar auffs neue ein scharffes Treffen / in welchem der Feldherr mit seiner streitbaren Hand / mit seiner kräfftigen Stimme / ja mit seinem Blute seine Cherusker zu beständiger Austhauerung dieses letzten feindlichen Anfalls ermunterte. Sintemahl aus Begierde der Beute er zwischen die itzt am hartneckichsten nachdrückende Chauzen sich allzuweit vertieffte / und vom Ritter Kulenberg auf der Stirne verwundet / sein Antlitz also über und über mit Blute gefärbet ward. Der Graf von Nassau aber rächete diesen Streich mit Kulenburgs aufgeopffertem Leben; weil er ihm den Degen biß ans Hefft durch die Brust trieb. Der Feldherr ward wie ein verwundeter Löwe bey Erblickung seines Blutes so viel grimmiger / und da ja hierdurch sein Antlitz unkenntbar worden wäre / hätten ihn seine Thaten verrathen. Dahero nachmahls die Römer ohne Grund großsprachen: daß die Unkenntligkeit ihn aus ihren Händen gerissen; oder die Chauzen ihn mit Fleiß hätten entkommen lassen. Seinem Beyspiele thäten es Hertzog Ingviomer und Jubil durch eine ruhmbare Eyversucht nach; ja als Cethegus mit aller Gewalt an ihm zum Ritter werden wolte / und über den Strom allzu unvorsichtig nachsätzte / brachte er und Henneberg ihn durch eine unversehene Wendung in Verwirrung: daß er über Hals und Kopff mit ziemlichem Verluste zurück weichen muste. Cethegus würde auch Adler und Fahnen verlohren haben / wenn ihn nicht der Rhetier / Vindelicher und Gallier Reuterey entsätzt hätte. Dieses machte unter dem gantzen Römischen Heere kein geringes Schrecken / welches den Germanicus zu verbieten bewegte: daß vom Römischen Heere niemand über den Strom sätzen solte. Die Flucht der Feinde wäre ein genungsames Kennzeichen des Sieges / und sie hätten alle ihrer Ehre ein Genügen gethan. Die Nacht wäre niemands Freund /zum Betrüge und Schrecken geschickt / und einem fliehenden Feinde alle Wege abzuschneiden nicht rathsam. Denn denen Eingeschlossenen wüchse aus Verzweiffelung der Muth; und wenn keine Hoffnung zu entrinnen mehr übrig wäre / grieffe die Zagheit nach denen schon weggeworffenen Waffen; und die /welche vorher in der Flucht den Nacken zu ihrer Abschlachtung frey gegeben hätten / wiesen aus Noth den Siegern ihre Klauen; ja hätten ihnen wol ehe die Palmen aus den Händen gerissen. Insonderheit wären die Deutschen gantz andere Feinde / als andere Völcker; also mit ihnen nicht zu schertzen / weniger selbte zur Verzweiflung zu bringen. Daher auch Hannibal / als er schon das gantze Römische Heer beym Thrasymenischen See geschlagen gehabt / denen umringten Deutschen zu ihrer Flucht eine Oeffnung zu ma chen genöthiget worden wäre. Zuletzt aber hätte Ingviomer bey nahe einen Schertz versehen. Denn weil er gleichsam der letzte Mann im Treffen und an dem Ufer seyn wolte; wie es denn in Deutschland einem Fürsten schimpflich ist / wenn es ihm ein niedriger an Tapfferkeit zuvor thun solte / so kam er ins Gedrange / und wäre er erschlagen oder gefangen worden / weñ nicht der Graf Stirum sich gleichsam für ihn aufgeopffert / und Ingviomers hertzhafftes Pferd[1210] durch einen Sumpff ihn aus den Händen der Feinde gerissen hätte. Stirum aber blieb mit seinem Pferde stecken und ward gefangen; welche Gefangenschafft aber ihm / weil nur Ingviomer davon kam / die gröste Vergnügung war. Sintemahl es einem deutschen Ritter keine geringe Schande ist / wenn er seinem Fürsten an Tugend nicht gleich kommt; und der verlieret sein Lebtage Adel und Ehre / welcher in einer Schlacht seinen Fürsten im Stiche läst. Hingegen gereicht es ihm zu unausleschlichem Ruhme / und ist eines Ritters eigentliches Ampt und Eydes-Pflicht: daß er seinen Fürsten beschirme / und alles sein Thun / ja sein Leben für seine Ehre und Wolfarth aufopffere. Daher auch nur die Fürsten für den Sieg / alle andere aber für ihren Fürsten streiten. Also entrannen zu selbst eigener Verwunderung des Germanicus die Häupter der deutschen Krieges-Macht mit dem meisten Theil der Cherusker / Bructerer / Catten / Hermundurer / Longobarden und Cimbern; welche selbige Nacht sich an die Weser und die Stadt Fabiran sätzten. Daß nun das deutsche Heer vom Römischen nicht gantz aufgerieben ward / sondern mit einem blauen Auge davon kam / war wol fürnehmlich der Tapferkeit der Kriegshäupter / und der Verträuligkeit des Kriegs-Volckes zuzuschreiben; weil in Deutschland die Anverwandten neben einander gestellet werden / und keiner ist /der sich nicht mit etlichen andern eydlich verbinde in der Schlacht für einen Mann zu stehen. Welche Verbindligkeit unter den Deutschen so heilig gehalten wird: daß der / welcher seinen Freund mit seinem Leben hätte erhalten können / solches aber nicht gethan hat / nicht mehr für werth geachtet wird Waffen zu tragen. Daher denn mit den Deutschen die dreyhundert vom Gorgias zusammen gelesenen Thebaner /welche der heilige Hauffen genennet ward / an Treue nicht zu vergleichen ist. Viel unglücklicher aber waren die Chamaver und Angrivarier / und die / welche unter dem Hertzoge Marcomir im rechten Flügel gefochten hatten. Denn jene sätzten und schwamen zwar durch die Weser / welches denen Deutschen nichts neues war / alleine bey solcher Unordnung und Gedränge wurden ihrer nicht wenig untergedrückt /und von dem einfallenden hohen Ufer lebendig begraben / oder von der Gewalt des Stromes fortgeführt /zum Theil auch von dem sie biß ans Ufer verfolgen den Feinden mit Pfeilen im Strome erlegt. Der Graf von Ravensberg und Homburg entkamen gleichwohl glücklich / und brachten folgenden Tag ihre Uberbleibung nach Fabiranum. Des Hertzog Marcomirs in den Wald des Hercules geflüchtetes Volck ward von den Römern grösten theils umringet / die welche sich in hole Bäume oder Hecken versteckt hatten aufgesucht /und erschlagen; und nach denen / welche sich auf die Gipfel der Bäume geflüchtet hatten / von denen Schützen gleichsam aus Kurtzweil zum Ziele geschossen / oder mit denen abgehauenen Bäumen zerschmettert / ja wider Priester und Weiber keine Art der Grausamkeit unterlassen. Dieser Grausamkeit strichen sie noch die Schmincke des Gottesdienstes an /und meinten: daß sie den erzürnten Hercules mit derer Blute versöhnen müssen / die ihn nicht nach Würden verehrten / und seinen Heyn durch Auffschlagung eines Kriegs-Lagers entweihet hätten. Da doch sonst bey den Römern alle Heiligthümer sichere Freystädte waren; und die / welche gleich mit Rechte Blut vergossen hatten / eben so wenig als die / welche sich mit ihren Ehweibern vermischt / oder nur was garstiges berühret hatten / zu keinem Opfer und in kein Heiligthum kommen; ja der Priester des Jupiters keine Leiche sehen / und die / welche der Isis sich weihen wolten / zehn Tage keinen Wein trincken noch Fleisch essen dorfften. Hier aber machte die Rache die Zerfleischung der Gefangenen und Priester / die schnödeste Verschüttung des menschlichen Blutes / die Besudelung der grimmigen[1211] Fäuste zur Gottseligkeit / welches was noch ärgers ist / als wenn einer so ruchloß ist / welche sich noch ihrer Laster rühmen / und diß /worüber sie schamroth werden solten / nemlich ihre Schande für den Lohn ihrer Boßheit halten / und aus dem Wollust schöpffen / was andern einen nagenden Wurm ins Gewissen sätzt. Germanicus blieb selbige Nacht an der Wamme Strome stehen / ließ aus dem Lager nöthige Lebens-Mittel zuführen / und nach des Titus Didius schlauer Erfindung in Hispanien des Nachtes die Römischen und seiner Hülffsvölcker Todten grösten Theils begraben / damit diese nicht ihren grossen Verlust verrathen und den blutigen Sieg verkleinern möchten. Folgenden Tag ließ der Feldherr beym Germanicus durch einen Herold um ein freyes Geleite für einen Ritter / den er an ihn senden wolte /anhalten; welches Germanicus aus Einbildung / die Deutschen würden Friedens-Vorschläge thun / gerne verwilligte. Der vom Feldherrn erkiesete Manderscheid fand sich noch selbigen Tag ein / und trug dem Germanicus unter seinem Zelte für: ob er nicht die Gefangenen gegen einander auszuwechseln belieben möchte? Germanicus fragte lächelnde: Woher die Deutschen denn einen Gefangenen hernehmen wolten? Manderscheid überreichte dem Germanicus ein grosses Verzeichnüs / und darunter sieben Römische Hauptleute / dreyzehn Fähnriche / sechs Fahnen / sieben Obersten von denen Hülffs-Völckern / dreyßig andere Befehlhaber und eine grosse Menge gemeine. Germanicus verwunderte sich hierüber / wie es möglich seyn könte: daß die Deutschen bey ihrer Flucht so viel Gefangene hätten fortbringen können? Manderscheid versicherte den Germanicus: daß er alle Verzeichnete richtig liefern wolte / und eben deßwegen wäre er vom Feldherrn befehlicht zu fragen: Wie ihm der Deutschen Zurückziehung gefallen hätte? Germanicus antwortete: Er wüste davon nicht zu urtheilen /weil er in keiner Schlacht genöthiget worden wäre das Feld zu räumen. Ubrigens schlug er die Auswechselung der Gefangenen aus / theils daß sein Kriegs-Volck seinen Verlust nicht mercken solte / weßwegen er auch keine Musterung vornahm; theils weil die Römer wenig gefangen sondern fast alle Uberwältigte hingerichtet hatten. Sein Vorwand war: daß bey den Römern so wol die Auswechselung als Lösung der Gefangenen nicht bräuchlich wäre; weil die sich Ergebenden meist zaghaffte Leute / und also des Lösegeldes nicht werth wären; durch diese Krämerey auch andere Kriegesleute in der Noth nur zur Zagheit und gleichmäßiger Ergebung / bey gutem Glücke aber zur Begierde der Beute und schädlicher Verschonung des Feindes verleitet / durch beydes aber der Krieg nur unterhalten / niemahls geendiget würde. Diesem nach denn die Römer nach der Niederlage bey Canna lieber hätten wollen acht tausend Knechte theuerer kauffen und zu Kriegsleuten machen / als acht tausend Gefangene wolfeiler lösen. Itzt aber stünde ihm als dem Sieger so viel weniger an / da Rom an Kriegs-Volcke keinen Mangel hätte / und es in wenigen Tagen mit diesem gantzen Kriege würde gethan seyn. Hingegen bot Germanicus eigenbeweglich denen Deutschen zu Begrabung ihrer Leichen eines Tages Stillstand an; meistentheils darum: daß nach dem die auf Römischer Seite gebliebenen meist schon beerdiget waren / die Deutschen der Römer Verlust für gar geringe achten möchten. Wie es denn auch denen Römern ins gesamt an Erfindungen nicht mangelte ihren Sieg und der Deutschen Niederlage zu vergrössern / ihre Thaten zu erhöhen / der Deutschen durchzuziehen. Zu welchem Ende sie denn von denen eroberten Wagen alle Ketten zusammen trugen / und denen Deutschen höhnisch beymassen: daß sie solche aus frühzeitiger Vermessenheit des Sieges zu geträumter Fässelung der Gefangenen mit sich geführet hätten. Ob nun[1212] wohl einige deutsche Obersten die angebotene Beerdigung der Todten anzunehmen wiederriethen / weil diese Erlaubnüs für ein Zeichen des Sieges gehalten würde; so befand doch der Feldherr für thulicher so rühmlich fürs Vaterland gestorbener Leute Gebeine nicht ihrer Begräbnüs-Ehre zu berauben / als sich mit solchen Eitelkeiten aufzuhalten; zumahl er um ihre Beerdigung nie gebeten hätte. Daher wurden zur Beerdigung der Leichen nicht nur zwey tausend Cherusker abgeschickt / sondern es verfügten sich auch viel Weiber dahin / derer Männer oder Söhne gemisset wurden. Diese suchten sie unter den Todten mühsam herfür /und machten ihnen von Rasen oder Steinen erhöhete Gräber. Die Leiche Hertzog Marcomirs /Wintzenburgs und etlicher anderer Krieges-Obersten /welche die Deutschen nicht hatten erfechten und mitnehmen können / führten sie mit nach Fabiranum / wo sie hernach vom Feldherrn prächtig begraben / gelobet / ihre Helden-Thaten von Barden in sinnreiche Lieder gebracht und in folgenden Zeiten zu ihrem unsterblichen Nachruhme gesungen wurden. Sie liessen aber / nach Art der Spartanischen / zu grosser Verwunderung der Römer / etliche Leichen unverscharret liegen / welche Wunden auf dem Rücken hatten /gleich als wenn diese nicht ihre Schuldigkeit gethan und kein Grab verdienet hätten. Der Feldherr vergaß inzwischen nicht seines Amptes; die gefährlich verwundet waren / legte er in die Stadt Fabiranum / ließ sie daselbst nicht nur verbinden / und ihrer wohl pflegen; sondern suchte sie selbst mit Troste und Gaben heim; denen / welche auch gar gelähmt und verstimmelt worden waren händigte er Versicherungen ein: daß sie ihr Lebtage auf gemeine Landes-Kosten ehrlich unterhalten werden solten. Dieses vermehrte bey dem sämtlichen Kriegs-Volcke überaus die Liebe gegen dem Feldherrn / und war keiner / der sich geweigert haben wurde für einen solchen Vater des Lagers zu sterben / der keinen schlechten Kriegs-Knecht im Leben Noth leiden / und seinen Tod unbeehret liesse. Er stellte auch noch selbigen Tag mit Ingviomern und Jubiln das Kriegs-Volck in Schlacht-Ordnung /lobte solches ihrer männlichen Thaten halber; und versicherte sie: daß sie ausser dem Felde wenig / die Römer auch mehr Mannschafft verlohren hätten; also der Römer Sieg nicht viel weniger zweiffelhafft / als derselbe gewest wäre / dessen sich Tarqvinius Priscus wider die Sabiner / und Kayser August mit dem Antonius wider den Caßius und Brutus gerühmet hätten. Wenn sie auch von dem Verräther des Vaterlandes Malovenden nicht so betrüglich wären hinters Licht geführet worden / solte die Weser mehr Römisch Blut als Wasser ins Meer zuführen; der Rhein aber von dieses Heeres Uberbleibung mehr keine Beschwerligkeit gehabt haben. Nunmehro aber wäre ihr Heer von Verräthern gesaubert / ihre Tapferkeit durch diese Schlacht besser / als einiges Gold durchs Feuer geprüfet / die kecksten der Römer und ihrer Hülffs-Völker erleget; ihr Verlust würde in weniger Zeit aus dem von Mañschafft unerschöpflichen Deutschlande er setzt; die an die Spitze gestellten und im Blut-Bade ziemlich mirbe gemachten Hülffs-Völcker der Römer verzagt und unwillig gemacht werden. Dahero solten sie ihren Heldenmuth und die Hofnung der Rache und des Sieges keines weges sincken lassen. Sintemahl aller Welt Kräften das schwächste Volck / so lange es nur an seiner Wolfarth und Tugend nicht selbst verzagte / zu vertilgen nicht mächtig wäre; tapfere Leute aber die Eigenschafft des Knoblauchs und der Zwiebeln hätten / welchen bey schwindendem Gelücke das Hertze / wie diesen Erd-Gewächsen bey abnehmenden Mohnden-Lichte der Safft wüchse und[1213] zunähme. Der Feldherr schickte auch an viel Orte um neue Hülffe aus / und ersätzte noch selbigen Tag die sich erledigten Krieges-Aemter / gab den dritten Tag in dem neuerkieseten vortheilhafften Lager dem gantzen Heere ein Gastmaal / und ließ alle / welche sich tapffer gehalten hatten / aus seinem eigenen zum Trinck-Geschirre erkieseten Horne trincken; welches so wol bey den Deutschen als Scythen für eine absondere Ehre /der blosse Unterhalt auch für einen auskommentlichen Sold des Kriegsvolckes gehalten / die Geschencke des Hertzogs und die ihnen ausgetheilte Beute aber für eine unverdiente Ubermaße zu hohem Dancke angenommen werden. Bey diesem Gast-Maale brachte Sandersleben ein unter des Hertzog Jubils Leibwache stehender Ritter einen silbernen überaus künstlich er hobenen Schild / welchen er in dem hitzigsten Gefechte einem Römischen Befehlhaber / der einen güldenen Helm und Harnisch angehabt / vom Arme gerissen hatte. Auf diesem Schilde war Cornelius Scipio geetzt / wie er nach Eroberung der Stadt Neu-Carthago dem Fürsten der Celtiberier Allucius seine gefangene Braut unversehrt überantwortete. Darunter war zu lesen: Aus einem Gelübde. Diesen verehrte er nach der deutschen Kriegsleute Gewohnheit dem Hertzoge Jubil / dieser aber dem Hertzog Herrmann /weil iederman nicht nur alle Beute / sondern auch seine eigene Thaten dem Feldherrn zuzueignen pfleget. Worfür ihn aber der Feldherr mit einem köstlichen Pferde / und einer völligen Rüstung beschenckte. Jederman war bekümmert / wem doch dieser Schild müste genommen worden seyn; nach dem nun dieser Ritter alle Umstände erzählte / fielen fast alle Meinungen dahin: daß selbst der fünfften Legion Oberster Cornelius Cethegus / welcher sich wie Scipio zum Geschlechte der Cornelier rechnete / diesen schimpflichen Verlust erlitten haben müste; wiewol ihm dieses nicht hinderlich war: daß er nach der Zeit zu Rom die Bürgermeister-Würde erlangte. Germanicus hingegen blieb drey Tage zum Zeichen des Sieges auf der Wahlstadt stehen. Anfangs strich er die Heldenthaten seines Kriegsvolckes mit allen ersinnlichen Lobsprüchen aus / wolwissende: daß selbtes sich hieran nichts minder als an Geschencken vergnügte. Er ermahnete sie auch zu fernerer Verfolgung ihrer Tapferkeit / welche sie aber nicht mehr für Erlangung des Sieges /sondern nur der Beute anzugewehren hätten. Seine erste Sorge war die in der Schlacht gebliebenen vornehmen Befehlhaber / derer Tod sich unmöglich vertuschen ließ / prächtig zu begraben / denen allen sonderbare Lobreden gehalten wurden. Unter allen Begräbnüßen aber war des Fürsten Cariovalda das ansehlichste / Silius selbst muste ihm als einem grossen Helden und treuen Bundgenossen der Römer das Wort reden; und Germanicus versprach: daß er sein Bild neben dieselben stellen wolte / welche der grosse Alexander seinen am Flusse Granicus gebliebenen Helden durch den Lysippus hatte fertigen / Qvintus Metellus aber nach Rom hatte bringen lassen. Hernach ließ er den Flavius für den rechtmäßigen Fürsten der Cherusker ausruffen; sätzte ihm auch im Nahmen des Tiberius eine güldene Krone auf / beschenckte ihn mit einem vergüldeten Harnische / einem Schwerdte und Schilde / auf welchen die für dem Tiberius kniende Weser und Elbe dem neben ihm stehenden Flavius ihre Schlüssel zulangten. Hierauf ward Malovend für des Germanicus Richterstul geführet / welcher ihn höflich empfing / seine zum Römischen Volcke tragende Neigung und seine Tapferkeit rühmte / nach seinem an der Achsel empfangenen Schaden fragte /ihn für einen Römischen Bundgenossen aufnahm /und ihren Vergleich mit Aufopfferung einer Sau bekräfftigte; endlich ihn mit denen gewöhnlichen Geschencken[1214] der Römer beehrte / welche Schalen ohne Kerne sind / und den Baum-Blättern gleichen / die zu nichts als zur Zierde dienen. Uber diß hielt er dem Jupiter / Mars / der Stadt Rom / dem August und Drusus Danck-Opffer / zu derer Feuer kein ander Holtz als das von der deutschen Lantzen und Spissen genommen ward. Er ließ auch wie Eneas nach erlegtem Mezentius und Romulus nach überwundenem Acron eine auf der Wallstadt stehende grosse Eiche diesen Göttern einweihen / und behauen. Auf ihren Gipffel stellte er einen vollkommenen Harnisch; die Aeste behieng er mit denen eroberten Waffen / und an den Stamm ließ er mit dem aus der Deutschen Wunden rinnenden Blute an statt der Tinte angeschrieben: Hier siegten die Römer über die Cherusker /Bructerer / Catten / Hermundurer / Chassuarier /Angrivarier / Chamaver / Longobarden und Cimbern. Uber dieses ließ er von Rasen ein sehr hohes Sieges-Zeichen zusammen sätzen / darauf eine grosse Menge Waffen aufthürmen / und unten in einen Stein eingraben: Hier hat Kayser Tiberius die Deutschen überwunden / und dem Fürsten Flavius die Cherusker / Segesthen die Chaßuarier untergeben. Er schickte das Schwerdt / wormit Serväus den Hertzog Marcomir zu erst in die Brust gestochen hatte / nach Rom in den Tempel des rächenden Krieges-Gottes. Sintemahl es nicht nur bey den Griechen /sondern auch zu Rom gewöhnlich war / die Waffen /wormit was merckwürdiges ausgeübt worden war /den Göttern zu wiedmen. Also hatte Olympias den Dolch / mit welchem Pausanias den König Philip ermordet / dem Apollo / Lysimachus seine gantze Rüstung dem Mars zugeeignet. Uber diß gelobte Germanicus / wenn er vollends der Völcker zwischen der Weser und Elbe Meister werden würde / auf der Spitze des Melibockischen Gebürges dem Mars und Drusus ein köstlicher Sieges-Maal aufzurichten / als der siegende Marius auf den Alpen / Sylla auf dem Pyreneischen Gebürge aufgerichtet hatte. Sintemahl von den Römern und Griechen alle Gipffel der Berge für Heiligthümer gehalten wurden. Die Deutschen kriegten von diesen hoffärtigen Siegeszeichen zeitlich Nachricht; worvon sie gleichsam in Raserey versätzt wurden / mit Ungestüme zun Feldherrn kamen / und von ihm zu Vertilgung dieses schimpflichen Denckmaals wider den Feind ins Feld geführet zu werden verlangten. Sie priesen die in der Schlacht gebliebenen Deutschen glückselig: daß sie diese Schande nicht erlebt hätten; und schalten ihr eigenes Glücke unbarmhertzig: daß es ihrer zur Straffe geschonet /und zu solcher Verachtung aufgehoben hätte. Denn keinem thaten die tieffsten Wunden so weh / der Tod ihrer Weiber und Kinder / der Verlust ihres Vermögens / die Verheerung ihrer Länder giengen keinem so zu Hertzen / als daß sie mit so hochmüthigen Gedächtnüs-Maalen die Römer über sich derogestalt solten frolocken sehen. Die säugenden Weiber / die schwächsten Kinder / die am Stabe gleichsam kriechenden Greiße hatten aus Zorn und Ungedult die Waffen ergriffen / und wolten mit aller Gewalt noch selbigen Tag ins Feld / und das Siegs-Zeichen der Römer zernichten; oder der Feldherr solte nur das gantze Volck der Cherusker / ja die ausgegrabenen Leichen ihrer Vor-Eltern aus diesem mit solchen Banden der Dienstbarkeit gefesseltem Lande über die Elbe führen. Sintemahl doch ihre Gebeine in einer so dienstbaren Erde nicht würden ruhen können. Der Feldherr lobte die edle Regung ihrer einige Schmach zu vertragen unleidentlicher Gemüther / sie versichernde: daß ihm diß der empfindlichste Schnitt durch seine Seele wäre / und er sein Haupt nicht sanffte legen wolte / biß von[1215] dem Römischen Siegeszeichen weder Strumpf noch Stiel würde übrig seyn. Die Römer aber hätten doch darinnen bescheidentlich verfahren: daß sie ihr Denckmaal aus etwas so vergänglichem / als Holtz und Erde wäre / aufgerichtet hätten /sich selbst bescheidende: daß die tapferẽ Deutschen solches nicht lange würden stehen lassen; und also alle auf Marmel und Ertzt verwendete Kostbarkeit übel angelegt seyn dürffte. Sie solten sich aber nur eine wenige Zeit gedulden / biß er eine zur Vertilgung dienliche erkiesen würde. Die Ubereilung verderbte die besten Entschlüssungen; insonderheit stellten die Ausländer hierinnen den Deutschen Mängel aus / von denen sie gestehen müssen: daß kein Volck hertzhaffter als sie wäre; daß niemand mit grösserm Nachdruck seinen Feind antastete / niemand begieriger nach den Waffen grieffe / als darinnen sie gleichsam gebohren und von Kind auf erzogen würden. Kein Volck wäre wie sie abgehärtet: daß sie wider Frost und Hitze weder Decke noch Schirm von nöthen hätten. Darinnen aber verstiessen sie / daß sie sich den Eyver verleiten liessen / ihre Tapferkeit zur Unzeit ausschütteten. Diesem nach müsten sie mit Vernunfft und Mäßigung ihre Tugend schärffen / die Sachen reiff werden lassen und ihm vertrauen. Hoffentlich aber solte die Sonne das Römische Siegs-Zeichen nicht drey Tage bescheinen. Herzog Jubil hatte zwar im letzten Kriegs-Rathe aufgeworffen: die deutsche Reuterey solte einen ziemlichen Streiff des Landes verheeren / verbrennen / das Graß zertreten; also dem mit wenigem Vorrathe versehenen Feinde alle Mittel lange zu stehen abschneiden; hingegen mit ihrer gantzen Macht geraden Weges dem Rheine zueilen und in Gallien einfallen. Durch dieses Mittel hätte Darius der Scythen Einfall zernichtet / und wenn die Persen dem eben diß rathenden Memnon gefolgt hätten / würde Alexander niemals des grossen Nahmen erworben haben. Scipio hätte durch Uberziehung Afrikens Hañibaln aus Italien gebracht / welches die Römischen Waffen nimmermehr geendet hätten. Es käme einen zwar schwer an / ihm selbst Schaden zuzufügen / und wider sich selbst zu wüten; aber im Falle der Noth und der Gefahr wäre es Nutz etwas und nicht alles verlieren; und ein krebsfreßiges Glied abzuschneiden um den Leib zu erhalten. Der Feldherr selbst hatte diesen Vorschlag als nicht unthulich zu wenigem Bedencken ausgesätzt / und Ingviomer selbst gebilligt / ja sich erboten: daß / wenn es zum gemeinen Nutzen gereichte / wolte er zu Verbrennung seines Landes den Anfang machen. Die Aufrichtung des Römischen Siegsmaals und des deutschen Kriegsvolcks Eyver zu schlagen / verrückte aber nunmehr gantz und gar diesen Vorschlag: zumahl da der Feldherr erfuhr: daß Germanicus mit seinem Heere zwey Meilen gegen der Elbe fortgerückt wäre / und Flavius mit der leichten Reuterey das Land durchstriche um alle Zusammenziehungen mehrern Volckes zu hindern. Nach solcher Nachricht laß der Feldherr aus dem gantzen Heere sechstausend der besten Reuter /und so viel der kräfftigsten und geschwindesten Fußgänger zusa en; welche bald den Pferden gleich lauffen musten / bald wenn sie müde / zu den Reutern auf die Pferde fassen. Mit diesen machte er nebst dem Hertzoge Jubil / dem Grafen von Waldeck / Bentheim / Hanau und Henneberg sich sehr früh auf; also / daß er mit aufgehender Sonne auf die Wallstatt kam / nach dem er unterwegens etliche Streiffrotten der Gallier /Rhetier / und Vindelicher aufgehoben / und zum Theil in die Flucht gejagt hatte. Es ist kaum glaublich / in was für kurtzer Zeit die Deutschen die zum Siegeszeichen ausgeputzte Eiche abgehauen / in kleine Stücke zersplittert / den aufgerichteten Berg der Erde gleiche gemacht / und den Stein zermalmet hatten. Worüber sie ein solch Freuden-Geschrey erregten: daß die Erde bebte / Berge und Wälder einen Wiederschall gaben; gleich als wenn sie das[1216] gantze Römische Heer erlegt hätten. Also hatte Germanicus von diesem Gepränge nichts als die Verbitterung der Deutschen / und einen ziemlichen Verlust des Römischen Ansehns zum besten. Daher die alten Römer eben so wohl als die Macedonier viel klüger thaten: daß sie ihren bezwungenen Feinden niemahls ihre Uberwindung durch solche verkleinerliche Siegeszeichen fürrückten / biß Domitius Enobarbus und Fabius Maximus darmit den Anfang machten / auf der Wallstatt steinerne Thürme bauten / und der besiegten Allobroger Waffen daran hiengen. Flaminius hatte zwar vorher zu Rom von der Gallier güldenen Ketten Jupitern zu Rom ein Sieges- Zeichen gewiedmet / Fulvius Flaccus / Lutatius und Catulus aber tragbare Sieges-Zeichen zusammen gesätzt; mit dem wachsenden Hochmuthe aber schliech diese Eitelkeit ein: daß sie solche den Feinden zur Verachtung unter ihre Augen sätzten / und sie mit schimpflichen Uberschrifften und auf ihre Müntze gepregten Bildern gefangener Könige / angebundener Völcker / gefesselter Flüsse spotteten. Viel künstlicher verkleidete der grosse Alexander seiner Sieges-Zeichen Ehrgeitz mit Andacht und dem gemeinen Heile; da er nemlich an dem Ufer des Flusses Pinarus / wo er den Darius geschlagen / dem Jupiter / Hercules und Minerven drey Altare / in Egypten nach seinem Nahmen die Stadt Alexandria / in Indien zu einem viel tauerhafteren Gedächtnüße des wider den König Porus erhaltenen Sieges Nicäa baute; welchem es sein Vater Philip mit der Stadt Theßalonica klüglich vor- und August mit Nicopolis glücklich nachgethan hatte. Und Hertzog Herrmann hatte wegen seines wider den Emilius Varus erhaltenen Sieges auch ein unversehrliches Gedächtnüs gestifftet / da er selbiger Wallstadt den Nahmen Gewinnefeld zugeeignet. Der Feldherr hielt nach zernichtetem Römischen Siegs-Maale aber ihm für verkleinerlich: daß er mit einer solchen Macht nichts anders ausgerichtet / als einen Baum zerhauen und einen Hügel gleiche gemacht haben solte. Dahero gieng er auf der rechten Seite des Wamme-Stromes hinaus und dem Germanicus nach: welcher allem Ansehen nach oberhalb Fabiranum einen Ort an der Weser behaupten und daselbst Brücken schlagen wolte. Es war aber kaum eine halbe Meile hinter sich gelegt / als ihm der mit zwantzig Pferden voran geschickte Ritter Lawenrode zu wissen machte: daß gegen dem fürm Gesichte liegenden Gepüsche ungefähr drey tausend Reuter / und wohl noch so viel Fußvolck im Anzuge wäre. Der Feldherr ließ ihm alsbald gebieten: er solte sich versteckt halten; theilte auch alsbald sein Volck. Ein Drittel ließ er disseits dem Gepüsche in Bereitschafft halten / das andere muste um das Gepüsche sich herum ziehen / uñ solte nach angegangenem Treffen dem Feinde in Rücken gehen / das dritte auf unvermutheten Nothfall fertig stehen. Der Feinde Vordrab bestand an 100. Chauzischen und Friesischen Reutern / welche / so bald sie aus dem Gepüsche kamen und die Deutschen erblickten / sich auf dem Fuße spornstreichs zurücke wendeten; aber der Ritter Woldenburg verbeugte mit hundert Pferden durch einen Kwerweg den Weg / und Schrapha verfolgte sie auf der Fersen / und fertigten sie in geschwinder Eil so ab: daß der Nachzug von ihnen wol keine Nachricht bekommen hätte / wenn nicht fünffhundert folgende Gallier das Geschrey und Geräusche der Kämpfenden gehöret / hiermit augenblicks umgekehret / und dem Römischen Volcke die Gegenwart des Feindes berichtet; also selbtem stille zu halten und sich zu stellen Anlaß gegeben hätte. Graf Waldeck / welcher um das Gehöltze schon kommen war / berichtete diß dem Feldherrn / und zugleich: daß er aus besorgter Zurückkehrung auf den Feind schon loßgienge um selbigen ständig zu machen. Waldeck sätzte also gleich auch an die feindliche Reuterey / welche an viertausend Rhetiern / Vindelichern / Tribochen / Nemetern / Vangionen /Ubiern und Menapiern / und fünffhundert Römern bestand / behertzt an /[1217] welche weil sie acht tausend Fußvölcker am Rücken / und das Römische Lager kaum zwey Meilen entfernet hatten / den Deutschen muthig begegneten. Gleichwol aber erlangte Waldeck durch seine vortheilhaffte Fechtens-Art / da zwischen iedem Reuter ein Deutscher zu Fuß mit den Angrieff that / bald einen ziemlichen Vortheil. Hierüber kam zwar das Fuß-Volck an / welches fünff Fahnen Römer von der dreyzehenden Legion / das andere Chauzen /Friesen / und Gallier waren. Apronius der es führte /breitete sich aus und meinte den Waldeck gantz zu umschlüssen; es brach aber auf einer Seite der versteckte Hanau und Henneberg / auf der andern Seite der Feldherr selbst mit dem Grafen Bentheim herfür /und gieng das Treffen nunmehr mit grossem Eyver an. Beyder Mannschafft war an der Zahl / aber keines Weges an Kräfften gleich / zumahl auch die Deutschen den Römern an Reuterey überlegen waren. Zu dem schärffte das Andencken des erlittenen Verlustes und die Rache der Deutschen Waffen. Ob nun zwar ihre Feinde einen harten Stand hatten / in dem die deutsche Reuterey bald auf einer bald der andern Seite das Fuß-Volck zertrennte und die halbe Römische Legion hier für keine Mauer galt / ermahnte sie doch Apronius aufs beweglichste zu stehen. Sie solten sich auf das die Römer niemahls verlassende Gelücke /und auf den ungezweiffelten Entsatz verlassen. In diesem freyen Felde müste so lange gefochten oder gestorben seyn; weil auch die flüchtigsten Reuter der so starck als die Pferde / und besser als die geschwinden Scychischen Völcker die Dahen lauffendem Fuß-Volcke der Deutschen / wie viel weniger ihrer den Wind übereilenden Reuterey nicht entfliehen könten. Die Noth zu fechten aber wäre der rechte Wetzstein der Tapferkeit / und gäbe einem dreyer Männer Kräfften. Und wenn ihnen auch bey so naher Hülffe der Entsatz wider die schon mehr als einmahl überwundenen Feinde aussen bleiben solte / wäre ihnen doch kein ander Trost übrig / als daß sie durch ihrer Feinde Tod ihren eigenen ehrlich machen könten. Diese Ermahnung bekräfftigte Apronius auch mit der That. Denn er nahm sich nicht nur des Amptes / das ein Heerführer hat / an / sondern auch eines gemeinen Soldaten. Unter allen thaten auch seine Römer / Chauzen und Friesen das beste; welche mit denen andringenden Deutschen gleichsam Mann für Mann stritten / und einander so nahe auf den Hals kamen: daß sie offt die Degen-Knöpffe einander ins Gesichte stiessen. Wenn nun schon iemand furchtsamer darunter gewest wäre /hätte sich doch keiner auswinden können. Ja die Verwundeten waren nicht auf die Seite zu bringen. Denn weil vorwerts der Feind / von hinten das eigene Kriegs-Volck nachdrückte / hatte kein Mensch Raum den Fuß fortzusätzen / den er ihm nicht mit Erlegung seines Feindes gemacht hatte. Also ward zwischen diesen viel Blutes vergossen; sonderlich weil die Cherusker wider die auf Römischer Seite stehende Deutschen viel erbitterter / als auf die Römer selbst waren. Bey diesem verbitterten Kampffe ereigneten sich in weniger Zeit viel Zufälle / welche bald die Hoffnung /bald die Sorge eines und des andern Theils vermehrten; gleich als wenn das Gelücke mit allem Fleiße zwischen so streitbaren Leuten das Treffen in gleicher Wage halten wolte. Nach dem aber die Gallier und Hispanier in völlige Unordnung kamen / und Apronius von den Römern und Deutschen ein Theil jenen zu Hülffe schicken muste / welche Veränderung in einer Schlacht niemahls ohne Gefahr geschehen kan /fiengen auch diese an Noth zu leiden. Denn ob sie zwar mit ihren zusammen gefügten Schilden eine Mauer und Dach für sich machten / und damit der Deutschen Gewalt aufzuhalten vermeinten / so bohrten doch die Cherusker und Catten zu Fuße mit ihrer spitzigen Schlacht-Ordnung durch / in dem sie theils ihre[1218] Spiße zwischen die Schilde trieben / theils auch ihnen die Schilde mit Gewalt abrissen / theils rennte sie auch die deutsche Reuterey übern Hauffen. Dieses richtete der Feldherr selbst mit seiner Leibwache zu Wercke / welcher nach gemachter Oeffnung seine Hände wol brauchte / und ihrer viel theils mit Wurffspissen / theils mit dem Degen hinrichtete. Daher auch die tapffersten / welche wider ihn an die Spitze gestellt waren / zum ersten in die Flucht geriethen. Apronius und die Führer der Chauzen / Friesen und Ubier baten zwar ihr Volck aufs beweglichste /sie möchten nur noch einmahl sich schlüssen / und dem Feinde hertzhafft begegnen / zeigten ihnen auch die aus dem Lager über den nechsten Hügel ankommende Hülffe. Alleine denen Verwirrten hat die Furcht mehr zu sagen / als ihre Obersten; und sie bländet ihnen noch darzu die Augen. Also gerieth alles in Unordnung und Flucht / und hatten die Deutschen nicht so wol mehr zu fechten als die zerstreuten zu metzgen / derer einen die Furcht dorthin / den andern die Hoffnung anderwerts hintrug. Apronius muste selbst sich die gemeine Flut mit hinweg reissen lassen / und auch andere Führer sich aus dem Staube machen; doch müheten sich diese auf der nechsten Höhe die Flüchtigen aufzuhalten / und weil fünffhundert frische Thracier voran gehauen kamen / brachten sie es dazu: daß sie sich widersätzten. Zumahl da ihnen auch auf dem Fuße zweytausend Pannonier / Illyrier / Mäsier und Armenier / und endlich Pedo mit tausend Römern zu Pferde folgten. Aber diese ansehliche Hülffe hinderte den Feldherrn nicht: daß er auf sie tapfer ansätzte / und seinen Deutschen zusprach: Sie solten dem Feinde keine Lufft lassen; die Fliehenden hätten mehr kein Hertze im Busem / und mit ihrer Zagheit denen ankommenden Feinden auch schon ihr halbes geno en. An die Menge hätten sie sich nicht zu kehren; denn im Siege und in der Flucht zählte niemand das Kriegs-Volck / weniger die erschrockenen; welche das Glücke derogestalt ihrer Sinnen beraubte: daß sie weder die Wenigkeit ihrer Feinde / noch ihre eigene Menge wahrnähmen. Derogestalt hatten die Römer nicht einmahl so viel Zeit übrig: daß sie eine rechte Schlacht-Ordnung gemacht hätten; ja Emilius wuste bey solcher Verwirrung kaum den anfallenden Feind von denen fliehenden Freunden zu unterscheiden. Der Feldherr gieng auch mit dem Grafen von Waldeck bald selbst auf den Emilius loß / und machte ihm so viel zu schaffen: daß er sich wenig um andere bekümmern konte. Der Graf von Hanau nahm es mit den Thraciern und Mäsiern / Henneberg mit den Pannoniern / Illyriern und Armeniern an; und Bentheim ließ die in die Flucht geschlagenen nicht wieder zum Stande und Kräfften kommen / welche / weil sie zerstreut und einzelich fochten / allenthalben einbüsten. Denen neuen Völckern schien auch kein besser Glücks-Stern / als den andern. Denn weil ein Sieger eben so wol / als ein glücklicher Spieler mit schärffern Augen siehet / mit mehrerm Verstande urtheilt und mit zweyen Hertzen ficht / erhielten die Deutschen überall wider die frischen Feinde / welche schon von der lauffenden Zagheit angesteckt worden waren / und nach dem sie den hitzigen Streit kaum eine Stunde ausgetauert hatten / die schweißichten Waffen kaum mehr in Händen halten konten / die Oberhand; also daß die Thracier und Mäsier schon auch auszureissen / die Pannonier sich zu zerstreuen und die Römer selbst zu wancken anfiengen; nach dem der Feldherr dem Pedo den Helm zerspaltet / und ihm ein Stücke Bein vom Hirnschädel abgehauen hatte. Die andern Obersten feyerten auch nicht / und kriegte es auf Römischer Seiten von dem Gewinsel der Sterbenden /von der Angst der fliehenden / und von Verbitterung der verzweifelnden ein erbärmliches Ansehen. Als Hertzog Herrmann nun in der Hitze war die noch stehenden zu zertrennen / ward ihm angemeldet:[1219] daß nicht nur eine sehr starcke Reuterey in der Nähe wäre / sondern auch schon drey Römische Adler über die nechste Höhe / ja allem Ansehen nach das gantze Römische Heer folgte. Als der Feldherr dieses alles selbst in Augenschein nahm / ließ er alsbald das Zeichen zur Rückkehr geben; Worauf die Befehlhaber ihr für Eyver gleichsam blindes und kein Gehöre habendes Volck mit dem Degen vom Feinde ab- und ihnen einhalten musten: daß nicht bey Kriegsknechten / sondern alleine beym Feldherrn das Urthel stünde: ob und wie lange man mit dem Feinde schlagen solte; und wäre einem Kriegs-Manne die Tugend des Gehorsams so nöthig / als die Tapferkeit. Das Kriegs-Volck hielt hiermit an / und lieferte dem Feldherrn sechs Römische / und etliche zwantzig andere eroberte Fahnen. Dieser sagte allen für ihre Tapferkeit Danck; versprach ihnen Belohnungen und deutete ihnen an: Sie hätten ihren Ehren ein Genügen gethan; nunmehr wäre es Zeit umzukehren. Man müste sein Gelücke begreiffen und mäßigen / und die Vermessenheit aus Hochmuth nicht wieder auf die Spitze sätzen / was man mit Müh und Tapferkeit erworben hätte. Hiermit schwang sich das deutsche Fuß-Volck theils auf ihrer zugeeigneten Reuter Pferde; theils machte es sich auch mit ihrer erlegten oder abgesätzten Feinde Pferden beritten / wendeten sich also geraden Weges nach dem deutschen Lager. Stertinius kam mit fünfftausenden zu Pferde bey dem verwundeten Apronius und Pedo an / und sahe sein Elend an ihrem so übel zugerichteten Volcke. Jedoch schöpfte er mehr Verdruß als Erbarmnüs / weil die Geschlagenen selbst gestehen musten: daß der Feind nicht so viel Mannschafft als sie gehabt hätten. Daher munterte er alle mit Vorstellung ihres unausleschlichen Schimpffes zur Rache auf; befahl dem Lepidus die zerstreuten unter ihre oder seine Fahnen wieder zusammen zu lesen und ihm mit der Reuterey zu folgen. Er aber gieng mit seiner Reuterey voran / in Meinung selbige so lange zum Stande zubringen / biß die erste / zwantzigste und halbe dreyzehnde Legion / welche der unwillige Germanicus unter dem Cäcina nachschickte /den Feind erreichte. Hertzog Herrmann aber legte mit seinen wiewol müden Pferden eine halbe Meile hinter sich / ehe ihn Stertinius einholete. Ob er nun zwar diesem überflüßig gewachsen gewest wäre / hielt er doch wegen der folgenden Legionen nicht für rathsam sich in ein beständiges Treffen einzulassen / sondern theilte sein Volck in zwölff Hauffen / derer drey immer wechselsweise dem am Rücken habenden Feinde begegneten. Wenn diese nun nach einer Weile Gefechte sich auf beyden Seiten zurück schwungen /hielten drey frische Hauffen / und so denn die folgenden den Stertinius auf; also / daß bey dieser künstlichen Abwechselung die Deutschen geschwinder und ohne einigen Verlust fortrückten / als das Römische Fuß-Volck nachsätzte. Der Feldherr schickte inzwischen den Ritter Recklingshausen mit zwölff reysigen Knechten ins Lager voran die Beschaffenheit seines Zustandes zu berichten / und auf etwan sich ereignenden Nothfall Entsatz zu verlangen. In dessen Hoffnung blieb der Feldherr an einem gelegenen Orte mit allen zwölff Hauffen stehen und gieng dem Feinde mit grosser Zuversicht unter Augen. Der Graf von Bentheim hatte auch das Glücke / dem Stertinius selbst auf den Leib zu kommen / ihm sein Pferd zu erlegen / mit welchem er einen schweren Fall that: daß er etliche Wochen hernach nicht zu Pferde sitzen konte. Weil nun die Legionen allzulange zurück blieben / nach dem er und sie nun nicht für voll eine Meile von Fabiranum entfernet waren / hielt Stertinius aus Beysorge eines neuen Hinterhalts nicht für rathsam sich zu lange in so verdächtigen Kampf einzulassen / sondern muste an statt verhofter Rache mit seiner Müdigkeit vorlieb nehmen; gab also seinem Volcke ein[1220] Zeichen sich zu wenden. Der Feldherr aber vergnügte sich an seinem ihn wenig Blut kostenden Siege; also kehrten beyde einander den Rücken. Germanicus war mit denen frembden Hülffs-Völckern / welchen Apronius und Pedo alle Schuld ihres Verlustes auf den Halß weltzten / übel zu frieden / noch übeler aber mit den Kundschafftern / welche ihm die Nachricht gebracht hatten: daß nicht mehr als viertausend Cherusker zu Zerstörung seiner Sieges-Maale aus ihrem Lager gegen dem Idistavischen Felde gegangen wären. Sintemahl er dadurch den Ruff seines mit Fleiß schon in die Welt ausgebreiteten Sieges zu Wasser werden sahe / sich bescheidende: daß weil das Geschrey wie die Ferne-Gläser eine Sache vermehret und vermindert / niemand mehr glauben würde: daß die Deutschen vom Germanicus eine solche Niederlage könten erlitten haben / nach dem sie wenige Tage hernach den Römern ein so hartes wieder versätzt hätten. Ja er lidt nicht nur an diesem eingebildeten Ruhme / sondern auch nunmehr an seiner Hofnung Deutschlands Meister zu werden heftigen Schiffbruch / und erfuhr: daß ein vom Glücke aufgeblehetes Gemüthe meist ein betrüglicher Wahrsager wäre; und GOtt es ins gemein so schickte: daß man den Sieg nicht von menschlicher Macht und Klugheit / sondern von Göttlichem Willen herzuflissen schiene. Hingegen machte ihm Hertzog Herrmann diesen Sieg wol nütze. Denn er ließ die ihm aus dem Läger entgegen kommenden Völcker zu voran wieder darein ziehen / damit ihre Menge den Sieg der wenigen / welche solchen erlangt hatten /nicht verminderte. Bey seinem Einzuge ließ er die eroberten Fahnen und Waffen voran tragen / die Pferde beyführen. Welches nunmehr alle verfallene Gemüther wieder aufrichtete; und weil er wohl wuste: daß der Ruff im Kriege offt mehr / als viel tausend Gewaffneten ausrichtete / und gantze Völcker in Furcht oder Hofnung versätzte / machte er diesen Sieg dem Hertzoge der Catten / der Alemänner ja auch dem Könige Marbod / den Marsen / Angrivariern und andern zwischen dem Rheine gelegenen Völckern zu wissen; ließ auch solchen bey den Chauzen / Friesen /Batavern und Galliern ausbreiten. Zu welchem Ende er denn die eroberten Fahnen in unterschiedene heilige Heynen verschickte. Hiermit brachte er auch zu wege: daß die Marsen wider den Stadthalter des Fürsten Malovends zu Hause einen Aufstand machten / ihn verjagten / und den Hertzog Herrmann für ihren Fürsten erklärten; weil sich Malovend als ein Verräther Deutschlandes seiner Herrschafft verlustig gemacht hätte Gleichergestalt warffen die Angrivarier den ihnen durch den Stertinius allererst angelegten Kapzaum wieder ab / und brachte der über die Weser entkommene Graf von Ravensberg mit dem Ritter Hochstraten dreytausend Angrivarier ins deutsche Lager. Dem Germanicus that dieses im Hertzen weh; und weil er vernahm: daß die vom Germanicus weg gegangenen Langobarden / des König Marbods Verbote ungeachtet / nach vernommener Niederlage schon wieder zurücke über die Elbe gesätzt hätten / besorgte er / daß alle benachbarte Völcker aus Eyversucht gegen die Römische Macht zu den Cheruskern stossen dörfften / und daher sätzte er ihm vor dem Feinde ohne einigen Zeit-Verlust auf den Hals zu gehen. Hierbey aber ließ er auf Malovends Anstifftung unterschiedene vertraute Marsen ins deutsche Lager zu dem Ende überlauffen: daß sie alle Verfassung und Anschläge der Deutschen ausforschen und ihm verrathen solten. Mit seinem gantzen Heere rückte er auch fort in Meinung oberhalb dem deutschen Heere sich an der Weser zu sätzen / der wachsame Feldherr aber kam ihm bey vernommenem Aufbruche zu vor /und sätzte sich drey Meilen oberhalb Fabiranum in eine wäßrichte und enge Fläche; welche auf einer Seite vom Fluße / auf der andern von einem[1221] Walde /und dieser zum Theil mit einem Sumpffe umgeben war. An zweyen Orten war allein ein offener Zugang /und fester Boden; des einen Helffte aber hatten die Angrivarier / so weit sie neben den Cheruskern ihren Stand hatten / in einer eintzigen Nacht mit einem hohen Tamme befestigt. Germanicus sätzte sich harte darneben / und machte alle ersinnliche Anstalt die Deutschen hier anzugreiffen / diese aber rüsteten sich zur tapferen Gegenwehre. Also ist es an dem nicht genung: daß Müh und Menschen Zwillinge sind / welche mit einander gebohren werden und zu gleiche sterben; sondern der meisten Arbeit zielet auch nicht so wol dahin ein Werck auszumachen / als anderer Vorhaben zu zernichten; und mehr das menschliche Geschlechte zu vertilgen / als selbigem gütlich zu thun. Der Feldherr hielt zwar für rathsamer / alle Zugänge zu verhauen / den Wall der Angrivarier auch für dem Stande der Cherusker / und also vom Walde biß zum Fluße zu verlängern / und derogestalt den Feind / biß sie von Langobarden und Catten verstärckt würden / aufzuhalten; aber Ingviomer und fast alle Kriegs-Obersten waren begierig zu schlagen /verliessen sich auch auf die Vortheilhaftigkeit des Volckes. Und hielten nicht für rathsam die Römer durch allzufeste Verbauung vom Angriffe abzuschrecken / oder auch ihr eigen Volck verzagt zu machen; welchem noch das Gedächtnüs des letzten Sieges im Kopfe und der Muth im Hertzen steckte. Beyder Theile Heerführer ermahnten ihr Volck zur Tapferkeit Die Römischen sagten ihrem: die einmahl Uberwundenen hätten ein für alle mahl weniger Hertze; wie hochdrabend sie gleich sprächen. Die Deutschen würden fliehen / so bald ihnen die gläntzenden Waffen der zu siegen gewohnten Römer in die Augen leuchten würden. Ihre tapffersten wären in der Schlacht gefallen; und nur die übrig / welche die Furcht im Hertzen / die Wunden auf dem Rücken trügen. Durch die Flucht würde niemand besser / sondern das traurige Gedächtnüs ihres vorigen Verlustes benehme ihnen Muth und Verstand. Die Deutschen hingegen hielten den ihrigen ein: Sie solten sich den Unstern voriger Schlacht nicht abschrecken lassen; weil sie nicht wegen Tugend ihrer Feinde / sondern wegen Arglist ihrer Verräther den kürtzern gezogen hätten / welche nunmehr von ihnen abgesondert wären. Die Mißlingung eines Streiches schreckte auch nur Neulinge / nicht erfahrne Kriegsleute; welche wüsten: daß das Blat sich nicht öffter als im Kriege zu wenden / und der Sieg wie der Wind abzuwechseln pflegten; ja wider das sie drückende Glücke wie die Palmen gegen der Last mehr Hertz und Kräfte kriegten. Die deutschen Fürsten säumten auch nicht alle Gelegenheit des Ortes wohl anzugewehren / und ihr Heer in gute Verfassung zu stellen. In die sichtbare Fläche ordneten sie alles Fußvolck /ein Theil der Reuterey aber versteckten sie seitwerts in die Heynen / damit diese denen auf das Fußvolck loßgehenden Römern in Rücken kämen. Alleine kluge Anschläge / hertzhafte Entschlüssungen sind nur so lange nütze und werth zu halten / so lange sie verborgen bleiben; wenn sie aber verrathen sind / helffen sie so wenig als ein Fluß / dadurch man einen Furth gefunden hat. Dieses Kleinod des Geheimnüsses aber gieng denen redlichen Rachschlägen der Deutschen ab / bey welchen die Fürsten nur übel schlechte / das gantze Volck aber über wichtige Dinge einen Schluß machen muß. Derogestalt ward durch die Marsischen Uberläuffer alles dem Germanicus verrathen / und ihm dadurch Gelegenheit in die Hand gespielt / diß /was zu der deutschen Wolfarth vorsichtig ausgesonnen war / ihnen zum Verterb umzudrehen. Germanicus übergab / weil Stertinius noch lahm war / die Helffte der Römischen Reuterey dem Lucius Sejus Tubero; welcher mit den Rhetiern / Vindelichern /Friesen und Chauzen das Bructerische Fußvolck auf der Seite / wo es ohne Vortheil[1222] das flache Feld vor sich hatte / angreiffen solte. Damit nun die versteckte deutsche Reuterey nicht aus dem Walde hervor brechen konte / ließ Germanicus zweytausend mit Fuß-Angeln und mit grossen Wäld-Aexten versehene Ubier / Menapier und Trierer zwischen der Reuterey dahin eilen / welche mit dem Scipio für kein Hülffs-Mittel hielten den furchtsamen unzählbare Fuß-Angeln gegen den Ort auszustreuen / wo die deutsche Reuterey hervor ko en konte. Sie fällten auch die eussersten Bäume des Waldes nieder / um der Deutschen Reuterey den Ausfall zu verhindern. Der Graf von Lingen / Kwerfurt und Teckelnburg / welche im Walde versteckt hielten / machten sich zwar / als sie eine Weile das Hauen in die Bäume gehöret hatten /herfür; aber es gieng ihnen / wie des Antiochus und Mithridatens Kriegs-Volcke. Denn der Deutschen Pferde traten in die geworffenen Fuß-Angeln und fiel einer hier / der andere dort übern Hauffen / ja der Graf von Lingen hatte selbst dieses Unglück: daß er über einen Hauffen stürtzte und den Arm brach. Unterdessen hatten jene Lufft den Wald derogestalt zu verhauen: daß von der Deutschen Reuterey unmöglich einer durch und dem Bructerischen Fußvolcke zu Hülffe ko en konte. Hingegen ließ Germanicus von aussen den Centronius an der rechten Seite gegen dem Weser-Strome mit der ersten Legion / und dreytausend Chauzen / Friesen / Seqvanern / Heduern und Arvernern zu Fuße / auf der lincken Seite den Vitellius mit der vierzehenden Legion und dreytausend Atrebaten / Bellovacken / und Narbonern in den Wald rücken / und darinnen die Bructerische Reuterey angreiffen; welche / weil ihnen die Pferde zwischen den Bäumen nichts nütze waren / herunterspringen und sich zu Fusse wehren musten / als inzwischen das Bructerische Fuß-Volck gegen die Römische Reuterey gleichfalls ein ungleiches Gefechte auszustehen hatten. So gut es nun dem Germanicus an diesen zweyen Orten glückte / so übel kam er selbst mit seinem eigenen Angriffe / den er als das schwereste Werck selbst auf sich genommen hatte / an dem Tamme der Angrivarier an. Dieses Ortes mühte er sich mit dem Kerne seines gantzen Heeres deßwegen zu bemächtigen; weil er an selbigem Orte denen Cheruskern in Rücken zu kommen / ihnen den Weser-Strom abzuschneiden /und mit seiner grossen Menge Volckes sie vor- und hinterwerts anzugreiffen / folgends auch gar von den Bructerern / Catten / Langobarden und Cimbern abzuschneiden vermeinte; welche ohne diß sich wegen des hinein gehenden Sumpffes und Waldes kaum hundert Schritte zwischen einander freyes Feld hatten. Den er sten Angriff an den Tamm musten auf einer Seite die Trierer / auf der andern die Aqvitanier thun / und diese die Nemeter und Vangionen ablösen. Aber sie wurden von den Angrivariern / welchen der Graf von Ravensberg / und Homburg nebst dem Ritter Hochstraten mit der Lantze in der Hand nicht weniger zu einem Beyspiele der Tapfferkeit / als zu Obersten dienten / so übel empfangen: daß derer wenig / welche oben auf den Wall kamen / lebendig oder unverwundet umkehrten. Julius Florus ward auch selbst mit einem Spisse durchs dicke Bein gestochen und zum Fechten unfähig / Leuchtenburg der Führer der Vangionen aber gar getödtet. Nicht besser gieng es denen Hispaniern und Celtiberiern / welche / wie sehr sie sich vermassen auf diesem Tamme ihre Fahnen aufzustecken / ihnen auch die Köpffe gewaltig daran als einer steinernen Mauer zerstiessen / daß die meisten mit blutigen zurück kamen. Diesen folgten die Helvetier / Vindelicher und Rhetier; welche diesen Tamm gegen ihren hohen Gebürgen nicht für einen Maulwurffs-Hauffen gelten lassen wolten / und dessen Eroberung für eine Kurtzweil hielten;[1223] sie wurden aber gewahr: daß sie an Angrivariern Leute fanden / derer Brust selber unbeweglichen Steinfelsen zu vergleichen war. Weil aber ein Sturm nach dem andern so geschwinde folgte: daß sie kaum Athem schöpffen konten / liessen sie vom Feldherrn Hülffe bitten / welcher auch den Grafen von Schauenburg und Regenstein mit viertausend Cheruskern die Angrivarier ablösete; welche gleich zu rechte kamen / als Apronius mit der gantzen dreyzehenden Legion zu stürmen anfieng / und eine gantze Stunde damit anhielt; also / daß die ein wenig verblasenden Angrivarier den Cheruskern zu Hülffe kommen / ja als auch Silius mit der andern Legion zugleich einen Sturm anordnete / der Feldherr den Grafen von Löwenburg noch mit drey tausend Cheruskern zum Entsatz schicken muste. Wie hitzig nun gleich gefochten ward / und Germanicus endlich selbst seine Leibwache anlauffen ließ / und diese zwey Römischen Fahnen auf den Tamm aufzustecken die Ehre hatten / so bemächtigte sich doch Hallermund der einen / und Brederode der andern Fahn; die Römer musten auch mit Verlust vielen edlen Blutes die zwey erstiegenen Plätze wieder räumen. Germanicus sahe nun allererst mit Verdruß: daß den Deutschen bey gleichem Gefechte / weniger aber /wo sie einen solchen vortheilhafften Stand hätten /nichts abzuringen wäre. Daher muste er sich nicht schämen / so wol die Legionen als Hülffs-Völcker abzuführen; iedoch mit dem Vorsatze zu Abwischung der Schande den Ta zu erobern / es koste auch / was es wolle. Daher befahl er: daß an diesen Ort dreyhundert grosse Geschütze / alle Schleuderer und Schützen gebracht werden musten. Weil nun aus jenen unaufhörlich die grossen alle Pantzer und Harnische durchfahrende Pfeile / von diesen aber unzählbare Rohr-Pfeile abgeschossen und die Lufft von geschleuderten Steinen wie mit Schlossen erfüllet ward / dorffte sich kein Deutscher mehr auf dem Tamme sehen lassen /unterdessen musten die Gallier / Hispanier / Helvetier und Rhetier theils über die Berge / theils durch den Wald einen Weg machen / und die Cherusker zu Zertheilung ihres Volckes nöthigen. Weil nun die Angrivarier und Cherusker derogestalt von sich selbst den Tamm verlassen musten / gab es wenig Kunst selbigen zu behaupten. Gleichwohl wolte Germanicus mit seiner Leibwache die Ehre haben: daß er zum ersten solchen bestiegen und eingenommen hätte; daher sprach er ihnen aufs neue einen Muth zu / und sagte: biß hieher hätten sie mit ihrem Glücke uñ der Deutschen Göttern gefochten; nun aber würden sie mit seinem Glücke / und der Römer Göttern streiten. Auf diese solten sie sich verlassen. Denn wider diese könte die Tugend / ja das Verhängnüs selbst nichts ausrichten. Germanicus führte also die Leibwache selbst über den Tamm / welchem beyde Legionen und die Hülffsvölcker folgten. Die Deutschen stellten sich hinter dem Tamme / zwar in eine neue Schlacht-Ordnung; Alleine ob zwar die Geschütze dahin nicht mehr zielen konten / hatten doch die Schützen und Schleuderer die beste Gelegenheit von dem Tamme sie mit Pfeilen und Steinen zu ängstigen / und die Legionen sie gleichwol unbeschadet anzugreiffen. Diesem zweyfachen Sturme nun zu entgehen / war kein ander Mittel dar / als daß die sieben tausend Cherusker und dreytausend Angrivarier in Mangel des flachen Landes sich in Wald ziehen musten. Germanicus ermahnte alle bey sich habende Macht den Feind zu verfolgen / und diesen Tag dem Kriege mit Vertilgung der wilden Cherusker / welche nach abgeschnittenem Strome nunmehr nirgends hin entfliehen könten / dem Kriege ein Ende zu machen. Also drangen beyde Legionen / mit denen ausgelesenen des Germanicus / der Kayserlichen Leibwache und den Hülffs-Völckern in Wald nach / darinnen die nicht das dritte Theil so starcken Cherusker und Angrivarier einen schweren Stand hatten; weil sie[1224] wegen der Bäume ihr bestes Gewehre nemlich die langen Spiße und Schilde entweder schwer oder gar nicht / die Römer aber ihre kurtze Degen gegen die unverwahrten Glieder der Deutschen füglich brauchen und ihre rundten Schilde an die Brust andrücken konten. Uber diß waren beyde streitende Theile hier einander so nahe auf dem Halse / daß weder eines noch das andere weichen konte /sintemahl die Römer auf einer Seite vom Fluße / auf der andern von Bergen eingeschlossen waren / die Deutschen einen tieffen Sumpff am Rücken hatten /und in diesem Gedränge sich ihrer Geschwindigkeit im Anfalle und in der Wendung nicht bedienen konten. Nichts desto weniger wehrete ein ieder seinen Mann / und fiel keiner ungerochen; oder wenn es ja geschahe / waren ihnen die Römer nicht an Tugend /sondern an Geschickligkeit der Waffen überlegen. Centius und Cethegus rufften den Deutschen zu: Sie sähen ja / daß sie alle verlohren wären; also solten sie sich der Gnade des Germanicus untergeben und die Waffen niederlegen. Alleine auch die gemeinen Kriegs-Knechte antworteten ihnen: Ob sie nicht wüsten / daß die Waffen nicht weniger als die Hände selbst den Deutschen angewachsen / und ihnen erträglicher zu sterben wäre / als sich entwaffnen lassen. Sintemahl bey den Deutschen die mit den Waffen sich ergebenden nicht nur wie bey den Römern für unehrlich gehalten und nicht gelöset / sondern ihnen wie bey den Scythen die Hände als untüchtige Werckzeuge abgehauen würden. Germanicus zohe hierüber /um desto kenntlicher zu seyn / den Helm vom Haupte und ruffte: sie solten im Niedermachen der Feinde sich nichts irren lassen. Den Römern wäre mit so nackten und hartneckichten Gefangenen nichts gedienet; und dieser Krieg liesse sich nicht anders als durch gäntzliche Austilgung der Cherusker ausmachen. Der Feldherr war ihrentwegen sehr bekümmert; weil er diesen Bedrängten keine Hülffe leisten konte / in dem sie theils vom Feinde / theils durch den Sumpff von ihm abgeschnitten waren / und er wider die feindliche Reuterey und die andere und vierzehnde Legion auch alle Hände voll zu thun hatte. Auf der andern Seite des Römischen Einbruches hatte es sich anfangs ziemlich gefährlich angelassen / und der an die Spitze der schlimsten Orte sich stellende Ingviomer mit genauer Noth verhüten können: daß das Fußvolck der Bructerer von des Tubero Reuterey / und der nachdrückenden sechzehenden Legion nicht getrennet ward. Nach dem aber auf der einen Seite der Graf von Solms und Isenburg mit zweytausend Catten zu Fuße / welche aller Reuterey gewachsen seyn / auf der andern Hertzog Jubil mit tausend Hermunduren zu Pferde den Tubero angrieffen / und Ingviomer wie ein Blitz allenthalben dem feindlichen Einbruche begegnete / kriegte der Streit ein ander Gesichte / und das den Hertzog anfangs zu verlassen dräuende Glücke schien sich nun wieder mit seiner Tugend zu vermählen. Denn die Catten zwangen die Thracische und Mäsischen Reuter zu weichen / Tubero ward auch selbst vom Grafen von der Lippe verwundet / und weil noch tausend Cimbern zu Pferde dazu kamen /konte die Römische Reuterey nicht länger Stand halten / sondern muste sich wenden. Die sechzehende Legion drang zwar mit einer zugespitzten Schlacht-Ordnung herfür / aber die Bructerer / welche die Reuterey ausgethauert hatten / hielten es nur für Kurtzweil mit dem Fuß-Volcke zu treffen. In den Wäldern hatte der Graf von Teckelnburg mit seiner abgesessenen Reuterey zwischen einem Ausgange der Weser eine halbe Insel / der Graf von Kwerfurt aber in dem andern Walde einen Hügel eingenommen; daher jenem Centronius mit den Chauzen / Friesen / Tribochen /und der ersten Legion / diesem aber Vitellius mit den Galliern und vierzehenden Legion mehr keinen Abbruch thun konten. Cethegus hatte zwar[1225] die Sicambrer / Tencterer und Ubier über den Sumpff mit Reysichte einen Weg bähnen lassen / und wolte mit diesen Hülffs-Völckern und der fünfften Legion durch den Wald einbrechen / und die Bructerer auf der Seite antasten; aber er fand daselbst den Grafen von Gleichen mit tausend Hermunduren / den Graf von Barby und Schwartzenburg mit zwey tausend Langobarden / den Grafen von Holstein und die Ritter Buchwald und Blume mit tausend Cimbern in voller Bereitschafft; welche den Cethegus über Hals und Kopff zurücke /und grossen Theils in den Sumpff trieben. Hertzog Herrmann hatte inzwischen als ein seiner Jungen beraubter Löwe schäumende und verzweiffelnde / weil er seine im Walde umringte Cherusker / und Angrivarier nicht retten konte / die feindliche Reuterey mit allen Kräfften bestritten; und / nach dem Bojocal und Flavius auffs neue verwundet / die Hülffs-Völcker zu Pferde vom Waldeck in die Flucht gejagt waren / nun mehr nebst dem Grafen von Nassau / Ravenstein /und der Marck den Emilius und Pedo gezwungen hinter die ein und zwantzigste Legion zu weichen. Der Feldherr aber ließ den Grafen von Hohenloh und Delmenhorst auf diese vorbrechen / den Grafen von der Marck auf der Seite dem Centius einbrechen; er und Ravenstein aber verfolgten den Emilius und Pedo /ungeachtet er mit einem Pfeile in Arm verwundet war / und biß Geschoß in der Wunde muste stecken lassen. Emilius und Centius musten ihren Nothstand dem Germanicus in Wald zu wissen machen; allwo die Cherusker und Angrivarier / von denen aber Homburg / Hochstraten und viel tapfere Ritter mit der Helffte des Volckes geblieben waren / sich in den Sumpff zu verfügen waren genöthiget worden; darinnen sie zwar biß in Gürtel oder auch an die Achseln stunden / und mit ihren langen Spissen sich die darein nicht wagenden Römer vom Leibe hielten / viel aber der ihnen nachwatenden Helvetier erlegten. Ihr Glücke war: daß in diesem Sumpffe viel Bäume und Schilff stand / wormit sie für den Pfeilen der Bogenschützen verdeckt wurden. Denn sonst würde keiner entronnen / sondern alle im tiefferen Schlamme erstickt / oder ein Ziel und Kurtzweil der allerfurchtsamsten Feinde worden seyn. Germanicus hatte mit seiner Leibwache und der andern Legion sich nur gewendet / und die dreyzehende zu Verfolgung der Cherusker und Angrivarier / welche die Römer zur Nachwatung noch immer schimpflich ausforderten / befehlicht / als er vom Cäcina und Cethegus ebenfalls schlechte Zeitung ihres Zustandes halber bekam; daher muste er nur auch dem Apronius befehlen mit der dreyzehenden Legion abzuziehen. Germanicus traf die Römische Reuterey durchgehends zerstreut / und die ein und zwantzigste Legion in eben so schlechtem Zustande an: daß er sich gezwungen befand vom Treffen abblasen zu lassen / und sein Kriegsherr zusammen zu ziehen; weil doch / seinem Vorgeben nach /sie für diesen Tag sich an ihrer Feinde Blute genungsam gesättigt hätten / auch in diesen Sümpffen und Wäldern bey anbrechender Nacht wenig mehr auszurichten wäre / und die Feinde darinnen ersticken oder erhungern müsten. Weder der Feldherr noch Ingviomer hielten für rathsam sich aus ihrem Vortheil zu begeben / und die Römer zu verfolgen; sondern vergnügten sich: daß auch dißmahl weder die Macht noch die Arglist der Feinde ihrer hätte Meister werden können; ja auf Römischer Seiten ihrer ehe mehr / als auf deutscher erlegt worden wären; liessen also die Römer ihr Lager eine viertel Meile von dar unverhindert schlagen. Nach dem aber der Abgang am schwächern Theile alle Zeit sichtbarer als am stärckern ist /befand Ingviomer nunmehr mit dem Feldherrn für gut die zwey Eingänge ihres Lagers / nach dem Beyspiele der Angrivarier / mit einem zweyfachen Tamme und beyde[1226] mit einer Brustwehre / hinter welcher sie für allem Geschoß sicher stehen könten / zu befestigen; also daß wenn schon die Römer mit ihrem Geschütze den ersten wieder antasteten und eroberten / doch der andere ihren Sturm austauern könte. Uber diß schlugen sie auch über die Weser zwey Brücken / damit sie sich der Zufuhre und anderer Vortheile desto besser bedienen konten. Der Feldherr ließ abermahls an Versorgung der Verwundeten / an Beschenckung der tapferen nichts erwinden / und zohe in wenig Tagen vier tausend Cherusker an sich. Kurtz darauf kriegte er Nachricht: daß vier Meilen oberhalb des Lagers die zurückkommenden fünf tausend Longobarden über die Weser gegangen wären / welche sich folgenden Tag auch bey ihm im Lager einfanden. Germanicus kriegte nicht allein hiervon / sondern auch vom Aufstande der Angrivarier und Marsen / wie auch / daß Marbod sein Volck aus dem Gebiete der Hermundurer und Longobarden zurück gefordert hätte / die Catten aber in Gallien nach ihrem Willen hauseten / umständliche Nachricht; welches alles ihm nicht wenigen Kummer erweckte. Denn er sahe für Augen: daß die Sicambern / Chauzen und Friesen der Römer mehr /denn zu viel überdrüßig waren / und wenn sie ihre Füsse nur aus den Römischen Fesseln ziehen könten /sie die erste beste Gelegenheit nicht versäumen wür den. Worzu denn ein einiger glücklicher Streich / den die Deutschen ihm versätzten / genung seyn / und denen meisten die Larve vom Gesichte ziehen würde. Auf welchen Fall ihm der Rückweg schwerer als vor einem Jahre dem Cäcina fallen dörffte; welcher den Germanicus treulich warnigte / er möchte bey schon angehendem Herbste die Uberfarth nicht versäumen /sondern zum wenigsten wieder über die Weser gehen und an den Angrivariern ein Beyspiel andern unruhigen Völckern zur Lehre ausüben: daß die Römer mit ihnen nicht schertzen / und Aufrührer niemahls ungestrafft liessen. Germanicus ward froh: daß Cäcina /Silius / und andere Kriegs-Häupter zu dem riethen /was er zwar selbst fürs sicherste / aber ihm für verkleinerlich hielt / daß es von ihm herkommen solte. Er stifftete auch einige verträuliche Hauptleute an: daß das Kriegsvolck um eben diß bey ihren Befehlhabern Ansuchung that / weil Segesthes / Flavius und Bojocal / welche den Feldherrn mit allen Cheruskern in ihrer Einbildung schon verschlungen hatten / wider die vorhabende Rückkehrung aufs verkleinerlichste murreten. Diesem nach ließ Germanicus seine Legionen und alle Hülffs-Völcker um sich in einen Kreiß stellen / und redete sie an: den Göttern und euer Tugend habe ich zu dancken: daß ich in einem Sommer zwey grössere Siege wider die Deutschen erhalten /als sich Rom in funffzig Jahren über sie zu rühmen hat. Zwischen dem Rheine und der Elbe ist von allen unbändigen Völckern keines mehr übrig / das sich gegen euch im Felde zu stehen getraue. Alle hertzhaffte Cherusker / Bructerer / Chamaver und Angrivarier haben ins Graß gebissen; der Verzagten wenige Uberbleibung hat sich wie Frösche zwischen die Pfützen /oder wie Maulwürffe in Löcher versteckt. Diese muß die Zeit und der Hunger hervor locken; ihr aber seyd viel zu edel: daß ich euch wider Sümpffe und Hecken in Krieg führen / oder wie Hunde nach Dachsen in Löcher jagen solte / an welchen man ihm wol viel Ungemach / aber keine Ehre erholen kan. Nehmet euch der eitelen Reden nicht an: daß / so lange noch was im Kriege auszumachen übrig bliebe / nichts gethan wäre; und das nicht mit der Wurtzel ausgerottete Unkraut wieder käumte / ja für eines enthaupteten Deutschen Kopff wie an der grossen Wasser-Schlange des Hercules ihrer zwey an die Stelle wüchsen. Tapfere Leute müssen sich weder eitele Ehre / noch falsch eingebildete Schande zur Verwegenheit verleiten lassen. Der Tugend läst sichs leicht Mängel ausstellen / aber schwer einen[1227] Schandfleck anhencken. Es ist der gerädeste Weg zur Ehre / die Eitelkeit der Ehre verachten. Lasset sie unsere Vorsichtigkeit für Furcht / unser Behutsam gehen für Langsamkeit schelten; Es ist besser: daß uns ein kluger Feind fürchte / als ein thörichter Bürger lobe. Wenn wir uns an diesen Bäumen den Kopff zerstüssen / in diesen Pfützen zu tode mergelten / würde uns Herrmann mit Fug auslachen / welcher uns zeither gefürchtet hat / und bey unser Behutsamkeit alle Tage mehr fürchten wird. Lasset uns diesemnach für biß Jahr unserm Siege ein Ziel stecken /uns die Vernunfft leiten / nicht aber das Glücke verleiten / noch künftige Gelegenheit den Krieg auszumachen versäumen. Es ist besser mit sicherer Langsamkeit / durch welche Fabius das verlohrne Rom wieder zu Stande gebracht / bey welcher Hannibal alle seine Feinde gefähret hat / und niemahls betrogen worden ist / über einem Wercke zwey / als mit blinder Ubereilung einen Tag zubringen / und alles nach Klugheit / welche immer und allenthalben die beste Richtschnur ist / und ewig seyn wird / abmässen; nichts aber von dem blossen Ausschlage urtheilen /welcher der Narren Lehrmeister ist / und insgemein anders fällt / als es ihnen die vorsichtigsten hätten träumen lassen. Mit einem Worte: Lasset uns biß zum Früh-Jahre zu unser gedeylichern Verpflegung an Rhein zurücke kehren / und nicht so wohl den Feind als euer Gelücke Lufft schöpffen. Glaubet aber: daß die Cherusker und Bructerer schon überwunden sind /wo wir durch Mäßigung unser Sieges-Begierde uns für dißmahl zu überwinden wissen. Das gantze Römische Heer billigte mit Zusammenstossung der Waffen die vorgeschlagene Rückkehrung; weil sie ohne diß gantz abgeschlagen und entkräfftet / auch länger im Felde zu stehen nicht fähig waren. Ungeachtet nun ihr voriges Sieges-Maal nicht drey Tage gestanden hatte /und Germanicus ihm vom künfftigen kein beständiger Glücke einbilden konte / so meinte er doch seinen Sieg durch ein neues in der Welt groß zu machen. Daher ließ er auf dem höchsten Hügel selbiger Gegend alle Waffen der Deutschen / so viel derer noch könten zusammen gelesen werden / über einen Hauffen tragen / einen Stein aufrichten und in selbigen diese mehr Hoffart als Wahrheit in sich haltende Worte eingraben: Das Kriegs-Herr des Kaysers Tiberius hat nach Uberwindung aller zwischen dem Rheine und der Elbe wohnender Völcker dieses Gedächtnüs-Maal dem Kriegs-Gotte / dem Jupiter und August gewiedmet. Von sich wagte sich Germanicus nichts beyzusätzen entweder aus eigener Gemüthsmäßigung / weil er sich bescheidete: daß man alle tapfere Thaten seinem Fürsten als der ersten Bewegung im Reiche zuzueignen schuldig wäre; oder aus Beysorge beym argwöhnischen Tiberius in unausleschlichen Neid zu verfallen. Sintemahl die Tugend des Gehorsams / die Mäßigung des Eigenruhmes die einigen Mittel sind dem Hasse zu entfliehen / und doch des Ruhmes nicht zu entpehren / welcher ins gemein wie besessene Schätze vergebens gesucht wird. Denn ausser dem sind grosser Leute Verdienste ihnen ehe ein Fallbret / als eine Ehren-Leiter. Denn bey bürgerlicher Herrschafft geräthet er alsbald in Verdacht: daß wie er allen an Tugend überlegen ist / er auch über alle zu herrschen verlange. Welch Mißtrauen die tapfersten Leute in Grund gestürtzet / und verursacht hat: daß ihrer viel die Segel ihres Glückes einziehen; Conon in Cypern / Iphicrates in Thracien / Timotheus auf Lesbos / als gemeine Bürger leben / Chabrias sein Vaterland Athen / und Xanthippus das durch seine Siege erhaltene Carthago verlassen müssen. Fürsten aber haben ihr Auge nicht so wohl auf das Aufnehmen ihrer Herrschafft / als sie Unmuth schöpffen: daß iemand anders als sie was grosses zu thun fähig sey. Sie bilden[1228] ihnen ein: daß alle ihre / sie aber niemandens Schuldner seyn; oder wenn sie sich einer Verbindligkeit überzeugt wissen / können sie denselben nicht lieben; wenn er aber durch Ruhmräthigkeit ihnen ihre Schuld fürrückt / hören sie nicht auf ihn zu hassen / als biß er gar zu seyn aufhöret. Also glückt es dem hundersten nicht / der gleich eine freye Zunge /ein unverzagtes Hertze und eine unüberwindliche Standhafftigkeit hat: daß er den Neid mit Füssen treten / und durch seine Tugend alles Mißtrauen wie die Sonne den Nebel niederschlagen könne. Germanicus traute ihm diß nicht zu / ob er schon von so hohem Geblüte von so grossen Verdiensten war / und acht Legionen sich wider Haß und Neid zu schützen in Händen hatte; iedoch halff ihn auch seine Bescheidenheit nicht: daß Tiberius selbte für blosse Künste seine Herrsch- und Ehrsucht zu verdecken aufnahm / und ihn so viel mehr verdächtig hielt / ie weniger er sich verdächtig machte; zumahl da das Römische Volck den Germanicus über alle vorige Helden erhob / und durch seine Erhöhung den Tiberius gleichsam verkleinerte. Germanicus brach also auf / und ließ durch die Reuterey alle Scheuern und Mühlen anzünden / alles Acker- und Wirthschafftszeug zernichten. Dieses war dem Feldherrn eine so freudige als dem Landmanne eine traurige Zeitung. Er tröstete aber diese damit; daß diese Verheerung eine unfehlbare Wahrsagung des Römischen Abzugs wäre. Sintemahl kluge Feinde darinnen ihre Verbitterung mässigten: daß sie der Ackerleute und des feindlichen Landes schonten und nur wider die Gewaffneten ihren Zorn ausschütteten. Massen der Feind / so lange er noch was zu verlieren hat /gegen uns furchtsam verfähret / nach dem aber alles verlohren / sein Leben wenig mehr achtet und desto verzweiffelter sicht. Hingegen gewinne man durch Verschonung des Landes den Ruhm der Gelindigkeit /und daß man das eingenommene zu behaupten getraue / bey dessen Verwüstung man selbst nicht lange in des Feindes Lande stehen könte. Diese Muthmassung traf auch richtig ein. Denn Germanicus gieng geraden Weges über seine erste Brücken zurück über die Weser; weil aber Bojocal ihm beweglich anlag: er möchte doch seine aufrührische Unterthanen wieder zum Gehorsam bringen; gab er ihm den Stertinius mit aller Reuterey / nebst der andern und dreyzehnden Legion unter dem Silius zu / welche ohne diß zu Lande an den Rhein zurück kehren solten. Die Deutschen entrüsteten sich über diesem / wiewol viel ruhmräthigerm Sieges-Maale sich so sehr nicht / als über dem erstern; sondern machten nur ein Gelächter daraus; gleich als wenn Germanicus seine und der Römer Schwachheit durch nichts mehr als durch solche Gedächtnüsmaale / welche nicht das Alter dreyer Tage erreichten / hätte verrathen können. Sie trieben daher mit selbtem allerhand Spott / und liessen es eine zeitlang stehen: daß sie es als ein Denckmaal der Römischen Eitelkeit denen Ausländern zeigen konten. Die Römischen Gefangenen musten darbey am meisten leiden / welche von den Deutschen ermahnet wurden: Sie solten doch den Germanicus zurück ruffen und erinnern: daß er sein auf das Melibockische Gebürge gelobtes Siegesmaal aufzurichten nicht vergessen solte. Andere maaßen dem Germanicus bey: daß er mit den Cheruskern nicht ehe / als an der Elbe vom Friede zu handeln sich hätte verlauten lassen / fragten also: ob er vom Craßus oder denen Etoliern diese Großsprecherey gelernet hätte? indem jener denen Parthischen Gesandten die Ursache des Krieges aller erst zu Selevcia eröffnen / diese dem Flaminius an der Tyber hätten antworten wollen.

