156. Der Schatz im Krambühl.

[100] Zwischen Zierenberg und dem Dörnberge liegt ein kahler[100] Hügel, der Krambeul (hochdeutsch = bühl, d.i. collis, ein Hügel) genannt, bei welchem einmal vor Jahren ein Schäfer seinen Pferch aufgeschlagen hatte. Als dieser spät Abends seine Wohnung verließ, um die Nacht bei der Heerde zuzubringen, bemerkte er am Fuße des Krambeuls einen hellen Fleck und, als er näher trat, eine Jungfrau, die ihm winkte herüber zu kommen. Der Schäfer war mehr verwundert als erschrocken; allerlei Sagen von Leuten, die auf wunderbare Art zu großem Reichthume gelangt waren, durchkreuzten seinen Kopf, und sich ein Herz fassend folgte er der Einladung und ging auf den hellen Fleck zu. Schweigend deutete die Jungfrau auf den Fleck; der Schäfer verstand den Wink, nahm seine Schippe und fing an den Boden aufzulockern. Bald stieß er auf einen Kessel, der ganz mit Goldstücken angefüllt war. Immer eifriger grub jetzt der Schäfer; es dauerte nicht lange, so stand der Kessel ganz von Erde befreit in der Grube und der Glückliche machte sich daran ihn heraufzuheben, denn die Jungfrau hatte ihm zu verstehen gegeben, daß er den Kessel sammt den Goldstücken mitnehmen und behalten möge. Doch vergebens waren alle seine Anstrengungen. Die Schwere des Schatzes trotzte der Kraft seiner nervigten Arme. Schon wollte er muthlos werden, da raffte er noch einmal zu einem letzten Versuche alle seine Kräfte zusammen, umfaßte den Bauch des Kessels und hob ihn von der Stelle. Aber die große Anstrengung preßte ihm ein ächzendes »Hilf Gott!« aus, und kaum war der Laut über seine Lippen, so stand er allein im Finstern und sah weder die Jungfrau, noch den Kessel, noch die Grube mehr! – Später hat er oft mit der Hacke den Boden aufgewühlt, aber niemals fand er wieder eine Spur von dem Kessel.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. C100-CI101.
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