192. Die Pest.

[123] Als einmal in Hessen die Pest sehr arg und lang anhaltend wüthete, kam man auf den Argwohn, daß das »Umsichfressen« der Todten im Grabe daran Schuld sei. Im Schmalkaldischen riß man die Gräber wieder auf und stach den mitunter noch nicht völlig erkalteten Leichen mit einem Spaten die Köpfe ab, um diesem »Umsichfressen« Einhalt zu thun.

»Im J. 1558 hat zu Helsa eine Haustochter, so überaus geizig gewesen, in einem Sterben dem Tod herhalten müssen. Dieselbe hat man in ihrem Grabe sobald und ohne Aufhören schmatzen hören, wie ein grober Mensch oder eine Sau zu thun pflegt, und da man sie aufgegraben, hat sie das Kleid weit umher aufgefressen gehabt. Man hat ihr auf etlicher Leute Rath und Gutdünken deshalb mit einem Spaten den Hals abgestochen. Darauf hat man sie wieder zugeworfen, und ist sowohl das Fressen als das Sterben gestellt worden.«

Landau im hess. Volksbl. 1843 Nr. 78. – Häfner, Herrschaft Schmalkalden III, 120.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CXXIII123-CXXIV124.
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