Ehe der Feldherr nun gewisse Nachricht / wo Germanicus sich eigentlich hingewendet hätte / erreichte /und über die Weser kommen konte / war Silius und Stertinius schon in dem Gebiete der Angrivarier; und Germanicus hatte gegen der Emß einen solchen Vorsprung: daß ihn einzuholen weder möglich noch sicher war. Bojocal traff in seinem[1229] Lande fast keinen streitbaren Mann / sondern nur Weiber und Kinder an. Denn das Geschrey von der Römer Ankunfft hatte gemacht: daß alles / was fliehen können / sich gegen der Lippe auf und davon gemacht hatte. Dahero dorffte es gegen diese unbewehrte Uberbleibung keines Schwerdt-Streiches / sondern alles demüthigte sich unter die Füsse der Römer und Bojocals; welcher aber wegen verlautender Nachfolge des deutschen Heeres sich in seinem eigenen Lande nicht sicher schätzte /sondern mit dem Silius an Rhein zoh. Germanicus zohe mit seinen sechs Legionen und denen übrigen Hülffs-Völckern an der Emße hinab / auf welcher ihm die kleinen Schiffe entgegen kamen. Als er nun mit dem Flavius / Segesthes und andern Kriegs-Häuptern am Ufer mit Einladung des Kriegs-Volckes beschäfftiget war / kam ein kleines Schiff mit einem weißen Segel die Weser herab gefahren. Die Boots-Leute waren zwey Weiber; in der Mitte saß eine betagte Frau in einem schneeweißen Kleide / welches um den Leib mit einem messenen Gürtel zusammen gefast /das graue Haar aber zerstreuet / und ihre Füsse nackt waren. In der rechten Hand hielt sie ein Messer / in der lincken einen Ertztenen Ring. So bald die Chauzen und andere Deutschen ihr gewahr wurden / neigten sie sich gegen selbter an dem Ufer mit grosser Demuth und Ehrerbietung; an welches sie auch nicht weit vom Germanicus anlendete und ausstieg. Die Römer selbst / als sie höreten: daß diß eine Alironische Priesterin und Wahrsagerin wäre / bezeugten sich ihrer Gewohnheit nach gegen sie nicht anders /als gegen die Vestalischen Jungfrauen. Weil sie nun nach dem Fürsten Flavius fragte / ward sie zu ihm gewiesen / und alles Kriegs-Volck wiech ihr mit dem schweresten Geräthe aus dem Wege. Germanicus und Flavius machten hierüber grosse Augen; als sie aber etwan auf zwölff Schritte sich näherte / erkennte sie Flavius für seine Mutter Asblaste. Daher er sie zu umarmen begierig ihr entgegen lieff; sie aber hielt mit ausgestrecktem Arme und Messer ihn vom Leibe. Flavius fieng hierüber an: Erkennet sie nicht / liebste Mutter / ihren Flavius? Asblaste aber fiel ein: Ich sehe weder den Flavius / noch meinen Sohn. Denn mein Flavius hatte zwey Augen / du aber nur eines; oder / wo ich nach deinem Thun urtheilen soll / gar keines. Denn wie kan dieser sehen / der in sein Unglück und Verterben spornstreiches rennet? Ich befinde mich / wo ich nicht irre / hier in einem feindlichen Lager; wie solte ich mir denn einbilden meinen Sohn zu finden / wo Waffen und Verstand auf Deutschlandes Untergang geschärfft werden? Die den Eltern schuldige Ehrerbietung wird zwar der Pflicht gegen GOtt gleiche geschätzt / aber doch der Liebe gegen das Vaterland zu Füssen gelegt. Da diese nur hier keinen Stand hat / wie solte ich denn ein Kind hier suchen? Ehrliche Leute können bey fallendem Vaterlande nicht stehen bleiben / sondern suchen in desselben Asche ihr Begräbnüs; wie solte denn mein Sohn in diesem Schlangen-Neste / wo man nur Gifft und Galle wider die Cherusker kochet / seinen Aufenthalt finden? Liebste Frau Mutter / brach Flavius ein / sie enteussere sich doch nicht der Eigenschafft eines gerechten Richters: daß sie mich nemlich ehe höre / als verdamme. Sie verbanne mich nicht aus ihren Augen; sie verschlüsse dem nicht die holdseligen Mutter-Armen / der so lange unter ihrem Hertzen und in ihren Eingeweyden verschlossen gewest ist. Hiermit näherte er sich ihr abermahls / sie aber hielt wiederum das Meser für und fieng an: Ich kan mich ehe nicht anrühren / weniger umarmen lassen / ehe ich weiß: ob ich zum Feinde oder zu meinem Sohne kommen sey; ob ich von einer Schlange oder von einem Kinde umfasset werde. Was zweifele ich aber an dem / was mir dieser rauschende Fluß / die rasselnden Blätter dieser[1230] Bäume ins Ohr sagen: daß Flavius den Degen wider seine Mutter / seinem Bruder / und wider sein Vaterland gezückt habe. Wie bin ich doch zu allem Unglücke so altworden: daß ich eine Mutter dessen würde / welcher Deutschland / und dieses ihn für Feind erkläret hat! Wie kanstu es übers Hertze bringẽ der Erde beschwerlich zu seyn / die dich gezeuget und genähret hat? hat dir das Hertze nicht geklopffet / als du den Römischen Adlern den Weg über diesen Fluß gewiesen; daß sie dein Vaterland zerfleischen / und an Deutschlande als an einem Aste nagen könten? O wie glücklich wäre Asblaste / wenn sie nie oder zum andern mahl nicht gebohren hätte! Denn so wäre ich ja keine Natter-Mutter; und die Weser schmachtete nicht unter dem Joche der Römer. Hätte ich nur einen /nicht zwey Söhne / so hätte Deutschland wohl einen Beschirmer aber keinen Todfeind seiner Freyheit. Die Nachwelt wird mich für ein Wunderwerck und für ein Ungeheuer unter den Müttern halten: daß ich am Hermann so gar was gutes und mit dem Flavius so gar was böses ans Licht gebracht. Man wird meinen Leib einer trächtigen Wolcke vergleichen / welche nicht weniger kalten Hagel als brennenden Blitz gebieret. Wie viel scheltbarer bin ich / als Hecuba / welche zwar an Paris eine ihr Ilium anzündende Fackel gebohren hat. Denn ihr Sohn hat nie / wie meiner / wie der / sondern fürs Vaterland gefochten. Jedoch trage ich hieran keine Schuld. In meinen Adern hat niemals was knechtisches / in meinem Hertzen nichts falsches gesteckt. Ich muß gedencken: daß offt aus einem Stamme so viel gemeines / als köstliches Aloe- oder Adler-Holtz wachse. Flavius aber kan sich mit nichts als mit der Hefftigkeit seiner Herrschens-Begierde entschuldigen. Deutschland schlägt über ihn die Hände für Jammer zusammen / und rechnet ihm zu: daß den Müttern aus der Schoos ihre Kinder / den Männern ihre Weiber von der Seite / denen Jungfrauen die Keuschheit aus dem Hertzen gerissen / die Länder beraubet / die Häuser verwüstet / die Heiligthümer eingeäschert / die Flüsse mit Menschen-Blute besudelt / und durch den Muthwillen der Feinde alles mit Leichen / Leid und Mord erfüllet worden. Alle diese Greuel rühren vom Flavius / Flavius aber von mir her. Warlich! die heilige Asche deiner fürs Vaterland erblichenen Ahnen wird durch dein Laster beunruhigt / und ihr Gedächtnüs durch deine Schande verunehret. Wie glückselig wärest du / wenn du weniger edel wärest! denn hoher Stand erhöhet wie ein Firnis eben so wol diß / was heßlich / als was schön ist. Wie glückselig aber wäre ich bey diesem eussersten Unglücke! wenn dieses Messer heute den Flavius Deutschlande zu einem Reinigungs-Opffer abschlachten / mit seinem Blute diesen beleidigten Strom versöhnen / und den Greuel des Cheruskischen Hauses ins Meer schwemmen könte! Alleine der Tod ist vielmehr alles Ungemachs Ende als eine Straffe der Boßheit; und diß mein Vorhaben keine sattsam scharffe Seiffe diese Schmach von Deutschen abzuwaschen. Manlius Torqvatus tödtete seinen Sohn: daß er wider Befehl fürs Vaterland tapfer und glücklich gefochten hatte. Muste dieser nun wegen seiner unzeitigen Tugend sterben / was hat Flavius wegen seines grausamen Lasters zu leiden? Scaurus wünschte seines Sohnes Leiche und Beine auf der Walstatt zu zertreten; aber der Flüchtige dorffte ihm nicht unter die Augen kommen. Wie erkühnest denn du Flavius dich mit deinen besudelten Händen mir unters Gesichte zu kommen? Meinestu: es lebe in Deutschland kein Junius Brutus / kein Aulus Fulvius / der seinen wider die Freyheit des Vaterlandes kämpfenden Sohn abzuschlachten übers Hertz bringen könne? Lebet aber kein solcher Vater / so lebet doch eine solche Mutter. Mit diesen Worten sprang Asblaste wie ein Blitz auf den Flavius zu; gab ihm auch einen[1231] Stich in die rechte Brust / hätte derer ihm auch noch mehr versätzt /wenn nicht die nechsten Römer dazwischen gesprungen / und Flavius auf die Seite gebracht worden wäre. Asblaste drehete hiermit gegen dem Ufer umb / trat in ihr Schiff und fuhr die Weser hinauf / ohne daß ein einiger Mensch ihr das wenigste in Weg legte / oder sie deßwegen rechtfertigte; entweder weil iederman über dieser That erstarrte / oder Asblaste etwas übermenschliches an sich hatte / welches auch den keckesten verbot an eine so heilige Frau die Hand zu legen. Nach vergangener Entstaunung fragte ein ieder den andern und Germanicus selbst: warum sie niemand aufgehalten hätte? Etliche hielten es für eine Zauberung; Flavius aber / welcher wegen des auf eine Rippe getroffenen und seitwerts abgeglittenen Stiches nicht gefährlich verwundet war / erkennte nach seiner Verbind- und Erholung: daß der Finger Gottes mit im Spiele gewest wäre. Wie ihm deñ dieser Stich / noch mehr aber seiner Mutter Worte so tieff waren zu Gemüthe gestiegen: daß ihn nach der Zeit niemand lachen sah / und er sich durch kein Mittel von seiner Schwermuth auswickeln konte.

