232. Die Belagerung der Gelsterburg.

[161] Ueber der bei Witzenhausen in die Werra mündenden Gelster, unfern von dem Dorfe Trubenhausen, lag ehemals auf einem steilen Hügel die Gelsterburg, von welcher jetzt nichts mehr übrig ist, als der Wall und der Graben. Diese Burg wurde einst belagert; aber weder mit den Waffen noch durch die engste Umschließung war im Stande, sie zu bezwingen. Ein geheimer Gang führte aus der Burg[161] ins Freie hinab; durch diesen ritt der Burgherr aus wann er wollte und brauchte dabei nur die Vorsicht, seinem Pferde die Hufeisen verkehrt aufzulegen. Doch endlich wurde der Gang entdeckt, und bald blieb den Belagerten nur noch die Wahl zwischen dem Hungertode und freiwilliger Unterwerfung. Da wagte es die schöne Hausfrau des Ritters zu den Belagerern hinab zu gehen und um Gnade nur für sich zu bitten. Die Thränen des Weibes bewältigten des Feindes Herz; die Gnade ward ihr zugestanden und nun flehte sie noch um die Erlaubniß, so viel aus der Burg mitnehmen zu dürfen, als sie in der Schürze tragen könne. Auch das ward ihr gestattet. Sofort eilte sie zur Burg zurück, nähete sich eine große Schürze, trug darin ihren Mann herab und rettete ihm dadurch Freiheit und Leben. Noch jetzt zeigt man dort in der Gegend einen Malstein, auf welchem sie mit ihrer schweren Bürde ausgeruht hat.

Landau im hess. Volksbl. 1843 S. 51.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CLXI161-CLXII162.
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