31.

[177] Wie' Scham nun ging und Furcht sogar

Aus grosser Sorge zur Gefahr,

Der bei den Rosen hielt die Wacht,

Und nahm nicht recht den Hain in Acht.


Nach diesem Rathe thäten sie,

Und kamen zu Gefahr allhie,

Und da nun fanden sie ihn auch

Gestreckt bei einem Weißdornstrauch'

Und unter'm Haupt an Kissens Statt

Er darin groß' Stück Rasen hat.

So fing er grad' zu schlummern an

Doch Scham erweckte ihn sodann,

Indem sie ihn mit Schimpf' bedreut.


Scham.


Wie schlaft Ihr doch zu dieser Zeit,

Sprach sie, in dieser üblen Lag'?

Ein Thor ist, wer Euch trauen mag[178]

Und Wacht bei Rosen Euch empfahl –

Bei einem Schöpsschwanz' nicht einmal!

Ihr seid ja viel zu faul und träge,

Und solltet rüstig sein und rege

Und lassen keinem Menschen Ruh'.

Inzwischen laßt Ihr Thorheit zu,

Daß Gutempfang einführen darf,

Was Schand' uns bringet arg und scharf.

Indem Ihr schlafet, haben wir

Die Noth, und können Nichts dafür.

Hat Eure Ruh genug gewährt?

Steht auf sogleich nun, und versperrt,

Die Ausgäng' all' an diesem Zaun,

Und Keinem sollt Ihr Gunst vertraun.

Denn dieses geht nicht Euch nur an,

Was Ihr so albern habt gethan,

Wenn Gutempfang ist mild und frei,

Seid Ihr ein Thor und Narr dabei,

Und blos von Schimpf und Schmähung voll.

Ein höflicher Wächter sein, ist toll;

So hört' ich's schon im Sprichwort' an,

Daß man nicht Sperber machen kann

Aus Bußarten auf eine Weise.

Die hielten Euch wohl kaum für weise,

Die Euch so gütig fanden hier.

Denn, wollt gefall'n den Leuten Ihr,

Und ihnen Liebe thun und Dienst,[179]

Das kommt Euch wahrlich, zum Gewinnst:

So wird am Ende Euch das Loos,

Daß Ihr Euch findet matt und bloß,

Und daß Ihr Schelmen habt genützt.


Und Furcht begann zu Jenem itzt:


Furcht.


Gewiß Gefahr, mich wundert's sehr,

Daß Ihr nicht gebet Achtung mehr,

Zu hüten, wie's Euch mag zustehn.

Drob kann's Euch übel noch ergehn,

Wenn Eifersucht es merkt zur Frist,

Die gar sehr grimm und griesgram ist,

Und zu dem Hader gern bereit:

Sie zankte mit der Scham erst heut,

Und hat gescheuchet durch ihr Drohn

Den guten Gutempfang davon,

Und schwört, sie woll' nicht ruhig sein,

Bis daß sie ihn gemauert ein.

Dies Alles ist nun Eu'r Vergehn,

Weil Ihr nicht besser vorgesehn.

Ich mein' das Herz entfiel Euch wohl;

Doch dies Euch schlecht bekommen soll,

Daß Gram und Noth Euch widerfährt,

Wenn Eifersucht es je erfährt.[180]


Der Dichter.


Da hub der Bursche auf den Kopf

Und drehete so Aug' wie Zopf,

Die Nas' verschrumpft', das Auge schwoll,

Und ward von Wuth und Ingrimm voll;

Da es so übel ihm erginge.


Gefahr.


Leicht, sprach er, Euch ich noch bezwinge,

Indem Ihr schon besiegt mich gebt,

Dann hätt' ich doch zu lang' gelebt,

Wenn ich nicht diesen Weg bewahr';

Man mög' mich braten lebend gar,

Tritt hier ein lebend Wesen her;

Mit Herz und Magen tobt' ich sehr,

Wenn Jemand trat an diese Stätte,

Daß lieber er zween Schwerter hätte

Gerannt durch seinen Leib in Pein.

Doch red' ich thöricht, fällt mir ein,

Warum fang' ich nicht an mit Euch?

Und zeige meinen Eifer gleich,

Stets zu vertheid'gen diesen Hag;

Denn wen ich hier ertappen mag,

Wär' in Pavia1 besser dran.[181]

Niemalen all' mein Lebtag' dann,

Sollt Ihr für schlöfrig halten mich,

Das schwöre und verfluche ich!


Der Liebende.


Dann hat Gefahr sich aufgericht't.

Gemacht ein grimmiges Gesicht.

Und einen Stock nahm er zur Hand,

Und sucht' im Hag, ob wo er fand

'Nen Zugang oder auch ein Loch,

Nur auf's Versperren sieht er noch,

So daß nun Alles anders war,

Denn gänzlich anders ward, Gefahr,

Viel wilder, als er je vorher.

Mich tödtet's, daß er zürnt so schwer.

Denn nimmer fürder hab' ich Muß',

Zu sehn, wonach ich trachten muß,

Er zürnt, in Herz und Galle lang;

Und so verdarb nun Gutempfang.

Und wisset, daß mir jedes Glied

Erzittert, kommt mir ins Gemüth

Die Rose, die ich also sehre

Von Nahem anzusehn begehre;

Und vollends, denk' ich an den Kuß,

Der mir in's Herz trug Dufterguß,

So süß wie ihn kein Balsam macht,

Nur wenig fehlt, so käm' Ohnmacht.[182]

Denn noch liegt mir im Herzensschoße,

Die süße Würze dieser Rose.

Und wiss't, daß wenn ich mich besinn',

Daß so von ihr getrennt ich bin,

Ich lieber todt als lebend wär'.

Die Rose traf mich all zu schwer

In Augen und in Lippen fest.

Daß Amor sie nicht nehmen läßt,

Verdoppelt nun der Leiden Wucht.

Nun hab' die Wonne ich versucht,

Und um so stärker ist der Zug

Der zieht mein Herz mit Macht und Fug.

Und Klag' und Seufzen mich betraf,

Und langes Träumen ohne Schlaf;

Und Sehnen grausam, jämmerlich,

Und Schmerzen zahllos habe ich.

Denn jetzt trag' ich der Hölle Wucht.

Argmund, Du seist darum verflucht.

Durch seiner falschen Zunge Macht,

Hat er mir solche Brüh' gemacht!

1

Schon zum zweiten Male wird Pavia in dieser Verbindung angeführt; es scheint also ein Sprichwort gewesen zu sein.

H. F.

Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 177-183.
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