Germanicus ward über dieser Begebnüs nicht wenig bestürtzt / sonderlich / da ihm ein Römischer Hauptmann berichtete: daß Asblaste bey ihrem Abschiede sich gegen das Ufer gewendet / und sie angeredet hätte: ziehet nun i er hin / ihr Römer! ihr werdet des Wiederko ens wol vergessen! denn dieser erzürnte Fluß wird alle sein Wasser in Schiffbruchs-Wellen verwandeln / und eure Schiffe wie dieser kleine Wirbel den Schaum umdrehen. Gleichwol aber ließ sich Germanicus nicht irren / das Volck auf die Schiffe zu bringen; entweder weil man die Schickungen des Verhängnüßes / wenn selbte gleich einem vorher gesagt werden / nicht verhüten kan; oder weil Germanicus sich auf sein Glücke verließ und die Wahrsagungen als gegen ihn unvermögend / oder gar als eitel verachtete; ungeachtet der aufgehende Mohnde ziemlich dicke Hörner hatte / viel Sterne fielen / die Meerschweine auf der See schertzten / und andere Zeichen des Ungewitters sich ereigneten. Uber dieses hielt ein Chauzischer Edelmann dem Germanicus ein: daß in denen Nordländern gewisse Menschen Sturm zu erregen und Wetter zu machen wüsten; daher auch nichts seltzames wäre; daß die zu Schiffe gehenden den Wind auf gewisse Zeit zu kauffen pflegten. Germanicus aber gab ein Lachen darein / und sagte: er wäre kein verzagter Xerxes / dessen gantzes Kriegs-Heer ein über den Weg gelauffener Hase / welcher doch das furchtsamste Thier in der Welt seyn solte / so erschreckt hätte: daß er seinen Zug zu ändern wäre veranlast worden. Nichts desto weniger nahm sich selbst Cäcina dieses Dinges an / und rieth die Schiffarth etliche Tage zu verschüben; weil gleichwol der Mensch als ein Begrieff der grossen Welt alle ihre Kräfften /und derogestalt der Steine / Kräuter und anderer Geschöpfte / also mehr / als man sich ins gemein von ihm einbildete / in sich hätte. Könte nun ein Basiliske mit seinem Ansehn tödten / ein triefäugendes Weib mit ihrem Ansehen versehren / ein Jäger durch seinen Anblick machen: daß die Falcken aus der obersten Lufft zur Erde fallen müsten / warum solte es unmöglich seyn durch zauberische Künste die See zu beunruhigen? da Nectanebus in einem Becken durch Uberstürtzung wächsener Bilder eine grosse Kriegs-Flotte zu Grunde gerichtet hätte. Die der Vernunfft zu wider lauffende Eitelkeiten wären zwar nicht knechtisch zu fürchten / aber auch nicht liederlich in Wind zu schlagen. Hätte doch der kluge August ihm daraus eine böse Wahrsagung gemacht: daß ihm der lincke Schuch zum ersten wäre angezogen worden. Germanicus aber hatte allzuviel Geist: daß er sich hierdurch an seinem Vorhaben hätte sollen irren lassen / sondern er segelte bey gutem Wetter und gewünschtem Winde aus der Emße ins Meer. Es war eine Lust zu sehen /wie mehr als tausend Schiffe solches gleichsam in eine bewohnte Stadt verwandelten. Es schäumete[1232] gleichsam von eitel Perlen und Silber / welche durch die unzählbare Ruder und durch so viel die Fluth durchschneidende Schiffe aus ihrem zertheilten Wasser-Schatze darüber gestreut wurden. Die einfallende Nacht stellte denen Schiffenden einen zweyfachen Hi el für Augen; weil sie über ihnen keinen Stern zu Gesichte bekamen / der ihnen nicht in der blauen See durch einen annehmlichen Gegenschein als in einem Spiegel in die Augen fiel. Die Schiffleute spotteten derer / welche auf Asblastens Dreuungen das geringste Absehen gesätzt hatten / uñ waren so sehr von Hofnung bald die Farth des Drusus zu erreichen / als die Segel von Winde angestüllet. Die Mitternacht aber unterscheidete nicht weniger das gute und böse Wetter / als das Ziel des einen und andern Tages. Denn es zohe sich aus Norden anfangs eine kleine /hernach rings umher viel schwartze Wölckẽ empor /welche anfangs durch Verhüllung des Gestirns den Augen das schöne Ansehen / der Nacht ihr Licht / und den Schiffen ihre gerade Farth benahmen / die Ohren aber theils durch der fallenden Schlossen / theils durch das Brausen der schäumenden Wellen erschreckten. Die Bootsleute musten über Hals und Kopf die Segel abfallen / und weil weder die Ancker hafften wolten / noch in dieser blinden Farth die Steuer-Ruder zu brauchen waren / dem Winde und Wellen den freyen Willen lassen. Hi el und Meer fiengen gleichsam mit einander einen Streit an / wer unter ihnen mehr Gewalt hätte. Deñ jener vermischte Hagel und Platzregen mit einander; die berstenden Wolcken speyten Blitz und flüssendes Feuer von sich; das Meer aber dreute mit seinen Wellen nicht nur die Schiffe zu zerschmettern / sondern auch ihre Fluth entweder mit dem überirrdischen Wasser zu vermengen / oder die hi lischen Lichter anzuleschen. Die Kriegsleute zitterten und bebten nicht nur weil sie des Meeres und Sturmes ungewohnet waren / sondern auch denen verwegensten Schiffleuten die Furcht des Todes an ihrer Verblassung ansahen. Ihr Vorwitz oder vielmehr die Begierde zu leben veranlaßte sie zu einer unzeitigen Dienstfertigkeit; indem ieder denen ermüdeten Bootsleuten zu helffen eilte / solche aber nur mehr in ihrer klugen Anstalt hinderte. Die Winde selber stritten gleichsam mit einander / welcher unter ihnen die Macht der in diesem Meere schiffenden Stadt Rom zerdrümmern solte. Anfangs trieb ein Ostwind sie gegen Britannien / hernach schlug sie ein West wieder zurück und in höchste Gefahr auf denen für dem Chauzischen Ufer liegenden Eylanden zu stranden. Endlich aber kriegte ein Sud-Ostwind die Oberhand; welcher den aus Deutschlands Ströhmen abschüssenden Wasser-Vorrath so wol als das mit dem Tage viel grausame Gestalten vorbildende Gewölcke gegen der alles in Eiß verwandelnden Mitternacht verjagte. Hierdurch wurdẽ so viel Schiffe wie die Spreu durch den Wind von einander in das ungeheure Meer zerstreuet. Etliche wurden an den Steinfelsen der Orcadischen Eylande zerschmettert; etliche strandeten an seuchten Ufern / wo Fluth und Sturm sie die eingeworffenen Ancker zu heben nöthigten. Die See beschwerte mit ihrem in die Schiffe gespieleten /oder durch die Ritze eindringenden Wasser die Flotte so sehr: daß sie alles zum Unterhalte aufgeladene Vieh / die edelsten Chauzischen und Africanischen Pferde / das kostbarste Geräthe und endlich die besten Waffen zu Erleichterung der sinckenden Schiffe über Boort werffen musten. Aller dieser Verlust war denen Römern nicht schwer / weil sie sich selbst für verlohren hielten. Die Todes-Angst verstopffte ihren Augen alle Vorschüssung der Thränen; und die / welche gleich vorhin auf dem Mittelländischen Meere Ungewitter ausgestanden hatten / hielten alles vorige für Spielwerck. So viel grösser das Welt-Meer gegen diesem / und die deutsche Lufft gegen der Römischen rauer ist / so viel schrecklicher war ihrer Einbildung nach auch allhier das Ungewitter / als an einigem andern Orte der Welt. Auf einer Seite fürchteten sie sich an ein feindliches[1233] Ufer der beleidigten Deutschen angetrieben / an der andern aber in das Nord-Meer / dessen Ende noch niemand besegelt hätte / verschlagen zu werden. Das Schrecken aber sättigte nicht den Grimm der Winde und des Wassers / sondern viel Schiffe wurden vom grossen Wirbel in Norden verschlungen / andere vom Eise zerstossen / nicht wenig an unbewohnte Küsten getrieben / wo der Hunger die von Wellen verschonten ausser wenigen verzehrete /welchen das Fleisch der angespieleten Pferde noch zu statten kam; ungeachtet wenig Schiffe waren / darauf die Römer nicht dem Neptun einen schwartzen Ochsen zum Opffer geschlachtet / das Blut mit Wein vermischt / und mit den Stücken des Thieres ins Meer gestürtzt hatten. Gleich als wenn dieses weniger als das Verhängnüs erbittlich wäre / und weder Ohren noch Mitleiden hätte. Germanicus hatte in seinem Gemüthe mehr / als auf seinem Schiffe Sturm auszustehen. Anfangs ließ er zwar nichts weniger als einige Furcht von sich blicken / sagte auch dem erblasten Schiffer: Er solte nicht verzagen / denn er führte den Germanicus. Das Ungewitter aber erhärtete durch siebentägichte Hartneckigkeit: daß die gröste Tugend für den Dreuungen der Natur in die Länge ohne Entsetzung auszutauren nicht vermöchte. Weil er nun alles für verlohren hielt / die zur vermeinten Versöhnung des Meeres darein geschmissene güldenen Ringe und Schalen auch nichts fruchteten / hatte er für nichts auch für sich selbst mehr keine Sorge / und sein verzweiffelnder Schiffer stellte ihr Verhängnüs Wind und Wellen heim / und die Boots-Leute bekümmerten sich so wenig um Ancker und Segel / als der Steuermann umb die gemeine Wolfarth. Alleine bey dieser allgemeinen Verzweiffelung hatte doch das Verhängnüs nicht des Germanicus vergessen; dessen Schiff den achten Tag an eine der Chauzischen Eylande angetrieben ward. Aber hiermit hatte der Sturm in seinem Gemüthe noch kein Ende; sondern / wie er sechs Tage nach einander als der Ursacher dieses unverwindlichen Verlustes vom Meere verschlungen zu werden wünschte / und als ein von den erzürnten Göttern verlangtes Söhn-Opffer über Bort zu werffen verlangte; ja sich mit Gewalt für der andern Erhaltung zur Besänfftigung der erzürnten Wellen ins Wasser stürtzen wolte; also konten ihn auch auf diesem Eylande Cäcina und andere Freunde mit grosser Wachsamkeit hiervon kaum zurück halten / und die verzweiffelten Entschlüssungen ausredẽ. Sintemal er anfangs nicht vom Schiffe / hernach nicht vom Stande zu bringen war / an dem er gleichsam wütende herum lieff / nach seinen verwahrlosten Legionen fragte / und durchaus kein übrig bleibender Bote und Ankündiger ihres Schiffbruchs seyn wolte. Er gab auch weder seiner Vernunfft Raum noch iemanden Gehöre / biß bey sich legendem Winde und Meere etliche von Chauzischen / Friesischen und Batavischen Bootsleuten versorgten Schiffe an der Emße ankamen / welche zwar fast alle zerbrochene Maste / zerdrümmerte Ruder / durchlöcherte Dielen / auch weder Kiel noch Segel hatten; also daß die Schiffenden statt dieser ihre zusammen geflickte Hembder hatten ausspannen / und die stärckern Schiffe die schadhafften hinter sich an Seilen nachschleppen müssen. Dieser Anblick richtete den Germanicus ein wenig wieder auf / weil er sahe: daß nicht alles verlohren war. Nach dem er auch dem nunmehr stillen Meere ein wildes Schwein und schwartzes Lamm geopffert hatte / nahm er seine Besatzung aus Amisia / welche ohne diß verlohren gewest wäre /um den Hertzog Ganasch zu gewinnen: daß er zu schleuniger Ausbesserung der Redelosen Schiffe ihm Zimmerleute / Holtz / Eisen und Hanff / auch etliche Chauzische von Wieten zusammen geflochtene und mit Leder überzogene Schiffe hergab / welche in dem Meere kreutzten / und aus denen Eylanden und Ufern die dem Schiffbruche noch entkommenen[1234] Römer zusammen lesen möchten. Diese traffen an denen felsichten Eylande Austrania und Actania / auf welchem der so geneñte keusche Lustwald gelegen war / und von denen ewige Keuschheit gelobenden und ihn bewohnenden Jungfrauen den Nahmen hatte / wie auch an dem gantzen Cimbrischen Gestade viel halb und gantz zerbrochene oder beschädigte Schiffe und etliche tausend gestrandete Römer an; Alleine die Befehlhaber an selbigen Orten des Cimbrischen Königes Frotho weigerten sich weder Schiffe / Gut noch Menschen abfolgen zu lassen / theils wegen habenden Strandrechtes / welches dem Könige alles durch Schiffbruch ans Ufer getriebene zueignete / theils weil kein Volck dieses den Cimbern eigenthümlich zustehende Meer zu beschiffen berechtiget wäre; dahero sie so gar diese dahin geschickten Schiffe aufhalten wolten. Die Römer wendeten hierwieder ein: daß das angezogene Standrecht ein der Natur und gesunder Vernunfft wiederstrebendes Unrecht / ja unmenschlich wäre / denen in so kläglichen Zustand verfallenden Menschen noch mehr Leid anthun / aus frembdem Unglücke Wucher suchen / und sie dessen berauben /was ihnen die Grausamkeit des Meeres und der Winde übrig gelassen hätte. Es wäre biß noch viel ärger / als wenn man einem abgebrennten sein noch aus der Flamme errettetes Gut zu stehlen erlaubte. So könten ja auch die Cimbern ihnen die Beschiffung dieses grossen Welt-Meeres nicht verwehren / weil dieses ja allen Völckern gemein / also keines Königes Eigenthum wäre / und den Cimbern durch der Römer Schiffarth der wenigste Eintrag oder Schaden geschehe. Der in der Römer Segel blasende Wind entgienge den Cimbrischen nicht. Die von ihren Schiffen im Wasser gemachten Furchen ergäntzte Augenblicks die Fluth / und machte denen folgenden die Farth nicht schwerer; weniger benehme die schlechte Durchreise dem dritten sein daran habendes Recht. Uber diß rühmten sich auch die Cimbern der Römer Freunde /nach dem König Frotho mit dem Kayser August sich durch eine Bothschafft absonderlich verbunden hätte. Die Cimbern aber blieben auf ihrer Meinung / und berufften sich auf den durchdringenden Gebrauch des Strandrechtes; als welches bey allen oder den meisten See-Völckern üblich wäre / und von iedem / der zu Schiffe gienge / stillschweigend gebilliget und angenommen würde. Also wäre genung: daß biß in Norden ein gemeines Gesätze wäre / welches befolget /nicht aber in Streit und Rechtfertigung gezogen werden könte. Wüsten doch auch die Römer nicht von allem Rechenschafft zu geben / was ihre Vorfahren gesätzt hätten. Ja wenn der eusserliche Schein der Unbilligkeit oder Grausamkeit die Rechte übern Hauffen werffen solte / würden viel Römische Gesätze verwerfflich seyn. Denn was könte grausamer seyn / als daß / wenn in einem Hause ein Herr umkommen / alle darinnen gewesene wiewol gantz unschuldige Knechte sterben müssen? Was ist schrecklicher: als daß wegen Verrätherey des Vaters auch die Kinder hingerichtet /oder doch in einen solchen Stand versätzt werden /daß das Leben ihnen eine Pein / der Tod ihr Labsaal sey? und daß in denen Gesätzen der zwölff Taffeln denen Gläubigern verstattet ist ihren Schuldner in Stücke zu zerhauen / und mit seinem Fleische sich an statt des mangelnden Geldes bezahlt zu machen? Was wäre unbilliger / als daß bey den Römern schlechte Verbrechen ohne Handschlag oder feyerliche Frage und Antwort nicht verbindlich / denen handelnden einander unter der Helffte des wahren Preißes zu betrügen zuläßlich / die Meineyde unsträflich wären? Was könte ärgerlicher seyn / als daß die Römischen Gesätze die Hurerey / und aus Verunehrung des Leibes Wucher zu erheben / sein Eheweib ohne Ursache zu verstossen verstatteten? Wie könten dann die Römer über die Cimbrischen Gesätze so scharffe Richter oder Ausleger abgeben? Verhiengen sie doch[1235] ihren Kaysern das Recht nicht nur den Bürgern ihre Gründe ohne Geld / ja ihre noch schwangere Weiber wegzunehmen. Wie vielen Völckern hätten sie ohne Recht grosse Länder und nun bey nahe die halbe Welt weggeno en; Was tadelten sie denn der Cimbern Strand-Recht? welches gegen der eingebildeten Welt-Herrschafft der Römer kaum einen Sonnen-Staub Unbilligkeit in sich hätte; und mit dem gemeinen Heile /worzu sie die Einkünffte von Schiffbrüchen verwendeten / ausgegleicht würde? Ubrigens rühmten sich die Römer zwar der Cimbern Freunde / und Frotho hätte ihnen auch nie nichts in Weg gelegt / ungeachtet die mit dem Kayser August gemachte Freundschafft durch seinen Tod verloschen wäre. Die Römer aber kämen durch Bekriegung ihrer alten Bundsgenossen der Cherusker / und durch angemaste Ausbreitung ihrer Herrschafft biß an die Elbe / welche die Gräntze der Cimbern bestriche / ihnen zu nahe. Sie hätten den Römern auch nie erlaubet in ihrem Meere zu schiffen / dessen Eigenthum niemand den Cimbern strittig machen könte / als der ihnen zugleich Fehde und Krieg ankündigte. Uber das gantze grosse Welt-Meer könte zwar kein Volck das Eigenthum behaupten / weil dessen Grösse des Besitzthums / welches durch Krieges-Schiffe erhalten werden muß / unfähig / und solches dem gantzen menschlichen Geschlechte zum besten erschaffen ist; also / daß ein Volck alleine ihm über und über die Schiffarth und das Gewerbe zuzueignen /allen andern aber zu verwehren weder Ursache noch Kräfften hat. Dieses würde die Gemeinschafft mit andern Völckern aufheben / einen unsäglichen Neid und schändlichen Geitz nach sich ziehen; da doch keines allen Vorrath der reichen und freygebigen Natur verzehren könte: also der Uberfluß anderer Nothdurfft billich zu gönnen wäre. Stückweise aber hätte sich das grosse Welt-Meer nach Gelegenheit der Gestade eben so wohl als die zwischen gewissen Ländern und Meer-Engen gelegene Seen behaupten lassen. Das Wasser hätte ja in sich keine Unschickligkeit / warum sich nicht der erste der beste dessen / wie anderer von niemanden vorher besessener Dinge / hätte bemächtigen können. Das Cimbrische Welt-Meer hätte wie andere zwischen Deutschland denen Britannischen Eylanden und der zugefrornen Mitternacht nicht weniger als die kleinern seine Gräntzen / welche König Frotho mit seinen Kriegs-Schiffen zeither auch für allem Eingriffe / so gut als die Römer ihr Mittel-Meer / beschirmet hätten. Diese machten einen zum Herrn eines ieglichen Meeres; ungeachtet nicht aller Tropffen Wassers / welche eben so wol in Flüssen als im Meere aus der Botmäßigkeit der Landes-Herren sich entferneten / und wäre es zu Erwerbung des Besitz- und Eigenthums auf dem Meere so wenig möglich alle Fluthen zu beschlüssen / als zu Lande alle Erdklößer zu bebrüten. Die nähern Völcker hätten auch die Herrschafft der Cimbern über dieses Meer dadurch für längst erkennet: daß alle / denen sie darauf zu schiffen oder zu fischen erlaubet / für denen Cimbrischen Schiffen und Hafen die Segel hätten fallen lassen. Dieses Recht könten sie ihnen auch durch niemanden / als den / welcher eine grössere See-Macht auf dieses Meer bringen würde / abstreiten lassen. Diese Vertheidigung war bey denen sonst Gesätze zu geben nicht zu nehmen gewohnten Römern nicht ohne Nachdruck; weil sie nemlich das Gewichte der Waffen zur Beylage hatte. Daher zohen sie viel lindere Seiten auf / erboten sich zu Lösung der gestrandeten Römer und Schiffe. Weil nun Hertzog Ganasches und der Bataver Abgeordnete sich zu gleiche des Werckes anmaaßten /kam endlich vom Könige Frotho / welcher sich damahls an dem Eyder-Strome aufhielt / Befehl: daß alle Römische Schiffe und Kriegsleute ohne einiges Löse-Geld freygelassen / ihnen aber angedeutet werden solte: daß dafern ein Römisches Segel[1236] sich mehr in diesem Nord-Meere / oder einig Adler über der Weser würde blicken lassen / er es für nichts anders als eine offentliche Feindschafft annehmen und mit den Waffen rächen würde. Sintemahl die Deutschen keine so gefährliche Nachtbarschafft vertragen könten / sondern wo ihnen ein Nachtbar verdächtig wäre / um sich der Beysorge unversehenen Uberfalls zu entschütten /zwischen selbtem gewisse Einöden zu unterhalten gewohnet wären. Die Römer musten diese mit trockener Warheit ziemlich gesaltzene / gleichwol aber mit einem guten Vorschube verzuckerte Genade zu Danck annehmen. Es heuchelte aber nicht nur allhier / sondern auch anderwerts das Glücke bey diesem Schiffbruche den Römern. Denn die Britannischen Fürsten /welche des Kaysers Julius Waffen schon empfunden hatten / und von denen Römern in Gallien nicht über zwey und zwantzig tausend Schritte entfernet waren /furchten sich die Römer zu erzürnen / gaben also die an ihren Gestaden verunglückten Schiffe und Menschen eigenbeweglich zurücke / und die denen Römern zugegebenen Schiffleute brachten sie an das Batavische Ufer glücklich über. Denn diese hatten zu grosser Verwunderung der Römer gewisse Werckzeuge bey sich / auf welchen mit Ziffern ausgezeichnet war / wie viel Staffeln die Sonne in einer Stunde lieffe / woraus zugleich genau ausgerechnet werden konte /wie weit das abfahrende Schiff gegen Morgen oder Abend fortgesegelt wäre. Bojocal aber schickte seine Angrivarier längst der Küste von dem Flevischen See biß an die Elbe aus / ließ die angetriebenen Römer lösen / und brachte sie an Einfluß des Rheines / dahin Germanicus endlich mit einem Theile seiner zerscheiterten Schiffe ankam / und in allem etwan die Helffte seiner Flotte und Kriegsleute zusammen laß. Seine erste Verrichtung war: daß er nach dem Beyspiele des grossen Alexanders dem grossen Meere opferte / und zwar selbtem hundert schwartze Ochsen schlachtete /das in güldene Schalen aufgefangene Blut aber in die noch ans Ufer spielende Wellen ausgoß. Die auf denen verschlagenen Schiffen zurück kommenden Römer wusten nicht genung zu erzehlen / bey was für grausamen Strudeln / für ungeheuren Gebürgen und Feuer ausspeyenden Bergen und Klippen / auf denen man allezeit viel durch die Wellen hinaus gespielte Heringe aufzulesen hätte / sie wären vorbey getrieben worden. Einer hatte von flügenden und gehörneten Fischen / der andere von Sirenen / und Vögeln mit menschlichen Antlitzen / von grausamen Wallfischen und andern seltzamen Meerwundern / der dritte von ungeheuren Gestalten der Menschen / der vierdte von gantz unbekandten Sternen zu sagen / welche sie entweder gesehen; oder die Furcht / welcher Pinsel aus nichts viel und aus Einbildung / Schatten und Träumen viel Wesens zu machen weiß / ihnen fürgebildet hatte. Jedoch brachten sie ein und anders zurücke /wormit sie beglaubigten: daß nicht alle ihre Erzehlungen Träume wären; darunter waren gewisse / alles was man ihnen nur vorsagte / nachredende Raben /und die wegen der zur Zeit ihrer Brütung sich ereignenden Meer-Stille berühmten Eyß-Vögel mit so schwachen Füssen: daß sie nicht stehen konten / und mit kleinen zum Fluge ungeschickten Federn / die iedoch zu beqvemer Beherbergung eines Eyes von der Natur in die Rundte durchlöchert waren. Die an Calidonien verschlagen worden waren / rühmeten ein daselbst von den Einwohnern bekommenes Kraut /durch welches sie auf der Rückreise zur See sich nicht nur des Hungers / sondern auch des Durstes erwehret hatten. Etliche waren gar biß an das eysichte Eyland Thule verschlagen worden; welche desselben gesunde Lufft / und die vielen warmen Brunnen / darinnen die Einwohner ihre Speisen und zwar das Rindfleisch in einer halben Stunde abkochten / zu rühmen und zu erzehlen wusten; wie das[1237] Wasser am Rande selbiger Brunnen sich versteinerte; wie offt daselbst zwey Sonnen mit drey Regenbogen gesehen / die Fische lange Zeit im Schnee gut erhalten würden / wie viel Berge daselbst vielmehr Feuer als Etna und Vesuvius auswürffen / und das in selbigem Meere von Rudern zertheilte Wasser des Nachtes wie das aus Back-Ofen fahrende Feuer leuchtete. Keiner aber war / der nicht so wol die Schiffarth als ihren ersten Erfinder mit dem weisen Bias verfluchte / und das Meer ärger als die Egyptier / welche es für den Schaum des schädlichen Typhons hielten / verfluchten; den Germanicus aber mit aufgehobenen Händen baten: daß er sie nur nicht der unbescheidenen Willkühr der rasenden Wellen mehr unterwerffen möchte. Zu Lande wolten sie ihm wieder die Sarmater / Scythen und biß ins Bette der aufgehenden Sonne / wohin gleich Alexandern seine Macedonier nicht hätten folgen wollen / die Waffen nachtragen. Das Verhängnüs hätte einem Volcke zu Lande / dem andern zu Wasser die Bahne der Tugend und des Glückes ausgesteckt; also müste ein iedes sich der seinigen / wie ein ieder Irrstern seines Kreißes / und iedes Thier sich seines Elementes halten. Er möchte daher die vom Verhängnüße zweiffelsfrey nicht umsonst auf sieben Berge gesätzten Römer nicht in die Tieffen der Meere verstecken / und so wol ihr Glücke als Tugend der veränderlichen Flut unterwerffen / sondern denen wäßrichten Völckern die See zu ihrer Rennebahn überlassen; welche die Eigenschafft an sich haben solte die sie offt beschiffenden wilde /betrüglich / und gleichsam zu Unmenschen zu machen. Weßwegen auch Plato seine Stadt nicht hätte wollen am Meere haben / und Menander lieber auf der Erde arm als zu Wasser reich seyn wollen.

Es ist schwer zu glauben / was das sich wie vom Winde zertriebene Wolcken ausbreitende Geschrey: daß Germanicus mit sechs Legionen und vielen tausend Hülffs-Völckern durch Schiffbruch untergegangen wäre / in Gallien / Rhetien / und Italien / ja gar zu Rom für Schrecken erweckte. Das Römische Volck verlohr hierüber nicht nur das Hertze / sondern den Verstand / und erstarrete / als wenn ein Perseus ihnen seinen Medusen-Schild gewiesen und sie in Steine verwandelt hätte / sonderlich / da die Gallier sich hauffenweise über die Alpen / die von Gebürgen über den Po und Apennin flüchteten / gleich als wenn die Catten und Cherusker ihnen schon im Nacken sässen. Niemand war hierbey vorsichtiger und hertzhaffter als Agrippine / welche ihren erlangten Nahmen einer Mutter des Lagers zu behaupten wegen ungewissen Ausschlages im Kriege und des Einfalles der Catten in Gallien aus Rhetien / Noricum / Helvetien / Hispanien und Gallien über zwantzig tausend Kriegsleute bey der Stadt der Ubier zusammen gezogen hatte / um zu verhindern: daß die den Silius verfolgenden Cherusker und Bructerer nicht auch am Unter-Rheine in Gallien einbrächen. Diese unvermuthete Hülffe kam dem fast verzweiffelnden Germanicus mercklich zu statten / welcher bey Erreichung der Flevischen See nach Rom in Noricum und Gallien die geschwindesten Postrenner ausschickte / welche seine und der Legionen Erhaltung erzehlten / den erlittenen Schaden verkleinerten / und denen Römischen Unterthanen durch Ausstreichung seines wider die Deutschen erlangten Sieges / das besorgliche Schrecken benähmen. Weil nun die Bataver / wegen Verlust ihres Cariovalda / die Gallier wegen eingebüsten vielen Adels / und alle andere Völcker / wegen so eilfertiger Rückkehrung der Römer / wenig von dem gerühmten Siege hielten / sonderlich da Hertzog Catumer mit seinen Catten noch immer nach Belieben in Gallien hausete / Trier einnahm / und daselbst das Heiligthum der Römer mit zweyen berühmten Wunderbildern des marmelnen Jupiters und eisernen Mercur zur Rache des eingeäscherten[1238] Mattium und Tanfanischen Tempels zu grossem Leidwesen der Römer und Gallier zerstörte. Sintemahl Jupiters Bild eine güldene Schale in der Hand hielt / welche von einem versteckten und durch ein Ertztenes Röhr dahin geleitetes Feuer erhitzet ward und daher den darein gelegten Weyrauch der Opfernden wolrüchend machte. Der eiserne Mercur aber ward von dem aus Magnet-Steine bereiteten Gewölbe empor gezogen: daß er zu grossem Erstaunen derer unwissenden Aberglaubigen in der Lufft schwebte. Die Catten nun aus dem Hertzen Galliens zu ziehen / und zugleich seinen Sieg zu beglaubigen befahl er dem Cajus Silius: daß er mit der zurück gekehrten andern und dreyzehnden Legion / Stertinius mit dreytausend Römischen Reutern / und zwantzig tausend Thraciern / Mäsiern / Pannoniern / Norichern / Rhetiern / Tribochen / Nemetern / Vangionen und Galliern bey den Catten einfallen solte. Germanicus selbst ließ die Uberbleibung der übrigen sechs Legionen nicht ruhen; sondern führete sie mit dem von Agrippinen gesamleten Fuß-Volcke / ungeachtet sie um wenige Zeit zu verblasen seuffzeten / aus den Schiffen geraden Weges in das Gebiete der Marsen / und gab dem für das Kriegs-Volck redenden Vitellius zum Bescheide: die ziehende Krafft des Magnets und die Tapferkeit eines Kriegs-Heeres hätten einerley Eigenschafft; nehmlich ihre Tugend nähme durch seltenen Gebrauch ab / durch öfftern aber zu. Also folgten diese Gerippe der Legionen nicht ohne Murren und Unwillen / weil zumahl verlautete: daß Hertzog Herrmann und Ingviomer an der Lippe herab kämen / und sie alsobald wieder in ihre grausame Hände zu verfallen besorgten. Nach dem aber sie Hertzog Malovend versicherte: daß er sie zu einem vom Varus verlohrnen und in einen Sumpff vergrabenen Römischen Adler führen wolte / vergassen sie ihrer Müdigkeit und vorstehender Gefahr. Die Ursache aber dieses eilfertigen Zuges war: daß die Marsen ihren Fürsten Malovend / weil er zu den Römern sich geschlagen hatte / nicht mehr für ihren Herrn erkennen und einlassen wolten / sondern ihn und alle / welche bey Fabiranum wider die Deutschen einen Degen gezuckt hatten / für Verräther des Vaterlandes erklärten. Weil nun nicht allein der Römer Gewohnheit war alles andere stehen und liegen zu lassen / und dem sich irgendswo ereignenden Aufstande / als dem gefährlichsten Feuer zuzulauffen / sondern auch Germanicus für Augen sah: daß wenn er nicht die Marsen bändigte und Malovenden zu gehorsamen zwinge / die Chauzen den Hertzog Ganasch / die Sicambrer den Melo / die Friesen und Bataver auch ihre Fürsten durch solchen Aufstand die Römische Seite zu verlassen zwingen würden. Ungeachtet nun die Marsen in diesem Kriege vom Vergängnüße gleichsam für die andern Deutschen zum Feg-Opfer und das Bad auszugiessen bestimmet waren /und daher viel empfindliche Uberzüge erlitten; also kaum mehr das Drittel ihrer Mannschafft übrig hatten; boten sie gleichwol Malovenden und dem Pedo nebst ihrer vorbrechenden Reuterey die Stirne / hielten sie auch so lange auf / biß sie von einem Hügel sechs Römische Adler erblickten / welcher grossen Macht zu erwarten mehr eine Unsinnigkeit als Tugend gewest wäre. Daher gaben ihre Führer der Ritter Nesselrode und Kwalen den Marsen ein Zeichen sich durch die bewusten Schlipplöcher in den am Rücken habenden und grösten Theils verhauenen Wald zu ziehen /in welchen sie zu verfolgen Malovend wegen vieler Sümpffe selbst nicht für rathsam / vielmehr aber dem heiligen Heyne / worinnen der Adler vergraben lag /ohne Versäumung einiger Stunde zuzueilen für nöthig hielt. Weil die Römische Macht nun so eilfertig vorbey gieng / und dem heiligen Heyne geraden Weges zueilete / merckten die von dem vergrabenen Adler Wissenschafft habenden Obersten der Marsen[1239] gleich /wohin Malovends und des Germanicus Anschlag an gesehen wäre. Daher eilete ihre Reuterey durch verborgene Wege des Nachtes dahin / kam auch den Römern zuvor / die Finsternüs aber und die Beysorge durch angezündete Lichter sich zu verrathen hinderte sie: daß sie den rechten Ort nicht erkiesen / und den Adler finden konten. Als es aber nur ein wenig zu tagen anfieng / liessen sich vor und hinterwerts die in den Heyn eindringenden Römer spüren; daher die Marsen gezwungen wurden auf der Seite durch die Lippe zu schwä en / und sich aus dem Staube zu machen. Malovend zeigte daselbst den Ort des liegenden Adlers an; worauf die Römischen Priester alleine zu graben anfiengen / und als sie solchen erblickten / es dem ankommenden Germanicus mit so grossen Freuden / als weñ sie ein diamanten Bergwerck gefunden hätten / ankündigten. Dieser eilte mit Cäcinen und andern Kriegshäuptern begierig an den Ort / und scharrete ihn vollends mit eigenen Händen / weil er selbst auch ein Priester des Augustus war / aus der Erde. Hierauf händigte er ihn denen ihm bereit zugeeigneten Priestern ein / welche ihn in einem silbernen Kessel mit wolriechenden Wassern abzuwaschen / einbalsamten / auf einer vergüldeten Stange befestigten / mit welcher ihn Germanicus für den Heyn trug / und selbten dem gantzen in Schlacht-Ordnung stehenden Römischen Heere zeigte; welches für diesem aufgefundenen Schatze oder vielmehr eingebildetem Gotte sich andächtig bückte / ihm so viel Ehrerbietung und Frolocken bezeugte / als da das Bild der Idischen Mutter von Peßimunt nach Rom gebracht / und das sie führende an einer Sand-Banck aber feste gemachte Schiff von der einigen Vestalischen Jungfrau Claudia an ihrem Gürtel die Tyber hinauf gezogen ward. Die Priester schlossen hierauf den Adler in ein zierliches Gehäuse ein; und nach dem Germanicus an dem Orte / wo der Adler gelegen / ein Altar gebauet und geopffert hatte / ertheilte er seinem Kriegs-Volke Befehl sich wieder gegen dem Rheine zu wenden / weil zumahl gewisse Nachricht einlieff: daß der Feldherr mit zwölff tausend Langobarden verstärckt worden / und auf der andern Seite der Lippe schon den Römern zuvor kommen wäre / ihnen also zweiffelsfrey die Farth über den Rhein abzustricken bemühet seyn würde. Im Rückwege muste Malovend mit Augen sehen und stillschweigend leiden: daß sein Land durch Feuer und Schwerd in Grund verterbet ward /weil die Römer es so wenig als die Weser zu behaupten getrauten / also ihre Krieg- und Staats-Klugheit erforderte: daß sie dem Feinde alle Mittel dar zu stehen benähmen. Germanicus schickte den Cajus Lucilius mit der Zeitung des wiedereroberten Adlers eylfertig nach Rom / welche Tiberius nicht nur im Rathe als eine grosse Glückseligkeit seiner Herrschafft heraus striech / sondern solche gar der des Augustus vorzoh / welchem der Parther König die vom Crassus eingebüsten Adler zurück schickte. Daher er solches auch eben wie August durch Schlagung neuer Müntze kund machte. Denn auf dieser war Germanicus mit einem Adler in der Hand und dieser Beyschrifft gepregt: Nach wieder bekommenen Adlern und überwundenen Deutschen. Hierdurch ward dem Volcke ein blauer Dunst grosser Siege für die Augen gemacht / und das ihnen eingejagte Schrecken nebst bißheriger Andacht gedämpffet. Sintemahl sie /gleich als wenn Brennus oder Hañibal wieder für dem Throne wäre / in die Tempel lieffen / der Götter Bilder umarmten / bethränten / und sie um Schirm anrufften. Die Freude zu Rom ward durch diese fernere Nachricht vermehret / daß die Catten aus Gallien beym Altare des Bacchus wieder zurück über den Rhein gekehret wären. Dieses versicherte den Römischen Pöfel allererst: daß sie nicht schon die Alpen überstiegen hätten / und[1240] bald über den Po sätzen würden. Wie nun durch Befreyung Galliens Germanicus seinen Zweck erreichte; also richtete Silius mit seinem Einfalle bey den Catten das geringste nicht aus. Denn Hertzog Arpus verlegte ihm mit einem ziemlichen Heere den Weg; und als er vernahm: daß Catumer aus Gallien in Deutschland über den Rhein sätzte / traute er seiner nicht zu erwarten / sondern brach eylfertig gegen dem Ubischen Altare auf / und gieng daselbst über in Gallien. Der mit aller Gewalt einbrechende Winter diente dem Germanicus zu einem scheinbaren Vorwandte: daß er sein abgemergeltes Kriegs-Volck theils in die am Rheine habende Festungen / theils in die Städte Galliens legen konte / und daß es ihm gelückt hatte durch den bey den Marsen und Catten gethanen Einfall seinem gerühmten von den Deutschen aber wiedersprochenen Siege eine Farbe anzustreichen. Silius / Cäcina und andere Obersten erlangten auch vom Germanicus die Verstattung nach Rom zu schreiben / ohne welche es sonst ein halsbrüchiges Laster im Römischen Lager war; also wusten sie die Bestürtzung der Deutschen meisterlich heraus zu streichen; welche dieses mahl allererst hätten glauben lernen: daß die Römer weder durch die Natur noch von Feinden überwunden werden könten / als welche nach eingebüster Schiffs-Flotte / nach verlohrnen Waffen / und / nach dem ihre Leichen und todten Pferde so viel See-Ufer bedeckt hätten / gleichsam mit vermehrter Mañschafft / mit vergrösserter Tapfferkeit die Marsen und Catten überfallen hätten.

Die mit denen Römern verbundenen deutschen Fürsten wurden in der Nähe dieses Bländwercks der Römischen Schwäche / und wie wenig sie bey diesem Kriege Seide gesponnen hatten / allzusehr inne. Sie lernten nun allererst / wie gefährlich es wäre sich von dem Leibe eines Reiches trennen / und in frembde Bündnüße vertieffen / und entweder aus Rache oder Absehen zweiffelhafften Eigennutzes sich von Beschirmung gemeiner Freyheit und Wolfarth ableiten lassen. Wie sehr sie sich auf die Treue der Römer /welche ihre Bündnüße heilig zu unterhalten den Ruhm hatten / verliessen; so schwebte doch ihnen das traurige Beyspiel der unter dieser süssen Einbildung vergangenen Stadt Sagunt für Augen. Die Römer hatten ausser Aliso und der Taunischen Festung / welche aber nunmehr auch von Bructerern und Catten beschlossen wurden / alles in Deutschland disseit des Rheines im Stiche gelassen. Der Feldherr hatte durch die auf seine Seite gebrachten Langobarden sich ansehnlich verstärckt / Ingviomer und Arpus auch eine ansehnliche Macht auf den Beinen; hingegen Melo /Ganasch / und Malorich durch die Römischen Durchzüge das Marck ihrer Länder / durch die Schlachten den Kern ihres Volckes / und durch das Römische Bündnüs die Liebe ihrer in Gefahr der Freyheit gerathener Unterthanen eingebüsset. Hertzog Herrmann wuste sich unter der Hand auch gewisser Werckzeuge zu bedienen / welche einem ieden der abgetretenen Fürsten die Gefahr zu vergrössern / und die Römer bey ihnen schwartz zu machen wusten; um also die vonsammen zu trennen / welche ihm / wenn er sie vereinbart hätte angreiffen sollen / noch viel würden zu schaffen gemacht haben. Diese Schwachheiten veranlasten anfangs den den Römern am weitesten entlegenen Hertzog Ganasch / und hierauf auch der Sicambrer und Friesen Hertzoge unter der Hand bey dem Feldherrn Anregung zu thun: daß sie wieder ins deutsche Bündnüß aufgenommen werden möchten. Damit solches so viel geheimer gehandelt und für denen argwöhnischen Römern verhölet würde / wurden zu Werckzeugen Priester erkieset. Denn nach dem das Priesterthum so wol bey den Deutschen / als bey den Römern und Griechen mit weltlicher Würde vereinbarlich war / ja bey denen Egyptiern und etlichen[1241] Völckern von der Fürstlichen Hoheit nicht getrennet werden konte; und in Deutschland die Priester nicht nur durchgehends zu weltlichen Rathschlägen gezogen /sondern auch im Rathe von ihnen / wer reden oder schweigen solte / angedeutet; ja fast alle Gerichte geheget wurden / war es so viel weniger ungereimt: daß diese deutsche Fürsten sich ihrer Geistlichen zu geheimen Gesandten und Friedens-Händlern bedienten; ungeachtet bey andern Völckern / wo die Priester in Einsamkeit eingesperret sind / also von weltlichen Geschäften keine Wissenschafft habẽ / oder sie einem andern Haupte / als der über sie absendende Fürst ist / nur zu gehorsamen und Rechenschafft zu geben sich schuldig erachten / derogleichen Gesandtschafften ungeschickt oder gefährlich zu seyn scheinen / wenn zumahl von andern als denen dem Gottesdienst angehenden Geschäfften gehandelt werden soll. Diese Priester waren auch von edler Ankunfft und grosser Erfahrung / hatten auch nicht weniger ihre Jugend zu Beschirmung des Vaterlandes / als ihr Alter zur Andacht und heilsamen Einrathungen angewehret. Diese wusten die Fehler ihrer Fürsten mit derselben gutem Absehen so meisterlich zu verhüllen / oder wenigstens mit den verwickelten Zufällen der Zeit zu entschuldigen: daß fast iedermann ihnen beypflichten muste; es läge bey so seltzam eingeflochtenen Verwirrungen /da eines Menschen Gemüthsregung viel andere wie anfällige Kranckheiten unvermerckt ansteckten / mehr am Glücke als an Klugheit oder wolmeinendem Gemüthe / ins rechte Fach zu greiffen. Der Ausschlag öffnete insgemein einem allererst recht die Augen; ja die gantze Klugheit der Höfe wäre der Kunst der Wund-Aertzte zu vergleichen / welche nicht so wol durch eigenes Nachdencken / als aus frembden Geschwüren begrieffen würde. Wo sie auch keinen andern Vorwand wusten / nahmen sie die Schuld von den Häuptern ihrer Fürsten und legten sie auf die Schultern ihrer Staats-Diener: derer Boßheit nicht weniger ein unvermeidliches Fallbret der klügsten Herrscher / als ein verborgener Holtz-Wurm der Reiche wäre. Hätten diese Winde nicht gewehet / würde Deutschland mit einem solchen Ungewitter nicht überfallen worden seyn. Fürnehmlich wusten sie ihre Ungedult auf Cariovalden auszuschütten / und Adgandestern zum Uhrheber alles Unheils und zum Werckzeuge aller Laster zu machen. Ein tieffsinniger Verstand / sein reiffes Urthel / seine kluge Hertzhafftigkeit / seine bedachtsame Verwegenheit / welche selten versamlet bey einem Staat-Diener zu finden /hätte er alle zu seinem Dienste gehabt / seinen Betrug und Verrätherey damit auszurüsten / und seinem Giffte Anmuth und Farbe zu geben. Der Feldherr solte sich nicht wundern: daß er diese drey Fürsten auf solche Irrwege gebracht / nach dem er den Fürsten Flavius wider seinen eigenen Bruder die Waffen zu ergreiffen hätte verführen können. Sonderlich wäre Adgandester ein Meister gewest die zu erforschen und zu gewinnen / welchen ein oder ander Fürst das meiste zutraute / und ihrem Rathgeben folgte. Nach dem er auch dieser Neigungen ergründet / hätte er die Geitzigen mit Geschencken / die Ehrsüchtigen mit hohen Vertröstungen / die Furchtsamen mit Dreuungen angegrieffen; und wo er gegen den Feldherrn nur das wenigste Unvergnügen verspüret / den schlechtesten Funcken zu einem grossen Feuer aufzublasen / durch Ertichtung; neuer Beleidigungen ins Feuer Oel zu giessen gewust. Der Hertzog der Friesen hätte das Unglücke gehabt einem furchtsamen Diener sich zu vertrauen / welchen der Römer Dreuungen bey nahe in ein Bocks-Horn gejagt hätten. Dieser hätte daher aus Zagheit des Germanicus Vorschlägen seines Fürsten Ohren / und folgends den Römischen Waffen sein Land eröffnet. Was hierbey denen Friesen für beschwerliches zugewachsen / hätte er mit dem Beyspiele der Bataver verzuckert / und die besorgliche[1242] Dienstbarkeit mit dem Scheine eines ehrlichen Bündnüsses bekleidet / sich also nur darum: daß die Friesen eine zeitlang so und so bleiben könten / gar aber nicht um ihrer Nachkommen Sicherheit bekümmert. Er hätte mit Cariovalden / und Adgandestern / ehe sein Fürst was davon gewust / lange Verständnüs gehabt / und ihn mit den Römern vertiefft / ehe er gewahr worden: daß er mit selbten im Handel stünde. Derogestalt wäre der gute Malorich wo nicht von seinem furchtsamen Diener verrathen / doch verkaufft worden. Wiewol Räthe solcher Art sich nicht nur berechtigt hielten / ihren Fürsten zu seinem besten zu verrathen / und für eine Klugheit unter der Hand Bündnüße zu schlüssen und Frieden zu unterhalten /daß der Fürst zu jenen nur die Hand einschlagen dörffe / bey diesem aber ruhig schlaffen / der Jagt- und Lust Spiele abwarten könne. Hertzog Malorich hätte für sich zwar Hertzens genung gehabt; und des Feldherrn Gesandter hätte seinen Räthen genungsame Gründe / warum sie sich für den Römern so sehr nicht zu fürchten / aber wol Ursache ihnen nichts zu trauen / für Augen gestellt. Aber die furchtsamen Räthe hätten ihres Fürsten Hertzhafftigkeit alle Spitzen verbrochen / seine tapfere Entschlüssungen stumpff gemacht / und den / welchen sie anzufrischen mehr Ursach gehabt hätten / immer zurück gehalten. Vom Cheruskischen Gesandten aber hätten sie gleichsam himmlische Offenbahrungen von des Krieges Ausschlage /und GOtt selbst zum Bürgen begehrt / nach dem alle menschliche Versicherungen ihnen zu zweiffelhafft /und die Kräffte des vereinbarten Deutschlandes zu wenig waren. Wenn er aber sie durch seine kluge Hertzhafftigkeit etlicher massen auf einen guten Weg hätte gebracht gehabt / wären sie doch durch das geringste Geschrey von Näherung der Römer aus dem rechten Gleiße gebracht worden; und man hätte alle böse und gute Zeitungen aus ihrem Gesichte lesen können / ihre Augen hätten iederderman ihr Hertzklopffen / ja ihr blosses Stillschweigen ihre Bekümmernüs verrathen. Zu letzt hätten Malorichs Räthe sich einen unvermutheten Donnerschlag / welchen Hertzog Ganasches Gesandter am Friesischen Hofe erreget / betauben lassen: daß sie ihren Fürsten ins Römische Bündnüß mehr mit Gewalt gerissen als verleitet. Dem Hertzog Melo hätte Adgandester durch seinen Staats-Diener / welcher über dem Rheine in Gallien Land-Güter besaß / und durch der Römer Waffen derselben verlustig zu werden dreute / fürgebildet: daß Hertzog Herrmann alle deutsche Fürsten ihm dienstbar zu machen anzielte. Sein Absehn erhellete daraus: daß er ihnen gewisse Friedens-Bedingungen / welche er zu seinem Vortheil und nach eigenem Gutdüncken mit den Römern abgehandelt hätte / aufdringen / des Melo ihn in die Augen stechende Macht zu beschneiden ihn zu Abtretung ansehlicher Städte und Länder nöthigen / an dem Altare des Bacchus aber einen Zaum des Rheinstroms und eine Brücke mit den Römern sich zu vereinbaren / und Deutschland mit ihnen zu theilen in Händen behalten wolte. Bey solcher Beschaffenheit / und da einem auf zweyen Seiten Gefahr zuhienge / wäre kein ander Rath / als sich der einen Seite zu versichern; worzu denn sich auf der Römer / welche dem Melo selbst die Hand reichten / die beqvämste Gelegenheit ereignete. Zu allem Unglücke hätte sichs getroffen: daß Hertzog Melo ein wenig einen Hang zum Mißtrauen und allzu scharffsichtige Räthe gehabt hätte; welche ihnen in der Ferne oder vielmehr im Traume ein grosses Reich eingebildet / und ihrem Fürsten für die Augen gemahlet hätten / welches Hertzog Herrmann zwischen dem Rheine und der Elbe aufzurichten im Schilde führte. Dieser hätte nichts Helden-mäßiges an sich / nichts ruhmwürdiges iemahls gethan / nichts kluges zeither gerathen / was sie nicht zum Grunde dieser geträumten Herrschafft gelegt hätten.[1243] Der Feldherr verstünde aber selbst wohl / wie leicht ein Fürst durch solche Leute zuverführen wäre / welcher zugleich Geist und Vorsicht haben wolte. Denn sie liessen wie die Wasserbrenner Wein / Ertzt und Kräuter alle Rathschläge durch die Kolbe und das Feuer gehen / und wendeten alle Spitzfinnigkeit dahin an / wie sie den Schatten eines Dinges bey ihrem Fürsten für ihr Wesen angewehren könten. Sie machten aus allen Thoren verschmitzte Brutus / sie warnigten ihren Fürsten für den einfältigsten Leuten: daß er sich für ihren versteckten Tugenden so sehr / als für verborgenen Dolchen fürzusehen hätte. Alle gemeine Leute / welche kaum ein Drittel eines vernünfftigen Thieres an sich hätten /schienen ihnen Weltweise zu seyn. Niemand hätte in ihren Augen einige Schwachheit an sich / noch könte irren / nur daß sie mit ihren hohen Gedancken sich nicht erniedrigten. Sie schmückten den Schein mit allerhand Farben aus / und verwürffen die handgreifliche Wahrheit / als einen allzugroben Zeug für ihren tieffsinnigen Geist; und weil solche von ihr selbst nicht aber aus ihrer Erfindung den Uhrsprung hat /nur daß sie bey ihrem Fürsten für scharffsichtige Leute / solte es auch gleich mit seinem Schaden geschehen / angesehen würden. Nach dem Adgandester ihnen nun einmal einen Floh ins Ohr und das Mißtrauen ins Hertz gesätzt hätte; wäre vom Hertzog Herrmann keine so schlechte Zeitung eingelauffen /daraus sie nicht Anschläge / wie Ixion aus einer Wolcke Buhlschafften gemacht / und aus ungefährlichen Worten Nachdenckligkeiten zu ziehen gewust hätten. Alles verlautete Vorhaben wären ihnen Geheimnüße gewest; ja sie hätten Ausleger über seine Gedancken abgegeben; gleich als wenn kluge Fürsten nicht auch Menschen wären / und sie keinen Schritt / als nach der Schnure und nach der Magnet-Nadel thäten; sondern von ihnen so wenig als von GOtt selbst / welcher von keinem Baume das kleinste Blatte ohne besonderes Absehen fallen liesse / etwas ungefähr und ohne Bedacht geschähe. Nach dem sich auch gleich zwischen den Cheruskern und Chauzen Mißhelligkeiten ereignet / hätten sie doch den Melo bereden wollen; sie verstünden sich wol mit einander / uñ ihre Feindschafft wäre nur eine abgeredete Anstellung die Sicambrer einzuschläffen / und zu betrügen. Die Gesandschafft Hertzog Ingviomers und des Arpus mühte sich zwar ihnen diesen Verdacht gegen den Feldherrn auszureden / und hielt ihnen ein: daß ihm diß nie in Sinn kommen wäre / was sie in seinem Vorhaben gefunden zu haben vermeinten; also möchten sie doch mit ihrer Scharffsichtigkeit nicht so weit über dem Ziele abkommen / und die gemeine Landstrasse kluger Leute nicht verlassen; in Meinung über ungebähnte Klippen oder gar durch die Lufft ihm Wege zuzurichten / oder die Wahrheit so entfernet zu suchen; zumahl ihr Mißtrauen so weit von Aehnligkeit der Wahrheit / und Hertzog Herrmanns Herrschafft über so viel Völcker von der Mögligkeit als der Rhein von dem Nil entfernet wäre. Alleine dieser Einhalt hätte ihnen nur Bilder neuer Chimeren gemacht / nehmlich: daß der aus Cheruskischem Geblüte entsprossene Ingviomer mit seinem Vetter Herrmann unter der Decke läge; und daß die Cherusker und Catten Deutschland mit einander zu theilen unter sich gekartet hätten. Der Feldherr aber möchte sich hierüber nicht verwundern /weniger entrüsten. Denn / weil iederman für gescheut wolte angesehen seyn / wäre kein Volck in der Welt von so schädlichen Klugen befreyt. Carthago hätte seinen Hannibal / daß er nur dem Kriege und seiner Gewalt nicht ein Ende zu machen / Rom nicht erobern wollen; Rom den Kayser Julius und August beschuldigt: daß sie nicht aus Geilheit / sondern Geheimnüße zu erforschen mit Römischen Frauen gebuhlet / dieser den Tiber zum Nachfolger / und eine Warnigung die Gräntzen des Römischen Reiches zu erweitern[1244] zu dem Ende hinterlassen hätte: daß diese so viel mehr / wenn er todt seyn würde / nach ihm seuffzen / und kein grösserer Herrscher / als er gewest / nach ihm leben solte. Es wäre aber zu wünschen: daß Hertzogs Melo Räthe wie die Sonne immerfort einerley Bahn gehalten /nicht aber wie etliche andere Irrsterne sich zu einer so einfältigen Leichtgläubigkeit erniedriget hätten. Denn / weil übrige Scharffsichtigkeit in Rathschlägen ins gemein Ursache ist: daß sie zu Wasser werden; und daß aus tausend aufgeworffenen Vorschlägen ihr keiner taug / weniger zu Kräfften kommt / würde auf den ersten Fall auch nichts aus dem Römischen Bündnüße / welches mehr Bedencken hatte / als tausend hundertäugichte hätten erblicken können / nichts worden seyn. So aber wären sie leider! von der Menge ihrer Scharffsichtigkeiten / wie die Augen von Vielheit der Sonnenstrahlen / verdüstert worden / daß sie endlich gar nichts gesehen / und also an dem schädlichsten /was iemahls in Berathschlagung fürkommen / wären kleben blieben. Diese schlimme Wahl hienge gemeiniglich denen zu / welche allzu klug seyn wolten. Denn nach dem sie ihren Verstand durch allerhand tieffsinnige Anschläge erschöpfft hätten / fiele ihnen zuletzt das ärgste ein / weil es aber nur etwas wäre /was andern Leuten nicht ihre gesunde Vernunfft oder die Erfahrung an die Hand gäbe / beliebten sie es als das beste. Also hätte Hertzog Melo durch die scharffsichtige Klugheit seiner Diener / oder vielmehr durch Leitung des Verhängnüßes verfehlet / welches dem / den es zu drücken vorhätte / die Augen und den Verstand verbländete. Mit was für Arglist und Verrätherey aber Adgandester und Cariovalda die Verträuligkeit zwischen dem Fürsten Ganasch mit dem Hertzoge der Catten und Cherusker zerrissen hätte / wäre dem Feldherrn ohne diß allzuwohl bewust; und nöthiger in Staub ewiger Vergessenheit zu verscharren / als durch Erzehlung Deutschlandes Schande zu verneuern. Mit einem Worte: Adgandester wäre der Bruñ aller Fehler und Unglücks; und weil in der Welt kein nützlicher und schädlicher Ding als ein Fürst wäre /dieser Verräther seines Vaterlandes aber drey so gute Fürsten verführet hätte / solte gantz Deutschland über ihn Fluch und Rache auslassen. Denn / wenn schon von ihm alle Brunnen und Flüsse wären vergifftet worden / hätte er doch Deutschlande so viel nicht Schaden gethan / weil es gesundes Wasser anderwerts herzuholen / und von dem regnenden Himmel zu erwarten gehabt. Aber wider die Vergehungen eines verführten Fürsten hat ein Volck kein Mittel; weil es ihm / wenn er schon zum Wütterich wird / und die gemeine Wolfarth zu Bodem tritt / nicht nur aus Furcht /sondern auch Gewissens halber zu gehorsamen schuldig ist. Nach dem diese bescheidenen Priester nun die Vergehungen ihrer Fürsten auffs beste verblümet hatten / wusten sie mit vielen Umständen zu bescheinigen: daß / nach dem sie kaum mit den Römern sich verbunden gehabt / sie ihren Irrthum erkennet / und ihre Füsse aus den Römischen Schlingen zu ziehen sich bearbeitet hätten. Die ihnen über dem Halse liegende Macht hätte sie zwar genöthigt einige Hülffs-Völcker den Römern zu überlassen; der kluge Feldherr aber würde selbst wohl gemerckt haben: daß sie hierzu gleichsam mit den Haaren wären gezogen worden; und wie sie durch ihr kaltsinniges Gefechte den Römern mehr geschadet als Vortheil geschafft hätten. So laue Veruneinigungen verdienten nun nicht den Nahmen einer Feindschafft / sondern gereichten wie die Knoten der Beinbrüche vielmehr zur Verstärckung neuer Freundschafften. Gemeiner Leute einmahl zerbrochene Freundschafft liesse sich zwar selten / aber der Fürsten leicht wieder ergäntzen; und sie wäre zwischen denen am beständigsten / welche durch die Waffen einmahl recht ihre Kräfften gegen einander geeichtet hätten. Dieses erhärtete nunmehr[1245] das rühmliche Beyspiel der Cherusker und Catten / welche aus ewigen Feinden nunmehr zu so vertrauten Bundgenossen worden wären. Dieses verlangten nunmehr auch die Chauzen / Friesen / Sicambrer / Tencterer und Juhonen; welche als Glieder Deutschlandes ohne Verstimmelung dieses edlen Vaterlandes vom allgemeinen Leibe ohne Grausamkeit nicht abgeschnitten werden könten. Hierbey rührten die Priester dem Feldherrn auch zuweilen das Gewissen; und hielten ihm ein: daß GOtt kein angenehmer Opffer / als wenn man das Unrecht seines Beleidigers in dem alles verzehrenden Feuer der Vergessenheit verbrennte / und die Asche mit dem Oele des Friedens einbalsamte. Kein Unversöhnlicher aber kriegte bey GOtt Gehöre /sondern die unersättliche Rache wäre der Zunder und Magnet seines alles einäschernden Zornes. Ob nun zwar die Gesandten Priester waren; und daher die Vermuthung ehrlicher und aufrichtiger Leute von sich hatten / verstand Hertzog Herrmann doch allzuwol: daß heute zu Tage auch die / welche Heiligen seyn wolten / zuweilen eine Larve fürnähmen / und keine mehr scheinbar in der Welt wäre / als welche mit dem Scheine der Gottesfurcht überfirnset würde. Diesemnach fühlte er allen an den Pulß ihres Gemüthes / welche Kunst so viel schwerer ist / weil dessen Regungen sich leichter / als die Schwachheiten des Leibes verbergen lassen. Alleine die Aufrichtigkeit hat den Vortheil sich leicht zu entdecken / und sich beglaubt zu machen; dahingegen die Kunst der Betrügerey sich mit ihrer eigenen Schwermüthigkeit verräthet: daß sie mit was anderm hinter dem Berge halte / als sie einen mit ihrer gezwungenen Offenhertzigkeit bereden wil. Als nun Hertzog Herrmann sich vergewissert hatte: daß sie Leute von aller deutscher Treue und Glauben wären / hielt er bald einem bald dem andern dieser Gesandten diß und jenes ein; und wuste er nicht nur ihrer Fürsten ihm und dem Vaterlande angethanes Unrecht ihnen beweglich fürzuhalten / sondern auch alle Entschuldigungen durch Erzehlung vieler verschwiegener Umstände zu zernichten. Sintemahl er von allem mehr Geheimnüße erfahren hätte / als sie oder ihre Fürsten ihnen einbildeten. Er ließ sie aber eine ziemliche Zeit schwitzen / und machte bald diesem bald jenem weiß: daß er mit seiner gantzen Heeresmacht einbrechen / und wieder die Feinde des Vaterlandes / welche der Cherusker und Bructerer Landschafften schon wie jene unzeitige Jäger die Haut des noch nicht gefangenen Bäres unter sich getheilt hätten / Rache ausüben wolte. Durch derogleichen kluge Verstellungen / welches die rechten Schöpff-Eymer frembder Gedancken sind / nahm er die Meinungen dieser Gesandten so wol aus: daß ihm / welcher diese Kunst aller Künste gar zu wohl verstand / und denen Verschlossensten wie ein Luchs in das innerste ihres Hertzens zu sehen wuste / nichts verborgen blieb. Sintemahl es nichts ungemeines ist: daß Gesandten Freundschafft und Friede im Munde / Haß aber im Hertzen / und zum Kriege gefiederte Pfeile im Köcher haben / oder ihrem Vorgeben nach auf etwas zielen /wider ihre Versicherung und unser Vermuthen aber auf gantz was anders loßdrücken. Nach dem er nun /daß es ihren Fürsten ein rechter Ernst wäre / von Römern abzusätzen / ergründet hatte; allzuwol aber verstand: daß es die gröste Klugheit und das nothwendigste Genesungs-Mittel wäre die verrenckten Glieder in ihre Pfanne zu bringen / und mit dem Leibe zu vereinbaren / erklärte er sich endlich mit ihnen Friede und Bündnüs zu schlüssen; wenn ihm ihrer Treue halber solche Versicherung gestellt würde: daß er sich darauf verlassen könte / und Deutschland nichts mehr zu fürchten hätte. Sintemahl ein öffentlicher Krieg nicht so schädlich / als ein betrüglicher Friede wäre. Die Gesandten erboten sich im Nahmen ihrer Fürsten: daß sie nicht alleine den neuen Bund durch kräfftigste Eyde bestärcken /[1246] ihre Aufrichtigkeit durch unverzügliche Ergreiffung der Waffen wider die Römer bewehren / sondern auch ihre Treue durch Auslieferung vornehmer Geissel verpfänden wolten: Der Feldherr war hiermit vergnügt / unterschrieb und besiegelte auch noch selbigen Abend den neuen Vergleich; erwieß also hiermit und in andern Anstalten: daß er nicht mehr Tapferkeit als Verstand hätte / alles / ausser der Unmögligkeit / auszuführen / und gantz Deutschlande vorzustehen. Er wuste an gehörigen Orten die lindesten Pflaster aufzulegen / wo Seege und Messer sich nicht angewehren liessen / und brachte mit guten Worten viel zu wege / wo Zwang und Gewalt übel ankommen wäre. Kein glücklicher Anfang schläffte ihn ein; keine Länge der Zeit / keine Grösse der Arbeit /keine vermessene Einbildung / keine von seltzamen Zufällen ihm in Weg geworffene Schwerigkeiten /noch auch die von seinen eigenen Bundsgenossen herrührende Hindernüße hielten ihn von gäntzlicher Ausmachung seiner wichtigen Anschläge zurücke; ja weder Sterne noch Ungewitter waren fähig ihm sein Ziel zu verrücken. Wo aber weder Tugend noch Klugheit durchdringen konte / trat seine Frömmigkeit in die Lücke / und zohe seinen Rathschlägen des Himmels Segen zu; ohne welche alle menschliche Bemühungen ohnmächtig / alle verschmitzte Anstalten zu Wasser werden.

