3.

[24] Wie jetzt Frau Musse so viel that,

Dass sie die Thür geöffnet hat.


Ich schlug und stieß und im Verlauf'

Horcht' ich wohl manchmal wieder auf,

Ob denn gar Niemand hier zur Hand?`

Das Thürlein, das gar lockend stand,

Thät' auf ein edel' Mägdelein,

Das gar sehr lieblich war und fein.

Das Haar so gelb, wie Goldlack schaut,

So zart wie'n Küchlein war die Haut,

Stirn hell – gewölbt die Lider fein,

Die Augenwimpern war'n nicht klein,

Auch war sie ziemlich groß von Maß,

Und wohl gefallen mag die Nas' –

Ihr glänzt das Aug' wie keinem Falken

Zum Neid' und Aerger jedem Schalken.

Ihr Athem würzig war und süß,[25]

Das Antlitz schön gefärbt sich wieß.

Der Mund, der war gar zierlich fein,

Sie hatt' am Kinn' ein Grübchen klein;

Am Hals von gutem Ebenmaß',

Den voll und üppig sie besaß,

Kein Bläschen, keine Warze war –

Und bis Jerusalem fürwahr,

Hatt' einen schöner'n Nacken Kein',

Der so sich zeigte glatt und rein.

Und ihre Haut war glänzend weiß,

Als unterm Zweig' gereiftes Eis,

Das erst gefallen frisch und neu:

Die Brust war wohlgestalt't und frei –

So schönen Weibes Busen fand

Wohl Keiner je in keinem Land'.

Ein schmuckreich Mützchen deckt die Stirn –

So hat es nirgends eine Dirn',

So hübsch und gar so wohl gemacht,

Auch war so schön es angebracht,

Wie all' mein' Lebtag nie ich's schaut'.

Der Rock lag wohl geschnürt und traut.

Ein Kranz von frischen Rosen hing

Auf des gestickten Mützchens Ring',

Ein'n Spiegel hielt sie in der Hand,

Indem das Haar ein Kamm verband,

Der war auf ihrem Haupt gar weit,

Gar passend und gar schön und breit.[26]

Gestickt war'n beide Aermel reich,

Und daß die Hand blieb weiß und weich,

In weißen Handschuh'n sie erschien,

Das Kleid, das war von reichem Grün'

Mit Stickereien schön vollbracht,

Es schien aus ihrer ganzen Tracht,

Daß sie wohl litte wenig Noth;

So war sie anzuschauen roth

Und wohlgeschmückt; und gut gekleid't

Hatt' sie verlebt die Lebenszeit.

In Wonnezeit und Wonnemond

Hat keine Sorg' ihr beigewohnt

Um irgend was, als ganz allein:

Wie sie recht wohl geschmückt erschein'.


Nachdem die schmucke Magd mir hier

Geöffnet alsobald die Thür,

Bedankt ich mich gar süß alhie,

Und fragte sie alsbald auch, wie

Ihr Namen hieß', und wer sie wär'?

Auch war nicht spröd' sie dem Begehr'

Und gönnte Antwort meinem Gruße:

Genennet werd' alhier ich Muße

Sprach sie, von Jedem, der mich nennt;

Reich, mächtig bin ich, wohl bekennt;

Ich nehm' zu Allem gute Zeit –

Denn an Nichts denk' ich weit und breit,[27]

Als wie ich mich erfreu' und pflege

Und Kamm und Haar zurechte lege,

Wenn ich gekämmt und schon gemacht,

So ist mein Tagwerk auch vollbracht.

Ich bin vertraut und hold und gut

Dem lieblich hübschen Wohlgemuth.

Denn dieser Hain wird sein genannt,

Und aus dem Sarazenenland',

Hat die Gewächs' er holen la'n,

Und sie im Hain' gepflanzet an.

Und als die Bäume er gesetzt,

Ließ er die Mauer, die Ihr jetzt

Erblickt, errichten rings umher

Und ließ bemalen sie nachher

Mit Bildern, die nun an ihr steh'n,

Nicht lieblich freilich oder schön,

Vielmehr trübselig in der That,

Wie Ihr sie vorher selber saht. –

Oft kommt zu Schattens Hochgenuss'

An diesen Ort in den Verschluß

Herr Wohlgemuth und seine Leut',

Die sind voll Lust und Fröhlichkeit.

Auch jetzt ist sicherlich darin

Herr Wohlgemuth und horchet hin

Auf Wettgesang der Nachtigall'n

Mit Lerchen und den Vögeln all'n.

Erholung pflegt und Lust er dort[28]

Mit dem Gefolg', denn schönrer Ort,

Und schönren Stelle sich zu freu'n,

Die könnte nirgend mehr wohl sein.

Die schönsten Leut', das wisset nur,

Die je Ihr seht auf einer Flur,

Sind zur Gesellschaft ihm erkürt,

Bei der er weilet und sie führt.


