179. Des Engels Hülfe.

[115] Ein Bauer aus Westendorf im Schaumburgischen wurde von dem Amtmanne auf der Schaumburg angehalten eine bedeutende Schuld zu bezahlen. Der Bauer behauptete die Summe schon dem früheren Amtmanne, des jetzigen Vater, zurückgezahlt zu haben, doch konnte er keine Quittung aufweisen. Betrübt ging der Bauer von der Schaumburg fort und schlug den Weg über Ostendorf nach Hause ein. Als er auf dem Dreisberge an die »einstännige Eiche«1 kam, begegnete ihm ein »Engel«, der ihn fragte, warum er traurig sei, worauf der Bauer seine Sache erzählte. Der Engel sagte: »Wenn du dich Etwas ›unterstehen‹ wolltest, so könnte ich dir wohl helfen.« »Das will ich,« antwortete der Bauer. »Nun so stelle dich auf meine Zehen.« Alsbald hob sich der Engel mit ihm in die Luft und führte ihn weit weg an einen großen Berg. Hier klopfte er an eine Thür und hieß den Bauern hineingehen und seine Quittung fordern; die Quittung solle er aber nicht anfassen, sondern sich in den Hut werfen lassen. Der Bauer ging durch drei Thüren und gelangte zuletzt in ein Zimmer, in welchem der verstorbene Amtmann mit seinen Schreibern an der Arbeit saß. »Was wollt ihr?« fragte der Amtmann. »Die Quittung über die Summe Geldes, die ich euch bezahlt habe, will ich holen,« erwiederte Jener. Anfangs wollte der Amtmann nichts davon wissen, doch verstand er sich endlich dazu, ihm die Quittung zu geben. Der Bauer hielt seinen Hut hin, sie wurde ihm hineingeworfen; der Boden des Hutes brannte sofort durch und die Quittung fiel zur Erde. Als sie kalt geworden, hob sie der Bauer auf, ging hinaus, stellte sich dem Engel auf die Zehen und sah[116] sich bald wieder auf dem Dreisberge bei der »einstännigen Eiche« niedergelassen. Fröhlich eilte er nun nach der Schaumburg zurück, dem neuen Amtmanne die Quittung vorzuzeigen. Dieser fragte verwundert, woher er die Quittung habe? »De hebbe ek ut der Hölle hahlt!« – Bald darauf starb der Amtmann.

Mündlich.

1

Einstännig = alleinstehend.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CXV115-CXVII117.
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