Ob er sich nun zwar über dieser allgemeinen Wolthätigkeit so sehr als seine Unterthanen erfreute; welche von ihm wie von einem unter der Erde verborgenen Kwelle noch alle Tage neuen Nutzen hofften /vergnügte ihn doch nichts mehr / als die mit diesen dreyen mächtigen Fürsten geschlossene Vereinbarung. Denn er wuste wohl: daß Friede allemahl mit einem Krantze des Uberflusses und mit vollen Händen auf die Welt käme / daß Deutschland sich durch seine Eintracht aus Finsternüs und Verwirrung auswickeln würde / und er daher durch solche Vereinbarung zu dessen Wolstande einen festen Grund gelegt / und für das gemeine Heil wol gewirthschafftet haben würde. Diesemnach schickte er noch selbige Nacht den Grafen von Nassau an Hertzog Ingviomer / den Grafen von Waldeck an Hertzog Arpus / und den Grafen von Kwerfurth an Hertzog Jubil mit so vielen Uhrkunden des gemachten Vertrages ab / und ersuchte sie solchen ebenfalls genehm zu haben / und durch ihre Handschrifften zu bekräfftigen. Alleine es war gleichsam Deutschland dazu versehen: daß es durch Frieden-Schlüsse solte getrennet und zerrüttet werden. Denn ob zwar der Catten und Hermundurer Hertzog solchen Vergleich mit beyden Händen annahmen / ihn unterzeichneten / dem Feldherrn für eine so heilsame Verrichtung danckten / ward er doch vom Hertzog Ingviomer gar viel anders aufgenommen. Denn / weil seine Hoffnung nach der Römer Zurückweichung ihm das gröste Theil der Friesischen und Sicambrischen Länder schon zugetheilet hatte / welche er durch diesen Frieden in Brunn fallen sahe / eyverte er sich so sehr: daß er Nassauen ins Gesichte sagte: Es wunderte ihn /wie Hertzog Herrmann ein so wichtiges Werck / welches aller Bundgenossen Einwilligung erforderte /daran gantz Deutschlandes Heil und Unheil hienge /auf seine einige Schulter zu nehmen sich unterwunden hätte. Es lieffe dieses wider die alte Verfassung / geriechte zum Abbruche der gemeinen Freyheit; und es würde ihn weder iemandens Ansehen / am wenigsten aber dieser Vergleich hindern sich an den Friesen und Sicambern seines erlittenen Schadens zu erholen. Nassau hatte sich ehe des Himmels-Falls als eines so schlechten Empfangs versehen / wuste sich also aus dem Steigereiffen keines andern als dieser Antwort zu entschlüssen: daß er Ingviomers Erklärung dem Feldherrn berichten wolte. Er fertigte also einen Edelmann noch selbigen Abend nach Deutschburg ab /[1247] welchen aber der Feldherr so lange zurücke hielt / biß er vorher von des Cattischen und Hermundurischen Hertzogs Erklärung Gewißheit erhielt. Ob diese nun zwar nach Wunsch einlief / ward er doch hierdurch zu keinem Hochmuthe verleitet; sondern ie höher ihn das Glücke erhob / ie mehr erniedrigte er sich der gemeinen Wolfarth zu Liebe. Je mehr ihm alles nach Wunsche lieff / ie mehr hemmete er seine Gemüthsregungen dem Vaterlande zum besten. Diesemnach schrieb er an Nassau: er wäre schon gewohnet darüber dem gemeinen Wesen zum besten keine Empfindligkeit zu schöpffen: daß seine am besten gemeinte Sachen übel ausgelegt oder gar als böse gescholten würden. Kein Hercules würde vergöttert; er müste zuvor eine vielköpffichte Schlange nehmlich die Verleumbdung überwinden / welches die schwereste aller Helden-Thaten wäre. Dieses aber könte nur durch ihre Verachtung und beständige Einhaltung der Tugend-Bahne geschehen. Daher hätte Hercules alle übele Nachrede so geringschätzig geachtet: daß er auch bey seinem Opffer durch Schandflecke sich hätte verehret wissen wollen. Nassau möchte daher nur Ingviomers erste Hitze verrauchen lassen / und ihm so wol seine gute Meinung als das allgemeine Heil für Augen stellen; welches anders nicht als durch sämtliche Eintracht der deutschen Fürsten zu erhalten / hingegen für unzweiffelbare Gewißheit zu achten wäre: daß / so lange in Deutschland ein Funcken ihrer Uneinigkeit übrig seyn / auch die Römer an ihnen ihr Heil zu versuchen nicht unterlassen würden. Der Graf von Nassau verfügte sich hiermit auffs neue zu Ingviomern /und trug selbtem für: daß dem Feldherrn mit der Sicamber / Friesen und Chauzen Hertzoge einen Vergleich einzugehen nicht weniger / als iedem andern deutschen Fürsten freygestanden; ihn auch hieran weder einige Reichsverfassung / noch eine besondere Bedingung ihres Bündnüßes gehindert hätte. Meinte nun aber ein oder ander deutscher Fürst sich mit diesen nicht zu vereinbaren / noch sein wolgemeintes Abkommen anzunehmen / stünde einem ieden Krafft habender Gewalt Krieg / Friede / und Bündnüße zu schlüssen / frey / sich anderer Mittel zu bedienen. Alleine wie Melo / Ganasch und Malorich wegen ihres schlechten Zustandes mit dem Verhängnüße nicht zu rechten hätten; also solte kein ander sich darauf verlassen: daß er mit der seltzamen Leitung und Verwechselung des Gelückes seine Fehler werde entschuldigen / und seinen Untergang von sich ablehnen können. Denn nicht alle Menschen / auch nicht alle Zeiten vergnügten sich mit einer Erkäntnüs und Bereuung der Vergehungen; sondern Sieger würffen Untergedrückten ins gemein für: daß sie ihres Glückes eigene Schmiede wären. Im übrigen wäre der Feldherr Ingviomers Meinung: daß Melo / Ganasch und Malorich ihr wider das Vaterland begangene Verbrechen mit nichts erheblichem entschuldigen / weniger rechtfertigen könten; und daß die Unsträfligkeit ein Anlaß zu neuen Sünden wäre. Aber auch bey kundbaren Verbrechen ließe es sich nicht allemahl thun: daß man solches in der einen Hand mit dem Schwerdte / in der andern mit Feuer rächte; und daß man durch diß vernichtete / was jenes nicht zerstören könte. Die Rache schöpffte zwar aus ungeheuren Mord-Thaten / aus grausamen Einäscherungen Wollust; aber sie hörte darum nicht auf unmenschlich zu seyn / einen Greuel der Welt abzugeben / und den Fluch der Nachkommen zu verdienen / oder auch die gerechtesten Siege zu bebrandmahlen. In denen Welthändeln / welche so viel Krümmen hätten / liesse sich nicht alles nach der Schnure einrichten / und auf einen Punct ausecken. Müsten doch die Aertzte verzweiffelte Kranckheiten ungerühret lassen / und zu gewissen Zeiten auch bey andern ihre Hand abziehen. Wie vielmehr hätten sich Fürsten zu hüten; daß sie durch unzeitige Mittel[1248] das gemeine Ubel nicht mehr anzündeten als dämpften. Wenn ein Glied des Leibes vom Krebse befallen wäre / liesse es sich wohl / nicht aber / wenn der kalte Brand schon in meisten Gliedern steckte / schneiden. Hier hätten nicht nur ein / sondern viel streitbare Fürsten und Völcker sich mit den Römern verflochten. Zwar wäre es nicht ohne: daß ob wol die Welt mehr nach anderer Beyspiele / als nach der Vernunfft und den Gesätzen sich richtete / und anderer Boßheit so anfällig als die Pest wäre / dennoch die Vielheit der Verbrecher so wenig eines ieden Laster verkleinerte /als eines andern Schuld uns von Bezahlung der eigenen befreyte. Alleine wo gantze Völcker sich vergangen hätten / verbiete die Unmögligkeit alle durchgehends zu straffen; also / daß es offt rathsamer wäre Verbrechen zu übersehen und ein Auge zuzudrücken /als durch vergebens angemaaßte Bestraffung seine Schwäche zu zeigen / die Verbrecher aber verwegener zu machen / und die Laster zu starcken. Hier insonderheit wäre es keine so leichte Sache / als es sich vielleicht ansehn liesse / an Chauzen / Friesen / Sicambern / Tencterern und Juhonen Rache auszuüben; welche so viel Blut als die Bructerer im Hertzen / die Waffen in Händen / die Römer am Rücken hätten. Vielmahl hätte die Verzeihung mehr Nachdruck / als die Straffe / welche durch ihre Schärffe mehrmahls Hartnäckigkeit verursachte / da die eigene Scham mehr Reue und die Erkenntligkeit verdienter Züchtigung die schmertzhaffteste Fühle erweckte. Hierzu wären alle drey Hertzoge schon gebracht; sie verdamten ihre eigene Irrthümer / sie entschlügen sich der allgemeinen Feinde / und erböten sich gutwillig zu dem / was man ihnen mit Noth und Gefahr durch die Waffen abzwingen könte. Also solte man ja diese Gelegenheit nicht aus den Händen lassen. Die Staats-Händel hätten so wohl als andere Dinge ihre gewisse Zeit / da sie reiff und vollkommen würden; daher wäre eine der grösten Klugheit selbte zu treffen / und davon die Früchte der Glückseligkeit / ehe sie überständig würden / einzuerndten. Alle andere mitverbundene Fürsten riethen und billigten den Frieden /und entsätzten sich für dem innerlichen Kriege / durch welchen Deutschland alleine könte zu Grunde gehen. Also möchte doch Ingviomer alleine durch seine Schwerigkeit nicht machen: daß die / welche ihnen itzt freywillig die Hände reichten / sich auf die Hinterfüsse sätzten / und zurücke kriechen; Deutschlands Freyheit aber hierdurch auf die Spitze gesätzt würde. Diese zu erhalten müste man alles eusserste thun. Eben diß hätte der gantze Rath Griechenlands gebilliget / da sie mit dem Wütterich Nabis aus Noth einen ehrlichen Frieden gemacht; weil sie ohne solchen Sparta zu erhalten nicht getrauet. Deutschland hätte an den einigen Römern schon Feindes genung / und dem Könige Marbod kein Haar zu trauen. Alle Staats-kluge aber hätten iederzeit denen in zwey Kriege eingeflochtenen gerathen den Fuß aus der einen Dohne zu ziehen / solte man gleich darüber den Schuch im Stiche lassen. Durch diesen Vergleich aber erledigte sich Deutschland dreyer Feinde; hetzete derer auch eben so viel den Römern auf den Halß / welches einer der besten Streiche in der Krieges-Kunst wäre. Ja dieser Fürsten Beyspiel würde vermuthlich auch dem Flavius und Bojocaln ein Wegweiser seyn sich der Römer zu entschlagen / und es wieder mit dem Vaterlande zu halten. Wie aber kein Feind zu verachten wäre; also solte man ihm auch keinen Freund verschlagen. Denn wie unter jenen keiner so schwach wäre: daß er nicht schaden könte; also wären auch diese alle zu etwas zu gebrauchen; ja in Freunden bestünde unser ander Wesen. Wären Melo / Ganasch /und Malorich ihrer Liebe nicht werth / so hätte Deutschland doch ihrer Waffen wider die Römer von nöthen. Man müste sich der Schickung des Verhängnüßes unterwerffen / wie[1249] die Schiffenden beym Sturme von der Fluth sich treiben / und dem Winde seinen Willen lassen. Cato / wie gut er es mit dem gemeinen Wesen gemeint / hätte doch selbtem mehr / als viel Feinde nicht / Schaden zugefügt / weil er bey verterbter Zeit die Seene der Rechte und Tugend allzustrenge anziehen / und allenthalben mit dem Kopffe durchfahren wollen. Ingviomer würde mit gesamter Hand sich auch leichter seines Schadens in dem fruchtbaren Gallien / als mit zerstreuter Macht an den bergichten und magern Sicambern / und den sumpfichten Friesen oder Chauzen erholen. Das gantze Belgische Gallien zwischen dem Rheine und der Seene wäre ein für allen Zeiten erworbenes Eigenthum der Deutschen. Dieses könten sie mit grösserm Ruhme durch ihre eintrachtige Waffen den Römern wieder abnehmen / als mit Gefahr ihrer Freyheit einander selbst in die Haare gerathen. Der Feldherr würde Ingviomern hierinnen so viel begieriger an der Hand stehen / so viel er wegen so nahen Geblütes ihm mehr als keinem andern verbunden wäre. Hätten die Bructerer bey diesem Kriege viel gelitten / so hätten die Cherusker gewiß darbey keine Seide gesponnen; gleichwol verlangte Hertzog Herrmann hiervor keine Erstattung von einigem deutschen Fürsten. Also möchte auch Ingviomer dißmahl seinen Schaden aus Liebe des Vaterlandes verschmertzen. Denn es wäre doch kein grösser Gewinn in der Welt zu erjagen / als wenn man seinen Eigennutz dem gemeinen Wesen zum besten aufopfferte. Ingviomer hörete zwar den Grafen von Nassau mit mehrer Gedult als anfangs; iedoch ließ er sein Unvergnügen noch immerdar mercken; antwortete ihm also: Es könte Hertzog Herrmann den ohne seine Wissenschafft völlig geschlossenen Frieden weder als Feldherr / noch als sein Freund rechtfertigen. Denn Deutschland hätte niemahls sich einer einhäuptichen Herrschafft unterworffen; auf diese Würde hätte sich auch kein Fürst / so lange als die Welt stünde / nicht zu spitzen. Das Recht aber für sich alleine statt Deutschlandes Krieg und Friede zu schlüssen / wäre das kläreste Merckmaal einer unverschrenckten Herrschafft. Ehe er diese nun zu seiner unsausleschlichen Schande iemanden verhängen wolte / wenn es schon sein Sohn oder Bruder wäre / würde er einen andern Junius Brutus in Deutschland fürstellen; welcher für Erhaltung der Römischen Freyheit seiner eigenen Söhne Hälse mit dem Beile durchschnitten hätte. Meinte Hertzog Herrmann auch solchen Schluß durch vermeintes Recht der Freundschafft zu rechtfertigen /so hätte er selbst Vernunfft genung sich zu bescheiden: daß niemand die Gewalt über seiner Freunde Glücke nach eigener Willkühr zu schalten an sich ziehen könte; weniger aber verlangen solte / Meister ihres Verstandes und Herren ihres Willens zu seyn. Im übrigen nähme er für bekandt an: daß ihre und des Vaterlandes Feinde was anders / als eine so freundliche Aufnehmung verdienet hätten. Dahero bestünde er auf seiner Meinung / ihre Schwerdter solten nicht stumpffer seyn / als die Schärffe des Rechtes. Wer seinem Feinde liebkosete / gäbe ihm selbst das Messer in die Hand / an ihm die Heucheley mit dem Leben zu straffen. Die Furcht wäre ein übeler Rathgeber; also solte man ihr zu gefallen nicht das schlimste / was sie allemahl vorschlüge / erwehlen. Melo / Ganasch und Malorich wären wol grosse Fürsten gewest / aber nicht mehr. Die Schwachheiten ihres Gemüthes hätten sie durch ihre kleinmüthige Verbindung mit den Römern verrathen; ihre Länder wären durch die Römer ausgesogen / ihre Mannschafft im Kriege umkommen / und ihre Unterthanen hätten alle ihre Gemüther von ihnen entfernet; also daß man sie mit dem ersten Sturme und ehe die abgematteten Römer sich regen würden / auf einmahl übern Hauffen werffen könte. Tapfere Fürsten müsten ihnen nichts so schwer / weniger[1250] unmöglich machen; sondern / weil andere rathschlagten / zugleich etwas großmüthig entschlüssen / wie ein Blitz loßbrechen / und nachdrücklich ausführen. Zaghaffte Leute pflegten nur über wichtigen Geschäfften zu käuen; Helden aber müsten alle Schwerigkeiten verschlingen / und sich ja bey Leibe hüten: daß sie durch zweiffelhafftes Stocken nicht die Enge ihres Hertzens verriethen. Er verwürffe zwar nicht die Klugheit; aber eben diese riethe dem nicht das ander mahl trauen / der schon einmahl seine Leichtsinnigkeit in der That verrathen hätte / und den zu entwaffnen / der schon einmahl seine Waffen so schädlich mißgebraucht hätte. Wie es grosser Witz wäre seiner Feinde Pfeile vorsehen und ihnen ausweichen; also verdiente es den Nahmen einer grossen Einfalt / sich mit einem Steine zweymal werffen und treffen lassen. Hätten ihre Feinde diesen Vortheil /welchen sie / in Händen; sie würden ihnen schon im Busem sitzen / und ihre Länder nach dem fürlängst darüber geworffenen Looße unter sich getheilet haben. Was solten sie denn für Bedencken haben ihrer zu schonen / oder sie gleichsam nur zu dem Ende lassen zu Kräfften kommen: daß sie ihnen aufs neue schaden könten. Die Erfahrung würde den Feldherrn mit Schaden lehren: daß / wenn die Römer sich wieder herfür thun / sie auch wie die im Winter von Frost erstarrte Schlangen am Frühling wieder zu stechen anfangen würden. Diesemnach würde ihm niemand für übel auslegen / wenn er sich der Gelegenheit bediente / und ehe sie sich erholeten und ihre Kräfften mit einander vereinbarten / nach dem Beyspiele des Feldherrn / welcher Segesthens gantzes Land / Malovends gröstes Theil / und alles Erbtheil des Flavius besässe / ein und ander Stücke seiner Feinde / vermöge des von allen Völckern gebillichten Kriegs-Rechtes / an sich zu ziehen trachtete. Der Graf von Nassau aber ließ sich diese Erklärung noch nicht schrecken / sondern stellte Ingviomern für Augen: daß er nicht mit einem unter diesen dreyen / sondern mit allen dreyen auf einmahl; ja wenn auch die Bataver / Gallier und Römer ausser Augen zu setzen wären / mit denen Catten zu thun bekommen würde; weil Catumer seiner Chauzischen Gemahlin Erbtheil nicht in Stich sätzen /noch Hertzog Arpus den ihm so nahe verwandten Melo der unversöhnlichen Rache zur Sättigung überlassen würde. Ja alle deutsche Fürsten würden sich der Sache annehmen / und so hohe Häupter nicht zu Grunde richten lassen. Sintemahl ein für alle mahl unlaugbar wäre: daß Melo zu erst den Degen wider den Qvintilius Varus ausgezogen / Hertzog Ganasch aber zu seiner Niederlage nicht ein weniges beygetragen hätte. Der Fall aber eines grossen Helden und noch mehr eines Fürsten erweckte auch bey Frembden Mitleiden; ja bewegte den Feind selbst zum Erbarmnüß /also: daß Julius Cäsar sich nicht enthalten können /seines Feindes des Pompejus Haupt mit Thränen zu netzen / und seinen Tod an allen Mördern aufs schärfste zu rächen. Wie vielmehr Verbitterung aber würde erwachsen / wenn man von sich eine Begierde blicken liesse so Erlauchte Häuser gar zu vertilgen / oder ihre uhralte Herrschafften an die seinen zu hefften / weßwegen Neid und Mißgunst die gantze Welt wider sie in Harnisch zu bringen nicht säumen würde. Welche Holtz-Würme des gemeinen Wesens nicht einnisten zu lassen / der Feldherr Segesthen / dem Flavius und Malovend / wenn sie mit Deutschlande Freund würden / alle Augenblicke alles wieder einzuräumen erbötig wäre / was die gemeine Wolfarth ihn in Verwahrung zu nehmen genöthiget / kein Geitz aber ihm zuzueignen noch nie versucht hätte. Durch so gute Gründe und annehmliche Bescheidenheit redete er Ingviomern viel geschöpfften Argwohns aus /besänfftigte seine Gemüthsregungen / und brachte ihn auf so guten Weg; zumahl da auf des Feldherrn Gutachten / die abgeschickten Priester sich auch an[1251] Ingviomers Hof einfanden / das Ungeheuer des einheimischen Krieges zu erstecken / und zwischen denen deutschen Fürsten die alte Verträuligkeit zu erneuern sich eyfrigst bemühten. Es wäre auch dieses heilsame Werck allem Ansehen nach zu einem gewünschten Schlusse kommen / wenn die unvermuthete Zeitung: daß die Semnoner und Langobarden vom Könige Marbod ab- und dem Hertzog Herrmann zugefallen wären / den Schluß nicht in Stecken gebracht; und die hierauf erfolgte Veränderung mit Hülffe der Arglist und Liebe alles so mühsam unterbaute über einen Hauffen geworffen / und Deutschland allererst recht durch einen innerlichen Krieg angezündet hätte. Denn ob zwar iederman hätte urtheilen sollen: daß dieses Aufnehmen Hertzog Herrmanns dem Fürsten Ingviomer / als seinem nechsten Vetter / vielmehr zum Vergnügen hätte gereichen sollen; so hätte doch die Würckung gewiesen: daß der Neid rechte Wunder-Augen habe; und daß sie zwar scharffsichtig / niemahls aber ohne trübe Wolcken wären. Wie denn Ingviomer diese Schwachheit zu verbergen nicht mächtig war / sondern dem Grafen von Nassau bey Veränderung seiner vorigen Meinung ins Gesichte sagte: Sein Vetter Herrmann hätte kein Bedencken seine Herrschafft über zwey Völcker auszubreiten / ihm aber /als dem ältesten Fürsten des Cheruskischen Hauses /mißgönnete er: daß er sich seines Schadens an den offenbaren Feinden Deutschlandes etlicher massen erholen solte. Alleine er würde sich daran nichts hindern /oder ihm seines gleichen Gesätze fürschreiben lassen. Der Graf von Nassau mühete sich zwar eusserst Ingviomern auf lindere Gedancken zu bringen; nach dem aber alles fruchtloß abgieng / und er keine Hoffnung mehr hatte ihn zu besänfftigen / ward er Ingviomern zu sagen gezwungen: der Feldherr hätte des gemeinen besten wegen mit den Chauzen / Sicambern und Friesen sich verglichen / und ihnen seinen Schirm wider alle Gewalt versprochen; also würde Ingviomer nicht übel aufnehmen / wenn Hertzog Herrmann sie wider alle gewaltsame Anfälle mit seinen Waffen vertheidigen würde. Diese letztere Erklärung des Grafen von Nassau / welche zu thun ihm Hertzog Hermann ausdrücklich befohlen hatte / entrüstete Ingviomern auf eine solche Weise: daß er Augenblicks einen Hengst zur Stelle bringen / ihn werffen ließ / und über denen ausgeschnittenen Geilen nach dem Beyspiele des Tyndareus schwur: er wolte sein Haupt nicht sanffte legen / biß er diese Veracht- und Dreuung gerochen hätte. Der Graf von Nassau zohe hierüber die Achseln ein und noch selbigen Tag zurücke. Ingviomer aber ward ie länger ie mehr gegen seines Vetters wachsendes Glücke / wovon täglich mehr Nachrichten einlieffen /eyversüchtig und verbittert.

Die erwehnten Semnoner und Langobarden aber sind die zwey edelsten Völcker der in dem innersten Deutschlande von den Bojischen Gebürge und dem Uhrsprunge der Elbe biß an die Weichsel und das Baltische Meer wohnenden Schwaben / welchem sie auch den Nahmen der Schwäbischen See gegeben haben. Beyde Völcker sind für andern Deutschen an den Haaren kenntlich / welches sie wie alle Schwaben mit Knoten zu knüpffen / und so gar biß ins Eißgraue Alter die Zöpffe im Nacken oder auf dem Wirbel zusammen zu binden pflegen. Ihre Fürsten pflegen ihre Haare wol auch zu krausen und wie Hörner in die Höhe zu rollen / iedoch nicht dem Frauenzimmer zu Liebe / sondern / daß sie im Kriege desto ansehlicher aussehen. Die Semnoner sind ein grosses Volck. Denn sie bewohnen das gantze Gebiete zwischen dem Bojischen Gebürge an dem Kweisse / folgends dem Bober biß an die Oder / wie auch an der Elbe herab /biß wo die Saale hinein fällt. Sie rühmen sich die ältesten Schwaben zu seyn; und daß ein Theil von ihnen unter dem Hertzoge[1252] Brennus Rom eingenommen / den grossen Alexander mit einer Botschafft verehrt / und mit der hertzhafften Antwort: daß sie nichts als den Hi elfall fürchteten / vom Einfalle in Deutschland zurück gehalten hätten. Wie sie denn auch die in Gallien wohnenden Semnoner für ihre aus Deutschland gewanderter Anverwandten Nachkommen halten. Unter denen Semnonern gegen Mitternacht von der Elbe hinab / biß wo die Havel hinein fällt / biß an die Oder wohnen die Langobarden / ein zwar nicht so grosses / aber sehr streitbares und keine Gefahr achtendes Volck; welches zwar rings herum von mächtigen Völckern umgeben ist / aber keinem andern iemahls gehorsamet / sondern sich mit dem Degen allezeit bey seiner Freyheit erhalten hat / biß daß das Verhängnüs es nebst andern Völckern gleichsam durch einen Sturm dem Könige Marbod unterwarff. Jedoch würde dieser schwerlich beyder Völcker Meister worden seyn / wenn ihre Fürsten dem erstgebohrnen Sohne die Herrschafft gelassen / nicht aber durch derselben schädliche Zertheilung ihre Macht zerstücket und dadurch zu Bürger-Kriegen Anlaß gegeben hätten / wordurch die vielen Fürsten einander selbst aufrieben / die übrigen aber in wenigen Jahren gleichsam wie Schwämme / die in einer Nacht wachsen und in einem Tage wieder vermodern / abstarben; so daß es etliche für eine Zauberey / andere für eine besondere Schickung des dem Könige Marbod gleichsam zu Gebote stehenden Verhängnüßes hielten. Bey den Semnonern entspaan der innerliche Krieg sich daher: daß der Adel die Herrschafft unter dem Scheine der Freyheit bey sich behalten / und vermittelst einer Raths-Versamlung unter sich theilen; das gemeine Volck aber ein Haupt / und / wie sie sagten / lieber einem als vielen Herren zu Gebote stehen wolten. Diesen Zwist beyzulegen kamen alle Semnoner an der Spreu auf freyem Felde im Vollmonden / und zwar nach der Deutschen Gewohnheit / alle gewaffnet zusammen; wiewol viel ihrer Freyheit nach kaum drey Tage darnach sich einstellten. Da sich sonst alles Volck ohne Ordnung unter einander zu sätzen pflegte / sonderte sich dieses mahl der Adel von den gemeinen Leuten ab. Haugwitz ein alter und ansehlicher Ritter trug hierauf im Nahmen des sämtlichen Adels folgenden Vortrag: Nach dem es dem Verhängnüße gefallen hätte den uhralten Stamm ihrer Fürsten untergehen zu lassen / schiene es desselben deutlicher Wille zu seyn die Semnoner in Genüß ihrer Freyheit zu sätzen. Weil aber kein Land oder Volck ohne Herrschafft bestehen / weniger glücklich leben könte /würde selbten zweiffelsfrey gefallen nicht einen Fürsten / sondern die klügsten und tugendhafftesten aus denen gesamten Semnonern zu erkiesen; also sich nicht der Dienstbarkeit eines Fürsten oder Geschlechtes zu unterwerffen / sondern vielmehr die besten aus dem Volcke zu Beförderung der gemeinen Wolfarth auszulesen. In der goldenen Zeit wäre iedweder sein eigener Herr gewest; niemand hätte einem andern Gesätze zu gehorsamen gehabt / als welches ihm seine eigene Willkühr fürgeschrieben. In der silbernen Zeit wären Städte und Reiche aufkommen; es hätte aber einer so viel als der ander in gemeinen Rathschlägen sagen dörffen; und die Weitläufftigkeit der Herrschafften / da gantze Völcker unmöglich hätten versamlet werden können / wäre dem gemeinen Wesen vorzustehen denen / zu welchen man das beste Vertrauen gehabt / übergeben worden. In der eisernen Zeit aber hätten allererst einzele Menschen die Gewalt über das gantze Volck nicht aus dessen Liebe / sondern aus Ehrsucht und Eigennutz an sich gerissen /und die Dienstbarkeit eingeführt. Weil nun nichts süsser / nichts herrlicher als die Freyheit / und dem ersten Uhrsprunge der Menschen anständiger wäre / als daß einer Mutter Kinder einerley Recht und Gewalt hätten / daß diß / was alle angienge / alle billichten; solten sie die Gelegenheit[1253] sich in die Freyheit zu versätzen als ein seltzames Geschencke Gottes nicht durch Unachtsamkeit verlieren; und weil die Menge der Semnoner freylich nicht lidte: daß alle zugleich herrschten / doch aus den besten einen gemeinen Rath erkiesen /welcher durch Vernunfft und Gerechtigkeit / wovon offt ungeschickte Fürsten nichts verstünden / eigensinnige nichts hielten / allen glücklich vorstünde. Hierdurch würden sie sich aus dem eisernen Joche /wo nicht in eine güldene doch in eine silberne Verfassung / aus der willkührlichen Herrschafft unter den Schirm der Gesätze versätzen; an welche / wie heilsam sie gleich wären / auch die besten Fürsten nicht wolten gebunden seyn. Weil aber doch iede Glieder eines gemeinen Reichs-Rathes denen Gesätzen und Gerichten eben wie einer aus dem gemeinen Volcke unterworffen / und fast unmöglich wäre: daß alle ingesamt wider die gemeine Wolfarth einstimmig seyn könten / könte das Volck unter einem solchen Rathe unmöglich in solche Gefahr und Dienstbarkeit verfallen; als wo die Begierden eines Fürsten seine Richtschnur machten / und ohne besorgliche Straffe oder Verantwortung Gesätze machten und aufhüben. Die Semnoner wären kein so ungeschicktes und wildes Volck: daß nur einer oder der ander / oder gar keiner unter ihnen zu herrschen wüsten; also sie nur den einigen Geschickten aus sich / oder gar einen Frembden zum Fürsten erkiesen müsten. Wo nun aber ihrer viel an Adel und Fähigkeit einander gleiche wären / erforderte die Billichkeit: daß auch alle diese zugleiche herrscheten. Kein Fürst in der Welt wäre ohne diß so geschickt / oder hätte so viel Kräfften: daß er alleine ohne anderer Zuthat einem gantzen Volcke vorstehen könte / und der grösten Kunst aller Künste / nehmlich der Herrschafft / welche so viel Tieffen zu ergründen /so viel Weiten auszumässen / so viel Geheimnüße zu begreiffen hat / gewachsen seyn solte. Da er nun entweder seine Blutsfreunde aus Zuneigung / oder Frembde aus Noth zu Räthen und Gehülffen annehmen müste / wäre ja schicklicher und vergnüglicher: daß das mit mehren Augen sehende Volck / so viel als die Nothdurfft erforderte / zur Herrschafft erkiesete; welche denn mehr Weißheit / Tugend und Beredsamkeit / als ein Mensch besässe / dem gemeinen Wesen zum besten beytragen könten. Hingegen fiele ein Fürst einem Lande überaus kostbar; weil diese zu ihrem prächtigen Unterhalte / zu Spielen und Wollüsten / zu Verpflegung ihrer Anverwandten / zu Aussätzung ihrer Töchter und Belohnung der Heuchler offt mehr / als auf Besoldungen nützlicher Diener /Führung nöthiger Kriege / und sonst zum gemeinen besten vom Schweiße der Unterthanen anzugewehren pflegten. Nach dem auch nicht nur das Vermögen /sondern die Ehre und das Leben der Bürger in der Herrscher Gewalt stünde / ihrer viel aber nicht so leicht die Unschuld zu unterdrücken übereinstimmen /als ein hitziger Fürst entschlüssen könte. Das Heil der Bürger aber wäre das oberste Gesätze / und die Herrscher wegen des Volckes / nicht aber das Volck wegen der Herrscher. Das gemeine Volck der Semnoner blieb auf seiner Meinung und dem Verlangen einen Fürsten zu ihrem Haupte zu haben; sätzte daher dem Adel entgegen: die Erzehlungen von der güldenen und silbernen Zeit wären mit so viel Getichten umwickelt: daß aus derselben Finsternüs die Wahrheit schwerer als das Gold aus Ertzt-Schlacken zu ziehen wäre. Wenn das Alterthum ihnen eine Richtschnur abgeben solte / würde die einhäuptige Herrschafft ohne allen Zweiffel das Vorrecht haben. Denn die Haußhaltungen wären sonder Zweifel ältere Gemeinschafften als die Städte; in jenen aber wäre der Hauß-Vater über Weib / Kinder und Gesinde der erste König gewest / wie in einem Reiche der König nichts anders als des Volckes Vater wäre. Wenn aber auch anfangs bey Aufrichtung der Städte nicht bald[1254] die Fürstliche Herrschafft gegründet worden wäre / würden nicht etliche / wie der Adel itzt verlangte / sondern alle aus dem Volcke solche ausgeübt haben. Alleine die Griechen / die Römer / und insonderheit die Deutschen zähleten ihren Anfang von ihren Königen her; ja gantz Asien wüste von keiner vielhäuptigen Herrschafft etwas; sondern diese wäre ihnen etwas so ungeschicktes / als wenn der Himmel zwey Sonnen /ein Kreiß zwey Mittel-Puncte haben solte. Die Natur hätte die erste Welt durch das Beyspiel der Elephanten / des Rindviehes / der Kranche / welche alle nur einem Führer folgten / zur Erwehlung angewiesen; ja etlichen tausend weiblichen Binen nur einen Weißel zum Manne gegeben: daß sie / als ein kluges Muster des gemeinen Wesens / ihn für ihren einzelen König erkennen müsten. Diesem beqvämten sich nun auch billich die vernünfftigen Semnoner; nicht zwar: daß sie einem / der sich etwan aus Ehrsucht oder Eigennutz ihnen aufdringen wolte / sondern dem / welchen die meisten Stimmen für den würdigsten erkiesen würden / sich unterwerffen solten. Wie der Adel ihre Menge: daß alle Semnoner die Hand in der Herr schafft haben könten / selbst für zu groß hielten / also schiene vieler edlen Herrschafft des Volckes Freyheit / insonderheit aber der gemeinen Ruh mehr als eines Fürsten / Abbruch zu thun. Denn weñ schon alle / die sie zur Herrschafft im Vorschlage hätten / dazu tüchtig wären / würden doch sie mit einander aus angebohrner Begierde alleine zu herrschen bald zwistig werden; Zu Unterdrückung der andern Arglist / Verleumdung / Ungerechtigkeit / ja selbst das theuere Blut der Bürger zu Hülffe nehmen. Denn da Tullia aus Herrschenssucht nicht ihres Vaters / Romulus nicht seines Bruders verschonet / wer wolte unter frembden ihm eine beständige Eintracht verheissen? Daher auch Rom nach verstossenen Königen kein ander Mittel gehabt Adel und Pöfel mit einander zu versöhnen / denen bürgerlichen Kriegen ein Ende zu machen / als daß es mehrmahls sich einem Feldherrn /und hernach einem Kayser unterworffen / nach dem sie gelernet: daß zwar Fürsten die Gesätze bißweilen zu beugen / gute aber darnach selbst zu leben / unter vieler Herrscher Zwytracht aber ins gemein mehr Schiffbruch leiden; ja nicht selten vom Sylla / Marius / Julius zum Deckel ihrer Kriege angezogen und mit Füssen getreten würden. Dahero / weil ein Fürst ja nicht mit ihm selbst zwistig werden könte / seine Eintracht für den Grundstein des innerlichen Friedens /vieler Herrscher Neid / Eyversucht und Mißverstand aber für einen steten Zanck-Apfel zu halten wäre /weil doch Gewalt und Eintracht selten verträgliche Gefärthen seyn könten. Aus diesen Ursachen könte nicht einst ein kleines Krieges-Heer bestehen / wo ihrer mehr als einer an der höchsten Gewalt Theil hätten. Also wäre die Schlacht im Isthmus durch die widrigen Meinungen des Themistocles und Euridiades den Persen bey nahe in die Hände gespielt / des Sempronius und Scipio Zwytracht hätte Hannibaln bey Trebia / und die Händel des Terentius und Paulus bey Canna zum Obsieger gemacht / und Rom bey nahe verlohren. Wie solten nicht gantze Länder / unberügliche Reiche / welche gleichsam gegen ihre Nachbarn stets zu Felde liegende Läger sind / bey zertheilter Herrschafft Noth leiden? Welchen treuen Bürger solte nun gelüsten Theil an einer so schädlichen Herrschafft zu haben / wenn er noch so vollkommen wäre? welcher wolte gegen einen einzelen Herrscher eyversüchtig seyn / wenn dieser dem gemeinen Wesen so nöthig und nützlich ist? dahero / wenn auch schon unter denen Semnonern ihrer viel dem würdigsten gleich wären; würde doch / weil jenem der Wille des ihn erwehlenden Volckes ein grosses Gewichte und Vorrecht zuwirfft / sich so wenig einer unter diesen /als das Volck gegen die Herrschafft des Adels über einige Ungleichheit zu beklagen haben /[1255] wo ihm der Neid nicht aus den Augen sehen soll. Das Ampt eines Fürsten erforderte freylich zwar mehr / als zwey Hände; aber ein gantzes Reich erforderte wie ein Leib nur einen Geist selbiges zu beseelen; und gienge die Uhr einer Herrschafft viel richtiger / wenn viel Diener nach eines Fürsten Befehl / als viel herrschende Rathsherren nach ihrem eigenen Gutdüncken die unter sich getheilten Geschäffte verrichten; und weil meist so viel Meinungen als Köpffe wären / einer mit dem Kopffe dar / der andere dort hinaus wolte. Wenn nun schon ihrer viel mehr als einer sähe / wiewohl man ein Auge zudrückt / wenn man etwas aufs genauste erkiesen wil / verfälschte doch die Wiederwärtigkeit der Meinungen / wie gewisse Gläser das Gesichte. Denn aus denen Wiedersprech- und unglücklichen Ausübungen der Rathschlüsse / da man bey Mißlingungen andern ins gemein Mängel ausstellte / oder / wenn wir selbigem Rathe nicht beygepflichtet haben / den guten Ausschlag ins geheim hindern / und uns über unserm eigenen Unglücke kitzeln / erwüchse Verdruß und Haß; und weil selten einer ohne Anhang ist /ieder aber sich für den klügsten hält / im Rathe Spaltungen / derer iede geheime Bündnüsse machte / und wenn sie mit Klugheit und Beredsamkeit nicht könten / mit Gewalt durchzudringen / und den gefasten Schluß mit den Waffen auszuüben trachteten / solle gleich alles drüber zu Grunde gehen. Zu geschweigen: daß wo die Gewalt zu herrschen / welche so vielmehr Nachdruck hat / ie enger sie zusammen gedrungen ist / in so kleine Stücklein zertheilet wird / und ihrer viel etwas belieben müsten / die Rathschläge wie die allzukünstlichen Uhren offt ins Stecken geriethen; und /weil mit dem von einander gehenden Rathe die Seele der Herrschafft gleichsam verschwinde / und ohne neue und offt langsame Versamlung nichts geschlossen werden könte / vielmahl und mühsam aufgezogen werden müsten; hingegen ein Fürst allenthalben und iederzeit sein nie ruhendes Ampt vollziehen / in Nothfällen für sich selbst alles aus dem Steigereiffen entschlüssen / die Geheimnüße für den scharffsüchtigsten Augen verschlüssen / und gleichsam in seinem Hertzen verfaulen lassen könte; welche / wo so viel Wissenschafft davon haben / weder durch Eyde noch Künste verschwiegen zu halten wären. Da doch in der Heimligkeit eines Rathschlages / welche die sicherste Wache wichtiger Vornehmen ist / und durch die Blindheit des verstockten Minotaurus fürgebildet wird / mehrmahls das Heil eines Reiches bestehet: und daher dem Theseus / nach dem er dessen Meister worden / nicht schwer gefallen den Minos seiner Tochter nehmlich der Herrschafft zu berauben. So giengen auch viel Herrscher mit denen gemeinen Einkünfften nicht sparsamer / als ein eintzeler Fürst um. Deñ hier verschenckte nur einer wenigen / dort ihrer viel vielmehrern. Sintemahl ein ieder sich seinem Stande gemäß halten / sein Geschlechte hoch ans Bret bringen / seinem Sohne die Nachfolge in der Würde versichern wolte; also keine geringe Zahl benöthigter Freunde sättigen / ja gar die ihm am Wege stehende Mißgönner durch Freygebigkeit gewinnen / zu so vielen Ausgaben aber die gemeinen Einkünffte durch künstliche Grieffe an sich bringen müste; worzu einer dem andern bey einerley Zwecke und gemeinem Diebstale durch die Finger zu sehen durch eigene Noth oder Gewissen genöthiget würde. Uber diß stünde die Unschuld unter einem / als unter viel Häuptern / in weniger Gefahr; und wäre die Grausamkeit wohl eines Phalaris / nicht aber der Könige / sondern vielmehr des Volckes Eigenschafft. Ja auch Wütteriche hauten nur die über andere sich empor streckende Köpffe /nehmlich Ehrsüchtige / ab / welche ihnen zu nahe kämen und ihre Hoheit überschatten wolten; Bürger aber / welche unbekandt bleiben / und sich nicht mit Fleiß hervor brechen wolten / hätten so wenig als niedrige[1256] Sträuche sich einigen Donners zu befürchten. Wo ihrer aber viel das Hefft hätten / wäre kein Mensch sicher / weil niemand sich so sehr vorsehen könte: daß er nicht einem aus so vielen zu nahe käme; oder er einen gegen seine Vor-Eltern oder Verwandte geschöpfften Haß erbte. Wie leicht aber liesse sich solche absondere Feindschaft mit dem Nutzen gemeiner Rache vermänteln / ja Octavius schlüge wohl sei nen besten Freund Cicero in die Schantze / und verkauffte dem Antonius seinen Kopff: daß dieser hingegen jenem auf andere zu rasen freystellen möchte. Des Volckes und der Zunfftmeister Herrschafft zu Rom wäre viel blutiger als der sieben Könige gewest; und Carthago stünde vielleicht noch / wenn die Barchinischen verbundenen nicht des Hanno heilsamen Rath zernichtet hätten. Derogestalt bestünde das Heil der Semnoner auf der Wahl eines Fürsten. Dann dieser wäre der Heilbrunn eines Volckes / aus welchem ieder Bürger Hülffe und Trost zu schöpften hätte. Daher könte man wol der Person eines Königes / aber nicht schlechter Dinges eines Königes überdrüßig werden. Reder ein Semnonischer Edelmann brach dem Redner des Volckes ein / und sagte: Es liesse sich die Königliche Herrschafft leichter heraus streichen / als vertragen. Es wäre damit aber wie mit gewissen Kräutern beschaffen / welche einem Thiere eine gedeyliche Speise / dem andern tödtliches Gifft wären. Völcker /welche entweder von Natur oder durch Gewohnheit zu Knechten gemacht worden / vertrügen nicht nur ein Oberhaupt / sondern hätten dessen auch unentpehrlich von nöthen. Aber den Semnonern wäre die Freyheit angebohren / und also die Dienstbarkeit unerträglich. Warum wolten sie sich dann selbst muthwillig zu Sclaven machen / da sie und ihre Kinder herrschen könten? Die anwesenden Priester hatten biß hieher nur zugehöret; nun aber stand Ludger der Oberste unter den Anwesenden auf / und fieng an: Was verstehestu unter deiner gerühmten Freyheit? Wilstu niemanden unterworffen seyn / und nur nach eigenem Willen leben / so hebestu alle Herrschafften / auch die / welche du im Schilde führest / auf. Warum schlägstu denn nicht für: daß die Semnoner nicht einem / auch nicht vielen Häuptern gehorsamen / sondern ein ieder sein eigen Herr seyn solle? Denn diß ist die vollkommenste Freyheit. Aber du bescheidest dich vielleicht selbst: daß der / welcher bey solcher Unordnung und Selbstgewissenheit ausser einer Stadt leben / und alles / was er wil / zu thun vermeint / auch alles von andern nach ihrer Willkühr leiden müsse; hingegen in einer Stadt behält iedweder weniger / aber doch so viel Freyheit / als zu seiner Ruhe und Sicherheit nöthig ist. Dieser Abgang aber wird ihm dadurch reichlich ersätzt: daß allen andern ihre Willkühr ihm zu schaden benommen wird / und daß er sich für keines andern Freyheit zu fürchten hat. Du siehest zweiffelsfrey: daß wo ein Land ausser der Verfassung einer Herrschafft ist / zwar ieder ein Recht zu allen Dingen habe / aber keines einigen alleine und sicher genüssen könne; und also es viel besser sey / in einer Stadt weniger haben /und solches sicher nutzen können. Du fürchtest vielleicht: daß ausser gesätzter Obrigkeit dich iederman /unter einer Herrschafft aber nur einer oder etliche dich füglich des Deinen berauben und tödten können; daß in jenem Zustande du dich alleine / in diesem aber dich viel andere beschirmen; daß dir dort dein eigener Fleiß nicht gewiß / hier aber dir auch anderer Leute Müh und Saate zu statten komme; daß ohne Herrschafft du in stetem Kriege / Furcht / Armuth / Einsamkeit / Wildnüs und Unwissenheit elende / unter der Herrschafft aber in Sicherheit / Uberfluße / Gesellschafft / und Wissenschafft gemächlich und herrlich leben könnest / weil dort die Begierden / hier die Vernunfft zu gebieten hat. Nach dem du dich nun durch diß dein eigen Bekäntnüs gefangen giebst: daß die Freyheit / wenn sie gantz unumschrenckt / und also in der höchsten Staffel ist / dich nur unglücklich[1257] mache / wie magstu denn der Semnoner Glückseligkeit auf die Freyheit gründen? Verstehestu aber unter dem Nahmen deiner gerühmten Freyheit eine solche /welche keinen Gesätzen unterworffen / so strebestu selbst nach der Herrschafft; welche in einer solchen Unverbindligkeit bestehet. Und derogestalt ist die Liebe solcher Freyheit nur eine Ungedult: daß du nicht selbst das Steuer-Ruder der Semnonischen Herrschafft in Händen haben solst. Hastu aber dein Absehen auf die Rechte und güldene Freyheit / welche in einer Befreyung für unrechter Gewalt / und in Befolgung der Gesätze bestehet / so würdestu solche nicht vollkommener als unter der Fürstlichen Herrschafft finden; weil bey diesen weniger Gesätze / als bey vieler Herrschafft gemacht werden / und es leichter wäre sich in einen / als in viel Köpffe schicken. Unter diesen bildete man sich zwar eine Freyheit ein; man wüste von selbter viel Worte zu machen / und wäre doch nirgends ihr Wesen zu finden; sondern man verehrte viel Götzen mit einer mehr als knechtischen Heucheley; und lebte man mehr ohne Herren / als in der Freyheit. Ja auch die / welche das Steuer-Ruder mit in Händen hätten / bildeten sich mehr ein zu herrschen / als daß sie wahrhafftig herrschten. Der denen Gesätzen geleistete Gehorsam benähme der Freyheit aber das wenigste / sondern gäbe derselben vielmehr ihre Vollkommenheit / welche in Wolfarth und Sicherheit bestünde / worauf alle Gesätze gerichtet würden; und daher ieder vernünfftiger nicht mit gezwungenem Unwillen / sondern mit Freudigkeit nach selbigen lebte. In der gantzen Welt aber wäre die unschätzbare Freyheit nicht vollkommener als unter den deutschen Fürsten zu finden / und bey denen Semnonischen zeither gewesen. Denn ihre Fürsten wären selbst an gute Gesätze gebunden; und ihre Gewalt über das Volck wäre mit ihrem und der Vernunfft umschräncket / also: daß sie mehr mit ihrem guten Beyspiele / als mit Befehlen die Unterthanen zur Nachfolge leiteten / die Verbrechen aber die Priester untersuchen und bestraffen liessen. Ja dem Adel wäre selbst mehr als dem Volcke an einem Fürsten gelegen; weil solcher diesem am nächsten wäre / und ein Fürst treue Dienste reichlicher als viel Herrscher belohnete; auch leichter eines als einer Menge Genade zu erwerben und zu erhalten wäre. Ein Fürst sehe Fehlern und Schwachheiten ehe durch die Finger; da hingegen ein herrschendes Volck von keiner Erbarmung wüste / von vielen widrigen Regungen verwirret / und weil ieder eines andern Versehen zu seiner Gefahr und Schaden auslegte / solches als ein ihm gethanes Unrecht zu rächen gereitzt würde. Kein Fürst wäre leicht so unachtsam oder so frech: daß er nicht nach sich einen ehrlichen Nahmen und den Nachfolgern ein gutes Beyspiel zu lassen gedächte; die Menge aber hätte keine Stirne und keine Schamröthe. Sie sorgte nicht / wie Fürsten / um die Nachkommen; sondern nur für eigene Sicherheit; und daher hielten sie auch ihre Bündnüße selten länger / als sie ihnen verträglich zu seyn schienen. Sie erinnerte sich keiner Wolthaten verdienter Leute; und machte ihr kein Gewissen die Unschuld selbst für sich aufzuopffern /welches ihnen tapfere Fürsten nunmehr zur Schande thäten. Was hätte denn der Adel für Ursache eine so gelinde und heilsame Herrschafft zu theilen / durch ihre Trennung aber zu schwächen? Da es sonder Zweiffel Deutschlande viel nützlicher seyn / und der Römer Einbruch eben so wol als der Pränestiner Ein fall zu Rom die blosse Wahl eines Feldherrn zurücke trieb / verhütet haben würde / weñ sie ihren Fürsten grössere Gewalt einräumten / oder sich alle Deutschen der unverschränckten Gewalt eines einigen Hauptes übergeben? Denn in der Einigkeit bestünde die Vollkommenheit / in der Eintracht die Wolfarth; Die Trennung aber wäre so wohl in bürgerlichen als natürlichen Sachen der Weg zum Verterben.[1258] Dieses erkennten die Deutschen in ihrem Gottesdienste / da sie nur einen GOtt glaubten / anbeteten und diese Wahrheit dardurch erhärteten: daß / wenn mehr als ein GOtt der Natur vorstünden / in der Welt keine so herrliche Ubereinstimmung zwischen so widrigen Dingen gefunden werden könte. Woraus die Weltweisen vernünfftig geschlossen: daß die Herrschafft eines einzelen Hauptes der Natur gemäß / und ein Nachgemählde der Göttlichen / die vielköpfichte Herrschafft aber ein Gemächte der Menschen und im Prometheus abgebildet wäre. Sintemahl die menschliche Vernunfft durch das gestohlne Feuer der von GOtt als der höchsten Sonne entlehnten Gesätze den Koth des niedrigen Volckes gleichsam beseelet hätte / als solche wären zu Herrschern gemacht / und mit diesen Zwytracht und ander Unheil eingeführet worden. Diesem abzuhelffen hätte der Wahrsager-Geist kein ander Mittel an die Hand zu geben gewust / denn daß sie einen König erwehlen solten. Sintemahl ein König das Reich als sein Eigenthum in acht nähme und zu erhalten sorgte; viel Herrscher aber damit wie Amptleute mit frembden Gütern gebahrten. In dem ersten Falle schiene ein Fürst zwar seinen Eigennutz zu suchen; er wäre aber mit der gemeinen Wolfarth unzertrennlich eingeflochten; weil alles / was er für seine Erhaltung thäte / nothwendig auch zur Beschützung seiner Unterthanen gereichte / ja fast nicht zu ersinnen wäre /wie etwas für den Fürsten gut / für die Bürger aber schädlich seyn könte. Wo aber die Herrschafft getheilet / und die Würde veränderlich wäre / wolte keiner die Gelegenheit versäumen sein Glücke zu suchen; und daher machten ihnen wenig Gewissen diß / was sie ohne diß bald abtreten müsten / zu verhandeln / so bald sich nur ein Kauffer ereignete / umb hierdurch theils ihrem Armuthe abzuhelffen / theils ihren Geitz zu stillen; weßwegen Marius so närrisch nicht gethan / als er etliche Scheffel Geld auf den Marck tragen ließ / umb der Römer Stimmen zu erkauffen / als wordurch auch die von Athen verleitet wurden die Mytileneer eben den Tag frey zu sprechen / an dem sie sie verdammt hatten. Da nun unsere kluge Vorfahren unter Fürsten ihre Vergnügung gefunden haben / und alle deutsche Völcker sie noch finden / warumb wolten denn wir uns einer neuen und unbekannten Strasse befleißen? Lasset uns aber nach den alten Sitten leben / nach alter Gewohnheit beherrschet werden / so wer den die Semnoner süssen Friedens / reichen Uberflusses und der güldenen Freyheit unaufhörlich genüssen. Das Volck billichte mit Zusammenstossung ihrer Schilde dieses Priesters Beyfall; der Adel aber bezeugte durch ein Geräusche hierüber sein Unvergnügen. Als aber auf beyden Seiten die Priester ein Stillschweigen zu Wege gebracht hatten / fieng der Ritter Schweinitz an: Dieses Priesters beliebter Schluß öffnet dem Adel die Augen: daß die Semnoner von ihrer Vor-Eltern und anderer tapfferer Deutschen Zwecke gantz abkommen sind. Denn er höret: daß sie nun auf Reichthum / auf Wollust und Ruhe ihr Absehn haben / daran unsere Ahnen kein Vergnügen fanden. Denn diese wurden so harte ohne Bette zwischen dem Vieh oder in Wäldern erzogen: daß man unter Adel und Pöfel / unter Herr und Knechte keinen Unterschied sahe / biß ihn die Tugend machte / und das Alter sie unterscheidete. Die Arbeit war ihre Wollust / wildes Obst / geronnene Milch / oder ein selbst gefälltes Wild war eines ieden Speise; sie reitzten mit keinen Gewürtzen und niedlichen Gerichten ihren Hunger. Hierdurch erwuchsen sie zu so grossen Leuten; hiervon kriegten sie so kräfftige Spann-Adern und starcke Glieder: da hingegen eine zärtliche Auferziehung Leib und Gemüthe entkräfftet. Sie wusten von keinem Gelde; und hielten es mehr für eine Gnade als einen Zorn ihres Gottes: daß er sie mit Silber und Golde verschonet hatte / sie also[1259] der Müh entübriget waren den Gebrauch gemüntzten Ertztes mit den Lacedämoniern in ihrem Lande zu verbieten. Sie brauchten das Eisen zu keinem Gelde / welches Lycurgus doch zu Sparta zuließ / sondern nur zu Waffen; ja die ihren Gesandten verehrten Silbergeschirre hielten sie nicht höher als ihre thönerne. Der Adel ist aber nunmehr bekümmert: daß bey den Semnonern das gemeine Volck umb Reichthum und Uberfluß / als dem Uhrsprung der Laster und des Verterbens / sich bewirbet. Sintemahl die Perser / so bald sie von denen besiegten reichen Lydiern durch Schwelgerey und Uppigkeit angesteckt wurden / ihre Tapferkeit und folgends ihre Herrschafft einbüsten. Hingegen ist der Zweck aller Schwaben / und fürnehmlich der Semnoner gewest durch die Waffen Ehre zu erwerben. Zu dem Ende härteten sie ihre Kinder von der Geburt an durch Frost ab / zohen sie durch das kälteste Wasser / liessen sie in der Sonne ohne Hut / im Regen ohne Mantel / im Winde mit blosser Brust / auf Eiß und im Schnee baarfüßig gehen; vielleicht weil sie gehöret hatten: daß Mars als ein Kind seine Füsse aus dem kältesten Flusse Thraciens dem Strymon gewaschen hätte. Derogestalt war ihre Kinder-Zucht nicht gelinder als der Spartaner / welche sie bey dem Tempel Dianens um sie zu Erduldung der Schmertzen zu gewöhnen biß aufs Blut / ja etliche biß auf den Tod peitschten / ohne daß eines darüber seuffzen dorffte. Ihre beste Kleidung war eine Wolffs- oder Bären-Haut; sie hörten von keiner Uppigkeit / von keinem Ball-Hause oder Lust-Spielen / welche nicht an Kriegs-Ubungen bestunden / wie der von Minerven dem Castor und Pollux gewiesene und bey den Lacedemonischen Knaben übliche Tantz / in welchem ieder mit dem Degen seines Gefärthen Schild treffen / und alle in einem Treffen vorkommende Stellungen machen muste. Der Fürsten Hofstädte bestunden in eitel Leuten / welche sie im Friede zwar zu ihrem Gepränge und zu Gesandschafften / im Kriege aber zur Leibwache brauchten. Gaben die Mütter gleich / wie bey den Lacedämoniern / ihren Söhnen den Schild zu erst in die Hand / so wurden sie doch allererst von der versamleten Stadt nach untersuchter Fähigkeit zum Kriege wehrhafft gemacht / und an diesem Ehren-Tage nach erlangter Ausmusterung gleichsam aus der Gewalt ihrer Väter loß gelassen / und dem gemeinen Wesen zugeeignet. Die deutsche Jugend fühlte keine lüsterne Regungen /sie heyrathete langsam; damit die zu den Waffen nöthige Kräfften ja unerschöpfft blieben. Sie entschlügen sich aller Handlung und Wuchers / sondern führeten lieber die Waffen als den Pflug; welche sie auch mit zu Gastereyen / zu Gerichten und in andere Versamlungen brachten: das Hertze lachte ihnen in Schlachten / in welche sich auch ihre Weiber zu verwickeln freuten / und den Feinden offt mehr / als die Weiber zu schaffen gaben. Mit einem Worte: der Semnoner Glück und Ergetzligkeit bestand im Kriege / welchen ihr bey itziger Verfassung der Herrschafft gäntzlich auszurotten anzielet. Das Volck machte hierüber abermals ein Geräusche / und Dithard / ein alter Kriegsmann / fieng an: der Schild ist meine Wiege gewest / dieser soll auch meine Baare seyn. Aber nicht nur ich / sondern alle anwesende Semnoner begehren nicht auf weichen Küssen zu schlaffen /die Hand in die Schoß zu legen / oder dem Müßiggange unter dem ehrlichen Namen der Ruhe nachzuhängen. Wir sind alle Tage bereit wie unsere Vorfahren ausser den Landes-Gräntzen einen Feind zu suchen; nicht aber gemeint das Feuer des Bürger-Krieges selbst durch Aufrichtung einer zwistigen Herrschafft unter unser Dach zu stecken. Sie wüsten gar wol: daß der Friede dem Adel verhast / und er im Kriege wie der Fisch in seinem Wasser wäre; weil ihrem Bedüncken nach sie ihre Tapferkeit zur Friedens-Zeit nicht könten sehen lassen /[1260] ihre Tugend ungeeichtet / ihre Verdienste unbelohnet blieben; hingegen das gemeine Volck in stiller Ruh besser seinem Gewerbe obliegen könte. Alleine bey den Semnonern wäre es viel anders bewand; keiner unter dem Pöfel wäre / welcher nicht Lust hätte fürs Vaterland so viel Blut zu zinßen als ein Edelmañ; ob sie solches gleich im Bürger-Blute zu baden Abscheu trügen; wiewol es auch bey andern Völckern nichts unerhörtes wäre: daß man ihre Beschirmer hätte vom Pfluge holen / ein niedriger Cato das gemeine Wesen unterstützen / ein schlechter Marius den unerträglichen Adel zäumen müssen. Wenn das Volck aber dem Adel so verächtlich vorkäme /wären sie wol zu Friede: daß sie wechselsweise gegen den Feind zügen / und dem so deñ das Recht die Herrschafft einzurichten bliebe / der sich am besten würde gehalten haben. Diese Rede verbitterte den Schweinitz so sehr: daß er vom Leder zoh / und dem Dithard / als er nach seinem Degen grieff / einen Stoß versätzte. Dieser Stoß war gleichsam ein allgemeines Lermen-Zeichen; sintemal beyde Theile die Waffen ergrieffen / und einander feindlich anfielen. Es wäre gewiß auch kein gemeines Blut-Bad erfolgt; wenn die Priester und Weiber nicht darzwischen gelauffen / und sie mit grosser Müh von einander gebracht hätten; gleichwol aber blieben beyderseits über zwey hundert auf dem Platze. Hiermit aber zerschlug sich die Wahl und zertrennte sich die Versamlung nicht weniger nach den Gemüthern als nach den Leibern. Auf beyden Seiten vergrösserte sich durch diese Spaltung nicht nur das gewöhnliche Mißtrauen; weil der Adel insgemein dem gemeinen Volcke wegen habenden Vermögens / und dieses jenem wegen des Vorzugs über Achsel ist / sondern es entstund auch hieraus eine unversöhnliche Feindschafft. Die Priester liessen ihnen es tieff zu Hertzen gehen / und an ihnen nichts erwinden sie zu vereinbarn. Beyden wahrsagten sie aus dieser Zwietracht den Verlust ihrer Freyheit; hielten ihnen die Sinnenbilder des weisen Scythen Scylurus / nemlich ein Gebund Pfeile / und des Sertorius Pferde-Schwantz für / welche beysammen nicht von dem stärksten / einzelich aber von dem schwächsten mit leichter Müh zerbrochen und ausgezogen werden könten. Ein ieder unter ihnen solte sich nur in seinen Gräntzen halten / so würde es um die Semnoner wol stehen. Eines ieden Stand aber wiese ihm schon seine Gräntzen und seine Pflicht an. Denn im gemeinen Wesen wären so viel Elemente / als in der Welt. Das gemeine Volck gleichte der Erde / welche alle schwere Last trüge / und alle ernährete. Der Adel wäre das hochsteigende Feuer / welches einem Reiche den Glantz gäbe. Die Richter gleichten der Lufft / welche das Land von bösen Feuchtigkeiten reinigten; die Priester aber dem Wasser / über derer Dienste alle andere schifften. Wenn eines unter diesen fehlte oder sein Ampt nicht thäte / müste alles zu Grunde gehen: also hätte iedes des andern unentpehrliche Nothwendigkeit durch Eintracht zu erkennen / und keines das andere geringe zu halten. Sie wolten gerne ihren Rücken zu aller Dienste herstrecken / und das Thränen-Wasser ihrer Augen GOtt aufopffern / um damit die Flammen ihres Zornes auszuleschen / und die Härte ihrer verbitterten Hertzen zu erweichen. Sonderlich stellten sie dem Volcke für Augen: daß der Adel gleichwol zum ersten fürs Vaterland fechten / und für den blossen Rauch der Ehre ihr Leben und Gut aufopffern müste; daß dieser und ihre Eltern sich ums gemeine Wesen wol verdient hätten; daß ieder vernünfftiger aus dem Volcke sich edel zu werden durch Tugend bemühete; also wäre ja billich: daß das Volck dem Adel gewisser Massen nachgäbe und selbtem mit mehr Ehrerbietung begegnete. Dem Adel aber redeten sie ein: Sie solten erwegen: daß die Natur alle Menschen gleiche / und sie das Glücke oder ihrer Eltern Verdienste zu[1261] Edlen gemacht hätte. Also müsten sie diese Würde durch Tugenden / derer Wesen in der Mässigkeit bestünde / erhalten; und daher dem Volcke / welches ihnen nachgehen / und statt ihrer so viel leiden und übertragen müste / mit Bescheidenheit begegnen; insonderheit aber in alten Freyheiten nicht auf die Füsse treten / sondern sich vernünfftig bescheiden: daß die Obersten und untersten Zweige eines Baumes aus einer Wurtzel gewachsen wären. Hierdurch brachten sie auch zu wege: daß an der Spreu in einem heiligen Heyne / und zwar dieses mahl im Neumohnden ein ander Land-Tag angesätzt ward. Vielleicht / weil um diese Zeit die Regungen des Gemüthes nicht so hefftig als in voriger Zusammenkunfft / welche im Vollmonden angestellt war / seyn solten. Sintemahl in diesem alles in der Natur sich vergrössert. Alle Gewächse haben mehr Safft / alle Gebeine der Thiere mehr Marck / die Ungewitter mehr Stärcke. Die mit dem Vollmohnden gebohrnen Kinder sollen mehr Geist und Geschickligkeit; Ja des Hercules Stärcke soll mit dem Mohnden ab- und zugenommen / und er seine gröste Thaten im Vollmohnden ausgeübt haben. Alleine der Zorn hat die Eigenschafft eines Ungewitters. Denn wie dieses hindert: daß man im Meere nicht Epp und Fluth unterscheidet; also läst jener die andere Regungen des Gemüthes auch sich so bald nicht legen. Beyde Theile rüsteten sich aus Argwohn und Begierde seine Meynung mit der kräfftigsten Schluß-Rede / nehmlich dem Degen zu behaupten. Das Heiligthum des Ortes war auch nicht vermögend ihnen für Haß und Neid Andacht / weniger Liebe /einzublasen; sondern als der Adel die Herrschafft vieler Häupter wieder auf den Teppicht brachte / ruffte das Volck aus vollem Halse: Freyheit! Und ob wol die Priester ein Mittel vorschlugen: daß diese Häupter halb aus dem Adel / Halb aus dem Volcke genommen werden solten / sagten doch diese: Ein solcher Rath hienge so wenig als Thon und geschmeltztes Ertzt beysammen. Dieses behielt seinen Werth; jener aber würde nur für Schlacke geachtet / und bey erster Gelegenheit zermalmet. Ihnen stünde also das Meer-Wun der einer so frembden Herrschafft nicht an / sondern /wenn kein für sie taugliches Haupt unter den Semnonern zu finden wäre / müsten sie es in der Nachtbarschafft suchen. Dieses war dem Adel durchs Hertze geredet / und von ihnen so empfunden: daß die meisten aufstanden und Maltitz auf den Degen schlug /sagende: dieser soll aller frembden Herrschafft / ehe sie jung werden wird / den Hals brechen. Eben so empfindlich redeten viel andere. Denn die / welche schon einen Fuß ausser den Schrancken des Gehorsams gesätzt haben / dringen bald mit dem Kopffe und dem gantzen Leibe nach. Je mehr aber diese groß sprachen / ie verächtlicher gab das Volck ein Lachen drein. Worüber es ohne Ansehung des heiligen Ortes zu Thätligkeiten kommen wäre / wenn die Priester nicht beyden Theilen ein Stillschweigen aufgelegt /und ein hefftiges Geschrey vieler unkenntbarer Vögel sie empor zu schauen veranlasset und mit ihrem Streite auch den der Semnoner gleichsam unterbrochen hätten. Denn diese in zwey Heere zertheilte Vögel grieffen einander grimmig an / rupften und zerfleischten einander: daß nicht nur ihre Federn sondern ihrer viel gar todt herunter fielen. Nach einem zweystündigen Gefechte kam von Mittag ein Adler / umflohe sie / und machte gleichsam durch sein Königliches Gebot zwischen ihnen Friede / führete sie auch hinter sich her und durch die Lufft aus der Zuschauer Augen. Der Priester Ludger redete hierauf die Semnoner an: Sehet ihr wol! wie GOtt euch durch ein so helles Vorbild den schlimmen Ausschlag euer unverantwortlichen Zwytracht für Augen stellt! Nach dem ihr durch einen bürgerlichen Krieg euer Blut und Kräfften werdet erschöpfft haben /[1262] werdet ihr einem frembden Raub-Vogel zu theile und dienstbar werden. Schellendorf /ein Edelmann / fiel dem Priester ein: Er solte sein Vaterland mit so betrübten Wahrsagungen nicht verzagt machen / welche zumahl auf blosse Eitelkeit gegründet wären. Denn wer hätte diesen Vögeln der Semnoner Verhängnüß offenbahret? und wer hätte den Priester die Sprache der Thiere gelehret? der Priester antwortete ihm: die Vögel selbst wären freylich wol nicht klüger und vorsichtiger als die Menschen / wiewol diese von jener Anstalten offt künfftige Witterung wahrnehmen / und in der Artzney viel von Thieren gelernet hätten. Sie wüsten auch nicht der Völcker künfftiges Glücke; dessen ungeachtet könten sie / wie die noch weniger verstehenden Weiser in einer Uhr /denen Menschen nützlichen Unterricht geben. Denn warum solte es der Göttlichen Weißheit zu künstlich seyn etwas durch unvernünfftige Dinge zu lehren / da wir Menschen / wenn wir am allerblindesten und unachtsamsten gehen / doch die Wege der verborgensten Rathschlüsse Gottes lesen; und wenn wir gleich wolten / aus dieser unbekannten Strasse nicht kommen könten. Die Göttliche Barmhertzigkeit aber hätte ein absonders Belieben uns zur Warnigung bevorstehende Zufälle durch gewisse Zeichen zu entdecken / unter denen auch der Flug der Vögel wäre / welchen sie also richtete: daß er weisen Leuten ein Ausleger und Ankündiger künfftiger Begebnüße seyn könte. Denn diese / welche mit dem allsehenden GOtt Verständnüs hätten / verstünden freylich alle geheime Reden der Thiere / die wie alle Geschöpffe Gottes Zungen wären / und sähen diß / welches gleich einer Welt weit entfernet wäre / als gegenwärtig; und die Darzwischenkommung vieler Zeit machte keine Krümme in dem /was GOtt gleich erst nach tausend Jahren auszuüben bestimmet hätte. Diesemnach wäre sein Rath: sie solten diese Göttliche Warnigung nicht in Wind schlagen / sondern durch einträchtigen Vergleich ihrer Dienstbarkeit und dem Verhängnüße zuvor kommen; welches noch so gütig wäre: daß es durch solch Zeichen selbst seinem dreuenden Schlage zu entgehen väterlich warnigte. Alleine so wohl ein als das andere Theil schlug des Priesters wolgemeinter Erinnerung in Wind; vielleicht / weil die Streiche des Verhängnüßes unvermeidlich sind / wenn sie einem gleich vorher gesagt werden. Sintemahl die zum Verterben vom Verhängnüße bestimmten Menschen vorher entweder mit Unglauben gebländet / oder mit Hartneckigkeit verhärtet werden. Ja einige waren so liederlich / daß sie sagten: So traurige Wahrsager wären nicht viel besser als Schandflecker. Denn jene hätten immer anderer Unglück / wie diese frembde Fehler auf der Zunge. Beyde bildeten ihnen das schlimste ein; und weil sie sich des gegenwärtigen Guten nicht genoßbar machen könten / verkündigten sie immer alles Unheil / was möglich geschehen könte. Die bescheidenern behielten doch ihre Meinung dem Gegentheile nicht zu weichen im Hertzen; weil etlicher gegen einander ausgelassene Hefftigkeiten fast nicht mehr zuliessen ohne Verkleinerung dem andern was zu enträumen und dadurch nachzugeben / welches vielmal nachbleibt /weil man keinen scheinbaren Vorwand weiß zu weichen / und nicht selten mehr aus Rache als aus Hoffart um den Vorzug gestritten wird. Durch diesen wurden auch die gescheutesten verbländet; und die / welche es gleich mit dem Vaterlande wol meinten / auf bösen Weg verleitet. Denn der Zorn hat keine Gemeinschafft mit der Klugheit. Er vergesellschafftet sich mit der Verwegenheit / scheuet keine Abstürtzung / und siehet Berge für Flächen an. Sein Auge hat nur das Absehn auf das Ziel / nicht auf die Schwerigkeit der dahin tragenden Wege; Er denckt nur zu beleidigen /nicht aber / daß er selbst beschädigt werden könne. Er beut alle seine Geister auf / und hiermit bildet er ihm mehr[1263] Kräfften ein / als er ihrer hat; da er doch in dieser Beschaffenheit am schwächsten ist / und nicht halb so viel kan / als sonst. Er rauchet von eitel Feuer / welches er mit keinem andern Wasser / als mit Ausübung der Rache zu leschen gedenckt. Niemahls aber ist der Zorn hefftiger / als wenn er eine grosse Menge bemeistert. Deñ da zündet einer den andern immer mehr an; und wenn gleich ein gantz Volck in augenscheinlicher Gefahr schwebt / fürchtet sich doch niemand absonderlich; sondern ieder behilfft sich gegen des Himmels und kluger Leute Dreuungen mit dem süssen Traume / die Zeit und das Glücke werde aller Noth abhelffen. Eine solche Beschaffenheit hatte es wahrhafftig mit den Semnonern. Denn ihre Verbitterung wuchs so sehr: daß sie von den Priestern nicht mehr gehalten werden konten / sondern / weil die Heiligkeit des Ortes ein unerträglicher Zaum ihrer Rachgier war / brachen sie die Versamlung / und als sie noch nicht gar aus dem Heyne kommen waren / geriethen die ersten schon an einander / und machten sie noch selbigen Abend die traurige Wahrsagung durch ein schreckliches Blut-Bad wahr. Sintemahl der Adel und das Volck nicht etwan in gestellter Schlacht-Ordnung / sondern in gröster Verwirrung / als wenn ieder mit dem andern eine besondere Todfeindschafft auszufechten hätte / einander in die Haare fielen / also: daß dieser Streit mehr eine Raserey wilder Thiere / als einer Schlacht vernünfftiger Menschen weniger einerley Volckes ähnlich schien. So grausame Schauspiele stellet der bürgerliche Krieg für Augen. Man hält sich / wie die Fechter in den Römischen Schauspielen / am schönsten / ie mehr man sich mit der Bürger Blute gemahlet hat; ja dieses ist nicht nur unsere schönste Farbe / sondern gar unser süssester Tranck. Es stehet uns so wenig als zu Rom den Fechtern frey / der Uberwundenen zu schonen / sondern von dem Daumen des Volckes muß man das Zeichen erwarten: ob man seinem Vater oder Bruder das Leben schencken möge. Man erfreuet sich die Thäter mit den Leichen erschlagener Bürger auszugleichen / die Ströme damit auszufüllen: daß man über selbte wie über Brücken reiten kan. Alle diese traurige Gestalten des Todes ereigneten sich in dieser Zerfleischung der Semnoner; und ihrer viel belasteten sich mit den Köpften ihrer Feinde / in Meinung / sie zu Trinckgeschirren zu gebrauchen. Die Zähne der Schlangen büssen zwar nach vielem Beissen ihr Gifft ein und werden stumpff; aber die Grausamkeit der verbitterten Semnoner war unermüdlich; und würde vielleicht niemand übrig blieben seyn / wenn nicht die Nacht sich ihrer erbarmet / und mit einer kohlschwartzen Finsternüs ihnen die Unterscheidung Feind und Freundes verhindert / sie also wider Willen von sammen getrennet hätte. Also wissen zwar Fürsten sich in Schrancken / wie die Sonne in ihrem Kreiße zu halten; aber das sich der Herrschafft anmassende Volck wird von dem Glantze die ser Würde verbländet; also daß es über die Schnure schlägt / und ohne Bedencken ein Reich in völlige Flamme versätzet. Kein Theil hatte sich einigen Vortheils zu rühmen; in dem beyde in grossen Schrecken und Unordnung sich zurücke zohen; weil in dem heiligen Heyne ein heftiges Geschrey von Hunden und Jäger-Hörnern gehöret ward / und aus selbtem viel grausame Gespenste mit brennenden Fackeln hervor kamen. Nichts desto weniger rüsteten sich beyde Theile gegen einander nunmehr offentlich zum Kriege; gleich als wenn es ihnen eine Schande wäre /wenn sie sich gegen die Dreuungen des Himmels wie ein geschwanckes Rohr beugten / und eine besondere Tugend / wenn sie selbten wie die Eichen gegen die Sturm-Winde unbeweglich stünden; welche unzerbrechliche Hartneckigkeit[1264] aber nichts anders fruchtet /denn daß sie von so hoher Gewalt mit samt denen Wurtzeln ausgerissen werden.