Als Muße dessen mich belehrt,

Und Alles ich gar wohl gehört,

Da sagte ich: Frau Muße seid

Mir schwierig darum nicht zur Zeit:

Wenn Wohlgemuth auch frohbegnügt

Mit seinem Troß sich hier vergnügt

Im Hain, sei die Gesellschaft schier

Wenn's möglich, nicht entzogen mir,

Daß ich sie mag vor Nacht noch seh'n,

Mich drängt's danach, dieweil ich wähn',

Daß die Genossenschaft gar fein

Und schön und höflich werde sein.


Ich trat ein, und sprach Nichts zuvor,

Wo Muße aufgemacht das Thor.

Und kaum daß ich am Haine war

So war ich froh und lustig gar.

Und wißt, ich wähnt', mir sei bescheert

Der Himmelgarten auf der Erd':[29]

Der Ort, so trefflich fand ich ihn,

Daß er mir himmlisch gar erschien;

Denn so viel jetzt ich Kunde hab':

In keinem Himmelgarten gab

Es solche Lust, als im Gewühl'

Des Haines, der mir so gefiel.

Genug gab's da von Vogelsang

Den ganzen großen Hain entlang;

Der dort voll Nachtigallen war

Und hier voll Elstern oder Staar' –

Da gab es ganze Schul'n und Spiel',

Zaunkön'ge, Turteltauben viel',

Stieglitze, Schwalben allzumal,

Kopflerchen, Meisen ohne Zahl,

Feldlerchen waren da gemein,

Die mit den andren sich erfreu'n,

Nach Lust zu singen und Gebühr,

Und Amseln, Haidelerchen schier,

Wettstreitend da zu überschrei'n

Den Sang der andern Vögelein,

Auch Papageien gab es dort,

Und viele noch die an dem Ort,

In dem Gehölze, wo sie weil'n,

Gar schön zu singen sich beeil'n.

Sie machten trefflich ihre Sach',

Wie ich's Euch zeige allgemach.

Die Vögel sangen all' so schön,[30]

Als wär'n sie aus des Himmels Höhn.

Wißt, daß der Anblick, wie ichs hörte,

Mir lange Zeit viel Lust gewährte,

Wohl war so schön die Weise, wie

Kein Sterblicher sie hörte nie.

So schön und süß war dieser Klang,

Daß er nicht schien nur Vogelsang.

Man könnte achten ihn für wahr

Als wie von der Seereinenschaar1

Die nach dem reinen Sang' zur Hand

Seereinen man hat zu genannt.


Die Vögel war'n mit Fleiß gekehrt

Zum Singen, d'rin sie wohl gelehrt,

Und wahrlich nicht ohn' Kunst im Sang',

Und wißt, als ich gehört den Klang,

Geseh'n das Grüne in dem Hain',

Da mocht ich wohl gar fröhlich sein;

Nie hatt' ich noch so große Freud'

Im Leben, als zu dieser Zeit,

Und von der Lust so hoch ergötzt[31]

War ich gar voll von Wonne jetzt.

Da seh' ich wohl und weiß es gut

Was mir Frau Muße Liebes thut.

Daß, ihrer Freunde Göttin, sie

Versetzt mich in die Wonne hie,

Indem sie aufgeschlossen mir

Des laub'gen Haines enge Thür.


Und was gethan ich da sogleich,

Weiß ich's noch wohl, so sag' ich's Euch.

Zuerst, was Wohlgemuth wohl that,

Und was für Dienerschaft er hatt',

Sag' ich Euch jetzt ohn' viel Geschrei.

Und all' die Gärten nach der Reih',

Und ihre Bildung künd' ich dann.

Da nicht zugleich ich Alles kann,

Will nach der Reihe ich's erzähl'n,

Daß Niemand wisse, drum zu schmähl'n.


Gar großen Dienst, und süß und lieb

Zuvörderst dies Gevögel trieb.

Denn Lieb'- und Minnesänge stets

Sang seinem Schnabel nach ein Jed's,

Das Eine hoch, das And're tief,

Was nur die Lust zu Tage rief. –

Die süße Weise und die Lust

Gab keine kleine Wund' der Brust,[32]

Doch als ein Weilchen ich gehört

Den Saug hab ich mich weggekehrt,

Den Herren selber sehn zu gehn.

Denn gut zu kennen wünscht' ich den,

Sein ganz Betragen, seinen Sinn;

Da ging ich denn zur Rechten hin,

Auf einem Nebengange jetzt,

Mit Münz' und Fenchel dicht besetzt.

Auch traf Herrn Wohlgemuth ich da

In einer Laub', und ziemlich nah

Ging ich zur Stelle, wo er saß,

Daselbst ergötzte er sich baß;

Es war'n bei ihm gar schöne Leut',

Sie sehend, wüßt' ich nicht bescheid,

Wo doch so schöne Leute her

Gekommen, denn es schien, als wär'

Das eine Flügelengelschaar,

So schön sah's Keiner, der je war.

1

Nur so wüßte ich mir das seltsame Wortspiel des alten Dichters mit seraines und Seraines (wie er die Sirenen nennt) wieder zu geben, indem ich auch im Deutschen nach Beispiel älterer Dichter (z.B. Fischarts Don Kühschote) das griechische Wort zu deutschem Anklang entstelle.

Fährmann.

Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 24-33.
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