Nicht besser gieng es bey denen Langobarden her. Ihr letzt verstorbener Fürst der andere Siegebert hatte nach sich einen Bruder Ditmarn / einen unehlichen Sohn Bertholden / und eine Tochter Ludgardis verlassen. Ditmarn / weil er nicht dem Eubagischen / sondern der Druyden Gottesdienste / welchen ihm seine Mutter eingeflöst hatte / zugethan / waren die Priester und das Volck; Bertholden die Priester und der Adel; der Lutgardis der Adel und das Volck zu wider; und also wolte der Adel Ditmarn / das Volck den Berthold / die Priester Lutgarden zu ihrem Haupte haben; und alle drey mühten sich durch ihren Anhang die Herrschafft zu überkommen. Hierdurch gerieth das Geblüte aller Stände ins jähren / welches den gantzen Leib des Reiches beunruhigte. Bey der allgemeinen Versamlung nahm iedes Theil sich des seinen eyfrig an. Die Priester rühmeten Lutgarden als eine Fürstin von grossem Verstande und Tugend; bey solcher Beschaffenheit aber wäre keinem Geschlechte der Weg der Ehren verschrencket / insonderheit bey den Deutschen; welche nicht nur die Weiber mit in ihre Reichs-Versamlungen / allwo sie mehrmahls ihre heilsame Rathschläge nicht verschmähten / sondern auch in Krieg und in ihre Läger mitzunehmen pflegten / welche mehrmahls den Feinden männlich die Stirne geboten / ja die wanckenden Schlacht-Ordnungen offtmahls ergäntzet hätten. Also wäre das deutsche Frauenzimmer nicht mit Schwachheiten anderer wollüstigen Völcker zu bebürden / weniger nach ihren Rechten zu urtheilen; wiewol fast kein Volck in der Welt wäre / welches nicht dem gemeinen Wesen viel gutes beytragende Helden-Weiber auf die Schau-Bühnen der Ehren zu sätzen hätte. Der Aßyrier Reich wäre durch die Hertzhafftigkeit Semiramis groß worden. Den Persen hätte niemand einen grössern Streich versätzt / als die nichts weibisches an sich habende Königin der Scythen Tamyris; weil von des grossen Cyrus Heere weder König noch Bote zurück kommen. Philo hätte durch ihre kluge Rathschläge ihres Vaters Antipaters und ihres Eh-Herrns Demetrius Herrschafft glücklich gemacht. Rom verehrete Clälien als ihre Erhalterin. Kein Volck aber hätte sich vollkommener Frauen zu rühmen als Deutschland; welches sich nicht geschämt hätte sie den Mäñern vorzuziehen ja zu vergöttern / weil man an ihnen etwas heiliges und die Wissenschafft künfftiger Dinge wahrgenommen. Daher hätte kein Held in Deutschland gelebt / welchem man nicht die grosse Aurinia vorziehe. Und wäre nicht nur bey denen Britanniern / sondern auch bey denen Sitonen / welche so wol Schwaben als die Langobarden wären / es gar nichts neues: daß ein Weib über sie herrschte. Und ob zwar die Langobarden noch kein Beyspiel für sich hätten / stünde doch ihnen auch kein Gesätze im Wege. Was neu und vorhin nicht gethan worden / wäre nicht zu verwerffen /wenn es die Zeit an die Hand gäbe. Denn diese richtete sich nicht nach uns / sondern kluge Leute in sie. Wie nun viel / was itzt alt wäre / neu gewest; also würde Lutgardis / welche ohne diß schon bey ihres Vaters Leben durch männliche Sorgen der Weiber Schwachheiten vertrieben hätte / ihren Nachkommen ein Vorbild seyn in solchen Fällen durch so tugendhaffte Fürstinnen die Glückseligkeit ihres Landes zu befestigen. Alleine Volck und Adel wiedersprachen einmüthig den Priestern / und sagten der anwesenden Lutgardis in die Augen: die tapfferen Langobarden /welche deßwegen ihnen mit Fleiß so lange Bärte wachsen liessen: daß man sie von Weibern desto kenntlicher unterscheiden könte / würden ihnen nimmermehr die Schande anthun: daß sie einem gebietenden Weibe gehorsamen solten / welche man nicht ein Hauß zu beherrschen[1265] fähig schätzte. Die Natur hätte das männliche Geschlechte zur Herrschafft / das weibliche zur Unterthänigkeit verordnet; also machten sie sich zu was geringerm als zu Weibern / wenn sie die Gesätze der Natur umkehrten / sich aber / wenn sie sich einem Weibe unterwürffen / zu herrschen unfähig erklärten. Sie wären wol arglistig und verwegen / aber die nöthigen Werckzeuge zum Herrschen /nemlich Klugheit und Tapferkeit / wären keine Schätze / welche in dem Geschirre des weiblichen Hertzens verwahret würden; weßwegen die Göttin der Weißheit Pallas kein Weib zur Mutter gehabt / sondern aus dem Gehirne Jupiters entsprossen seyn solte. Daher auch ihre Rathschläge unglücklich ausschlügen und ihre Thaten sich entweder mit Zagheit oder Verzweifelung endigten. Ihre zarten Glieder wären zur Arbeit zu schwach / ihr Mund zur Verschwiegenheit zu schlüpfrich / ihr Sinn zu beständigen Entschlüssungen zu beweglich; ihr Antlitz hätte in sich mehr Liebreitz als Ansehligkeit; ihr Gemühte wäre denen Regungen nicht gewachsen / und ihr Hertze nach der Eigenschaft aller Furchtsamen zur Grausamkeit geneigt; ja wenn die Geilheit ihnen einmahl den Zaum aus den Händen rückte / risse die ihren Begierden heuchelnde Gewalt alle Banden der Scham / der Natur und der Gesätze in Stücken. Man zählete ja in der Welt etliche berühmte Fürstinnen / welche ihre Natur und Eigenschafften überstiegen hätten; aber ihrer aller Nahmen liessen sich auf einen Kirschkern schreiben; und unter diesen wären noch die meisten / welche nicht so wol die Tugenden / als ihren Schatten besessen / und den guten Anfang mit einem schlimmen Ende verterbt hätten. Hingegen könte man einer guten Phile hundert schlimme Laodicen / und ihre Reiche ins Verterben stürtzende Cleopatren entgegen sätzen. Wessentwegen Achilles aus einem allgemeinen Rathschlusse der Griechen die Amazonen Königin Penthasilea in den Fluß Scamander gestürtzt hätte. Das deutsche Frauenzimmer wäre auch nichts absonderlichs von dem weiblichen Geschlechte; also auch nicht ihren Schwachheiten überlegen. Daher auch die alten Deutschen vernünfftig befunden: daß tugendsame Weiber sich sicherer liessen zu Heiligen als Herrscherinnen machen. Von denen gleichsam in Schnee und Eiß verwickelten Sitonen liesse sich auf die Langobarden kein Schluß machen. Denn jene beherrschten ihre an keine Gesätze gebundene Könige als ihr Eigenthum; bey den Langobarden aber herrschte der Fürst nach den Gesätzen / und seine Gewalt bestünde mehr in klugem Einrathen und guten Beyspielen / als im Befehlen. Ja / wenn man die Sache beym Lichten besähe / dienten andere ihm nicht so sehr / als er andern; nemlich dem Rathe / dessen Meinungen er sich willig unterwürffe; dem gantzen Volcke / da er für ihre Wolfarth weder Arbeit noch Gefahr scheute / endlich iedem Bürger / die er wider Gewalt und Unrecht schützen müste. Wenn die Langobarden nun in die Fußstapffen der Sitonen treten solten / würde von ihnen noch ein spöttischer Urthel / als von diesen gefället werden / nemlich: daß sie nicht nur aus der Art freyer / sondern gar dienstbarer Völcker geschlagen wären. Ja wenn schon Lutgardis das Hertz hätte in ihren öffteren Kriegen mit zu Felde zu ziehen / würden sie doch zu besorgen haben: daß ihre Feinde ihr wie Evelthon der Mutter des Arcesilaus Pheretim einen güldenen Rocken mit einer Spindel zuschicken dörffte. Nichts aber wäre der Herrschafft schädlicher und tapferen Leuten unverträglicher / als verachtet werden. Der Adel hingegen rühmte nicht weniger die Geschickligkeit zum Herrschen am Fürsten Ditmar /als es sein Recht zur Nachfolge ausführte. Denn er wäre nicht weniger ihres gewesenen Herrschers Roberts Sohn / als es der letzt verstorbene Siegebert gewest; und für diesen wären des Langobardischen Hauses Anverwandten in viel[1266] weitern Staffeln zur Herrschafft kommen; also könte der leibliche Bruder des letzten Fürsten unter keinem Scheine des Rechtens verstossen werden. Denn ob er zwar einem andern Gottesdienste beypflichtete / leschte doch dieser Unterschied weder das Band des Geblütes / noch das Erb-Recht / am wenigsten aber den Gehorsam der Unterthanen aus. Sintemahl die Meinung von GOtt in dem Gewissen bestünde / über welche GOtt allein die Herrschafft; und / der Langobarden eigener Urthel nach / kein Fürst die Macht hätte die seinige einem Bürger aufzudringen / weil nur der Leib / nicht aber das beste Theil des Menschen die Seele der Dienstbarkeit unterwerflich wäre. Mit was Befugnüs könten sie denn ihrem Fürsten ihren Gottesdienst aufnöthigen / oder da er hierinnen seinen Unterthanen nicht gehorsamte / ihn als untüchtig verwerffen. In was für grausame Kriege würde diese Meinung Deutschland und die halbe Welt einflechten: wenn Unterthanen den /welcher nicht ihrem Glauben beypflichtete / für ihren Fürsten zu erkennen nicht schuldig seyn solten? Sintemahl die meisten Länder zwey und mehrerley / ja Rom wol hunderterley Gottesdienste beherbergte; und in Egypten hätten die Ptolomeer es für ein Staats-Geheimnüs gehalten / in ieder Stadt einen besondern Gottesdienst zu unterhalten. Sie hätten sich auch von Ditmarn nicht zu besorgen: daß er ihren Gottesdienst ändern würde / weil ihrer Fürsten Gewalt in gewisse Gräntzen eingeschränckt / durch Gesätze befestigt wäre / und hierüber mit ihm gewisse Bedingungen aufgerichtet werden könten. Zugeschweigen: daß denen Langobarden eine solche Beständigkeit angebohren wäre / welche sich zu nichts zwingen liesse /und sie wie jene Indianer gegen den grossen Alexander sich rühmen könten: Ihre Leiber wären zwar von einem Orte / ihre Gemüther aber nicht von ihren gefasten Meinungen zu bringen; und ehe iemand sie zu was unbeliebigem zwingen solte / würden Holtz und Steine reden. Da sie nun in irrdischen Dingen so standfeste wären / wie viel weniger wäre in Glaubens-Sachen von ihnen Wanckelmuth zu besorgen. Sintemal ohne diß die Andacht nie feuriger wäre / als wenn sie verboten werden wolte; hingegen offentliche Freyheit die Gottseligkeit meist gar kaltsinnig machte. Ja /wie grosse Platz-Regen mit grosser Menge Kräuter und Blumen herfür brächten; also breitete die Verfolgung die Gräntzen eines vernünfftigen Gottesdienstes aus. Zu dem wäre GOtt der oberste und beste Schutzherr des ihm gefälligen Gottesdienstes; welcher wider aller Könige Gewalt / wider aller Neuerer Arglist so lange bleiben / als die Sonne scheinen würde. Die Priester und das Volck sätzte dem Adel entgegen: das gemeine Heil wäre das oberste Gesätze; also müste diesem auch der Fürsten Erbrecht weichen. Die Einigkeit des Gottesdienstes aber der einige Ancker gemeiner Ruh / mit dessen Wanckung das gröste Reichs-Schiff erschüttert würde. Was für Einigkeit des Gottesdienstes wäre in einem Lande zu hoffen / wo der Fürst selbst den Glauben seines Volckes verdammte /und nach der Eigenschafft menschlicher Gemüther diß / was er für falsch hielte / hassen müste? Da doch das fürnehmste Ampt eines Fürsten in Beschirmung und in der Beobachtung des Gottesdienstes bestünde / und er von rechtswegen oberster Priester seyn solte. Wird ihm aber Ditmar nicht vielmehr hieraus ein Recht zueignen dem Volcke eine Richtschnur ihres offentlichen Gottesdienstes fürzuschreiben? Wie viel Fürsten sind in der Welt nicht beredet: daß dem / welchem ein Land gehöre / auch den Gottesdienst zu ändern zustehe? ungeachtet er uns vielleicht in geheim zu glauben verstatten möchte / was wir von unsern Eltern gelernet haben. Wenn Ditmar aber auch gleich uns in unser Glaubens-Ubung nichts in Weg legte / würde doch niemand so einfältig seyn / welcher glaubte: daß dem[1267] Eubagischen Gottesdienste dadurch kein Abbruch geschehen könte? Wer würde sich unterstehen ihrem Fürsten zu wehren: daß er für sich die Druyden zu Priestern / und ihnen beypflichtende Leute zu Räthen und Dienern annähme? Würden nicht ihrer viel /welche mehr Ehrsucht als Andacht im Hertzen hegten / beym Fürsten in Genade und zu Ehren zu kommen seinem Gottesdienste beyfallen? weil diese Beypflichtung auch denen Unwürdigen die Pforten der Ehren aufschlüsse / anders gesinnten Würdigen aber zusperrte. Wie viel Einfältige würden sich durch scheinbaren Vorwand in ihren Irrthum verleiten lassen! Denn Fürsten hätten beym Volke ein solch Ansehen: daß man auch ihre Fehler nachzuthun für Tugend oder für Schuldigkeit hielte. Alle denen Druyden dienende Erfindungen würden sich mit der beliebten Gewissens-Freyheit vertheidigen oder beschönen lassen. Denn keine Gesätze / keine mit ihm gemachte Bedingungen / ja keine menschliche Klugheit wären vermögend zu verhindern: daß in einem Reiche nicht der Gottesdienst zu Schwunge kommen / und mit der Zeit die Oberhand bekommen solte / welchem der Fürst zugethan wäre. Nach dem nun es so weit kommen wäre / bliebe es nicht nach: daß der andere Gottesdienst gedrückt / und die demselben beypflichtende /die man eine zeitlang nur wider Willen dulden müssen / aus dem Wege geräumet würden. Es mangelte so denn nicht an Vorwand: daß man denen anders glaubenden Unruh und Laster beymässe / und solche als schädliche Kräuter ausrottete; oder ihnen durch Geld-Straffen und Abkürtzung ihrer Güter die Flügel beschnitte. Denn die nicht selten allzu eyfrigen Priester bildeten dem Fürsten für: Er dörffte ihm kein Gewissen machen die zu kräncken / welche Gott hasten und von ihm gehast würden. Alle kluge Herrscher hätten die / welche im Gottesdienste ihnen was besonders gemacht / mit Feuer und Schwerdt vertilgt. Das kluge Athen hätte darum den Socrates und Protagoras verdammt; Anaxagoras und Aristoteles aber wären deßwegen verklagt worden. Die Römer hätten vielmahl mit grossem Ernste frembden Gottesdienst untergedrückt / ihre Heiligthümer zerstöret / und die hartneckichten aus der Stadt geschafft. Wenn es aber ja Ditmar nicht so weit bringen solte; würden doch die Langobarden hierdurch in ewige Zwiespalt und Unruh versätzt werden. Denn einem Reiche hienge kein grösser Unheil zu / als von zwistigem Gottesdienste. Der einige Knecht Eunus hätte mit den Haaren der Syrischen Göttin durch Aberglauben ein Heer von sechzig tausend Menschen ihm anhängig / und gantz Sicilien aufrührisch gemacht. Was solte nicht ein das Hefft in der Hand habender Fürst durch diesen nachdrücklichen Schein auszurichten mächtig seyn? Hibernien hätte dieses erfahren / welches so lange Blut geschwitzet / als es in sich zweyerley glaubende Fürsten und Unterthanen gehabt hätte. Wer wolte den Langobarden nun rathen sich und ihren Gottesdienst einer so augenscheinlichen Gefahr durch Erhöhung Ditmars zu unterwerffen? hätte er wollen ihr Fürst seyn / so hätte er auch sollen ihren alten Gottesdienst behalten; dessen Veränderung bey allen Völckern verhast wäre; weil dieser das gröste Kleinod der Menschen / und festeste Band zwischen Fürsten und Unterthanen wäre. Ditmar hätte ihm diese Ausschlüssung selbst zuzuschreiben / und die Druyden sich hierüber nicht zu beschweren; welche für Zeiten in Gallien sich eben dieses Rechtes wider den Ambiorich einen Eubagischen Fürsten bedienet / und nach langen Kriegen ihn nicht ehe für das Haupt des ihm durch uhraltes Erb-Recht zugefallenen Galliens hätten erkennen wollen / biß er den Eubagischen Gottesdienst abgeschworen. Diesemnach hielten sie für rathsamer ehe ihr Vaterland verlassen / als ihren Gottesdienst der Veränderung unterwerffen. Denn GOtt liesse die nirgends Noth[1268] leiden / die an ihm nur treulich hängen blieben. Diesem nach könte man bey Uberlegung des gemeinen besten zwar die Natur und die Vernunfft als Rathsherren hören /die Gottesfurcht aber müste als Fürst die Ober-Herrschafft haben / und der erwogenen Sache den Ausschlag geben. Gottschalck einer von Adel warff hierwider zwar ein und anders ein / und machte Hoffnung: daß Ditmar sich zum Eubagischen Gottesdienste beqvämen würde. Aber die Priester und Volck nahmen dieses nur für eine falsche Anstellung an; welche ein gar altes Mittel wäre / sich dadurch zur Herrschafft empor zu schwingen. Wie die angenommenen Tugenden aber viel schädlicher wären / als offentliche Laster; also sätzte eines Fürsten Gleißnerey eines Volckes Gottesdienst durch seine heimliche Untergrabungen in grösserer Gefahr / als wenn er solchem offentlich zu wider wäre / und iederman so viel mehr wachsamer zu seyn Ursache gäbe. Denn ein wiedersprechender Fürst glaubte ja einen GOtt / ein Gleißner aber keinen; sondern sein Gottesdienst wäre ein blosser Schatten / und also nicht mehr als nichts. Der Adel hingegen verredete Ditmarn; und daß die Priester durch ihre Prüfung leicht würden erforschen können; ob es ihm Ernst / oder nur Heucheley wäre. Zu dem wären sie auch wegen angestellter Gottesfurcht gantz widriger Meinung; könten auch nicht begreiffen / wie diese dem Volcke schädlicher als eine offentliche Anfeindung ihres Gottesdienstes seyn könte; ungeachtet eine solche Anstellung den Gleißner selbst so wenig besser / als die Schmincke ein heßliches Antlitz schön machte. Denn wenn Ditmar gleich seinen Irrthum im Hertzen behielte / nur aber zum Scheine vorgäbe: er pflichtete den Eubagen bey; würde doch solche Anstellung ihn an aller Verführ- oder Verfolgung verhindern; er würde weder anders glaubende Diener hegen / noch seine Kinder in seinem Irrthume auferziehen können. Die weltlichen Gesätze erstreckten sich ohne diß nur auf eusserliche Bezeugungen; und wäre niemand schuldig über seine Gedancken Rechenschafft zu geben / noch Straffe zu leiden. Weßwegen viel kluge Staats-Lehrer von ihren Fürsten nicht eben eine ernstliche / sondern nur eine angenommene Gottesfurcht erfordert hätten / damit er durch Verleugnung oder Verunehrung Gottes nur dem Volcke nicht ärgerlich wäre / und bey selbten den festesten Zaum des Gehorsams / nemlich die Gottesfurcht nicht zerrisse. Das kluge Athen hätte sich mit diesem Scheine der Gottesfurcht vergnügt / und den ruchlosen Pisistratus wieder zu seinem Haupte angenommen /da er sich nur von der Pallas auf einem Wagen in ihre Stadt und Tempel einführen ließ / ungeachtet der ihn vorher verjagende Lycurgus und Megacles wol wuste: daß nur ein vier Ellen langes Weib Phya eine falsche Pallas fürstellte. Gottfried der Langobarden oberster Priester antwortete ihm nicht ohne Entrüstung: die Meinung flüsse aus diesem gifftigen Brunnen her: daß der Gottesdienst nur eine zur Befestigung der Herrschafft dienende Erfindung der Menschen wäre; da doch der nicht werth wäre den Nahmen eines Menschen zu führen / welcher daran zweiffelte: Ob ein GOtt wäre / ob er als der oberste Herrscher alles weißlich / mächtig und gerecht führete / und ob man ihn demüthig verehren solte. Denn alles dieses wäre auch unvernünfftigen Thieren eingepflantzt. Daher auch der weise Pythagoras gar recht gelehret hätte: daß die Erkäntnüs Gottes die höchste Tugend / die gröste Weißheit und die vollkommenste Glückseligkeit wäre. Auf diesen Grund müsten alle Gesätze gebauet / durch dieses Band alle Gemeinschafften verknüpfft / und die Gerechtigkeit befestigt werden. Denn / weil Fürsten ins gemein keinen Gesätzen unterworffen sind; oder die es auch gleich seyn / doch dieses beschwerliche Seil durch die in Händen habende Macht von ihren Hörnern abzustreiffen bemühet[1269] sind; was würde sie von Unterdrückung des Volckes /von Benehmung ihrer Freyheiten / von Verletzung der Bündnüße und denen frechesten Schand-Thaten zurück halten / wenn nicht ein heimliches Gesätze im Gewissen / nemlich die Gottesfurcht / ihnen einen höhern Richterstuhl über die mächtigste Könige der Welt für Augen stellte? Wenn nun ein Fürst diese Empfindligkeit in seinem Hertzen wahrhafftig nicht fühlte / sondern nur sich mit desselben Larve behilfft; also nichts von Tugend hält / bleibet nichts in ihm übrig / was den eingebohrnen Zug zum bösen in ihm hemmen solle; und also wäre er bey solcher Finsternüs gleichsam gezwungen spornstreichs in alle Laster zu rennen / und als der Steuermann das Schiff des Reiches mit sich in Boßheit und Untergang zu stürtzen. Gottschalck hatte das Hertze nicht dem Priester hierwider etwas entgegen zu sätzen / das Volck aber brachte durch seinen Redner Siegeberts Sohn / Berthold / welchen er mit einer adelichen Jungfrauen gezeugt hatte / in Vorschlag. Deñ dieser wäre nicht mehr ihres tapferen Hertzogs Sohn als sein lebendiges wahres Ebenbild. Die Aehnligkeit sähe ihm nicht mehr aus den Augen / als die Tapferkeit aus seinen Thaten hervor leuchtete. Dieses allein solte ihm im Wege stehen: daß Siegebert seine Mutter nicht durch gewisses Gepränge / wol aber durch seine Liebe für seine Gemahlin erklärt hätte. Was gäbe jenes aber der Sache als einen eitelen Firnß? Das Recht der Natur wüste von keiner andern Art der Eh / als von der Vermischung eines Mannes und eines Weibes. Daß Siegebert hernach eine Fürstin zur Gemahlin genommen hätte / könte dem Berthold das Recht seiner Kindschafft nicht benehmen. Sintemahl die friedliche aber auch rechtliche Ehscheidung den Kindern nicht nachtheilig seyn könte. Ja wenn auch Berthold schon zur Zeit der andern Eh gebohren wäre / hätte doch die Gewohnheit der meisten Völcker ein Recht auf einmahl zwey / oder mehr Weiber zu haben eingeführt. Wiewohl auch die meisten Deutschen sich mit einem Ehweibe vergnügten / geschehe dieses mehr aus Keuschheit als Zwange / und wäre dem Adel / weniger Fürsten / verboten derer mehr zu heyrathen. Wenn aber auch schon Berthold für keinen ehlichen Sohn zu halten wäre / ersätzte seine Tugend diesen Abgang. Der aber wäre der rechtschaffene Sohn eines Helden-Vaters / in dessen Worten man seine Klugheit / in dessen Wercken man seine Hertzhafftigkeit nachgemacht sähe. Die Erfahrung erhärtete: daß wie solche Kinder ins gemein mit mehr Feuer gezeugt würden; also auch ihr Geist mehr Feuer hätte. Diese wären sonder Zweiffel die grösten Helden der Welt / und nicht der getichtete Jupiter des Hercules und grossen Alexanders /nicht der geträumte Kriegs-Gott des Romulus / noch der in eine Schlange verwandelte Apollo des Scipio und Augustus; sondern ausser Zweiffel eitel verborgene Liebhaber aller dieser Väter gewesen. Jugurtha hätte es allen ehlichen Nachkommen Masinißens zuvor gethan; und deßwegen hätte Micipsa ihn im Numidischen Reiche nebst seinen leiblichen Kindern; König Pyrrhus seinen unechten Sohn Moloßus in Epir zur Herrschafft zu erhöhen kein Bedencken / und selbige Völcker sie anzunehmen keine Abscheu gehabt. Bey denen Persen wäre unter diesen und ehlichen Söhnen kein Unterscheid. Ja es wäre kein Zweiffel: daß wenig Völcker in der Welt wären / über welche nicht gar durch Ehbruch gezeugte Kinder geherrschet hätten. Was wolten denn sie für Bertholden so grosse Abscheu haben / der von einem tapferen Fürsten / von einer edlen Mutter gebohren wäre / und alle Tugenden eines Fürsten besässe? Wie die Laster aber den Adel auswischten / also vertilgte auch die Tugend alle Flecken der Geburt. Die Priester aber und der Adel schlugen sich dißfalls wider das Volck zusammen / und sagten: Sie könten ihren wolverdienten Fürsten[1270] keine grössere Schande nicht anthun / noch sich durch etwas bey der Nachwelt verächtlicher machen / als weñ sie einem unehlich Gebohrnen die Würde über sie zu herrschen zueigneten. Solche Leute wären nicht fähig unter dem Pöfel mit zu erben; und die Langobarden wolten sich zu Bertholds Erbtheile machen? welchen sein eigener Vater niemahls ohne Schamröthe für seinen Augen hätte sehen können / und seine Mutter für seine Gemahlin zu erkennen ihm niemahls hätte träumen lassen. Wären andere Völcker iemahls so knechtisch gewest: daß sie in einem erblichen Reiche ein Huren-Kind hätten erben und herrschen lassen; so wären die freyen Langobarden hierzu viel zu edel. Aus einer so bösen Wurtzel könte nicht viel gutes entspriessen; und Jugurtha wäre nicht nur ein trauriges Beyspiel eines bösen Herrschers; welch raubrischer Zweig Masinißens gantzen Sta vertilgt /und Numidien in Römische Dienstbarkeit versätzt hätte; sondern warnigte gleichsam alle Völcker: daß sie nimmermehr kein Huren-Kind solten herrschen lassen. Die den Deutschen so sehr verhaste Geilheit würde mit Bertholden gleichsam selbst auf einen Königlichen Stul gesätzt. Denn wie solte Berthold das Laster straffen / welches ihm sein Wesen gegeben hätte? dieses aber wäre ein rechter Wurm / welcher den Kern der Reiche ausfräße: daß sie wie hole Stöcke über einen Hauffen fielen. Dessen hätten sie sich unfehlbar zu versehen / wenn sie die der Tugend gebührende Würden denen Lastern zuschantzten. Dahero sie lieber den geringsten aus dem Pöfel / als Bertholden zum Fürsten haben wolten. Denn die Eh machte: daß jener von besserer Ankunfft / als dieser /wäre. Uber diesem Zwiste giengen etliche Tage hin: daß sie sich nicht vergleichen konten. Endlich aber erfand der Ritter Kallenberg ein Mittel zum wenigsten ein Theil auf des Adels Seite zu bringen; schlug also dem obersten Priester des Fürsten Ditmars Heyrath mit der Fürstin Ludgardis für. Dieser nahm es in Bedencken / überlegte es mit den fürnehmsten Priestern. Ihr einiges Bedencken war: daß bey den Langobarden noch niemahls iemand seines Brudern Tochter geheyrathet hatte. Alleine Gottfried behauptete: daß auch die Heyrath unter Geschwistern nicht wider das Recht der Natur / und allezeit bey den Egyptiern üblich; also gegenwärtige Eh mit des Bruders Tochter noch viel weniger selbtem zu wieder / sondern bey den Griechen / bey denen mit so scharffen Gesätzen versehenen Juden / und fast allen Völckern zuläßlich wäre. Diesem nach wäre es gar wol verantwortlich: daß in gegenwärtigem Falle die widrige Gewohnheit der gemeinen Wolfarth aus dem Wege wieche. Andere hätten sich ohne diß nicht mit dem Thun der Fürsten zu behelffen; und wäre diß / was gleich einem freystünde / nicht allen zuzulassen. Der oberste Priester brachte ihre Einwilligung dem Kallenberg / dieser aber dem Adel bey; ja es ward diese Heyrath zwischen Ditmarn und Lutgardis so geheim gespielet: daß das Volck nicht ehe davon Nachricht erhielt / als biß sie beyde in dem nechsten Heyne eingesegnet / und von Priestern und Adel für die Herrscher der Langobarden erkläret wurden. Denn solche neue Herrschafften sätzen ins gemein ihren Grund auf den Fuß eines strengen Gehorsams; und verlassen sich auf die Hörner des Schreckens / welches so wenig das Blut der Unschuldigen als Straffbaren schonet. Je unvermutheter dieses dem Volcke war / ie mehr wurden sie darüber entrüstet. Sintemahl sie nicht nur die hefftige Liebe gegen den Berthold / sondern auch die begegnete Verachtung dahin verleitete: daß sie von Stund an die Versamlung verliessen; und weil des Volckes Gewohnheit ist / entweder knechtisch zu gehorsamen / oder hoffärtig zu herrschen / folgenden Tag den Berthold für ihren Hertzog erklärten / und ihm einen güldenen Rincken / als das Zeichen der Hertzoglichen[1271] Würde auffsätzten. Hertzog Ditmar und Lutgardis hingegen erklärten Bertholden mit allem seinem Anhange für Aufwiegler und Verräther des Vaterlandes. Worüber beyde Theile sich gegeneinander rüsteten / und die Langobarden so wohl als Semnoner in bürgerlichen Krieg verfielen / und derogestalt zur Gewalt ihre Zuflucht nahmen; welche alles / und also mehr als alle Vernunfft in der Welt ausrichten kan. Dieses allein war der Unterschied: daß bey den Semnonern die Priester dem Volcke / bey den Langobarden dem Adel beypflichteten / und sie daher dort den Adel / hier das gemeine Volck vom Gottesdienste ausschlossen. Weil nun die Priesterschafft in einem Reiche ein groß Gewichte / und gleichsam die Herrschafft über die Hertzen in seinen Händen hat; also die / welchen sie beyfällt / zu verzweiffelter Tapferkeit / denen widrigen aber Furcht und Schrecken einzujagen mächtig ist; schiene bey den Semnonern das Volck / bey den Langobarden der Adel seinem Gegentheile zu Kopfe zu wachsen. König Marbod sahe beyden Kriegen als zweyen Lust-Feuern mit gröster Vergnügung zu; sonderlich da die Cherusker und Catten damahls mit den Römern in Krieg verflochten waren / und er sich daher von diesen Nachtbarn keines Eintrags zu besorgen hatte. Weil aber ihre Fürsten gleichwol durch ihre Gesandten beyde Völcker zur Eintracht ermahnen liessen / wolte Marbod hierbey die Gelegenheit seinen Vortheil zu beobachten nicht versäumen. Er schickte also den Ritter Waldstein zu den Semnonern / den Ritter Ellenbogen zu den Langobarden als Botschaffter / welche seine Vermittelung zum Frieden beyden Völckern anbieten solten / in Wahrheit aber mehr Oel ins Feuer giessen musten. Insonderheit aber gab er ihnen mit / Sorge zu tragen: daß das schwächste Theil nicht untergedrückt / oder in Verzweiffelung versätzt würde. Inzwischen rührte sich König Marbod gleichwol nicht mit einem Manne; ungeachtet er über hundert tausend Kriegs-Völcker auf den Beinen hatte; ja entfernte sie noch mehr von der Semnoner und Langobarden Gräntzen / damit er nicht in Argwohn fiele /als wenn er auf ihre Herrschafft ein Auge hätte. Waldstein brachte es durch seine Vermittelung gleichwol dahin: daß die Priester dem Adel der Semnoner wider den Gottesdienst öffneten / und sich zu Werckzeugen seiner Vermittelung gebrauchen liessen; wordurch denn die Wage des Krieges ziemlich gleiche zu häncken anfieng. Ob auch wol das Volck nunmehr etwas lindere Seiten aufzuziehen anfieng / ließ doch Marbod den Adel anstifften: daß sie ihre Seiten höher spannen solten. Inzwischen versicherte doch Waldstein das Volck: daß Marbod nimmermehr zum Nachtheile und zu Gefahr aller Fürsten geschehen lassen würde: daß bey den Semnonern das Meerwunder einer vielköpfichten Herrschafft eingeführet werden solte. Bey solcher Beschaffenheit ward unter dem Schatten eines verlangten Friedens der Krieg aufs eifrigste fortgeführet; weil Marbods Einrathen nach der Waffen Stillestand nur Zunder des Krieges samlete / unter dem Schilde und bey dem Feuer des Krieges aber der festeste Friede geschmiedet würde. Es zohe nach gewohnten Zufällen im Kriege bald ein- bald das andere Theil den kürtzern; und also schnitten sie einander die Spann-Adern selbst ab / sonder Wahrnehmung: daß beyde dadurch ohnmächtig und eine Beute des ersten Raub-Vogels werden würden. Bey den Langobarden ließ Marbod das Volck mit Fleiß im Gedrangen /nicht aber ohne Hoffnung. Denn ob zwar selbtes anfangs ihrem Berthold einen blinden Gehorsam leistete / verfiel es doch nach etlichen unglücklichen Streichen in Ungedult. Hiermit verschwand ihre Eintracht / ihre Liebe gegen Bertholden erkaltete / und das Verhängnüs dreute auf ihrer Seite dem Kriege einen traurigen Ausschlag; der siegende Adel aber ihnen eine beschwerliche Dienstbarkeit; also daß[1272] das Volck und Berthold nunmehr den König Marbod um Hülffe anzuflehen genöthigt ward. Marbod / welcher noch immer den Adel ins geheim verhetzte dem Volcke von Tag zu Tage schwerere Friedens-Bedingungen vorzuschreiben / das Volck aber mit vieler Hoffnung gespeiset hatte / machte nunmehr hundert Schwerigkeiten sich in einen frembden Krieg einzumischen; drückte also Bertholden und dem Volcke / welche in die augenscheinliche Gefahr der eussersten Dienstbarkeit geriethen / und den hartneckichten Vorsatz behielten / lieber eines frembden Knecht / als dem Adel dienstbar zu werden / die Erklärung ab: daß sie den König Marbod für ihren Schutz-Herrn erkennen / und ihm wider alle seine Feinde mit zwölff tausend Kriegs-Leuten beystehen wolten. Marbod stellte sich hierzu kaltsinnig an / und wolte darum noch gebeten seyn / das er doch auffs hefftigste verlangte. Denn der schlaue Marbod wolte nun zu seiner Sicherheit bey der Welt darfür angesehen seyn: daß er seine Herrschenssucht gesättigt / und nichts weniger als sich mehr zu vergrössern im Sinne hätte. Nach dem die Langobarden aber den Vergleich eingiengen / wie er ihnen solchen selbst vorschrieb / sich also ihm mehr unterthäniger machten / als sie ihren alten Fürsten gewest waren / trug er durch den Ritter Ellenbogen dem Adel wegen des Volckes solche Vorschläge zum Frieden an / welche ihm bey in Händen habendem Vortheil allerdings unanständig / auch seinen bey des Volckes viel besserm Zustande vorhin gethanen Vorschlage schnurstracks zu wider waren. Als sie solche nun seinem Absehen nach verwarffen / forderte er seinen Botschaffter vom Adel und den Priestern ab; ließ an allen benachbarten Höfen sie auffs schwärtzeste abmahlen / und daß er das bedrängte Volck für angedreuter grausamster Knechtschafft zu beschirmen genöthiget wurde / fürgeben. Er selbst aber kam mit viertzig tausend außerlesenen Marckmännern dem Langobardischen Adel so geschwinde auf den Hals /daß er nicht Zeit hatte sich anderwerts um Hülffe umzusehen. Er erklärte sich gegen den König Marbod des Volckes Vorschläge anzunehmen / aber dieser antwortete: Nach dem der Degen schon ausgezogen /wäre es zu spät / diß zu willigen / was man vor verworffen hätte. Das gemeine Volck der Langobarden dorffte oder wolte auch nicht mit der ihm angebotenen Freyheit zu frieden seyn; sondern wolte sich auch am Adel und den Priestern rächen; schlug also allen Vergleich aus / und hielt nach Gewohnheit des seltzamen Pöfels für vergnüglicher Marboden zu dienen / als unter einem eigenen Fürsten der alten Freyheit zu genüssen. Weil nun kein ander Mittel nicht übrig war /entschloß sich der Adel lieber zu sterben / als sich Marboden zu unterwerffen; und wenn es ja gefallen seyn müste / nicht wie das tumme Vieh / sondern als Männer / nemlich nicht ungerochen zu sterben. Am allermeisten waren die Priester hierüber bekümmert /derer etliche diesen unglücklichen Ausschlag ihrer Verwilligung in Ditmars und der Lutgardis Eh zuschrieben; und ihnen also dieses Unheil tieff zu Hertzen zohen / und diesen Schlag von Langobarden abzuwenden allen Verstand zusammen rafften. Weil sie nun wol wusten: daß der Glaube und Aberglaube von Göttlichen Dingen die Unmögligkeit selbst zu überwinden mächtig wäre / nahmen sie hierzu ihre Zuflucht / und der oberste Priester führte den Fürsten Ditmar / seine Gemahlin Lutgardis / und zwölff der fürnehmsten Obersten unter dem Heere in einen heiligen Heyn zu einer alten Eiche / welche kaum zehn Männer umgreiffen konten / und fieng an: Ihr edlen Langobarden: wisset daß in diesem heiligen Baume der Langobarden gröster Schatz / und bey itziger Gefahr eine versicherte Hoffnung verwahret sey. Unsere eusserste Noth zwinget mich diß Geheimnüs heute zu vertrauen / welches ich und andere Priester sonst nimmermehr ins Tagelicht würden[1273] gebracht haben. Denn keinem Schatze würde von Feinden mehr nachgestellet / als diesen / worauf die Erhaltung eines Reiches bestünde / wie dieser hier verborgene wäre. Hiermit kletterte der Priester an dem Baume hinauf / hernach stieg er in den holen Baum hinab / und brachte einen Ertztenen Todten-Topff / und ein uhraltes Buch herfür. Hierinnen / sagte er / ist die Asche des ersten Langobardischen Hertzogs des tapferen Warnefrieds verwahrt. Nach dem er den Topff eröffnet und die Asche nebst etlichen Beinen gezeigt hatte / öffnete er das Buch / und zeigte ihnen folgende Schrifft: So lange Warnefrieds Asche in der Langobarden Gewalt bleiben / und diese ihre Bärte nicht verkürtzen werden / wird sie keine frembde Gewalt unter ihr Joch zu bringen mächtig seyn. Nach dieser Schrifft zeigte er ihnen allerhand darinnen aufgezeichnete wichtige Zufälle / welche sich von etlichen hundert Jahren her / bey den Langobarden ereignet hätten. Zuletzt wieß er ihnen: daß die Langobarden noch ein Theil Pannoniens einnehmen / und Aukarich in Italien ein mächtiges Reich aufrichten würde / nach welchem noch dreyßig Langobardische Könige Italien beherrschen solten. Aus dieser wahrhafften Weissagung solten sie einen Trost schöpffen / und versichert seyn: daß wie gefährlich es gleich aussähe / doch Marbods und der gantzen Welt Kräfften das Langobardische Reich wider den Schluß des Verhängnüßes übern Hauffen zu werffen nicht vermöchten. Ditmar /Lutgardis und die Ritter hörten dem Priester mit nicht weniger Freude als Verwunderung zu. Ditmar aber fragte: woher denn diese Asche eine so mächtige Krafft in sich hätte? Der Priester antwortete: der Göttliche Wille wäre mächtig eine Spinnewebe zu einer eisernen Mauer zu machen. Solche Geheimnüße des Verhängnüßes wären nur zu glauben / nicht auszuforschen; und hätten sie an dieses Buches Wahrheit so viel weniger zu zweiffeln / weil dessen Wahrsagungen durch mehr eintreffende Geschichte / als die Sibyllinischen Bücher zu Rom / wären erhärtet worden. Uber diß wäre Zoroasters Asche auch ein versicherndes Pfand des Persischen Reiches; die Asche und Gebeine Orestens der Stadt Aricia gewest / und nunmehr der Stadt Rom / wo sie in des Saturnus Tempel sorgfältig aufgehoben würde. Ditmar versätzte: Er hätte stets für der Römer Reichs-Pfand das Bild der Pallas rühmen hören / welches Chryse von Minerven empfangen /dem Dardanus zum Braut-Schatze zugebracht / Antenor dem Priester Theanus abgekaufft und ins Griechische Lager / Eneas aber in Italien gebracht haben solte. Der Priester antwortete: dieses wäre wahr; und es hätte kein Volck sich um so viel Reichs-Pfänder /als die Römer beworben. Denn über diese zwey besässen sie derer noch wol fünff; nemlich den Zepter des Priamus / welchen Eneas dem Könige der Latiner geschenckt hätte / von welchem er zu den Hetruriern /und von diesen unter dem Tarqvinius nach Rom kommen wäre. Bey diesem würde verwahrt der Schleyer der ältesten Tochter des Priamus Iliona. Noch vielmehr Krafft aber eignen die Römer der grossen Nadel und dem schwartzen Steine der von Peßimunt nach Rom gebrachten Götter-Mutter / und dem Ancilischen Schilde zu; welcher zur Zeit des Numa mit dieser Stimme vom Himmel gefallen seyn solte: daß die ihn besitzende Stadt so lange die mächtigste in der Welt seyn würde. Endlich hätten sie auch die aus Thon gebackene vier Pferde / welche die Vejenter nach Rom geschickt / in nicht geringerm Werth gehalten. Weil nun bey den Römern alles diß / was von ihren Wunderbilden geweissagt worden wäre / so beständig einträffe / hätten die Lombarden auch diese Asche ihres Warnefrieds billich hoch zu achten / und dieses uhralten Buches[1274] Weissagungen zu glauben. Dazumahl so viel andere Völcker iederzeit auf ihre Reichs-Pfänder grosse Thürme gebaut; und insonderheit die Stadt Mycene ihren güldenen Wieder / Memphis das singende Bild Memnons / die Sicilier ihre am Meerstrande gegen die Brutier gestellte Seule / welche immer Feuer und Wasser ausspritzte / und so wol dem Brande des Etna steuern / als den Feinden zur See die Durchfarth verwehren solte / die Megarenser das rothe Haar des Nisus / mit dessen Abschneidung seine Tochter Scylla auch seiner Herrschafft ein Ende gemacht / so werth gehalten hätten / und für derselben Verluste für dem Untergange wären befreyet blieben. Und schiene es: daß die Schutz-Geister eines ieden Ortes sich gleichsam mit der gleichen Reichs-Pfändern vermähleten / welche die Römer aus den belägerten Städten durch Opffer zu sich beruffen so sehr bemüht / und hernach in den eroberten ihre Heiligthümer zu zerstören: daß sie die Lust vergienge wieder dahin zu kehren / gewohnt wären. Ditmar ward nebst seinen Gefärthen durch den Priester des Sieges so gewiß beredet / als wenn er solchen schon in Händen hätte; daher sie auch zum Krieges-Heere wiederkehrten und selbtes so gewisser Göttlicher Offenbahrung versicherten: daß niemand am Siege zu zweiffeln hätte. Sie rückten also biß an die Havel dem Marbod entgegen; allwo die Priester eine adeliche Jungfrau /welche ihr Vater fürs gemeine Heil freywillig hierzu hergab / geopffert / und ihr Blut in den Fluß gegossen ward: daß der Feind diesen nicht solte überschreiten können. Sie wurden aber gleichsam vom Donner gerührt / als sie vernahmen: daß Marbod und Berthold die Nacht vorher schon über diesen Fluß gesätzt / und in dem heiligen Heyne / darinnen Warnefrieds Asche verwahret ward / durch die Marcomañischen Priester geopffert / und ihrem Vorgeben nach der Langobarder Schutz-Geister auf ihre Seite gebracht hätten. Anstatt voriger Hertzhafftigkeit dachte nunmehr fast iederman auf die Flucht / und hätte niemand des Feindes erwartet / wenn er ihnen nicht selbst unversehens auf den Hals kommen wäre. Ditmar hemmete mit seiner Ermahnung / und Lutgardis mit ihren Thränen / am allermeisten aber die Priester / welche die für verlohren geschätzte Asche Warnefrieds ans Licht brachten /durch ihre Beschwerungen die zurücke hieltẽ / welche nichts als Furcht und Flucht im Hertzen hatten. Der Anblick dieses Gefässes verwandelte sie gleichsam in neue Menschen / und die / welche vor kein Hertze hatten / kriegten durch Aberglauben itzt derer gleichsam zwey. Ditmar stellte den Adel in Schlacht-Ordnung / alle waren begierig zu fechten; ja Priester und Weiber gürteten ihnen Waffen an / und stellten sich unter die Kriegs-Fahnen. Marbod hingegen drang mit seinen Marckmännern im rechten / und Berthold mit den Langobarden im lincken Flügel gegen jene an; welche in eine neue Bestürtzung geriethen / als sie gewahr wurden: daß diese ihnen auf Marbods Beredung / um sie in der Schlacht nicht zu erkennen / die langen Bärte grösten theils abgeschnitten hatten. Sintemahl ihnen dieses vorlängst als ein Keñzeichen bevorstehender Dienstbarkeit war geweissagt worden. Gleichwohl redete Ditmar und die Priester durch andere Auslegung aus: daß keiner an tapfferer Gegenwehr nichts erwinden ließ. Nach zweyer Stunden Gefechte /brachte Marbod des Feindes lincken Flügel in Verwirrung und folgends in die Flucht. Hingegen muste Berthold mit seinen lincken des tapferen Ditmars rechtem weichen. Ob nun zwar dieser dem Marbod seinen Nothstand wissen ließ / und Hülffe begehrte; hatte doch Marbod kein Gehöre / biß er die Nachricht kriegte: daß Berthold von Ditmarn erschlagen ward; hierauf ließ er den Grafen Tschernin und Fasenburg die Fliehenden verfolgen; er aber gieng mit dem Kerne seiner Marckmänner Ditmarn in Rücken / und[1275] hatte das Glücke: daß der Ritter Wreschowitz / nach dem er mit seinem wenigen Volcke länger als eine Stunde wider diese grosse Macht als ein Löw gefochten hatte / diesen tapferen Fürsten erlegte. Mit diesem / als dem Haupte entsanck dem übrigen Adel nach Verlust vielen Blutes endlich Hertz und Hoffnung; sonderlich als der oberste Priester zu Bodem geritten ward / und er das Ertztene Gefässe mit Warnefrieds Asche zu Marbods Füssen warff. Marbod / weil er die Langobarden umringt und geschickter zum sterben als länger zu fechten sah / gab seinen Marckmännern ein Zeichen zum Stillestande der Waffen; welche das gemeine Volck der Langobarden ungeachtet ihrer Verbitterung gegen den Adel / der seine nunmehr zu Marbods Füssen legte / einstecken muste. Also erhielt Marbod den völligen Sieg; was nicht durch die Schärffe der Schwerdter gefallen war / ward gefangen; kein Langobardischer Fürst stand ihm mehr im Wege; und also ward er von allen dreyen Ständen für ihren König auf der Walstadt ausgeruffen / und ihm der Eyd der Treue abgelegt.

Das Geschrey von diesem Siege war noch nicht zu den Semnonern kommen / als Marbod mit seiner Macht und acht tausend Langobarden schon in ihr Land einbrach / und geraden Weges gegen Budorgis rückte. Denn ob Marbod wol verstand: daß man sich in der Nachtbarn innerliche Kriege nicht ehe mischen solte / als biß man vom schwächsten Theile zu Hülffe geruffen würde; da denn die Raserey der verbitterten Bürger aus Begierde sich an ihren Beleidigern zu rächen die Liebe des Vaterlandes erstecket / keine Bluts-Freundschafft kennet / sondern mit seinem Feinde sich mit Freuden in Dienstbarkeit und Untergang stürtzet; hingegen wenn ein mächtiger Nachtbar ungeruffen einfällt / befördert er nur zwischen den Streitenden einen Vertrag / und daß sie ihren gegen einander gehabten Haß wider ihren gemeinen Feind auslassen. So wuste doch dieser schlaue König schon: daß die Semnoner sich gegen einander so abgemergelt hatten: daß / wenn sie schon zusammen spannten /seiner Macht nicht gewachsen wären. Alleine Marbod hatte durch seinen Botschaffter dieser besorgten Vereinbarung schon vorgebeugt / so viel Verdacht und Saamen der Zwietracht zwischen den Adel und das Volck der Semnoner gestreut: daß es leichter schien Feuer und Wasser / als sie mit einander zu vereinbaren. Hingegen sparete der Ritter Ellenbogen nichts so wol auf ein- als der andern Seite die Gemüther für den König Marbod zu gewinnen. Er stellte dem Adel die unvermeidliche Noth für einen Fürsten zu erwehlen; welchem Satze die Priester einen kräfftigen Nachdruck gaben. Hierauf mahlte er des König Marbods Macht / seine Klugheit und Gütigkeit ab / und hielt ihnen ein: daß es viel besser wäre einem grossen / als kleinen Fürsten gehorsamen. Denn dieser würde von Nachbarn bald um diß / bald um jenes angefertigt; könte sie nicht schützen / er müste sich selbst für allen mächtigen Nachtbarn bücken / und wider Willen seinen Unterthanen / welche er zu ihrem grossen Schaden alle kennte und zahlen könte / grössere Beschwerden auflegen / als sie zu tragen vermöchten. Unter einem grossen Fürsten aber / wie Marbod wäre / lebte man in stoltzer Ruh und Sicherheit. Die Fürsten der Gallier hätten unaufhörliche Händel mit ein ander gehabt / biß sie unter der Römer Gewalt und in Ruh kommen. Ein Land theilte dem andern seine Fruchtbarkeiten mit; und die gemeinen Beschwerden wären wegen Vielheit der sie tragenden nicht zu fühlen. Die Römer / welche gleichsam aller Welt Gespenster und Schrecken wären / stünden für niemanden / als dem mächtigen Marbod in Kummer. Die ihm gehorchenden Völcker wären gleichsam aus dem stürmenden Meere bey ihm in einen stillen Hafen eingelauffen; und durch sein aufgerichtetes Gewerbe[1276] mit andern Völckern hätten sie allererst das Reichthum der Welt und die Süßigkeit des menschlichen Lebens schmecken lernen. Seine Herrschafft wäre so gerecht und so gelinde: daß niemand als die Feinde und Ubelthäter wüsten: daß die Marckmänner einen König hätten. Denn er vermischte den Fürsten und Bürger so weißlich zusammen: daß ihn iederman für diesen wegen seiner Leutseligkeit / für jenen wegen seiner Bemühung und Wolthätigkeit halten müste. Seine Hoheit wäre ohne alle Hoffart; seine Verträuligkeit machte ihn nicht verächtlich. Er gäbe nicht das Reich seinen Dienern unter die Hände / sondern herrschte selbst: daß ein Fürst seiner Diener Knecht würde /wenn er sein fürnehmstes Ehweib / nehmlich sein Reich / zu seiner Diener Sclavin machte; und daß Unterthanen ihre Könige so denn rechtschaffen liebten /wenn sie ihnen niemand gebieten liessen / wie Weiber ihre Ehmänner / wenn sie Männer wären. Er erledigte alle wichtige Sachen selbst / die geringern liesse er seine Diener untersuchen / und bindete sich an keinen gewissen. Denn er pflegte zu sagen: Fürsten solten mehr als einen vertrauten Diener / wie die Tempel viel Eingänge haben. Die Freygebigkeit wäre ihm angebohren / und kriegte offt ein Unterthan in einer Stunde mehr von ihm geschenckt / als er sein lebtage Schatzung geben dörffte. Es wäre sein Sprichwort: Wie das abgeschnittene Graß mehr wüchse als das sich überstünde / also verarmte kein Fürst von Freygebigkeit. Damit er nun diese seine Lobsprüche so vielmehr beglaubigte / ließ der Botschaffter keinen Nothleidenden / oder die / welche beym Volcke in Ansehen waren /und was zu sagen hatten / unbegabt. Insonderheit übte er gleichsam eine Verschwendung gegen die Priester aus; weil er wol verstund: daß bey ihnen eine milde Hand die kräfftigste Schluß-Rede wäre die gerühmte Gottesfurcht und Andacht seines Königes zu erweisen; und hingegen diß / was am Marbod getadelt oder gefürchtet werden konte / zu verhüllen. Sintemahl auch sonst ins gemein Frömmigkeit der weissen Farbe / Freygebigkeit der Röthe des Frauenzimmers gleichet; in dem durch beyde viel andere Flecken verdeckt werden. Uber diß wuste der Botschaffter denen Priestern mit dem Pinsel seiner Beredsamkeit Marbods geistliche Stifftungen und derselben reiche Einkunfften ansehlich fürzumahlen / und sie zu bereden: daß er niemahls ohne der Priester Einrathung was wichtiges entschlüsse / ja ihm fürgenommen hätte / so bald er seinem Reiche einen tüchtigen Herrscher auffinden würde / seine übrigen Jahre dem Priesterstande zu wiedmen; weil sich zwar wol als ein Fürst leben / als ein Priester aber ruhiger sterben liesse. Durch diese annehmlichen Fässel ward die Priesterschafft auf eine solche Weise gewonnen / daß sie meinten: es könte den Semnonern kein heilsamer Glücksstern aufgehen /als wenn sie einen so andächtigen und freygebigen Fürsten zum Herrn bekämen. Eine so durchdringende Würckung hat der Eigennutz / dessen Herrschafft in der Kugel des Mohnden anfängt / und sich biß in die ärmsten Schäffer-Hütten / ja biß ins unterste der Erde erstrecket. Sintemahl nicht nur die Menschen / sondern alle unbeseelte Dinge / ja die Sternen selbst gegen einander ihren Vortheil suchen / und ein Ertzt dem andern suchet Abbruch zu thun; daher ihr Geist auch die festesten Geschöpffe durchdringet / ja aus diesem Absehen Feuer und Wasser sich ihrer eigentlichen Bewegung entschlagen / und dieses in die Höhe empor steigt / daß es zu Wolcken werde / jenes aber sich in die tieffsten Klüffte absencket: daß es sich mit Golde vermähle. Mit einem Worte: der Nutzen ist in dem Thun der Menschen eben diß / was das allgemeine Saltz oder der thätige Geist / mit dem sich die Lufft vermählet: daß sie dadurch die Athem-holenden Thiere speisen / die Flamme brennend erhalten / das Saltz und den Schwefel[1277] der Erde mit Salpeter trächtig machen könne. Denn wie ohne dieses Saltz die Lufft nichts zu nehren vermag; also verlieret in der Welt die Liebe / die Weißheit / ja die Andacht selbst bey entfallendem Vortheile gleichsam alle Lebhafftigkeit. Weil nun Marbod von diesen Unterbauungen gute Nachricht hatte / übte er in der Semnoner Gebiete keine Feindseligkeit; was auf sein Kriegs-Volck aufgieng / ließ er richtig bezahlen; und ob ihm schon die Stadt Budorgis die Pforten öffnete / weigerte er sich solche zu beziehen / sondern schrieb durchs gantze Land aus: Er wäre nicht als ein Feind / sondern als ein guter Nachtbar dahin kommen / ihrer grausamen Uneinigkeit ein Ende zu machen. Denn der Krieg wäre ein gefährliches Feuer / welches zu leschen alle kluge Nachtbarn zulauffen müsten; und die Zwietracht wäre so anfällig als Seuchen / daher hätte er für die Wolfarth seiner Völcker zu sorgen. Diesem nun abzuhelffen wäre kein ander Mittel; als daß die Semnoner auf den nechsten Vollmohnden in Budorgis /wo er einem ieden für unrechter Gewalt Sicherheit verschaffen wolte / zusammen kämen / und durch freye Stimmen ihnen ein Haupt erwehlten. Denn ihm und allen Fürsten wäre daran gelegen: daß die Semnoner ihre alte Herrschens-Art behielten; den Semnonern aber selbst: daß sie nicht länger ohne einen Fürsten blieben. Denn niemand / als Boßhaffte / verlangten ausser Gesätzen zu leben; und bey solcher Freyheit sänckte sich das böse Tropffen-weise in die Hertzen der Frommen ein: daß sie nach und nach das ihnen verhaste Laster für gar keines mehr hielten. Die in einem Lande aber einmahl verschwundene Tugenden und gute Sitten kämen langsam wieder in Gebrauch. Denn denen hernach gebohrnen schienen sie was frembdes zu seyn: und nach nie gekosteter oder vergessener Süßigkeit gelüstete niemanden. Durch Beförderung dieser Wahl würden sie auf einmahl alle Hoffnung denen aufgeblasenern Gemüthern verschneiden; welche das Feuer der Zwietracht sonst unendlich unterhalten / und boßhafft zu bleiben nicht unterlassen würden; weil die Tugend zeither so kostbar / und gleichwol elende hätte leben müssen / die Herrschafft aber dem Ehrsüchtigsten zu Theile werden dörffte. Es wäre selbst des Adels Ernst nicht /keinen Fürsten zu haben; sondern nur ein Vorwand die / welche einem oder andern dörfften vorgehen /aufzuhalten und aus dem Wege zu räumen. Also solten sie diesem Spiele einmahl ein Ende machen. Denn ob zwar gewisse Menschen eine Eigenschafft hätten: daß sie diß / was sie mit ihrer Hoffnung verschlungen haben / für eine ihnen gebührende Schuldigkeit / und /wenn sie es nicht erlangten / für ein ihnen angethanes Unrecht hielten; so müste diesen Ehrsüchtigen auf einmahl durch den Sinn gefahren / die Ruhe des Volckes ihrer Ehrsucht fürgesätzt / und sie lieber einmahl recht beleidiget / als ihnen bey gelassener Hoffnung mit der Zeit zu herrschen das Vaterland in Grund zu richten Lufft gelassen werden. Diesemnach versähe er sich: daß diese so nöthige als heilsame Wahl zu vollziehen niemand aussenbleiben würde. Bey der Versamlung wolte er selbst für eines ieden Freyheit stehen; die Aussenbleibenden aber für seine und ihres Vaterlandes Feinde erklären. Denen Priestern und dem gemeinen Volcke war dieses ein gefundener Handel; weil die Wahl eines Fürsten von Anfang her der Zweck ihres Krieges gewest war. Weil es nun Wasser auf ihre Mühle und ein hefftiger Streich wider den Adel war / vergassen sie hierbey: daß sichs zwischen einem gewaffneten Heere so wenig frey wehlen / als mit angefässelten Beinen grosse Lufft-Springe thun liesse. Also fanden sich die Priester und das Volck Hauffen-weise ein. Der Adel / nach dem er vergebens versucht hatte / das Volck zu bereden: daß sie ihre einheimische Strittigkeiten eine zeitlang an Nagel hencken / und dem sie beyde zu[1278] unterdrücken vorhabenden Feinde mit vereinbarten Waffen begegnen solten / sahe sich nun nicht allein um die eingebildete freye Herrschaft / sondern auch um die freye Wahl gebracht. Wie schwer sie es nun gleich ankam / musten sie nur sich auch zu Budorgis einfinden / wo sie zwischen denen Marckmännischen Waffen das Aaß ihrer entseelten Freyheit nicht ohne Erstaunung liegen sahen. Denn alle Pforten waren nicht nur mit frembdem Kriegs-Volcke besätzt / sondern es drängten sich unter selbten Volck und Priester / weil ieder dem andern vorkommen wolte / beym Könige Marbod / als der Semnoner künfftigem Fürsten einzulieben. Um sein Zelt lag eine solche Menge Volckes auf den Knien / die man kaum übersehen konte / welche nur ihn zu sehen die Ehre haben wolten. Alle Abende wurden auf den Gassen Freuden-Feuer / welche seinen Nahmen brennende fürstellten / angezündet / und in Lobe-Liedern seine Thaten gesungen. Derogestalt sind die Wasser-Fälle des Nilus und des Rheines gegen dem Falle der Freyheit nur für Kinderspiel zu achten; welche in eine solche Dienstbarkeit abstürtzet: daß die Heucheley ihr nicht genung Farben vorzuschüssen weiß / damit sie die Niedrigkeit ihres Gemüthes fürbilde. Als es nun zur Wahl kam / fieng der oberste Priester alsbald an: gute Fürsten wären ein blosses Geschencke des Himmels / böse könten durch die klügste Wahl tausend scharffsichtiger Leute verhütet werden. Sintemahl keine zauberische Ruthe der Circe die Menschen mehr verwandeln könte / als die Fürstliche Hoheit; und ihrer hundert für würdig zu herrschen würden gehalten worden seyn / wenn sie nicht geherrschet hätten. Daher gäbe es in der Welt so viel Könige / die nicht Alexander wären / ungeachtet man eine grosse Menge Alexander zählte / die nicht Könige wären. Niemahls aber verstieße man in Wahlen ärger / als wenn man zu Herrschern machte / die nicht Fürsten wären; und welche allererst solten herrschen lernen / wenn sie das Meisterstücke machen solten. Denn ob zwar die Herrschafft einen klugen Mann zu machen pflegte / wenn sie ihn nicht findete /müste doch ein Land bey dieser Lehre viel ausstehen /und seines Fürsten Irrthümer mit vielem Gut und Blute bezahlen. Nach dem nun bey den Semnonern alle Fürsten abgestorben / aus ihnen selbst aber einen zu erwehlen gefährlich wäre; weil es einen Bildhauer schwer ankäme ein Bild anzubeten / was er selbst gemacht hätte / und ein solcher Fürst fast unmöglich das nöthige Ansehn behaupten / die grossen im Zaume halten / und denen Empörungen steuern könte / wäre der unvermeidlichen Noth einen frembden Fürsten zu suchen. Was wolten sie aber einen allererst durch Zanck und Vorwitz suchen / nachdem ihnen GOtt den vollkommensten schon zugeschickt hätte / nemlich den König Marbod. Dieser hätte durch seine Weißheit in wenig Tagen die zerstreuten und wie rasende Wölffe auf einander wütende Semnoner durch diese friedliche Zusammenkunfft vereinbaret / durch Beherrschung so vieler Länder seine Fähigkeit erhärtet; also würde es der höchste Undanck / die schädlichste Unvernunfft seyn / wenn sie einen Würdigern zu finden ihnen träumen liessen / als er wäre. Dieses wäre die einmüthige Meinung der Priesterschafft; denn es wäre die gröste Thorheit / wenn menschliche Vernunfft von der Strasse ihr einen Abweg suchen wolte / die das Verhängnüß einem selbst mit dem Finger anwiese. Das gemeine Volck war viel zu begierig: daß es hätte sollen die Meinung des Adels erwarten / oder ihre Beystimmung mit gewissen Gründen bekleiden sollen; sondern selbtes schlug theils die Hände / theils die Waffen zusammen / und ruffte: Es lebe unser Fürst König Marbod! Derogestalt blieb dem Adel nichts übrig / als durch eine beypflichtende Heucheley sich dem Grimme des Volckes / für der Verfluchung der Priester und der Macht des Königs Marbod zu entreissen.[1279] Also kostet es zwar Müh und Kunst das Hefft der Herrschafft in die Hände zu bekommen; hernach aber giebt sich alles gleichsam von sich selbst; und mühten sich die Unwilligsten die ersten und fertigsten zum Gehorsame zu seyn. Von Stund an wurden aus allen dreyen Ständen Abgeordnete zum Könige Marbod abgeschickt / welche ihn die Herrschafft über die Semnoner anzunehmen erbitten musten; weil er sich heraus ließ: daß er niemahls darnach ein Verlangen gehabt / er auch sie nimmermehr annehmen würde / wenn er wüste: daß unter den Semnonern nur einer wäre / der ihn nicht gerne zum Fürsten hätte. Also ward Marbod mit grossem Frolocken zum Haupte der Semnoner erhoben; ohne daß er ein so grosses Volck unter sich zu bringen eine Sebel zucken dorffte.

Marbod / welcher die Herrschens-Künste von Grund aus verstand / sparte so wol bey den Semnonern als Langobarden nichts durch Wolthaten ihre Gemüther an sich zu ziehen; iedoch auch seiner Seits dieser streitbaren Völcker sich zu versichern. Denn er wuste wol: daß ein mit den Waffen erobertes Reich einem noch nicht gebändigten Pferde gleichte / welchem man zwar liebkosen / biß es auffsitzen ließe /aber auch solches stets an einer Leine führen müste: daß es nicht zu krumme Springe unversehens machte. Er vertraute alle Einkünfften und Ansehn denen Eingebohrnen / die Kriegs-Aempter alleine gab er seinen Marckmännern. Die Richter-Stüle besätzte er mit Gerechten / die gemeinen Schatz-Kasten mit ehrlichen Leuten; und weil doch die mit Waffen eroberten Länder nicht ohne Waffen zu erhalten sind / baute er an die Flüsse zwar etliche Festungen / aber mehr zum Scheine der Versicherung wider die Nachtbarn / als aus Mißtrauen gegen ihnen. Die Besatzungen bestunden zwar meist an Marckmännern; aber er besoldete sie aus eigenem Beutel / verminderte also ihre alten Anlagen / und ließ keinem Marckmann / auch dem geringsten einige Uberlast machen. Und kurtz zu sagen: er gieng mit ihnen nicht als mit Uberwundenen / sondern als angeerbten Unterthanen um. Denn ob zwar die / welche eine Herrschafft durch Laster an sich bracht / solches selten durch Tugenden ausüben; so ist doch gewiß: daß / weil die Boßheit ohne Hülffe der Tugend lange nicht tauern kan / solche durch diese erhalten; und weil doch der Uberwundenen Dienstfertigkeit eine blosse Heucheleiy ist / ihre wahrhaffte Liebe hierdurch nach und nach gewonnen werden müsse. Zu solchem Ende führete er bey selbten allerhand Gewerbe / den Ackerbau / die Weberey und andere Handwercker ein / welche dem Volcke zu seiner Glückseligkeit nicht wenig zu dienen schienen. Welche letztere Angel ihrer Freyheit weder Semnoner noch Langobarder merckten / so lange Marbod mit denen Gothonen / Lygiern und andern Völckern Krieg führte / und ihrer Waffen von nöthen hatte. Nach dem aber Marbod seiner Herrschafft Maaß und Ziel zu sätzen anfieng / und zwar nicht ohne Waffen / aber lange ohne Krieg war; wolten diese Völcker ihrer alten Gewohnheit nach in anderer kriegender Völcker Dienste gehen / und lieber mit Blute als Schweiße ihr Brodt verdienen / oder vielmehr ihr Glücke anderwerts suchen / und ihre Waffen nicht verrosten lassen; und als solches Marbod nicht erlauben wolte; fasten sie wider ihn den ersten Argwohn; sonderlich als er zwischen ihnen und den Marckmännern nunmehr einen mercklichen Unterschied zu machen anfieng / und sie zwar unter seinem Heere für gemeine Kriegs-Knechte dienten / aber selten über einen Wachmeister oder Feldwebel steigen konten; sondern eitel Marckmännischer Hauptleute Befehl unterworffen wurden / wenn sie schon Kriegs-Leute gewest waren / da jene noch in der Wiege gelegen hatten. Dieser Fehler verrieth am ersten Marbods Karte und Anschläge; welcher von den Römern hätte lernen sollen: wie selbte die überwundenen[1280] Völcker durch Ertheilung des Bürger-Rechts ihnen gleich zu machen / und an ihre Sitten zu gewöhnen pflegen. Welche Vernachläßigung / wie sie Athen und Sparta gestürtzt / also gab sie auch Marbods Herrschafft den ersten Stoß. Denn der Adel beruffte sich nunmehr mit grösserm Eyver auf seine Freyheit / und ließ sich verlauten: daß er ihm anderwerts durch die Waffen sein Glücke zu suchen nicht länger würde wehren lassen. Marbod meinte ihn zu besänfften / und hielt ihn lange Zeit durch allerhand scheinbaren Vorwand / sonderlich aber damit auf: daß er selbst keinen Augenblick des Friedens versichert wäre; also ihrer im Kriege selbst von nöthen haben würde / den er bald mit den Römern / bald mit den Sarmaten / bald mit den Cheruskern und Catten anzufangen Anstalt machte. Der Adel merckte wol: daß diß sie aus Ubung der Waffen zu bringen / und als unstreitbare zur Dienstbarkeit desto fähiger zu machen angesehen wäre; weil aber Marbod das zwischen dem Adel und Volcke schon einmahl angeglommene Mißtrauen / als ein seiner Herrschafft dienendes ewiges Feuer / noch immer unvermerckt unterhalten hatte / muste er seine hierüber gefaste Empfindligkeit nur in sich fressen / und durch Gedult verdeuen. Unterdessen wurtzelte gleichwol wider den Marbod bey denen seine Herrschens-Künste ergründenden ein bitterer Haß ein / welche sahen: daß seine so geschwinde Aenderung seiner Laster in Tugenden nicht von der Natur / die so gähe Springe nicht macht / sondern aus einer betrüglichen Scheinheiligkeit herrührte. Diese aber fürchtet das Volck mehr / als offene Laster. Denn die mit Lastern verdrehte Tugend ist zweyfache Boßheit; und kan nichts als abscheuliche Mißgeburten zeugen.

Inzwischen spielte sich der Römische Krieg wider die Deutschen an die benachbarte Weser / und machte bey allen über der Elbe wohnenden Deutschen keinen geringen Lermen; so gar: daß auch etliche vornehme Staats-Diener des Königs Marbod ihm riethen / diesem gefährlichen Feuer / weßwegen gantz Deutschland die Sturm-Glocke zu leuten Ursache hätte / nicht ferner zu zusehen. Weil aber Marbod als eine gefrorne oder bezauberte Natter sich nicht regte / ja mehr denen Hermunduren mit zwanzig tausend Marckmännern über die Saale ins Land fiel / und den Catten dreute / damit beyde denen Cheruskern nicht zu Hülffe kämen / verfiel Marbod in Verdacht: daß alle zwischen ihm und den Römern gehabte Mißverständnüße ein blosses Spiegelfechten wären / und sie mit einander unter der Decke und im geheimen Bündnüße steckten; Krafft dessen sie Deutschland mit einander theilen und vollkommen dienstbar machen wolten. Bey solchen Mißtrauen brach die Ungedult bey den Langobarden und Semnonern aus. Die alten Edelleute hiessen zwar ihre Söhne nicht ausdrücklich denen Cheruskern zuziehen / beklagten sich aber über die unglückliche Zeiten: daß bey so nahem Kriege ihre Kinder auf dem Miste versitzen und zu Bauern werden müsten. Dieses jagte den jungen Adel in Harnisch: daß sie ihnen selbst Obersten erwehlten / über der Elbe in dem Cheruskischen Gebiete Sammel-Plätze besti ten / und derer acht tausend zum Hertzog Herrmann unvermuthet ins Lager kamen. Marbod ward bey der hiervon einlauffender Zeitung gleichsam vom Blitz gerühret; daher er den Grafen von Rosenberg mit zwölff tausend Marckmännern und Sedusiern in der Semnoner Gebiete schickte / der in Krieg gegangenen Edelleute Väter in Hafft / die Güter in Beschlag nehmen / und / da sie nicht Augenblicks zurück kehrten / ihnen alle Straffen der Aufwiegler und Verräther andreuen ließ. Hiermit zohe Marbod das gröste Theil des Adels zurücke / die aber zu Hause wenig oder nichts zu verlieren hatten / blieben bey den Cheruskern / und liessen dem Marbod sagen: Sie hätten zu Hause lange genung[1281] Tauben gefangen; nun müsten sie gleichwol erfahren: ob es keine streitbarere Vögel in der Welt gäbe. Marbod / welcher sonst über seine Gemüthsregungen eine vollkommene Botmässigkeit hatte / konte sich dieses mahl nicht he en seinen Eyver auszulassen; Adgandester aber sagte ihm: er hätte sich über dieser Begebnüs mehr zu erfreuen als zu eyfern Ursache. Sintemahl er dadurch den schönsten Vorwand in der Welt bekäme diesen beyden Völckern / sonderlich dem hochmüthigen Adel die Freyheiten auf einmahl zu nehmen / bey derer Tauerung er sie nur wie den Aal beym Schwantz hätte / und sich wahrhafftig nicht rühmen könte: daß er ihr Herr wäre. Diesem nach solte er weder Zeit noch Gelegenheit versäumen ihnen auf den Halß zu gehen / sein Erb-Recht zu befestigen / die Barden und ihren Gottesdienst auszurotten / die Herrschafft nach seinem Kopffe und zu seiner Sicherheit einzurichten. Denn Fürsten müsten wie die Aertzte den Krancken ihre bittere Träncke auf einmahl einschütten: daß sie nicht lange daran zu käuen und zu kosten hätten; das gute hingegen wäre ihnen nur Tropffen-weise einzuflössen / damit ihr Geschmack lange unterhalten und ein Fürst nicht erschöpfft würde. Marbod folgte entweder aus abnehmender Klugheit / oder aus absonderer Schickung des Verhängnüßes Adgandestern. Denn böse Diener sind nur die Röhren / durch welche böse Rathschläge flüssen; ihr Uhrsprung rühret aus jenem tieffen Brunne her. Daher ereignet sichs offt zu grosser Verwunderung der gantzen Welt / welche siehet: daß die Staats-Diener offt mit ausgebreiteten Fahnen wider die Gerechtigkeit / die Gesätze und ihres Fürsten Nutzen in Krieg ziehen; daß sie mit dem Fetten des Volckes ihren Geitz mästen / mit dem Blute der Unschuld den Durst ihrer Rachgier leschen / und um ihnen Häuser zu bauen das Königreich einreissen; und daß gleichwol der Fürst entweder alleine verbländet ist / oder es geschehen läst / und noch dazu lachet. Zwar ist sich hierüber nicht zu verwundern / wenn ihm ein ungeschickter Fürst / der nie mit keiner anderen als einer geborgten Vernunfft geherrscht hat / ihm das Hefft nehmen / und seine Einfalt durch eine scheinbare Beredsamkeit hinters Licht führen läst; diß aber kam der gantzen Welt billich seltzam vor: daß der so verschmitzte Marbod in solchen Zustand verfiel / welchen Adgandester von einer kurtzen Zeit her so eingenommen oder vielmehr bezaubert hatte: daß er nichts ohne ihn that / und / was dieser rieth / niemahls wiedersprach. Derogestalt betete er Adgandestern / und alles sein Thun an; war also nicht besser als die Bildhauer / welche ihre Götter mit eigener Hand fertigen. Er gab ihm alle seine Einkunfften unter Hände / belegte ihn mit den vornehmsten Aemptern des Reichs / und hatte kein Bedencken ihm zu gefallen / allen andern weh zu thun; ja er enteusserte sich gleichsam allen seines Willens und seiner Krone /damit Adgandester nur alles nach seiner Willkühr einrichten / und hierzu genungsames Ansehen haben möchte. Adgandester wuste sich dieser eingeräumten oder vielmehr abgetretenen Macht meisterlich zu bedienen. Denn er sperrte den König in der Mitte eine so Volck-reichen Hofes zur Einsamkeit und eitelem Zeitvertreib unter dem Nahmen nöthiger Ruh ein /und ließ ihn weder Volck noch Kriegs-Heer sehen /als wenn er verhasten oder bedencklichen Sachen einen Nachdruck geben wolte. Er räumte alle / welche Adgandestern am Wege stehen konten / oder ihrer Aufrichtigkeit und Tugend halber nicht in seinen Kram taugten / aus dem Wege; die aber wegen ihrer hohen Verdienste unumstoßliche Pfeiler waren / entfernete er durch grosse Verwaltungen der Länder /durch Botschafften und wichtige Geschäfte aus den Augen des Fürsten / und machte aus seinen Geschöpffen gleichsam einen neuen Hof; welches nach der Eigenschafft aller Neuigkeiten dem Marbod zu seinem[1282] Schaden und Schande noch hertzlich wol gefiel; ungeachtet er keinen alten Diener / keinen vertrauten Menschen mehr um sich sah / für welchem er hätte ein Wort reden können / welches nicht selbigen Augenblick Adgandestern zugetragen ward. Mit einem Worte: Marbod gerieth mit seinem guten Willen in eusserste Dienstbarkeit / und ward der schimpflichste Gefangene seines eigenen Knechtes / oder starb vielmehr seiner Herrschafft ab. Denn er fragte fast nicht mehr nach seinen Reichs-Händeln / weniger begehrte er selbte zu ordnen: ja er wagte sich nicht einmahl die einlauffenden Brieffe zu lesen / wenn sie Adgandester nicht vorher entsiegelt / und befunden hatte: daß der König hiervon Nachricht erlangen dörffte. Zugeschweigen: daß Marbod nicht einmahl ohne sein Einrathen auf die Jagt zoh; wenn er iemanden gerne befördert wissen wolte / ihn Adgandestern einlobte / und wenn er was für sich selbst etwas vergeben hatte / geschehen ließ: daß sein Diener es als eine Ubereilung zurücke zoh. Daher auch kein Mensch mehr etwas beym Könige / sondern bey Adgandestern suchte / der alles in allem; also König und Rath zugleich war /seinen Herrn aber nur statt eines Bildes brauchte /welches man auf eine marmelne Seule sätzt: daß iederman für selbtem die Knie beugen muß. Damit Marbod aber gleichwol glauben möchte: daß diese Selbstgelassenheit zu sein und seiner Tochter Adelgunde Ausnehmen gereichte / schalt er auf vorige Staats-Diener: daß sie so viel Zeit hätten verstreichen lassen / ohne bey den Langobarden und Semnonern ihr Erb-Recht in Gewißheit und die Gewalt des Königs in bessern Stand zu sätzen. Dieses nun zu vollziehen führte er den König mit Adelgunden zu dem Ende dahin; sie kamen auch gleich zu Budorgis an /als zwey Tage vorher die fünff tausend Edelleute aus dem Cheruskischen Lager zurück über die Elbe kommen waren. Adgandester wuste diß als einen des Adels Freyheit angebrachten Streich nicht genungsam heraus zu streichen / und den Marbod zu bereden: daß Unterthanen niemahls recht gehorsamten / weñ ein Fürst nicht seiner Gewalt zu gebrauchen / und mit Nachdruck zu befehlen wüste. Adgandester aber /welcher vorher ein so schlauer Staats-Mann gewest /und alles mehr durch Arglist als Gewalt auszurichten beflissen gewest war / ward von so grossem Glücke gleichsam truncken: daß er seiner vorigen Vorsicht vergaß; oder bildete ihm vielleicht ein: daß sich seine ungeheure Gewalt über Reich und König nicht anders als durch Donner und Blitz / nemlich durch Hefftigkeiten behaupten liesse. Diesem nach verbannte er die außengebliebenen dreytausend Edelleute aus Marbods gantzem Reiche / entsätzte sie ihres Adels / und erklärte sie für Vogel-frey. Weil nun in beyden Ländern kein Adeliches Hauß war / welches nicht einen Anverwandten darunter hatte / wurden alle dadurch auffs hefftigste beleidigt. Hierbey aber beruhte er noch nicht; sondern Marbod oder vielmehr Adgandester er forderte vielmehr unter dem Nahmen des Königs auch die / welche der Königlichen Abforderung gehorsamt hatten: daß sie Rechenschafft geben solten / warum sie für ihren eigenen Kopf zu denen Cheruskern in Krieg gegangen wären? da sie doch alle wol gewust /wie übel diese mit dem Könige stünden / welcher der von ihnen bekriegter Römer offentlicher Bundgenoße wäre. Ja er ließ auf einen Tag fünff hundert erscheinenden Langobarden zur Straffe Haare und Bärte abschneiden. Ob der Adel nun zwar durch Erkiesung frembder verdächtiger Kriegs-Dienste wider ihren König gesündiget hatte / war doch diß eine unvernünftige Schärffe: daß Marbod nach einer so geschwinden Reue eine so grosse Menge / und zwar gleichsam mehr ihren Gehorsam / als ihr Verbrechen straffen wolte. Alleine es machen neue Räthe / welche die alten Reichs-Verfassungen verbessern / von denen gebähnten Wegen auf[1283] so krumme Springe kommen wolten / es nicht besser / als die Baumeister der Festungen; welche die alten Wercke einreissen / des Fürsten Unkosten zernichten / die Zeit verspielen /nichts ausbauen und dem Feinde die Festungen öffnen. Nicht besser lieff es mit diesem Rathschlage Adgandesters ab. Denn dem gantzen Adel fieng das ohne diß längst schon wallende Geblüte an zu jähren; weil sie nunmehr sahen: daß das Messer ihren Freyheiten nunmehr recht in die Gurgel gesätzt; und / wie Adgandesters heimliche Feinde selbst aussprengten / von ihm den unbändigen Adel zahm zu machen oder gar auszurotten / angezielt ward. Denn wie die Unterhaltung langer Haare der Persischen Könige gröste Zierde war / die überwundenen Argiver auch zu Bezeugung ihres grossen Leides ihnen die Haare abschnitten; also waren bey den Langobarden die langen Haare so wol / als bey denen Egyptiern / Spartanern und Galliern ein Kennzeichen des Adels; daher auch /wenn einem jungen Edelmanne oder Fürsten der erste Bart abgenommen ward / solches von niemanden anders als einem Ritter / oder gar einem Fürsten geschehen konte; und deßwegen ein Fürst dem andern seinen Sohn zuschickte. Daher der Adel diese Beschimpffung für die gröste in der Welt aufnahm / und in wenigen Tagen über zwölff tausend Edelleute aus dem Staube und über die Elbe zu den Cheruskern entwichen. Adgandester sahe nun wol / wie sehr er verstossen hatte. Denn er war klug genung zu verstehen: daß der Adel der Kern eines Landes / und also an dessen Erhaltung dem gemeinen Wesen viel gelegen wäre. Sintemahl dieser doch allezeit von seiner Vor-Eltern Tugenden / wie die aus Ertztgebürgen entspringenden Adern etwas von ihren edlen Adern mit sich führten. Wenn auch schon der Adel was böses an sich nähme /liesse sich doch selbtes von ihm viel leichter trennen /als den niedrigen Pöfel edel machen; wie es keine grosse Kunst wäre Schlacken von Golde scheiden / aber fast unmöglich aus geringem Ertzte Gold machen. Damit er aber beym Marbod nicht Glauben und Ansehen verliere / beredete er ihn: daß einem Fürsten kein grösser Glücke begegnen könte / als wenn er sein Land auf einmahl von so vielen aufrührischen Köpffen saubern / und noch darzu sich von ihren eingezogenen Gütern bereichern könte. Der Adel gleichte insgemein hartmäulichten Pferden / welche das Gebieß der Fürstlichen Herrschafft nicht vertrügen / und weil sie den Friede für der Zeit ihrer Dienstbarkeit hielten /keine Gelegenheit versäumten ein Land in Unruh zu stürtzen. Also hätte ein Fürst hoch von nöthen selbten allezeit zu drücken: daß er weder ihm / noch dem Volcke zu Kopffe wüchse. Das andere Volck würde nach weggeräumten Aergernüße nun nicht allein so viel williger gehorsamen / sondern auch sich desto hurtiger zur Tugend anschicken; wenn nunmehr die Ehren-Aempter nicht nach der hohen Ankunfft / sondern nach Verdiensten würden vergeben werden; da sonst aller Fleiß schlaffte / die Tugend nie thätig wäre / wo diese keine Hoffnung hätte sich empor zu schwingen; der müßige Adel aber ausser Sorgen lebte durch Ungeschickligkeit seinen Vorzug einzubüßen. Damit er diese Lehre nun mit dem Eigen-Nutze überzuckerte / überreichte er dem Könige ein ziemliches Buch / darinnen des entwichenen Adels Güter beschrieben waren; welche nunmehr mit Rechte dem Königlichen Vermögen einverleibet werden könten. Marbod ließ ihm diese Einziehung entweder aus Geitz / oder aus Vergessenheit: daß die Reiche in den gefährlichsten Stand geriethen / wenn sie am mächtigsten würden / gefallen; oder er konte vielleicht Schande halber nichts mehr unbilligen / was Adgandester gleich böses stifftete. Wiewol auch Adelgunde ihrem Vater für Augen stellte: was für eine ansehliche Macht durch so viel streitbare Edelleute ihm ab / und dem verdächtigen Hertzoge der Cherusker zuwüchse; was für Verbitterung[1284] sie durch Verlust ihrer Güter und durch Verschränckung aller Genade gegen ihn schöpffen; wie viel Saamen des Aufruhrs sie in diesen Ländern streuen und sich zu rächen des nur noch übrigen Blutes nicht schonen würden; ihm also rieth: er solte ihn durch eine allgemeine Begnadig- und Vergessung dessen / was vorgegangen wäre / ins Land beruffen; so fand sie doch kein Gehöre; weil Adgandester dieses für eine schädliche Liebkosung gegen die Aufrührer / und für eine zu knechtische Erniedrigung für einen so grossen Fürsten hielt. Sintemahl diß / was wider Vernunfft geschehen ist / durch nichts als eine Hartneckigkeit gerechtfertiget werden kan. Daher wolte weder Adgandester von seinem bösen Rathe /noch Marbod von seiner Gewohnheit Adgandestern in allem zu folgen absätzen; als wordurch beyde ihre Irrthümer würden erkennt haben. Und also geschichts insgemein: daß / wenn wir iemanden wegen seiner zu lieben angefangen haben / die Zeit auch alsbald etwas darein mischt / daß wir selbten ihn unsertwegen in der Liebe behalten müssen; wenn er schon für sich selbst liebens werth zu seyn aufhört. Adgandester fand gleichwol der Nothwendigkeit der klugen Fürstin Adelgunde einen blauen Dunst für die Augen zu mahlen; und daß die Entweichung des Adels zu ihrem selbst eigenen Nutzen diente / zu erhärten. Diesemnach ließ er Marboden so wohl der Semnoner als Langobarder Stände auf zwey gewisse Tage verschreiben / an dem sie Adelgunden die Erbhuldigung leisten solten. Dieses vermeinte Heilungs-Mittel seiner vorhergehenden Fehler war eine noch grössere Unvernunfft. Sintemahl / wenn ein Fürst ja eines Landes Herrschens-Art zu ändern nöthig hält / er solches unvermerckt und nach und nach bewerckstelligen; wenn ein Stand leidet / dem andern streicheln / hernach jenem wieder Zeit lassen / und seine unverschränckte Botmässigkeit nicht ehe ans Licht bringen muß / als biß der Schatten voriger Freyheit dem Volcke aus den Augen gerückt worden. Hingegen fielen diese Hefftigkeiten Adgandesters den Priestern und dem Volcke wie ein Blitz in die Augen / und wie ein Donnerschlag in die Ohren; ob schon die bißherige Drückung des Adels wegen der insgemein gegen einander habenden Eyversucht ihnen wenig zu Hertzen gestiegen war. Denn weil Marbod sie bey ihren alten Freyheiten zu lassen versprochen hatte; liessen sie ihnen nicht träumen: daß er ihnen so schlechter Dings ihr Wahl-Recht nehmen solte; sonderlich / da er nicht durchs Recht der Waffen sondern durch der Semnoner freye Wahl ihre Herrschafft wolte erlangt haben; also solche zu ändern unter keinem Scheine des Rechtens befugt war. Nach dem sie aber die gegen den Adel gebrauchte Schärffe für Augen / mit diesem ihre beste Kräfften verlohren / eine grosse Marckmännische Macht auf dem Halse hatten; gleichwohl aber nicht gerne auf einmahl ihr Wahl-Recht schlechter Dings verlieren wolten / redeten sie mit einander ab: daß sie an den Hof schreiben / Marbods Vorhaben / da er bey Zeite auf eine gewisse Reichsfolge vorsinnte / seine tugendreiche Tochter auch in Vorschlag brächte / loben; aber erinnern solten: es wäre bey Ausfertigung der Beruffungs-Zettel / als in welchen die vorhergehende Wahl nicht ausgedrückt worden / ein Irrthum fürgegangen /welchen zu verbessern wol der Nothwendigkeit seyn würde. Sintemal sie der tröstlichen Zuversicht lebten: daß König Marbod / als ein so gerechter Herr / alles ihnen versprochene heilig halten würde; weil GOtt die Warheit / ein Fürst aber der Wahrheit Wort wäre. Adgandester nahm dieses so übel auf / als wenn dem Könige dadurch in den Zepter / ja an die Seele gegriffen wäre; brachte also Marboden in Harnisch: daß er denen Ständen diesen Bescheid gab: Sie wären seine durchs Krieges-Recht gewonnene Unterthanen / und er daher so wenig an ihre eingebildete Bedingungen /als Fürsten ins gemein an Gesätze / weniger[1285] an Worte gebunden. Wenn die Zeiten sich änderten / Sachen in einen andern Stand geriethen / wären auch gemeine Leute ihres Angelöbnüßes loß. Und sie wolten mit ihrem Fürsten wegen derer ihnen zum besten angesehenen Anmuthungen noch rechtfertigen? dieses wäre eine Vergessenheit: daß sie Unterthanen wären. Hätten sie nicht den Verstand: daß das Volck die verliehenen Freyheiten wider den Fürsten selbst nicht anziehen könte. Welcher diesem nach noch mit einem Worte eines Wahl-Rechts gedencken würde / solte mit der Straffe verletzter Königlicher Hoheit belegt werden. Derogestalt hielt Adgandester für rathsamer die Sache in Gefahr und Ungewißheit zu sätzen / als den Zweck durch gelinden iedoch sichern Weg zu erlangen. Dieser Bescheid war in aller auch der niedrigsten Leute Hertzen ein Donnerschlag / aber auch ein Anfang des dem Könige Marbod zuhängenden Unglücks; Also man selten den Untergang grosser Reiche dem blossen Verhängnüße zueignen kan; oder es verhüllet zum wenigsten seine geheime Rathschlüsse mit vorhergehendem Versehen der Fürsten und ihrer Diener. Sintemahl des so scharffsichtigen Marbods einiges Beyspiel erhärtet / wie nicht allemahl von Unvernunfft eines Fürsten / sondern zuweilen vom Verhängnüße selbst herrühren müsse: daß verwegene Unwissenheit der Welt vorstehe / Narren über weise Leute urtheilen; daß Ehrlose und anderwerts wegen Untreue und Verrätherey verjagte Diener angenommen; oder auch solche Leute / welche man anderwerts unter dem Droß vermiste; oder an die Ruderbanck geschmiedet zu werden verdienten / zum Steuerruder eines Reiches sätzt; ja abscheuliche Zwerge / ohnmächtige Verschnittene / verschwätzte Gauckler und Taschenspieler / und auffschneiderische Schorsteinfeger zu grossen Staats-Dienern und Heerführern /Bader und Bartscherer zu Botschafftern macht. Das Volck fieng nunmehr nicht nur an über ihrer Dienstbarkeit zu seuffzen / sondern sich auch nach dem entwichenen Adel und Mitteln umzusehen / welche sie in ihre Freyheit wieder versätzten; nach dem ohne diß frembde Herrschafft / wenn sie auch sehr leidlich ist /allemahl ein Gesichte der Dienstbarkeit macht. Daher entwiechen auch ihrer viel aus dem Volcke / zu dem bey den Cheruskern wol aufgenommenen Adel / wo sie ihre gehabten Mißverständnüße bereuten / und einander mit grosser Verbitterung gegen den Marbod und seine Räthe ihr gemeines Unglück klagten. Es würde vielleicht aber noch nicht zum eussersten kommen seyn / und weder die Langobarden noch die Semnoner das Hertze gehabt haben sich wider eine so grosse Macht aufzulehnen / wenn nicht das Verwundernswerthe Verhängnüß sie gleichsam durch einen seltzamen Zufall mit eigener Hand dazu geleitet hätte. Es hatte Marbod an der Elbe dem vom Drusus aufgerichteten Sieges-Zeichen gegen über eine alte Schantze verneuern und besätzen lassen. Für dieser standen harte am Ufer sieben uhralte Linden / welche von den Langobarden für heilige Bäume gehalten /und von Eubagen offt zu Begehung ihrer Feyer erkieset wurden. Weil diese aber das Aussehen auf den Elbe-Strom hinderten / befahl der in der Festung liegende Ritter Dube solche abzuhauen. Die dieses erfahrenden Eubagen kamen zu ihm / und baten nicht nur auffs beweglichste diesen Befehl aufzuheben /weil man an heilige und geweihte Sachen nicht allein die Hand kein mahl legte ohne sich selbst zu beleidigen / auch eine alte Wahrsagung im Schwange gienge: daß mit diesen einfallenden Bäumen grosse Häupter fallen würden / sondern erboten sich auch solche mit was ansehlichem zu lösen. Der König Marbod würde theils aus Andacht / theils zum Gedächtnüße: daß bey diesen die Römer von der Langobarden Schutz-Geiste wären zurücke getrieben worden / selbte zweiffelsfrey gerne selbst unversehret wissen wollen; zumahl die Langobarden glaubten:[1286] daß ihr Schutz-Geist ins gemeine diese Linden bewohnte. Der Ritter Dube schrieb diß an König Marbod; welcher den Eubagen gewillfahret haben würde / wenn nicht Adgandester mit grosser Hefftigkeit durchgedrungen /und angeführt hätte: daß man nunmehr / da man diesen frechen Völckern durch den Sinn zu fahren angefangen hätte / ihnen nicht wieder zu heucheln anfangen; viel weniger aber sie in dem Aberglauben / samt sie noch absondere Schutz Geister hätten / stärcken; sondern / wenn man es auch der Festung halber zu thun nicht Ursache hätte / diese zum Aberglauben gemißbrauchte Bäume mit Strumpff und Stiel ausrotten solte. Also wurden die zu Budorgis deßhalben demüthigst bittenden Eubagen schlecht abgewiesen; und der Ritter Dube muste nunmehr wider seinen eigenen Willen den Befehl vollziehen. Hierzu fanden sich nicht nur viel Eubagen / sondern eine grosse Menge andere Langobarden ein; weil jene gleichwohl vom Ritter erbeten hatten: daß sie die Bäume nach ihrem Belieben in einen nahe dabey gelegenen heiligen Hayn wegführen möchten. Die dazu verordneten Marckmänner thaten keinen Hau in den ersten Baum /den die Langobarden nicht in ihrer Seele fühlten / und gleichwol stillschweigend verschmertzen musten. Als der Stamm nun biß an die Helffte durchhauen war /kriegte der gegen der Elbe hangende Gipffel den Schwang / und spaltete den holen Schaft der Linde nach der Länge entzwey. Es wurden die Marckmänner hierauf alsbald in beyden zerspaltenen Helften einer Schrifft gewahr / welche zu lesen sie die Eubagen selbst herzu rufften. Diese fanden alsbald an der gegen den Fluß gefallenen Helffte diese deutliche Worte eingewachsen:


Der Marcomänner Reich wird mit mir falln und brechen.


An der noch stehenden Helffte aber diese:


Mein Nachtbar und mein Geist den Raub der Freyheit rächen.


Die Eubagen sahen einander an; ihre Hertzen wurden mit vermengter Verwunderung / Furcht und Freude so verwirret: daß keiner ein Wort sprechen; die Marckmänner aber ihnen wol ansehen konten; es müste diß ein wichtiges Geheimnüß seyn. Weil ihnen aber die Eubagen nichts entdecken wolten / machten sie es ihrem Obersten dem Ritter Dube wissend / welcher dahin kam / und diese Weissagung nicht ohne Schrecken und Zittern laß; auch / was er mit diesem Baume machen solte / sich nicht entschlüssen konte; ausser daß er noch selbigen Abend den Bericht hiervon nach Budorgis abfertigte / wo zwey Tage hernach Adelgunden die Erbhuldigung von Semnonern abgelegt werden solte. Weil aber ihrer so viel diese Wunder-Schrifft gelesen hatten / breitete sich die Nachricht hiervon alsobald unter die Langobarden und Marckmänner aus / welche letztere in ein Panisches Schrecken verfielen. Der Ritter Dube redete ihnen wol ein: Es wäre diese Schrifft allem Ansehen nach von Eubagen durch Kunst oder Zauberey diesem Baume eingedrückt worden: Sintemahl auch die nackten Weltweisen in Africa und Mohren-Land durch ihre Kunst die Bäume dazu brächten: daß sie ihren Gipffel für ihnen biß zur Erde neigten / und wie Menschen redeten. Wenn man sie aber auch für eine Wahrsagung halten solte / nicht so schlecht hin und nach der Schale eusserlicher Buchstaben auszulegen wäre. Solche Weissagungen blieben allezeit Geheimnüße / biß sie erfüllet würden; wären vielmahl nach dem Wiederspiele zu verstehen / und daher tausend Leichtgläubige dadurch betrogen worden. Alleine wider das vom Himmel eingejagte Schrecken hilfft weder Vernunfft noch Beredsamkeit. Kein Marcomann war in selbiger Festung nicht zu erhalten / sondern sie verliessen sie noch selbige Nacht; und zwar mit solcher Zagheit: daß sie sich nicht einst umsahen; gleich als wenn auch die Erblickung der sie verfolgenden Feinde tödlich seyn[1287] würde. Die Eubagen hingegen frischten die Langobarden auf: daß sie die Gelegenheit nicht versäumen solten ihre Freyheit wieder zu erlangen. Das Verhängnüs zeigte ihnen Hülffe und Weg; wäre auch so gut: daß es niemahls was wichtiges ausübte / was es nicht vorher andeutete / um die albern Menschen zu lehren: daß nichts ungefähr geschehe; sondern die Göttliche Versehung alles nach ihrer Weißheit und der Menschen Verdienste einrichtete. Sie wusten hierbey dem Volcke zu erzehlen; wie eben an diesem Orte der Schutz-Geist des Elbe-Strohms den Drusus zurück getrieben / und ihm seinen Todt angedeutet hätte. Von eben einem solchen Geiste wäre dem Julius Cäsar der Weg durch den Fluß Rubico zu seinem Siege wider den Pompejus gewiesen; dem Marcus Cäditius in Rom der Einfall der Gallier; dem Hostilius Maminus die unglückliche Schlacht der Römer / und dem Titus Latinus Hannibals Einbruch in Italien durch das Gesichte einer alles verheerenden Schlange des dem Hannibal von Jupitern zum Führer gesendeten Geistes; dem Brutus durch seinen bösen Geist der Untergang / und aus dem Arsischen Walde nach der Schlacht zwischen den Hetruriern und Römern angedeutet worden: daß dort einer mehr als hier umkommen wäre / und die Römer die Oberhand behalten würden. Absonderlich wäre es von Bäumen nichts neues: daß sie das Verhängnüs zu Zeugen seiner Geheimnüße brauchte. Sintemahl die wahrsagenden Eichen in denen Dodonischen Wäldern der gantzen Welt bekant wären; welchen es aber diese Langobardische Linde zuvor thäte. Diese von dem allwissenden Verhängnüsse geschehenden Weissagungen hätten auch allemahl richtig eingetroffen / wenn sie gleich wider alle Vernunfft und Mögligkeit zu seyn geschienen; also daß mehrmahls ein Tag / eine Stunde / ja wenig Augenblicke einen von dem höchsten Stuhle weltlicher Herrschafft unter frembde Füsse geworffen hätte. Denn die Göttliche Versehung hätte von Ewigkeit her einem ieden Reiche seine Gräntzen und Ziel /iedem Könige seine Herrschafft auf ein Haar / und so richtig / als der Sonne ihren jährlichen Lauff durch den gestirnten Thier-Kreiß ausgemessen / dessen unveränderlichem Gesätze sie gehorsamen müsten; und keine menschliche Klugheit / ja alle Kräfften der Welt nicht einen Augenblick dieses Rad hemmen / oder einen Zancken daran überhopffen könten. Ob nun wol eine der grösten Thorheit und Vermessenheit wäre /wenn menschlicher Witz das Verhängnüs an gewisse Jahre binden / aus Zahlen der Reiche Tauerung und Fall ausrechnen / unter gewissen Stern-Versamlungen ewige Städte bauen wolte / ja Tarutius Firmanus aus dem Gestirne der Stadt Rom / andere auch anderer Städte Zufälle und Untergang zu weissagen sich erkühnet hätten; gleich als wann ihnen von einem Geiste wäre offenbahret worden / unter welchen Sternen diese oder jene Stadt ihren ersten Athem geschöpffet /wie selbte ihre Kräffte dem Kalcke und den Steinen eingeflösset hätte; so möchten sie doch nunmehr / da das Verhängnüs mit so verständlicher Zunge redete /feste glauben: daß des grossen deutschen Wütterichs Marbods Maaß aus wäre / und sich alles zu seinem Untergange gleichsam von sich selbst schicken würde. Was dem Drusus an diesem Orte begegnet /und hernach wahr worden wäre / hätten viel noch lebende gesehen. In seltzamen Fällen aber erhärtete ein einiges Beyspiel die Erfahrung und die Wahrheit. Marbod hätte für dem Drusus kein Vorrecht; und sein Glücke für die Umschlagung keine Versicherung. Grosses Unglück nehme den Anfang von grossem Wolstande / wie schwere Abstürtzungen von hohen Orten. Ehe es nun noch zu tagen beginnete / eilten die hiervon hörenden Langobarden mit grossen Hauffen zu dem zerbrochenen Baume die Wunder-Schrifft in Augenschein zu nehmen.[1288] Wie sie nun sich niemanden in der Festung rühren hörten / die Thore offen und unbesetzt sahen / giengen die Vorwitzigsten der Langobarden hierein / fanden sie aber nicht ohne Erstaunung leer und verlassen. Wie sie nun von Langobarden bald angefüllet ward / fieng Schencke / ein Langobardischer Edelmann / an: Sehet ihr eingeschlaffenen Langobarden nicht mit Augen die Würckung des für eure Freyheit streitenden Verhängnüsses / und die Erfüllung dieser Göttlichen Wahrsagung? die Marckmänner sind entlauffen. GOtt hat ihre Hertzen mit Furcht geschlagen / wie wenig Müh wird es euch kosten derer Meister zu werden / denen das Schrecken im Buseme / der Tod im Nacken sitzt. Warum harret ihr denn noch? sehet ihr euch noch nach Pfeilen um /welche die Wolcken auf die verzagten Marckmänner ausschütten sollen? lauffet! eilet! und ergreiffet mit den Waffen eure alte Freyheit! oder wo euch die Feinde keine übrig gelassen haben / die Sicheln / Sensen und Pflug-Schaaren / an denen ihr zeither habet ziehen und schwitzen müssen! Machet aus den Fesseln eurer Dienstbarkeit Werckzeuge eurer Wolfarth. Lasset uns denen Flüchtigen nacheilen! ich wil euer Gefärthe seyn. Denn die / welche das Verhängnüs leitet /haben keines Führers von nöthen. Dieser Entschlüssung pflichteten die Eubagen / die dazu kommenden Knesebeck / Kannenberg / Wedel / Massau und Schwanberg / und andere von Adel / und folgends alles Volck / ja auch die Weiber bey. Ein ieder lieff /und sahe sich nach den ersten und besten Waffen um /deren sie eine ziemliche Anzahl in der verlassenen Festung fanden. Die Rachgier und Hoffnung der Freyheit hob alle Streitigkeiten des Verzugs / und alle Mißverständnüße zwischen dem Adel und Volcke auf / um denen keine Kürtze zu thun / die für die gemeine Freyheit den ersten Preiß verdienen würden. Die Langobarden kamen denen Marckmännern zeitlich auf die Spure; und weil erschrockene Leute / wenn sie schon auf gebähnter Strasse gehen / ihnen doch im Sande zu waten einbilden / wurden diese noch selbigen Tag eingeholet. Weil Furcht und Flucht sie keine Ordnung halten ließ / und sie die Verfolgenden mehr für erzürnte Geister als Menschen hielten / sätzten sich wenige zur Gegenwehr; sondern die Langobarden hatten nur tod zu schlagen; ja der Ritter von der Duhe / welcher mit etlichen sich sätzte / ward selbst von einem Langobarden mit seiner in der Festung gefundenen vergüldeten Axt durch den Hirnschädel tödtlich verwundet / welcher hernach dieses Gewehre in seinen Schild nagelte und von seinen Lands-Leuten zum Gedächtnüße den Nahmen Gold-Axt erhielt. Von denen Flüchtigen kam nicht einer / der den andern Marckmännern die Post gebracht hätte / davon. Denn die sich gleich in die Wälder verkrochen / wurden doch endlich ausgespüret / oder von Hunger gezwungen /sich dem Tode der feindlichen Schwerdter zugestellen. Schencke und Knesebeck / welche doch von Langobarden für Führer erkennt wurden / eroberten zusammen vierzehn Fahnen; und weil das Geschrey von dieser Weissagung und dem erlangten Siege sich wie ein überlauffender Fluß ausbreitete / das Geschrey auch / seiner Gewohnheit nach / alles vergrösserte /ergriffen alle Langobarden im gantzen Lande die Waffen / erwehlten zum Kennzeichen ihrer Freyheit und der wider die Marckmänner gefasten Rache ein Linden-Reiß; und / wer solches nicht führte / ward als ein Feind ohne Barmhertzigkeit todt geschlagen. Also zohe die unvollkommene Abhauung einer Linden so wichtige Empörung nach sich / und zernichtete die wichtigen Anschläge / die Adgandester dem mächtigen Könige Marbod in Kopff gebracht hatte. Dahero gewisse Dinge einen kleinen Kopff / wie die Kameele haben / welche aber einen grossen Leib und wichtige Folgen hinter sich nachziehen. Etliche Geschäffte hingegen zeigen sich anfangs mit einem[1289] grossen Wallfisch-Kopffe / enden sich aber mit einem kleinen Schwantze / haben schlechten Nachdruck / oder verschwinden gar. Weil die Marckmänner sich nun ehe des Himmelfalls / als eines so plötzlichen Auffstandes und Krieges von Langobarden versehen hatten; sonderlich da König Marbod mit zwantzig tausend Kriegs-Leuten zu Budorgis und also in der Nähe wäre; dahero in stoltzer Sicherheit durchs Land vertheilet lagen / wurden biß auf die zwey Besatzungen /welche an dem Zusammenflusse der Elbe und der Havel / wie auch an der Oder und der Warte gar mit einander aufgerieben. Marbod kriegte zwar von einem Aufstande Wind / bildete sich aber nichts weniger /als eine allgemeine Empörung ein; gleichwol aber schickte er den Ritter Lichtenberg / Choltitz / Neuhauß / Tyrnach / Seeberg und Egerberg mit sechstausend Kriegs-Leuten dahin die Aufrührer zu bändigen. Die Langobarden wiechen aus angenommener Furcht für ihnen / und lockten sie zwischen die Wälder /allwo sie vorwerts / hinten und auf allen Seiten von denen versteckten Langobarden und ihren Weibern mit einer fast unmenschlichen Raserey angefallen /nach dreyer Stunden blutigem Gefechte zertrennet /umringet / und biß auf fünffhundert mit Noth entrinnende Reuter erwürget wurden. Keine Tapferkeit /keine Geschickligkeit / kein Vortheil der Waffen kam den Marckmännern wider die Langobarden zu statten; weil diese feste glaubten: daß ihr Schutz-Geist neben ihnen stritte / sie also unmöglich geschlagen werden könten. Diese wenige Uberbleibung kam mit blutigen Köpffen eben nach Budorgis zurücke / als die Opffer gehalten wurden / nach welchen die in grosser Menge versamleten Semnoner Adelgunden den Erbholdigungs-Eyd ablegen solten. Marbod / Adelgunde und Adgandester erschracken über so traurigem Anblicke auffs hefftigste; noch mehr aber über der vernommenen Niederlage und gäntzlicher Empörung der Langobarden. Adgandester wolte zwar diese böse und so gar zur Unzeit kommende Zeitung verdrücken; aber wo die Augen das Ampt der Ohren verrichten / ist diese Bemühung vergebens. Die zurück kommenden Kriegs-Leute meinten: Sie könten nicht besser die Schande ihrer Flucht als durch Erzehlung der Warheit vertreten / und also breitete sich selbte gleichsam in einem Augenblicke durchs gantze Volck aus; ja des Königes und seiner Tochter Stirne und Gebehrden verriethen den schlechten Zustand. Hierüber erhob sich ein grosses Gemurmel / die Priester wurden in der Opfferung irre gemacht; und als Adgandester auf die Seite trat / erhob sich eine unversehene Stimme: die Langobarden brächen mit gewaffneter Hand durch die Thore ein. Hierüber entstund zugleich Lermen und Schrecken. Die Königliche Leibwache drang sich mit dem Könige und dem Hofe gegen dem Schlosse / die Semnoner zerstreuten sich wie die Spreu vom Winde /lieffen den Thoren zu und eilten aus der Stadt. Hierdurch giengen Opffer-Tische und Geschirre übern Hauffen; die dazu besti ten hundert Ochsen wurden scheue / entrissen und rennten die Menschen zu Bodem. Alles war voller Flucht und Schrecken; ohne daß iemand einen Feind sah. Ob nun zwar nach etlichen Stunden die Falschheit des Ruffs von den verhandenen Langobarden entdeckt ward / konte doch niemand hinter den Uhrheber kommen; dahero dieses von den meisten für eine Göttliche Wahrsag- oder Warnigungs-Stimme angenommen ward / welche ins gemein denen Faunen zugeeignet wird; derogleichen zu Rom für einem Erdbeben aus der Juno Heiligthume / und für Eroberung der Stadt aus dem Hayne der Vesta soll gehöret worden seyn; welche die Römer ermahnet / Mauren und Thore auszubessern / sonst würde die Stadt erobert werden. Adgandester aber hielt es für eine verrätherische Aussprengung / und ließ dem / welcher den Uhrheber würde[1290] nahmhafft machen können / hundert Pfund Silber zum Preiße ausruffen. Nichts desto weniger war er so sehr als der König bestürtzt / und ward die gantze Nacht gerathschlagt: wie der Langobarden Empörung mit nöthiger Geschwindigkeit ersteckt / und bey denen wegen bißheriger Drückung unwilligen Semnonern die Nachfolge verhütet werden möchte. Nach dem ieder im Rathe fast einer besonderen Meinung war / fiel nach Adgandesters Meinung: daß in solchen Fällen alles an der Geschwindigkeit gelegen wäre / und man wie die Fechter aus dem Steigereiffen was zu thun nicht lange rathschlagen müste / der Schluß: Marbod solte von Semnonern die Holdigung folgenden Tag abnehmen /Budorgis besätzt lassen / und mit der gantzen Macht den Langobarden auf den Halß gehen; welche als des Adels und der Waffen entblöste Leute gegen eine solche Macht / und sonderlich gegen den selbst anwesenden König unmöglich würden stehen können. Wenn ein und ander Rädelsführer nur ein Beyspiel der Straffe abgäbe / verfielen andere böse in Furcht; die redlichen aber müheten sich durch fertigen Gehorsam so viel mehr ihre Treue zu bewehren. Sintemahl die Menge des Volckes meist von wenigen Aufrührern wie von einem Strome mit fortgerissen würde / und nicht so wohl aus Vorsatz als blindem Beyfalle sündigte. Adgandester aber verschwieg im Rathe so wol den Verlust der Festung und die Niederlage des Ritters von der Dube; als die in der Linde gefundene Wahrsagung / worvon er doch schon drey Tage Nachricht gehabt hatte. Welche Verdrückung der Wahrheit / da nehmlich Staats-Diener sich durch Beybringung böser Zeitungen beym Fürsten nicht unbeliebt machen wollen / für ein halsbrüchiges Laster zu halten / und damit nicht zu entschuldigen ist: es sey nicht rathsam den Fürsten damit zu erschrecken; gleich als wenn es seinem Artzte verantwortlicher wäre ihme seine Kranckheit zu verschweigen / und ihn unempfindlich sterben zu lassen / als solche zu entdecken / daß sie geheilet werde. Viel Reiche sind darüber zu Grunde gegangen; ohne daß der Fürst seine verzehrende Schwindsucht erfahren / welcher er sonst hätte Rath schaffen können. Daher dieses Stillschweigen eine nicht kleinere Verrätherey ist / als wenn ein Diener Geheimnüsse entdecket. Sintemahl ein Diener so wol in jenem als diesem Falle verursacht / daß alle Rath-Schlüsse mißlingen / welche vom Fürsten viel anders würden eingerichtet worden seyn / wenn er sein Ubel gewüst hätte. Denn ein einiger verborgener Umstand zernichtet vielmahl die wichtigsten Anschläge und macht den klügsten Rath böse; wie vielmehr aber die Unwissenheit so wichtiger Begäbnüße. Ja ein Fürst verspielet mehrmahls hierbey bey seinen Unterthanen alle Liebe / beym Feinde sein Ansehen / wenn sie dem Ubel nicht begegnen sehen. Wie unverantwortlich nun gleich ein Fürst durch solche stumme Götzen oder Teuffel hinters Licht geführt wird; haben sich gleichwohl Fälle ereignet: daß grosse Könige haben in Länder reisen / oder Dienern gewisse Aempter darinnen anvertrauen wollen / welche sie drey Jahr vorhero schon verlohren gehabt. Alleine Adgandester mühte sich vergebens eine Welt kündige Sache geheim zu halten. Denn am Morgen fand man an dem Schloß-Thore das Gemählde von der weissagenden Linde und der verlauffenen Festung angenagelt / und in allen Häusern der Stadt hiengen lindene Rinden / darauf die zwey Reyme geschrieben waren. Nichts desto weniger verbot Adgandester bey Lebens-Straffe; daß kein Mensch dem Könige und Adelgunde das wenigste hiervon sagen solte. Also muste aus einer falschen Staats-Klugheit der König weniger / als der geringste Stall-Bube seines Hofes wissen; welcher hingegen mit höchstem Unwillen erfuhr: daß / ob gleich die Semnoner durch Herolden mit Trompeten und Paucken zur Holdigung aufs[1291] neue beruffen wurden / derer nicht das zehende Theil mehr verhanden waren: sondern alle ohne Uhrlaub unter dem Vorwande das ihrige für denen einfallenden Langobarden zu flüchten / sich aus dem Staube gemacht hatten. Gleichwol aber sahe es Adgandester für gut an: daß die gebliebenen Adelgunden den Eyd der Treue ablegen musten. Folgenden Morgen brach der Hof mit dem gantzen Lager / welches noch funffzehen tausend Marckmänner in sich hatte / gegen der Havel auf / und musten dreytausend von denen verhandenen Semnonern ihn mehr als Geißel / denn Hülffs-Völcker begleiten. Als aber Marbod auf die Gräntze kam / kriegte er von etlichen entronnenen Marckmännern die gewisse Nachricht: daß die bey denen Cheruskern gewesene Langobard- und Semnonische vom Adel mit dem jungen Fürsten Gottwald vielen Hermunduren und Cheruskern / bey des Drusus Sieges-Maale über die Elbe gesätzt hätten /und eine Macht von mehr als zwantzig tausend Langobarden an dem blancken See auf ihn mit grosser Begierde warteten. Wie diese versicherte Nachricht den König Marbod nun veranlaste stille zu halten; also sätzte ihn folgende Nacht in höchste Bekümmernüs. Sintemahl die ihm folgenden Semnoner nicht allein heimlich durchgiengen: sondern auf den Morgen lieff auch die Zeitung ein; daß die Semnoner sich wie die Langobarden alle mit einem Linden-Laube dem Langobardischen Freyheits-Zeichen besteckt / die Waffen ergrieffen / Budorgis durch Verständnüs mit den Einwohnern arglistig erobert / die darinnen gelassene Besatzung unter denen Rittern Ritzan / Weitmüll / Kepliers und Richnow grausamlich aufgerieben hätten. Marbod erfuhr von einem gemeinen Marckmanne / der diese Zeitung brachte / allererst durch die Auslegung des lindenen Reises die traurige Weissagung /und gerieth darüber in solches Schrecken: daß er keines Menschen Rathe mehr Gehöre / sondern Befehl gab: daß sein Kriegs-Volck geraden Weges zurücke gegen den Bober aufbrechen / und ihn durch das Marsingische Gebiete aus diesen meineydischen Völckern in sein getreues Königreich bringen solte. Dieses ward mit solcher Eilfertigkeit über Halß und Kopff vollzogen: daß aller schwerer Kriegs-Zeug und Geräthe im Stiche blieb / und der für wenigen Tagen der Welt so schreckliche Marbod sich gleichsam nicht einmahl umsah / weniger rastete / und zwey so ansehliche Länder mit einer so ansehlichen Kriegs-Macht ohne Schwerdtstreich durch die allerschimpflichste Flucht verließ; da ihn doch niemand als sein Schatten verfolgte; und er sich gleichsam wie Pisander für seine ihm etwa begegnenden Seele fürchtete. Dieses Schrecken überfiel auch nach vernommener Flucht des Königes die in zwey Langobardischen und so viel Semnonischen Festungen noch zurück gebliebenen Marckmänner: daß so bald die Land-Völcker für selbte zuvorhabender Belägerung ankamen / sie nach verwilligtem freyen Abzuge selbte willig abtraten; daß also Semnoner und Langobarden / weñ sie schon nicht ihre gefundene Wahrsagung dessen beredet hätte / zu glauben gezwungen wurden: es habe eine übermenschliche Macht den Marbod aus ihrem Gebiete gejagt. Derogestalt ist diß der Göttlichen Versehung um ein leichtes zu thun; und sie braucht kaum ein rasselndes Blat / wenn sie die gröste Herrscher mit dem kein Maaß noch Ziel leidendem Ubel / nemlich der Furcht schlagen wil. Bey solcher Bewandnüs ist das allerfurchtsamste Thier / nemlich ein Hase vermögend das unzehlbare Kriegs-Heer des Xerxes in Unordnung zu bringen / und ein Volck aus Schrecken aufflügender Rebhüner / des Eylandes Samos / bey dem Fluße Siris / wider die Sybariter ausgesätztes Kriegs-Volck zu erschrecken: daß sie wieder ihre Kriegs-Flotte bestiegen / und nach Hause segelten.

Die Freude beyder Völcker über ihrer wunderbahren[1292] Erlösung war nicht zu beschreiben. Priester / Adel und Volck verscharreten alle vorige Mißverständnüße in den Staub der Vergessenheit / und schütteten gegen einander ihre Hertzen durch aufrichtige Vertrauligkeit aus. Weil aber ihre bißherige Bedrängnüße sie genungsam gelehret hatten: daß ihre Glückseligkeit in dem Knoten der Eintracht / diese aber in einem Haupte steckte / kamen die Langobarden bey ihrer nunmehr für ihr höchstes Heiligthum gehaltenen Wunder-Linde / die Semnoner aber bey Budorgis an der Spreu in einem Heyne zusammen. Denn die vorigen Wahl-Plätze konten sie als Erinnerungen ihrer Spaltungen nicht mehr ansehen. Bey dieser Zusammenkunfft waren einige der Gedancken: daß sie ihre eigene und alte Herrschens-Art behalten / und zu Vermeidung der Zwietracht einen aus dem Adel durchs Looß erwehlen solten. Deñ alle Arten stünden nicht jedem Volcke an; und denen edlen Langobarden würde weder erträglich noch anständig seyn einem frembden Fürsten zu gehorsamen; welche Beschwerligkeit sie schon unter dem Marbod geschmeckt hätten. Sie würden unter einem andern Herrn nur ein Anhängling eines andern Volckes werden / und nicht nur ihre Freyheit / sondern mit der Zeit gar ihren Nahmen verlieren; und die einmahl weggestossene Herrschafft nimmermehr wieder bekommen / welche doch unschätzbar wäre. Der Ritter Barfuß aber redete hierwieder und sagte: wenn Deutschland noch in der alten Verfassung / und in viel mittelmäßige Fürsten eingetheilet wäre / wolte er dieser scheinbaren Meynung ebenfalls beypflichten. Nach dem aber auf der einen Seite Marbod / auf der andern die Cherusker so groß worden wären / und die mächtigen Römer sich ihnen ie länger ie mehr näherten / müsten sie für ihre Erhaltung ein ander Maaß nehmen. Die menschliche Schwachheit wäre so sehr zum Irrthum geneigt; daß offt gantze Völker mehr dem Scheine als einer wesentlichen Wahrheit beystelen. Insonderheit lieffe sie sich die Gewohnheit verführen: daß sie lieber in der alten Rennebahn fehlte /als in einer neuen den Zweck träffe. Die Besitzung der höchsten Gewalt aber bezauberte die Völcker auf eine solche Weise: daß die sonst so annehmliche Neuigkeit ihnen Greuel und Abscheu wäre; also daß sie lieber in steter Gefahr und tausenderley Ungemach sich mit dem Schatten eigener Herrschafft armeten / als in der grösten Glückseligkeit einer andern Gewalt gehorsamten. Sie opfferten lieber jenem Gespenste der Ober-Herrschafft alle Tage ihren letzten Bluts-Tropffen auf / als sie einer süssen Unterthänigkeit und sicheren Ruh genüssen wolten; weil die Gewohnheit die Spitze jenes Ubels stumpff gemacht / und sie gleichsam der Fühle beraubet hätte. Diesem nach rieth er: daß die Langobarden sich lieber in Schutz eines mächtigen Fürsten begeben / als durch die Wahl eines eigenen Fürsten / derer keiner ohne diß ohne Neid die Herrschafft behaupten würde / ihre Schwäche den Nachbarn zu stetem Anlauffe auffsätzen solte. Berlepsch ein ander Edelmann fiel ein: dieses liesse sich freylich wol bedencken / wo ein schwaches Volck nur einen mächtigen Nachbar an der Seite hätte. Wo man aber zwischen zweyen solchen läge / wäre man für sich selbst sicher genung; weil so denn ein Schwerdt das andere in der Scheide hielte / und beyder Neid keinen davon etwas abzwacken liesse. Barfuß versätzte / diß wäre allerdings wahr: daß man so denn nicht so geschwinde verschlungen würde; aber man wäre deßwegen so vielmehr unglücklicher / und denen gleich / welche man nicht mit einem Streiche tödtete /sondern ihnen alle Tage eine Ader ließ / oder ein Glied ablösete. Wenn die zwey mächtigen mit einander kriegten / wäre man der ordentliche Kampff-Platz / wie das zwischen den Römern und Parthen gelegene Armenien dessen ein trauriges Vorbild wäre. Man behielte die eitele Einbildung[1293] der Freyheit / nichts weniger als ihr Wesen / und müste dennoch dafür gutwillig mehr geben / als uns fast genommen werden könte. Denn man müste entweder beyder Feindseligkeit wie ein Esel die Schläge gedultig leiden / oder sich zum andern schlagen / von welchem man aufs ärgste gepreßt würde / damit er seine Unterthanen verschonen könte. Wenn dieser nun ihr eigener Fürst wäre /würde er mit ihnen viel gemächlicher umgehen / für ihre Erhaltung / weil er durch ihre Beschädigung einen Verlust lidte / mehr Sorge tragen; und man wäre so denn ewiger Furcht und täglicher Erschöpfung entübrigt; auch / wenn man sich freywillig einem Fürsten unterwürffe / hätte man nicht nur die Hoffnung der alten Freyheit zu genüssen / sondern noch darzu neue zu erlangen. Der gröste Theil der Ritterschafft und alles gemeine Volck fiel dieser letzten Meynung bey; die bey denen Cheruskern gewesenen Flüchtlinge musten auch an beyden Orten von der Klugheit / Tapferkeit / und Güte Hertzog Herrmañs ihren Landesleuten so viel zu erzehlen: daß ihn iederman der gantzen Welt Herrschafft zu haben würdig schätzte; und daher ward er ohne sein Vorwissen und Verlangen mit beyder Völcker einmüthigen Stimmen zum Hertzoge der Semnoner und Langobarden erwehlet. Die Priester brachten nach der Wahl viel alte Uhrkunden her / daraus sie erwiesen: daß der Langobarden und Semnoner Fürsten für alten Zeiten aus dem Cheruskischen Hause entsprossen; also dessen Zweige gewest wären / und dieser Held ohne diß zu der Nachfolge ihrer Herrschafft das beste Recht und unter allen deutschen Fürsten wider die besorglichen Anfechtungen des entlauffenen Wütterichs sie zu schützen den grösten Verstand / und die meisten Kräfften hätte. Aus iedem Volcke wurden drey Priester / zwölff Ritter und vier und zwantzig aus dem übrigen Volcke erwehlet / welche zu dem Feldherrn nach Deutschburg reiseten /ihm ihre Wahlen eröffneten / zwey güldene Rincken /als die Merckmahle ihrer Fürsten / überreichten / und ihn diese Herrschafft zu übernehmen mit grosser Ehrerbietigkeit ersuchten. Hertzog Herrmann hörte und nahm die Abgesandten aufs freundlichste an / aber zu seiner Entschlüssung dreyer Tage Aufschub; befahl auch: daß die Priester: ob der Langobarden und Semnoner Wahl rechtmäßig? die Räthe aber: ob der Beysatz dieser zweyer Länder der Cheruskischen Herrschafft vorträglich seyn würde? untersuchen solten. Gangolff / welcher an statt des gefangenen Libys die oberste Priesterschafft verwaltete / machte ihm Gelegenheit mit Herberten der Semnoner- und Günthern der Langobarden erstem Priester von den Ursachen /warum sie den König Marbod verstossen / und ob sie mit gutem Fug einen neuen Fürsten hätten erwehlen können / von Grund aus zusprechen; sagte auch beyden: daß er von seinem Hertzoge dazu befehlicht wäre / welcher lieber alle seine Länder verlieren / als eines mit Unrechte an sich ziehen wolte. Hilf Himmel! fieng Herbert an zu ruffen / derogleichen Gemüthsmäßigung hätte ich in der gantzen Welt nicht gesucht /weniger zu finden getraut. Sintemahl die Begierde zu herrschen mit den Wallfischen biß in die Tieffe des Meeres hinunter / und mit dem Phaeton biß in Zirckel der Sonnen empor gestiegen ist. Die Adler reissen nicht nur die Königliche Gewalt in der Lufft an sich; sondern die Ameisen richten auch in dem Staube der Erden gewisse Botmäßigkeit auf. Die unersättlichen und doch kaum acht Spannen lange Menschen suchen in den wilden Wellen des Meeres und im Rachen des Todes / ja in der Kugel des Mohnden neue Länder auf / und beweinen die Einzelkeit der Welt / weil ihre Herrschenssucht in gar zu enge Schrancken eingespannet wäre. Der grosse Herrmann alleine setzet mit seiner Vergnügung der unendlichen Ehrsucht ein Ziel wie Hercules der Welt. Welch ein unfehlbares Merckmal ist[1294] uns diß: daß in seinem Hertzen der allergröste Schatz vergraben liege. Denn das menschliche Hertze hat einen grössern Umfang / als der alles beschlüssende Himmel. Keine Speise kan es sättigen / noch der grosse Klumpen der Welt füllen. Je mehr man drein schüttet / ie mehr hungert es. Was sich diesem nach vergnüget / muß entweder das niedrigste in der Welt /welches von einem so grossen Helden unmöglich zu sagen / oder von etwas / das alles ist / nemlich / von Gott / angefüllet seyn. Aus diesem alleine werden wir überwiesen: daß nicht so wol wir Menschen so glücklich gewehlet / sondern GOtt selbst seinen frommen Herrmann uns zum Haupte außersehen / und für den unersättlichen Wüttrich Marbod einen so vergnüglichen Fürsten geschencket habe. Gangolff fieng hierauf an: Marbod aber hat sonst ausser dem; daß er anfangs sich durch Blut zum Könige gemacht / seinen Ländern als ein Vater vorgestanden. Herbert antwortete: Also war zwar sein Anfang: hernach aber wandelte er sich in einen Saturn / der seine eigene Kinder verschlang. Deñ er bedrängte unsern Gottesdienst / und entsätzte uns unserer Freyheit; welche beyde Kleinoder alle edle Gemüther dem Leben vorsätzen. Gangolff versätzte: dieses sind insgemein die zwey Klippen / an welchen Könige ihre Köpfe zerstossen / uñ Unterthanen zu Ursachen nehmen / wider ihre Fürsten sich aufzulehnen. Alleine ob zwar diese nicht verbunden wären zu thun / was ihnen wider Gewissen oder das Recht der Natur aufgedrungen werden wolte / hätten doch Unterthanen deßwegen kein Recht / Königen / welchen die Macht über den Gottesdienst und die Freyheit des Volckes zustünde / mit Gewalt zu begegnen / sondern sie müsten alles / was ihnen darüber wiederführe / wie Hagel / Blitz und Ungewitter / welchem keine menschliche Gewalt wiederstehen könte /mit Gedult vertragen. Denn wenn ein ieder in einem Reiche ihm das Recht zu urtheiln / daß ihm Unrecht geschehe / und Gewalt mit Gewalt abzutreiben nehmen dörffte / würde keine Herrschafft in der Welt ein Jahr tauern / und kein Land iemahls ohne Bürger-Krieg seyn. Verwürckte doch ein von seinem Hauptmanne unrechtmäßig geschlagener Kriegs Knecht den Halß / wenn er ihm den Stock zerbräche / wie viel weniger liesse es sich Fürsten begegnen / die so viel höher wären. Günther fiel ein; es hätten nicht einzele Menschen / oder etliche tausend Unterthanen / sondern alle Stände und das gantze Volck den Marbod verworffen. Gangolff versätzte: auch die Obrigkeiten des Volckes / und das gantze Volck wäre Fürsten so wol / als ieder einzeler Unterthan unterworffen; und also eben so wenig befugt der höchsten Gewalt zu wiederstehen. Herbert brach ein: Bestehet denn diese mehr bey der einzelen Person eines Fürsten / als bey dem gantzen Volcke? Ist denn ein König nicht vielmehr wegen des Volckes gesätzt: daß er selbtes schütze und ihm recht verhelffe / als das Volck wegen des Königes? Haben die Herrscher nicht ihre Gewalt vom Volcke / und ist dieser nicht höher / der eine solche Gewalt giebet / als der sie annimt? Gangolff antwortete: wenn ein freyes Volck sich einem Könige unterwürffe / enteusserte es sich seiner höchsten Gewalt / wie ein sich in Dienstbarkeit gebender Knecht seiner Freyheit / und eignete selbte dem Könige zu. Und ob zwar freylich meistentheils Könige wegen des Volcks gesätzt würden / wiewol es auch Reiche giebt / die wie die herrschafftliche Gewalt über leibeigene Knechte nicht wegen der gehorchenden / sondern alleine wegen des Gebieters / sonderlich durch das Recht des Krieges aufgerichtet zu seyn scheinen /theils auch so wol dem Fürsten und Volcke zum besten gestifftet werden / wenn nemlich sich ein schwaches Volck einem mächtigen Könige untergiebt; so folgt deßwegen keines Weges / daß die höchste Gewalt beym Volcke / oder die Stände eines Reichs über ihren König seyn. Der Gewaltgeber ist auch nicht länger mächtiger / denn der sie empfängt / als so lange er nach Belieben damit zu gebahren habe. Wenn aber[1295] ein Volck sie seinem Fürsten schon abgetreten / hätte es mehr kein Theil daran könte solche auch dem Fürsten unter keinem Scheine des Rechtes aus den Händen reissen. Uber diß hätten die / welche entweder durch Erb- oder Kriegs-Recht über ein Volck herrschten / ihre Gewalt nicht vom Volcke / sondern von ihrem Geblüte / oder von ihrem Degen. Günther begegnete Gandolffen: Er hätte recht in dem Falle; wenn ein König die höchste Gewalt mit Rechte anderwerts her / als vom Volcke / oder dieses sich auch seiner Gewalt enteussert hätte. An diesem Knoten hienge die Entscheidung ihrer Frage. Es hätte aber Marbod weder an die Semnoner / noch an die Langobarden iemahls einiges Erb-Recht / noch sie zu bekriegen Ursache; noch auch eines dieser Völcker iemahls in Gedancken gehabt / die höchste Gewalt derogestalt ihm aufs Haupt zu legen / daß sie nichts davon behalten solten. Die Semnoner könten zwar nicht läugnen: daß sie ihn zum Fürsten erwehlet; aber über diß / daß er solche Wahl ihnen mit Schrecken abgepocht / und also die Gültigkeit einer abgezwungenen Wahl sehr zweiffelhafft wäre; so hätte ihm kein Semnoner träumen lassen / Marboden mehr Gewalt einzuräumen /als ihre alte Fürsten gehabt hätten; ja Marbod selbst hätte anfangs keine grössere begehrt / in dem er sie bey allen alten Freyheiten zu lassen betheuerlich versprochen. Wem aber wäre unwissende: daß ehe Marbod über die Marckmänner und Sedusier eine unverschrenckte Gewalt an sich gerissen / Deutschland von derogleichen vollmächtigen Königen wie die Assyrier zu haben / und mit ihnen die Herrschafft anzubeten gewohnt wären / nichts gewüst hätte; sondern die höchste Gewalt wäre wie bey allen Deutschen; also auch bey denen Semnonern und Langobarden /wo nicht grösten theils beym Volcke geblieben / doch wenigstens unter dem Volcke und Fürsten in zwey gleiche Theile getheilet worden; so gar daß sie ohne des Volckes Einwilligung weder Krieg noch Frieden schlüssen / keine Schatzungen anlegen / im Gottesdienste nichts ändern noch neue Gesätze machen können; ja auch die Bestraffung der Verbrecher dem Erkäntnüße der Priester unterwerffen müssen. Kein Fürst hätte sich auch bey ihnen iemahls solcher Gewalt angemast / sondern das gute zu thun mehr gerathen / als anbefohlen. Sintemahl sie sich selbst schon beschieden hätten: daß denen Deutschen die Freyheit angebohren / die Dienstbarkeit aber / welche unter vollmächtigen Königen erfordert würde / unerträglich wäre. Denn ob zwar die Herrschafft übers Volck von der über einzele Leute müste unterschieden werden /hatten doch diese von jener den Hang / und könten schwerlich die Bürger sich einer völligen Freyheit rühmen / wo das gantze Volck diente. Nun stünde ja in ieden Volckes Willkühr / wie viel es von seiner Gewalt und Freyheit seinem Fürsten abtreten oder behalten wolle. Freyheit und Dienstbarkeit hätte ihre Staffeln / und GOtt liesse ihm iede der Vernunfft und Natur gemäße Herrschens-Art gefallen. Die Nachkommen des Hercules und Könige zu Sparta / die Suffetes zu Carthago hätten nicht grössere / sondern das Volck sie wegen übeler Gewalt zu bestraffen Gewalt gehabt. So wären auch der Gallier und Macedonier Könige an die Reichs-Gesätze gebunden / im Kriege die höchste Gewalt beym Kriegs-Heere / im Friede beym Volcke gewest. Gangolff versätzte: Es liesse sich diß wol hören; aber weil die Semnoner wol gewust hätten: daß von allen andern Völckern dem Marbod eine ungemässene Gewalt wäre enträumet worden / hätten sie bey ihrer Wahl ausdrücklich bedingen sollen: daß sie ihm nicht nach der Eigenschafft seiner andern Unterthanen / sondern nach dem Maaße ihrer vorigen Fürsten unterwürffig seyn wolten. Günther antwortete: Ihre Wahl wäre rings um mit Spissen der Marckmänner umschrenckt; also rathsamer gewest mit ihrer[1296] Meynung hinter dem Berge zu halten / als durch viel aufgeworffene Zweiffels-Knoten sich in mehr Dienstbarkeit einzuschlingen. Ihrem Bedüncken nach hätten sie durch die vom Marbod beliebte Vorbehaltung ihrer alten Freyheiten allem besorglichen Nachtheile genungsam vorgebeugt. Wenn auch einem Fürsten neue Länder zuwüchsen / bekäme er sie wie ein ieder Kauffer den erkaufften Grund mit allen ihm anklebenden Eigenschafften / und würde auf die Beschwerden seines vorhergehenden Besitzthums kein Absehen genommen. Gangolff hielt diesem Priester ein: hierdurch erhärtete er nicht mehr / als daß ein Fürst im Gewissen verbunden wäre in den Fußstapffen voriger Fürsten zu bleiben / und über die Gräntzen seiner anvertrauten Gewalt nicht zu schreiten; und er müste GOtt dafür Rechenschafft geben: ob aber /wenn er hierwieder sich vergienge / vom Volcke abgesätzt / oder gestrafft werden könte / wäre eine kitzlichte und unausgemachte Frage. Günther antwortete: das blosse Versprechen eines Fürsten nach gewissen Gesätzen zu herrschen verbündet ihn zwar im Gewissen solchem nachzuleben / es benehme aber nicht alsbald etwas der höchsten Gewalt / noch ist deßwegen diß / was er darwider handelt / ungültig /wenn er solch Versprechen gleich beschworen hat. Denn ist doch ein Fürst von Ampts wegen viel zu thun schuldig / was er nie versprochen hat. Und es ist unlaugbar: daß die Könige der Perser / Epirer / Mohren und Egyptier gewisse Gesätze / als ihre Richtschnur beschweren musten / welche doch als Götter angebetet wurden / und die höchste Gewalt in Vollkommenheit besassen. Weßwegen sie auch / wenn sie schon ihrem Versprechen nicht nachkamen / weder verklagt noch gerichtet werden konten / sondern ihr Gedächtnüs ward erst nach ihrem Tode verdammt /und ihre Leichen nicht begraben. Weil bey ihrem Leben über ihre höchste Gewalt keine höhere unter den Menschen verbanden war / welche über sie hätte richten oder gebieten können. Und derogestalt ist der Eyd und das Versprechen eines Königes zwar ein Zaum seines Gewissens; aber keine Ruthe in der Hand des Volckes / daß es ihn damit schlagen könne. Viel eine andere Bewandnüs aber hätte es bey denen Semnonern / welche nicht auf blosses und gemeines Versprechen Marbods getrauet; sondern zu ihrer Sicherheit die höchste Gewalt dem Könige vor- und für sich zurück behalten hätten. Solch Vorbehältnüs des Volckes aber ist vielmahl aus denen gemässenen Angelöbnüssen der Fürsten / welche nemlich die Rechte der höchsten Gewalt und die Grund-Gesätze der Herrschafft angehen / und eine Enteusserung seiner unverschränckten Macht nach sich ziehen / abzunehmen. In diesen Fällen ist alles nichtig / was ein Fürst wider die Gesätze thäte; und das Volck hat Vermöge der ihm zustehenden höchsten Gewalt ihn abzusetzen und zu straffen Fug und Recht / und zwar auch so denn / wenn ein Volck gleich nicht alle höchste Gewalt für sich behalten / sondern sie mit dem Fürsten getheilet / und ihm zwar auch das Recht Krieg zu führen verstattet hat. Sintemahl es ihm dadurch nur frembde / nicht sein eigen Volck zu bekriegen Macht gegeben. Ja wenn auch gleich ein Volck seinem Fürsten die höchste Gewalt anvertraut / sich aber in gewissen Fällen das Recht ihm mit Gewalt zu begegnen / oder ein ander Haupt zu erwehlen vorbehalten hätte /wäre dem Volcke die Ausübung dieser von der höchsten Gewalt ausgenommenen natürlichen Freyheit allerdinges frey. Gangolff sahe Herberten an / und sagte: dieses lässet sich wol hören und scheinet die Semnoner zu vertheidigen / aber nicht die Langobarden; derer Volck sich dem Könige Marbod ohne einige Bedingung erblich untergeben hat; den Adel aber hat er mit dem Schwerdt bezwungen / welches alle solche Absätze zerschneidet und dem Uberwinder die Gewalt zueignet / Gesätze zu geben / nicht zu nehmen.[1297] Günther begegnete ihm: das gemeine Volck hat ohne der Priesterschafft und des Adels willen dem Marbod keine höchste Gewalt / davon es nur ein Drittheil gehabt / enträumen können. Wider die Priester und dem Adel / welche ihn nie beleidigt / und an die er keinen Anspruch nahmhafft machen kan / hat er kein Recht zu kriegen gehabt; also auch die höchste Gewalt durch die Waffen nicht erobern können / sondern er hat die Herrschafft der Langobarden / als ein Rauber an sich gerissen; und ist biß itzt nicht ihr Fürst / sondern ihr Feind gewest; also daß iedweder wider selbten mit Rechte die Waffen ergreiffen / seine gewaltsame Herrschaft abwerffen / ja ihn tödten hätte können. Gangolff versätzte: Es stehet nicht iederman frey auch an einem gewaltsamen Besitzer eines Reichs Gewalt zu üben. Denn wer hat ihn über selbten und über die Gerechtsamkeit seines Besitzthums zum Richter gemacht? Zwar ist unlaugbar; daß niemand einem Gesätze nachzuleben schuldig sey / was von einem der keine rechtmässige Gewalt Gesätze zu machen hat / herrühret. Alleine eines Bürgers Verbündligkeit einem gewaltsamen Herrscher zu gehorsamen rühret nicht so wol von seinen Gesätzen / als von einer theils ihm selbst / theils dem Vaterlande schuldigen Pflicht her. Denn diesem ist ins gemein / wie der Stadt Sparta unter dem Nabis mehr daran gelegen einem Wütterich und Rauber / welcher doch allemahl seine Gewalt vom Himmel hat / und Gottes Handlanger zum Guten ist / gehorsam zu seyn / und das Land bey einer leidentlichen Dienstbarkeit in Ruh zu erhalten; als daß man um das Reich in Freyheit zu setzen das Volck in einen schweren Krieg verwickele / und in Gefahr sätze in eusserste Knechtschafft zu verfallen. Seiner selbst halber hat auch ieder Bürger Ursache sich gewaltsamer Herrschafft zu beqvämen; weil er doch auch ihres Schutzes und alles Guten geneust /die iede / auch eine ungerechte Herrschafft an sich hat; ja der gesunden Vernunfft zu wider laufft / wenn einer sich wider den auflehnen wil / unter dessen Schirme er doch lebet / sie sey gleich mit schlimmen oder guten Rechte aufgerichtet / welches ihn als ein einzeles Glied nicht angehet. Uber diß würde auch einer / der gleich von Anfang ein Reich durch Raub überkommen / ein rechtmäßiger Fürst; wenn das Volck ihn entweder dafür ausdrücklich oder stillschweigend / welches in so viel Jahren von Langobarden geschehen zu seyn vermuthet wäre / angenommen / und ihm Treu und Gehorsam versprochen oder gar geschworen hätte. Denn ob zwar derogleichen Erkäntnüs selten aus gantz freyem Willen / sondern meist aus Furcht zu geschehen pfleget / so kan doch diese Furcht nicht immer tauern; und die Furcht schleust nicht gäntzlich den Willen / also auch nicht die Verbündligkeit aus; sonderlich in Reichs-Geschäfften. Denn sonst würde kein Friede iemahls bündig seyn /weil der schwächere dem stärckern niemahls ohne Furcht etwas enträumet. Dahero ob zwar Kayser Julius die Gewalt zu Rom mit Unrecht an sich gerissen hatte / ward doch sein Mord vom Rath und Volcke verdammt; nach dem sie in seine Herrschafft gewilligt / und dadurch seinen Raub in ein Recht verwandelt hatten. Günther antwortete: Ein oder etliche Bürger wären freylich wohl nicht befugt einen Wütterich anzutasten / wenn schon ein vorgehendes Gesätze solches auf allen Fall ausdrücklich erlaubt hätte. Sintemahl doch kein eintzeler Bürger zu urtheilen Macht hat: ob gegenwärtiger Herrscher ein Wütterich sey? aber wohl ein gantzes Volck / oder wenn ein rechtmäßiger Fürst einem / der sich dem eindringenden Herrscher noch nicht treue zu seyn versprochen / hierzu Gewalt giebt. Ob nun zwar der Ritter Schencke den Anfang gemacht / die Langobarden zu Wiedersuchung ihrer Freyheit aufzumuntern / wäre doch diß hernach von dem sämtlichen Volcke beliebet; ja dieses nicht nur von denen ihre Festung verlassenden[1298] Marckmännern selbst hierzu veranlasset / und durch die wunderwürdige Weissagung von GOtt gleichsam unmittelbar seine allerweiseste Versehung wider den Marbod auszuführen befehlicht / welchen sie freylich niemahls ohne Furcht eussersten Verterbs für ihr Haupt erkennet / und seine Fest- und Besatzungen allezeit als Fässel an ihren Schenckeln gehabt hätten. Wenn nun aber Marbod seine Herrschafft nicht aus dem Rechte seiner ungerechten Waffen / welche doch der Uhrsprung der meisten und grösten Reiche wären; sondern aus dem Willen der Langobarden rechtfertigen wolte / so streitet für sie doch eben diß / was für die Semnoner; nemlich / daß ihre vorige Fürsten nicht die höchste Gewalt gehabt / sie also solche dem Marbod völlig einzuräumen niemals gemein gewest seyn. Zugeschweige: daß Marbod allem Ansehen nach von der Zeit an / da er seinen Willen und Länder des boßhafften Adgandesters Willen unterworffen / die grösten Grausamkeiten nicht nur etwan gegen etliche Bürger / sondern gegen das gantze Volck verübet /selbtes entwaffnet / die sich dessen Feind erwiesen /und allem Ansehen nach / beyde fürnehmlich aber den Adel gar zu vertilgen / den Marckmännern und Sedusiern aber das Land einzuräumen angezielet hat; in welchen Fällen auch Fürsten / welche gleich die höchste Gewalt völlig besitzen / sich der Herrschafft verlustig machen / und ihnen zu wiederstehen sich aber ausser Gefahr zu setzen / die natürliche Billigkeit erlaubet; weil so denn die hauptsächliche End-Ursache der Herrschafft und bürgerlichen Gemeinschafft / nemlich die Erhaltung des Volckes aufhöret /und es unmöglich beysammen stehen kan: daß einer zugleich eines Volckes Feind und Fürst sey / indem so denn ihm kein Volck zu beherrschen übrig bleibt. Daher auch ein Volck / wenn es sein Fürst einem andern Fürsten oder Volcke schlechter Dinges unterwerffen wil / wieder frey wird / weil er solcher Gestalt nichts als ein Fürst zu beherrschen behält. Denn ob zwar ein ieder sich seines Rechtes verzeihen kan / kan er doch solches nicht alsbald einem andern zueignen /weil das Volck entweder nur seine Person oder sein Geschlechte zur Herrschafft erkieset hat. Gangolff hörete und vermerckte diß alles mit besonderm Fleiße /um die andern Priester davon umständlich zu benachrichtigen.

Ehe die Priester nun das Wahl-Recht dieser zweyer Völcker untersuchten / oder darüber einen Schluß machten / wurden die Räthe mit grossem Eyver zu untersuchen: Ob es dem Feldherrn thulich seyn würde /die Langobarder und Semnoner für Unterthanen anzunehmen? befehlicht: denn insgemein grübelt man im Rathe der Fürsten nicht so sehr über dem Rechte / als über der Nutzbarkeit eines Vorhabens. Hertzog Herrmann wolte mit Fleiß nicht darbey seyn / um niemandens freyer Stimme Abbruch zu thun. Die Meinungen waren einander sehr zu wider; iedoch lieffen sie auf diese zwey hinaus: daß der Graf von Teckelnburg mit denen ihm beypflichtenden es für gefährlich und schädlich / der Graf von Waldeck aber mit andern für heilsam und nöthig hielt. Teckelnburg führte an: wenn schon Unterthanen befugt wären sich ihrer Herrscher zu entladen / solten doch andere Fürsten dieses ihnen nicht weiß / noch diß Geheimnüs in der Welt bekant machen; weil sie dadurch auch wiederrechtlich sich gegen ihre Häupter zu empörẽ Anlaß nehmen. Es wäre diß ein übelruhendes Beginnen / ein schädliches Beyspiel / ein grosses Aergernüs / und eine gemeine Sache aller Fürsten; welche / da es diesen Völckern gelingen solte / aller Stühle wackelnd machen würde. Denn wer frembden Unterthanen wider ihre Könige beystünde / oder ihnen nur durch dessen Bewilligung ein Hertz machte / lehrte seine eigene abtrünnig werden. Wer wolte dem Feldherrn auch bürge seyn; daß sie es in weniger Zeit ihm nicht besser / als itzt dem Marbod mitspielten / den die Semnoner ja mit so grossem Frolocken /[1299] als den Herrmann zum Haupte erwehlet hätten. Einmahl verwehnten Unterthanen taugte kein Herrscher / wie gut er wäre; und so wol Langobarden als Semnoner wären immer lüstern gewest /mehr ihren Fürsten Gesätze zu geben / als von ihnen zu empfangen; Welches dem Feldherrn weder anständig noch erträglich seyn würde. Wenn er aber sie abwiese / würde er ihm den König Marbod versöhnen /und ihm zu unvergeßlicher Freundschafft verbünden /welcher ihm wider die Römer zu helffen mehr Kräffte / als beyde Völcker hätten. Diese würde Marbod auch nicht ausser Anspruch und Krieg lassen; also daß Hertzog Herrmann in vielen Jahren sich von diesen keiner Hülffe noch Beysteuer zu getrösten / sondern in einen noch gefährlichern Krieg / als der Römische wäre / eingeflochten werden würde; da doch ieder Fürst niemals auch nur mit zwey mäßigen Feinden anbinden solte. Dieses hätten die Römer allemahl genau beobachtet / und in Hispanien Aßdrubaln zu versöhnen alle Mittel gebraucht / biß sie die Gallier vom Halse gelöset. Cyrus würde / daß er des überwundenen Crösus Reich nicht an sich gezogen hätte / noch immer gerühmet; welchem sonst gantz Griechenland auf den Halß würde gegangen seyn. Solte Hertzog Herrmann auch gleich nicht den drittern Feind darzu beko en / so würde er doch aller Nachbarn / ja seiner ietzigen Bundgenossen Nachtbarn Neid nicht verhüten; ja wol gar den Verdacht einer Herrschaft über gantz Deutschland von Marbods Achseln nehmen und seinen aufbürden; weil zumal sein grosses Gemüthe aller Urthel nach die gantze Welt zu beherrschen fähig wäre. Stäche doch die Feld-Herrschafft / daß sie bey dem Cheruskischen Hause so lange gewest wäre /alle andere deutsche Häuser in die Augen; und verursachte: daß die grösten Feinde sich mit einander wider selbtes verbunden hätten / um sein ihnen schreckliches Glücke zu untergraben. Also wäre es vielmahl rathsamer die Segel seiner Glückseligkeit einzuziehen / als mit derselben Ausspannung andere zu überschatten. Der Feldherr hätte Länder und Kräfften genung; und wenn ihm ja noch etwas abgienge / ersätzte es seine Tapfferkeit. Fette Leiber und weite Reiche hätten mehr Unberegligkeit als Stärcke; weßwegen der kluge August das Römische zu erweitern verboten hätte. Sintemahl diese ins gemein sich zu sehr auf ihre Kräffte verlassen / die Nachtbarn beleidigen / und durch unachtsame Sicherheit zu Grunde giengen; mittelmäßige aber auf ihrer Hutt wären / und offt wie ein kleiner Fisch ein grosses Schiff im vollem Lauffe des Sieges aufhielten; wie dem Persischen von einer Hand voll Griechen / und zeither den Römern von den Catten und Cheruskern begegnet wäre. Nichts so mächtiges wäre zu finden / welchem nicht von einem schwächern Gefahr zuhienge. Ja Löwen würden vielmahl der Krahen und Ameisen Speise. Uber diß wäre die Vermessenheit / die Hoffart und Verschwendung die gemeinsten Gefährten / aber auch das Gifft und die Aegeln grosser Reiche; also daß sie entweder durch Wollüste von sich selbst madig und wurmstichig würden; oder weil sie nicht für die gemeine Wolfarth /sondern den Blut-Durst ihrer Herrscher zu sättigen unaufhörlich Krieg führen müssen / durch Abzöpffung aller Kräfte in Ohnmacht fallen müsten. Und ob wol Hertzog Herrmann ein einen grössern Himmel der Herrschafft zu tragen vermögender Atlas wäre / könte doch niemand für seine Nachkommen Bürge seyn / weßwegen Fürsten nicht nur wie die Kameele / was ihre Achseln zu tragen vermöchten / abwiegen; sondern auch auff ihrer Nachfolger Kräfften und das Gewichte der Last / die sie ihnen verlassen werden / Absehen setzen / sich die Freude über dem itzt uns scheinenden Gelücke nicht verleiten lassen; sondern auch künfftige Zufälle vorsehen / und die Sicherheit des Reiches immer auf die alten Grund-Steine bauen müsten. Biß hieher hätten die Cherusker[1300] und ihre Fürsten sich an ihrem ansehnlichen Gebiete genügen lassen; so bald sie aber noch zwey Länder besitzen würden / dörffte sie nach mehrern zu hungern anfangen. Die Mässigkeit wäre nicht nur dem Leibe /sondern auch der Herrschafft am gesündesten; hingegen die Uberfüllung eine Ursache der Trägheit und vieler Kranckheiten; und wenn der Magen überschüttet würde / bräche man nicht nur den Uberfluß / sondern auch die zur Nahrung nöthige Speise von sich. Also dörffte es bey so viel besorglichen Feinden und Mißgönnern auch denen Cheruskern ergehen / welchen er sonst von Hertzen wünschte: daß wo heute jhre eussersten Gräntz-Steine lägen / morgen ihr Mittel wäre; und daß nichts als die Sonne des grossen Herrmanns Herrschafft abmessen möchte. Zwar schiene die Gelegenheit ihrem Wachsthume zu heucheln; aber wenn das Glücke einem das freundlichste Gesichte machte / solte man selbtes am verdächtigsten halten. Auch wäre es leichter Länder an sich zu bringen / als zu behaupten; und könte geschehen: daß die Cherusker / um diese neuen Glieder nicht vergehen zu lassen / alle ihre Lebens-Geister verspielen müsten. Dahero hielte er für des Vaterlandes Wolfarth / wenn der Feldherr dißmahl nicht die Semnoner und Langobarden / sondern seine Begierden zu beherrschen den Schluß faste. Denn wer seinem Glücke einen Zaum anlegte / bliebe desselben Meister. Der Graf von der Lippe war mit einem Theile des Rathes zwar der ersten Meinung; daß der Hertzog Herrmann beyder Völcker Herrschafft nicht übernehmen; aber keines Weges die Gesandten so schlechter Dinges abweisen; sondern ihnen einen andern Fürsten vorschlagen / und auf alle Weise vorbeugen solte: daß sie nicht wieder unter Marbods Joch geriethen; dessen Macht Deutschland mehr als die Römische zu fürchten; sein Gemüthe aber gegen die Cherusker auf eine solche Weise verbittert wäre: daß es wie ein von Ergiessung der Galle verterbter Magen auch die grösten Wolthaten in Wermuth verwandeln würde / ungeachtet sonst Fürsten nicht länger Zorn hielten / als es ihr Staat erforderte. Durch dieses Mittel würde Marbod entkräfftet / und in einen absondern Krieg verwickelt werden: daß er sie und die Catten im Kriege wider die Römer mehr zu hindern wol vergessen würde. Die Empörung dieser zweyer Völcker wider den Marbod wäre eine Sonnen-klare Würckung des Göttlichen Zornes wider seine Gewalt und Ungerechtigkeit; daher müste man solcher an der Hand stehen; welche sonst / wenn sie nicht eine befestigte Herrschafft unterstützte / wie Epheu bald zu Bodem fallen würde. Zwar lieffe es wider Recht und Gewissen: daß ein von seinem Nachbar nie beleidigter oder mit ihm in Freundschafft und Verbündnüs stehender Fürst desselben Unterthanen zu Aufruhr veranlaßte / oder sie darinnen durch Rath oder Hülffe stärckete; Alleine wenn selbte entweder in offentlichem Kriege gegen einander begrieffen / oder auch einer schon beleidigt und der gegen ihn tragenden Feindschafft versichert wäre; also daß er ihn zu bekriegen Recht hätte / wäre es ein thörichtes Bedencken / wenn man ihm Gewissen machen wolte / den durch seine Unterthanen anzugreiffen / den man mit gutem Gewissen mit eigener Faust erlegen möchte. Könte man durch Hinrichtung feindlicher Unterthanen eigene Feinde vermindern / warum solte man sie sei nem Feinde durch die nicht vergrößern / welche uns sonst selbst die Spitze bieten würden? Niemand wiese die Uberläuffer zurücke; niemand hätte Bedencken sich der vom Feinde eroberten Waffen zu Werckzeugen seines gerechten Krieges zu bedienen; warum solten des Feindes Unterthanen zu unser Beschirmung und zu unserm Siege unbrauchbare Mittel seyn? Was wäre im Kriege gemeiner / als daß man die Befehlhaber in Festungen bestäche / und was man mit viel Blute nicht könte / mit wenigem Gelde eroberte? wäre[1301] diß aber / da man andere zur Untreue und Verrätherey verleitete / nicht was bedencklichers / als daß man denen / welche durch Uberlast zum Abfalle genöthiget würden / bey uns Schutz und Beystand wider unerträgliche Bedrängnis suchten / Gehöre gäbe / zur Gegenwehre Vorschub thäte / und also die vom Gelücke an die Hand gegebene Wolthat nicht aus Händen liesse? nach dem das Recht der eigenen Rache Fürsten auf alle Weise zustünde / und kein Gesätze in der Welt verbiete / die / welche man durch Waffen ihm zu unterwerffen berechtigt ist / als sich gutwillig ergebende anzunehmen. Hingegen würde Hertzog Herrmann die zwey Ungeheuer des Neides und Argwohnes / welche ihm zeither so viel zu schaffen gemacht hätten / auf einmahl unter die Füsse treten / und gantz Deutschland mit den Händen greiffen: daß es ihm um keine Herrschafft / sondern allein um die gemeine Freyheit zu thun sey. Der neue Fürst der Langobarden und Semnoner würde dem Feldherrn auch nicht nur die Herrschafft zu dancken verbunden; sondern sich auch wider die Marckmänner und Römer mit den Cheruskern auf ewig zu verbünden genöthigt; diese Völcker also nützlicher zu Gehülffen / als zu Unterthanen zu gebrauchen seyn. Hingegen wäre zu besorgen: daß Hertzog Herrmann sie nicht nur ohne allen Nutz wieder verlieren / sondern auch mit ihnen / wo nichts an der alten Herrschafft / doch viel an seinem Ansehen einbüßen würde. Denn es wären keine schlimmere Verräther unsers Unvermögens als die zu Wasser werdenden Rathschläge. Ja man fiele in die Schande einer Unvernunfft; daß man sich unmöglicher oder allzu schwerer Dinge angemaßt; also das Maaß weder seiner eigenen noch der feindlichen Kräften gewüst / sondern sich die blinde Begierde zu herrschen verleiten lassen hätte; welcher alleine die Natur / die Vernunfft und die Gefahr kein Ziel zu stecken wüste. Diesemnach müste man das Feuer seines Geblütes mit einer heilsamen Kaltsinnigkeit mäßigen; seine Vernunfft nicht mit zu viel Hoffnung überladen; welche alles Böse ans Ende der Welt verbannte / nach dem Schatten eines ungewissen Gewinns grieffe / und darüber das gegenwärtige Gut aus der Hand fallen liesse; und wäre eine grosse Klugheit in der Welt andern etwas versagen können / aber eine noch grössere /ihm selbst. Der Graf von Waldeck / nach dem er mit grosser Ungedult diesen Meinungen zugehöret hatte /fieng an: dem Cheruskischen Hause wäre in tausend Jahren kein grösser Glücke vorgestanden / als der gegenwärtige Ansatz zweyer so streitbarer Völcker wäre; also hätte er nicht vermuthet: daß ein einiger Mensch dieses von sich zu stossen rathen solte. Würde man es auch dieses mahl aus den Händen lassen / so würde es in dreytausend Jahren nicht wieder kommen. Denn es wäre allzu hoffärtig / und drehete nach dem Gesichte einem alsbald die Fersen: daß es nicht dafür angesehen würde / als wenn es iemanden buhlte / sondern daß alle ihm buhlen müsten. Seine Liebkosungen aber wären nichts anders / als die in unsern Kram dienenden Veränderungen; welche mit der eröffneten Gelegenheit was grosses auszurichten uns gleichsam die Hand des in uns verliebten Glückes verpfänden. Wer unter uns aber wolte zweiffeln: daß die Gelegenheit in der Welt grössere Sachen ausgerichtet habe / als Klugheit / Macht und Tapfferkeit? Ja dieser sich zu bedienen wissen / wäre die eigentliche Klugheit; ihre vorsichtige Verwegenheit aber führte uns auf den Flügeln der Tapfferkeit zu dem Throne der Glückseligkeit. Zwar alle Dinge in der Welt hätten unterschiedenes Aussehen / nach dem man sie wendete; und die besten einen Grieff und eine Spitze /daran man sich verwundete; alleine man müste sie mit dieser / nicht mit jenem fassen / und eines Dinges rechte Gestalt von seinem Schatten unterscheiden. Kein einiger Zepter wäre ohne Schwerdte / keine einige Herrschafft[1302] ohne Neid und Anfeindung; also müste Hertzog Herrmann auch / die er schon hat / wegwerffen / wenn er sich diese wolte abschrecken lassen. Alleine wie das Mitleiden eine unfruchtbare Gewogenheit gegen Unglückselige wäre; also thäte die eitele Gramschafft des Neides nur ihm / dem wachsenden Glück aber keinen Schaden. Er verblaste und würde ohnmächtig / wenn er recht lebhaffte Sachen sähe; Er zitterte und erstarrte / wenn andern die Sonne schiene; und er schöpffte den ärgsten Durst aus anderer Uberfluße. Einem andern Fürsten würde vielleicht zu schwer seyn einen so grossen Bissen des Glückes zu verdauen / aber nicht unserm Hertzoge; welcher durch so viel Wunder schon gewiesen: daß sein Hertze für nichts zu enge / seiner Tugend nichts zu groß / und eines Zwerges gantze Mahlzeit einem Riesen kaum auf einen Zahn sey. Durch den Anfang voriger Thaten hätte er sich nun zu noch grössern verbunden. Denn so bald die Tugend und ein Reich nicht mehr wüchse /fienge sie an abzunehmen / wie ein nicht mehr steigender Pfeil zu fallen. Daher müste man in Rathschlägen wol unterscheiden / was in seinem Wachsthume /oder in seinem veralternden Abnehmen wäre. Jenes sähe man augenscheinlich am Herrmann / dieses am Marbod / von welchem das Glücke nun einmahl absetzen müste / nach dem es sich an ihm gleichsam ermüdet hätte. Ja nach dem es auf einmahl von dem Colossen seines Reichs so grosse Stücke abfallen liesse /hätte es ihm nach der eröffneten Wahrsagung sonder Zweiffel vorgesätzt ihn gar übern Hauffen zu werffen. Die unter dem Scheine der Beschirmungs-Flügel zeither in den Klauen des Marbods verschmachteten Marsinger würden sich zweiffelsfrey bey dieser Gelegenheit eben so wohl nach ihrer Freyheit umsehen / und die Gothonen ihren rechten Fürsten kennen lernen. Wenn solche Eichen fielen / müste man nicht der letzte seyn Holtz zu lesen. Von anderer Reiche Brüchen aber würden andere gebauet; und aus umgeworffener Bäume Wurtzeln wüchsen junge Stämme herfür. Wolten sie daher gerne sehen: daß das Cheruskische Hauß recht empor steigen solte / müsten sie weder im Rathe noch in der That versäumen des Marbodischen Reichs Fall zu befördern; welches / so lange es stünde / mit seinem Schatten alle andere deutsche Häuser drückte / daß sie nicht aufkommen könten. Also wäre allen daran gelegen; daß es zu Grunde gienge; und nach dem sie es würden sincken sehen / würden alle mit Hand anlegen es umzustossen. Niemand in der Welt könte den Semnonern und Langobarden verargen: daß sie iederzeit das Kleinod ihrer Freyheit / welcher Versehrung edle Gemüther so wenig als das Anrühren ihres Augapffels vertragen könten / sorgfältig verwahret und dißmahl sich ihrer Dienstbarkeit entledigten. Denn weil kluge Fürsten die Sicherheit ihrer Herrschafft nicht auf die Unterdrückung ihrer Unterthanen / sondern auf ihre Liebe und die Mäßigung eigener Gewalt sätzten / hätten weder sie / noch Hertzog Herrmann deßwegen was böses zu besorgen. Ihre Freyheit würde seiner Herrschafft / und seine Herrschafft so wenig / als der Cherusker Freyheit Abbruch thun. Weil aber Marbod sie hätte zu Knechten machen wollen / wären sie nicht mehr schuldig gewest seine Unterthanen zu bleiben / in welcher Beschaffenheit er sie selbst nicht mehr hätte haben wollen. Dieses wäre keine Empörung / sondern eine Genesung der Freyheit / also allen Deutschen und ihren Fürsten daran gelegen: daß ihr auf die Beine geholffen / solche Fürsten-Mörder aber / wie Marbod wäre / in Staub und Koth getreten; ja ihr Gedächtnüs aus den Ohren der Nachwelt weggerissen würde. Solte nun Hertzog Herrmann wol Bedencken haben den zu erzürnen / dem alle feind wären / und der gegen die Cherusker nicht grössere Feindschafft schöpffen kan /als er schon hätte? Man gäbe seinem Feinde nur mehr Hertze und Galle zu[1303] schaden / wenn man ihm heuchelte; an statt / daß man sich träumen liesse ihn durch Wolthaten auf unsere Seite zu bringen / welche ihm vielmehr einen nagenden Wurm in Busem setzten; weil er dadurch sich unsern Schuldner wissen müste. Dieses würde auch an ihr selbst eine unvergeltbare Wolthat seyn; und weil er sie dem Feldherrn nicht bezahlen könte / so vielmehr Haß erwecken müssen; und also wir in so grosser Gefahr stehen /mit ihm in Krieg zu gerathen / als wenn Hertzog Herrmann beyder Völcker Herrschafft annähme /derer uns zugesätzte Kräfte ihn noch ehe zurück halten dörfften. Wer daher des Marbods guten Willen zuschriebe: daß er wider die Cherusker nicht vollends losgeschlagen / hätte in Marbods Rath-Stube keinen Blick gethan; sondern sein eigener Vortheil hätte ihm gerathen der Römer und deutschen Fürsten Macht in gleicher Wage zu halten. Wenn es aber auch schon mit dem Marbod zum Kriege käme / müste man darum den Muth nicht sincken lassen. Das Glücke vermehrte sich offt mit den Feinden; und ein Hercules scheute sich nicht mit zweyen anzubinden. Das Marcomannische Reich wäre zwar groß / und zeither so gar den Römern schrecklich gewest; aber ins gemein hielte man ein Ding nicht für diß / was es wäre / sondern was es zu seyn schiene. Es müste in sich selbst viel unsichtbare Schwächen und Brüche haben / weil ihm Marbod selbst nie allzu viel zugetraut / sich nie an keinen mächtigen Feind gewagt; und damahls / als gantz Pannonien und Dacien wider die Römer die Waffen ergriffen hätte / sein Bündnüs verletzt / und die schönste Gelegenheit den Römern einen Streich zu versätzen versäumet hätte. Zwar hätte Marbod viel Völcker unter sich / aber es mangelte ihnen der Kalck / nemlich die Vertrauligkeit / durch welchen so unterschiedener Zeug müste an einander gefügt werden. Er selbst traute keinem andern / als seinen Marckmännern; welche kaum zulangten: daß sie die andern unwilligen Unterthanen im Zaume hielten; und traute er denen einigen Semnonern und Langobarden zu: daß sie / als welche unter allen Völckern das Hertze und die Ehre gehabt Rom einzunehmen / dem Marbod alleine gewachsen seyn würden. Sintemahl die Stärcke eines Leibes nicht in der Grösse / sondern an den Spann-Adern / und die Kräffte eines Reiches nicht in dem Umschweiffe der Länder / sondern an der Hertzhafftigkeit der Einwohner bestünde; und wären diese Riesen ins gemein die wahrhafften Zwerge in der Welt / die Helden aber niemahls Cyclopen. Marbod würde so denn auch nicht mit dem Herrmann alleine /sondern mit mehr Feinden zu thun bekommen; derer er mehr als ihr Hertzog haben müste / wo unrechte Gewalt einen verfeindete. Ihr Feldherr aber wäre nun mit den Chauzen / Friesen und Sicambern so viel als verglichen; und die Römer / welche an ihm nun so vielmahl ihnen den Kopff zerstossen hätten / würden die Deutschen ehe ihrer innerlichen Zwietracht überlassen / als durch fernere Kriege sie veranlassen mit einander Friede zu machen. Dieses wäre schon vor vielen Jahren des Tiberius Grieff gewest; und also würden die Cherusker mit den Römern schwerlich eh zur Ruh kommen / als biß sie mit dem Marbod würden in Krieg gerathen / dessen Macht der Kayser so gerne als ein Mensch in der Welt zerstückt sehen; und also uns ehe darzu behülfflich seyn / als daran hindern würde. Das Cheruskische Hauß wäre zwar eine zeitlang demselben Laster ein Dorn in Augen gewest /welches so scharffsichtig ist / und doch gern weniger sähe als es siehet / weil ihm frembdes Gut so wehe thut / und die gröste Ubelkeit verursacht. Alleine wer sich dieses wolte irre machen lassen / müste nur bald auch die Tugend abschweren. Hercules hätte alle Ungeheuer überwunden; wider dieses aber hätte weder Stärcke noch Wolthat gefruchtet. Alleine dieses wäre die erste unter[1304] den Herrschens-Künsten / Mißgunst vertragen können. Wenn aber ja ein Mittel hierwider wäre / könte es kein anders seyn / als daß man sich mühte so lange höher zu steigen / biß dem Neide die Augen uns nachzusehen vergiengen. Dieser Augen-Kranckheit aber wäre Marbod mehr / als Hertzog Herrmann unterworffen; ja sie würde ihn allererst recht zu verfolgen anfangen / wenn er zu fallen beginnen würde. Denn mit der sinckenden Sonne mehrete sich sein Schatten; und die / welche aus Kleinmuth vor ihre Mißgunst nicht hätten dörffen mercken lassen / würden sich nun ohne Bedencken für seine Feinde erklären; und wenn sie nur der Marckmänner Herrschafft einreissen möchten / der Cherusker gerne bauen helffen. Diese hätte zwar ihr Maaß / aber kein solches; welches Hertzog Herrmanns Gemüthe das Gewichte hielte. Es wäre aber allezeit besser: daß die Grösse eines Reiches seinem Haupte / als ein Fürst seinem Reiche überlegen wäre. Also könte sich kein Reich wie kein Krocodill überwachsen; und es wäre einer Herrschafft so gefährlich / wann man dieser Kräfften ausmessen / als jenes Anschläge für der Zeit absehen könte. Denn die Nachtbarn verehrten / und die Feinde fürchteten nur diß / was sie überträffe; die Gleichheit aber wäre schon verächtlich / und niemand hätte Bedencken sie zu beleidigen. Grosse Reiche lidten zwar Gefahr / wenn sie von einem niedrigen Geiste beseelet würden / wie grosse Schiffe / welche keinen verständigen Steuermann / oder zu schmale Segel hätten; aber kleine würden von den grössern übersegelt / wenn schon alles auffs beste bestellt wäre. Daher möchte beym Hertzog Herrmann das Cheruskische Reich immer sicher zunehmen. Seine Nachkommen würden vermuthlich nicht aus der Art schlagen; und wenn schon zuweilen ein Nachfolger nicht alle Vollkommenheiten derer hätte / die ein Reich in Aufnehmen gebracht / vertrete doch die gute Einrichtung einer Herrschafft viel ermangelnde Geschickligkeiten ihrer unvollkommenen Fürsten. Die Cheruskische Herrschafft / wenn sie schon Semnoner und Langobarden vergrösserten / wäre noch weit von einer unbereglichen Grösse entfernet; und / wenn sie auch etwas überwachsen wolte / wäre es keine Kunst mit der Sichel die Ubermaaße wegnehmen; hingegen eine Unmöglichkeit dem / was ins Stecken geriethe / nachzuhelffen / oder was beyzusetzen; sonderlich wenn Zeit und Gelegenheit vernachlässiget würden / welche die Eyer des Glückes unterlegen müsten / so Klugheit und Tapfferkeit ausbrüten solten. Könten aber Zeit und Glücke ein güldener Ey denen Cheruskern legen / als zwey so ansehliche Länder? welche durch keine Arglist gewonnen / durch keine Waffen geraubet werden dürfften / sondern als ein wahres Geschencke Gottes eigenbeweglich dem gleichsam schlaffenden Herrmann zu Hauß und Hofe kämen. Wenn man diese nun anzunehmen weigerte / mißtraute man nicht nur ihm selbst / sondern dem Himmel; gleich als wenn er seinem Munde Aepffel von Sodom oder des Tantalus fürhielte. Er mäßigte nicht seine Begierde / sondern stiesse das Glücke mit Füssen / wiederspräche dem Verhängnüße / und machte die Furcht zum Steuer-Ruder / welche im Menschen mehr nicht als Balast seyn solte. Man wäre um den Verlust des sich weisenden Schatzes bekümmert / und wiederriethe ihn in Besitzthum zu nehmen; gleich als wenn man bey diesem Falle besser / als bey jenem stünde; oder man verschmähte reich zu seyn / aus Beysorge arm zu werden. Man traute ihm nicht zwey Völcker mit vereinbarten Kräfften zu erhalten / derer jedes sich tausend und mehr Jahre wider alle mächtige Nachbarn im Stande zu erhalten vermocht hätte. Noch viel schädlicher aber wäre / wie alle mittelmäßige Rathschläge / der Vorschlag den Semnonern und Langobarden einen andern Fürsten vorzuschlagen. Denn was könten diese auf unsere Rathschläge bauen /[1305] da wir uns selbst nicht zu rathen wüsten? Wen solten wir dem Marbod entgegen sätzen / wenn wir uns und unsern Hertzog ihm nicht gewachsen zu seyn glaubten? Vereinbarte Kräffte wären ja stärcker / als zertheilte / und eigenes Vermögen uns gewisser / als frembdes. Warum wolten wir uns denn mit Steltzen behelffen / da wir mit unser eigenen Schenckeln eben so weit / aber sicherer schreiten könten? Andere Lasten ruheten zwar fester auf vielen Pfeilern; aber Reiche sicherer auf einem Rücken / und fielen übern Hauffen / wenn sie mehr Achseln unterstützen wolten. Wie bald könte sich auch das Blat wenden / und mit der alles umdrehenden Zeit sich ereignen: daß der / welchen wir ietzt zum Fürsten so vieler Länder beförderten; auch nach den Unsrigen lüstern werden dörffte. Lasset uns diesemnach nicht wegwerffen / was uns das Verhängnüs zuwirfft! welches nichts ohne Bedacht thut; und schon damahls /als es der Welt einen Anfang / der Natur Gesätze gegeben / der Cheruskischen Herrschafft schon nach dem vorgesehenen Maaße unserer Klugheit und Tapferkeit gewisse Gräntzen ausgezeichnet hat. Lasset euch nicht träumen / als wenn dieser Anblick dem Glücke kein Ernst wäre / der GOtt unser Aufnehmen selbst beneidete! Gott wäre durchgehends gut und aller Mißgunst unfähig. Wenn aber ja das Verhängnüs der Cherusker Untergang beschlossen hätte /würden wir solchen doch so wenig als Polycrates verhüten / wenn wir schon dieses Glücke weg / wie jener seinen unschätzbaren Schmaragd-Ring ins Meer würffen. Lasset uns diesemnach unserm Feldherrn nichts rathen / was nach Neid und Zagheit reucht! Nicht herrschen wollen / wenn man könte / wäre eine Tugend der Unterthanen / aber eines Fürsten gröster Fehler / und ihr Zweiffel einer Untreue nicht unähnlich; wenn sie ihren Hertzog nicht über die Semnoner und Langobarden wolten herrschen lassen / den sie zu Beherrschung der Welt fähig schätzten. Waldecks Rede hatte einen solchen Nachdruck: daß das gröste Theil des Rathes ihm beyfiel; weil diese Meinung so wol dem Fürsten liebkosete / als nach Hertzhafftigkeit roch. Denn niemand wil gerne bey Berathschlagungen für furchtsam angesehen seyn; und iederman redet gerne nach denen vermutheten Gedancken seines Fürsten. Ja auch die / welche vorher wiedriger Meinung gewest waren / lenckten numehr ihr Rad ins gedrückte Gleiß; und nach dem folgenden Morgen die Priester das Recht der neuen Wahl beym Feldherrn mit vielen Gründen behauptet hatten / trug ihm der Rath auch ihren Schluß für / nemlich: daß die Wolfarth der Cherusker / die Freyheit Deutschlandes / und die Ehre Hertzog Herrmanns die Herrschafft über die Langobarden und Semnoner anzunehmen erfoderte. Den dritten Tag ertheilte der Feldherr denen Gesandten unter freyem Himmel in Gegenwart des gantzen Hofes und des meisten Cheruskischen Adels seinen einwilligenden Schluß / welchen sie mit grossen Freuden annahmen / und ihm die güldenen Rincken überliefferten. Hertzog Herrmann ward alsbald für den Fürsten der Langobarden und Semnoner ausgeblasen; und der Tag mit einer prächtigen Mahlzeit und unzehlbaren Freuden-Zeichen beschlossen. Folgenden Morgen brachen die Gesandten mit grosser Vergnügung auf / um ihren Gewaltgebern die fröliche Zeitung nicht lange vorzuhalten. Hertzog Herrmann folgte seinem Versprechen nach in weniger Begleitung. An der Elbe stunden dreytausend Langobardische Edelleute ihn zu bewillkommen / welchem dieser Strom / der zehn Tage mit so starckem Grund-Eise gegangen war / daß die Gesandten mit grosser Lebens-Gefahr kaum überkommen waren / eine Stunde für seiner Ankunfft an dem zur Uberfahrt bestimten Orte / durch das zusammen gestossene Eiß zu iedermans grosser Verwunderung eine[1306] feste Brücke gebauet hatte; gleich als wenn die Natur diesem Helden den Weg zu seiner neuen Herrschaft zu bähnen bemühet wäre. Als er auch folgends an die Havel kam / wo die Langobarden sich dem Feldherrn zu unterwerffen versamlet waren / kam aus der Lufft von freyen Stücken ihm ein Falcke auf die Hand geflogen / welcher eine silberne Schelle am Fusse / am Halse einen kleinen Schild hatte / darein der Langobardische Adler / und Hertzog Siegeberts Nahme eingegraben war. Diese Begäbnüs vergrösserte die allgemeine Freude des Volckes; welches mit ihrem neuen Fürsten gleichsam eine neue Seele bekam. Kein geringeres Frolocken ereignete sich zu Budorgis bey denen gleichsam wieder lebendig werdenden Semnonern. Daselbst lieff die Zeitung ein; daß im Munde der Elbe eben an dem Tage / da Hertzog Herrmann darüber geritten / ein ungeheuerer Wallfisch gestrandet / von dem Land-Volcke vollends erschlagen / sein Maaß hundert und zwantzig Füsse lang befunden worden wäre; da sie sonst ins gemein nur eine Länge von funfftzig Füssen hätten; also dieser nach dem hundert Ellenbogen langen / den man einmahl im Balthischen Meere gefangen / für den grösten hielte / der iemahls in Deutschland wäre gesehen worden. Worüber allerhand glückliche Auslegungen gemacht wurden / sonderlich weil seine zwey grosse Eyter / daran die Jungen zu saugen pflegen / von Milche strutzten / und darmit über zwey Eymer gefüllet wurden; und weil aus seinem obersten Kienbacken auf der lincken Seite ein gewundener und dem Helffenbeine gleicher Zahn fünffthalb Schuh hervor gieng / ward selbiger nachmahls dem Feldherrn zum Geschencke überschickt und von allen unwissenden für ein Einhorn gehalten. Die Barden übergaben dem Herrmann bey Ablegung der Huldigung folgende Reyme:


Ihr Völcker / die der Elb- und Oder-Strom umringt /

Die ihr den frischen Kweiß / die faule Havel trinckt /

Hebt eure Häupter auf! hier liegt das Joch zerstücket!

Das euren Kopff zerkwetscht / und euren Nacken drücket.

Zieht euer Achseln weg! macht eure Schenckel frey!

Die Dienstbarkeit ist weg / die Ketten sind entzwey!

Der Himmel warff euch zwar zu Marbods stoltzen Füssen /

Doch nicht aus Rach und Neid. GOtt und Verhängnüß wissen

Von solcher Regung nichts. Sie schencken Bitterkeit /

Doch nur als Artzney ein: daß man den Unterscheid

So herber Dienstbarkeit und linder Freyheit schmecke.

So hüll't der Himmel vor in eine Wolcken-Decke

Das Auge dieser Welt / wenn seiner Sonne Licht

Uns schöner düncken soll. Kommt! die ihr Athem nicht

Zu schöpffen fähig seyd! wenn ihr solt knechtisch dienen /

Zu ziehen frische Lufft! Nun ist der Tag erschienen

Der Freyheit. Perseus hat Andromeden befreyt /

Und unser Elbe-Strom den Wallfisch ausgespeyt /

Der für Verzweiffelung muß stranden und vergehen /

Nun er den Herrmann sieht euch an der Seite stehen.

Geht / schaut das faule Aas des Ungeheuers an /

Dem Marbod sich allein in Deutschland gleichen kan.

Geht / spottet seiner nur. Denn numehr mässen Zwerge

Ihn nach der Spannen ab. Die steilen Riesenberge

Sind von Cyclopen leer; kein Fässel ist mehr dar /

Woran schon euer Fuß vor angeschmiedet war.

Der Marckmann wünscht nun selbst ihr felsicht Haupt zu Rügeln

Für der Cherusker Macht. Doch nur umsonst! den Flügeln

Der Tugend ist der Krantz der Alpen nicht zu hoch;

Dem Herrmann nichts zu schwer. Bähnt das Verhängnüs doch

Dem tapffern Hercules den Rückweg aus der Hölle.

Hält nun nicht Helden auf Gebürge / Sand und Welle /

Was soll den Herrmann denn zu hemmen fähig seyn?

Dem die Natur selbst dient / wenn sie in Marmelstein

Die weiche Flut verkehrt / und auf der Elbe Rücken

In einer Stunde-Zeit aus Eise bauet Brücken.


O hochbeglückter Fürst! für den der Himmel kriegt!

Für dessen Wolfarth Wind und Lufft zu Felde liegt!

Doch mehr beglücktes Volck / dem solche Sterne scheinen /

Mit welchem es so gut GOtt und der Himmel meinen!

Er neigt die Sonn' euch zu; und schafft: daß Fluß und Meer

Euch euer Glück und Heil muß sagen zuvorher.

Ja Falcken müssen euch zu Freuden-Boten werden /

Verkreuch dich / Adler / nun! der du ein Reiß zur Erben

Von Lorbeer-Bäumen warffst; weil du damit die Last

Der Knechtschafft der Stadt Rom nur wahrgesaget hast!

Hier aber bringt ein Falck' uns unsre Freyheit wieder.

Rühmt euch ihr Adler nicht: daß Jupiters Gefieder

Aus euren Klauen kommt / wenn er mit Blitze spielt.

Weil unsers Falckens Flug auf lauter Güte zielt /

Zum Zeichen unsers Schirms an statt der Donner-Keile

Uns einen Schild trägt zu. Flügt Adler! reißt die Pfeile

Dem Schützen aus der Hand des grimmm Dionyß!

Und werfft sie in das Meer! durch dieses Zeichen ließ

Der Himmel ihn den Fall von Reich und Hoheit wissen.[1307]

Hier müssen Semnoner und Langobarden schlüssen:

Der Falcke sey von GOtt; Er bring' uns Sieg und Ruh /

Das Erb-Recht Siegeberts dem grossen Herrmann zu.

Den hat's Verhängnüs uns zum Fürsten außerlesen;

Es ist des Himmels eh' als unsre Wahl gewesen.

Denn die Versehung treibt das Rad der grossen Uhr;

Wir sind der Weiser nur. Wir folgen ihrer Spur

Als Blinde / wenn wir uns gleich der Vernunfft bedienen

Durch Klugheit / Stern' und GOtt zu meistern uns erkühnen.


Wo aber auch die Welt ihr selbst gelassen ist;

Wo es bey Menschen steht: daß man was guts erkiest;

So hätte Solon selbst nicht besser wehlen können.

Wo anders Kron' und Thron der Tugend ist zu gönnen.

Wo Tapfferkeit den Mast / wo Witz Compaß und Kiel

Giebt in der Herrschafft ab. Solch eines Fürsten Ziel

Und Absehn kan nichts seyn / als was auch Väter haben;

Diß ist der Kinder Heil. Ließ sich Philen begraben

Lebendig in den Staub: daß nur sein fernes Grab

Dem werthen Vaterland' ein ferner Gräntzmal gab.

Was wird ein Herrmann thun / der zwölffmahl wil erblassen /

Eh er der Freyheit kan ein Haar versehren lassen /

Eh er dem Reiche läßt zwey Spannen Erd und Sand

Von Nachtbarn gräntzen ab / weil er sein Vaterland

Alleine liebt / nicht sich / und keinen Purpur schätzet /

Wenn ihn mehr Schnecken-Blut / als eignes hat genetzet /

Und ihn ein Fürst nicht taucht ins Feindes Wunden ein.

Denn diß Gewand soll ja der Völcker Schweiß-Tuch seyn /

Der Feinde Leichen-Tuch / der Fürsten Ehren-Binde.


Mich dünckt: Ich sehe schon was ihm die Tugend winde

Für güld'ne Sieges-Kräntz' auf sein belorbert Haupt.

Denn Marbod / dem die Furcht schon hat sein Hertz geraubt /

Dem das Verhängnüs hat das Leichen-Bret gefället /

Den Todten-Zettel schreibt; den's Glück auf Trübsand stellet /

Der sein halb Reich verkaufft / und für dem Schatten fleucht /

Für unser Heeres-Macht schier in ein Bocks-Horn kreucht /

Wird Hermanns Angesicht beschwerlicher vertragen /

Als Eulen sich in Sonn' und Tag zu schauen wagen.

Er wird für dem nicht stehn / für dem die Adler fliehn /

Die Götter der Stadt Rom; und hundert Völcker ziehn

Die stoltzen Hörner ein. Meyn / Rhein und Weser wissen

Des grossen Herrmanns Ruhm nicht länger zu beschlüssen;

Das Meer wil mehr kein Blut / und ist der Leichen satt /

Die Herrmanns Faust zur Rach' ihm abgeschlachtet hat.

Kweiß / Oder / Elbe / Spreu mit samt dem Belt begehren:

Daß ihnen Herrmann nun auch Leichen soll gewehren /

Die unsern Achseln schwer / der Freyheit schädlich seyn.

Ja keine Aegel saugt mit solchem Eyver ein

Des Lebens süsses Oel / als Meer und Erde dürsten

Nach Blute / der durch Mord und Blut befleckten Fürsten.

Denn diß versüßt ihr Saltz / stillt Thräu' und Hertzeleid /

Schafft dem gekränckten Recht / der Unschuld Sicherheit.


Die Felsen die das Reich der Bojen von uns trennen /

Das Marbob hat geraubt; wir Riesenberge nennen /

Mahln diesem Wütterich schon sein beschwertes Grab /

Und schlimmen Untergang boßhaffter Menschen ab.

Denn Etna deckt nicht nur der Himmel-Stürmer Knochen /

Der Himmel hat auch hier an Riesen sich gerochen /

Die Volck und Welt betrübt / die GOtt und Recht gehaßt.

Und manch Enceladus schäumt unter dieser Last /

Der Blitz und Schweffel zwar nicht in die Lüffte speyet /

Ihn aber der Natur zu ihren Schätzen leihet /

Die sie in dieser Berg' Ertztreichen Adern kocht /

Die keine Wünschel-Rutt hat auszuspürn vermocht /

Weil das Verhüngnüs sie wil aufgehoben wissen:

Daß man aus ihnen kan dem grossen Herrmann giessen

Sein erstes Ehren-Bild. Weil auch kein grösser Held /

Nach dem Tuiscon hat beherrscht die deutsche Welt /

Wird Herrmanns Leib sein Grab bey dem Tuiscon kriegen.

Sein Ruhm soll durch die Welt / sein Geist zun Sternen flügen /

Und neben dem Saturn die Wohnung nehmen ein /

Weil seine Herrschafft nichts als güldne Zeit wird seyn.


Quelle:
Daniel Caspar von Lohenstein: Großmütiger Feldherr Arminius, Zweyter Theil, Leipzig 1690, S. 1093-1308.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon